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1.

Es fing alles mit einer Abenteuerreise an. Ich hatte beschlossen daran teilzunehmen als auch meine letzte Verbindung zu anderen Menschen zerbrach. Ich hatte keine Familie mehr, nur noch ein paar Freunde. Irgendwann gingen auch diese fort und mir blieb nur noch mein Freund - bis er eine Neue fand.
Die Neue machte wohl mehr was er wollte und hatte nicht, wie ich vor, eigene Wege zu gehen. Sie war das, was man als Zuckerpüppchen bezeichnen konnte. Eine super Figur, langes blondes Haar, wobei ich nicht von der Echtheit der Farbe überzeugt war, große unschuldige Augen (so unschuldig wie ihre Augen war sie meiner Meinung nach nicht) und einen Schmollmund. Der hatte es meinem Freund, genauer gesagt Ex-Freund, besonders angetan.
Wenn sie etwas wollte, verzog sie den Mund auf eine Art, wie nur sie es konnte und schon war die Sache erledigt. Aber sie steckte sich nie hohe Ziele. Wie gesagt hatte sie keinen eigenen Kopf sondern gehorchte. Das einzige, zu dem ihr niemand etwas sagen konnte, war ihr Aussehen. Ich hatte sie noch kennengelernt.
Zum Glück konnte ich trotz meiner fehlenden Familie eigene Wege gehen, hatte meine Bude und war wohl versorgt. Und nun hatte ich mich dazu entschlossen, zu verreisen.
Keiner hielt mich auf und ich wußte, daß eine solche Reise für mich keine Probleme darstellte, denn ich war sehr sportlich und hatte, seit ich laufen konnte, eine spezielle Ausbildung von unserem früheren Hausmeister genossen.
Er stammte aus Japan, aber ich weiß bis heute nicht, warum gerade ich dazu auserkoren war. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals, denn meine gute Kondition rettete mir später das Leben.
Jetzt führe ich ein gutes, aber manchmal auch gefährliches Leben und habe einen guten Freund gefunden. Er ist das genaue Gegenteil von meinem Ex-Freund. Sie haben zwar die gleiche Größe und sind gut gebaut, doch mein jetziger Freund hat blonde kurze Haare und wundervolle sanfte braune Augen. Mein Ex war ein Aufreißertyp, aber das merkte ich erst, als es zu spät war, denn mir gegenüber war er nie so.



Da stand ich nun am Bahnhof, dachte über mein bisheriges Leben nach und wußte nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Lachen, weil ich an meinen Ex-Freund und seine Blondine denken mußte oder weinen, weil meine Familie nicht mehr da war. Ein Autounfall hatte sie mir genommen. Ich kam mir sehr allein vor, wie ich dastand auf dem großen Bahnhof mit dem wenigen Gepäck.
Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter: „Hey, sind sie Taris, äh, Taris McWell?“
Der Mann, der vor mir stand, schaute von seiner Liste auf.
„Ja, bin ich.“
Er nickte nur und hakte meinen Namen ab.
„Was denn“, kam eine Stimme aus dem Hintergrund, „die fährt auch mit? Was soll das werden? Ein Kaffeekränzchen?“
Einige lachten, als habe dieser Heini einen besonders guten Witz erzählt. Er selber hielt ihn für super und lachte am lautesten.
Innerlich seufzend drehte ich mich um. Sicher, ich war das einzige weibliche Wesen in dieser Gruppe, dennoch gingen mir solche Sprüche gegen den Strich.
Es genügte ein Blick und ich wußte, daß war der perfekte Angeber. Schlimmer als mein Ex. Langsam ging ich auf ihn zu.
„Als ich schon meinen ersten Kampf gewonnen habe, hast du wahrscheinlich gerade Mal gelernt, eine Fliege mit der Zeitung zu erschlagen.“
Der Typ schaute ziemlich dumm aus der Wäsche. Er hatte wohl keine Antwort erwartet.
Ich drehte mich wieder weg und sah einen Jungen in der Nähe stehen. Er war nur etwas älter als ich, schätzungsweise zweiundzwanzig und sein Lächeln machte mir klar, daß er den Angeber auch nicht leiden konnte.
Inzwischen war der Bus angekommen und unser Reiseleiter drängte uns einzusteigen. Wir hatten einen weiten Weg vor uns. Zum Glück saß ich alleine, denn ich mußte erst einmal meine Gedanken ordnen. Erst als der Fahrer eine kleine Pause machte, merkte ich, wieviel Zeit vergangen war. Ich hatte nicht mal die ständig wechselnde Landschaft beachtet. Um meine steifen Glieder wieder zu beleben, lockerte ich sie draußen mit ein paar kurzen Übungen auf. Mir machte es nichts aus. Die spöttischen Blicke entgingen mir.
Plötzlich traf mich ein harter Schlag an der Schulter. Widerwillig drehte ich mich um und sah noch einen Angeber vor mir. Er gehörte zu dem Kreis, mit dem ich schon am Bahnhof angeeckt war.
Ich rang mich erst gar nicht zu einer passenden Antwort durch, mit solchen Typen konnte man nicht reden. Dafür dachte mein Gegenüber wohl, daß er mit mir reden müsse.
„Hey Süße. Du denkst wohl daran, daß es besser gewesen wäre, zu Hause zu bleiben und dort zu träumen.“
„Oh.“ Ich lächelte ihn an, doch dieses Lächeln erreichte nie meine Augen, was den Typen eigentlich hätte warnen müssen, es jedoch nicht tat.
„Verrätst du mir deinen Namen?“
Der Typ glotzte wie ein Mondkalb und stotterte nur automatisch: „Theo.“
„Aha, “ ich nickte, „ich habe nicht an zu Hause gedacht, sondern sah gerade einen Grabstein vor mir: Theo; gestorben durch Unterschätzung.“
Meine Stimme nahm einen leicht eisigen Klang an und Theo wußte jetzt nichts mehr zu sagen. Doch plötzlich wurde mir bewußt, wie still es um uns herum geworden war. Ich schaute auf und wünschte im gleichen Moment, es nicht getan zu haben. Alle hatten dieses Gespräch mitbekommen und starrten uns an. Mir war nicht wohl dabei, meine Nackenhaare sträubten sich. Zudem hatte sich auch Theo wieder gefaßt, allerdings wurde er ausfallend. Doch bevor ein Unglück geschehen konnte, kam unser Reiseleiter und beruhigte unsere Gemüter wieder.
Dankbar schaute ich ihn an und er quittierte es mit einem Lächeln. Nicht, daß ich Angst vor solchen Problemen hatte, nur haßte ich nichts mehr als Auseinandersetzungen, die in einem Handgemenge enden konnten.
Erneut setzte sich jemand neben mich. Erschrocken drehte ich mich um und blickte in zwei rehbraune Augen.
„Hallo, darf ich mich vorstellen? Ich bin Pascal“, und streckte mir seine Hand entgegen.
Diesmal war ich total überrumpelt, nahm aber die mir dargebotene Hand: „Taris, hallo.“ Innerlich schüttelte ich den Kopf. Warum fiel mir gerade jetzt nichts ein. Es war zum Verrücktwerden.
Pascal schien es zu merken, denn er ließ meine Hand los, lächelte und fing an zu plaudern. Er erzählte mir, wie er auf die Idee mit der Reise gekommen war, was er bisher gemacht hatte, sein ganzes Leben.
Auf diese Reise war er durch Freunde gekommen. Er liebte das Abenteuer, suchte immer die gefährlichere Seite des Lebens. Als seine Freunde die Anzeige in der Zeitung lasen, gaben sie nicht eher Ruhe bis Pascal die Reise gebucht hatte. Pascal wurde aber das Gefühl nicht los, daß sie nicht seine Zufriedenheit als Ziel sahen, sondern ihn nur für einige Zeit los sein wollten. Doch schließlich war er, genau wie wir alle, ins Flugzeug gestiegen und von den Staaten hierher geflogen. Der Flug war natürlich im Reisepreis inbegriffen. Plötzlich stockte er, sah mich an und fragte mit erstem Gesicht: „Ich hoffe, ich langweile dich nicht. Ich erzähle hier einfach und weiß nicht mal, ob du es überhaupt hören willst.“
Ich lachte. „Nein, erzähl ruhig weiter. Es macht Spaß, dir zuzuhören.“
Dabei blieb es und es tat mir gut. Lange schon war ich nicht mehr so locker gewesen. Die ganze Fahrt über sah man uns zusammen und irgendwann erzählte ich ihm mein ganzes Leben. Eins hatten wir auf jeden Fall gemeinsam: wir waren unabhängig von anderen und konnten tun und lassen, was wir wollten. Und das machten wir gerade.



Als wir bei unserer ersten Station ankamen, empfing uns strahlender Sonnenschein und blauer Himmel. Wir wußten, daß dieses Wetter noch erträglich war, es konnte durchaus heißer werden. Das Hotel in dem wir wohnten, war nicht mit fünf Sternen behangen, aber das war den meisten egal. Bald würden wir nur noch im Freien schlafen, es würde keine Hotels mehr geben.
Unsere Ankunft fiel fast mit dem Abendessen zusammen und so blieb gerade noch Zeit, die Sachen ins Zimmer zu bringen und sich etwas frisch zu machen. Mehr brauchte ich auch nicht.
Unser Reiseleiter verteilte die Zimmerschlüssel und jeder verzog sich. Es war nicht schwer, mein Zimmer zu finden, zumal wir sowieso alle auf derselben Etage untergebracht waren.
Ich sah mich im Zimmer um. Das Bett war schmal, aber für mich würde es reichen. Es gab einen kleinen Schrank, den ich jedoch nicht benutzen würde, denn wir blieben nur eine Nacht, einen Tisch mit dazugehörigem Stuhl und ein kleines Nachtschränkchen mit Lampe.
Ein Klopfen störte meine Gedanken. Mit zwei Schritten war ich an der Tür.
„Wer ist da?“ fragte ich.
„Ein kleiner Engel.“
Ich lachte und öffnete die Tür. Draußen auf dem Gang stand Pascal. Grinsend schaute ich ihn an.
„Möchte der kleine Engel etwa essen gehen?“
„Kann man nicht so sagen, jedenfalls nicht allein. Er möchte einen kleinen Teufel fragen, ob er mitkommt.“
„Moment“, ich tat so als müßte ich überlegen, „ja, ich glaube, der kleine Teufel möchte.“
Ich gab ihm einen freundschaftlichen Rippenstoß und zusammen gingen wir in den Speisesaal. Wir wurden zu den anderen geführt und sofort bedient. Es gab viele verschiedene Sachen, von denen ich nicht mal den Namen wußte, die aber hervorragend schmeckten. So wie es aussah, erging es jedem so an unserem Tisch, vom Reiseleiter mal abgesehen.
Während des Essens sah ich mich um. Das Hotel schien gut besucht zu sein, denn der Speisesaal war es. Zum größten Teil sah es nach Einheimischen aus, die, so schätzte ich, hier Urlaub machten oder auf der Durchreise waren. Ich verstand so gut wie nichts von deren Unterhaltung, nur einige Wörter waren mir bekannt. Und eigentlich war es auch nicht nötig, denn unser Reiseleiter konnte diese Sprache gut. Wie sehr würde ich mir später wünschen, es auch zu können.
Nach dem Essen sahen wir uns die nähere Umgebung an. Viel gab es allerdings nicht mehr zu sehen. Wenn hier erst einmal die Dämmerung hereinbrach, dauerte es nur kurze Zeit und es war stockdunkel. Doch Pascal und ich fanden das toll. Die Nacht war ruhig und nur die Laute einiger Nachttiere unterbrachen diese Stille. Das war etwas, was wir nach so einer langen Fahrt gebrauchen konnten.
Wir spazierten einen Hügel hinauf und blieben angenehm überrascht stehen. Unter uns lag ein See. Er war nicht groß, wahrscheinlich war er in einer Viertelstunde umlaufen, wenigsten hätten wir nicht länger gebraucht. Genau auf der Seite unter uns drängten sich ein paar armselige Hütten zusammen, als würden sie gegenseitig Schutz suchen. Hinter den wenigsten Fenstern flackerte der Schein einer Kerze oder einer Öllampe.
Pascal setzte sich auf den Boden und zog mich einfach mit. Stumm schauten wir auf den See hinab. Seine Oberfläche wurde sanft von einer wohltuenden Brise gekräuselt und ein satter Vollmond spiegelte sich darauf. Am samtdunklen Himmel tummelten sich die Sterne.
Wie lange wir so dagesessen hatten, wußte keiner von uns beiden mehr, doch plötzlich schreckte uns ein Geräusch auf. Es klang wie ein Scharren, wie von Tierpfoten auf Sand. Pascal und ich schauten uns erschrocken an. Wir wußten nicht, was es hier alles für Tierarten gab und wollten auch nicht ausprobieren, ob uns das, was immer es auch war, wohlgesonnen war.
Als das Geräusch ein weiteres Mal und näher erklang, sprangen wir auf und liefen zum Hotel zurück. Erst als wir fast dort angekommen waren, liefen wir langsamer. Pascal brachte mich noch zu meinem Zimmer.
„Schade, daß der Tag so enden mußte. Aber vielleicht ist es besser so. Wer weiß, wie lange wir sonst dort gesessen hätten. Morgen geht wieder früh los und wer weiß, ob du das geschafft hättest.“
„Also wirklich.“ Ich versuchte ein empörtes Gesicht zu machen, mußte dann aber grinsen. „Ich wünsche dem kleinen Engel eine angenehme Nacht und schöne Träume.“
„Vielleicht träume ich ja von kleinen frechen Teufeln mit kleinen Narben auf dem Handrücken.“
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Das war für mich eindeutig zweideutig. Zum Abendessen noch hatten wir uns mit diesen Spitznamen geneckt und ich hatte eine kleine Narbe auf dem rechten Handrücken.
Pascal brach mein verblüfftes Schweigen auf seine Weise. Er drückte mir einen Kuß auf die Wange, wünschte mir eine gute Nacht und verschwand in sein Zimmer. Es lag nur ein paar Türen weiter.
Verwirrt schloß ich meine Tür auf und betrat das Zimmer. Ich war jetzt Jungen gegenüber mißtrauisch, auch wenn sie noch so nett waren.
Nachdenklich ging ich zu Bett hinüber, stützte mich ab und wollte gerade die Nachttischlampe anknipsen, als irgendetwas über meine Hand huschte. Es fühlte sich sehr haarig an und mußte mehr als vier Beine haben. Im ersten Moment konnte ich einen Schrei nicht unterdrücken. Aber ich hatte mich schnell wieder in meiner Gewalt und lief nicht kopflos aus dem Zimmer.
Von draußen drangen Stimmen zu mir herein, Schritte mehrerer Leute näherten sich. In dem Moment, in dem ich die Nachttischlampe anknipste, ging die Tür auf und jemand schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Es war Pascal. Hinter ihm erschienen einige Neugierige, von denen aber auch so mancher besorgt aussah. Zu den Neugierigen zählte Theo mit seiner Clique, unser Reiseleiter dagegen zu den Besorgten. Hinter ihm bemerkte ich einen Mann der wohl ein Einheimischer war. Pascal sah mich fragend an.
Ich zuckte mit den Schultern. „Als ich das Licht anmachen wollte, spürte ich, wie etwas über meine Hand lief. Ich weiß nicht...“
Ich brach ab und sah zum Bett. Was ich da sah, ließ mich schaudern. Auf dem Kopfkissen hockte eine riesige Spinne. Spinnen gehörten nicht unbedingt zu meinen Lieblingstieren und besonders nicht so fette, haarige Ungeheuer. Zum Glück war die Spinne ebenso erschrocken wie ich und rührte sich nicht.
Keiner sagte ein Wort und niemand versuchte, die Spinne von meinem Bett zu entfernen. Und als würde dies noch nicht genug sein, ertönte hinter mir ein Zischen. Ganz langsam, voller böser Vorahnungen erfüllt, drehte ich mich um und traute meinen Augen nicht. Vor meinen Füßen ringelte sich eine Schlange, die sich jetzt allerdings aufrichtete und mich böse anzischte.
„Oh, verdammt.“
Das war eindeutig Pascal gewesen und ich spürte, wie alles Anwesenden unruhig wurden. Leider übertrug sich diese Unruhe auf die Schlange und machte sie wütend.
„Bewegt euch bloß nicht und sagt kein Wort.“
Ich versuchte, meine Stimme möglichst ruhig zu halten. Die anderen sahen mich erstaunt an. Ich wandte mich an Pascal.
„Nimm bitte das Kopfkissen, ziehe den Bezug ab und gib ihn mir.“
„Wenn ich die Spinne...“
Er brach ab und auch ich drehte den Kopf. Die Spinne mußte die Schlange ebenfalls bemerkt haben, denn sie war geflüchtet. Ich spürte ein Kribbeln im Nacken. Wer wußte, wo dieses Untier jetzt war.
Langsam nahm Pascal das Kissen, zog es ab und gab mir den Bezug. Wieder wandte ich mich der Schlange zu.
Hinter mir, von der Tür her, ertönte Theos Stimme: „Woher willst du wissen, daß du das Richtige machst?“
„Später“, blockte ich ab. „Pascal, stehst du in der Nähe vom Schrank?“
„Wenn ich mich streckte, komm ich rann.“
„Gut. Öffne die Tür und gib mir einen Bügel aus Metall.“
„Langsam!“ warnte ich, als die Schlange durch die Bewegung Pascals gereizt reagierte.
Ich konnte hören, wie Pascal die Schranktür öffnete und bedankte mich insgeheim dafür, daß sie nicht quietschte. Im nächsten Augenblick hatte ich den gewünschten Bügel und bog ihn mir für meine Zwecke zurecht.
Wir hatten früher in einer schlangenreichen Gegend gewohnt und mein Vater hatte mir beigebracht, was ich im Notfall tun konnte, falls sich solch ein Tier in unser Haus verirrte und es mir nicht möglich war, Hilfe zu holen. Und genau das tat ich jetzt.
Ganz langsam bewegte ich mein provisorisches Gestell auf die Schlange zu. Diese war wohl zu irritiert, um anzugreifen. Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach und hoffte nur, daß ich ihn nicht in die Augen bekam. Schließlich war ich so nah an die Schlange herangekommen, daß ich blitzschnell mit dem Bügel ihren Kopf auf den Boden drücken konnte. Jetzt war es nur noch eine Fingerfertigkeit, sie in den Bezug zu stecken. Ich band ihn zu und ließ die Schlange draußen aussetzen. Töten wollte ich sie nicht, wozu auch. Draußen war ihr Lebensraum und dort gehörte sie hin. Ich fragte mich nicht einmal, wie sie überhaupt hereingekommen war. Das Fenster hatte ich vorher geschlossen.
Die Spinne war auch schon entfernt worden und ich ließ mich erleichtert auf das Bett sinken. Erst jetzt merkte ich, wie angespannt ich wirklich gewesen war. Meine Knie zitterten leicht. Manchmal mußte ich echt nicht zurechnungsfähig sein. Ich wußte nicht einmal, ob es eine giftige Schlange war oder nicht.
Pascal erkundigte sich nach meinem Befinden, doch ich lächelte nur etwas gequält. Was hätte ich auch sagen sollen?
Langsam zerstreute sich die Menge vor meiner Tür. Pascal blieb allerdings noch so lange, bis ich so ruhig war, daß ich mich ins Bett legen konnte. Vom Schlafen war ich jedoch noch meilenweit entfernt. Es dauerte lange, bis sich mein Herz wieder beruhigte und als ich endlich einschlief, war es ein unruhiger und nicht sehr erfrischender Schlaf.
Am nächsten Morgen weckte mich Pascal. Hatte ich nicht erst vor ein paar Minuten die Augen zugemacht? Es fühlte sich danach an. Dennoch stand ich sofort auf und erschien pünktlich zum Frühstück. Dass mich bewunderte Blicke aus dem Hintergrund trafen, bemerkte ich allerdings nicht.
Nach dem Frühstück räumten wir die Zimmer und weiter ging es. Im Bus lehnte ich mich an Pascal, und seine beruhigende Stimme trug mich hinüber in einen sanften Schlaf. Die Mittagsrast verschlief ich vollkommen. Ich bekam nicht mit, daß Pascal den Bus verließ.
Später, als ich erwachte, war das erste Gefühl Hunger. Ich fühlte mich körperlich wie zerschlagen, geistig aber fit. Dank Pascal bekam ich sogar ein paar Sandwiches.
Wieder zog die Landschaft Stunde um Stunde an uns vorbei, wobei sie sich ständig änderte. Und jetzt bemerkte ich sie auch.
Die nächste Nacht verlief ruhig und ich holte noch einiges an Schlaf nach. Der nächste Tag jedoch brachte eine Überraschung, denn wir nahmen noch Reisende mit an Bord.
Zu Theos Leidwesen und zu meiner, momentanen, Freude war auch ein weiblicher Passagier dabei. Theo konnte auch jetzt nicht seinen Mund halten. Vielleicht dachte er, schlagfertige Mädchen wären eine große Ausnahme, Francis belehrte ihn jedoch eines besseren.
Obwohl ich froh war, nicht die einzige Reisende zu sein, blieb ich Francis gegenüber etwas reserviert. Ich konnte nicht einmal sagen warum, es war nur so ein Gefühl. Pascal hatte ihr gegenüber keine Bedenken. Vielleicht war das mit ein Grund, weshalb ich ihr nicht allzu viel Freundlichkeit entgegen bringen konnte.
Ein kurzes Stück noch ging es mit dem Bus weiter, dann waren wir an dem Ort angekommen, an dem unser Abenteuer losgehen sollte, wie sich unser Reiseleiter ausdrückte. Wie nahe er damit der Wahrheit kam, konnte keiner von uns auch nur ahnen.



Der Bus hielt, alle stiegen aus, sammelten sich und gemeinsam mit unserem Reiseleiter gingen wir zu einem großen Haus hinüber, das so etwas wie die Zentrale darstellte. Es war ein Flachbau, in der typischen Bauweise dieser Gegend und auch in der hier herrschenden Farbe. Es war ein recht unauffälliger Bau und paßte sich der reichlich farbarmen Umgebung gut an.
Als wir ins Innere traten, schlug uns ein Schwall kühler Luft entgegen.
Klimaanlage, dachte ich und verzog das Gesicht. Nach der Wärme draußen war das etwas zu viel des Guten.
Hinter einem Schreibtisch, der mitten im Raum stand, saß ein Mann, der bei unserem Anblick gleich aufsprang und uns freudig entgegenkam. Er war hier der Chef, auch wenn er das nicht so ernst nahm. Er begrüßte uns in seinem Land, denn er war ein Einheimischer, im Gegensatz zu unserem Reiseleiter und erklärte noch einmal in Kurzfassung, was uns in der nächsten Zeit erwarten würde.
Ich hörte nur mit einem Ohr hin, hörte ich es doch nicht zum erstenmal. Stattdessen ließ ich meinen Blick schweifen. Viel gab es nicht zu sehen. Der Schreibtisch war, jedenfalls in diesem Raum, das größte Möbelstück. Er schien aus einer anderen Zeit zu stammen, wuchtig und dunkelbraun, das wohl bald als schwarz durchgehen konnte. An der dahinter liegenden Wand neben dem Fenster, stand ein schmales Regal, das von Akten und Büchern nur so überquoll. Zu unserer Rechten gab es eine Tür, jedoch verschlossen. Ich vermutete, daß sich dort die Schlafstätte des Mannes befand.
Obwohl wir am Busbahnhof schon einmal abgehakt worden waren, mußten wir uns zur Sicherheit erneuten in einer Liste eintragen. Anschließend bekamen wir noch einige zusätzliche Ausrüstungsgegenstände, außerdem ein paar Anweisungen zur Verhaltensweise in freier Natur. Unser Reiseleiter bekam die Order, sich wenigstens zweimal am Tag zu melden, besser aber mehrmals.
Mir entging nicht, daß dem Mann gerade diese Anweisung wichtig war. Einerseits konnte man dieser Vorsicht nur beipflichten aber gerade bei einer solchen Unternehmung sollte man sich, so dachte ich wenigstens, nur selten mit der Zivilisation in Verbindung setzen.
Ich runzelte die Stirn, vergaß diesen Vorfall allerdings nach einiger Zeit. Später sollte ich noch schmerzhaft erfahren, warum es so wichtig war, sich regelmäßig zu melden.



Als sich die Hitze des Mittags dem Ende neigte, sammelte der Reiseleiter seine Schäfchen um sich und die eigentliche Reise begann.
Am Anfang dieser Reise hatte sich jeder Teilnehmer untersuchen lassen müssen, damit gewährleistet war, daß alle die Strapazen überstehen. Daher kamen wir gut voran und als es Zeit wurde, einen geeigneten Platz für die Zelte zu finden, hatten wir schon etliche Kilometer zwischen uns und der Zentrale gebracht. Dass uns fremde Augen folgten, bemerkte niemand.
Später saßen wir an einem Lagerfeuer und redeten über Gott und die Welt. Dabei beobachtete ich mit finsterem Blick, daß sich Francis so ziemlich mit jedem unterhielt und mit manchen auch ein wenig flirtete. Im Allgemeinen ließ mich so etwas kalt, aber sie machte nicht einmal vor Pascal halt. Sie versuchte ständig, ihn zu einem Gespräch zu bewegen, was ihr aber, dem Himmel sei Dank, nur schwer gelang.
Schließlich zogen wir uns in die Zelte zurück, denn wir wußten, der nächste Tag würde hart werden. Pascal und ich wärmten uns gegenseitig, denn im Gegensatz zum Tag wurde es jetzt empfindlich kühl.
Ein paarmal in der Nacht wurde ich wach. Es war halt doch ein gewisser Unterschied, ob man im Hotel übernachtete oder in dieser Wildnis. Die Nacht war erfüllt von Geräuschen und nicht alle trugen zu meinen Wohlbefinden bei. Pascal mußte das irgendwie bemerkt haben, denn jedesmal wenn ich so dalag und in die Nacht lauschte, legte er den Arm ein wenig fester um mich. Ich hatte meine Meinung ihm gegenüber so ziemlich geändert. Ich vertraute ihm vollkommen und war froh, daß er mich mochte.
Früh am Morgen, als es noch nicht richtig hell war und die Sonne noch einen weiten Weg vor sich hatte, packten wir zusammen und marschierten weiter. Es machte wirklich Spaß, so mit der Natur verbunden zu sein und selbst Theo sagte nichts mehr.
Die Mittagszeit verbrachten wir im Schatten gewaltiger Urbäume. Nur so war es einigermaßen auszuhalten. Ernstere Probleme traten nicht auf. Es konnte schon mal vorkommen, daß wir mit einigen Tieren oder Pflanzen engeren Kontakt hatten als uns lieb war, dennoch passierte nichts Schlimmeres.
Unser Reiseleiter meldete sich ein paar Mal am Tag in der Zentrale und berichtete nur, wie braun wir schon geworden waren. Hätten wir gewußt, daß die Geheimnisvollen aus dem Hintergrund sich daran machten, ihren Plan in die Wege zu leiten, wären wir freiwillig in einem Höllentempo umgekehrt. Aber ob uns das gerettet hätte?


2.


Alles fing ganz harmlos an. Wir waren den vierten Tag unterwegs. Unser Wille war ungebrochen, doch mit der Zeit drehte sich ein Junge aus Theos Gruppe, Gary sein Name, öfter um und schaute in die immer dichter werdenden Büsche. Natürlich fiel das irgendwann auf und wir fragten nach dem Grund.
Er lächelte etwas verlegen: „Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe das Gefühl, wir sind nicht alleine.“
Theo grinste: „Natürlich sind wir nicht allein. Wie sollte das auch gehen, im Urwald.“
Gary machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Unser Reiseleiter wollte von ihm genau wissen, wie er zu seiner Annahme kam. Er wirkte sehr nervös und mir fiel wieder ein, was ich in der Zentrale bemerkt hatte. Wie nervös der Chef gewesen war und darauf bestanden hatte, daß wir uns regelmäßig melden. Wußten sie etwas, was uns beunruhigen konnte?
Gary wußte kaum noch, was er sagen sollte, so bedrängte ihn der Reiseleiter und ich hörte auch kaum noch zu. Ich behielt die Umgebung im Auge und jetzt, wo ich vorgewarnt war, fiel mir einiges auf.
Es war ungewöhnlich still um uns herum. Für diese Gegend ziemlich unwahrscheinlich. Ab und zu bewegte sich ein Ast und ich mußte mich zusammenreißen, um nicht jedesmal zusammenzuzucken. Alles war in ständiger, aber lautloser Bewegung und meine Nerven gaukelten mir Dinge vor, die es nicht gab. Glaubte ich zumindest.
Jemand tippte mir auf die Schulter und ich fuhr erschrocken herum. Es war Pascal und sah mich fragend an. Ich zuckte nur mit den Schultern.
„Was hat er gesagt?“ fragte ich und zeigte auf Gary.
„Ungewöhnliche Bewegungen, Geräusche, die ihn irritieren oder gar fehlen. Ich finde, hier sollte man das nicht allzu ernst nehmen. Wir sind im Urwald und keiner von uns kennt sich hier aus.“
Jetzt war ich es, die die Stirn runzelte. Pascal machte nicht ein bißchen den Eindruck, als wäre er beunruhigt.
„So, wenn du glaubst, daß alles in Ordnung ist, dann stell doch mal deine Lauscher auf“, fuhr ich ihn an.
Pascal schaute ziemlich überrascht bei meinem Ausbruch und mir tat es auch schon wieder leid, aber Pascal tat nur, was ich von ihm wollte. Schließlich zuckte er mit den Schultern. „Ich höre nichts.“
„Eben. Denkst du nicht auch, daß es etwas zu ruhig ist?“ Herausfordernd schaute ich ihn an.
Verblüfft schloß Pascal den Mund, den er gerade geöffnet hatte, um etwas zu sagen. Auch er mußte sich eingestehen, daß Gary wohl doch nicht so unrecht hatte. Es lag etwas in der Luft.
Unser Reiseleiter beschloß, daß wir zügig weitergingen. Er versuchte, keine Panik aufkommen zu lassen, doch die Unruhe war da. Außerdem bezweifelte ich, daß wir jetzt noch viel machen konnten. Und ich behielt recht.
Kurz nach unserem erneuten Aufbruch passierten wir eine Lichtung und unser Glück fand sein Ende. Dunkle Gestalten brachen aus dem Unterholz hervor. Mit einem Blick erkannte ich, und wahrscheinlich alle anderen auch, daß jede Flucht zwecklos gewesen wäre. Wir waren umzingelt, die Männer kannten das Gebiet eindeutig besser als wir. Außerdem trug jeder von ihnen eine Waffe. Sie trieben uns wie eine Herde Schafe zusammen und ich wurde von Pascal getrennt. Dafür stand plötzlich Francis neben mir, doch wer würde in solch einem Moment schon an Eifersucht denken. Francis zeigte mir an, ruhig zu bleiben und den anderen zu folgen. Sie wirkte kein bißchen nervös oder verängstigt und für einen winzigen Moment kam mir der aberwitzige Gedanke, sie könne mit den Gaunern unter einer Decke stecken. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf.
Im Gegensatz zu ihr schien mein Herz seinen eigenen regelmäßigen Schlag vergessen zu haben und raste wie verrückt. Ich wollte eine Abenteuerreise machen, O. K.! Aber was jetzt passierte, war mir doch eindeutig zuviel.
Man führte uns durch das Buschwerk und zu unserer Überraschung, wenn auch keine angenehme, standen dort ein paar alte Lastwagen. Sie waren aus alten Armeebeständen, aber das konnte uns herzlich egal sein. Die Männer zeigten uns an, daß wir eine Reihe vor den Lastwagen bilden sollten. Ich hoffte nur, daß Theo so schlau war, ruhig zu bleiben.
Theo war auch schlau genug, nicht aber Gary. Er wehrte sich heftig gegen die grobe Behandlung, worauf der Mann, der vor ihm stand, einfach sein Gewehr hob und Gary damit ins Gesicht schlug. Mit einem Schmerzensschrei brach er zusammen und ich wandte mich entsetzt ab. Was würde noch alles passieren?
Francis überraschte mich abermals, als sie nach meiner Hand griff. Ich war nicht sehr nett zu ihr gewesen, doch sie schien es schon vergessen zu haben. Ich empfand nur noch tiefste Dankbarkeit. Inzwischen war Gary grob hochgezerrt und auf einem der Lastwagen verfrachtet worden. Er blutete heftig aus der Nase und ich schätzte, daß sie gebrochen war. Schließlich gingen die Männer die Reihe entlang und suchten ein paar aus, die ebenfalls auf die Lastwagen sollten. Der Rest mußte marschieren Unseren Reiseleiter bekamen wir nicht mehr zu Gesicht.
Einer der Männer blieb vor mir und Francis stehen und grinste. Ich konnte förmlich seine Gedanken lesen. Unwillkürlich wich ich noch ein Stück zurück, hielt seinem Blick aber stand. Zum Glück rief ihm jemand etwas zu und mit einem letzten bedeutsamen Blick ging er davon. Erleichtert atmete ich aus.
Zu meinem Leidwesen gehörte Pascal zu denen auf den Lastwagen, also blieb ich bei Francis und hoffte auf ein gutes Ende. Doch konnte es das geben? Ich hatte noch nie davon gehört, dass ganze Reisegruppen verschwanden, aber das mußte nicht heißen, daß so etwas noch nie geschehen war. Was würde mit uns passieren? Wer waren diese Männer? Ich hatte keine Zeit Francis zu fragen, die Männer trieben uns unbarmherzig voran. Auch Theo gehörte zu den Läufern und gesellte sich irgendwann zu uns.
Immer mehr näherte sich die Sonne ihrem höchsten Punkt und die Hitze war beinahe unerträglich. Es sah jedoch nicht so aus, als würden die Männer eine Pause einlegen. Sie selber sahen auch nicht frisch aus, doch sie hatten etwas, was uns fehlte.
Wasser!
Unseren Proviant und zum Teil unsere Ausrüstung hatte man uns abgenommen. Doch auch das, was wir noch hatten, schien mittlerweile Tonnen zu wiegen. Warum wir noch einen Teil tragen mußten, sollten wir erst viel später erfahren. Nach einer Weile verließen wir auch noch das dicht bewachsene Gebiet, so daß wir nicht einmal mehr den Schutz der mächtigen Bäume hatten. Und endlich, als schon keiner mehr die Hoffnung hatte, tauchten vor uns die Lastwagen auf.
Mit einem erleichterten Seufzen ließ ich mich dort nieder, wo es uns die Männer zeigten. Trotzdem versuchte ich meine Erschöpfung nicht allzu deutlich zu zeigen. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, daß alles von unserer Stärke abhing.
Jeder von uns bekam Wasser zu trinken. Nun ja, es war mehr der Tropfen auf dem heißen Stein und ich bemühte mich, möglichst langsam und mit kleinen Schlücken zu trinken. Das Wasser war warm, jedoch in dieser Situation äußerst köstlich. Francis sprach die ganze Zeit mit leiser Stimme auf mich ein. Zuerst ging es mir auf die Nerven, doch dann durchschaute ich ihren Zweck. Sie wollte verhindern, daß ich zu müde wurde und nachher überhaupt nicht mehr weitergehen wollte. Also versuchte ich, ihren Worten zu folgen und auch Theo beteiligte sich daran. Woher wußten die beiden nur so genau, was sie machen mußten? Kannten sie sich mit solchen Situationen aus?
Noch ehe ich Gelegenheit fand, sie darauf anzusprechen, scheuchten uns die Männer wieder auf. Auch jetzt, und so blieb es auch für den Rest der Zeit, blieben Pascal und ich in getrennten Gruppen.
Wie ich den Marsch überstand, wußte ich hinterher nicht mehr zu sagen. Die Sonne brannte und meine Gedanken galten nur noch dem nächsten Schritt. Und plötzlich war es vorbei. Die Lastwagen tauchten wieder auf und diesmal wurden die Plätze getauscht. Ich schaffte es sogar, kurz Pascals Hand zu nehmen.
Auf der Ladefläche verzog ich mich in eine Ecke und wirkte völlig teilnahmslos. Ich bekam nicht einmal mit, daß die Männer trockenes Brot und Wasser verteilten. Francis hielt es mir unter die Nase und zwang mich zu essen, denn alleine hätte ich es in meinen Zustand einfach liegengelassen. Aber ich mußte bei Kräften bleiben, wenn ich diesen Höllentrip überleben wollte. Niemandem ging es besser und es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf der Strecke blieb.
Wie es aussah, wollten die Männer noch ein Stück weiter, um einen besseren Platz für die Nacht zu finden. Dort angekommen, durften alle auf die Lastwagen steigen, allerdings blieben die Gruppen auch weiterhin getrennt. Das war Taktik, um uns zu zermürben.
Ich fiel in einen nicht sehr angenehmen Schlaf. Wir hatten nichts außer unserer Kleidung und ich war mir nicht sicher, was besser zu ertragen war. Die Hitze des Tages oder Kälte der Nacht. Im Moment wohl weder das eine noch das andere. Fast ständig hatte ich Alpträume und warf mich hin und her. Wenn es zu schlimm wurde, legte jemand seine Hand auf meine Schulter, um mich zu beruhigen.
Francis.
Ich bewunderte sie für ihre Aufopferung, wußte ich doch, daß sie in keiner besseren Verfassung war. Keiner war das.
Früh am Morgen wurden wir von lauten Stimmen geweckt. Wie wir aus dem wenigen, was wir verstanden, heraus hörten, hieß einer der Männer José. Er war ein Schrank von einem Kerl und sein Gesicht wurde von einem schwarzen Bart eingerahmt, was ihm nicht gerade etwas Vertrauliches verlieh. Er hatte hier so etwas wie die Befehlsfunktion und überwachte auch das Einteilen der Gruppen.
Dann ging es weiter.
Ich kam zu der Einstellung, daß das Laufen zwar härter war, was aber nicht hieß, daß man es auf dem Lastwagen besser aushielt. Auch hier brannte die Sonne erbarmungslos herab und der Fahrtwind brachte nicht nur ein wenig Linderung, sondern auch Staub und Sand. Wir waren ständig in eine Wolke eingehüllt und Wasser gab es so gut wie gar nicht.
Ich hatte mich wieder in einer Ecke zusammengerollt und versuchte, wenigstens mein Gesicht und meinen Nacken vor der Sonne zu schützen. Nach dem gestrigen Marsch war das allerdings kaum noch nötig. Die Sonne hatte ihr Werk schon getan. Der Mittag und die Pause kamen, ohne daß nennenswertes passierte. Die nächsten Tage allerdings waren bezeichnend für unsere Situation.
Unmut und größerer Widerwille kamen auf und immer öfter widersetzte sich jemand der rüden Behandlung. Die Aufruhr wurde jedesmal schnell beseitigt, aber es zeigte auch, daß es nicht mehr lange bis zum großen Ausbruch dauern konnte. Mit der Zeit gewöhnte man sich zwar an die Hitze und Kälte, an das Laufen und das warme Wasser, aber nicht an die Schikanen. Sie kamen unerwartet.
Es kam vor, daß wir noch weniger Wasser und gar kein Brot bekamen oder bis weit in die Nacht hinein vorangetrieben wurden. Gary hatte kaum Zeit sich zu erholen und das war auch etwas, was uns Sorgen bereitete. Nach einiger Zeit nämlich, ich hatte die Tage nicht gezählt, wurden einige aussortiert, die nicht mehr so konnten, wie die Männer wollten. Sie wurden auf einen Lastwagen verfrachtet und verschwanden. Keiner wußte von ihrem Verbleib und die Angst ging um. Wer würde der nächste sein? Eigentlich war die Frage ganz einfach zu beantworten. Der, der am schwächsten war, doch die Männer kümmerten sich nicht um Logik, so schien es. Francis und ich hatten allerdings noch ein ganz anderes Problem. Dieses Problem hieß Don.
Don war der Mann, der mich und Francis am ersten Tag schon so gierig angeschaut hatte, und jetzt wollte er sich wohl etwas näher mit uns befassen. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes, als er plötzlich vor mir stand. Er wurde ziemlich aufdringlich und ich zog es vor, aufzustehen. Francis war gerade mal nicht in meiner Nähe und Don gab nicht auf. Er legte seinen Arm um mich und gab mir in einem schlechten Englisch zu verstehen, daß es besser für mich wäre, mich mit ihm einzulassen. Gleichzeitig begann er mich zu betatschen, zumindest versuchte er es, denn jetzt war ich es, die die Nerven verlor.
Ich beherrsche einige Kampfsportarten und wandte sie jetzt auch an. Ehe Don sich versah, lag er am Boden. Ein Raunen ging durch die Menge. José näherte sich uns, was ich aber nicht mitbekam, denn ich behielt Don im Auge, der noch immer nicht aufgeben wollte. Seine Hand schoß auf mich zu, erreichte mich aber nie. Blitzschnell packte ich sein Handgelenk, nutzte seinen eigenen Schwung aus, um ihm den Arm auf den Rücken zu drehen und zog ihm die Füße weg. Erneut landete Don unsanft am Boden, diesmal mit dem Gesicht im Sand.
Dumm nur, daß ich mehr auf Don achtete, als auf meine Umgebung, was weitaus unangenehmere Folgen hatte. Plötzlich war José da und schlug ohne Vorwarnung zu. Ich sah nur noch seine Faust auf mich zukommen. Vor meinen Augen explodierten Sterne, mein Kopf flog in den Nacken und ich spürte, wie meine Lippe aufplatzte. Gleichzeitig kassierte ich einen Treffer in den Magen. Keuchend sank ich auf die Knie. Nur mühsam drängte ich die Schwäche, die sich ausbreiten wollte, zurück und hob den Kopf.
Soeben half jemand Don auf die Beine. Auch seine Lippe war aufgeplatzt, sein Gesicht und seine Kleidung waren voller Sand. Er hielt sich den linken Arm und ich wußte, er würde noch eine Weile an mich denken. Als ich den Kopf zur Seite drehte, konnte ich sehen, daß Francis sich bemühte, Pascal zurückzuhalten. Überraschenderweise half Theo dabei. Ich schüttelte nur leicht den Kopf, damit sich Pascal ruhig verhielt. José sprach eindringlich auf Don ein, denn der hatte seine Kampflust noch nicht verloren. Seine Blicke durchbohrten mich förmlich.
Jetzt wandte sich auch José mir zu. Er packte mich im Genick und zerrte mich hoch. Ich gab keinen Laut von mir. Zum Glück hatten Francis und Theo in ihrer Wachsamkeit nicht nachgelassen und konnten verhindern, daß Pascal eine noch größere Dummheit tat als ich.
José blickte mich mit eiskalten Augen an und ich hielt seinem Blick stand. Schließlich öffnete er den Mund: „Ich glaube, du hast zuviel überschüssige Kraft. Das können wir ändern. Wie wäre es denn, ein wenig mit dem Jeep mitzulaufen?“ Seine Stimme klang wie bei einem harmlosen Geplauder.
Ich erstarrte innerlich. Gestern Nacht hatte sich ein Jeep zu uns gesellt und ich konnte mir gut vorstellen, wie das Mitlaufen aussah. Don verzog das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen.
José gab das Zeichen zum Aufbruch. Mich brachte er zum Jeep und gab den Männern darin ein paar Anweisungen. Diese nickten und der Fahrer startete den Motor. Ohne einen Ton fing ich an zu laufen. Hier half nur eins. Zähne zusammenbeißen und durch, so gut es ging. José schickte mir, ohne das es jemand bemerkte, einen anerkennenden Blick hinterher.
Kurz nachdem ich losgelaufen war, überholten uns die Lastwagen. Von jetzt an schaltete ich mein ganzes Denken auf Laufen. Ich konzentrierte mich auf nichts anderes mehr und konnte froh sei, dies schon von Kleinauf gelernt zu haben. Konzentration ist das Allerwichtigste, hatte mein Trainer mich immer wieder ermahnt. Jetzt verstand ich ihn.
Stunde um Stunde zog sich dahin. Manchmal gestatteten mir die Männer, im Schritt zu gehen, dann zogen sie das Tempo wieder an. Schon längst hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren, war in einem tranceähnlichen Zustand. Ich spürte keinen Schmerz, keinen Hunger oder Durst, wußte jedoch, daß sich mein Körper spätestens morgen dafür rächen würde. Doch für mich zählte jetzt nur die Gegenwart.
Irgendwann verwandelte sich die Sonne in einen glutroten Feuerball und der Himmel brannte. In der Ferne tauchten die Lastwagen auf und ich riß mich noch einmal zusammen. Ganz zu vermeiden war es nicht, daß man sah, wie mühsam ich nur noch vorankam, aber ich versuchte mein Bestes.
Die Männer hatten ein Lagerfeuer entzündet und ich wollte mich gerade niederlassen, als Don neben mich trat. Mit leiser Stimme aber doch so, daß ihn jeder in näherer Umgebung hören konnte, fragte er: „Und, wirst du demnächst ein wenig netter zu mir sein?“
„Probier es aus“, fauchte ich ihn an und ließ mich einfach in den Sand nieder. Soweit kam’s noch.
Don runzelte die Stirn und die anderen um mich herum waren etwas sprachlos. Noch immer bot ich den Männern die Stirn. Ich selbst tat so, als würde mich das gar nichts mehr angehen und bat einen Jungen, der neben mir saß, um die Wasserflasche. Er beeilte sich, war er doch wie alle anderen froh, mich wiederzusehen.
Später, als die Läufer zu uns stießen, durften wir zu unserer Überraschung zusammensitzen. Pascal und ich lehnten uns nur gegeneinander. Niemand sagte ein Wort doch, das war bei uns beiden auch nicht nötig. In dieser Nacht schlief ich viel ruhiger, nicht besonders erfrischend, aber ruhig.
Schon beim Aufwachen am nächsten Morgen spürte ich eine Unruhe in der Luft liegen. Ich schaute mich um, sah aber keine Anzeichen, die auf etwas hinwiesen. Wie ich aber vermutet hatte, streikte mein Körper und an meinen Füßen tummelten sich die Blasen. Gott sei Dank blieb ich bei der Gruppe, die auf den Wagen fahren würde. Bis zum Mittag war es auch noch angenehm.
Plötzlich, nach der Pause, passierte es. Ein Junge, einer aus Theos Gruppe, drehte durch. Er schrie herum, wehrte sich gegen jede Berührung und tobte aus Leibeskräften. Keiner kam an ihn heran, nicht einmal José und seine Männer, die nun wirklich nicht zimperlich waren. Mit einem Mal rannte der Junge davon und verschwand im Gebüsch, einige Männer hinterher. Sie trugen Gewehre und mir wurde eiskalt. Wir konnten die Männer durch das Unterholz brechen und den Jungen noch immer brüllen hören. Kurze Zeit später tauchten sie etwas weiter vor uns wieder auf und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Einer der Männer hob sein Gewehr, schoß und - traf. Der Junge bäumte sich auf, brach dann zusammen und blieb regungslos liegen.
Die Zeit erstarrte, kein Lüftchen regte sich. Jeder schien den Atem angehalten zu haben und auch der Letzte hatte jetzt wohl begriffen, daß das hier ein Wettlauf war. Ein Wettlauf, deren Preis das Leben war.
Dieser Junge hatte verloren.
Die Männer beugten sich kurz über ihn und zogen ihn dann ins Gebüsch. Bei diesem Anblick zerbrach etwas in mir. Nie würde ich dieses Bild vergessen. Und niemand versuchte mehr auch nur eine Andeutung eines Widerstandes.
Der Nachmittag ging vorüber, es wurde Abend. Doch diesmal wurde nicht angehalten. Es hieß, die Läufer würden woanders eine Pause machen und uns dann folgen. Aus den Andeutungen der Männer konnten wir folgern, daß wir noch heute unser Ziel erreichen würden. Wo immer das auch war.
Ich kümmerte mich nicht darum, ändern konnte ich sowieso nichts. Ich fiel in einen Schlaf, den man so eigentlich nicht nennen konnte. Eher einen Zustand totaler Erschöpfung.



Irgendwann rüttelte mich jemand an der Schulter. Benommen richtete ich mich auf. Waren wir an unserem Ziel angekommen?
Francis hatte mich geweckt und sie legte sofort den Finger auf die Lippen. Ich sollte leise sein. Mir fiel auf, daß auch die anderen völlig still waren, ebenso die Männer. Die hatten sich jetzt mit auf die Ladefläche gestellt und schirmten uns nach außen hin ab. Die schußbereiten Gewehre im Arm.
Wovor, fragte ich mich, wollten sie uns beschützen, denn darauf lief es hinaus? Ich konnte die Männer gerade noch erkennen, so dunkel war es. Von meiner Umgebung eher noch weniger. Ich glaubte Häuser auszumachen, also eine Stadt oder ein Dorf? Francis schien meine Gedanken erraten zu haben, was wohl nicht weiter schwer war und zuckte mit den Schultern. Obwohl sie wahrscheinlich gar nicht geschlafen hatte, wußte sie genauso wenig wie ich.
Der Fahrer des Lastwagens bog in eine Straße ein, die man jetzt auch als solche bezeichnen konnte und blieb kurz darauf stehen. Man konnte hören, wie er mit jemand sprach, ansonsten war es noch immer vollkommen still um uns herum, dann fuhren wir weiter. Und die Szene wechselte so schnell und übergangslos, daß keiner etwas zu sagen wußte. Eben noch fuhren wir durch einen Torbogen und im nächsten Moment wurden wir von mehreren Scheinwerfern geblendet. Unsere Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und fingen an zu tränen.
Schließlich hielt der Lastwagen vor einem großen Eingang und man ließ uns absteigen. Ich hatte das Gefühl, daß eine große Last von den Männern abfiel. Anscheinend waren sie äußerst froh, wieder hier zu sein.
Ich blinzelte ein paar Mal und blieb völlig überrascht stehen. So etwas hatte ich auch noch nie gesehen.
„Oh man!“
Der einzige Kommentar der ganzen Gruppe, denn es hatte uns irgendwie die Sprache verschlagen. Überall standen bewaffnete Männer. Wir befanden uns in einem Innenhof, gebildet durch einen quadratischen Gebäudekomplex. Ringsum verlief ein Wehrgang und auch dort standen Männer, doch sie blickte nicht zu uns sondern starrten nach draußen in die Dunkelheit. Hier mußte etwas ganz großes im Gange sein. Das Gebäude, so sah es aus, war zwar als ein Komplex gebaut worden, unterschied sich aber trotzdem in verschiedene Häuser. Zu erkennen daran, daß sie alle einen anderen Anstrich oder andere Verzierungen hatten. Irgendwie erinnerte mich alles leicht an einen Palast.
Wir wurden durch ein riesiges Portal ins Innere des Komplexes geführt und erhielten Order, uns in einer Halle niederzulassen. Man brachte uns Wasser und war auch sonst plötzlich sehr zuvorkommend. Das schürte mein Mißtrauen umso mehr, ich fühlte mich wie das Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank.
Da uns niemand verbot zu reden, unterhielt ich mich mit Francis und Theo. Es war doch mal wieder erstaunlich, wie sehr Ereignisse Menschen zusammenbringen können. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich Theo mit samt seiner Truppe auf den Mond schießen können. Und jetzt unterhielten wir uns wie zwei alte Freunde.
Es verging noch eine Stunde, ehe man sich uns zuwandte. Ein Mann, in einem weiten Umhang gehüllt, trat zu uns und bat uns mitzukommen. Rasch sah ich mich um. Einige waren gar nicht, Andere noch nicht angekommen. Warum wartete der Mann nicht noch etwas? Im Nebensaal jedoch verschwendete ich erst einmal keinen Gedanken mehr an die Anderen. Was ich hier sah, erinnerte mich stark an einen Thronsaal und die nächsten Worte des Mannes bestätigten meine Vermutung. Er bedauerte, daß der Prinz noch nicht anwesend sei. Er würde erst am nächsten Vormittag eintreffen. Ihm sei es auch vorbehalten, alles zu erklären. Mir klingelten bei diesen Worten die Ohren. Ich mußte im falschen Film sein. Ein Prinz, ein waschechter Prinz.
In der Zwischenzeit hatten Frauen in der anderen Halle Schlafstätten errichtet. Schlafen, was für eine Herrlichkeit. Ob die ganze Sache hier gut oder in ewiger Verdammnis enden würde, danach fragte mein Körper nicht. Ich bekam nicht einmal mit, daß Francis und Theo als einzige wach bleiben und auf die Läufer warten wollten.
Leise Stimmen holten mich aus meinen Träumen. Ich hatte tief und fest geschlafen und konnte nicht einmal sagen, was ich geträumt hatte, nur, daß es mich nicht beunruhigte. Woher nahm ich dieses Gefühl der Sicherheit? Die Stimmen gehörten Francis und Theo. Als sie merkten, daß ich wach war, unterbrachen sie sich.
„Hallo, auch schon wach?“
Ich verzog das Gesicht, doch ich wußte, ernst meinte es Francis nicht. Mir steckte noch der Extralauf in den Knochen. Ich warf einen Blick in die Runde. Die wenigsten schliefen noch. Von unserer Gruppe waren noch zehn übrig. Vier fehlten und vierzehn Läufer waren noch unterwegs. Sieben Leute waren schon vorher verschwunden, den toten Jungen schon eingerechnet. Ich schluckte. In der ganzen Zeit hatte ich nicht an ihn gedacht und mir wurde wieder bewußt, in welcher Lage wir uns eigentlich befanden. Außerdem begann ich, mir langsam Sorgen um die Läufer zu machen. Bei dem Tempo, daß die Männer an den Tag legten, mußten sie doch eigentlich schon hier sein, oder nicht? Ich stellte meine Frage laut.
„Hey Taris.“ Francis schaute mich an. „Sie werden schon kommen. Wahrscheinlich haben sie sich einen Platz für die Nacht gesucht und sind jetzt auf den Weg hierher.“ Sie meinte es offen und ehrlich, doch meine Zweifel konnte sie nicht völlig zerstreuen. Sicher, es klang logisch, doch kam man mit Logik in letzter Zeit nicht weit.
Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Verhüllte Frauen betraten fast lautlos die Halle und brachten uns große Holzschalen mit Obst und duftenden Brot und Krüge voll Wasser. Hinter ihnen waren bewaffnete Männer zu sehen, die aber in der Tür stehenblieben. Das zeigte uns aber deutlich, was wir trotz der neuerdings herrschenden Freundlichkeit waren.
Gefangene. Gefangene in einem fremden Land und ohne zu wissen, warum.
Jetzt jedoch gab man uns deutlich zu verstehen, daß wir mit den Frauen mitgehen und uns erfrischen konnten. Das ließen wir uns nicht zweimal sagen.
Um zu den Bädern zu kommen, mußten wir über den Hof ins Gebäude gegenüber gehen. Ich versuchte, in den wenigen Augenblicken so viel wie möglich zu sehen, doch es hatte sich nicht viel verändert zu letzter Nacht. Auf dem Wehrgang standen noch immer Männer und blickten nach draußen. Einige befanden sich im Hof und plauderten miteinander, unterbrachen sich jedoch, als wir vorbeigingen. Sie musterten uns ausgiebig, und ich spürte ihre Blicke in meinem Rücken. Frauen sah ich, außer die uns begleiteten, nicht. Wahrscheinlich verrichteten sie die ganze Hausarbeit.
Als wir in den Baderäumen ankamen, hatten schon zwei andere Frauen das Wasser eingelassen. Es duftete herrlich nach Blüten, vielleicht Rosen oder was es sonst so hier gab, der Schaum knisterte leise vor sich hin und ich brauchte nicht lange, bis ich mit einem erleichterten Seufzen ins Wasser glitt. War mir ein Schaumbad jemals so bewußt gewesen? Sonst stieg man ins Wasser, entspannte sich ein wenig und das war es. Diesmal konnte ich die Wirkung auf jedem Zentimeter meiner Haut spüren.
Schließlich schaute ich mir den Raum etwas genauer an. Mit seinen verzierten Kacheln sah er richtig heimisch aus. Es war ein hellblaues Schnörkelmuster auf weißem Grund. Den Boden bedeckten völlig weiße Fliesen und hier und da lagen Badematten, ebenfalls in blau. Wer sich das wohl ausgedacht hatte? Mir gefiel es.
Nach dem Bad wurden wir von den Frauen sorgfältig abgetrocknet. Ich fand das etwas unangenehm, war ich es doch gewohnt, allein zu baden, aber die Frauen ließen sich nicht beirren. Anschließend wurden unsere Wunden versorgt. Die meisten waren nur kleine Kratzer und Schrammen, doch auch meine Blasen an den Füßen wurden nicht vergessen. Ich mußte später auch zugeben, daß die Frauen wußten, was sie taten. Und zu unserer weiteren Überraschung hatte sich unser Gepäck angefunden. In sauberer Kleidung fühlte man sich gleich doppelt wohl.
Anschließend wurden wir zurück in die Halle gebracht, wo Theo schon auf uns wartete. Auch er hatte sich umgezogen und aß schon genüßlich von den Früchten. Wir ließen uns nieder und griffen hungrig zu. Es schmeckte wie immer köstlich, obwohl ich mal wieder kaum wußte, was ich da aß. Trotzdem, wie sehr hatte ich etwas Derartiges in den letzten Tagen vermißt.
Nach einer Weile kam der Mann, der uns schon begrüßt hatte, und bot uns eine kleine Führung an. Eine Führung? Für uns? Ich runzelte kurz die Stirn. Es konnte also nicht so schlecht um uns stehen. Allerdings wollten nur vier von uns. Außer mir kamen noch Francis und Theo mit und ein Junge namens Simon. Die, die zurückblieben, konnte ich aber auch verstehen. Wir waren hier schließlich nicht auf Besichtigungstour. Doch warum nicht das Beste daraus machen?
Der Mann, der sich mit Costa vorstellte und der Berater des Prinzen war, führte uns über den Hof und zeigte uns die Räumlichkeiten, in denen eigentlich Empfänge stattfanden, zur Zeit aber nicht genutzt wurden. Den Grund dafür wollte er uns aber nicht nennen. Weiter ging es in die Küche, in der es lecker roch und in die Gästezimmer, die ebenfalls zurzeit leer standen. Und meine Beobachtung von letzter Nacht bestätigte sich. Der Komplex wurde in verschiedene Gebäude unterteilt, von denen mir einer besonders auffiel. Er sah völlig unbewohnt aus und war es auch, wie Costa verriet. Mehr war allerdings nicht aus ihm herauszubekommen.
Uns wurden die Pferdeställe gezeigt, in denen nur edle Tiere standen. Das erkannte sogar ich und ich hatte mit Pferden beileibe nichts im Sinn. Costa führte uns auch in einen Gebäudeteil, der anscheinend den Bediensteten vorbehalten war. Überall sah man Frauen mit Kopftüchern oder sogar verschleiert, die schnell mit gesenktem Kopf vorbeigingen. Wie ich später erfuhr, was das keine Pflicht, doch diese Frauen waren schon älter und hingen an der Tradition.
Dann, es geschah so plötzlich und unerwartet, daß ich erschrocken zurückprallte, standen José und Don vor uns. Costa blickte mich stirnrunzelnd an. Hatte ich wirklich geglaubt, damit, daß wir hier waren, war alles vorbei, würde ich sie nicht mehr sehen? Jederzeit und überall konnten sie mir über den Weg laufen und irgendwie war ich froh, daß es so viele Wachen gab. Doch der Anblick der beiden brachte mich auch wieder auf die Frage, wo die anderen blieben. Meine Unruhe kehrte mit einem Schlag zurück.
Don grinste schon wieder und Costa hielt es für ratsamer, zurückzukehren. Auch er hielt anscheinend nicht viel von Don. Zurück im Saal blieb ich sehr schweigsam. Costa konnte uns nichts Neues sagen und der Prinz verspätete sich. Der Abend kam und die Nacht, doch schlafen konnte ich nicht. Früh am Morgen ging ich auf den Hof hinaus. Daran gehindert wurde ich nicht. Und, wie sollte es anders sein, gerade in diesem Augenblick geschah etwas sehr Seltenes. Der Himmel hatte sich bewölkt und öffnete in diesem Moment seine Schleusen. Ein Platzregen, der nur wenige Minuten dauerte, ging nieder und ich brauchte nur ein paar Sekunden, um bis auf die Haut durchnäßt zu sein. Fluchend folgte ich den Frauen, die mich sofort aus den nassen Sachen holten, abtrockneten und mir neue Sachen brachten. Und ich wunderte mich noch, wieso niemand auf dem Hof gewesen war. Francis und Theo konnten sich natürlich ihre Kommentare nicht verkneifen. Von wegen, lange nicht mehr geduscht und so.
Zum Mittag erreichte uns dann die frohe Kunde, daß der Prinz eingetroffen sei. Allerdings mußten wir uns eine weitere Stunde gedulden und so eine Stunde konnte verdammt lang sein. Schließlich wurden wir in den Thronsaal geführt und plötzlich gingen alle ziemlich langsam. Sicher, jeder wollte wissen, was das alles zu bedeuten hatte, aber jeder hatte auch Angst vor der Antwort. Doch der Prinz war auch noch nicht bereit, ausführliche Auskünfte zu geben. Er wollte es vor versammelter Mannschaft tun. Er sagte nur, daß wir uns keine Sorgen machen müßten, es wäre jetzt alles in bester Ordnung. Allerdings sollten wir im Moment noch möglichst im Palast bleiben, denn der Prinz hatte auch noch andere Sorgen. Er war Derjenige, der alles zu verantworten hatte, keine Frage. Seinem Zeitplan nach hätten auch schon alle dasein müssen. Wie ich später erfuhr, hätten wir nicht einmal getrennt werden dürfen. Auch José und Don konnten oder wollten keine Auskunft geben.
Der Prinz entsendete Suchtrupps, die dort anfingen zu suchen, wo die Gruppe getrennt wurde. Am späten Nachmittag endlich kündigte sich ein Bote an. Der Prinz empfing ihn in unserer Anwesenheit, doch auch er wußte nichts Neues zu berichten, hatte aber etwas mitgebracht. Wie der Mann verlauten ließ, hatte man angefangen, die Gegend systematisch zu durchkämmen.
„Und dabei ist uns das hier in die Hände gefallen.“
Er hielt ein Kettchen mit Anhänger in die Höhe.
„Oh mein Gott.“ Francis war aufgestanden.
„Kennst du die Kette? Gehört sie dir?“
„Nein“, Francis schüttelte den Kopf „einem der Vermißten. Taris hat sich mit Pascal sehr gut angefreundet und ich würde ihr gern die Kette...“
„Natürlich.“ Der Prinz gab sie ihr und Francis drückte sie mir in die Hand. Ich schaute sie nur mit großen Augen an, blieb aber unheimlich gefaßt und ruhig. Zu ruhig nach Francis Meinung. Sie wollte mich im Auge behalten. Die Sonne verschwand hinter dem Horizont, ohne das es etwas Neues gab. Ich schlief äußerst unruhig und es war immer jemand von den anderen wach, um aufzupassen.
Am Morgen kam der Prinz, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen. Francis unterhielt sich leise mit ihm. Er wußte schon so einiges über die letzten Tage und es gab eine Menge Ungereimtheiten. Plötzlich entstand auf dem Hof Tumult. Erstaunt blickte der Prinz nach draußen und fing dann an zu lächeln. José und Don betraten den Saal, gefolgt von den vermißten Läufern. Es wurde totenstill im Raum.
„Pascal.“ Meine Stimme war nur ein Flüstern und aufstehen konnte ich schon gar nicht. Er kam daher zu mir. Tränen liefen mir übers Gesicht, doch das registrierte ich kaum. Pascal nahm mich einfach nur in den Arm. Wir brauchten keine Worte. Und als wäre dies ein Zeichen gewesen, brach unbeschreiblicher Jubel aus. Jeder wurde von dem Anderen herzlich begrüßt und der Prinz mußte schließlich eingreifen. Er ließ die Gruppe hinausführen, damit auch sie sich baden und umziehen konnten. Ich selbst erholte mich erstaunlich schnell und hatte bald mein Lächeln wiedergefunden.
Nachdem die Gruppe versorgt und wieder in die Halle zurückgekehrt war, forderte der Prinz uns auf, einen Kreis zu bilden. Pascal übernahm den Bericht. Ich hörte ihm aufmerksam zu, beobachtete aber auch die anderen. Zwei der Jungen wirkten nervös, als hätten sie Angst.
„Uns wurde gesagt, daß die Lastwagen aufgrund eines technischen Problems eine andere Route fahren als wir laufen würden. Man würde dort auf Leute treffen, die das Problem beseitigen könnten. Als es Nacht wurde, wies man uns einen Platz zu. Am nächsten Tag kamen zwei Männer zu mir und forderten die Herausgabe meiner Kette. Keine Ahnung, was das sollte.“
Der Prinz warf mir einen warnenden Blick zu. Ich verstand und ließ die Kette in meiner Tasche. Pascal sollte weitererzählen.
„Viel gibt es nicht mehr zu berichten. Wir marschierten und rasteten, marschierten und immer so weiter. Nur das Wasser wurde langsam kapp.“
Der Prinz schickte einen tödlichen Blick durch den Raum zu den Männern. Mir war klar, das würde noch Konsequenzen haben.
Nach seiner Berichterstattung wandte ich mich an Pascal: „Wieso sind die zwei da drüben so nervös?“
„Was glaubst du? Sie haben Angst vor den Männern. Denen wäre es doch lieber gewesen, alle hätten solche Angst und ihnen das Reden überlassen. Nach der Reaktion des Prinzen zu schließen, sollte die Aktion ganz anders verlaufen.“
Und damit lag er vollkommen richtig. Der Prinz wandte sich uns zu, er wirkte verlegen.
„Ihr verlangt eine Erklärung, mit Recht. Ich erwarte kein Verständnis von euch, möchte jedoch, daß ihr erst zuhört. Ihr könnt dann frei entscheiden. Zunächst aber möchte ich mich vorstellen. Ich bin Prinz Zomar und es fällt mir nicht leicht zu sprechen. Zu vieles ist geschehen, gegen meinen Willen, gegen meinen Plan.“
Er machte eine kleine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
„Seht, ich bin vor einiger Zeit überraschend auf den Thron gesetzt worden, obwohl ich noch immer Prinz bin. Plötzlich mußte ich ein kleines Reich leiten und beschützen. Am Anfang war es nicht schwer, ich hatte schon viel von meinem Vater gelernt, doch dann häuften sich die Widerstände fremder Einwanderer. Nicht alle sehen mich gern hier.“
Er lächelte etwas schwermütig.
„Zuerst gelang es mir gut, die Widerstände niederzuschlagen, aber mir wurde schnell klar, daß ich auf fremde Hilfe angewiesen war. Vor allem die Kriminalität wuchs mir über den Kopf. Aber wir sind kein großes Reich und es gelang mir kaum, an die richtigen Vermittler heranzukommen. Ihr seht, Prinz ist nicht gleich Prinz. Außerdem ließen sich das meine Widersacher nicht so einfach gefallen. Sie kennen ein gutes Gegenmittel und das nennt man Bestechung.
Was sollte ich also tun? Ich bin dazu verpflichtet, meine Untertanen zu schützen. Da kam mein Berater Costa auf eine, zugegeben verrückte und nicht sehr korrekte Idee. Wie überall gibt es auch hier Reisende, die nicht einfach nur herkommen, sich die Gegend anschauen und wieder wegfahren. Nein, es sind auch Abenteurer, die Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, so wie ihr.“
Er machte eine Pause und ich glaubte langsam zu wissen, was los war. Doch konnte man wirklich so einen verrückten Plan entwickeln? Ich war gespannt, wie es weiterging.
„Nach einiger Zeit hatte Costa einen Plan ausgetüftelt, dem ich nach einigem Zögern zustimmte. Wir inszenierten Überfälle, bei denen die Reisenden sozusagen getestet wurden. Die Gruppen wurden natürlich vorher genauestens beobachtet. Wir mußten schließlich sicher sein, daß niemand gleich die Nerven verlieren würde. Am Ende standen die Fähigsten dann hier.“
„Und was ist mit denen, die plötzlich verschwunden sind?“ fragte Simon.
„Sie wurden gut versorgt und zurückgebracht. Es ist so, daß die Männer Anweisung hatten, jeden, der nicht geeignet schien, sofort aus der Gruppe herauszunehmen. Niemand kam wirklich zu schaden.“
„Wirklich?“ Ich konnte nicht verhindern, daß meine Stimme zitterte. „Und was ist mit dem Jungen, der erschossen wurde?“
„Oh ja, das war das Bedauerlichste an der ganzen Sache, dies hätte nie passieren dürfen. Versteht mich nicht falsch, dem Jungen ist nichts geschehen. Es war zum Glück nur eine Betäubung. Dennoch ist es, wie vieles, nicht vereinbart gewesen. Ebenso der Lauf. Die Gruppe sollte auf keinen Fall so auseinandergerissen werden. Andererseits zeigt es, was für eine hervorragende Kämpferin du bist. Das seit ihr alle.“
„Und auf was läuft das hinaus?“
„So wie ihr standen schon andere hier. Ich will euch allen etwas anbieten. Jeder kann frei entscheiden.“
Pascal meldete sich zu Wort: „Ich kann es mir schon denken. Entweder, wir arbeiten und helfen ihnen oder... Ja, was oder?“
„Oder ihr kehrt zurück nach Haus.“
„Zurück? Auch die, die verschwunden sind?“
„Verschwunden würde ich nicht unbedingt sagen.“
Prinz Zomar machte eine Handbewegung, die Tür ging auf und die Vermißten wurden hineingebracht. Sie sahen erholt aber auch verärgert aus. Anscheinend waren sie schon unterrichtet worden, denn überrascht über unseren Anblick waren sie nicht. Auch der angebliche Tote kam herein. Jetzt waren wir wieder vollzählig.
„Seht ihr, alle sind wohlauf. Morgen werden sie wieder nach Hause geschickt.“
„Und wenn sie reden?“
„Das können sie nicht. Sie bekommen etwas, daß sie alles vergessen läßt. Die Wissenschaft ist ja schon sehr weit. Und das gilt auch für euch. Überlegt, ob ihr hierbleiben wollt, oder nicht. Ich könnte eure Hilfe gut gebrauchen, doch halten kann ich euch nicht. Es muß freiwillig geschehen. Und eins kann ich euch sagen. Nicht jeder vor euch ist auch wieder gegangen.“
Der Prinz wollte uns entlassen, damit wir über sein Angebot nachdenken konnten, aber für mich war das Gespräch noch nicht beendet. José und Don waren wieder erschienen und es gab noch etwas klarzustellen.
„Sie sagten vorhin, daß die Gruppe nie so getrennt werden sollte, also nehme ich an, die Vermisstenaktion verlief völlig ohne ihr Wissen.“
„Du hast recht, daß gehörte auf keinen Fall zum Plan. Es sollten zwar eure Kondition und Nervenstärke getestet werden, von Psychoterror war aber nicht die Rede. Da werden mir noch ein paar Leute etwas zu erklären haben.“
„Schätze, das kann ich auch.“
Langsam ging ich zu Don und José hinüber. Meine alte Stärke hatte ich wiedergefunden und sie konnten mich nicht mehr einschüchtern.
„Wessen Idee war es denn? Deine José oder Don’s?“
Ich drehte mich wieder zum Prinzen um und zeigte mit dem Daumen über meine Schulter: „Ich tippe auf Don. Eine kleine hübsche Rache für den eingefangenen Korb.“
Am Gesichtsausdruck des Prinzen konnte ich erkennen, daß er diese Geschichte noch nicht kannte. Doch ich erzählte weiter und spazierte dabei durch die Halle, um besser nachdenken zu können.
„Ein angekratztes Ego ist schwer zu besänftigen und leicht wolltest du es mir nicht machen. Sicher, es hätte auch anders laufen können. Vielleicht aus Versehen erschießen? Aber nicht doch.“
Ich mußte plötzlich grinsen und Don wurde sichtlich nervös.
„Nein, ich sollte leiden, denn der Lauf war dir nicht Strafe genug. Also wurde ein bißchen gespielt. Und damit es nicht auffiel, ließ man nicht nur Pascal, sondern gleich die ganze Gruppe verschwinden. Es war ja offensichtlich, daß mich Pascals Verschwinden besonders treffen würde. Und niemand wußte zu sagen, was los war. Die einen wußten es nicht, die anderen konnten es nicht sagen. Um das ganze noch perfekter zu machen, wurde die Kette gut sichtbar plaziert, sie sollte schließlich gefunden werden. Es sollte mich völlig aus der Bahn werfen, aber der Plan gelang nur zum Teil, wie man sieht.
Als die Vermißten dann endlich hier ankamen, hofften die Männer, daß sie solche Angst haben und nichts sagen würden. Wieder daneben. Rache ist ein zweischneidiges Schwert.“
Mit einem leichten Lächeln setzte ich mich wieder zu Pascal. „Das hat mal richtig gut getan.“
Dem Prinzen war allerdings im Moment nicht nach Lachen zumute. Don sah man eine ganze Weile nicht mehr. Er galt als der Anführer. José wurde auch bestraft. Doch er kam glimpflich davon, wußte er sich doch geschickt herauszureden.



Spät an diesem Tag saßen wir fünf zusammen. Francis, Pascal, Theo, Simon und ich. Jeder dachte über das Angebot des Prinzen nach und einzeln legten wir unsere Standpunkte dar. Wir waren uns ziemlich einig, auch wenn es einige Bedenken gab. Wir billigten die Methode nicht, konnten aber auch Prinz Zomars Situation verstehen. Es war einfach eine Verzweiflungstat gewesen. Tat er nichts, würde das kleine Reich mit ihm an der Spitze untergehen. Außerdem, wenn man es genau betrachtete, war es nicht die Schuld des Prinzen. Er hatte einem sicheren Plan zugestimmt, die Ausführung lag bei Anderen. Und diesmal war es gründlich schiefgelaufen. Wir brauchten nicht lange zu diskutieren und als es galt, sich zu entscheiden, stellte sich heraus, daß insgesamt acht bleiben würden. Zu uns stießen noch Nico, Lee und Tan. Tan war Japaner und von Anfang an die Kampfkunst gewöhnt.
Der Prinz war hocherfreut, als er unsere Entscheidung hörte, machte uns aber auch noch etwas klar. Dies war nicht einfach nur ein Spiel, dies war Ernst und wir mußten uns auch darüber im Klaren sein, daß wir im Einsatz verletzt werden konnten oder Schlimmeres. Doch, so ließ der Prinz verlauten, würde er in einer dermaßen brenzligen Situation eher seine Männer schicken.
Keiner von uns dachte viel darüber nach, wir hatten uns dafür entschieden. Und alle dachten das Gleiche. Zu Hause würde niemand auf uns warten, unechte Freunde, wie sich Pascal ausdrückte, brauchte man nicht. Hier waren sie echt. Also, was wollte man mehr?
Die anderen, insgesamt fünfunddreißig Leute, wurden wirklich am nächsten Tag fortgeschickt. Unser Reiseleiter war schon länger weg. Und jetzt erfuhren wir auch, was es mit dem leerstehenden Gebäude auf sich hatte. Es war unser neues Quartier.


3.


Natürlich teilten Francis und ich uns ein Zimmer. Pascal, Theo und Simon bezogen das Zimmer nebenan, gegenüber wohnten Tan, Lee und Nico. Noch war das restliche Haus leer, später, nach einer Eingewöhnungsphase sollten die, die schon vor uns angekommen waren, dazu ziehen.
Die Zimmer waren nicht übertrieben, aber gemütlich eingerichtet. Wir hatten alles was wir brauchten, ohne gleich verwöhnt zu werden. Im Gegensatz zur Einrichtung war das Zimmer in seiner Größe sehr großzügig. Das hatte zum Zweck, daß man auch hier nicht auf sportliche Aktivitäten zu verzichten brauchte,
Während wir noch mit dem Prinzen geredet hatten, waren die Zimmer für uns hergerichtet und unser Gepäck gebracht worden. Sogleich machten wir uns ans Auspacken. Kaum waren wir fertig, klopfte es. Es waren die Jungs.
„Hey Pascal. Schon Sehnsucht?“ Francis grinste und Pascal warf ein Kissen nach ihr. Ich stand am Fenster und lachte schallend. Peng, ein Kissen fand sein Ziel. Und schon war eine herrliche Kissenschlacht im Gange.
„Hallo, Leute. Hört doch mal auf. Hallo.“ Simon versuchte sich vergeblich Verhör zu verschaffen. Ich mußte grinsen und wie auf ein geheimes Kommando warfen wir alle gleichzeitig unsere Kissen nach ihm. Mit einem Laut, das mich irgendwie an ein Quieken erinnerte, ging Simon zu Boden. Es dauerte eine Weile bis wir mit dem Lachen aufhörten und Simon endlich sprechen konnte.
„Wißt ihr eigentlich, was hier so läuft?“ Er hatte schon erste Kontakte zu den anderen Fightern, wie wir im Allgemeinen genannt wurden, gehabt.
„Nein, aber heute haben wir noch frei. Das ist alles, was ich weiß.“ Francis zuckte mit den Schultern.
Tan sprach mich an: „Wir haben ja schon eine kleine Kostprobe deines Könnens gesehen. Welchen Stil hast du gelernt?“
Ich spürte, wie ich rot wurde und ärgerte mich darüber. Ich mochte es einfach nicht, auf meine Leistungen angesprochen zu werden. Trotzdem antwortete ich: „Tigerstil.“
„Ehrlich? Kannst du mir was zeigen?“
Ich überlegte kurz, nickte dann aber. Ich stellte mich in Position und zeigte dann einen Übungsablauf, den mein Meister am liebsten hatte. Es war ein immer wiederkehrendes Muster von Figuren und Drehungen und Tan fiel plötzlich mit ein. Gemeinsam führten wir die Übung zu Ende, was mich noch ein wenig anstrengte.
„Zufälle gibt ’s. Ein und derselbe Kampfstil. Wo hast du ihn gelernt? In Japan?“
„Zuerst ja. Später sind wir ausgewandert, weil es Ärger mit der Regierung gab. Aber mein Vater wußte genug, um mich weiter zu trainieren. Irgendwann kam eine günstige Gelegenheit und mein Vater wollte wieder nach Japan zurück. Alle gingen, außer ich.“
„Oh, daß tut mir leid. Ich wollte nicht...“
Tan winkte ab.
„Erzählt hätte ich es euch sowieso irgendwann. Das ist auch der Grund, warum ich hierbleibe.“
Es klopfte und ein Bediensteter stand vor der Tür. Für einen Moment blieb er überrascht stehen, faßte sich aber schnell.
„Der Herr bittet zu Tisch.“
Ich schaute an mir hinunter. Die Übung hatte mich nicht frischer gemacht.
„Moment, erst mal umziehen.“
Ich deutete auf die Tür. Jeder verstand und ging. Nur Pascal blieb noch einmal an der Tür stehen: „Muß ich auch gehen?“
Ich nahm ein Kissen in die Hand. Pascal lachte und draußen war er. Ich brauchte nicht lange und holte die anderen rasch ein. Pascal nahm meine Hand.
„Sehr müde?“
„Es geht. Ich sollte nicht gleich wieder übertreiben.“
„Kein Problem“, erwiderte Pascal und hob mich einfach hoch. Mit Leichtigkeit trug er mich den Flur entlang. Erschrocken hielt ich mich an ihm fest.
„He, laß mich sofort runter.“
„Du mußt dich schonen und ich helfe dir.“
Ich lachte, zappelte aber dennoch mit den Beinen. Schließlich stellte er mich im Hof wieder auf den Boden. Mit einem Kuß bedankte ich mich.
Prinz Zomar erwartete uns im großen Speisesaal. Heute aßen wir noch allein, es war ebenso eine Trennung, wie mit dem Haus. Lächelnd schaute der Prinz mich und Pascal an, riet uns aber, uns nicht allzu nah in der Öffentlichkeit zu zeigen.
„Ihr wißt ja. Andere Länder, andere Sitten.“
Wir nickten und nahmen uns seinen Rat zu Herzen. Dann ließen wir uns das Essen schmecken. Und darüber konnte man wirklich nicht meckern. Es schmeckte wie immer köstlich, fremd aber köstlich. Bei dieser Gelegenheit bot uns der Prinz auch das Du an, was wir aber nur zögernd annahmen. Nicht jeder bekam diese Angebot, auch nicht jeder Fighter, doch er war ein Prinz, eine hohe Persönlichkeit. Nach einer Weile hatten wir uns aber daran gewöhnt.
Der Prinz berichtete uns auch über den weiteren Ablauf. Wir wurden natürlich nicht gleich hinausgeschickt. Das Training stand an erster Stelle. Wir bekamen einen Trainer für die ganze Gruppe und jeder erhielt noch einen eigenen. Am Anfang blieb auch hier die Trennung von den anderen. Wer innerhalb von drei Monaten merken würde, daß es doch nichts für ihn war, konnte noch immer zurücktreten und gehen.



An diesem Abend gingen wir früh zu Bett. Vor allem die Jungen brauchten ihren Schlaf, denn außer Simon und Theo gehörten alle der Vermisstengruppe an. Es war unbeschreiblich, nach so langer Zeit wieder in einem richtigen Bett zu liegen, die Decke hochzuziehen und ruhig einzuschlafen.
Am nächsten Morgen durften wir ausschlafen, doch das war nur eine Ausnahme. Das Bad wurde von allen genutzt und befand sich am Ende des Ganges. Als ich verschlafen hineintappte, wurde ich von einem Schwall Wasser begrüßt. Mit einem Schrei flüchtete ich und stieß mit Francis zusammen, die hinter mir aufgetauchte. Sie lachte schallend. Francis war schon ziemlich munter und hatte gesehen, daß die Jungen noch das Bad besetzten. Ich brummelte vor mich hin.
Die Tür zum Bad öffnete sich und die Jungen spazierten gutgelaunt heraus. Simon warf mir ein Handtuch zu.
„Bist du jetzt wach?“ fragte er mit einem schelmischen Grinsen.
Ich streckte ihm die Zunge raus.
„Schöne Zunge. Hab ich auch. Bäh.“
Ich schüttelte nur den Kopf. Manchmal war es aber auch nur zu blöd.
„Morgen, mein Schatz“, wisperte mir eine Stimme ins Ohr.
Ich schloß die Augen und lehnte mich an Pascal, doch damit hatte er nicht gerechnet und verlor das Gleichgewicht. Erschrocken sog ich die Luft ein und versuchte mich an Francis festzuhalten. Leider griff ich ins Leere und segelte mit Pascal zu Boden. Die Landung war etwas unsanft.
„Und das am Morgen.“
Die anderen halfen mir auf.
„Und was ist mit mir?“ jammerte Pascal.
Jetzt mußte ich lachen. Er saß da wie ein Häufchen Elend. Galant reichte ich ihm die Hand. „Darf ich ihnen aufhelfen?“ fragte ich und versuchte, meine Stimme möglichst vornehm klingen zu lassen.
„Mit bestem Dank.“
Pascal griff nach meiner Hand, doch statt aufzustehen zog er mich hinunter. Zum zweiten Mal an diesem Morgen landete ich am Boden, wo ich erst mal blieb. Es ist halt schwer aufzustehen, wenn man vor Lachen nicht mehr kann.
Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, verschwanden Francis und ich im Bad. Wir hatten sowieso schon zu viel Zeit verloren und wir wollten den Prinzen nicht schon am ersten Tag warten lassen.
Gutgelaunt trafen wir im Speisesaal ein. Nach einem sorgsam zusammengestellten Frühstück führte uns Zomar über den Hof. Der Hof war längst nicht das gesamte Anwesen. Durch einen breiten Durchgang konnte man weitergehen und jetzt fing alles eigentlich erst an. Vereinzelte Häuser wechselten sich mit Feldern und Trainingsplätzen ab. Hier würden wir einen Großteil unserer Zeit verbringen. Überall sah man Fighter laufen, kämpfen, Anweisungen ausführen. Auf einem freien Trainingsplatz stand ein Mann mit dem Rücken zu uns.
„Was glaubt ihr“, meldete sich Simon zu Wort, „wird der Trainer sehr hart sein?“
„Und ob!“
Ich war wie erstarrt stehengeblieben und schnappte nach Luft. Die anderen schauten mich erstaunt an. Noch immer wandte uns der Mann den Rücken zu, aber ich hatte ihn dennoch erkannt. Allerdings traute ich meinen Augen kaum und hatte das Gefühl, als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.
Kaum waren wir heran, drehte sich der Mann um. Er war nicht minder überrascht als ich, faßte sich aber schneller.
„Erfreut, mich wiederzusehen?“
Ich schnitt eine Grimasse, fiel ihm jedoch um den Hals, als er die Arme ausbreitete.
„Tama!“
Die anderen staunten nicht schlecht. Wie sollten sie auch wissen, daß sie vor meinem Meister standen? Der einzige, der noch aus meiner alten Zeit übrig war? Ich hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Tama schob mich ein Stück von sich, um mich besser betrachten zu können.
„Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal wiederzusehen. Noch dazu an diesem Ort. Wieso bist du nicht zu Hause?“
Mein Lächeln verschwand und machte Traurigkeit Platz. Tama hatte sich sehr gut mit meinen Eltern verstanden, war aber gegangen, bevor das Unglück geschah.
„Du kannst es nicht wissen aber es gibt niemanden mehr, der auf mich wartet.“
Jetzt war es Tama der nicht verstand oder nicht verstehen wollte.
„Ein Autounfall“, sagte ich nur und Tama war klar, daß ich das Gespräch auf später verlegen wollte.
Er räusperte sich nur und sprach dann zu allen: „Wie ihr ja wißt, bekommt ihr einen Trainer für die ganze Gruppe und das werde ich sein. Ich bin Tama und dabei möchte ich es belassen. Hier wird von Meistern, also von Trainern und von Fightern, das seit ihr, gesprochen. Das ist eine übliche Anrede, vergeßt das nicht. Ihr werdet jeden Tag trainieren. Vormittags zusammen, am Nachmittag einzeln. Sollte das, aus welchen Gründen auch immer, wechseln, wird euch Bescheid gegeben. Pausen werden natürlich berücksichtigt. Damit das Training problemlos verläuft, wird die gesamte Truppe, also alle Fighter, in zwei Hälften aufgeteilt. So wird garantiert, daß auf jeden eingegangen werden kann. Noch Fragen?“
Als sich keiner meldete, nickte er.
„Gut. Ich werde jetzt jedem seinen Meister vorstellen.“
Ich kam, oh Wunder, zu Tama. Das brachte mich auf eine Frage.
„Wußtest du, daß ich hier bin?“
„Nein, aber der Prinz erzählte mir von dir und das hat mich neugierig gemacht. Das Ergebnis ist allerdings umwerfend.“
Ich lächelte. Es tat gut, Tama wieder an meiner Seite zu haben.
Das Training begann kurz darauf, und zum Aufwärmen ließ uns Tama tüchtig laufen. Das Training in der Gruppe diente der Kondition, das Einzeltraining der Technik. Das Training wurde so lange abgehalten, wie es die Temperaturen zuließen. Dem folgte die Theorie im klimatisierten Raum. Und hier zeigte sich zum erstenmal, daß mit mir irgendetwas nicht stimmte.
Es ging gerade auf die Mittagszeit zu. Tama erklärte wichtige Positionen bei der Deckung, aber ich hörte kaum hin. Meine Augenlider wurden immer schwerer und ich dachte nur daran, daß ich nicht einschlafen durfte.
„Taris.“ Pascals Stimme schreckte mich auf. War ich doch eingeschlafen?
„Was ist mit dir los?“
Ich zuckte mit den Schultern, verstand ich es doch selber nicht. Früher in der Schule war ich selbst beim langweiligsten Unterricht nicht müde geworden. Und jetzt das. Zum Glück war der Unterricht ein paar Minuten später zu Ende und wir gingen hinüber in den Speisesaal. Doch selbst hier war ich ungewöhnlich schweigsam. Tama zog es vor, mit dem Prinzen darüber zu reden. Der lächelte.
„Vergeben sie ihr. Vor vier Tagen ist sie eine Strecke von ungefähr Gomar bis hier gelaufen.“
Tama runzelte die Stirn. Sicher, daß war eine Horrorstrecke, aber er wußte so gut wie ich, daß ich mich nach vier Tagen eigentlich davon hätte erholen müssen. Was also war los?
Ich selbst hatte so einen vagen Verdacht. Der Platzregen vor einigen Tagen. Vielleicht brütete ich was aus, eine Erkältung oder so.
Ich zog es, vor ins Bett zu gehen und erst zum Nachmittagstraining wurde ich von Francis geweckt. Dadurch, daß sich die hohen Temperaturen eine Weile hielten, konnte man schon fast vom Abendtraining sprechen.
Ich fühlte mich zwar im Moment besser, doch ich wußte, was auf mich zukam. Im Einzeltraining war Tama hart, besonders bei mir, da er ganz genau wußte, was er mir zumuten konnte. Ich fügte mich dem Schicksal.
Tama wartete schon und prüfte erst einmal meine noch vorhandenen Kenntnisse. Als ich mit dem Übungsablauf zu Ende war, schüttelte er den Kopf: „Du warst auch schon mal besser.“
„Ich bin auch schon mal besser trainiert worden.“
Ich biß mir auf die Lippen. Was sollte das? Jetzt schlug ich schon ohne Grund einen aggressiven Ton an. Doch noch sah Tama darüber hinweg.
„Du hast nie erfahren, warum ich weggegangen bin, nicht war?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Weißt du, ich war sehr zufrieden mit meinem Leben. Ich wollte für immer bleiben, doch eines Tages bekam ich Post aus meiner Heimat. Es ging um eine Familienangelegenheit, die es nötig machte, Hals über Kopf abzureisen. Ihr wart zu diesem Zeitpunkt nicht da und ich wollte euch später schreiben. Leider war die Sache ernster als ich dachte. Obwohl ich nichts damit zu tun hatte, landete ich im Gefängnis. Irgendwann gelang mir die Flucht und ich landete hier. Ich versuchte euch zu erreichen, doch die Briefe kamen wieder zurück. Ich dachte, daß ihr weggezogen seid, aber jetzt weiß ich ja, was passiert ist. Es tut mir leid.“
Schweigen breitete sich aus und ich konnte Tama gut verstehen. Immer war er für uns da gewesen, nur nicht in diesem Augenblick.
Schließlich trainierten wir weiter. Es funktionierte besser, fühlte mich abends aber nicht danach. Ich war als erste im Bett und als letzte wieder draußen. Das änderte sich auch die nächste Zeit nicht. Die anderen fragten mich oft, was los sei, eine Antwort bekamen sie aber nicht. Warum ich nichts sagte, wußte ich selber nicht. Vielleicht, weil ich nicht Gefahr laufen wollte, zurückgeschickt zu werden. Zurück nach Haus, das eigentlich keines mehr war. Also versuchte ich, allein damit klar zu kommen. Leicht war es nicht, doch niemand fragte mich mehr.
Ich bemerkte leider schnell, daß ich mit meiner Vermutung, krank zu werden, richtig lag. Wäre ich auch ehrlich gewesen, hätte ich zugegeben, daß es nicht nur eine Erkältung war. Manchmal hatte ich Schmerzen beim Atmen, ein paar Mal wurde mir schwarz vor Augen. Das alles geschah unbemerkt von den anderen und zog sich so eine Woche dahin. Am Ende dieser Woche erreichte uns die Nachricht, daß wir in drei Tagen mit den anderen Fightern zusammengeführt werden sollten. Eigentlich nichts Weltbewegendes, für uns aber ein großer Tag. Einzig mein Gesundheitszustand bereitete mir Sorgen. Anscheinend bekam ich noch Fieber, diesmal von meinen Freunden nicht unbemerkt, jedoch nicht angesprochen. Darin waren sie ohnehin vorsichtig geworden.
Vor ein paar Tagen hatte ich mich mit Francis gestritten. Durch meine Müdigkeit und mein Unwohlsein konnte ich mich selbst nicht leiden, stand mir im Weg. Das ließ ich allerdings auch die anderen spüren. Ich regte mich schnell über Kleinigkeiten auf und reagierte gereizt. Ich stieß damit meinen Freunden vor den Kopf. Zunächst sah sogar Francis darüber hinweg, doch auch ihr wurde es mal zuviel. Beleidigt rauschte sie aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Ich zuckte zusammen und meine Wut verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war. Es tat mir schon wieder leid, doch auch ich konnte mich nicht überwinden, mich zu entschuldigen. Am Abend ging jeder schweigsam zu Bett.
Als ich am Morgen der Gruppenzusammenführung aufwachte, war ich allein. Francis hatte das Zimmer schon verlassen und ein Blick auf meine Uhr zeigte mir, daß es auch für mich Zeit wurde. Allerdings brauchte ich heute fast doppelt so lange, als sonst. Ein Schwindelanfall folgte dem nächsten, unterbrochen von einigen Hustenanfällen. Allein das Duschen war eine Tortour. Als ich das Zimmer verlassen wollte, überraschte mich ein weiterer Anfall. Ich konnte mich gerade noch an der Tischkante festhalten. Nach der Versammlung würde ich es wohl oder übel doch den anderen mitteilen müssen.
Ich blickte auf die Uhr. Jetzt aber schnell. Ich hetzte zum Gruppenraum, um mein Stirnband, daß ich dort vergessen hatte, zu holen. Ich schaffte es nicht mehr, den Raum zu verlassen.
Ein weiterer Anfall überkam mich, begleitet von Schmerzen, die mich aufstöhnen ließen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, in Flammen zu stehen, mir brach der Schweiß aus und das Zimmer drehte sich wie wild um mich. Dies ist kein leichter Schwächeanfall dachte ich noch, bevor ich das Bewußtsein verlor.



Die Zeit verging und Pascal machte sich langsam Sorgen. Auch Francis schien den Streit vom Abend schon wieder vergessen zu haben, denn sie lief wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend und fragte jeden, ob er mich gesehen hatte. Außerdem fingen die anderen Fighter schon an zu tuscheln. Sie konnten nicht wissen, wie es in letzter Zeit um mich stand, wir waren noch immer streng getrennt. Schließlich hielt es Pascal nicht länger aus und bat darum, mich suchen zu dürfen. Schon nach kurzer Zeit kam er zurück: „Im Zimmer ist sie nicht. Aber ich wüßte nicht, wo sie sonst sein sollte.“
Francis rannte zum Speisesaal, kam aber mit demselben Ergebnis wie Pascal zurück. Ich war dort nie aufgetaucht. Nun wurden auch die anderen nervös und begannen das Haus zu durchkämmen. Francis und Pascal übernahmen die obersten Etagen, die anderen die untersten. Theo durchsuchte die Gemeinschaftsräume. Allerdings erwartete er nicht, mich im untersten Stockwerk zu finden, da wir die erste Etage bewohnten. Er behielt recht, oben traf ihn jedoch fast der Schlag.
„Verdammt!“
Rasch rief er die anderen zu sich. Simon traf als erster ein, gefolgt von Francis und Pascal. Tan warf nur einen kurzen Blick in den Raum und rannte dann los, um Hilfe zu holen. Francis wurde schneeweiß im Gesicht und Pascal kniete sich sofort nieder.
„Was ist mit ihr?“ Simon beugte sich ebenfalls hinunter.
„Ihr Puls ist schwach, aber vorhanden. Ich schätze, hohes Fieber und...“ Pascal zuckte mit den Schultern, „ihr Kreislauf.“
Vorsichtig hob er mich hoch und trug mich zur Krankenstation hinüber. Unterwegs stießen sie auf Tan, der den Prinzen und Tama informiert hatte. Sofort scheuchte Zomar die Krankenstation auf, was aber nicht nötig gewesen wäre, denn der Arzt machte sich sofort an die Arbeit. Außer dem Prinzen und Tama mußten alle draußen auf dem Flur warten, und das fiel nicht nur Pascal schwer. Krankenschwestern kamen und verschwanden im Zimmer. Francis stand in einer Ecke und machte sich Vorwürfe, Theo versuchte, sie zu beruhigen.
„Dieser blöde Streit gestern. Wieso habe ich mich so provozieren lassen. Ich hätte bei ihr bleiben sollen.“
„Nun gib dir nicht die Schuld daran. Taris ist in letzter Zeit wirklich unmöglich gewesen. Ein Wunder, daß du so lange ruhig geblieben bist. Mich hat sie schon vor Tagen zur Weißglut getrieben.“
Theo redete einfach weiter und schaute Francis dabei fasziniert an. Tränen schimmerten in ihren Augen und er fand, daß sie jetzt fast noch niedlicher aussah als sonst. Theo war heimlich in sie verliebt, doch er traute sich nicht, es ihr zu sagen. Simon grinste nur. Längst hatte er geschnallt, was da lief.
Nun nahm Theo seinen ganzen Mut zusammen und legte vorsichtig seinen Arm um Francis. Und siehe da, Francis ließ es zu. Es war für sie beruhigend, denn sie fühlte sich elend.
Pascal ging es nicht besser, wenn auch aus etwas anderen Gründen. Er starrte die Tür an, hinter der der Arzt verschwunden war und wäre gern dabei gewesen. Es machte ihn wahnsinnig, nichts tun zu können. Dabei wußte er ganz genau, er hätte dort nur im Weg gestanden. Tan kümmerte sich um ihn und erzählte von seiner Heimat. Er hatte eine gute Art zu erzählen und Pascal dankte ihm im Stillen für diese Ablenkung. Nico und Lee unterrichteten die anderen Fighter von der Situation und die Stimmung schlug um. Niemand tuschelte mehr über mich, alle machten sich Sorgen. Die Zusammenkunft wurde auf den Nachmittag verschoben, denn den Trainern war klar, konzentrieren konnte sich jetzt keiner mehr richtig. Jeder wartete nur auf das Untersuchungsergebnis.
Zomar staunte nicht schlecht, als er die Tür öffnete und die Fighter sah, die sich im Flur versammelt hatten. Pascal trat sofort auf ihn zu. Es war vielleicht eine halbe Stunde vergangen, für Pascal hätten es auch Jahre sein können. Es machte keinen Unterschied.
Der Prinz drehte sich um, wahrscheinlich zum Arzt, dann winkte er Pascal und die anderen zu sich und gemeinsam gingen sie in einen Nebenraum. Noch durfte keiner zu mir. Der Arzt kam dazu, um alles zu erklären. Pascal hielt es kaum noch aus und bestürmte ihn mit Fragen.
„Ist sie deine Freundin?“
Pascal spürte wie er rot wurde, nickte dann aber.
„Nun, es sah schlimmer aus als es ist, obwohl wir auch jetzt noch vorsichtig sein müssen. Das wird sich zeigen. Zunächst einmal konnte ich eine Lungenentzündung feststellen. Woher...?“ Er hob die Hände und ließ sie langsam wieder sinken.
„Vielleicht der Regen?“ Francis hob den Kopf. Theo nickte.
„Klar. Kurz nach unserer Ankunft ging ein Platzregen nieder und Taris war als einzige draußen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß das solche Ausmaße hat.“
„Nun, eigentlich nicht. Aber wie ich erfahren habe, ist sie nicht ganz unbescholten hier angekommen.“
„Der Lauf, „ murmelte Francis.
„Genau.“ Der Arzt nickte. „Außerdem ist man nicht gerade zimperlich mit ihr umgesprungen. Dazu das fremde Land, die hohen Temperaturen. Eins allein hätte sie verkraftet, aber alles zusammen? Irgendwann mußte es ja passieren. Ihr Immunsystem ist völlig zusammengebrochen. Und doch hat sie das harte Training absolviert.“
Aber wieso haben wir nichts bemerkt? Zumindest am Anfang?“
„Weil sie es nicht wollte. Sie ist sehr stark und versucht auch immer, diese Stärke zu zeigen. Schwächen werden verdrängt. Dass sie überhaupt so lange durchgehalten hat zeigt, welcher Wille in ihr steckt. Dieser Wille ermöglicht es ihr, allen etwas vorzumachen. Leider nicht immer mit gutem Ausgang, wie man sieht. „
Es klopfte und der Assistenzarzt schaute zur Tür herein. Er blickte kurz in die Runde und wandte sich dann an den Arzt: „Können sie kommen? Sie wacht gerade auf.“
Der Arzt nickte und hielt Pascal zurück, der sofort aufgesprungen war.
„Es tut mir leid aber das Dringendste, was sie jetzt braucht, ist Ruhe. Noch kann ich niemanden zu ihr lassen.“
Doch als er Pascals trauriges Gesicht sah, beschloß er sich etwas einfallen zu lassen.



Ich selbst dachte in diesem Moment nicht an meine Freunde. Mein Aufwachen war schmerzhaft, das Fieber setzte mir zu. Mir war, als würde ich keine Luft mehr bekommen, ein beklemmendes Gefühl stieg in mir auf. Es fühlte sich an, als ob jemand meine Lunge zusammenpreßte und ich war nahe dran, in Panik zu geraten. Plötzlich war jemand da. Er schob mir etwas in den Mund und der Druck wich. Meine Atmung regulierte sich und ich öffnete die Augen. Grelles Licht blendete mich uns stöhnend schloß ich sie wieder. Schritte entfernten sich von mir und ich konnte ein Geräusch hören, das ich nicht einzuordnen vermochte.
„Sie können die Augen jetzt öffnen.“
Zögernd nur tat ich, wie mir geheißen. Jetzt störte mich nichts mehr und ich drehte mühsam den Kopf. Im ersten Moment sah ich nur einen Umriß. Daraus wurde ein Mann in einem weißen Kittel, der vor einem Fenster stand. Die Jalousien waren heruntergelassen. Daher also das Geräusch.
„Warten sie einen Moment“, sagte der Mann, ging hinaus und kam in Begleitung eines weiteren Mannes zurück. Auch er trug einen Kittel, war aber älter. Erste graue Strähnen zierten sein sonst tiefschwarzes Haar. Ein Bart umrahmte sein Gesicht. Frauen fanden ihn bestimmt nicht unattraktiv. Sofort kam er zu mir und stellte sich als Dr. Ahman vor. Dann fühlte er meinen Puls und fragte mich nach meinem Befinden.
„Könnte besser sein“, erwiderte ich und fing an zu husten. Allein das Sprechen strengte mich an. „Was ist passiert?“ fragte ich nach meinem Hustenanfall.
„Sie wissen es nicht?“
Ich schüttelte den Kopf, fügte dann aber noch hinzu: „Sie können mich ruhig duzen.“
„In Ordnung. Also, deine Freunde fanden dich bewußtlos im Gruppenraum. Ich konnte eine Lungenentzündung feststellen. Durch die Anstrengungen der letzten Zeit ist dein Immunsystem angeschlagen. Die unfreiwillige Dusche letztens war da zuviel.“
Ich nickte nur zur Antwort.
„Ich verstehe nur nicht, warum du niemanden etwas gesagt hast. Du wußtest doch, daß etwas nicht stimmt, oder?“
Ich überging die Frage und stellte selber eine: „Was sagt der Prinz?“
„Das du hier liegst? Er ist sehr besorgt und hofft, daß es dir bald besser geht.“
Ich nickte erneut. Meine Augenlider wurden immer schwerer.
„Sagen sie, daß keiner sich zu sorgen braucht.“
Meine Stimme wurde immer leiser, schließlich schlief ich ein. Leise verließen die Männer das Zimmer und machten Platz für die Krankenschwester. Sie würde an meinem Bett wachen. Der Arzt sagte noch den anderen Bescheid und zog sich dann zurück.
Am Nachmittag, als die Zusammenkunft und ein erstes gemeinsames Training stattfanden, fiel dem Arzt eine Lösung ein, damit mich Pascal wenigstens sehen konnte. Ich wurde nach zwei Tagen in ein Zimmer im Erdgeschoß verlegt und die Jalousien heruntergelassen. So konnte keiner hineingucken. Hatte Pascal Zeit, sagte er Bescheid und sie wurden ein Stück hochgezogen. Er schnitt dann immer Grimassen oder versuchte, mir mit Gesten etwas zu erzählen. Es half mir sehr, die Zeit bis zum ersten erlaubten Besuch zu überbrücken.
Ich hatte endlich das Fieber und die Entzündung besiegt und die ersten, die kamen, waren Francis und Pascal. Die Krankenstation durfte ich noch nicht verlassen.
Pascal begrüßte mich ausgiebig, bis es Francis zuviel wurde.
„Pascal, dürfte ich dich daran erinnern, daß du nicht allein gekommen bist?“
Er grinste und trat dann zur Seite: „Ich wußte doch, daß ich irgend etwas vergessen habe.“
„Hey, Kleines, du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Mußtest du das unbedingt allein durchziehen? Wir hätten dir doch helfen können?“
Ich gab keine Antwort, obwohl ich es gekonnt hätte. Doch schon in meinen Ohren klang es ziemlich bescheuert. Doch Pascal ließ nicht locker. Diesmal wollte er eine Antwort.
„Warum Taris?“
„Vielleicht, weil sie Angst hatte?“ antwortete eine Stimme von der Tür her.
Ich schloß für einen Moment die Augen. Der Prinz. Doch ich konnte mich nicht länger verstecken.
Der Prinz trat an mein Bett, doch ich traute mich kaum, ihn anzusehen. Ich war blaß geworden und zeigte damit, daß Zomar mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. Blieb nur die Frage, wovor.
„Es stimmt also Taris. Du hattest Angst. Etwa Angst, wieder nach Hause geschickt zu werden?
Ich antwortete noch immer nicht, ich konnte es nicht.
„Du fragst dich jetzt sicher, wie ich darauf komme. Nun, ich habe mit dem Arzt gesprochen und von ihm erfuhr ich, daß du als erstes wissen wolltest, was geschehen war. Doch dann hast du nicht nach Pascal oder den anderen gefragt. Nein, du fragtest, was ich gesagt hätte. Ich habe lange darüber nachgedacht, wieso das so war und ich bin wohl zu dem richtigen Schluß gekommen. Du hast wegen mir nichts gesagt.“
Wieder gab ich keine Antwort, nickte aber diesmal. Der Prinz ergriff meine Hand.
„Taris, warum sollte ich wohl so etwas tun? Es ist eure Entscheidung, ob ihr bleibt oder nicht und du und Francis, ihr seid die einzigen Frauen hier. Glaubst du nicht auch, daß es bei Ermittlungen manchmal besser ist, Frauen einzusetzen? So eine Gelegenheit läßt man nicht einfach vergehen.“
„Ich weiß. Mittlerweile finde ich es ja selbst blöd. Aber es ist doch nicht gerade rühmlich, gleich in der Anfangszeit einen solchen Ausfall zu haben. Ich hatte immer gehofft, daß sich alles einrenkt. Ich wollte das alles hier doch nicht aufs Spiel setzten.“
„Aber deine Gesundheit.“ Der Prinz schüttelte den Kopf. „Das nächste Mal sagst du bitte Bescheid.“
Ich nickte und der Prinz hielt es für ratsam, den Besuch zu beenden. Ich hielt jedoch Pascale zurück: „Bitte bleib.“
Er tauschte einen kurzen Blick mit Zomar, der seine Zustimmung gab. Nun hatte ich Pascal ein paar Minuten für mich allein. Er hielt meine Hand und küßte mich. Ich genoß diese Zeit. Schließlich schlief ich wieder ein und Pascal verließ leise das Zimmer. Draußen wartete Theo auf ihn.
„Und?“ fragte er langgezogen und grinste wissend.
Pascal lächelte etwas verlegen. Es kam nicht oft vor, daß wir beide allein waren.
Gemeinsam gingen sie über den Hof zum Trainingsplatz. Seit heute stand nicht nur der Nahkampf auf dem Plan, sondern auch der Umgang mit Waffen und Sprengstoff. Und daran mußte man sich erst gewöhnen. Es bedeutete nicht, daß wir losziehen und uns in den Kampf begeben sollten, jedoch konnten wir uns im Ernstfall schützen. Da ich das alles verpaßte, würde ich Schwierigkeiten haben, aufzuholen. Ich konnte nur von Glück sagen, daß ich in Sachen Körperverteidigung schon einen Vorsprung hatte.
In den nächsten Tagen bekam ich immer öfter Besuch und mit meiner Gesundheit ging es endlich aufwärts. Trotzdem durfte ich die Station noch nicht so schnell verlassen, der Arzt befürchtete, nicht zu unrecht, daß ich es doch übertreiben würde. Daher war ich schon froh, als ich aufstehen und ein wenig spazieren gehen konnte. Es war noch früh und das gemeinsame Training hatte gerade begonnen. Für ein paar Minuten blieb ich im Durchgang stehen und sah den Fightern zu. Es war schon beeindruckend, wie sie dort standen, präzisiert, wie mit einem Lineal gezogen. Tama gab Anweisungen.
Gerade als ich mich wieder zurückziehen wollte, wurde er auf mich aufmerksam. Er winkte mich zu sich und drehte sich dann zur Gruppe um: „Darf ich euch den noch fehlenden Fighter vorstellen? Einige von euch kennen sie schon recht gut.“ Er lächelte und ich verzog leicht das Gesicht. Tama wußte genau, wie unangenehm es mir war, wenn alle mich anstarrten. Sicher, eigentlich meinte er es gut, denn so versuchte er immer mir zu zeigen, daß ich unberechtigte Komplexe hatte. Diesmal allerdings war es voll daneben.
„Dein Platz wird da sein“, sagte er und zeigte auf eine Lücke am Rande der Gruppe. Ich nickte nur und war froh, daß Tama sein Training fortsetzte und ich fliehen konnte.
Eine Woche später untersuchte mich Dr. Amahn erneut und setzte sich dann mit ernstem Gesicht zu mir. Mein Herz fing an zu klopfen. Warum sah er mich so an? Stimmte etwas nicht, war ich doch noch so krank? Ich konnte es mir kaum vorstellen.
„Ich muß dir leider sagen, die Untersuchung hat gezeigt“, er machte eine kleine Pause und mich damit fast verrückt, „daß du wieder zu deinen Freunden kannst.“ Er lachte.
„Wirklich?“ Mit einem strahlenden Gesicht fiel ich ihm um den Hals und er ließ es sich gefallen.
„Tama weiß schon Bescheid und wird dich erst einmal wieder einweisen. Dort liegen deine Sachen und ich bitte dich, nächste Woche noch einmal vorbeizuschauen.“
Ich versprach es ihm. Dann ging er.
Schnell zog ich mich an und ging zunächst auf mein Zimmer. Francis war schon beim Training und ein Bediensteter ließ mir ausrichten, daß der Prinz mich schon erwartete. Der Arzt hatte ihn unterrichtet und wenn ich mich dazu im Stande sah, würde Tama mich auf dem Trainingsplatz erwarten. Also zog ich mich wieder um, denn jeder Fighter hatte einen weißen Trainingsanzug bekommen.
Tama hatte die Gruppe an einen anderen Trainer übergeben, um sich genügend um mich kümmern zu können. Er fing langsam an, damit sich mein Körper wieder daran gewöhnen konnte und steigerte das Pensum Tag für Tag. Es klappte ganz gut und ich fand den Anschluß recht schnell. Da bereitete mir der Umgang mit der Waffe schon mehr Probleme. Ich war schon immer der Meinung gewesen, daß ich mich auch so gut verteidigen konnte.
Abends, als wir alle am Pool saßen, gut, daß es den gab, sprachen wir auch darüber. Ich gab meinen Standpunkt zu verstehen, sah aber auch ein, daß wir hier in einer ganz anderen Lage waren. Anschließend stiegen die anderen ins Wasser. Ich selbst genoß lieber die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf meiner Liege und schloß die Augen. Doch was war das? Kalte nasse Hände packten mich und zogen mich hoch. Erschrocken öffnete ich die Augen. Die Jungen wollten mich endlich im Wasser sehen und für eine Gegenwehr war es zu spät. Mit einem Schrei landete ich im Wasser. Prustend kam ich wieder an die Oberfläche.
„Ihr habt sie wohl nicht mehr alle“, schimpfte ich, mußte dann aber doch lachen.
Grinsend stand Pascal am Beckenrand: „Gefällt es dir?“
„Ja. Aber noch besser wäre es, wenn du mir wieder heraushelfen würdest.“
Pascal grinste noch breiter und schüttelte den Kopf: „So blöd bin ich nun auch wieder nicht.“ Vorsichtshalber wich er noch einen Schritt zurück.
Hinter ihm tauchte Francis auf und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ihre Absicht war klar. Jemand rief eine Warnung aber zu spät. Pascal landete im Wasser und Francis half mir aus dem selbigen.
„Danke.“
„Ach laß mal. Wir Frauen müssen zusammenhalten.“
Lachend drehten wir uns um und verstummten. Simon und Theo standen schon bereit. Sie sprangen ins Wasser und zogen uns einfach mit. Eine Wasserschlacht begann und wir kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus. Später zogen wir uns auf die Zimmer zurück. Francis und ich redeten noch eine Weile, ehe wir uns zur Ruhe begaben.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Ich trainierte jetzt auch wieder in der Gruppe, was mir Spaß machte. Das Einzeltraining dagegen wurde immer härter. Tama wußte, wo meine Grenzen lagen. Mehr als einmal war ich nahe daran, mich zu weigern, doch das kannte Tama noch zu gut. Selbst die anderen, die es auch nicht leicht hatten, verzogen manchmal das Gesicht. Andererseits staunten sie nicht schlecht, wenn sie uns reden hörten, denn manchmal herrschte ein ziemlich rüder Ton. Auf beiden Seiten. Von ihnen hätte es nicht einer gewagt, in einem solchen Ton mit seinem Meister zu reden. Aber Tama war das von mir gewöhnt. Früher hatte ich nicht anders reagiert. Manchmal war ich einfach zu impulsiv und sagte dann, was ich gerade dachte. Nur schaffte ich es leider ab und zu nicht, meine Launen auf dem Trainingsplatz zu lassen, was dann wieder zu Krach mit meinen Freunden führte. Doch nach und nach lernte ich, wieder damit umzugehen. Impulsiv blieb ich trotzdem.



„Heute ist wieder Waffentraining.“ Francis warf ihr Handtuch aufs Bett.
Ich verdrehte die Augen. In all der Zeit hatte ich mich nicht daran gewöhnen können, und unser Meister würde bestimmt nicht mehr lange darüber hinwegsehen. Denn manchmal konnte man mein Verhalten schon als rebellisch bezeichnen. Was mich am meisten störte war, daß der Prinz meiner Bitte um Ausschließung vom Schießunterricht nicht nachkam. Denn er selbst hatte gesagt, alles wäre unsere freie Entscheidung. Und unser Meister machte das auch nicht mehr lange mit. Er nahm mich zur Seite und redete eindringlich mit mir. Außerdem trainierte er mit mir allein, wenn keiner da war. Ich mußte erst langsam lernen, daß eine Waffe in die Hand nehmen nicht automatisch hieß, damit zu schießen. Allein der Anblick würde oft abschreckend wirken. Außerdem wurden wir nur für den absoluten Notfall trainiert. Prinz Zomar hatte uns seine Vorgehensweise ja schon erklärt. Und so kam es, daß ich Schritt für Schritt meine Scheu vor der Waffe verlor. Bald konnte ich genauso gut zielen, wie die anderen und in der Theoriestunde lernten wir, was es noch so alles zu wissen gab. Wie eine Waffe von innen aussah, wie sie auseinander- und wieder zusammengesetzt wurde, wie wir sie zu reinigen und zu pflegen hatten usw.
Außerdem wurde auch der Umgang mit der Waffe im Kampf geübt, denn welcher Gegner blieb schon auf der Stelle stehen, wenn man auf ihn zielte.
Ehe wir uns versahen, waren die drei Monate um und Zomar bat uns zu sich. Er sah blaß aus und mir fiel ein, daß wir ihn schon eine Weile nicht gesehen hatten. Doch er blockte Fragen dazu ab. Ich beobachtete ihn etwas genauer. Seine Hände ruhten auf den Lehnen seines Stuhls. Wenn man länger hinsah, konnte man sie leicht zittern sehen. Was mochte geschehen sein, um ihn so aus der Fassung zu bringen? Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie erstaunt ich bei unserer ersten Begegnung war. Einen Prinzen hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Wie genau, wußte ich nicht zu sagen, vielleicht arroganter, forscher. Und nicht mit einem braungebrannten und durchtrainiertem Körper, kurzem schwarzem Haar und einem geheimnisvollem Glänzen in den Augen, die so undurchdringlich wie ein tiefer See waren. Nein, so stellte ich ihn mir bestimmt nicht vor. Und jetzt war dieser Glanz aus seinen Augen verschwunden.
Doch der Prinz schwieg dazu. Er wollte im Moment nur wissen, ob sich jemand dazu entschieden hatte, zu gehen. Erwartungsgemäß meldete sich niemand.
„Ich bin froh, daß ihr euch entschieden habt zu bleiben, denn ich brauche jeden von euch.“
Vergeblich warteten wir darauf, daß er weiter sprach. Stattdessen ließ er einige Trainer kommen. Wir waren entlassen. Nachdenklich traten wir auf den Hof hinaus. Es mußte viel passiert sein in letzter Zeit. Nur, raus kamen wir auch nicht, die Wachen waren aufmerksamer als je zuvor. So blieb uns nichts anderes übrig, als zu warten. Eine schwere Aufgabe für uns, aber am Nachmittag wurde unsere Geduld belohnt. Erneut wurden wir zum Prinzen gerufen. Aber nicht allein. Eine enge Auswahl Fighter stand im Thronsaal. Tama, Costa und ein paar weitere Männer waren ebenfalls anwesend. Erwartungsvoll stellten wir uns auf.
Lange blickte Zomar die Gruppe an. Sein Blick musterte jeden von uns eingehend, was aber niemanden beunruhigte. Schließlich fing er an zu sprechen: „Ihr wundert euch vielleicht, warum ich euch habe rufen lassen, obwohl ihr wohl schon mitbekommen habt, daß Unruhe eingekehrt ist.“
Einige nickten.
„Nun, wie wir erfahren haben, hält sich ein Verbrecherring im Land auf. Sie sind in Lymath untergetaucht, und es hat schon sehr viel Ärger gegeben. Wir wissen noch nicht genau was sie hier wollen. Tatsache ist jedoch, daß die Polizei noch nicht viel tun kann oder will. Sie braucht Beweise. Und ihr sollt sie beschaffen.“
Zomar gab das Wort an Tama weiter, doch der hatte Mühe, sich durchzusetzen. Obwohl es alle geahnt hatten, ging ein Raunen durch die Gruppe. Schließlich konnte er reden: „Wir werden euch in den nächsten Tagen von den anderen abgrenzen und für den Einsatz dort draußen vorbereiten. Ihr werdet lernen, wie die Stadt im Einzelnen aussieht, Straßen und Gebäude müssen sich in eurem Gehirn verankern. Einen Fehler dürft ihr euch nicht erlauben, denn ihr seid auf euch allein gestellt. Niemand wird euch begleiten. Doch ihr sollt nicht die Verbrecher stellen, sondern nur herausfinden, was sie vorhaben.“
Stille breitete sich aus. Sicher, wir waren froh, endlich zum Einsatz zu kommen, aber allein?
Die erste Maßnahme bestand darin, daß wir in einem anderen Haus untergebracht wurden. So konnten wir ohne Störung intensiv geschult werden. Bald schwirrte uns der Kopf, aber wir wußten auch, wofür. Zur Ruhe kamen wir in den nächsten Tagen nur bedingt. Uns wurde jeder Straßenzug eingebleut, die wichtigsten Gebäude, denn im Notfall mußten wir auch einen Fluchtweg wissen.
Der Plan an für sich war einfach. Um nicht aufzufallen, reisten wir als Touristen an. Wir wohnten in einem Hotel namens Plaza Lego. Von dort aus sollten unsere Operationen laufen. Ich fragte mich nur, warum Simon und Nico nicht am Unterricht teilnahmen. Im Thronsaal waren sie doch auch anwesend gewesen. Gelegenheit mit ihnen zu sprechen, bekamen wir auch nicht. Der Tag der Abreise kam.


4.


Los ging es mit zunächst mit einem Bus. Später sollte es so aussehen, als wären zwei sich völlig unbekannte Gruppen unterwegs. Francis gehörte der zweiten Gruppe an, damit wir als einziges Mädchen der jeweiligen Jungengruppe angebliche Kontakte knüpfen konnten. Und es wurde veranlaßt, daß wir zu unterschiedlichen Zeiten im Hotel ankamen. Man konnte nie wissen. Mit dem Bus ging es fast bis an die Landesgrenze. Dort stiegen wir in zwei landestypische Busse um. Zwei Stunden dauerte es noch bis Lymath. Es war die Hölle. Die Busse hatten ihre besten Jahre schon um eine Ewigkeit überschritten, die Sitze durchgesessen, die Klimaanlage defekt. Die Hitze staute sich, und die Luke im Dach ließ kaum ein Lüftchen hindurch. Die Stoßdämpfer hatten ihren Geist auch schon vor Urzeiten aufgegeben und die Straßen waren, wie nicht anders zu erwarten, eine Katastrophe. Doch wir wollten nicht auffallen und die meisten Touristen, besonders die Jüngeren, kamen mit solchen Bussen in der Stadt an.
In Lymath angekommen, hatte es jeder von uns eilig, aus dem Bus zu kommen. Einige Einheimische grinsten. Sie waren es gewohnt.
Ein Fighter, den ich nicht näher kannte und insgeheim nicht kennen wollte, war zu Leiter unserer Gruppe ernannt worden. Wie er das geschafft hatte, war mir schleierhaft, denn auf mich wirkte er wie ein Eisblock. Bei der Zimmerverteilung stellte sich heraus, daß alle bis auf ihn Doppelzimmer bekamen. Wir zuckten mit den Schultern. Irgendwie wollte keiner so recht mit Rico in ein Zimmer. Ich teilte mir das Zimmer selbstverständlich mit Pascal. Anfangs war es irgendwie komisch, denn außer im Zelt waren wir noch nie zusammen gewesen. Über Nacht.
Rasch packten wir unsere Sachen aus und gingen nach unten, um die Stadt zu erkunden. Wie es eben Touristen machen. Eine Überraschung erwartete uns: wir staunten nicht schlecht, als wir sahen, wer uns da die Eingangstür aufhielt. Niemand anderes als Simon stand da, in der Uniform des Hotels und lächelte freundlich. Deshalb war er nie bei uns gewesen. Man hatte ihn schon vorher eine Stelle im Hotel besorgt. Wir ließen uns aber nichts anmerken und verließen die Vorhalle. Erst in einiger Entfernung vom Hotel drehte ich mich um.
„Nicht zu fassen. Simon als Hotelboy.“ Ich grinste. „He Pascal, vielleicht solltest du ihn nachher mal kontaktieren. Ihr versteht euch sonst auch ganz gut.“
„Geht klar.“ Pascal nickte.
Plötzlich fuhr Rico dazwischen: „Entscheidungen, die die Gruppe betreffen, solltest du lieber mir überlassen.“
Sein überheblicher Ton brachte mich auf die Palme und ich fauchte ihn an: „Spiel dich nicht so auf, es war doch nur ein Vorschlag. Aber bitte, wenn du hier den großen Anführer spielen willst.“
Ich drehte mich um und verschwand in der Menge.
„Komm sofort zurück.“ Rico wollte mir folgen, wurde aber Pascal zurückgehalten.
„Laß sie. Taris beruhigt sich schneller, wenn man sie in Ruhe läßt.“ Besonders du, dacht er.
Für einen Augenblick sah es so aus als würde Rico den Rat ignorieren, lenkte dann aber ein: „ Schon gut, ihr habt sicher Recht. Es tut mir leid.“
„Schon gut“, Theo winkte ab, „es ist sicher nicht leicht für dich. Aber ich finde Taris Vorschlag gut.“
„O. K. Wenn Pascal sich schon vorher so gut mit Simon verstanden hat, dann kann er es auch übernehmen.“
Inzwischen war ich am Hauptplatz angekommen. Ein großer Springbrunnen sorgte hier für ein wenig Abkühlung. Trotz der Hitze herrschte anscheinend keine Wasserknappheit. Ich setzte mich auf den Rand des Brunnens. Was bildete sich dieser Idiot Rico eigentlich ein? Wir waren eine Gruppe, eine Gemeinschaft und wir mußten zusammenhalten, wenn wir unseren ersten Auftrag zu aller Zufriedenheit lösen wollten.
„He du. Siehst aus als könntest du eine Ablenkung vertragen.“
Widerwillig drehte ich mich um, obwohl ich Francis Stimme natürlich sofort erkannt hatte.
„Was ist los?“
Sie grinste. „An so einem Tag sollte man eigentlich bessere Laune haben. Kannst du mir vielleicht den Gefallen tun und mich vor dem Brunnen fotografieren?“ Sie hielt mir eine Kamera unter die Nase.
„Wenn es unbedingt sein muß“, murmelte ich und stand auf.
„Danke.“
Francis stellte sich in Position und ich schoß ein Foto von ihr. Dann gab ich ihr die Kamera wieder und wandte mich ab.
„Warte doch mal.“
Ich blieb stehen.
„Kann ich dich vielleicht zum Eis einladen. Du siehst aus, als könntest du jemanden zum Reden brauchen.“
Ich zögerte, willigte dann aber ein. Langsam begann mir das Spiel Spaß zu machen, und wer uns beobachtete, würde denken, hier lernten sich zwei Touristinnen kennen.
Wir gingen in ein Café, denn dort gab es eine Klimaanlage. Während wir auf unser Eis warteten, schauspielerten wir weiter.
„Wie ist eigentlich dein Name und in welchen Hotel wohnst du?“
„Ich heiße Taris und wohne im Plaza Lego. Und ich bin das einzige Mädchen in der Gruppe.“
„Wirklich?“ Francis machte große Augen, „das bin ich auch. Und wir sind auch im Plaza Lego untergebracht. Ich heiße übrigens Francis. Was meinst du, wollen wir uns öfter treffen?“
„Sicher, warum nicht.“
„Warum hast du eigentlich so schlechte Laune gehabt?“
Ich erzählte ihr mit gedämpfter Stimme, was zwischen mir und Rico geschehen war. Auch Francis runzelte die Stirn. Sie kannte Rico noch weniger als ich, doch auch sie wußte, wie wichtig es war, daß alle zu Wort kamen.
„Taris.“
Ich zuckte zusammen, so unvermittelt kam der Ruf. Auf der anderen Seite des Platzes standen Theo und Pascal und winkten uns zu. Ich holte sie heran. Pascal gab mir einen Kuß.
„Na, wieder beruhigt?“
„War nicht Ricos Verdienst. Sie hat mir geholfen, “ sagte ich und zeigte auf Francis.
„Aha, schon Bekanntschaften geschlossen. Ist dir unsere Männerwirtschaft nicht gut genug?“
„Männer.“ Ich schnitt eine Grimasse. „Darf ich euch vorstellen, Francis. Francis, daß sind Pascal und Theo.“
„Hallo.“ Sie gaben sich einander die Hand und gemeinsam setzten wir uns wieder. Auch die Jungen bestellten sich ein Eis. Später schlenderten wir durch die Stadt und schauten uns in Ruhe um. Auch in den weniger ansprechenden Gegenden. Als wir zum Hotel zurückkamen, wünschte ich mir allerdings nur noch eine Dusche. Simon hatte noch immer Dienst und Francis grinste plötzlich. Anscheinend hatte sie etwas vor. Tatsächlich trat sie zu mir: „Ist der nicht süß?“ fragte sie etwas zu laut.
Einige Passanten drehten den Kopf doch Simon stand weiterhin unbeteiligt da, als wäre nicht er gemeint.
„Meinst du, ich sollte ihn mal ansprechen“, tat Francis ganz schüchtern. Ich hatte Mühe, ernst zu bleiben und nickte nur zustimmend.
Francis blieb kurz bei Simon stehen, während wir in der Vorhalle warteten. Wir mußten uns alle das Lachen verkneifen.
„Stellt euch vor“, Francis strahlte, „er wartet nach Feierabend vor dem Hotel auf mich. Ist das nicht toll?“
Wir ließen uns die Zimmerschlüssel geben und wollten mit dem Fahrstuhl nach oben in den zweiten Stock fahren. Auf dem Weg zum Fahrstuhl kamen wir an einer Sitzgruppe vorbei. Dort saßen noch andere von uns und da ich keine Lust hatte hierzubleiben, ging ich allein nach oben. Ich wollte mich erst ein wenig frisch machen. Mit den Gedanken bereits unter der Dusche ging ich den Flur entlang. Plötzlich hörte ich eine Tür zuschlagen und hastige Schritte, die sich mir näherten. Ein unbestimmtes Gefühl sagte mir, daß es sich nicht um einen eiligen Hotelgast handelte, die Schritte klangen in meinen Ohren eher nach Flucht. Hastig sah ich mich nach einem Versteck um und verschwand schließlich in einer Nische, in der ein riesiger Pflanzenkübel untergebracht war und betete, daß mich die Pflanze ausreichend verdecken würde.
Ein Mann hastete vorbei und ich konnte sein Gesicht von der Seite sehen. Er hatte eine ausgeprägte Hakennase und trug einen Schnurrbart. Sein Gang verriet mir, daß er irgendwann einmal eine Beinverletzung gehabt haben mußte, denn er zog das Rechte ein wenig nach. Er war braungebrannt. Er sah so aus, als wäre er schon lange im Urlaub. Dann war er vorbei und ich wartete noch einige Augenblicke, ehe ich ins Zimmer huschte.
Ich vergaß diesen Vorfall nicht, widmete aber erst mal meine ganze Aufmerksamkeit dem Duschen. Das Bad war recht groß, ebenso das Zimmer. Vom Fenster aus hatte man einen wunderbaren Ausblick auf die Stadt. Zomar hatte dieses Hotel mit Bedacht gewählt. Außerdem konnte man das Zimmer notfalls durch das Fenster verlassen, denn in der Nähe gab es eine Feuerleiter und für uns Fighter war es kein Problem, dort hinunter zu klettern.
Als ich nach dem Duschen meine Haare von dem warmen Wind trocknen ließ, der durch das Fenster wehte, konnte ich hören, wie nebenan die Tür aufgeschlossen wurde. Da niemandem von uns dieses Zimmer gehörte, interessierte es mich nicht weiter. Doch was war das? Ein Schrei drang an mein Ohr und es kam eindeutig aus dem Nebenzimmer. Sofort rannte ich hinüber, der Schrei riß nicht ab. Ich klopfte an der Tür und plötzlich war Ruhe. Noch einmal klopfte ich und fragte, ob alles in Ordnung sein.
Nichts. Absolute Stille.
Vorsichtig öffnete ich die Tür, die eine Spalt offenstand.
„Hallo? Miß, kann ich ihnen helfen?“
Da traf mich ein Schlag im Nacken, der mich auf die Knie fallen ließ. Ich stöhnte. Wieder traf mich etwas und ich versuchte zu erkennen, wer da stand, sah jedoch nichts außer einem Umriß.
„Dieb, Einbrecher“, kreischte eine hysterische Stimme. Mir wurde klar, daß es dieselbe Frau war, die geschrien hatte. Verzweifelt versuchte ich ihr klar zu machen, daß ich ihr nur helfen wollte, aber sie hörte gar nicht hin. Sie hielt einen Spazierstock in der Hand und dachte gar nicht daran aufzuhören. Zum Glück war sie so durcheinander, daß sie mich nicht ernsthaft verletzte.
„Was ist denn hier los?“ Hinter der Frau tauchten Pascal und die anderen auf. Die Frau war für einen Moment abgelenkt.
„Verdammt, nehmt ihr bloß den Stock weg.“ Ich schrie fast und Theo kam meiner Aufforderung sofort nach. Die Frau blickte ihn verstört an.
„Also?“
„Hier wurde eingebrochen und ich dachte...Also ich wollte...“ Sie brach ab, unfähig auch nur einen klaren Satz zu formulieren.
Theo verstand: „Sie haben gedacht, der Dieb kommt zurück und wollten ihn unschädlich machen. Na, ist ihnen ja zum Glück nicht gelungen, das ist nämlich die Falsche.“
Jetzt sah die Frau richtig erschrocken aus. Pascal half mir beim Aufstehen.
„Alles in Ordnung?“
„Ich denke schon. Au.“ Ich betastete vorsichtig meinen Nacken.
„Scheint wohl doch nicht so in Ordnung zu sein. Eine hübsche Beule wird’s bestimmt.“
„Wenn es mal nur eine wäre.“
„Was ist denn hier passiert?“
Ich verdrehte die Augen. Rico hatte mir gerade noch gefehlt.



„Es tut mir wirklich leid. Wie konnte ich nur solch einen Fehler begehen, “ jammerte die Frau, die sich als Madame Licois vorgestellt hatte, zum x-ten mal. Langsam ging mir das auf den Geist.
„Autsch!“
„Verzeihung.“ Pascal legte den Eisbeutel vorsichtig in meinen Nacken. Nicht vorsichtig genug. Solange ich mich nicht bewegte ging es, ansonsten tanzten böse Zwerge in meinem Kopf. Außerdem waren es wirklich mehr als eine Beule.
Wir saßen im Zimmer von Madame Licois. Sie kam aus Frankreich. Viel Akzent hatte sie nicht. Sie hatte sich einen erholsamen Urlaub gönnen wollen.
„Und jetzt das. Können sie mir überhaupt verzeihen?“
Ich nickte, wenn auch ziemlich genervt: „Hören sie! Das was sie getan haben, war einfach nur Reaktion. Sie wollten sich nur schützen. Also hören sie auf, sich ständig zu entschuldigen. Einmal reicht völlig.“
Meine Worte waren vielleicht etwas hart, zeigten aber Wirkung. Sie hörte auf zu jammern und wir konnten endlich sachlich werden. Rico führte das Wort.
„Haben sie schon überprüft, ob etwas fehlt?“
„Nein, dazu bin ich noch nicht gekommen. Aber das geht schnell.“
Auf einmal wurde sie sehr lebendig und schaute ihre Sachen durch. Das Zimmer war ziemlich durcheinander gebracht worden. Umso erstaunter waren wir nach der Überprüfung. Stirnrunzelnd stand Madame Licois da.
„Und?“ Man sah Rico deutlich an, daß er langsam ungeduldig wurde.
„Es fehlt nichts.“
Rico sah aus, als würde ihn gleich der Schlag treffen.
„Geld, Schmuck, meine Schecks, alles noch da. Es fehlt nichts. Und dafür habe ich sie nun verletzt?“
Jetzt reichte es mir. Fing sie schon wieder an? Etwas umständlich stand ich auf und ging zur Tür. Pascal folgte mir.
„Wo willst du hin?“
Schon allein Ricos Stimme reizte mich bis aufs Blut; „Ich werde doch wohl in mein Zimmer gehen dürfen, ohne um Erlaubnis zu fragen“, zischt ich und ging.
Madame Licois schaute zwar etwas irritiert, schwieg aber.
„Was passiert denn nun?“ Francis brachte es auf den Punkt. Wir dürften und wollten nicht allzu sehr auffallen.
„Am besten ist es, den Hotelmanager zu informieren. Der soll dann entscheiden.“
Madame Licois erklärte sich einverstanden und marschierte los. Letztendlich wurde die Polizei rausgehalten. Uns war das ebenso recht wie dem Manager, dem die Sache natürlich peinlich war. Einzig der Hausdetektiv kam und stellte ein paar Fragen. Aber da nichts abhanden gekommen war, wurde der Vorfall bald vergessen.
Am Abend kamen die anderen noch einmal ins Zimmer, um sich nach meinem Befinden zu erkunden. Francis war nicht dabei, sie traf sich mit Simon. Dafür erschien Rico auf der Bildfläche und benahm sich natürlich nicht anders als sonst. Er machte mir Vorwürfe, ich hätte vorschnell gehandelt und unsere ganze Aktion damit gefährdet.
„Du hast sie wohl nicht mehr alle. Was hätte ich denn tun sollen? Mir die Ohren zuhalten?“
Pascal grinste. Ich war mal wieder in meinem Element und Rico brauchte mal jemanden, der kein Blatt vor den Mund nahm. Allerdings schien das an ihm abzuprallen. Er hörte gar nicht richtig zu.
„Du weißt ganz genau, daß wir kein Risiko eingehen dürfen.“
„Ja genau und wenn ich einem anderen Hotelgast zur Hilfe eile, wissen natürlich alle, weshalb wir wirklich hier sind.“
Pascal hätte fast laut gelacht. Rico dagegen wollte es nicht einsehen, wurde aber von Theo unterbrochen.
„Laß es Rico, Taris hat recht. Niemand wird etwas ahnen, andere hätten auch so gehandelt. Außerdem ist es besser, wenn wir jetzt gehen. Sie braucht noch etwas Ruhe.“
Rico schaute noch einmal kurz in die Runde und verließ dann mit den Anderen das Zimmer. Erleichtert ließ ich mich aufs Bett sinken.
„Gott sei Dank. Wie kann ein so ungehobelter und unqualifizierter Mensch nur die Leitung für eine Gruppe bekommen? Muß ein guter Schauspieler sein.“
„Ach, laß gut sein Taris. Es ist der erste Tag, wahrscheinlich ist er nur noch ein wenig nervös. Das gibt sich sicher.“
„Dein Wort in Gottes Gehörgang.“
Später als ich schon schlief, stand Pascal noch immer am Fenster und grübelte über den Vorfall nach. Er konnte nicht sagen, was ihn daran störte. Vielleicht die Tatsache, daß trotz der offensichtlich routinierten Hand nichts fehlte. Und es gab einiges, was sich gelohnt hätte.
Gerade als er das Fenster schließen wollte, hörte er eine Tür leise zuklappen. Flüchtig sah er auf die Uhr. Um diese Zeit konnte es keiner von ihnen sein. Aber wer war so spät noch unterwegs? Und war es nicht die Tür von Madame Licois gewesen? Schnell ging er zur Tür und versuchte sie möglichst leise zu öffnen.
Verdammt. Pascal hatte das offene Fenster vergessen und der Wind fauchte nun durch den geöffneten Spalt auf den Flur. Das war bestimmt nicht zu überhören gewesen. Rasch trat er auf den Gang hinaus und sah gerade noch eine Gestalt um die Ecke verschwinden. Pascal beeilte sich, kam aber zu spät. Die Fahrstuhltüren schlossen sich schon hinter dem Geheimnisvollen. Doch eines hatte er in den wenigen Sekunden bemerken können. Die Person, wer immer das auch war, zog das rechte Bein ein wenig nach.



Am nächsten Morgen weckte mich die Sonne, die mir ins Gesicht schien. Ich schlug die Augen auf. Der Platz neben mir war leer.
„Pascal?“
Der Gerufene kam aus dem Badezimmer.
„Morgen mein Schatz. Wie geht es dir?“
Ich bewegte den Kopf und verzog das Gesicht: „Ist vielleicht besser, heute hier zu bleiben. Ich kann mich nachher an den Pool legen oder so.“
„Schon klar. Ist wohl besser, wenn ich Rico Bescheid sage.“
Er grinste und beugte sich zu mir herunter. Blitzschnell packte ich zu und zog ihn ins Bett.
„Siehst du, so schnell geht das.“
Doch Pascal ließ sich das nicht so einfach gefallen und fing an mich zu kitzeln. Ich kam aus dem Lachen nicht mehr raus. Plötzlich klopfte es an der Tür.
„Moment.“ Pascal rappelte sich auf und ich verschwand schnell im Bad. Durch die Tür konnte ich hören, wie Pascal jemanden einließ und erkannte Theos Stimme. War Francis nicht mitgekommen? Da klopfte es an der Badezimmertür.
„He Taris, kannst du aufmachen?“ Also war Francis doch dabei. Ich öffnete ihr.
„Was machst du hier drin?“ fragte sie nicht ganz unberechtigt. Ich war ja nur geflüchtet, weil ich nicht wußte, wer da klopfte. Das sagte ich ihr auch.
„Ah ja, “ war ihr einziger Kommentar. „Was macht dein Kopf?“
„Sollte vielleicht mal saniert werden.“ Ich grinste etwas zaghafter. Lachen tat mir im Moment nicht sehr gut.
Francis schnitt eine Grimasse: „Laß mal sehen.“
Sie wußte genau, was sie tat, besaß sie doch eine Ausbildung zur Krankenschwester. Sie tastete meinen Hinterkopf und Nacken ab.
„Au, ein bißchen sanfter, wenn’s geht.“
„Schon gut. Ernsthafter als sonst ist nichts geschädigt.“
„Ha, sehr witzig.“
„Weißt du schon, was du heute machst?“
„Hierbleiben, mit einer Kühltruhe voll Eis?“
„Was die Kühltruhe angeht, bin ich mir nicht sicher, aber sonst dürfte es nicht falsch sein.“
„He, “ drang Theos Stimme durch die Tür, „seid ihr eingeschlafen?“
Rasch zog ich mir einen Bademantel über und öffnete dann ruckartig die Tür. Erschrocken zuckte Theo zurück: „Ah, doch nicht eingeschlafen. He, “ er stutzte, „du bist ja noch nicht angezogen. Willst du im Sommer Winterschlaf halten?“
Ich schaute Francis an: „Hach, ist er nicht wieder putzig?“
Theo grinste noch breiter: „Also, was ist?“
„Sie bleibt hier“, antwortete Pascal aus dem Hintergrund. „Ist besser so.“
„Gut, wir gehen schon vor. Rico wird entzückt sein.“ Theo verdrehte die Augen.
Pascal verabschiedete sich noch von mir: „Ruhe dich gut aus. Wir werden versuchen an Informationen zu kommen. Vorm Abendessen werden wir sicher nicht zurück sein.“
Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, legte ich mich wieder ins Bett. Ich hatte Zeit. Später, als mein Magen es verlangte, zog ich mich an und ging essen. Dabei traf ich einige aus der anderen Gruppe und kam mit ihnen zufällig ins Gespräch. Informationen hatten sie allerdings noch nicht. Am Nachmittag legte ich mich unter einen Sonnenschirm an den Pool. Meinem Kopf ging es schon besser, und morgen würde ich wohl wieder mit den anderen losziehen können. Kurz vor dem Abendessen zog ich mich wieder aufs Zimmer zurück. In Gedanken versunken stand ich am offenen Fenster. Ich überlegte, was wir bis jetzt wußten.
Hier in der Stadt machte sich ein Verbrecherring breit, durch den sich Prinz Zomar bedroht fühlte. Mit unserer Hilfe wollte er ihn auffliegen lassen. Ich seufzte. Viel war das nicht und es ergaben sich mehr Fragen, als beantwortet wurden. Wo hielten sich die Gangster auf und was war ihr Geschäft? Wie sollten wir an Informationen kommen? Die Polizei konnten wir ausschließen, die wußten nicht mal, daß es uns Fighter gab.
Plötzlich klopfte es und ich zuckte zusammen. Wer konnte das sein?
„Wer ist da?“
„Telegramm für sie.“
Ich runzelte die Stirn und nahm meine Waffe in die Hand. Niemand konnte wissen, daß wir hier im Hotel waren. Vorsichtig öffnete ich die Tür und atmete erleichtert auf. Es war Simon, in Dienstuniform.
„Ja bitte?“
„Ein Telegramm“, wiederholte er und sah sich kurz um.
„Frei?“ fragte ich.
Simon nickte und trat ein. Schnell schloß ich die Tür.
„Was ist los?“ Ich sah ihm an, daß es etwas Wichtiges war.
„Hier“, er reichte mir einen Zettel, „Zomar hat sich gemeldet und Rico ist nicht da.“
„Und was willst du dann bei mir? Warte doch, bis Rico wieder da ist.“
„Es scheint sehr dringend zu sein. Und nicht nur Rico ist unterwegs. Es ist fast niemand da und außerdem halte ich dich sowieso fähiger als Rico.“
„Oh, danke. Aber was ist mit der anderen Gruppe? Die haben doch auch einen Leiter.“
„Franko? Ich habe ihn zwar kurz gesehen, aber es verweist auch auf Rico. Befehl von oben.“
„Soll das heißen, Rico kann über alle entscheiden?“
Simons Gesicht war Antwort genug.
„Ich faß es nicht. Dieser...“ Ich sprach lieber nicht aus, was ich dachte, sondern las die Nachricht. Fragend schaute Simon mich an.
„Zomar fragt, wie wir vorankommen. Außerdem hat er einen Informanten ausfindig machen können. Leider sehr kurzfristig.“ Ich schaute auf die Uhr. „Rico wird es nicht schaffen. Laut Zomar soll er gehen.“
Ich zerknüllte wütend den Zettel: „Hat man denn versucht, ihn zu finden?“
„Ja, leider ohne Erfolg.“
„Dieser Kerl macht mich wahnsinnig. Was sollen wir denn nur machen?“
„Warum gehst du nicht?“
„Ich? Rico wird mich killen.“
„Warum? Er ist schließlich nicht da, um seine Sache zu erledigen. Und wenn du dich fit genug fühlst? Ich würde keinem außer dir die Sache anvertrauen. Selber kann ich nicht gehen, ich habe noch Dienst.“
Begeistert war ich nicht: „Man sollte Franko auf die Füße treten. Wenn Rico nicht zu erreichen ist, muß er einspringen. Er ist der nächste in der Kette, nicht ich.“
„Ich glaube, Franko hat im Moment auch Ärger mit einigen Leuten aus seiner Gruppe. Es ist bestimmt besser...“
„Schon gut, schon gut. Da anscheinend niemand bereit ist, werde ich gehen. Sollte Rico in der Zeit gnädigerweise auftauchen, sage ihm bitte, was Sache ist. Und jetzt geh, sonst fällt es noch auf.“
Als ich allein war, machte ich mich schnell fertig und warf noch einen Blick auf den Stadtplan. Ich hatte keine Schwierigkeiten, mich zurechtzufinden. Beim Verlassen des Hotels stand Simon wieder auf seinen Platz und hielt mir die Tür auf. Ich nickte ihm noch einmal kurz zu. Ich mußte mich beeilen, wollte ich pünktlich sein.
Mein Weg führte mich in die weniger bekannten Gebiete und zur Vorsicht hatte ich meine Waffe dabei. Was nicht bedeutete, daß ich mich besser fühlte. In einem Crashkurs hatte ich leidlich die Landessprache erlernt und ich hoffte, daß es hierfür reichte. Außerdem mußte ich hin und wieder nach dem Weg fragen, denn so leicht wie auf der Karte war der Weg nicht zu finden. Doch ich erntete nur ein Schulterzucken, wenn überhaupt. Also mußte ich mir selbst helfen und kam dementsprechend spät am Treffpunkt an.
Niemand war zu sehen und ich wurde leicht nervös. Hatte der Informant aufgegeben? Vielleicht dachte er, es würde niemand mehr kommen. Unbehaglich schaute ich mich um. Die Gegend trug nicht gerade dazu bei, mich wohler zu fühlen. Anscheinend mieden sogar die Einheimischen dieses Viertel. Meine Nervosität wurde immer stärker. Eigentlich fehlte nur noch ein heulender Wind und perfekt war die Kulisse für einen Gruselfilm. Heruntergekommene, zum Teil verlassene Häuser, enge Gassen, menschenleer. Hier konnte man nur eine Gänsehaut bekommen.
Da.
Schritte.
„Costa?“ fragte eine tiefe Stimme hinter mir.
Ich wollte mich umdrehen, doch eine Hand packte mich hart an der Schulter und hinderte mich daran.
„Kommst du von Costa?“
Im ersten Moment wollte ich den Kopf schütteln, doch dann fiel mir Zomars Berater ein und ich nickte.
„Gut. Warte kurz.“
Bevor ich etwas sagen konnte, band er mir eine Augenbinde um. „Zur eigenen Sicherheit und - mach keine hastigen Bewegungen. Man könnte das falsch auslegen. Komm.“
Der Mann führte mich durch das verfallende Viertel und schon nach kurzer Zeit verlor ich die Orientierung. Es ging so oft nach links und wieder rechts, daß ich das Gefühl nicht los wurde, im Kreis geführt zu werden. Ich konnte nur hoffen, daß man mich später wieder zum Ausgangspunkt zurückbringen würde. Plötzlich blieb der Mann stehen. Ich konnte nicht sagen, wieviel Zeit vergangen war, denn auch mein Zeitgefühl ließ mich im Stich.
„Warte hier.“
Der Mann ging fort und schlagartig kehrte meine Nervosität, gepaart mit Angst, zurück. Es war wirklich nicht angenehm, irgendwo mit verbundenen Augen zu stehen und selbst wenn ich die Binde abgenommen hätte. Ich wußte schließlich nicht, wo ich war. Zum Glück kam der Mann schnell wieder. Er schien meine Unruhe zu bemerken, denn er sprach mit mir. Seiner Aussprache nach mußte er ein Einheimischer sein. Sein Akzent verriet ihn.
Warum er wohl den gefährlichen Job eines Informanten machte? Die einzige Arbeitsmöglichkeit, Geld oder einfach nur, um Verbrecher hinter Gitter zu bringen? Irgendwie reizte mich das fast zum Lachen. Ich dachte hier über seinen Job nach, dabei war das, was wir machten nicht ungefährlicher, im Gegenteil.
„Wir sind gleich da und dann kannst du auch die Augenbinde abnehmen.“
Die Stimme des Mannes unterbrach meine Gedanken.
Jetzt ging es durch einen Hinterhof. Der Geruch von Abfall und Schmutz drang in meine Nase und ich unterdrückte nur mit Mühe ein Husten. Wir liefen auf Kopfsteinpflaster und es war feucht und glatt. Dies schien die Endstation der Stadt zu sein. Schlimmer ging es wohl kaum.
„Vorsicht jetzt.“ Der Mann packte mich im Genick und drückte mich ein Stück hinunter. Ich zuckte zusammen. Mußte er mich gerade da anfassen?
Wir gingen durch eine niedrige Tür und eine Treppe hinauf. Der Abfallgeruch wurde schwächer. Einen Gang lang und durch noch eine Tür, dann waren wir da. Der Mann nahm die Binde ab.
Ich blinzelte. Wir befanden uns in einem Raum, der früher wohl mal ein Wohnzimmer gewesen war. Jetzt gab es nur noch nackte Wände, an denen hier und da noch ein Fetzten Tapete hing, einen alten wackligen Tisch und umgedrehte Obstkisten, die als Sitzgelegenheit dienten. Hier hielt sich auf Dauer niemand auf, soviel war klar.
Ich stand vor drei Männer, was ich gerade noch erkennen konnte. Sie hatten eine Lampe auf den Tisch gestellt, die mir ins Gesicht schien. Ich drehte den Kopf ein wenig.
„Kommst du wirklich von Costa?“ Sein Unglaube und Mißtrauen war nicht zu überhören.
„Wen hast du erwartet? Rambo?“
„Mir wurde gesagt, ein Junge kommt.“
„Der ist gerade unterwegs und versucht an Informationen zu kommen.“
„Da sollte er aber aufpassen. Die Leute reden nicht gern und manche fackeln nicht lange.“ Er lachte kurz.
Langsam wurde ich ungeduldig: „Jetzt bin ich hier und ich würde gern hören, was sie mir zu sagen haben. Von Angesicht zu Angesicht. Mir ist es lieber, wenn ich weiß mit wem ich rede.“
„Das Licht bleibt. Das ist besser für uns und auch für dich.“
Ich versuchte die Männer umzustimmen, was mir aber nicht gelang.
„Hör zu. Ich weiß, weswegen ihr hier seid und daß ihr Hilfe braucht, um zur Lösung zu finden. Ich selbst kann mit der Nachricht nichts anfangen, ihr müßt von allein darauf kommen. Auch ich bekomme nur das Nötigste gesagt. Die Nachricht für euch lautet: Wenn rechts später als links kommt, müßt ihr in der Nähe suchen. Euer Hotel ist schön.“
„Ist das alles? Was soll man damit anfangen?“
„Haltet die Augen offen und ihr werdet es wissen. Ich denke, ihr seit schlau genug.“
Langsam wurde ich sauer. Für diesen Quatsch hatte ich mich bestimmt nicht in diese Gegend gewagt. Aber ich kam nicht dazu, noch irgendwas zu sagen. Ein weiterer Mann stürzte ins Zimmer und sagte etwas in fremder Sprache. Er wirkte sehr aufgeregt. Anscheinend lief das Treffen nicht ganz so glatt, wie geplant. Der Mann sprach zu schnell, als daß ich hätte alles verstehen können, aber jemand, der nicht erwünscht war, schien von unserem Treffen Wind bekommen zu haben.
Der Informant wandte sich mir zu: „Besser wir beenden dieses Gespräch. Costa weiß über die Zahlung Bescheid.“
Er gab dem Mann hinter mir einen Wink und ich konnte nicht mehr reagieren. Er drückte mir einen Lappen ins Gesicht und ein beißender Geruch stieg mir in die Nase.
Chloroform.
Es wirkte sehr schnell und ich spürte nur noch, daß mich kräftige Hände auffingen. Dann herrschte Dunkelheit.



Mit einem fürchterlichen Geschmack im Mund erwachte ich und setzte mich mit einem Ruck auf. Im nächsten Moment lag ich schon wieder langgestreckt am Boden, denn die Welt fing an, sich um mich zu drehen. Langsam atmete ich ein und aus und versuchte schließlich noch einmal aufzustehen. Allerdings mit Bedacht und es klappte. Ich schaute mich um.
Ich befand mich auf einer Wiese unweit eines Sees. Der Mond war schon lange aufgegangen und ich schaute auf die Uhr. Schon nach Mitternacht. Die anderen mußten sich große Sorgen machen.
Ein weiterer Rundblick ließ mich aufstöhnen. In weiter Ferne sah ich die Silhouette des Hotels. Es hatte eine untypische Bauweise und daher leicht zu erkennen. Ein schöner Fußmarsch stand mir bevor, aber wenigstens führte mich mein Weg durch die besseren Wohngegenden. Außerdem konnte man das Ziel nicht verfehlen.
Prächtige Häuser, teure Autos und große Gärten zogen an mir vorbei. Die meisten Gebäude waren angestrahlt und hier waren auch noch Menschen unterwegs. Die Nacht wurde zum Tag gemacht.
Anfangs fiel mir das Laufen noch etwas schwer, das Betäubungsmittel wirkte noch nach. Und so kam ich erst sehr früh im Hotel an. Wie schon erwartet, standen meine Freunde noch in der Hotelhalle und diskutierten. Sie verstummten, als ich eintrat. Pascal trat auf mich zu:“ Taris, was ist passiert?“
Ich winkte ab und Pascal verstand, daß ich nicht hier reden wollte. Gemeinsam gingen wir zur Sitzgruppe. Auch Lee hatte sich dazugesellt. Als ich jedoch Rico erblickte, verdrehte ich die Augen. Und ich gab ihm auch keine Gelegenheit zu meckern.
„Laß es sein. Das letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist einer deiner Predigten.“
„Na hör mal. Immerhin bin ich der Leiter der Gruppe.“
„Oh super, du Oberleiter.“ Meine Stimme war ein einziger Hohn. Ich wußte, eigentlich wäre es besser den Mund zu halten, aber ich wollte nicht.
„Wenn man dich mal braucht, bist du nicht da. Als ein so guter Leiter, für den du dich hältst, solltest du eigentlich wissen, daß gerade du dich immer in der Nähe aufhalten müßtest, für Notfälle wie diesen zum Beispiel.“
Ich winkte verärgert ab, als Rico etwas erwidern wollte und ging zum Fahrstuhl. Ich wollte meine Ruhe haben und nicht ständig Rico sehen. Die anderen folgten mir, nur Rico hielt es für besser, noch in der Halle zu bleiben. Er würde noch früh genug erfahren, was passiert war.
Die anderen kamen mit aufs Zimmer und es wurde eng. Ich erzählte alles. Vom Telegramm und der Suche nach Rico über die Männer bis hin zum Erwachen auf der Wiese und meinem Marsch zum Hotel. Über die Information wunderten sich alle. Selbst Lee, der sonst ein Genie war, wenn es galt Rätsel zu lösen, runzelte die Stirn.
„Was hat eine linke und eine rechte Seite, wobei die eine schnell ist? Wenn rechts nach links kommt...Also ich habe keine Ahnung.“
Aufgeregt ging er im Zimmer umher. Viel Platz dazu gab es nicht und die anderen mußten aufpassen, daß er ihnen nicht auf die Füße trat. Lee selber bemerkte es nicht, so vertieft war er in die Information. Unbewußt fuhr er sich öfter durchs Haar, so daß sie schließlich nach allen Seiten abstanden. Ich mußte lächeln. Wir waren schon eine verrückte Truppe, aber vielleicht war das ein Erfolgsrezept.
Lee’s Augen glänzten und er sprach mehr zu sich selbst, als zu uns: „Sehr merkwürdig das Ganze. Was sollen wir suchen? Oder vielleicht jemand?“
Plötzlich schaute er mich an: „Was glaubst du? Gehörte das mit dem Hotel dazu oder war das nur so dahin gesagt?“
„Wenn ich das wüßte.“ Ich verzog das Gesicht.
Auch Pascal überlegte: „Ich glaube, daß gehört dazu. Es könnte zum Beispiel bedeuten, daß wir hier anfangen sollen zu suchen.“
Lee spann den Faden weiter: „Das hieße dann, was auch immer links vor rechts bedeutet, ist im Hotel. Taris, fällt dir dazu nichts ein?“
Ich runzelte die Stirn. Irgendwas war mir in den letzten zwei Tagen entfallen, etwas, daß wichtig war. Ich mußte plötzlich an den Einbruch bei Madame Licois denken. Der Einbruch. Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Die anderen schauten mich erstaunt an.
„Mein Gott, mit Blindheit geschlagen. Wißt ihr noch, der Einbruch vor zwei Tagen?“ Ich ließ den anderen keine Zeit zum antworten und sprach schon weiter: „ Ich glaube, ich habe den Einbrecher gesehen.“
Simon zuckte mit der Schulter: „Ist ja schön und Madame Licois wird es sicher auch interessieren, aber was hat das mit dem Rätsel zu tun?“
„Sperr einfach die Ohren auf und hör zu. Also, als ich an diesem Tag vor euch nach oben fuhr, hörte ich auf dem Gang, wie eine Tür zuschlug. Hastige Schritte näherten sich mir. Ich weiß nicht wieso, aber ich versteckte mich. Vorn, dort wo die Nische mit dem Pflanzenkübel ist. Ein Mann eilte vorbei und ich konnte ihn nur kurz von der Seite sehen. Er hatte eine Hakennase, einen Schnurrbart. Vielleicht ein Einheimischer. Und außerdem, “ ich machte eine kurze Pause, „zog er ein Bein nach. Das rechte.“
Zuerst herrschte völlige Stille dann brach ein wahrer Proteststurm los.
„Taris, du spinnst.“
„Das kann doch gar nicht sein.“
So und so ähnlich lautete der Kommentar meiner Freunde und ich hob die Hände.
„Nun seit doch mal endlich leise.“
Es dauerte aber noch ein bißchen, ehe Ruhe einkehrte.
„Was ist denn nun so abwegig daran. Es paßt doch alles zusammen.“
„Aber wieso sollte er, wenn er unser Mann ist, im Hotelzimmer von Madame Licois einbrechen?“
„Vielleicht hat er das Zimmer verwechselt und wollte eigentlich in eines der unseren einsteigen. Als er das merkte, hat er die Flucht ergriffen.“
„Du meinst wirklich, er ist so dämlich?“
Ich zuckte mit den Schultern und Lee kam mir zur Hilfe: „Es ist unser einzige Spur bis jetzt. Vielleicht sollten wir wirklich hier anfangen. Schaden kann es nicht. Allerdings weiß ich nicht so recht, wie wir ihn finden sollen. Das Rätsel klingt so, als sollten wir tatsächlich im Hotel oder in der Nähe anfangen zu suchen. Doch ich glaube kaum, daß der Einbrecher hier wohnt.“
„Wohnen vielleicht nicht, aber es mag sein, daß er hier jemanden kennt.“ Und Pascal erzählte den anderen, was er letzte Nacht erlebt hatte.
Für einen kurzen Augenblick war es ruhig, dann sprang ich auf.
„Wo willst du hin?“ Simon sah mich an.
„Vielleicht ist Madame Licois noch wach.“
„Und wenn nicht?“
„Ich klopfe leise. Ist sie wach, wird sie es hören, wenn nicht...“ Ich zuckte mit den Schultern und schlüpfe zur Tür hinaus.
Leise klopfte ich und lauschte angestrengt, aber nichts rührte sich. Enttäuscht kehrte ich ins Zimmer zurück. Pascal umarmte mich kurz: „Das hat doch auch noch bis morgen Zeit.“
Ich nickte widerwillig. Jetzt, wo wir vielleicht weiter kamen wollte ich keine Minute ungenutzt verstreichen lassen.
„Wieso glaubst du eigentlich, daß sie uns helfen kann?“ Francis war etwas ratlos.
„Nun, vielleicht hat sie den Mann schon mal gesehen, hier im Hotel oder in der Nähe. Und irgendwo muß er letzte Nacht auch hergekommen sein.“ Ich seufzte.
Pascal merkte genau, was los war und nahm das Ruder in die Hand: „Theo, du unterrichtest bitte Rico. Nimm Simon mit, du wirst ihn brauchen.“
Theo grinste etwas gequält, verschwand dann aber mit Simon. Gerne taten sie es nicht.
„Francis, Lee, ihr müßt eure Gruppe auf Trapp bringen. Es reicht aber, wenn das morgen früh passiert. Und jetzt gehen alle ins Bett. Und ich meine wirklich alle.“
Dabei sah Pascal vor allem mich an. Gehorsam setzte ich mich auf das Bett. An ihm kam ich nicht vorbei. Als sich die Tür hinter unseren Freunden schloß, schob Pascal mich ins Badezimmer.
„Eine heiße Dusche wird dir jetzt guttun.“
Ich tat, was er sagte, doch entspannen konnte ich mich nicht. Aus einem Grund, den ich nicht mal richtig nennen konnte, war ich sauer. Ich war unzufrieden mit mir selbst und das merkte auch Pascal, als ich mich nach der Dusche aufs Bett fallen ließ. Ich zog meine Hände zurück, als er sie nehmen wollte, doch Pascal blieb ruhig.
„Was ist los mit dir?“
Ich zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht. Ich bin irgendwie...“ Hilflos brach ich ab.
„Kann es sein, daß du mit dem Ergebnis unserer bisherigen Arbeit nicht zufrieden bist?“
Ich nickte.
„Und wieso?“
„Ich...ich bin enttäuscht von mir. Ich weiß nicht wo ich war, bei wem ich war, ob wir die Informationen richtig gewertet haben.“
Ich war verzweifelt, doch Pascal ließ meine Argumente nicht zählen.
„Du hast das einzig Richtige getan. Niemand hätte sich den Weg merken können und der Informant wollte nun mal nicht, daß man ihn erkennt. Außerdem hat sich niemand außer dir bereit erklärt zu gehen. Und niemand kann dir Vorwürfe machen. Warum auch? Du hast dich richtig verhalten. Verstanden?“
Ich nickte und kurze Zeit später war ich eingeschlafen.



Wie zu erwarten, gab sich Rico nicht mit den Auskünften von Theo und Simon zufrieden, sondern sprach mich an, als ich gerade in den Speisesaal gehen wollte. Er stand so plötzlich vor mir, daß ich erschrak. Mein Unbehagen ihm gegenüber hatte sich nicht gelegt. Seine versteckte Kälte, seine ganze Haltung stieß mich ab. Und erst recht seine Vorwürfe. Ich würde nicht im Interesse der Gruppe arbeiten und verbat sich jegliche Einmischung, wenn er etwas zu entscheiden hatte. Sonst würde ich nicht mehr lange hier sein. Mich trafen diese Vorwürfe schwer und mein Stolz erwachte. Niemand sollte etwas von diesem Gespräch erfahren. Daß ich damit Rico in seiner Art nur unterstützte, wurde mir nicht bewußt.
Allerdings war mir auch der Appetit vergangen und ich beschloß, ein wenig durch die Anlage des Hotels zu schlendern. Hier traf ich auch Madame Licois wieder, die gleich auf mich zu kam und mich begrüßte.
„Hallo Taris. Gut geschlafen?“
Ich nickte.
„Weißt du eigentlich schon was Neues? Mir sagt man leider nicht viel.“
Ich schüttelte den Kopf, doch dann fiel mir der hinkende Mann ein. „Fragen sie Rico?“
„Rico? Ist das dieser überaus nette junge Mann?“ fragte sie mit einen ironischen Unterton.
Ich nickte nur kurz und knapp.
Madame Licois wurde mißtrauisch: „Was ist? Hat er dir wieder Vorwürfe gemacht? Du bist heute nicht sehr gesprächig.“
„Reden sie mit ihm. Ich werde mich besser auf den Weg zu meinen Freunden machen, die warten sicher schon auf mich. Schönen Tag noch.“
Zu schnell, als daß es nicht aufgefallen wäre, verabschiedete ich mich. Madame Licois war nicht dumm. Meine Freunde allerdings auch nicht und sie merkten es ebenso schnell. Kaum tauchte Rico auch nur in der Ferne auf, zog ich mich zurück. Und ihnen wurde klar, daß das Problem auch bei Rico lag. Doch weder aus ihm noch aus mir war etwas herauszubekommen. Doch dann traten Ereignisse ein, bei denen ich gar nicht mehr wußte, wie ich mich verhalten sollte.
Ich ging gerade mit Pascal, Theo, Simon und Francis durch die Hotelhalle, als ich abrupt stehen blieb. Theo stieß mit mir zusammen.
„Sag mal, spinnst du?“
Ich winkte ab und wandte mich an Pascal: „ Siehst du den Mann da hinten? Da, an der Tür zu den Gärten.“
Er nickte.
„Und? Kommt er dir bekannt vor?“
Das kam er nicht. Kein Wunder, hatte Pascal ihn doch noch weniger gesehen, als ich. Doch er ahnte, wer es war.
„Das ist der Mann, denn wir suchen, nicht war?“
„Jemand muß Rico holen.“
„Wieso Rico?“ wunderte sich Simon.
„Das ist seine Aufgabe.“ Meine Stimme klang gepreßt.
„Habt ihr euch deswegen in der Wolle gehabt? Hat er dir jegliche Handlung untersagt?“
„Spielt das jetzt eine Rolle? Rico muß hier sein, bevor der da weg ist.“
Simon übernahm diese Aufgabe und erstaunlicherweise war Rico leicht zu finden. Doch Simon schien ihm noch nichts erzählt zu haben und ich war erst recht nicht bereit dazu. Also opferte sich Pascal. Er zeigte ihm den Mann und auch Franko, der Leiter der anderen Gruppe, stieß zu uns. Francis hatte ihn benachrichtigt. Rasch besprach er sich mit Rico. Und obwohl der wenig begeistert war, so schnell handeln zu müssen, vertrat er die Meinung, daß man den Mann nicht aus den Augen lassen dürfte.
„Was sagst du?“ fragte mich Franko.
Im ersten Moment wollte ich schon antworten, doch ein eisiger Blick von Rico ließ mich nur den Kopf schütteln. Die anderen waren enttäuscht, hatten sie doch gehofft, Frankos Frage würde das Eis wieder brechen können. Franko hob nur die Augenbrauen, sagte aber nichts weiter dazu.
Ich zog Pascal zur Seite: „Dieser Vollidiot vergißt mal wieder die Hälfte. Es hieß, wir sollen in der Nähe suchen. Und wer bleibt hier? Keiner.“
„Warum sagst du es ihm nicht?“
Ich schnaubte verächtlich: „Warum sollte ich? Rico wird schon merken, was er mit seinem Verhalten anrichtet. Ich laß ihn rennen, er will es doch nicht anders.“
Irritiert über meinen Gefühlsausbruch schauten mich alle an, die meine Worte gehört hatten. Auch Pascal. Trotzdem versuchte er mit Rico zu reden. Aber zu spät. Der Mann hatte sich in Bewegung gesetzt und er hinterher. Er würde es nie lernen.
Ungehalten aber leise fluchte ich.
„Was regt dich so auf?“ fragte Simon plötzlich hinter mir.
Ich drehte mich um: „Rico, dieser Trottel. Er rennt wieder auf und davon anstatt...“
„Hierzubleiben“, vollendete Simon. „Schon klar und Pascal wollte ihn wohl aufhalten.“
Ich nickte: „Und jetzt können wir nichts machen.“
„Wieso nicht?“ Meine Freunde waren hinzugekommen und hatten meine letzten Worte gehört.
Unglücklich schaute ich sie an. Mir waren meiner Meinung nach die Hände gebunden. Pascal wußte, daß von meiner Seite aus nichts passieren würde und nahm die Sache in die Hand.
„Da du deine Gründe haben mußt, es nicht zu tun, werde ich jetzt die Gruppe übernehmen, bis Rico und Franko zurück sind. Wenn alle einverstanden sind.“
Keiner hatte etwas dagegen.
„Gut. Wir bleiben in der Nähe des Hotels. Vielleicht passiert noch was.“
Und ob noch etwas passierte. Ungefähr eine halbe Stunde später kam der Mann wieder zurück. Ohne Rico und Franko. Ich konnte mir ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Francis sah mich fragend an.
„Ich wette, Rico hat das ganze Kommando übernommen und sich austricksen lassen. Das heißt, wir müssen vorsichtig sein. Der Mann hat mit Sicherheit gemerkt, daß er verfolgt wird. Aber weiß er auch von wem?“ Wenn ja, könnte er auch wissen, daß wir dazugehören.“
Aber es sah nicht danach aus, als würde sich der Mann verfolgt oder beobachtet fühlen. Er ging hinaus in die Gartenanlage des Hotels und setzte sich dort auf eine Parkbank.
„Am besten trennen wir uns. In der Anlage fallen wir nicht auf und wir können vielleicht sehen, ob sich noch jemand für ihn...“
Ich brach ab. Verdammt. Jetzt hatte ich es wieder getan. Rico würde mich steinigen. Und ich wußte einfach nicht, was das Richtige war. Die Anderen schauten mich erwartungsvoll an und ich hielt es nicht mehr aus. Ich rannte davon. Einfach weg, weg vom Hotel und alles andere.
Ratlos blieben meine Freunde zurück. Pascal wurde langsam sauer: „Ich glaube ich weiß was los ist. Rico setzt sie unter Druck. Sie soll ihm die Entscheidungen überlassen, sich nicht einmischen. Doch das ist nun mal ihre Art. Außerdem möchte ich zu gern wissen, wie er sie dazu bringt, nichts zu tun.“
„Trotzdem sollten wir tun, was Taris vorgeschlagen hat. Ist ja auch nur logisch.“ Simon sah die Anderen an und die nickten.
Sie trennten sich und beobachteten. Doch es passierte nichts Aufregendes. Der Mann saß nur da und schien auf jemanden zu warten. Aber es kam niemand und es wurde ziemlich langweilig. Doch plötzlich sprach jemand Francis an. Sie drehte sich leicht erschrocken um. Ein Mann stand vor ihr. Er hatte hellblondes, fast weißes Haar, trug einen maßgeschneiderten weißen Anzug und weiße Schuhe. In der linken Hand hielt er einen Spazierstock. Alles im allen eine recht auffällige Erscheinung.
„Interessierst du dich für den Mann dort?“ fragte er und zeigte auf die Bank.
Francis verzog nicht eine Miene: „Nein, wie kommen sie darauf?“
Ihr Mißtrauen war geweckt. Hatte der Mann ihre Anwesenheit doch bemerkt und schickte jetzt jemanden zum Spionieren? Francis zog es vor, den Rückzug anzutreten.
„Sie haben sich geirrt. Bitte entschuldigen sie mich.“
Rasch ging sie zu Pascal hinüber, der natürlich alles mitbekommen hatte. Er wollte genaueres wissen, doch Francis hakte sich erst einmal bei ihm unter und spazierte los. Erst dann erzählte sie.
In der Zwischenzeit war ich wieder am Hauptplatz gelandet und setzte mich an den Brunnen. Ich war total frustriert. Einerseits wollte ich Rico nicht dazwischen funken, aber auf der anderen Seite zeigte sich, daß er oft nicht die nötige Courage und Einsicht besaß, um als Leiter fungieren zu können. Ich bildete mir nicht ein, es besser zu können, nur war es eben meine Art, das zu sagen, was ich dachte. Und auch zu helfen, wo ich konnte.
Plötzlich schlich sich eine leise Stimme in meine Gedanken: „Immer noch Ärger?“
Überrascht schaute ich auf. Madame Licois stand hinter mir. Um ihren Hals baumelte ein Fotoapparat und sie sah wie eine typische Touristin aus. Kurze Shorts, T-Shirt, Schlapphut und Sonnenbrille. Abgerundet durch ein paar Sandalen an den nackten Füssen. Ich musterte sie kurz. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig. Anscheinend ohne Partner und wohlhabend. Das sah man allerdings erst auf dem zweiten Blick. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Sie sah sehr gut aus.
„Und, zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“ fragte sie. Daß sie mich duzte, fiel mir erst gar nicht auf.
Ich zuckte zusammen, als mir bewußt wurde, daß meine Musterung wohl etwas zu intensiv ausgefallen war.
„Entschuldigen sie“, murmelte ich.
Sie lachte: „Keine Ursache. Du kannst mich übrigens duzen. Ich heiße Chantal.“
Sie reichte mir die Hand. Eine wohl nicht billige Uhr zierte ihr Handgelenk. Ich ergriff die dargebotene Hand: „Taris. Taris McWell.“
„Angenehm. Und, willst du dich nicht jemanden anvertrauen? Du kannst nicht immer alles hinunterschlucken, sonst wird es nur noch schlimmer.“
Ich zögerte, denn mein Stolz kehrte zurück. Außerdem wußte ich nicht, wieviel ich erzählen konnte, ohne daß etwas auffiel. Doch schließlich rang ich mich zu einer Erzählung durch. Ich blieb aber bei der Version der Reisegruppe und unterließ jedes Wort zur Organisation. Trotzdem erfuhr Chantal so einiges von Rico und mir und auch den Einbrecher erwähnte ich. Das interessierte sie besonders und Chantal versprach, sich ein wenig umzusehen.
Nach dem Gespräch fühlte ich mich besser. Wenigstens so lange, bis wir zum Hotel zurückkehrten und uns Rico über den Weg lief. Ich konnte ganz genau an seinem Gesicht ablesen, wie die letzte Zeit für ihn verlaufen war. Rico wußte das und es verbesserte seine Laune nicht gerade. Er war übers Ziel hinausgeschossen und niemand von uns war so dumm, es nicht zu bemerken. Anscheinend hatte er auch schon von meinen Einwänden erfahren, denn obwohl seine Worte noch vorsichtig gewählt waren, Chantal stand ja noch neben uns, war es mehr als deutlich für mich. Chantal allerdings machte kein Geheimnis aus der Sache und sagte Rico ihre Meinung. Jedenfalls so weit sie es wußte.
Doch damit half sie mir wenig. Rico sah es gleich wieder als Einmischung und Weitergabe von internen Informationen. Jetzt allerdings platzte mir bald der Kragen. Er hatte einmal zu viel den großen Boß raushängen lassen.
„Es ist wohl besser, wir diskutieren das im kleinen Kreis“, zischte ich.
Das taten wir dann auch und diesmal ließ ich mich nicht so schnell einschüchtern. Die anderen hörten unsere Stimmen noch auf dem Gang. Leider konnten sie dem Streit nur entnehmen, was gerade los war und nicht, wie er es schaffte, mich unter Druck zu setzten.
Sie hörten gerade Rico: „Was sollte das? Wieso hast du Madame Licois von unserer Arbeit erzählt?“
Für einen Moment war ich völlig sprachlos. Konnte Rico wirklich so dumm sein und denken, daß ich unsere Arbeit verraten würde?
„Nun mach aber mal einen Punkt. Ich habe mit Chantal nicht über unsere Arbeit geredet. Und ich weiß verdammt noch mal sehr gut, wie weit ich gehen kann.“
„Und der Unbekannte?“
„Daß sie von dem Einbrecher erfährt, ist ihr gutes Recht. Immerhin fand der Einbruch in ihrem Hotelzimmer statt. Und was den Rest angeht, das ist Privatsache und ich kann es erzählen, wem ich will. Sei nicht so dumm und glaube, daß ich mir alles gefallen lasse.“
Mit diesen Worten rauschte ich aus dem Zimmer und wäre fast mit Theo zusammengestoßen. Der Anblick meiner Freunde reizte mich zum Lachen. Auf allen Gesichtern war die gleiche Frage zu lesen. Was war los zwischen mir und Rico?
Mein Zorn verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war. Das Gespräch hatte mich befreit, aber ich wußte auch, daß es ein sehr trügerischer Selbstfrieden war. Ein falsches Wort und ich würde wieder kurz vor dem Platzen stehen.
Ich grinste und beschäftigte mich gleichzeitig mit der Frage, ob es je wieder ruhiger um meine Person werden würde. Wahrscheinlich nicht, so lange diese Operation lief. Deshalb war es ganz in meinem Interesse, den Verbrecherring so schnell wie möglich zu finden.
Von den Anderen wollte ich wissen, ob sich schon etwas Neues ergeben hatte. Francis erzählte von dem Mann in Weiß.
„Ist dir an ihm noch was aufgefallen? Wie hat er gesprochen?“
„Gesprochen? Na, ganz normal.“
„Ich meine, wie hat er dich gefragt? Normal, lauernd oder mißtrauisch? Daraus läßt sich schon eine Menge schließen.“
Francis überlegte: „Ich glaube eher lauernd. Und, was sagt uns das?“
„Daß er wahrscheinlich derjenige ist, den wir suchen. Im normalen Ton gefragt, wäre er nur ein Neugieriger gewesen, der euch zufällig gesehen hat. Mißtrauisch hätte heißen können, daß er dazu gehört und wissen will, wer ihr seit.“
„Klingt logisch. Das heißt, er meldet sich garantiert wieder.“
Ich nickte: „Und, weiß Rico schon Bescheid?“
„Ja.“
„Und?“
„Was und?“
Ich verdrehte entnervt die Augen: „Was hat er gesagt? Was sollen wir jetzt machen?“
„Na, aufpassen und beschatten.“
„Aufpassen und beschatten. Mehr nicht?“
Ich bekam keine Antwort, was allerdings auch nicht nötig war. Ich hätte es mir ja denken können.
„Der Typ macht mich irre. Ich sag doch zum Hund auch nicht nur geh, wenn er mir die Zeitung bringen soll. Etwas präziser muß es schon sein.“
Die Anderen grinsten.
„Also, es sollten immer ein paar von uns in der Halle sein, möglichst so, daß man die ganze Halle den Eingang zum Restaurant, den Tresen, die Fahrstühle, die Treppe und sämtliche Durchgänge im Auge hat. So kann er uns nicht entgehen oder überraschen, denn ich bin fest davon überzeugt, daß wir ihn unbedingt sehen sollen. Am besten stellen sich erst einmal Leute aus Frankos Gruppe zur Verfügung. Euch kennt er schon und ich bin sowieso schon aufgefallen. Und solange wir nicht sicher sein können, daß er wirklich auf unserer Seite steht, dürfen wir nicht leichtsinnig sein.“
Lee und Francis gingen los, um Franko zu unterrichten. Es war nicht schwer, ihn zu finden, denn meist hielt er sich in seinem Zimmer auf. Was ihn im Wesentlichen von Rico unterschied. Franko wußte wenigstens, wohin er gehörte. Und er teilte auch sofort die Wachen ein.



Zwei Tage später stürmte plötzlich ein Junge ins Zimmer. Gesehen hatte ich ihn schon mal. Er gehörte zu Frankos Gruppe. Namentlich war er mir unbekannt. Nach dem Klopfen wartete er kaum mein „Herein“ ab.
„Was gibt es?“
„Ich soll ausrichten, der Mann ist wieder aufgetaucht. Der in Weiß.“
Ich nickte und dankte dem Jungen. Entgegen Ricos Einverständnis kümmerte ich mich sehr intensiv um diese Angelegenheit, doch meine Freunde verstanden es prima, mich zu decken. Und da ich diesen Mann noch nie gesehen hatte, hatte ich darum gebeten, mich bei seinem Auftauchen zu unterrichten.
„Wo ist er jetzt?“
„Im Garten mit Pool.“
Das Hotel besaß eine riesige Anlage, die in verschiedene Gartenabschnitte unterteilt war. Für jeden Geschmack war etwas dabei und wir nannten die Gärten immer nur mit dem jeweiligen Angebot.
„Ist Pascal unten?“
Der Junge nickte.
„Gut, komm mit.“
Gemeinsam gingen wir zum Fahrstuhl. Unterwegs trafen wir auf Rico doch ich ignorierte ihn. Ärger konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Erstaunlicherweise ließ auch er mich in Ruhe.
Als ich in den Garten hinaustrat, kam mir Pascal entgegen. Unauffällig zeigte er mir den Mann. Zu übersehen war er allerdings nicht. Er trug nicht nur wieder einen weißen Anzug, er war auch ziemlich groß. Und sein fast weißes Haar fiel in der Sonne sowieso auf.
„Ist der andere auch hier?“
„Nein, was mich etwas wundert.“
„Ist doch logisch. Der ist wegen uns hier. Im Hotel wohnen tut er wahrscheinlich nicht und ein Neugieriger wäre nicht noch einmal gekommen. Fragt sich nur, ob Freund oder Feind.“
Uns blieb nichts anderes übrig als abzuwarten. Als Pascal für kurze Zeit im Hotel verschwand, traf mich fast der Schlag. Der Mann kam auf mich zu und sprach mich unvermittelt an.
„Bist du das Oberhaupt dieser Truppe?“
Erschrocken wich ich ein paar Schritte zurück. Ich gab keine Antwort, dazu war ich im Moment gar nicht fähig.
„Antwortest du nie?“
Jetzt fand ich endlich meine Sprache wieder: „Kommt darauf an, wer fragt.“
„Sehr schlau, wie? Also, bist du es oder nicht?“
„Können sie sich vielleicht etwas verständlicher ausdrücken.“
„Spiel nicht die Dumme.“ Der Mann klang reichlich ungeduldig. „Ich habe schließlich Augen im Kopf. Wenn du es bist, werden wir uns wiedersehen.“
Damit verschwand er und ließ mich recht verdattert zurück. Meine Freunde kreisten mich sofort ein.
„Und, was will er?“
„Er will was vom Oberhaupt. Ich gehe Rico suchen.“
Ich machte mich auf den Weg. Und diesmal war es leicht ihn zu finden, denn Rico war neugierig geworden. Ich klärte ihn auf.
„Und hat er gesagt, wann er wieder hier ist?“
„Schätze, wenn es soweit ist, werden wir es merken. Du auch.“
Ich grinste. Diese Spitze konnte ich mir nicht verkneifen. Ich ließ Rico stehen. Es war nun seine Angelegenheit. Wie sollte ich auch wissen, daß damit für mich noch längst nicht Schluß war?



An diesem Tag geschah, wie erwartet, nichts mehr. Auch der nächste war alles andere als aufregend. Ich ertappte mich dabei, wie ich immer nach dem Fremden Ausschau hielt, egal wo ich war. Was sollte das? Es war nicht mehr meine Sache sondern Rico’s. Rico selbst war ungeduldig. Wie immer. Niemand meldete sich um, vielleicht einen Treffpunkt bekannt zu geben.
Am späten Nachmittag dann die Überraschung. Als Pascal und ich den Zimmerschlüssel holen wollten, hieß es, eine Nachricht läge für mich vor. Irritiert nahm ich den Zettel entgegen und las.
„He, was ist?“ Pascal war neugierig.
„Das ist eher für Rico. Ein Treffpunkt.“
„Soll ich ihm die Nachricht bringen?“
„Danke Theo. Ist vielleicht besser.“
Theo verschwand. Er wußte, wie gern ich Rico mied.
„Was stand drin?“
„Ach Pascal, gar nicht neugierig?“ Es machte irgendwie Spaß zu lästern.
Pascal dagegen verzog das Gesicht.
„Ein Treffpunkt in der Nähe des Marktplatzes. Beim Colodos, dem Souvenirladen. Kurz nach Mitternacht.“
Pascal nickte und ich seufzte: „Was wird er diesmal anstellen? Ich mag gar nicht daran denken.“
Ich sah Rico an diesem Tag nicht mehr. Nachdem Theo ihm die Nachricht gebracht hatte, war er verschwunden. Ich ahnte es und erfuhr später auch, warum. Ich mußte feststellen, daß dies ausnahmsweise eine gute Idee war. Er wollte die Umgebung erkunden für den Fall, daß doch nicht alles so glatt ablief.
Als die Zeit des Treffens heran war, lag ich schon im Bett und quatschte noch mit Pascal. Lange würde ich allerdings nicht mehr wach sein, das spürte ich. So war es auch nicht erstaunlich, daß ich das Klopfen an der Tür überhörte. Pascal dagegen war noch wach und öffnete. Die Uhr zeigte eine Stunde nach Mitternacht.
Es war Rico, der eintrat und er sah nicht gerade erfreut aus. Er hielt sich auch nicht lange mit Vorreden auf.
„Schläft sie?“ fragte er und zeigte aufs Bett.
„Jetzt nicht mehr.“ Mürrisch blinzelte ich unter der Bettdecke hervor. „Hat das nicht Zeit bis morgen?“
„Nein, hat es nicht. Und ich sage dir, noch so etwas hat Konsequenzen.“
„Häh?“ Ich verstand rein gar nichts.
„Es war niemand da. Ich hab fast eine Stunde gewartet.“
„Niemand da?“ Ich wurde immer verwirrter.
„Nein, natürlich nicht. Wie sollte auch.“
„Ich verstehe nicht ganz. Wieso sollte niemand...“ Plötzlich begriff ich und es verschlug mir für einen Moment die Sprache. Doch bevor ich auffahren konnte, hob Pascal die Hand. Nur mühsam beherrschte ich mich.
„Du glaubst, daß war ein Scherz, nichts als eine Finte, um dich zu ärgern? Von mir?
Rico gab keine Antwort, aber das genügte.
„Verlaß sofort das Zimmer, bevor ich mich vergesse.“
Meine Stimme klang gefährlich leise und Rico trat vorsichtshalber den Rückzug an. Dann allerdings hatte Pascal viel damit zu tun, daß ich nicht das halbe Hotel zusammenschrie, so regte ich mich auf. Auch als wir endlich das Licht löschten, war meine Wut noch nicht verraucht.
Das war sie auch am nächsten Tag nicht, nur schwächer. Allerdings nur so lange, bis ich mit den anderen zusammentraf. Rico hatte seinem Unmut schon Luft gemacht. Und natürlich wollten alle wissen, was wirklich los war. Ein etwas unvorsichtiger Junge aus Frankos Gruppe fragte mich sehr direkt, ob ich es allein gemacht hätte.
Das war zuviel. Ich sagte allen Anwesenden meine Meinung. Laut und deutlich. Danach wagte keiner mehr etwas zu sagen. Ich kochte innerlich und zu Ricos Leidwesen lief er mir auch noch über den Weg. So kam auch er nicht ohne weiteres davon.
„Was bildest du dir eigentlich ein? Nicht nur, daß du die Unverschämtheit besitzt, mich zu verdächtigen, nein! Du mußt es auch überall verbreiten. Ohne jeglichen Beweis.“ Meine Stimme wurde immer lauter und Rico immer kleiner.
„Ich habe dich immer als Leiter akzeptiert, aber du machst es mir nicht gerade leicht. Du reitest auf deiner Stellung herum und denkst, außer dir hat keiner was zu sagen. Jetzt werde ich dir aber mal etwas flüstern. Ein guter Leiter ist der, der auch die anderen reden läßt und ihre Vorschläge gegebenenfalls annimmt. Merk dir das gut.“
Ich redete mir die ganze Wut von der Seele und auf einmal sah Rico gar nicht mehr so selbstsicher aus. Er ließ ein bißchen den Kopf hängen.
„Vielleicht hast du recht“, murmelte er.
Ich glaubte mich verhört zu haben. Rico gab nach.
„Aber“, Ricos Stimme wurde wieder fester, „wenn es kein Scherz war, was dann?“
Sein Ton gefiel mir nicht, doch bevor ich etwas sagen konnte, ging Pascal dazwischen: „Jetzt reicht es. Taris, du hast deine Meinung mehr als verdeutlicht. Mehr kannst du nicht machen. Rico, du solltest von deinen dämlichen Verdächtigungen Abstand nehmen. Wir wissen alle, daß Taris sich nicht auf solche Weise, wenn überhaupt, rächen würde. Das hat sie nicht nötig. Aber da die Frage nach der Bedeutung dieser Nachricht noch offen ist, schlage ich vor, treffen wir uns alle in zwanzig Minuten in der Halle. Bis dahin werdet ihr euch hoffentlich beruhigt haben.“
Ich warf ihm einen mürrischen Blick zu, denn so ganz einverstanden war ich nicht damit. Aber Pascal hatte recht. Ich hatte meinen Standpunkt vertreten und wir konnten uns eine zeitweilige Trennung in der Gruppe nicht leisten. Also schluckte ich meinen Ärger hinunter und folgte den anderen in die Halle. Rico verzog sich kurz aufs Zimmer. Zum Glück hatten die wenigsten aus der Gruppe etwas mitbekommen. Gut so, dachte ich. Es war schon genug Staub aufgewirbelt worden.
In der Halle kam uns Simon entgegen. Er hatte gerade Dienst. In der Hand hielt er einen Zettel, den er mir gab. Fragend schaute ich ihn an.
„Wurde für dich hinterlegt. Wann, keine Ahnung.“
„Danke.
Ein Verdacht stieg in mir auf und ich konnte gar nicht schnell genug den Zettel auseinanderfalten und lesen. Die wenigen Zeilen hatten es in sich. Ich las laut vor: „Was sollte das? Ich will das richtige Oberhaupt sprechen, nicht diesen Schwachkopf. Heute, Ort und Zeit wie gehabt.“ Keine Unterschrift oder sonstiges.
„Man, der schreibt genauso unwirsch, wie er spricht.“
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. Der Mann in Weiß war diese Nacht dagewesen, aber er hatte nicht mit Rico reden wollen. Wen dann? Diese Frage stellte ich auch laut. Es herrschte allgemeines Schweigen.
„Na klar.“
Erstaunt starrten alle Tan an, doch der ließ sich nicht beirren, sondern schaute mich an: „Der will dich. Für ihn bis du der Boß.“
„Ich? Du spinnst!“
„Ja, ja. Und weil ich so spinne, hinterläßt er jedesmal dir eine Nachricht. Überleg doch mal. Du warst beim Informanten. Du hast ihm gesagt, daß Rico nicht da ist und du für ihn einspringst. Wahrscheinlich kannte er den Mann in Weiß und hat ihm von dir erzählt. Mich würde es auch nicht wundern, wenn er uns schon länger im Visier hatte, noch bevor wir ihn bemerkten. Und meist warst du an der Spitze, immer vorne weg. Schlußfolgerung? Er hält nicht viel von Rico und sieht dich ganz oben. Wie fast alle von uns, denke ich.“
„Ach hör auf.“ Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoß und Tan grinste.
„An deiner Theorie könnte was dran sein. Und es gibt eine einfache Methode, um das herauszufinden.“
„Und die wäre?“ fragte Theo.
„Ganz einfach“, Lee grinste, „Taris geht hin. Mehr als Rico kann ihr nicht passieren.“
Dieser meldete sich in dem Moment aus dem Hintergrund: „Was ist denn hier los? Eine Verschwörung?“ Er lachte.
Betont langsam drehte sich Tan zu ihm um: „Wer weiß, wer weiß!“
Ricos Lachen hörte abrupt auf und er sah mich an. Ich hob nur kurz die Hände, um meine Unschuld zu symbolisieren, hatte aber dummerweise den Zettel vergessen. Doch was machte das schon? Verheimlichen konnten wir es ihm sowieso nicht.
„Was ist das?“ fragte Rico. Sein Interesse erwachte sofort.
„Vielleicht die Lösung.“ Zögernd gab ich ihm den Zettel. Begeistert würde er nicht sein.
Und das war er auch nicht. Seine Gesichtsfarbe war ein ständiger Wechsel. Erst empört rot, dann weiß und schließlich wieder rot, was Ärger signalisierte.
„Wann ist das gekommen?“
Ich zuckte mit den Schultern: „Simon hat ihn gebracht und der weiß es auch nicht.“
Noch einmal sah Rico auf die Nachricht: „Wen will der Kerl denn sonst sehen? Franko?“
Ich schüttelte vorsichtig den Kopf und druckste ein wenig herum. Ich hatte mich gerade mit ihm arrangiert und ich konnte mich noch gut an seine Anordnung erinnern. Daher wollte ich nicht so rechte raus mit der Sprache. Tan hatte damit allerdings weniger Probleme.
„Ob es dir nun gefällt oder nicht. Wir glauben, daß er nur mit Taris reden will. Für ihn ist sie der Boß.“
Ich zog den Kopf ein, aber das erwartete Donnerwetter blieb aus. Rico nickte nur, wenn auch etwas widerwillig.
„Wenn er so will, bitte. Es ist im Interesse der Gruppe. Also komm mit. Ich sollte dir vielleicht noch etwas die Gegend erklären.“
Meine erstaunten Freunde blieben in der Halle zurück und auch ich wußte nicht, was ich über diesen erstaunlichen Sinneswandel sagen sollte.
Rico redete lange und ausführlich mit mir über die Geographie dieser Gegend. Er konnte auch die verschiedenen Häuser gut beschreiben. Ich kam zu dem Schluß, daß genau hierin seine Stärke lag. Ich selbst mußte zugeben, daß ich das alles nicht so genau wußte, obwohl ich schon oft in der Nähe gewesen war.
Über die vergangene Nacht und die neue Nachricht verlor Rico kein Wort mehr, und ich war ihm dankbar dafür. Ich ahnte nicht, daß es in Rico keineswegs so ruhig aussah.
Später zog ich mich aufs Zimmer zurück, um mich voll auf das Treffen konzentrieren zu können. Irgendwann gesellte sich Pascal dazu. Arm in Arm lagen wir auf dem Bett und ließen unseren Gedanken freien Lauf. Trotz meiner Versuche es zu verdrängen, tauchte immer wieder Rico in meinen Gedanken auf. Aber so ist es immer. Der sicherste Weg etwas nicht zu vergessen, ist der Versuch, es zu verdrängen.
Ich sah zu Pascals Gesicht hinauf, das ein paar Zentimeter über mir war. Ich liebte besonders seine Augen, die immer einen sanften, leicht verträumten Ausdruck trugen. Er bemerkte meinen Blick und schaute mich an.
„Was ist los mit dir?“
„Weißt du“, umständlich setzte ich mich auf, „Rico geht mir nicht aus den Kopf.“
„Ist zurzeit wohl auch schwer möglich, wo er doch kurzfristig unser Vorgesetzter ist.“
Unter normalen Umständen wäre ich auf Pascals spöttischen Ton eingegangen, aber jetzt war nichts normal.
Ich schüttelte den Kopf: „Darum geht es nicht. Oder vielleicht doch. Ach, ich weiß nicht genau.“
„Ganz ruhig. Versuch einfach, deine Gedanken in Worte zu fassen. Fang mit dem an, was gerade greifbar ist.“
Ich holte tief Luft und nickte: „Also, daß erste, was mich beschäftigt ist, wieso ich?“ Ich achte nicht auf Pascals verständnislosen Blick und fuhr fort: „Ich meine, wieso hat er mich ständig im Visier? Vom ersten Tag unserer Mission an, hat er mich auf dem Kicker. Weißt du noch?“
Pascal nickte. Das war an dem Tag der Kontaktaufnahme zu Francis gewesen.
„Nun, ich bin nicht die einzige, die Vorschläge bringt oder mit seinen Entscheidungen nicht einverstanden ist. Aber ich bekomme mit ihm Ärger. Ist das normal? Und wieso ist er überhaupt Gruppenleiter geworden? Da ist Franko wesentlich geeigneter. Der weiß wenigstens seinen Leuten zuzuhören.“
Ich war aufgesprungen und ging im Zimmer auf und ab. Pascal ließ mich reden. Er wußte, daß war eine Gelegenheit zu erfahren, was da in letzter Zeit wirklich abgelaufen war.
„Warum hat nicht ein anderer das Sagen? Vielleicht wäre...“ Ich brach mitten im Satz ab.
„Vielleicht wäre was?“ Pascal stand langsam auf und kam zu mir. „Was Taris? Vielleicht wäre dann alles anders gekommen? Meinst du das?“
Ich antwortete nicht, doch das war Antwort genug.
„Was hätte denn anders werden sollen? Geht es um das Treffen heute? Glaubst du, daß, wenn Franko der Leiter wäre, er heute zum Treffen gehen würde? Ich glaube, der Mann hat dich ganz bewußt ausgewählt.“
„Aber warum? Ich will das nicht.“ Ich schwieg kurz, dann sagte ich leise: „Ich habe Angst.“
Pascal nahm mich in den Arm. „Wovor Taris. Wovor hast du Angst?“
„Wieso hat er mich ausgesucht? Weil ich ein Mädchen bin?“
„Und was ist mit Francis? Sie ist doch auch eins. Nein, wenn er dir etwas hätte tun wollen, hätte er es anonym getan. Außerdem ist es doch nicht so leicht. Wer dir zu nahe kommt...“ Pascal grinste.
Bis zum Zeitpunkt des Aufbruchs gelang es Pascal mich zu beruhigen. Der Portier schaute etwas verwundert, als ich so spät das Hotel verließ. Es kam nicht oft vor und bei mir war es schon das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit. Auf den Straßen war genauso wenig los und ich hatte eine geteilte Meinung darüber. Einerseits hatte ich eine bessere Kontrolle, denn bei den wenigen Menschen konnte sich niemand so ohne weiteres an meine Fersen heften. Andererseits boten die Dunkelheit und die Häuser genügend Schutz und es war niemand da, der mir im Fall der Fälle hätte helfen können. Also war doppelte Vorsicht angesagt.
Der Weg zum Marktplatz kam mir unendlich lang vor, doch als ich ankam, hatte ich plötzlich das Gefühl, daß die Zeit schneller verging. Zu schnell, wie ein kurzes Vorbeihuschen. Meine Schritte hallten ungewöhnlich laut in der finsteren Nacht und nicht einmal der Mond spendete mir etwas von seinem silbrigen Licht.
Vorsichtig, immer im Schatten der Häuser, umrundete ich den Platz. Das Wasser des Brunnen plätscherte leise vor sich hin und machte mich nervös. Es schien mir, als würde dieses Geräusch alles andere übertönen. Die Nacht gaukelte mir Schatten vor, die es nicht gab, Geräusche, die nie wirklich an mein Ohr drangen. Ich trieb meine Fingernägel tief in meine Handflächen und der Schmerz half. Er verscheuchte meine düsteren Gedanken und schärfte meine Sinne. Plötzlich war die Nacht nur eine Nacht wie sonst auch, die Schatten harmlos und keine Gangster, die sich jeden Moment auf mich stürzen würden. Die Geräusche schmolzen zusammen zu einem Tappen von Katzenpfoten auf dem Kopfsteinpflaster.
Beruhigt ging ich weiter. Ich erkannte die Gegend aus Ricos Erklärung. Hier ein besonderes Haus, da ein Merkmal, der mir den Weg wies.
Pünktlich traf ich am vereinbarten Ort ein. Jetzt konnte ich nur warten und hoffen, daß ich auch die Richtige war. Wenn auch ich es nicht sein sollte, wer weiß? Vielleicht würde der Mann in Weiß es sich dann anders überlegen und den Kontakt abbrechen. Ich fröstelte und zog den Kopf zwischen die Schultern, was aber weniger an den Temperaturen lag. Auch in der Nacht wurde es hier in der Stadt nicht kalt. Da hatte ich schon andere Nächte erlebt draußen in der Wildnis.
Nein, es lag vielmehr an der Umgebung. Es erinnerte mich sehr an das Treffen mit dem ersten Informanten. Er war nicht die beste Gegend, obwohl der Hauptplatz nicht allzu weit entfernt lag und die Häuser sahen schon leicht heruntergekommen aus. Hinter einigen wenigen Fenstern brannte noch Licht. Ich war mir sicher, wenn hier jemand um Hilfe schrie, würde sich niemand daran stören. Das einzige, was diesen Stadtteil von den anderen unterschied war, daß hier alles sauber war. Kein Abfall türmte sich in den engen Gassen und eine überquellende Mülltonne war selten. Es hätte schließlich mal sein können, daß sich doch ein Tourist hierher verirrte.
Langsam wurde ich nervös und begann mit kleinen Schritten hin und her zu gehen. Verdammt, wie lange sollte ich den noch warten?
„Nervös?“ fragte plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir.
Zu Tode erschrocken fuhr ich herum
„So schreckhaft?“ Der Mann vor mir lachte leise.
Jetzt erkannte ich ihn. Es war der Mann in Weiß.
Erleichtert stieß ich die Luft aus, die ich unbemerkt angehalten hatte. Ich schaute ihn mir genauer an. Den weißen Anzug hatte er zu Hause gelassen oder wo er sonst seine Unterkunft hatte. Er trug nur schwarze Sachen und war vor dem dunklen Hintergrund der Häuser kaum zu erkennen. Außerdem bewegte er sich nahezu lautlos.
„Ich soll wohl tot umfallen?“ fragte ich, um meinen Schrecken zu überspielen. Allerdings verriet mich meine leicht zitternde Stimme.
„Das wäre aber schade.“ Wieder lächelte der Mann, wurde dann aber wieder ernst. „Bei euch scheint so einiges schiefgelaufen zu sein.“
Ich runzelte die Stirn. „Wie kommen sie darauf?“
„Nun, bei euch stehen die falschen Leute an der Spitze. Wieso gerade dieser Trottel?“
Ich zuckte mit den Schultern, hatte aber Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Immerhin war ich der gleichen Meinung. Doch es ging jetzt nicht darum, wer hier was zu sagen hatte.
„Also, was ist?“
Der Mann schaute mich kurz prüfend an: „Ich dachte, du wärst geduldiger.“
Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Seufzen. Was sollte das? Wir waren nicht hier, um über mich zu reden. Und das sagte ich ihm auch.
„Schon gut. Aber wir sollten nicht hier reden.“
Er zeigte auf ein Haus, ein Stück die Straße hinunter. Ohne auf eine Antwort zu warten ging er los, ich folgte ihm. Was blieb mir auch anderes übrig?
„Übrigens, du kannst mich Ted nennen. Mit wem habe ich die Ehre?“
Ich überlegte kurz, ob ich wirklich meine Namen sagen sollte und entschied mich dafür. Ted würde sicher Mittel und Wege finden, um uns zu überprüfen. Außerdem stand er auf unserer Seite.
„Ich bin Taris.“
„Taris? Seltener Name.“
Ich schwieg. Was sollte ich auch dazu sagen? Er hatte ja recht.
Bis wir im Haus waren, schwieg auch Ted. Die Wohnung, in die er mich führte bestand aus zwei Zimmern, einer Miniküche sowie einem Raum mit WC und Handwaschbecken. Man konnte sich kaum darin drehen.
Ted zeigte auf einen Stuhl und setzte sich selbst mir gegenüber.
„Ich seid also auf der Suche nach einem Verbrecherring. Und der Mann mit der Hakennase ist das Verbindungsglied, die heiße Spur.“
Ich nickte.
„Bei mir seid ihr richtig, ich kann euch helfen.“
„Der Informant sprach zwar in Rätseln, aber es ist uns schließlich doch gelungen, die Botschaft zu entziffern.“
„Ja, ja, Informanten können listig sein. Aber es stimmt. Der Mann mit der Hakennase interessiert mich genauso wie euch. Und ich kann Hilfe gebrauchen. Der Mann ist Inder und verkehrt oft im Café Harlek im Südviertel. Ich glaube, dort lohnt es sich anzusetzen.“
„Und wozu brauchen sie uns?“ Ich zweifelte.
Ted lächelte. „Ich wußte, ich habe die richtige Wahl getroffen. Und du hast Recht. Eigentlich wäre das alles kein Problem, aber der Mann ist vorsichtig. Was also wäre unauffälliger als jungendliche Touristen, die die Stadt erkunden? Jugendliche trifft man überall. Und ihr könnt euch abwechseln, ich wäre immer allein. So was fällt auf.“
„Und wenn es uns nicht geben würde?“
„Ihr seid doch hier, oder?“ Ted wich meiner Frage aus und ich beschloß, später noch einmal darauf einzugehen.
„Besprecht es unter euch, ob ihr mir helfen wollt. Ich melde mich.“
Ich stand auf. Das Gespräch war beendet, ich würde nichts mehr erfahren. Aber auch dieses Treffen hatte nicht viel gebracht. Im Grunde genommen hatte ich nichts erfahren, was Ted mir auch hätte woanders sagen können. Auch der schriftliche Weg hätte dazu gereicht. Wozu also dieses Geheimtreffen? Und wieso dieses Gehabe um die richtige Person? Bei den dürftigen Informationen konnte sogar Rico nicht übers Ziel hinausschießen.
Rasch lief ich zum Hotel zurück. Ich mußte sofort mit den anderen reden. Der Portier hatte seinen Dienst in der Zwischenzeit beendet. Mir konnte es nur Recht sein. Der Empfangschef hockte gelangweilt hinter dem Tresen und blätterte in einer Zeitung. Seinem Gesicht nach kannte er sie inzwischen schon auswendig.
Als ich durch die Tür in die Halle kam, schaute er auf. Er hätte glatt ein Verwandter des Hotelmanagers sein können. Vielleicht war er es auch. Der gleiche schwarze Schnurrbart, sorgsam gestutzt, schwarze Haare und dunkle Augen, die sich fast unter den dichten Augenbrauen verloren. In den Augen trat ein interessierter Ausdruck, der sich aber schnell wieder verlor, als er erkannte, daß ich keine Abwechslung in seinen langweiligen Nachtdienst bringen würde.
Ich verzichtete auf den Fahrstuhl und wetzte die Treppen hinauf, den Gang entlang und öffnete die Zimmertür.
Wie angewurzelt blieb ich stehen, denn mir schaute nicht nur ein Augenpaar entgegen. Simon, Theo, Francis und auch Rico waren anwesend. Auf dem Fensterbrett saßen Tan und Lee.
„Großversammlung?“ fragte ich belustigt und schloß die Tür hinter mir.
„sollte etwa kein Grund anliegen“ fragte Pascal vom Bett her.
Ich ließ mich neben ihm nieder und zog in aller Ruhe meine Schuhe aus. Ich selbst platzte auch schon fast vor Ungeduld, fand aber Gefallen daran, die anderen noch ein wenig zappeln zu lassen. Schließlich suchte ich mir noch eine gemütliche Sitzposition.
Ich mußte mir das Grinsen verkneifen als ich die Gesichter der anderen sah. In ihnen spiegelte sich die Ungeduld, gepaart mit brennender Neugier. Nur Ricos Gesicht verfinsterte sich zusehends. Typisch, dachte ich.
„Was ist denn nun?“ Ich schaute zu Theo. Der hielt grinsend ein Kissen hoch.
Im gespielten Entsetzen hob ich abwehrend die Hände.
„O.k., o.k., ihr habt gewonnen.“
Ich fing an zu erzählen. Niemand sagte ein Wort. Auch als ich mit meinem Bericht fertig war, herrschte Schweigen. Jeder dachte über die Aufgabe nach. Ich schaute nur Rico an. Es war eher seine Entscheidung.
Nach ein paar Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, nickte er. Mir viel ein Stein vom Herzen. Auch die anderen waren für eine Beschattung unsererseits. Jetzt mußte nur noch die andere Gruppe benachrichtigt und überzeugt werden. Besonders natürlich Franko. Allerdings glaubte ich nicht, daß das ein Problem werden würde. Ich behielt recht.
Und so konnte ich zwei Tage später Ted unsere Unterstützung zusagen. Er wirkte erleichtert. In den zwei Tagen hatten Rico und Franko auch die Spähtrupps eingeteilt. Ich hielt mich da raus. Sollten sie nur machen. Es gab dabei keine Schwierigkeiten, so daß wir nur noch auf grünes Licht von Ted warten mußten.
Überall sah man Fighter mit erwartungsvollem Gesicht umherschleichen. Kaum einer der Eingeteilten verließ das Hotel. Und wenn, dann nur kurzfristig. Und man wußte auch immer, wo man sie zu suchen hatte. Keiner wollte den ersten Einsatz verpassen.
Endlich war es soweit. Der Mann mit der Hakennase war gesichtet worden. Sofort hefteten sich ihm einige Fighter an die Fersen. Nach kurzer Zeit lösten sich die Gruppen ab. Niemand sollte allzu lange in der Nähe des Inders bleiben. Das Unternehmen lief wie am Schnürchen.
Die Tage vergingen, ohne daß etwas Aufregendes geschah. Wie Ted mir gegenüber schon erklärt hatte, verschwand der Mann öfter im Café Harlek. Dieser Teil des Unternehmens blieb den Jungen vorbehalten, denn die Frauen dieser Gegend betraten solche Geschäfte nie. Um nicht aufzufallen, blieben auch Francis und ich diesem Café fern.
Auch sonst war ich nicht oft draußen. Die meiste Zeit wartete ich im Hotel auf die Berichte der Späher. Langsam wurde ich ungeduldig. Es geschah nichts, was uns hätte weiterhelfen können. Und meine Unruhe breitete sich langsam auf die ganze Gruppe aus. Es mußte etwas passieren.
Als die Moral der Gruppe schon fast am Boden war, tat sich auch endlich etwas. Ich hatte gerade mit Tan Wachdienst im Hotel, als ein Junge hereingestürmt kam. Am Eingang sprach er kurz mit Simon, der wieder Dienst hatte und kam dann zu uns. Er wirkte unsicher.
Fragend schaute ich ihn an. Er wußte anscheinend nicht so recht, was er sagen sollte und verhaspelte sich schon nach den ersten Worten. Tan kam ihm zur Hilfe.
„Setz dich erst mal und hol tief Luft.“ Er drückte den Jungen auf einen Liegestuhl.
„Wie ist dein Name?“ fragte ich ihn, denn er kam mir überhaupt nicht bekannt vor.
„Peter.“
„O.k. Peter. Jetzt erzähl mal in Ruhe, was los ist.“
„Ja, also, ich und zwei andere von Frankos Gruppe hatten gerade die Überwachung übernommen, als der Mann zum Industriegebiet abbog. Von da an mußten wir vorsichtig sein, denn wir sagten uns, Touristen gibt es zwar überall, aber im Industriegebiet würden wir doch zu sehr auffallen.“
Ich nickte zustimmend und Peter zeigte ein zaghaftes Lächeln. Mir fiel auf, daß er mehr zu Tan als zu mir sprach.
„Er ging aber nicht ganz hinein ins Gebiet, sondern bog ab zum stillgelegten Hafen im Norden.“
Ich runzelte die Stirn und Tan klärte mich auf: „Im Norden lag früher der wohl wichtigste Hafen der Umgebung, aber irgendwann wurde ein neuer gebaut. Der alte Hafen verfiel. Jetzt gibt es dort nur leerstehende Lagerhäuser und vielleicht mal ein altes Fischerboot.“
Peter nickte: „Ja und in einem dieser Lagerhäuser ist der Mann verschwunden. Die anderen haben mich sofort zurückgeschickt.“
„Findest du das Lagerhaus wieder?“
Peter nickte wieder. „Außerdem warten dort noch die anderen.“
„In Ordnung, wartet kurz. Ich werde jemanden zum Wachdienst holen und mich umziehen.“
Schnell sprang ich vom Liegestuhl auf und war schon verschwunden. Auf dem Weg nach oben traf ich Franko in Begleitung zweier Fighter. Ich schickte sie zu Tan. Der sollte ihnen den Sachverhalt schildern.
Rasch zog ich mich um und hinterließ noch eine kurze Nachricht für Pascal. Ich wußte nicht, wo er im Moment steckte und ob wir ihn noch treffen würden. Sicher war sicher.
Als ich auf den Gang hinaustrat, öffnete sich die Tür zum Zimmer nebenan und Chantal schaute heraus.
„Hallo Taris. Wie geht’s?“
„Gut, aber ich habe jetzt leider keine Zeit. Ich komme später noch einmal zu ihnen.“
„Ist es wegen des Einbrechers?“
„Nein.“ Dann war ich um die Ecke verschwunden.
Ich hatte gelogen, doch wie hätte ich ihr die Situation erklären sollen? Nachdenklich ging Chantal ins Zimmer zurück.
Als ich wieder in die Hotelhalle zurückkehrte, warteten Tan und Peter schon. Franko war nicht anwesend.
„Wo ist Franko?“ wollte ich wissen.
„Er hat sich bereit erklärt, Rico, Pascal oder sonst jemanden zu suchen, den er mit der Nachricht betrauen kann. Die zwei, die bei ihm waren, habe ich zum Wachdienst eingeteilt.“
Ich nickte. Das war auch meine Idee gewesen.
„Dann kann es losgehen. Peter, geh du voraus, wir folgen dir in ein paar Meter Abstand.“
Während Peter losmarschierte drehte ich mich zu Tan um: „Sag mal, was erzählt man sich in eurer Gruppe so über mich?“
„Was meinst du?“ Tan tat ganz unschuldig.
„Hör schon auf. Peter ist froh, wenn er nicht in meiner Nähe ist. Andererseits hat er ein zustimmendes Nicken vorhin gern erfaßt. Also?“
Tan grinste etwas verlegen, aber seine Augen blitzten vor Vergnügen: „Ricos Stellung ist allgemein bekannt. Nun weiß man aber auch, daß nicht jeder damit so einverstanden ist.“ Tan machte eine kurze Pause.
„Persönlich war zwar kaum jemand dabei, aber ihnen sind die, äh, Meinungsverschiedenheiten zwischen euch natürlich bekannt.“
Mir fiel das Zögern von Tan auf: „Sag doch gleich, unsere Streitereien.“
„Wie auch immer. Niemand sonst legt sich so offen mit Rico an, allein schon seiner Position wegen. Du löst daher bei ihnen fast schon Ehrfurcht aus. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, daß einige lieber dich an Ricos Stelle...“
„Das hatten wir schon. Themawechsel.“
Zum Glück dauerte es nicht mehr lange bis wir am Hafen eintrafen und das Gespräch fand ein Ende. Zum meinem Unglück benahmen sich auch die beiden anderen wie Peter und mir war klar, ich mußte etwas sagen.
„Jetzt hört mir mal zu. Egal was vorgefallen ist, ich bin nicht anders als ihr. Also scheut euch nicht, mich anzusprechen. Verstanden?“
Stumm nickten die drei. Ich seufzte und beschloß, mich später darum zu kümmern. Jetzt gab es Wichtigeres.
„Also, welches Lagerhaus ist es?“
Peter zeigte auf ein langgezogenes Gebäude, das fast am Wasser stand. Es war das Letzte in der Reihe der Hallen. Man sah, daß die Zeit des Hafens schon lange vorbei war. Die Anlagen waren verrottet und nur noch der Rost hielt sie zusammen. Ebenso war es mit den letzten verbliebenen Hinweisschildern. Sie schaukelten im lauen Wind und quietschten dabei jämmerlich. Die Lagerhäuser selbst sahen auch nicht besser aus. Putz bröckelte von den Wänden und die Tore waren ebenfalls abgegriffen. Trotzdem zweifelte ich nicht daran, daß sie noch immer ihrem Zweck dienten. Nämlich Unbefugten den Zugang zu verwehren. Überall sah man zerbrochene Fensterscheiben, durch die schaurig der Wind pfiff. Nirgends sah man eine Menschenseele.
„Ist er noch drin?“
„Ja.“
Das Lagerhaus, auf das es uns ankam, hatte eine leichte Dachschräge. Ich sah, daß es auch dort oben Fenster gab, durch die man ins Lagerhaus hineinsehen konnte. Es würde hoffentlich kein Problem werden, hinaufzukommen. Ein paar alte Container wurden uns auf dem Weg genügend Schutz bieten.
Nachdem ich die Lage gepeilt hatte, drehte ich mich zu den anderen um: „Peter, du und deine Freunde paßt auf, daß uns niemand überrascht. Tut irgendwas, wenn sich jemand nähert, aber bitte so, daß man nicht gleich weiß, daß wir hier sind.“
Einer der Jungen meldete sich schüchtern zu Wort: „Ich kann wie ein Käuzchen rufen.“
„Das ist gut. Wenn ihr jemanden von weitem seht, ruft einmal. Ist es schon zu spät, zweimal. Dann wissen Tan und ich, daß uns nur noch ein Versteck bleibt. Tan, nähere du dich dem Gebäude von dieser Seite. Ich komme vom Wasser. Alles klar?“
Die anderen nickten.
„Sollten wir in einer halben Stunde noch nicht zurück sein, läuft einer von euch zum Hotel und gibt Alarm.“
Ich gab Tan das Zeichen zum Aufbruch. Im Schutz der Container huschte ich zu den Anlegestellen hinüber. Hier sah man noch deutlicher den Verfall. Das Holz der Stege war verquollen von der Feuchtigkeit und oft auch zerbrochen. Es befand sich auch kein Boot auf dem Wasser.
Ich drehte mich zum Lagerhaus um und hatte Glück. Ein alter Verladekran, der nahe am Lagerhaus stand, würde mir den Weg aufs Dach erleichtern. Rasch lief ich hinüber und kletterte vorsichtig die Leiter nach oben. Bald darauf befand ich mich in Höhe der Regenrinne. Jetzt gab es nur noch ein Hindernis. Zwischen mir und dem Dach klaffte eine Lücke. Aber ich schätzte, daß das mit einem Sprung zu bewältigen war. Ich konzentrierte mich, sammelte meine ganze Kraft und - sprang.
Fast wäre es mein letzter Sprung geworden. Die Sprossen waren durch die feuchte Meeresluft glitschig geworden und ich rutschte ab. Ich sah die Häuserwand auf mich zuspringen und packte nur noch zu. Gerade eben noch bekam ich die Regenrinne zu fassen. Schmerzen schossen durch meine Finger, als ein paar Nägel abbrachen. Ich spürte warmes Blut. Ein schmerzhafter Ruck ging durch meine Schultern, als diese plötzlich mein ganzes Gewicht zu spüren bekamen. Mein Schwung riß mich mit und ich krachte gegen die Wand. Plötzlich schienen meine Knie in Flammen zu stehen. Ich stöhnte auf vor Schmerz. Zum Glück ließ es schnell wieder nach.
Nur mühsam unterdrückte ich einen Fluch und zwang mich, ruhig zu atmen.
Es half.
So gut es ging, schaute ich mich um. Hier hängenbleiben konnte ich wohl schlecht. Blieb die Frage, wie ich hier wieder wegkam.
Ein paar Meter weiter führte die Regenrinne zum Boden. Schaffte ich es bis dahin, konnte ich mich zum Dach hinaufhangeln. Vorsichtig löste ich eine Hand und griff ein kleines Stück daneben wieder zu. Erneut erwachte der ziehende Schmerz in meinen Schultern, aber ich biß die Zähne zusammen. Da mußte ich durch. Jetzt die andere Hand. Und wieder ein Stückchen.
Plötzlich ein Knirschen. So leise, daß ich es fast überhört hätte. Aber eben nur fast. Langsam schaute ich nach oben. Mir wurde eiskalt und ein Schauer lief mir den Rücken hinab. Langsam, wie in Zeitlupe, bog sich die Regenrinne durch. Mein Gewicht war für die altersschwache Rinne zuviel. Ich mußte mich beeilen.
So schnell und so vorsichtig wie möglich, hangelte ich mich weiter. Erneut erklang das Knirschen. Diesmal lauter. Putz rieselte langsam zur Erde. Ich betete für ein paar Sekunden mehr Zeit. Der Schweiß brach mir aus.
Endlich, das Rohr. Hastig griff ich danach und wäre fast abgerutscht. Doch ich schaffte es aufs Dach hinauf.
Schwer atmend blieb ich liegen. Ich konnte nur hoffen, daß niemand etwas von meiner Rettungsaktion mitbekommen hatte.
Plötzlich hörte ich leise Schritte, die sich mir näherten. Erschrocken schaute ich auf. Aber es war nur Tan, der von der anderen Seite kam. Besorgt ließ er sich neben mir nieder.
„Was ist los?“
Kurz erklärte ich es ihm.
„Ohne ein bißchen Aufregung kommst du nicht aus, was?“ flachste er.
Ich verzog das Gesicht: „Zuviel kann unter Umständen tödlich sein.“
Tan beeindruckte das überhaupt nicht. Er grinste: „Wie ich sehe, hast du es aber gut überstanden.“ Dann wurde er wieder ernst.
„Die Typen müssen so ziemlich genau unter uns sein. Ich konnte auf meiner Seite nichts entdecken.“
Plötzlich hörten wir unter uns ein klirrendes Geräusch. Erschrocken fuhr ich zusammen. Jemand fluchte. Stumm zeigte ich auf ein Fenster, das einen Spalt weit offenstand. Gemeinsam schlichen wir hinüber und spähten hindurch. Zuerst sah man gar nichts, denn es war dämmrig im Innern.
Als sich unsere Augen an das Dämmerlicht gewöhnten, gewahrten wir einige Männer. Sie standen fast unter uns und mir kam es wie ein Wunder vor, daß noch niemand Notiz von uns genommen hatte. Die Männer diskutierten heftig. Leider verstanden wir kein Wort davon, denn es war nicht unsere Sprache.
Der Anblick des Inders jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Man konnte ihm seine Kampferfahrung ansehen, auch wenn er nur so dastand. Er drückte es irgendwie körperlich aus und ich hoffte, nie allein an ihn zu geraten.
Neben den Männern standen eine Menge Kisten. Erstaunlich, wenn man bedachte, daß hier schon lange keine Lagerhaltung mehr stattfand. Zuerst irritierte mich das etwas, doch plötzlich fiel mir was dazu ein. Tan sah mich an. Anscheinend hatte er die gleiche Idee. Wir schlichen ein Fenster weiter, bekamen aber von hier oben nicht heraus, was sich in den Kisten befand.
Ich schaute auf die Uhr. Die vereinbarte Zeit war fast herum. Ich stieß Tan an.
„Wir müssen zurück, sonst schlagen die anderen noch Alarm. Im Moment können wir sowieso nichts ausrichten und erfahren werden wir auch nicht mehr.“
Tan wollte an meiner Seite hinunterklettern, aber ich schüttelte den Kopf. Hier wollte ich bestimmt nicht noch mal lang. Tan verstand mich sehr gut und so schlichen wir zur anderen Seite, in der Hoffnung, daß die Männer so in ihr Gespräch vertieft waren, daß sie uns nicht hörten.
Wir rutschten an einer Laterne in die Tiefe, die genau am Lagerhaus stand und huschten schnell zu den anderen.
Eine Überraschung erwartete uns. Rico, Pascal, Theo und Francis warteten ebenfalls auf uns. Hinter einem der anderen Lagerhäuser zogen wir uns zurück. Erleichtert ließ ich mich in Pascals Arme sinken.
„Was ist denn los?“ wunderte dieser sich.
Tan übernahm zuerst das Reden: „Ihr wißt, was Sache ist? Klar, sonst wärt ihr nicht hier. Taris und ich haben uns getrennt und sind aufs Dach rauf.“ Er ließ nichts aus, auch nicht mein Mißgeschick.
Während Tans Berichterstattung verfinsterte sich Ricos Gesicht zusehends. Was hatte er denn jetzt schon wieder?
Theo hatte eine Frage: „Und was glaubt ihr, ist da los? Was sind das für Männer?“
„Schmuggler“, antworteten Tan und ich wie aus einem Mund.
Tan schaute mich an und grinste: Noch so eine Schlaue.“
Ich schnitt ihm eine Grimasse: „Wir sollten uns langsam verdrücken. Nicht, daß man uns doch noch erwischt.“
Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden, doch Rico konnte mal wieder seinen Mund nicht halten: „Taris, wir sollten uns mal unterhalten.“
Ruhig schaute ich ihn an: „Was gibt’s?“ Ich wußte ganz genau, was los war, aber was sollte ich denn tun, wenn er nie zur Stelle war?
Doch Rico sah das nicht ein. Er wollte mir mal wieder vorpredigen, was er davon hielt und wer hier das Sagen hatte. Zur Enttäuschung von Peter und seinen Freunden blieb der erwartete Ausbruch meinerseits aus. Ich blieb ruhig und sagte kaum ein Wort. Sollte er doch reden.
Im Hotel wurde eine Versammlung einberufen. Er wurde vereinbart, noch ein wenig zu forschen. Wir brauchten handfeste Beweise dafür, daß hier wirklich Schmuggler am Werk waren.
Und diese Beweise wurden uns auch geliefert. Nach viel Geduld und natürlich viel Geld. Ohne Geld lief so gut wie gar nichts mehr. Außerdem half uns Ted, an die nötigen Informanten heranzukommen. Wir bekamen sogar heraus, um was für Schmuggelware es sich handelte. Es waren Waffen sämtlicher Art. Wir hatten nicht so viel Ahnung davon, aber auch wir erkannten, daß die Ware einen unermeßlichen Wert haben mußte. Diese Waffen in den falschen Händen...?
Erneut fand in unserem Zimmer eine Miniversammlung statt. Franko hatte eine wichtige Nachricht für uns und brachte Ted gleich mit. Mir selbst war in seiner Gegenwart nicht ganz wohl. Warum wußte ich nicht. Aber ich bemerkte, daß es Rico auch nicht paßte, das Ted dabei war. Das war das einzig Gemeinsame zwischen uns.
Zur Versammlung gehörten Pascal, Francis und Theo, Simon, der heute frei hatte, Lee, Tan und ich. Der harte Kern, wie wir von den anderen nur genannt wurden. Außerdem waren Rico, Franko und Ted anwesend. Es wurde recht eng und Francis und ich flüchteten uns aufs Fensterbrett.
Franko erzählte gerade von seiner Wachschicht. Unser Gebiet hatte sich noch ausgeweitet und betraf auch ein altes Fabrikgebäude, denn auch dort konnte man den Inder in den letzten Tagen oft sehen. Hier war es aber schon schwerer, die Männer zu überwachen. Trotzdem war Franko dort gewesen und hatte sogar Interessantes gehört.
Morgen Abend soll das Ganze über die Bühne gehen. Sie wollen das Zeug ins Fabrikgebäude schaffen. Um Mitternacht ist dann das große Treffen. Mehr konnte ich leider nicht herausfinden.“
„Ist ja auch genug.“ Pascal winkte ab.
Ich sagte nichts, denn Rico hatte mich die ganze Zeit über scharf beobachtet und ich hatte wenig Lust, mich gerade jetzt mit ihm anzulegen. Ich grübelte lieber über das eben Gehörte nach. Irgendwas störte mich daran. Ich schaute mich um und mein Blick fiel auf Ted. Er wirkte irgendwie... ja, wie? Aufgeregt, nervös, unsicher? Sein Verhalten konnte ich mir nicht erklären und mir fiel noch etwas ein. Er hatte uns nie verraten, warum er hinter dem Inder her war.
War es das, was mich störte?
Ted hatte immer nur vom Inder gesprochen, nie von der ganzen Bande. War er ein Agent oder von der Polizei? Ich konnte mir beides bei ihm irgendwie nicht vorstellen. Warum also dieser Aufwand?
Und es gab noch ein Problem. Wir waren nur hier, um die Bande auszukundschaften und nicht, um sie auffliegen zu lassen. Dafür wollte uns Zomar extra seine Leute schicken. Das hatte er uns versprochen. Doch was war jetzt? Die Zeit reichte niemals aus. Sicher, sie hätten es noch geschafft, in die Stadt zu kommen und was dann? Wir waren es, die sich hier auskannten, nicht die Soldaten. Es blieben uns noch etwas mehr als vierundzwanzig Stunden. Genügte das? Rico mußte das so schnell wie möglich klären.
Frankos Worte fielen mir ein. „Sie wollen alles ins Fabrikgebäude schaffen.“ Ich runzelte die Stirn. Das Lagerhaus war doch viel sicherer. Von dort aus konnte man leicht übers Wasser flüchten. Ich schüttelte den Kopf. Das ergab doch alles keinen Sinn.
Plötzlich fühlte ich mich beobachtet und schaute rasch auf. Dabei begegnete ich Teds Blick. Er sah mich neugierig an. Wahrscheinlich war ihm meine Grübelei aufgefallen. Und im gleichen Augenblick wußte ich, daß ich ihn nicht mochte. Auch mißfiel mir, daß er unsere ganze Planung mit anhörte. Und als hätte Rico meine Gedanken gelesen, hob er die Versammlung auf. Er wollte sich zurückziehen, um in Ruhe nachdenken zu können.
Für einen winzigen Moment veränderte sich Teds Gesichtsausdruck. War es Wut, Enttäuschung? Gleich darauf hatte er sich wieder in seiner Gewalt. Er tat so, als sei nichts gewesen und niemand sonst schien etwas bemerkt zu haben.
Die Versammlung zerstreute sich, Rico kam jedoch schon kurze Zeit später zurück. Es war offensichtlich, daß er nur Ted hatte loswerden wollen. Er hatte schon mit dem Prinzen telefoniert und der hatte uns die endgültige Entscheidung überlassen, denn ich hatte zu Recht vermutet, daß die Zeit knapp werden würde. Allerdings hielt er uns auch für so fähig, sollten wir uns dafür entscheiden, die Bande selbst hochzunehmen. Auf die Polizei konnten wir leider immer noch nicht hoffen. Für den Fall der Fälle hatte Rico schon einen Plan ausgetüftelt. Später stellte sich heraus, daß alle, nach Abwägung aller Gefahren, sich für eine Operation unsererseits entschieden hatten. Niemand wollte den Prinzen im Stich lassen. Als Rico Pascal seinen Plan mitteilte, hörte ich nur mit einen Ohr hin und beschäftigte mich im Bad. Pascal würde mir schon alles erzählen. Nur, daß es nicht viel zu erzählen gab.
Rico hatte die Besten ausgesucht, die diese Operation unternehmen sollen. Der Rest würde im Hotel warten und notfalls zur Hilfe eilen. Eine halbe Stunde vor Mitternacht wollten wir bei der Fabrik sein, um noch einen passenden Gefechtsstand zu finden.
Später, als Rico das Zimmer verlassen hatte, unterhielt ich mich mit Pascal. Der harte Kern war die eine Gruppe, die Rico aufstellen wollte. Die anderen kannte ich nicht so sehr. Auf dem Fabrikgelände würden wir uns nochmals trennen.



Am Tag der Entscheidung spürte man eine gewisse Hektik und Aufregung in allen Zimmern. Es herrschte eine Spannung, die aber nicht unbedingt unangenehm war. Es war einfach das Warten auf die kommenden Ereignisse.
Ich wollte mich noch ein wenig entspannen und war auf dem Weg zum Pool. Ungeduldig wartete ich auf den Fahrstuhl. Warum dauerte das so lange? Endlich war er in diesem Stockwerk angelangt und die Türen öffneten sich. Ich verharrte mitten im Schritt und starrte in Teds Gesicht. Auch Ted wirkte erschrocken, aber bevor ich mir sicher sein konnte, hatte er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle. Er lächelte, aber mir lief es eiskalt den Rücken runter. Sein Lächeln kam mir irgendwie falsch vor.
„Hallo Taris. Alles klar?“
Innerlich verdrehte ich die Augen, lächelte aber zurück. „Was soll denn nicht in Ordnung sein?“
„Na ja, kein bißchen aufgeregt oder so?“
Ich schüttelte den Kopf. Ted mußte nicht alles wissen.
„Wann geht es denn los oder darfst du nichts sagen“ fragte er im beiläufigen Ton.
Ich war vorsichtig. Mir gefiel die Befragung nicht und seine Neugier störte mich. Es schien mir ratsamer, ihn mit einer Anwort abzuspeisen.
„Wir werden kurz nach Mitternacht dort sein. So können wir sicher sein, daß alle, die dazugehören, auch anwesend sind.“
Ted nickte: „Gut überlegt. Dann will ich dich nicht länger aufhalten. Bis dann.“ Er winkte kurz und verschwand.
Ich runzelte die Stirn, denn ich fragte mich, was er gerade hier oben wollte. Kannte er hier jemanden?
Ich grübelte noch darüber nach, als ich zum Pool kam. Und so bekam ich auch nicht mit, daß ein Ball angeflogen kam. Er traf mich am Kopf. Ich schreckte aus meinen Gedanken auf und sprang zur Seite. Leider war dort kein Boden mehr und mit einem Aufschrei verschwand ich im Wasser. Schimpfend und wasserspuckend kam ich wieder an die Oberfläche. Ich schwamm zum Rand und zog mich hinauf. Pascal hielt mir ein Handtuch entgegen, das ich wortlos entgegennahm. Dann drehte ich mich um.
„Welcher Witzbold war das?“ Jeder konnte hören, daß ich ziemlich sauer war. Schweigen breitete sich aus.
Schließlich trat Peter kleinlaut und verschüchtert hervor. „Ich war es.“ Seine Stimme war so leise, daß ich ihn kaum verstand.
Ich seufzte. „Vergiß es.“
Ich ging wieder ins Hotel, Pascal folgte mir. Auf dem Weg zum Fahrstuhl trafen wir Simon. Er war im Dienst und begleitete gerade zwei Herrschaften. Sein fragender Blick entging mir keineswegs.
Oben verschwand ich sofort im Badezimmer, um mich umzuziehen. Eine Erkältung war das Letzte, was ich gebrauchen konnte und ich hatte mein Erlebnis zu Anfang dieses Abenteuers noch nicht vergessen.
„Warum hast du Peter einfach so davonkommen lassen? Das wolltest du doch eigentlich nicht, oder?“
Mit einem Handtuch auf dem Kopf, das ich zu einer Art Turban geschlungen hatte, kam ich aus dem Bad. Pascal stand am Fenster und starrte hinaus. Unser Zimmer lag auf der Rückseite des Hotels. In der Ferne blitzte das blaue Band des Meeres.
„Nach allem, was zwischen mir und Rico vorgefallen ist, habe ich bei Peter und seinen Freunden einen Stein im Brett. Du weiß doch, die, die beim Lagerhaus waren.“
Pascal nickte.
„Nun, sie erstarren fast vor Ehrfurcht, wenn sie mich nur sehen. Ich habe es noch nicht geschafft, ihnen das auszutreiben. Hätte ich ihn jetzt zusammengestaucht, hätte ich ihn total verunsichert. Und das können wir uns nicht leisten.“ Ich zuckte bedauernd mit den Schultern.
Nebenan hörte ich die Tür klappen.
Chantal.
Wieder mal runzelte ich die Stirn. Da war noch etwas, was Wichtiges. Mir fiel aber nicht ein, was. Pascal schaute auf die Uhr.
„Wollen wir noch einen Happen essen gehen?“
Ich nickte. Mich zog es im Moment nicht unbedingt zum Pool. Im Speisesaal trafen wir Theo und Francis. Sie hatten schon von dem Vorfall gehört, und zumindest Theo konnte sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen: „Badezeit? Ist das Jahr schon wieder um?“
Ich knuffte ihn in die Seite: „Nicht frech werden hier.“
Theo grinste nur.
„Worüber hast du nachgedacht?“ Francis kannte mich genau. Sie wußte, daß ich nur dann so unachtsam war, wenn ich mit den Gedanken woanders war. Ich erzählte ihnen von meiner Begegnung mit Ted. Pascal nickte anerkennend, als ich von meiner ausweichenden Antwort Ted gegenüber sprach.
Ich lächelte und knabberte gerade an einer Mohrrübe, als Rico in der Tür zum Saal erschien. Suchend sah er sich um.
„Hier sind wir Rico, hier“, flüsterte ich mit Grabesstimme. Die anderen lachten.
Rico kam tatsächlich zu uns herüber und ich machte, daß ich davonkam.
Den Rest des Tages verbrachte ich mit Training und Erholung. Beim Training leistete mir Tan Gesellschaft. Wir waren perfekt aufeinander eingespielt, da er denselben Kampfstil ausübte. Phasenweise nahmen wir das Training nicht allzu ernst und alberten mehr herum als alles andere, bis wir vor Lachen fast am Boden lagen.
Am Abend trafen sich fast alle im Speisesaal. Niemand ließ sich seine Unruhe besonders anmerken. Der harte Kern saß wie üblich zusammen. Auch Simon war jetzt dabei.
„Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?“ fragte er.
Lee schaute auf: „Wir können uns in einen der Gärten setzten. Jetzt, wo es dunkel wird, stört uns dort niemand. Erst morgen ist Festbeleuchtung.“
Lee sprach damit ein Fest an, das am nächsten Tag stattfinden und bis in die Nacht dauern sollte. Es hatte etwas mit der Tradition des Landes zu tun und das Hotelmanagement machte da keine Ausnahme.
Lees Vorschlag wurde begeistert aufgenommen. Tan und ich nutzten die Ruhe, um zu entspannen und über unsere Vergangenheit zu reden. So verging die Zeit wie im Flug und ehe wir uns versahen, war es daran, sich umzuziehen und das Hotel zu verlassen.



Jeder von uns war jetzt schwarz gekleidet und damit es nicht zu sehr auffiel, verließen die meisten das Hotel nicht auf herkömmliche Weise. Von unserem Fenster aus konnte man auch gut hinabklettern. Draußen trafen wir uns wieder.
Die Gruppen waren allerdings noch einmal geändert, der harte Kern aufgesplittet worden. Und das nicht gerade zu meiner Zufriedenheit. Pascal befand sich in der anderen Gruppe, dafür hatte ich Rico neben mir.
Lautlos huschten wir durch die Straßen. Keiner sah oder hörte uns. Bei der Fabrik trafen sich alle kurz wieder. Noch kleinere Gruppen wurden gebildet. Jede mußte einen Teil der Fabrik überwachen und auskundschaften. Ich wußte nicht wie, aber jemand hatte einen Grundriß der Fabrik besorgt, so daß wir wenigstens ungefähr wußten, wo wir suchen mußten. Das Gebäude selbst war ziemlich verwinkelt gebaut und außer Büroräumen und Maschinenhallen gab es auch einen riesigen Lagerraum. Dort, so vermuteten wir, würde die Übergabe stattfinden. Um dorthin zu gelangen, mußten wir allerdings fast das gesamte Gebäude durchqueren. Man konnte das Gebäude nur von einer Seite betreten. Das Gelände wurde einmal von einem hohen Zaun gesichert, der jetzt allerdings viele Löcher aufwies, durch die wir schlüpfen konnten.
Netterweise war ich jetzt wieder mit Pascal in einer Gruppe, Rico wußte wohl auch nicht, was er wollte, außerdem noch Simon, Rico und Lee. Ich wurde das Gefühl nicht los, das Rico mich auf diese Weise kontrollieren und im Auge behalten wollte. Er führte auch die Gruppe an.
Trotz des Planes mußten wir uns unseren Weg suchen und auch noch aufpassen, daß uns niemand erwischte. Und genau das wäre uns auch fast passiert.
Wir schlichen gerade eine Treppe hinauf. Pascal und ich bildeten das Schlußlicht. Am Treppenende angekommen wollten wir einen Gang entlang gehen, von dem aus die Büroräume abzweigten. Unsere kleine Gruppe hatte sich etwas auseinandergezogen und es herrschte nicht gerade strahlende Helligkeit. So übersahen Pascal und ich fast Ricos Zeichen, daß jemand kam. Rico, Lee und Simon konnten noch bequem um die nächste Ecke verschwinden, für mich und Pascal blieb allerdings keine Zeit mehr. Ich spürte, wie mein Pulsschlag schneller wurde. Pascal packte mich bei der Hand und zog mich einfach mit, den Gang entlang, entgegengesetzt der anderen.
Jetzt hörten wir auch die näherkommenden Schritte und sie klangen verdammt nah. Plötzlich blieb Pascal abrupt stehen, so daß ich gegen ihn prallte. Im nächsten Moment sah ich, was ihn gestoppt hatte. Ein entsetztes Keuchen drang über meine Lippen. Vor uns erhob sich eine Wand. Wir waren in eine Sackgasse gelaufen und die Schritte waren noch immer hinter uns zu hören.
Ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden. Das ist das Aus, schoß es mir durch den Kopf. Da zeigte Pascal zur Decke. Ich schaute hinauf. An der Decke verliefen Stahlstreben, die aber kaum zu sehen waren. Zu unserem Glück stand an der Wand rechts von uns ein Ablagetisch. Von dort aus konnten wir mit einem Sprung die rettenden Streben erreichen und klammerten uns mit Händen und Füßen daran fest. Wir konnten nur hoffen, daß uns unsere Kleidung und die hier herrschende Dunkelheit genügend Schutz boten.
Ich hielt den Atem an. Aus dem Dunkel schälte sich eine Gestalt. Es war ein Mann, breit wie ein Schrank. Ein Vollbart zierte sein Gesicht. Mehr konnte ich von hier oben aus nicht erkennen. Mein Herz schlug hart und ich glaubte, daß der Mann es hören müsse. Genau unter uns blieb er stehen und zog ein abgegriffenes Päckchen Zigaretten hervor.
Ich hatte gedacht, den höchsten Punkt des Schreckens schon erreicht zu haben, doch da irrte ich mich. Was, wenn der Mann sich jetzt eine Zigarette anzündete und zufällig nach oben schaute? Mit Entsetzten spürte ich plötzlich, wie meine schweißnassen Hände langsam aber unerbittlich von den Streben abzurutschen begannen. Ich schloß die Augen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel.
Ich konnte hören, wie der Mann ein Streichholz anzündete und erwartete jeden Augenblick entdeckt zu werden. Doch nichts geschah. Er blies das Streichholz aus, drehte sich um und ging den Gang wieder zurück. Vorsichtig stieß ich die angehaltene Luft aus. Da drehte sich der Mann noch einmal um. Die Panik versuchte noch einmal mit aller Wucht zurückzukehren. Ich drängte sie zurück.
Hatte der Mann mich doch gehört?
Anscheinend nicht, denn jetzt verschwand er endgültig.
Schließlich ließ sich Pascal wieder zu Boden gleiten. Erleichtert folgte ich ihm und setzte mich auf den Boden. Der Zigarettengeruch stieg mir in die Nase und ich unterdrückte ein Niesen.
„Alles in Ordnung?“ Pascal ließ sich neben mir nieder.
Ich nickte, lehnte mich aber trotzdem an ihn. Er strich mir eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. Am liebsten wäre ich hier noch eine Weile sitzen geblieben, doch in mir meldete sich mein Gewissen.
„Wir müssen zu den Anderen zurück, sonst denken die noch, wir sind geschnappt worden.“
Pascal nickte: „Also los.“ Er half mir auf und gemeinsam schlichen wir den Gang zurück, ständig auf der Hut, nicht dem Mann zu begegnen.
Als wir zur Treppe kamen, tauchten plötzlich drei Gestalten vor uns auf. Wie erstarrt blieben wir stehen, doch da erlöste uns eine Stimme.
„Hey Taris. Wir sind es.“
„Lee.“ Erleichtert trat ich auf ihn zu.
„Was ist passiert?“ Rico wandte sich gleich an Pascal und dieser erzählte die letzten Minuten in der Kurzfassung. Nachdem Rico unterrichtet worden war, gingen wir weiter. Durch lange Flure, treppauf, treppab, denn wir wußten nicht so recht, wo wir uns befanden. Wir hatten auch keine Ahnung, wo der Lagerraum war. Der Grundriß schien nicht ganz so genau gewesen zu sein.
Plötzlich blieb Rico wieder stehen und hob die Hand. Wir hörte es alle. Leise Stimmen und Schritte, die sich uns aus dem Gang links von uns näherten. Hastig zogen wir uns wieder in den Gang zurück, aus dem wir gerade gekommen waren. Da konnte man eine Stimme unterdrückt fluchen hören. Erleichterung breitete sich in mir aus. Ich stand auf und ging den Stimmen entgegen.
Rico versuchte mich aufzuhalten, griff aber ins Leere. Ein paar Gestalten kamen in Sicht und blieben überrascht stehen.
„Mensch Taris, sollen wir einen Herzinfarkt bekommen?“ Tan trat aus der Gruppe heraus.
Ich grinste: „Du solltest leiser fluchen.“
Jetzt erschienen auch Rico und die anderen. Franko wandte sich an Rico: „So wie es aussieht, haben wir die Lagerhalle entdeckt.“ Er zeigte in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg und ich dachte darüber nach, daß ich an Frankos Stelle einmal mehr Ärger mit Rico bekommen hätte. Von wegen, warum ich nicht dort geblieben wäre.
Franko führte uns eine schmale Treppe hinunter und einen schwach beleuchteten Flur entlang. Plötzlich streifte mich ein Luftzug. Er kam so überraschend, daß ich fröstelnd stehen blieb. Auch die anderen, durch einen Fluch Tans, der fast mit mir zusammengestoßen wäre, aufmerksam geworden, stoppten. Das rettete uns alle, denn auf einmal hörten wir eine Tür klappen.
Schnell schlich ich zum Ende des Ganges und blickte um die Ecke. Ich sah gerade noch zwei Männer durch eine weitere Tür verschwinden.
Wahrscheinlich Wachen.
Ich lauschte und glaubte Stimmen zu hören, war mir dessen aber nicht sicher. Kurz sah ich mich um. Der Gang führte links durch diese eine Tür, was rechts war, konnte ich nicht sagen. Dazu war es zu dunkel.
Wieder ging die Tür auf und ich zog mich hastig zurück. Ich gab den anderen ein Zeichen, leise zu sein und hoffte, daß sie es auch sahen. Ein einzelner Mann schritt vorbei, ohne uns zu bemerken. Langsam beruhigte ich mich wieder.
Rico übernahm wieder die Führung. Sein Blick in meine Richtung besagte, wie wenig er von meinem Tun hielt. Ich zog es daher vor, mich ans Ende der Gruppe zu begeben. Vorsichtig, nach allen Seiten sichernd, traten wir durch die Tür. Im Gegensatz zu den anderen Türen dieses Gebäudes bestand diese aus Eisen und war dementsprechend schwer. Hinter der Tür erstreckte sich auch weiterhin Dunkelheit. Eine Eisentreppe führte in die Tiefe. Zu hören war nichts. Was sich aber änderte, als wir die Treppe hinunterstiegen.
Einige von uns blieben oben und sicherten den Rückzug. Am Ende der Treppe angekommen, wandten wir uns nach rechts. In der Ferne sahen wir ein Licht schimmern und hörten Stimmen. Langsam tasteten wir uns vorwärts. Ich konnte Pascal neben mir mehr spüren als sehen. Der helle Fleck vor uns wurde immer größer und ein Tor wurde in sichtbar. Kurz bevor wir das Tor erreichten, entdeckten wir einen weiteren Gang. Er war nicht sehr lang und eine Sackgasse. Kisten stapelten sich bis unter die Decke. Schmuggelware war es allerdings nicht, wie wir nach einem kurzen Blick in ein paar von ihnen herausfanden. Vielleicht waren es Überbleibsel aus der Zeit, als die Fabrik noch geöffnet war.
Uns konnte es egal sein, denn die Kisten ergaben eine gute Deckungsmöglichkeit. Wir beschlossen Rat zu halten. Wir wußten nicht, welche der anderen Gruppen ebenfalls bis zum Lagerraum vorgedrungen waren. Funkgeräte hatten wir nicht, daß wäre zu gefährlich gewesen. Während die anderen die Köpfe zusammensteckten, lugte ich zufällig hinter den Kisten hervor. Meine Augen wurden groß. Jemand, den ich kannte, lief gerade vorbei. Besonders der weiße Anzug fiel mir ins Auge. Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Hastig, ohne auf Ricos heftige Handbewegungen zu achten, ging ich zur Ecke und schaute hinter Ted her. Es sah nicht gerade danach aus, als müsse er besonders vorsichtig sein. Was tat er hier? Wollte er den Inder persönlich stellen? Das hätte er uns auch sagen können. Eigentlich, so wunderte ich mich, hatte er diesbezüglich nie ein Wort verloren. Er meinte zwar, daß er an dem Inder interessiert war, doch hatte er nie gefragt, ob er bei dem Einsatz dabeisein durfte. Wollte er uns die Dreckarbeit überlassen und dann den Fall übernehmen? Schwer vorstellbar, aber warum nicht?
Gerade als Ted über die Treppe nach oben verschwand, legte jemand seine Hand auf meine Schulter. Ich fuhr herum und erkannte Rico. Ich stieß seine Hand weg und er spießte mich mit seinen Blicken regelrecht auf.
„Was ist denn jetzt schon wieder los“, fauchte er.
Mein Schrecken verwandelte sich augenblicklich in Wut: „Gerade ist ein alter Bekannter vorbeigekommen“, erwiderte ich ebenso unfreundlich.
„Ein Bekannter? Wer denn?“
„Ted.“
Rico schaute mich überrascht an: „Bist du sicher?“
Ich ließ mich erst gar nicht zu einer Antwort herab.
„Bleibt die Frage, was er hier wollte.“
Ich drehte mich zu Pascal um und hob die Hände. Doch Rico ließ uns keine Zeit zum Reden. Er ging auf das Tor zu und uns blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Dabei wußten wir noch gar nicht, was wir tun wollten. Außerdem stimmte hier irgendwas nicht, daß spürte ich deutlich. Was kam mir an der Sache nur so komisch vor? War es allein die Tatsache, daß Ted gerade jetzt hier auftauchte?
Für einen Moment schreckte ich aus meinen Gedanken auf. Hinter dem Tor begann das Lager. Am anderen Ende fand das Treffen statt. Ich schaute mich um. Ringsherum führten schmale Stege entlang, auf denen ich in regelmäßigen Abständen Gestalten ausmachen konnte. Wir waren also fast vollständig versammelt. Durch unsere schwarze Kleidung waren wir von unten kaum zu sehen und daher noch nicht bemerkt worden. Und plötzlich wußte ich, was mich die ganze Zeit gestört hatte. Ted war durch dieses Tor gekommen, ruhig und ohne Anzeichen dafür, daß er heimlich hier war. Und er trug seinen weißen Anzug. Damit hätte man ihn von unten sofort sehen müssen.
Das Gefühl der Gefahr wurde immer intensiver. „Verdammt Rico, bleib stehen. Wir dürfen dort nicht hinunter.“ Rico schüttelte nur den Kopf.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Hinter uns schlug eine Tür zu und man konnte Fußgetrappel hören. Eine Falle, schoß es mir durch den Kopf. Das ist eine Falle. Ich sprach es laut aus, aber Rico kümmerte sich nicht darum. Es gab nur noch eine Möglichkeit zu verhindern, daß Rico das Zeichen zum Angriff gab.



Ich stieß Pascal und Tan zur Seite und stand schon neben Rico. Dieser schien im letzten Moment zu begreifen, daß ich nicht zur Verstärkung neben ihm stand. Aber da war es schon zu spät.
Ich dachte nicht mehr nach, sondern schlug nur noch zu, fing Rico auf und gab ihn an die Jungen weiter. Die sahen mich nur wortlos an, aber das konnte mir jetzt egal sein. Hinter uns wurden die Schritte lauter und jetzt bewegte sich auch unter uns etwas.
„Alle raus, sofort. Das ist eine Falle. Schnell!“
Die anderen Fighter sahen überrascht auf, als sie meine Stimme hörten, reagierten aber so, wie ich es erwartet hatte. Keiner zögerte auch nur eine Sekunde, meinem Befehl folge zu leisten. Was allerdings nicht so einfach umzusetzen war.
Es war eine Falle und dementsprechend gestaltete sich unser Rückzug. Ich schaute kurz nach unten, genau in die Augen des Inders. Erschrocken prallte ich zurück, konnte mich aber nicht von seinem Blick lösen. Es war wie ein Schock.
Seine Augen blickten völlig kalt, doch sie drückten auch Haß aus. Ein lohender Haß, den ich mir in diesem Augenblick nicht erklären konnte. Und sein Blick sagte mir auch mehr als deutlich, wem er für den Angriff verantwortlich machte, auch, wenn es eigentlich keiner war. Ich war nahezu unfähig mich zu bewegen, was fast mein Ende gewesen wäre.
Ich sah oder besser spürte neben mir eine Bewegung, die den Bann zerbrach. Ich ließ mich einfach fallen. Eine behaarte Hand mit einem großen Messer zischte über mich hinweg. Ich konnte deutlich den Luftzug spüren. Aber ich ließ dem Angreifer keine zweite Chance und trat zu. Der Mann verlor das Gleichgewicht und verschwand aus meinem Blickfeld. Er stürzte die Treppe hinunter und blieb zu Füßen des Inders liegen.
Wieder schaute der Inder zu mir herauf. Kurz zeigte er auf mich und ballte dann die Hand zur Faust. Mir war klar, daß er mich haben wollte. Ich mußte hier raus.
Rasch schaute ich mich um. Es waren fast alle Fighter verschwunden, nur hier und da sah man einzelne Gestalten miteinander kämpfen. Aber es machte mir auch klar, daß es für uns gut aussah. Es würde wohl niemand auf der Strecke bleiben.
Auch ich trat den Rückzug an, aber meine Glückssträhne war reichlich kurz. Aus dem Gang, dort wo die Kisten standen, trat ein Riese von einen Mann heraus und versperrte mir den Weg. Ich erkannte in ihm den Mann, der mich und Pascal fast entdeckt hätte.
Ich blieb abrupt stehen, aber diesmal kam meine Reaktion zu spät. Ein mörderischer Schlag traf meinen Brustkorb. Ich hatte das Gefühl, mit einer Dampframme kollidiert zu sein. Die Luft wurde mir aus den Lungen gepreßt und haltlos flog ich durch den Gang. Erst die Wand stoppte mich reichlich unsanft. Stöhnend sackte ich zu Boden. Vor meinen Augen tanzten bunte Kreise. Grinsend kam der Mann auf mich zu. Ich war ihm hilflos ausgeliefert.
Grob wurde ich gepackt und hochgezerrt. Verzweifelt versuchte ich aus dem eisernen Griff zu entkommen, aber meine Kraft reichte nicht aus. Noch immer schien ein Ring um meine Lunge zu liegen, der mich daran hinderte, genügend Luft zu holen. Wie eine Puppe schleppte mich der Mann zum Tor zurück, doch er erreichte es nie. Hinter uns erscholl ein Ruf und kurz darauf erschienen zwei Hände, die den Mann packten und nach hinten zogen. Überrascht ließ mich der Mann los und ich wäre wieder gestürzt, hätte mich nicht jemand aufgefangen. Langsam lichtete sich der rote Schleier vor meinen Augen und ich konnte Franko erkennen. Wer mit dem Mann kämpfte sah ich nicht. Nur, daß es zwei waren und - Erfolg hatten. Plötzlich wankte der Mann und ging schließlich zu Boden. Dahinter kamen Simon und Theo zum Vorschein. Schnell kamen sie zu mir.
„Alles in Ordnung?“ Simon sah mich besorgt an.
Langsam nickte ich, zum Sprechen fehlte mir noch immer die Luft. Ein pochender Schmerz tobte in meiner Brust aber auch das würde vergehen. Simon und Tan hakten mich unter und führten mich den Gang entlang. Franko sicherte uns den Rücken. Ein wenig wunderte es mich schon, daß nicht noch mehr von den Gangstern durch das Tor kamen.
Unterwegs gesellte sich Tan zu uns. Er berichtete, daß Pascal schon einige Fighter nach draußen begleitet hatte. Es tat gut, das zu hören. Und auch wir kamen unbehelligt draußen an. In einiger Entfernung, hinter einem alten Bauwagen, warteten die anderen schon auf uns. Simon und Theo ließen mich zu Boden gleiten. Augenblicklich war Francis neben mir.
„Taris, was ist passiert?“
Ich winkte ab: „Kein Grund zur Sorge. Da hat mich nur jemand überschwenglich begrüßt.“
Francis Blick sagte deutlich, was sie von meinem Humor hielt.
Jetzt kam auch Pascal dazu, aber er war anscheinend schon unterrichtet worden. „Und?“ fragte er nur.
„Ich denke, es wird eine hübsche Prellung oder so, aber sonst ist noch alles dran.“ Langsam stand ich auf. „Sind alle herausgekommen?“
„Ja.“ Tan kam zu uns.
„Gut. Dann sollten wir machen, daß wir wegkommen. Verteilt euch.“
Ich wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Präzise wie ein Uhrwerk verlief unser Rückzug. Da fiel mein Blick auf eine Gestalt, die gerade jemand hochhob und Entsetzten machte sich in mir breit. Ich blieb stehen. Rico hatte ich in der Aufregung ganz vergessen. Und noch immer war er bewußtlos. Ich mußte wohl ziemlich kräftig zugeschlagen haben. Betroffen schaute ich zu Boden. Ich hatte nicht über mein Handeln nachgedacht.
Pascal legte den Arm um mich: „Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Der wacht schon wieder auf.“
Aber Pascals aufmunternde Worte erreichten mich kaum. Es schien, als würde ich erst jetzt begreifen, was geschehen war.
Ich stammelte nur: „Aber es ist Rico. Ich wollte...“Hilflos brach ich ab, aber Pascal verstand auch so.
ich hatte den Obersten von uns niedergeschlagen und das noch, wo wir uns sooo gut verstanden.
Plötzlich hörten wir hinter uns in der Dunkelheit wütende Stimmen und mit einem Mal pfiffen uns Kugeln um die Ohren. Die Kerle begannen zu schießen. Auch sie wollten kein Risiko eingehen. Doch nützen tat es ihnen nichts.
Wir trennten uns. Diejenigen, die einiges beim Kampf abbekommen hatten, liefen mehr oder weniger direkt zum Hotel. Der Rest von uns verteilte sich, um die Verfolger in die Irre zu führen. Sicher, durch Ted wußten sie von dem Hotel, doch mußten wir dort nicht alle zusammen aufkreuzen.
Im Hotel erwartete uns noch eine Überraschung. Zomar hatte angerufen und uns mitteilen lassen, daß er endlich die Polizei hatte überzeugen können, uns zu helfen. Sofort riefen wir auf dem Revier an und erklärten die derzeitige Situation. Leider, so erfuhren wir später, waren die meisten schon entkommen. Es konnten nur ein paar Handlanger und ein kleiner Teil der Ware sichergestellt werden.
Außerdem wurde mir mitgeteilt, daß Rico wieder wach war und Gift und Galle spuckte. Ich zog es vor, mich die nächste Zeit nicht in seiner Nähe blicken zu lassen.
Kaum im Zimmer angekommen, ging die Tür erneut auf und Francis spazierte herein. Sie scheuchte Pascal aus dem Zimmer, um sich in Ruhe um mich kümmern zu können. Rasch zog sie mein T-Shirt hoch und verzog das Gesicht.
„Nette Verzierung.“
Ein Bluterguß begann sich auszubreiten und jeder tiefere Atemzug erinnerte mich schmerzlich daran. Francis hatte eine Salbe dabei, die sie auftrug. Mir fiel wieder ein, daß sie mal bei einem Arzt gearbeitet hatte.
„Sag mal Francis, was hast du eigentlich noch so gemacht, bevor du die Reise angetreten hast? Du hast bisher kaum darüber gesprochen, auch nicht, warum du an dieser Reise teilgenommen hast. Oder warum du geblieben bist. Pure Abenteuerlust nehme ich dir nicht ab. Du hast doch einen anderen Grund, oder?“
Francis hatte sich mit einem ausdruckslosen Gesicht erhoben aber ein trauriger Schatten huschte darüber.
Sie nickte: „Ich hatte einen Grund, aber ich möchte jetzt nicht darüber reden. Später.“
Pascal kam wieder herein, begleitet von Simon und Theo. Erst jetzt sah ich, daß Theo eine Schramme über dem linken Auge hatte. So wie eigentlich jeder von uns etwas hatte. Doch mich beschäftigte etwas anderes. Ted hatte eine Verbindung zum Inder, so viel war klar, aber dadurch konnten die Männer noch nicht alles über uns wissen. Ted zum Beispiel hatte am Anfang Francis direkt angesprochen. Doch woher hatte er gewußt, daß sie dazugehörte? Also mußte es noch eine Person geben, die uns bis jetzt nicht aufgefallen war. Ich dachte darüber nach, was in der letzten Zeit alles passiert war und mir fiel wieder die letzte Begegnung mit Ted ein, am Fahrstuhl. Ich fragte mich erneut, was er gerade auf dieser Etage zu suchen hatte. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es gab nur eine weitere Person hier, zu der wir Kontakt hatten.
Hastig sprang ich auf und achtete nicht auf den pochenden Schmerz, der wieder erwachte. Schnell verließ ich das Zimmer und klopfte nebenan an die Tür.
Nichts geschah.
Noch einmal klopfte ich, diesmal energischer. Pascal trat zu mir. Fragend schaute er mich an doch ich achtete nicht darauf. Gerade, als ich die Hand hob, um zum dritten Mal zu klopfen, ertönte eine Stimme hinter uns: „Sie können aufhören, die Tür zu Kleinholz zu verarbeiten.“
Überrascht drehte ich mich um. Ein Zimmermädchen war erschienen, die uns offen anschaute. Ich ahnte schon was kommen würde, noch bevor die Frau den Mund aufmachte.
„Die Dame ist gestern abgereist. Da wird niemand öffnen.“
„Gestern?“ Ich spürte, wie die Wut und Enttäuschung langsam in mir emporstiegen. Um mich nicht noch zu etwas Unbedachtem hinreißen zu lassen, verschwand ich wieder im Zimmer. Pascal redete noch kurz mit der Frau, wahrscheinlich, um noch Informationen zu bekommen.
Meine Freunde schauten mich fragend an, aber ich war nicht gewillt, sie aufzuklären. Ich verschwand im Bad und knallte die Tür hinter mir zu. Der Druck der letzten Tage entlud sich jetzt und ich wollte es nicht an meinen Freunden auslassen. Die starrten verblüfft die Tür an. Sie konnten mich fluchen hören. Auch Pascal schaute erstaunt auf die Tür, als er wieder hereinkam. Er überlegte kurz und beschloß dann, die anderen zu unterrichten. Kurzerhand setzte er sich auf den Tisch.
Theo sah ihn an: „Was ist denn plötzlich mit Taris los?“
Pascal verzog leicht das Gesicht: „Nun, Taris ist mit ihren Gedanken mal wieder einen Schritt voraus gewesen. Sie hat ganz genau erkannt, daß es außer Ted und dem Inder noch jemanden in unserer Nähe geben muß, der ohne größere Schwierigkeiten an unsere Informationen kommen konnte.“
Theo nickte verstehend: „Chantal.“
„Ja, aber leider ist das Vögelchen schon ausgeflogen. Ted muß sie gewarnt haben, als er hier war. Taris hat uns doch von der Begegnung erzählt.“
In diesem Moment ging die Badezimmertür wieder auf und ich kam heraus. Niemand sprach mich an. Sie wußten, daß ich sowieso nicht antworten würde. Also verabschiedeten sie sich nach und nach und gingen. Ich legte mich aufs Bett, starrte die Decke an und ließ meine Gedanken kreisen. Ich mußte an Rico denken. Was hatte ich mir da bloß erlaubt? Rico tobte bestimmt enorm.
Irgendwann mußte ich eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete, war es dunkel im Zimmer. Ich spürte Pascal neben mir und hörte seinen regelmäßigen Atem. Ich fühlte mich schon etwas besser, zumindest ging ich die Sache mit Chantal etwas ruhiger an. Da war das mit Rico schon anders.
Am nächsten Tag wurden uns die Ergebnisse der nächtlichen Polizeiarbeit übermittelt. Protokolle und Befragungen liefen an, ständig waren wir unterwegs. Aber wir merkten auch, daß die Polizei mit einer so jungen Truppe wie uns nicht viel anzufangen wußten. Das war Neuland für sie.
In dieser Zeit, als es darum ging, die Polizei über uns aufzuklären, blieb ich auffallend ruhig. Das änderte sich auch nicht, als wir endlich von Zomar das Zeichen zum Rückzug bekamen. Wir packten unsere Sachen, erledigten den Papierkram und fuhren schließlich wieder mit dem Bus davon. Zumindest dem Hotelmanager schien das recht zu sein.
Die ganze Zeit über starrte ich aus dem Fenster. Ich vergaß nicht Ricos Blick, als wir uns zwangsweise über den Weg liefen und ich machte mir wieder Sorgen. Zomar würde von dem Vorfall erfahren und ich war mir sicher, daß das nicht ohne Folge blieb. Nur oberflächlich beteiligte ich mich an den Gesprächen. Das Topthema war natürlich unser Einsatz, denn die, die nicht dabei gewesen waren, wollten jede noch so winzige Handlung wissen. Zu meinem Leidwesen war auch meine Tat in aller Munde und diese ganz besonders. So kam es, daß sich statt Freude Furcht in mir ausbreitete, als das Anwesen des Prinzen vor uns auftauchte.
So schnell wie möglich schnappte ich mir meine Sachen und verschwand aufs Zimmer. Zomar und Tama schauten mir verwundert hinterher, aber niemand machte Anstalten, sie aufzuklären. Das sollte Rico allein tun.


5.


An diesem Tag lief nichts mehr ab, außer einem gemeinsamen Abendessen, an dem ich schweigsam teilnahm. Danach wurden Zomar und die anderen von den Vorfällen in Lymath unterrichtet. Am nächsten Nachmittag, dem ein trister Vormittag vorangegangen war, wurde ich zum Prinzen gerufen. Ich wurde etwas blasser um die Nase. Allen war klar, daß es um Rico und mich ging. Ich hörte ein paar aufmunternde Worte aber die Angst konnte mir keiner nehmen.
Langsam betrat ich den Thronsaal. Mein Herz pochte schnell und hart und meine Prellung im Takt dazu. Zomar saß auf seinem Thron, Tama stand daneben. Rico war zum Glück nicht anwesend. Als ich näher kam, stand Zomar auf und deutete auf einen langen Tisch, der an der Südseite des Saales stand. Mit wackligen Knien setzte ich mich und sah zu Boden.
„Taris, wovor hast du Angst?“ Zomars sanfte Stimme beruhigte mich nicht besonders. Zögernd sah ich auf, genau in seine Augen. Ich schluckte mühsam. Zomar lächelte.
„Es besteht kein Grund zur Sorge. Wie du dir denken kannst, haben wir mit Rico gesprochen. Nun möchten wir gerne deine Version von dem Vorfall hören. Nur zu.“
Mit leiser stockender Stimme begann ich zu erzählen. Ich ließ nichts aus und schonte auch mich nicht. Tama und Zomar schätzten meine Ehrlichkeit, aber mir entgingen die Blicke, die sie sich zuwarfen. Ich war fast mit meinem Bericht am Ende.
„Ich hatte nicht vor, seine Position in Frage zu stellen, aber in diesem Moment wußte ich nicht weiter. Es stand zu viel auf dem Spiel.“
Schweigen breitete sich aus. Meine Verzweiflung und Nervosität wuchs. Warum sagte keiner etwas? Unruhig begann ich auf dem Stuhl hin und her zu rutschen.
Nach einer halben Ewigkeit, wie mir schien, hörte man ein Geräusch von der Tür her. Tama stand langsam auf und öffnete sie. Ich wagte es kaum, mich umzudrehen, aber das war auch nicht nötig. Die gerade Eingetretenen kamen nach vorn und stellten sich in einem lockeren Halbkreis um den Tisch. Irgendwie überraschte mich der Anblick nicht. Wieso auch? Ich war schließlich nicht die einzige bei dem Unternehmen gewesen. Und tatsächlich vertraten alle hier und jetzt ihre Meinung.
Francis, Tan, Theo und Pascal waren anwesend, logisch, steckten wir doch auch oft zusammen. Sie hatten meistens hautnah miterlebt, was geschah. Doch auch Peter und seine Freunde waren hier. Und Franko. Jeder erzählte, wie er es seiner Meinung nach sah, aber ich hörte kaum hin. Ich beobachtete fast die ganze Zeit über Rico, der etwas abseits stand und mit unbewegtem Gesicht den anderen Fightern zuhörte. Er verzog nicht eine Miene, ob eine Aussage nun positiv oder negativ ausfiel.
Plötzlich wandte er den Kopf und sah mich an, noch immer mit demselben ausdruckslosen Blick. Ich schrumpfte noch ein Stück weiter im Stuhl zusammen. Meine Hände hatte ich fest im Schoß gefaltet, damit niemand sah, wie sie zitterten.
Auf einmal spürte ich die Blicke aller auf mich gerichtet und schaute auf. Jeder hatte gesagt, was es zu sagen gab.
Zomar übernahm das Wort: „Ich glaube, ich kann mir ein ganz gutes Bild von der Situation machen. Taris, “ ich zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, was Pascal veranlaßte, mir beruhigend seine Hand auf meine Schulter zu legen, „was du getan hast, war nicht korrekt und du wirst dich bei Rico entschuldigen.“ Er machte eine Pause und mir wurde klar, daß ich es jetzt tun mußte. Unsicher stand ich auf und trat auf Rico zu. Ich reichte ihm die Hand: „Bitte verzeih mir. Ich habe das wirklich nicht gewollt.“
Im ersten Moment sah es so aus, als würde Rico die Entschuldigung ausschlagen, doch dann ergriff er meine Hand und drückte kurz zu. Rasch trat ich einen Schritt zurück. Noch fühlte ich mich nicht wohl in seiner Gegenwart.
Mit einem Räuspern zog der Prinz die Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Trotz allem sind Tama und ich zu einem Endschluß gekommen, der zwar etwas ungewöhnlich für hier sein mag, aber hoffentlich annehmbar ist.“
Die Aufregung schnürte mir die Luft ab. Ich konnte Zomar nur noch anstarren.
„Wir wissen nun, daß einiges vorgefallen ist, nicht nur zu Rico Gunsten.“ Er drehte sich zu Rico um. „Und deshalb halten wir es für besser, jemand anderen auf deine Position zu stellen.“
Ich konnte deutlich sehen, wie sehr Rico um seine so scheinbar ruhige Fassung bemüht war. Es klappte ganz gut und mir tat er leid. Daher öffnete ich den Mund: „Gibt es denn keine andere Lösung?“
Alle sahen mich überrascht an. Gerade ich, die den meisten Ärger mit Rico hatte, verteidigte ich.
Zomar schüttelte den Kopf. „Es ist wohl besser so. Wer weiß, vielleicht ändert sich das später wieder. Nach Absprache mit einigen Fightern haben wir auch schon einen Nachfolger.“
„Und wer soll das sein?“
„Jemand mit guten Eigenschaften, Scharfsinn und Gemeinschaftsdenken. Und bei jedem beliebt.“ Er macht eine kurze Pause. Es war so ruhig im Saal, daß man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können.
„Du Taris, hast diese Eigenschaften und bist die Auserwählte.“
„Ich?“ Erschrocken ging ich ein paar Schritte zurück. Ich war total verwirrt. Erst meine Angst, dann das. Ich sah in die Runde und zumindest in den Augen von Peter und seinen Freunden las ich deutlich die stumme Bitte anzunehmen. Da war aber noch Rico. Sah es nicht so aus, als hätte ich das schon die ganze Zeit gewollt? Wir verstanden uns so schon nicht. Was aber würde passieren, wenn ich ausschlug?
Die Stille lastete zentnerschwer auf mir. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und nur einer stach deutlich hervor. Warum ich?
Zomar schien zu merken, daß eine sofortige Entscheidung nicht möglich war und entließ uns alle. Mein Weggehen glich schon eher einer Flucht. Ich lief einfach, ohne darauf zu achten wohin. Erst als etwas vor mir aufragte und ich beinahe dagegen gelaufen wäre, stoppte ich. Ich stand vorm Stall. Wieso war ich gerade hier? Pferde interessierten mich nicht im Geringsten. Trotzdem öffnete ich nach kurzem Zögern die Stalltür und trat ein. Im ersten Moment konnte ich nichts außer einem vagen Umriß erkennen, dann gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht. Es roch nach frischem Heu, was ich nicht mal als unangenehm empfand. Ich hörte das leise zufriedene Schnauben der Tiere und sah mich vorsichtig um.
Ein Gang verlief in der Mitte. Von dort aus gingen links und rechts die Boxen ab. Obwohl ich kein kundiges Auge hatte, erkannte ich, daß die Pferde ausnahmslos gut gepflegt und erstklassige Züchtungen waren. Irgendwie beruhigte mich der Anblick. Langsam ging ich von Box zu Box. Ich näherte mich den Pferden nicht mehr als nötig, doch plötzlich blieb ich stehen. Ein Pferd faszinierte mich. Es war ein schwarzer, prachtvoller Hengst, mit einem weißen Fleck auf der Stirn, der fast wie ein Stern aussah. Als ich mich der Box näherte, warf es nervös den Kopf zurück und scharrte mit den Hufen. Ich blieb stehen. Warum war das Tier so unruhig? Weil ich ihm fremd war? Wahrscheinlich.
Wieder trat ich einen Schritt auf die Box zu, das Pferd einige zurück. Leise, ohne es selbst richtig zu merken, sprach ich beruhigend auf das Tier ein. Dabei betrachtete ich es eingehend. Es sah sehr kraftvoll aus. Seine Mähne mußte sich gut im Wind machen. Ich konnte es mir richtig bildlich vorstellen. Am meisten beeindruckten mich aber die Augen. Schwarz und geheimnisvoll, aber auch ein wenig ängstlich. Und das tat mir leid, denn wieso sollte ein Tier in dieser Umgebung Angst haben?
Ich ertappte mich bei dem Wunsch, dieses Tier wenigstens einmal streicheln zu können. Merkwürdig, wo ich doch eigentlich für Pferde nichts übrig hatte. Ich tat noch einen Schritt und das Pferd schnaubte unruhiger. Langsam hob ich die Hand. Ich wußte, hier war oberste Vorsicht geboten, hatte aber dennoch keine Angst.
„Was immer du vorhast, laß es.“
Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ die Hand wieder sinken. Durch die heftige Bewegung erschrak auch das Pferd und stampfte mit den Hufen auf. Zomar stand in der geöffneten Stalltür, ich hatte ihn nicht kommen hören. Helles Sonnenlicht fiel durch die Tür herein und ließ seine Gestalt fast durchsichtig erscheinen. Schließlich kam er herein und schloß die Tür. Die Dämmerung brach wieder herein und mit ihr die Stille.
„Es ist wohl besser, du hältst dich von diesem Tier fern.“
„Warum? Was ist los mit ihm?“
Zomar setzte sich auf einen Heuballen und deutete neben sich. Zögernd setzte ich mich dazu. Er war und blieb für mich nun mal ein Prinz und mein Herr. Zomar tat so, als hätte er nichts bemerkt.
„Weißt du, vor einiger Zeit wurde dieses Pferd auf meinem Land gesichtet. Als es nach ein paar Tagen noch immer da wir, beschlossen wir es einzufangen. Leicht hat er es uns nicht gemacht. Das Tier ist überaus scheu und ängstlich. Warum, daß weiß keiner. Kaum einer kann sich ihm nähern und bis jetzt ist es nur wenig ruhiger geworden. Wahrscheinlich war es jetzt nur so ruhig, weil du allein warst. Unsere Erfolge bei der Zähmung sind nicht sehr rühmlich.“
Zomar sah etwas unglücklich aus, und ich konnte ihn verstehen. Es war ein selten schönes Tier, das jeden Besitzer stolz machen mußte.
„Ist es denn nicht wahrscheinlich, daß es schon jemanden gehört? Ich meine, ich als Besitzer würde nichts unversucht lassen, es zurückzubekommen.“
Der Prinz zuckte mit den Schultern: „Bis jetzt ist mir nichts zu Ohren gekommen.“
Eine Weile breitete sich Schweigen zwischen uns aus. Schließlich nahm ich den Faden wieder auf.
„Hat es eigentlich einen Namen? Ich sehe kein Schild, wie bei den anderen.“
Zomar schüttelte den Kopf: „Weißt du einen?“
„Ich? Mmmh...“ Ich betrachtete kurz den Hengst. „Spirit. Ich würde ihn Spirit nennen.“
„O.K. Dann heißt er ab heute Spirit.“
Und als wenn er damit einverstanden gewesen wäre, wieherte Spirit leise. Ich lächelte.
„Wollen wir zurückgehen?“
Ich nickte, wenn auch nicht sehr überzeugend. Ich scheute mich davor, den anderen unter die Augen zu treten. Doch ich bekam noch eine Frist, denn auf den Weg ins Zimmer traf ich niemanden. Gerade als ich mich aufs Bett fallen lassen wollte, ging die Tür auf und Francis trat ein.
„Ach, hier bist du. Los, komm mit. Drüben ist mehr los.“ Sie wartete meine Antwort erst gar nicht ab, sondern packte meine Hand und zog mich mit.
„He, was soll das?“ Schöne Frist, dachte ich.
Ehe ich mich versah, standen wir im Gemeinschaftsraum.
„Leute, ich habe sie gefunden.“ Francis rief laut durch den ganzen Raum. Fast alle schauten zu uns herüber.
„Danke“, knurrte ich. Francis lachte nur.
„Hab ich doch gern getan. Los komm.“
Sie ging zu unseren Freunden hinüber und ich folgte ihr langsam. Pascal zog mich zu sich herunter. Er saß unter einem der Fenster auf dem Boden.
Wieder einmal mußte ich mir eingestehen, daß ich mit Pascal eine gute Wahl getroffen hatte. Sein Haar war durch die Sonne noch heller geworden. Er trug Shorts und ein weißes T-Shirt, daß seine braungebrannte Haut noch deutlicher zur Geltung brachte. Ich kuschelte mich an ihn und hörte den Gesprächen meiner Freunde zu.
„Und, hast du dich schon entschieden?“ fragte Pascal leise.
In mir zog sich alles zusammen, Pascal spürte es sofort. Er versuchte, mich zu beruhigen: „Schon gut“, flüsterte er mir ins Ohr, „ich wollte dich nicht aufregen.“
Ich schloß kurz die Augen. In der letzten Stunde hatte ich nicht einen Gedanken an die Versammlung verschwendet, aber ich wußte auch, daß Verdrängung keine Lösung war. Irgendwann mußte ich mich meinen Problemen stellen. Ich seufzte.
Meine Aufmerksamkeit wurde von einer Gruppe angezogen, die in der anderen Ecke stand und heftig diskutierte. Ich hörte ein paar Mal meinen Namen fallen, ebenso den von Rico. Ich runzelte die Stirn als ich sah, daß auch Peter und seine Freunde dabei waren. Peter schien der Gesprächsführer zu sein. Theo, der neben uns mit seinem Stuhl kippelte, drehte sich kurz um. Dabei wankte er gefährlich.
„Was glaubst du?“ fragte er und zeigte kurz zur Gruppe.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich wollte von alledem nichts wissen, konnte mir aber gut vorstellen, worüber sie redeten. Zu allem Unglück ging auch noch die Tür auf und Rico kam herein. Leider bemerkten Peter und die anderen das in ihrem Eifer nicht. Sie sprachen nicht gerade schmeichelhaft über Rico. Im Gegensatz zu mir schien dieser auch noch jedes Wort zu verstehen. Sein Gesicht verfinsterte sich zusehends und noch immer redeten die Jungen ohne zu wissen, was los war. Ich sah das Unheil auf sie zukommen. So ruhig, wie Rico immer tat, war er nicht und jetzt würde sich seine schlechte Laune auf die fünf entladen. Es sein denn, ich konnte es noch verhindern, denn sonst schien keiner dazu bereit zu sein. Aber im Moment hatte ich kein Glück. Franko spazierte herein und winkte mich hinaus.
„Zomar will dich sprechen. Sofort, “ fügte er hinzu, als ich nicht gleich reagiert. Seufzend stand ich auf.
In diesem Augenblick wurde Peter auf Rico aufmerksam und wurde ein wenig blasser im Gesicht. Ich hoffte, jemand würde eingreifen, wenn es notwendig wurde.
Die Tür fiel hinter mir ins Schloß. Franko sagte kein Wort, sondern führte mich zum Versammlungstrakt. Eigentlich konnte es nur einen Grund geben, weswegen Zomar mich rufen ließ, und ich hatte es nicht sehr eilig. Aber jeder Weg war mal zu Ende und Franko mußte mich fast in den Raum schieben, in dem Zomar sich befand. Allerdings war er nicht allein. Carlos und ein Mann, den ich noch nie gesehen hatte, saßen mit am Tisch. Etwas unruhig blieb ich am Tischende stehen. Franko hatte die Tür hinter mir von außen geschlossen.
Ein Fünkchen Hoffnung glomm in mir auf. Vielleicht wurde ich doch noch nicht nach einer Entscheidung gefragt, denn ich konnte mir den Fremden nicht erklären, außerdem fehlte Tama. Und meine Ahnung trog nicht. Zomar kam gleich zur Sache. Er zeigte auf den fremden Mann.
„Das ist Jule. Er ist für die Arrestzellen zuständig.“
Mir ging ein Licht auf: „Don?“
„Ja, er ist jetzt schon seit fast fünf Monaten dort. Jule ist der Meinung, daß er geläutert ist. Nun ist es so, daß ich gern deine Meinung dazu hören würde.“
„Meine Meinung? Wozu?“
„Ob Don wieder raus soll oder nicht. Du hattest seinetwegen Ärger und du sollst sagen, was geschieht. So ist das hier.“
Ich zuckte mit den Schultern: „Der Vorfall ist für mich erledigt. Ich habe nichts dagegen, wenn er vernünftig geworden ist.“
Jule nickte und kurze Zeit später konnte Don die Sonne genießen. Er kam auch später zu mir und entschuldigte sich ausführlich bei mir und den anderen. Er war so nett dabei, daß ich mich fragte, wie er sich überhaupt hatte dazu hinreißen lassen können.
Nachdem Zomar mich entlassen hatte, kehrte ich zum Gemeinschaftsraum zurück. Schon von weitem hörte ich Ricos Stimme. Er schien nicht gerade zimperlich mit Peter umzuspringen. Mich wunderte es nur, daß niemand einschritt. Als ich die Tür öffnete, wußte ich auch warum. Es war kaum noch jemand da. Die, die jetzt noch herumsaßen, waren in Lymath nicht dabei gewesen und interessierten sich für den Streit. Der Gemeinschaftssinn schien wohl doch nicht so ausgeprägt zu sein, wie es erwünscht und für unsere Stellung erforderlich war.
Ich blickte zu Rico hinüber. Seine Wangen waren gerötet, seine Augen blitzten und ich erkannte, daß er sich bald zu etwas hinreißen lassen würde, was er später bereuen konnte. In diesem Moment wußte ich, was zu tun war. Entschlossen trat ich zwischen die Streithähne.
„Es reicht Rico. Peter, verlaß den Raum und nimm deine Freunde mit.“
Dieser tat nichts lieber und war in Sekundenschnelle verschwunden. Ich blickte Rico tief in die Augen, sagte aber nichts. Dann ging ich hinaus. Ich wollte lieber noch einmal mit Peter reden, fand ihn aber nicht sofort. Also ging ich erst in mein Zimmer. Es war rappelvoll. Der harte Kern war versammelt und schaute mich nur erwartungsvoll an. Kurz berichtete ich von Don. Alle waren meiner Meinung. Ich hatte das Richtige getan.
Zufällig fiel mein Blick aus dem Fenster. Unser Fenster ging zum Hof hinaus und was ich sah, ließ mich ein wenig an meinem Verstand zweifeln. Peter stand dort, wedelte heftig mit den Armen in der Luft und schien in den letzten Minuten nichts dazugelernt zu haben. Ohne in aus den Augen zu lassen, hörte ich meine Freunden zu.
Pascal stellte seine Frage nochmals, diesmal laut: „Hast du dich entschieden? Wirst du annehmen?“
„Sicher“, ließ Lee vernehmen.
„Warum gerade ich? Warum nicht Pascal oder Theo oder wer weiß ich? Vielleicht Francis?“
„Lieber nicht.“ Sie hob abwehrend die Hände.
„Was ist los mit euch? Traut sich keiner?“
„Und was ist mit dir?“ Theo war mal wieder echt vorlaut. „Überleg doch mal. In Lymath hast du dich tapfer geschlagen und sowieso das meiste entschieden. Wer war denn schon Rico?“
„Ihr seit euch einig, was?“
„Ja“, tönte es mir entgegen.
Ich zog eine Grimasse. Das waren Freunde.
Ich schaute noch immer auf den Hof und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Denn wer sich da plötzlich Peter näherte, war niemand anders als Rico. Im ersten Moment glaubte ich, daß er vorbeigehen würde, aber er hatte mitbekommen, daß Peter noch immer keine Ruhe gab. Ich verdrehte die Augen. Konnte Peter nicht einmal seine Klappe halten, wie er es mir gegenüber auch tat?
Ich fuhr auf der Stelle herum und stürmte aus dem Zimmer. Theo, der auch kurz aus dem Fenster blickte, folgte.
„Los, kommt mit“, rief er den anderen zu, „das dürfte interessant werden.“
Ich flitzte die Treppe hinunter, die andern im Schlepptau. Rico war schon bei Peter angelangt, der jetzt ziemlich kleinlaut aussah. Für einen Moment dachte ich nur, daß es ihm bestimmt gut tun würde, doch dann siegte mein Gerechtigkeitssinn. Rico würde vielleicht zu weit gehen. Ich packte ihn daher im Genick und zog den total Überraschten zurück, weg von Peter. Dessen Gesicht hellte sich unverzüglich auf und er wollte etwas sagen.
Ich fuhr ihn an: „Sag nichts. Mit dir beschäftige ich mich gleich.“
Erschrocken schloß er wieder den Mund. Ich wandte mich an Rico: „Was soll das? War es eben nicht deutlich genug?“
„Ich mag es nicht besonders, wenn man hinter meinem Rücken redet. Und schon gar nicht so.“
Mittlerweile hatten sich mehrere Fighter um uns versammelt, aber ich ließ mich nicht stören. Langsam wurde ich wütend.
„Wer mag das schon. Aber du scheinst etwas zu vergessen. Du bist nicht gerade unschuldig daran, daß sich die Beliebtheit für dich in Grenzen hält. Dein Auftreten ist oft unkameradschaftlich und etwas arrogant. Ich habe es oft genug erlebt. Aber jetzt ist Schluß damit.“ Nur mit Mühe unterdrückte ich meine Wut. Rico raubte mir noch den letzten Nerv. Dann wandte ich mich Peter zu: „Und dir habe ich auch noch etwas zu sagen. In Zukunft solltest du deine Zunge besser im Zaum halten. Es ist nicht immer jemand da, der dich vor einer Auseinandersetzung bewahrt.“
Kleinlaut nickte er.
„Und, was soll das jetzt?“
Aufreizend langsam drehte ich mich zu Rico um. Anscheinend hatte er es noch nicht begriffen.
„Jetzt werde ich zu Zomar gehen und ihm etwas mitteilen. Du Rico, solltest auf jeden Fall dabei sein.“
Ich ging los und Rico, eingeschlossen in der Menge, die mitkam, blieb nichts anderes übrig, als zu folgen.
Der Prinz war nicht überrascht uns zu sehen. Wahrscheinlich hatte sich die Nachricht von unserem Kommen mal wieder sehr schnell verbreitet. Und er schien auch zu wissen, warum wir hier waren, denn kurz nach uns traten Tama und Carlos ein.
„Du hast dich entschieden?“
„Ja. Ich werde die Position annehmen. Zum Wohl aller, wie ich hoffe.“
Rico zuckte leicht zusammen, beherrschte sich aber wieder meisterlich. Applaus kam auf. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Es war doch leichter gewesen als gedacht. Franko gratulierte mir als erster: „Kollegin.“ Er deutete eine Verbeugung an.
Ich grinste. „Laß den Quatsch.“
Nach und nach kamen auch die anderen zu mir. Aber mir wurde diese Aufmerksamkeit zu viel und ich zog mich zurück. Bevorzugt in den Stall. Ich wußte nicht wieso, aber Spirit zog mich magisch an. Und ich fühlte mich im Stall immer wohler. Ich hatte keine Abneigung mehr Pferden gegenüber. Das schönste aber war, daß die Fighter jetzt den Hof verlassen konnten. Unser Einsatz in Lymath war nicht unbemerkt geblieben und so mußten wir uns auch nicht mehr verstecken. Einzige Bedingung war, daß wir uns abmeldeten. Außerdem wurden die Trainingsstunden nicht mehr so eng angesetzt. Die Stunden wurden mehr oder weniger von uns selbst eingeteilt und jeder achtete selbst darauf, auch immer genügend zu trainieren. Wir wußten, was wir zu tun hatten und was man von uns erwartete.
Oft liefen Pascal und ich in der Umgebung und nicht auf dem Gelände. Das machte eben mehr Spaß. Und so dachten wir nicht allein. Theo und Francis klebten auch ständig zusammen. Natürlich wurden viele Vermutungen laut, doch sie schwiegen.
Durch die großzügige Zeiteinteilung konnte ich auch jeden Tag in den Stall gehen. Ich versuchte dabei, möglichst allein zu sein. Mit der Zeit fiel mir auf, daß Spirit immer ruhiger wurde, wenn ich kam, bis ich schließlich an seiner Box stand, ohne darauf achten zu müssen, daß er mich nicht biß. Warum das so war, konnte ich nicht sagen. Vielleicht, weil er spürte, daß ich nicht irgendetwas gegen seinen Willen tun würde. Zum Beispiel Reiten. So weit reichte meine Tierliebe nun doch nicht. Aber ich hätte ihn gern gestreichelt. Eines Tages würde ich es versuchen.
Wieder einmal stand ich lange an Spirits Box und redete mit ihm. Wie immer war ich allein. Und plötzlich passierte etwas, worauf ich schon lange gehofft hatte. Spirit war schon längst nicht mehr so unruhig, doch er hatte sich immer in den hinteren Teil seiner Box zurückgezogen. Aber nun, langsam und zögernd kam er Schritt für Schritt auf mich zu. Ich wagte kaum zu atmen. Langsam ließ ich meinen Blick über ihn schweifen und wie so oft fand ich den Anblick atemberaubend. Das pechschwarze Fell glänzte in den vereinzelten Sonnenstrahlen, die sich hier hinein verirrt hatten, seine Muskeln und Sehnen zeichneten sich deutlich ab. Er mußte laufen können, wie der Blitz.
Und jetzt kam dieses Rassepferd auf mich zu. Ich blieb regungslos stehen. Auf keinen Fall durfte ich Spirit jetzt erschrecken. Schließlich stand er vor mir, stupste mich leicht an und ging dann wieder ein kleines Stück zurück. Er war noch vorsichtig. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Unendlich langsam hob ich die Hand. Spirit bewegte zwar unruhig die Ohren, blieb ansonsten aber gelassen. Er kam wieder zu mir und ich kraulte ihn sanft zwischen den Ohren. Es schien ihm zu gefallen. Er schnaubte leise.
Wieder redete ich beruhigend auf ihn ein. Für ein paar Minuten gab es nichts anderes auf der Welt außer uns, doch plötzlich wurde die Idylle empfindlich gestört.
Jemand polterte von außen gegen die Tür. Ich zuckte zusammen und Spirit erging es nicht besser. Aufgeregt warf er den Kopf zurück und wieherte schrill. Er trat mit den Hufen gegen seine Box und ich trat hastig einen Schritt zurück. Beruhigen konnte ich ihn jetzt nicht mehr.
Ein paar Männer kamen herein, ich kannte sie schon. Seufzend machte ich ihnen Platz. Jetzt würden sie wieder versuchen, Spirit an der Longe zu führen, aber es war schon fast unmöglich, nahe genug an ihn heranzukommen, um ihm das nötige Geschirr anzulegen. Und langsam reifte eine Idee in mir heran.
Schnell verließ ich den Stall, um Jusuf, den alten Stallmeister zu suchen. Ich traf ihn dort, wo er meist zu finden war. Hinter dem Stall, nahe der Koppel, stand eine winzige Hütte, von Wind gebeutelt aber noch standfest. Davor befand sich eine kleine Holzbank und Jusuf saß hier oft. Auch jetzt. In der Hand hielt er eine Pfeife, an der er von Zeit zu Zeit genüßlich zog. Früher hatte er alle Tiere gehegt und gepflegt, was aber nicht hieß, daß er jetzt die Hände in den Schoß legte.
Er winkte mir schon von weitem zu. Ich joggte zu ihm und setzte mich ins Gras. Eine Weile schauten wir auf die saftigen Wiesen und Koppeln, denn die Hütte stand auf einer kleinen Anhöhe. Und wieder einmal mußte ich das Land bewundern, daß sich vor mir auftat. Es war saftig und grün, obwohl hier hohe Temperaturen herrschten. Möglich machte das ein gut ausgetüfteltes Bewässerungssystem. Ich war nicht zum erstenmal hier, seit ich meine Vorliebe für Spirit entdeckt hatte und Jusuf brachte mir immer etwas bei. Er konnte auch so gute Geschichten erzählen. Am Anfang war ich überrascht, wie gut er meine Sprache beherrscht, aber er war nicht immer in den Diensten des Prinzen gewesen.
Plötzlich ging die Stalltür auf und die Männer führten Spirit heraus. Das heißt, sie versuchten es, denn Spirit stieg immer wieder und keilte aus. Der Anblick tat mir in der Seele weh, denn ich wußte, er tat es nicht aus Bosheit sondern aus Angst.
„Wie ein schwarzer Teufel, nicht war?“ flüsterte Jusuf.
Erstaunt sah ich ihn an. Er lächelte. Um seine Augen bildeten sich etliche Fältchen.
„Ich weiß genau, wie du darüber denkst.“ Er zeigte auf die Männer, die sich mit Spirit abmühten. „Er leidet. Du weißt es und willst ihm helfen. Deswegen kommst du doch, oder?“
Ich nickte: „Bring es mir bei. Hilf mir, ihn zu führen.“
Für kurze Zeit herrschte Stille, dann fragte Jusuf: „Es ist dir wirklich ernst?“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage, aber ich nickte trotzdem.
„Gut, dann werde ich dir helfen. Aber es wird hart und es wird nicht deine einzige Verpflichtung sein.“
Und so schwirrte mir in der nächsten Zeit der Kopf, denn Jusuf brachte mir alles vom Anfang bis zum Ende bei. Und so sahen meine Freunde mich fast nur noch beim Training. Der einzige, der wußte, wo ich zu finden war, war Pascal. Ich hatte das Gefühl, es ihm sagen zu müssen. Das war ich ihm schuldig. Und so wunderten sich die anderen über seine Ruhe, wenn ich mal wieder verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Francis schwieg ebenso, konnte sie sich doch denken, wo ich war.
Jusuf stellte sich als geduldiger Lehrer heraus und ich als gelehrige Schülerin. Mit der Zeit konnte ich ohne Probleme die anderen Pferde an der Longe führen. Und ich ließ mich auch dazu überreden, mit dem Reiten anzufangen. Ich machte große Fortschritte und langsam wurde es Zeit, mein Wissen an Spirit auszuprobieren. Ich wollte versuchen, ihm das Geschirr anzulegen. Damit ich ihn nicht erschreckte, hängte ich es erst an die Tür. So konnte er es in aller Ruhe beschnuppern. Spirit bewegte die Ohren, er schien zu ahnen, daß das nicht ein Tag wie alle anderen werden würde. Das gefiel ihm nicht, doch ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Vorsichtig öffnete ich die Boxentür. Stroh raschelte unter meinen Füßen. Ich war noch nicht sehr oft in der Box gewesen. Es war daher ein befremdendes Gefühl. Spirit allerdings schien mein Eindringen nicht im Geringsten zu stören. Ich redete die ganze Zeit mit ihm, während ich das Geschirr zur Hand nahm, es ihm zeigte und schließlich anfing, es ihm anzulegen. Zuerst geschah nichts, doch plötzlich zuckte Spirit zurück und stieg. Mit einem verzweifelten Sprung brachte ich mich vor seine Hufe in Sicherheit.
„Spirit, was ist denn los?“
Hinter mir ging die Stalltür auf, Schritte näherten sich. Kräftige Hände packten mich und zerrten mich aus der Box. Spirit führte sich auf wie besessen. Ich wehrte mich gegen den Griff, der mich festhielt, aber ich hatte nicht genug Kraft. Schließlich wurde ich auf den Boden gestellt und wütend drehte ich mich um. Meine Augen wurden groß, denn es war Zomar. Und er sah nicht sehr erfreut aus.
„Was hattest du vor? Selbstmord?“
Die Wut schnürte mir die Kehle zu und der Prinz legte mein Schweigen falsch aus.
„Bist du jetzt noch sauer, daß ich dir das Leben gerettet habe?“
Ich schnappte nach Luft. Das gab es doch einfach nicht.
„Spirit ist nicht gefährlich. Man muß nur wissen, wie man ihn zu nehmen hat.“
„Und du meinst, die Stallburschen wissen es nicht? Wie sonst hätten sie hier arbeiten sollen?“
Ich schüttelte den Kopf: „Spirit ist nicht wie die anderen Pferde. Man kann ihm nicht einfach einen anderen Willen aufzwingen. Er ist etwas Besonderes und so muß man auch mit ihm arbeiten. Er verliert seinen Stolz nicht. Aber die Männer, sie ändern nie ihre Vorgehensweise. Und das Pferd gilt dann als böse.“
Ich redete mich um Kopf und Kragen, daß wußte ich, doch der Prinz hörte mir gar nicht richtig zu. Er schnitt mir das Wort ab: „Du hältst dich von ihm fern, es ist zu gefährlich. Ich kann es mir nicht leisten, daß du verletzt wirst.“
„Aber...“ Ich wollte protestieren, kam aber nicht sehr weit.
„Kein Wort mehr. Du tust, was ich dir sage. Und das ist ein Befehl.“ Zomars Stimme klang hart.
Verwirrt, wütend und vor allem hilflos blieb ich ihm Stall zurück. Die Männer kümmerten sich um Spirit. Wenigstens nannten sie es so. Meine Augen brannten, doch noch riß ich mich zusammen. Jusuf begleitete mich noch ein Stück des Weges, doch auch er konnte mich nicht beruhigen. Im Zimmer schmiß ich mich aufs Bett und weinte zum erstenmal nach langer Zeit wirklich bittere Tränen. Meine harte Arbeit war umsonst gewesen. Ich hatte dafür meine Freunde vernachlässigt. Und wofür, fragte ich mich, wenn es doch Leute gab, die nicht einsehen wollten, daß Spirit etwas Besonderes war.
Mir fiel der Satz von Zomar wieder ein: „Ich kann es mir nicht leisten, daß du verletzt ausfällst.“
Wer war ich denn? Ich hatte das Gefühl, als Eigentum betrachtet zu werden und merkte nicht, daß ich langsam von der Realität abglitt. Ich wollte oder wollte nicht begreifen, daß sich der Prinz einfach nur Sorgen um mich machte.
Irgendwann ging die Tür auf und Francis schaute herein. Sofort kam sie zu mir herüber.
„Taris, was ist denn? Kann ich dir helfen?“ Ihre Stimme klang ehrlich besorgt, doch ich schlug ihre Hand weg.
„Laß mich in Ruhe“, fauchte ich sie an.
Langsam stand sie auf und verließ das Zimmer. Doch ich irrte mich in der Vermutung, daß Francis verletzt und verärgert war. Sie trommelte gleich die anderen zusammen und erzählte im Gemeinschaftsraum, was geschehen war.
„Es muß etwas wirklich Schlimmes passiert sein. Ihr wißt ja, wie sie ist. Sie regt sich schnell auf und hat schlechte Laune, wobei sie manchmal ziemlich ungerecht werden kann, aber das ist etwas anderes. Sie hat geweint und das ist außergewöhnlich. Kann vielleicht jemand Licht ins Dunkel bringen?“
Francis schaute in die Runde und blieb dann bei Pascal hängen. Sein Gesicht verriet, daß er mehr wußte.
„Pascal, meinst du nicht auch, das Geheimnis sollte gelüftet werden?“ Ihre Stimme ließ keinen Widerspruch zu.
Pascal mußte lächeln. So wie Francis dort vor ihnen stand, die Hände in die Hüften gestemmt, mit einem Blitzen in den Augen, hatte sie viel mit mir gemeinsam. Sanft und gutmütig aber wehe, jemand legte sich mit ihr an. Auch wenn es darum ging, ein Unrecht aus der Welt zu schaffen, ließen wir beide nicht locker. Pascal stand auf und stellte sich neben Francis.
„Francis hat recht. Wenn Taris so reagiert, muß etwas Ernstes anliegen. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich kann euch sagen, was in letzter Zeit geschehen ist. Bisher war ich der einzige, der ihr Geheimnis kannte und ich hatte Taris versprochen, meinen Mund zu halten. Jetzt allerdings wird es wohl Zeit.
Ihr habt euch bestimmt immer gewundert, wo Taris die meiste Zeit steckte. Nun, sie war im Stall.“
„Im Stall? Hat sie nicht mal gesagt, daß sie Pferde nicht besonders mag?“ meldete sich Simon zu Wort.
„Ja, die Zeit gab es mal. Ich erkläre es euch. Nachdem bekannt wurde, daß Taris Ricos Stelle übernehmen sollte, hat sie sich ziemlich durcheinander zurückgezogen und ist beim Stall gelandet. Obwohl sie eigentlich kein Interesse hatte, ging sie hinein. Dabei hat sie einen schwarzen Hengst entdeckt, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Er ist vor einiger Zeit hier auf dem Gelände eingefangen worden und niemand scheint ihn zu vermissen. Taris hat ihm sogar einen Namen gegeben. Spirit. Allerdings ist es kein gewöhnliches Pferd. Es ist wild und die Männer konnten ihn nicht bändigen. Es brach ihr fast das Herz als sie sah, wie die Männer mit dem Tier umgingen. Und so fragte sie Jusuf, ob er ihr nicht alles Nötige beibringen wolle. Und das hat er auch getan.“
Peter unterbrach ihn: „Ich glaube, diesen Hengst habe ich schon gesehen, draußen auf den Koppeln. Und die Männer konnten einem wirklich leid tun. Der Schwarze sieht aus, als ob er den Teufel im Leib hätte.“
„Laß das bloß nicht Taris hören. Die köpft dich.“ Die anderen lachten, doch noch immer war nicht klar, warum ich so gereizt reagiert hatte.
Pascal redete weiter: „Soweit ich weiß, ist es Taris tatsächlich gelungen, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen. Und ich weiß auch, daß der Prinz sie nicht gern in der Nähe des Tieres gesehen hat. Vielleicht liegt da des Rätsels Lösung.“
„Womit du ganz richtig liegst, mein Junge“, antwortete eine tiefe Stimme von der Tür her.
Erschrocken fuhren alle herum. In der Tür stand ein alter Mann. Er lächelte etwas verlegen und drehte seine Mütze zwischen den Händen. Pascal faßte sich als erster. Ich hatte ihm schon viel den dem Mann erzählt, so daß er keine Schwierigkeiten hatte, ihn zu erkennen.
„Sie sind Jusuf, nicht war? Kommen sie doch näher.“
Jusuf nickte und trat nach vorn: Entschuldigen sie, wenn ich so hier hereinplatze, aber ich könnte vielleicht helfen.“
„Helfen? Inwiefern?“
„Nun, ich weiß, was passiert ist, aber der Prinz darf nicht erfahren, daß ich bei euch war. Könnt ihr mir das versprechen?“
Pascal schaute kurz in die Runde und nickte dann zufrieden: „Keiner von uns wird darüber ein Wort verlieren.“
„Gut. Aber sagt, was wißt ihr denn bisher?“
Kurz faßte Pascal sein Wissen zusammen und Jusuf nickte erneut: „Es ist alles richtig. Heute wollte sie versuchen, Spirit das Geschirr anzulegen. Es gab keine Probleme, sie hätte es geschafft. Doch plötzlich tauchte der Prinz auf und Spirit scheute. Natürlich sah es jetzt so aus, als würde das Pferd gefährlich sein und Taris verletzten. Ich konnte nichts tun und der Prinz verbot ihr ein für alle mal den Umgang. Er hörte nicht auf das, was Taris ihm zu sagen hatte, für ihn war die Sache erledigt.“
Die Fighter schwiegen betroffen. Sie konnten sich gut vorstellen, wie es in mir aussah. Ich hatte mir ein großes Ziel gesetzt und eine schwere Niederlage einstecken müssen. Und das war etwas, was ich nur schwer verkraftete. Jusuf zog sich zurück und ließ die Fighter mit ihren Gedanken allein.
Derweil war auch ich nicht untätig geblieben. Ich hatte das Gebäude verlassen und joggte durch die Landschaft außerhalb des Geländes. Ich wollte allein sein, niemanden sehen. Noch immer konnte ich Spirits Wiehern in meinem Kopf hören, konnte die Bilder nicht verdrängen. Und ich wollte es auch nicht. Als der Tag schon weit fortgeschritten war, machte ich mich auf den Rückweg. Leider war meine Pechsträhne noch nicht zu Ende, denn ich lief José über den Weg. Ich hatte ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und er ließ es sich nicht nehmen, mich anzuhalten.
„Ein bißchen spät unterwegs, findest du nicht?“ Er blickte demonstrativ auf seine Uhr.
„Kann schon sein“, knurrte ich. Ich wollte mich auf dieses Spielchen nicht einlassen, allerdings war José ganz anderer Meinung.
„Kann schon sein? Was glaubst du eigentlich, wo du hier bist? Stell dir mal vor, jeder würde kommen und gehen wann immer er wollte. Es gibt hier gewisse Regeln, an die sich jeder zu halten hat. Wirklich jeder.“
Ich hatte das Gefühl, daß er sich eigentlich anders ausdrücken wollte.
„Eine dieser Regeln besagt, daß jeder Fighter zum Essen anwesend sein muß. Und, waren wir heute da?“
Ich gab keine Antwort. Es war unnötig. José wußte so gut wie ich, daß ich das Essen heute hatte ausfallen lassen, aber ihm schien es Spaß zu machen, mich zu schikanieren. Wir hatten uns von Anfang an nicht vertragen und würden es wohl niemals tun.
„Nun, ich will diesmal noch gütig sein. Das mir das ja nicht noch mal vorkommt.“
Am liebsten hätte ich ihm mitten in sein arrogantes Gesicht geschlagen, konnte mich aber noch beherrschen. Dafür verschwand ich im Trainingsraum und ließ meinen Frust dort ab. Danach schlich ich unter die Dusche und verkrümelte mich dann ins Bett. Niemand hatte an diesem Tag noch Gelegenheit, mit mir zu sprechen.
Die nächsten Tage verliefen nicht anders, doch dann begann ich über mich selbst zu schimpfen. Niemand der anderen konnte etwas dafür und ich genoß hier eine besondere Stellung. Ich konnte mich nicht ewig einigeln und meine Probleme Probleme sein lassen. Da ich wußte, daß einiges im Gemeinschaftsraum los war, rang ich noch eine Weile mit mir und beschloß dann, der Sache ein Ende zu bereiten. Wir waren jetzt ein halbes Jahr hier und man saß zusammen und redete über vergangene Zeiten. Außer einigen Tuscheleien war man immer nett und freundlich geblieben. Ich wußte, daß war weiß Gott nicht leicht.
Schon auf dem Gang hörte ich die Stimmen der anderen und öffnete entschlossen die Tür. Irgendwann mußte es ja sein und wenn Gerede aufkam. Selbst schuld, schimpfte ich mit mir selbst. Ich hatte mal wieder alles allein schaffen wollen. Als ich eintrat, verstummten sämtliche Gespräche, alles schaute zur Tür. Ich spürte, wie ich rot wurde, blieb aber standfest. Ich stellte mich so hin, daß mich jeder sehen konnte. Erwartungsvoll blickten mich die anderen an, denn es war nicht schwer zu erraten, was jetzt kommen würde.
Ich holte noch einmal tief Luft: „In den letzten Tagen bin ich nicht fair euch gegenüber gewesen und ich möchte mich dafür bei euch entschuldigen. Es ist leider nicht das erste Mal und ich werde versuchen, mich zu bessern. Ich will euch erklären, warum es so war und was passiert ist.“
„Wissen wir schon“, unterbrach mich Rico in einem leicht gelangweilten Ton und ich biß mir auf die Lippen, um ihm nicht eine passende Antwort zu servieren. Pascal dagegen schenkte ihm ein Blick, der ihn fast in einen Eisblock verwandelt hätte.
Ich lächelte etwas gequält: „Dann gibt es nicht mehr viel zu sagen. Nur noch soviel. Spirit bedeutete mir wirklich viel und ich glaube nicht, daß damit die Sache für mich erledigt ist. Ich weiß daher nicht, ob meine Stellung für mich das richtige ist.“ Ich schaute bei meinen Worten demonstrativ an Rico vorbei. Er sollte seinen Triumph nicht haben. Doch ich merkte auch, daß meine Bereitschaft, den Posten abzugeben, bei den anderen auf taube Ohren stieß. Ich versuchte ihnen, meine Beweggründe zu erklären: „In meiner Position sollte ich eigentlich mehr ein Vorbild sein. Und das ist nicht der Fall. Ich halte die Regeln nicht ein, komme und gehe wann ich es will.“
Peter sprang auf: „Aber das hat doch nichts mit deiner Position zu tun. Wir haben dich gewählt, weil wir uns auf dich verlassen können, wenn es ernst wird. Das hier ist doch nicht so wichtig. Und wenn du Ärger bekommst, stehen wir immer hinter dir.“
„Aber man kann doch nicht nach zweierlei Maß urteilen“, versuchte ich es noch einmal.
„Vergiß es. Niemand ist perfekt und auch wir haben unsere Macken. Wir wollen dich als Oberhaupt behalten. Kapierst du das nicht?“
Gegen meinen Willen mußte ich grinsen. So kannte ich Peter gar nicht. Und auch die anderen schlossen sich seiner Meinung an. Ich war richtig gerührt und ich konnte einige Freudentränen nicht verhindern. Wieder einmal spürte ich, daß, wenn es darauf ankam, die Gruppe doch zusammenhalten konnte. Und auch die anderen Fighter, die in den anderen Etagen dieses Hauses untergebracht waren, hatten nichts dagegen einzuwenden. Sie waren sowieso mehr mit sich beschäftigt, als das sie es hätte interessieren können. Pascal legte seine Arme um mich.
„Jetzt ist alle in Ordnung“, flüsterte er mir ins Ohr.
„Ach Pascal. Wieso muß mir das immer passieren? Wieso kann ich mich nicht beherrschen wie andere auch?“
„Können das die anderen? Vielleicht fällt es bei uns nur nicht so auf.“
Ich sagte nichts und Pascal zog mich mit aus dem Raum. Für eine Weile waren wir allein und redeten viel. Doch es gab auch stillschweigende Momente, denn nicht immer brauchten wir Worte um zu verstehen. Theo grinste nur, als er später ins Zimmer kam. Pascal saß auf dem Bett und ich hatte mich gerade über ihn gebeugt, um ihn zu kitzeln.
„Was gibt es denn da zu grinsen?“ fragte ich und richtete mich wieder auf.
„Ach, nichts“, tat er ganz unschuldig. „Es war wohl nicht langweilig hier.“
„Hmh.“ Pascal räusperte sich und blickte Theo scheinbar entrüstet an, doch das reizte ihn erst recht zum Lachen.
Ich zwinkerte Pascal zu. Da ich mit dem Rücken zu Theo stand, konnte er es nicht sehen und Pascal war klar, daß ich etwas vorhatte. Ich tat so, als würde ich zum Fenster gehen und stand so hinter Theo. Plötzlich packte ich ihn bei den Schultern und zog ihm gleichzeitig die Füße weg. Er hatte keine Chance und ich ließ in fast sanft zu Boden gleiten. Erfolgreich hielt ich ihn dort fest.
„Du hast was gegen Langeweile? So schnell kann es sich ändern.“
Theos Augen blitzten vergnügt: „Wirklich? Paß bloß auf, daß sich das Blatt nicht wendet.“
Blitzschnell hatte er sich befreit und drehte den Spieß um. Jetzt war ich diejenige, die sich nicht rühren konnte.
„Verstanden.“
Ich nickte, sah jedoch gleichzeitig aus den Augenwinkeln eine Gestalt. Sie packte Theo im Nacken und zog den völlig überrumpelten von mir weg. Ich hatte allerdings keine Zeit, mich darüber zu freuen. Der unbekannte Befreier entpuppte sich als Francis, die jedoch sofort von Pascal attackiert wurde. Es endete damit, daß wir uns alle vier gegenseitig ärgerten und schließlich lachend am Boden landeten. Die Sonnenseite des Lebens hatte mich wieder.
Das Verhältnis zur Gruppe änderte sich also abermals, was freilich nicht hieß, daß ich mich absolut brav verhielt. Noch immer unternahm ich viel allein, wenn auch eingeschränkt und nicht immer wußten die anderen, wo ich steckte. Aber es gab noch ein viel größeres Problem. Immer wieder geriet ich mit José aneinander und es erinnerte mich stark an Rico. Der hatte auch immer versucht, mich bei passender oder unpassender Gelegenheit aus der Reserve zu locken. Aber José hatte damit weitaus mehr Erfolg. Er verheimlichte unsere Auseinandersetzungen auch dem Prinzen gegenüber nicht und ich bekam prompt die strickte Anweisung, daß ich ohne ausdrückliche Erlaubnis den Hof nicht mehr verlassen durfte. Ich hatte nicht die Spur einer Chance zur Verteidigung. Zomar tat, was er für richtig hielt und im Grunde genommen war es das Richtige. Ich hielt mich schließlich nicht an die Regeln. Was mich an der Sache wurmte war, daß José seine Position schamlos ausnutzte. Diesmal allerdings zog ich mich nicht vor meinen Freunden zurück. Im Gegenteil. Sie hörten mir zu, wenn ich mich mal wieder aufregte und sprachen mir Trost zu. Auch sie fanden das Verhalten von José hinterlistig und gemein. Doch ich hielt mich an die Anweisung, denn trotz allem hatte ich Respekt vor Zomar. Allerdings wußte ich da noch nicht, wie schnell sich das würde ändern können.



Es war mal wieder einer dieser Nächte, in denen man fast verzweifelte. Die Fenster waren sperrangelweit geöffnet, ohne auch nur einen Lufthauch hereinzulassen. Ruhelos warf ich mich hin und her, es war unmöglich einzuschlafen. Als ich endlich eine halbwegs angenehmen Liegeposition gefunden und etwas eingedöst war, schreckte mich ein Krachen wieder auf. Im ersten Augenblick dachte ich, das wäre ein Traum und wollte die Augen wieder schließen.
Da wiederholte sich der Laut.
Mit einem Satz waren ich und Francis, die auch nicht hatte schlafen können, am Fenster. Viel zu sehen gab es allerdings nicht. Uns fiel nur auf, daß die, die sich im Hof befanden, unruhig wirkten. Aber warum?
Schritte näherten sich unserer Tür und es klopfte leise.
„Wer da?“
„Wir sind’s, Pascal und Theo.“
„Kommt rein, die Tür ist offen.“
Aber Pascal und Theo waren nicht allein. Tan und Simon standen hinter ihnen. Schnell schlossen sie die Tür.
„Wißt ihr, was los ist?“
Niemand wußte Bescheid. Ein erneutes Krachen ließ uns herumfahren. Jetzt glaubte ich auch, daß Geräusch erkannt zu haben.
„Klang das nicht wie ein Schuß?“ Meine Nackenhaare sträubten sich, doch ich blieb ruhig. Die anderen sahen mich leicht zweifelnd an. Ich überlegte nicht lange.
„Wir treffen uns gleich unten in der Vorhalle.“
Rasch gingen die Jungen hinaus und auch Francis und ich zogen uns an. In der Halle standen schon ein paar andere Fighter herum und ich suchte Franko.
„Such dir ein paar Leute zusammen und gehe mit ihnen durch den Südtrakt. Ich nehme den nördlichen. Wir treffen uns beim Ausgang zu den Trainingsplätzen wieder. Aber Vorsicht, solange wir nicht wissen, was passiert ist.“ Franko nickte und verschwand.
Fünf Minuten später standen wir im Torbogen, der zu den Plätzen führte. Im Gebäude selber hatten wir nichts Ungewöhnliches feststellen können. Jetzt allerdings konnten wir sehen, woher der Lärm gekommen war. Um den Stall herum standen mehrere Leute und mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Mit schnellen Schritten näherten wir uns dem Gebäude, doch plötzlich legte sich mir eine Hand auf die Schulter. Ich gebot den Anderen weiterzugehen, denn es war Jusuf, der da neben mir stand.
„Was ist passiert? Wieso stehen sie alle beim Stall?“
„Es geht um Spirit. Er ist immer unruhiger geworden und zog sich damit den Unmut des Prinzen zu. Und jetzt ist das Unglück passiert.“
„Was Jusuf?“ Ich schrie fast, weil der alte Mann eine Pause machte.
„Er hat die Rückwand seiner Box bearbeitet und du weißt ja, wie kräftig er ist.“
Ich konnte nur noch nicken.
„Niemand hat damit gerechnet, doch er ist ausgebrochen. Die Nacht hat ihn verschluckt.“
„Aber dann ist es doch gut. Er hat seine Freiheit wieder.“
Jusuf schüttelte heftig den Kopf: „Nichts ist gut. Die Männer suchen ihn, doch du mußt ihnen zuvorkommen. Wenn die Männer ihn finden, werden sie ihn vermutlich erschießen, denn jetzt gilt er erst recht als zu gefährlich.“
Entsetzt starrte ich Jusuf an. Spirit erschießen?
„Was soll ich tun?“
„Nimm Taschin. Das Pferd, das neben Spirit steht. Es kann dem Tempo noch am ehesten standhalten.“
Ich bedankte mich kurz und lief dann zum Stall hinüber. Auch Zomar befand sich dort und sein Blick wurde noch um einiges düsterer, als er mich erblickte. Schnell machte ich, daß ich aus seinen Augen kam. Irgendwie mußte ich an Taschin herankommen. Ich hatte auch bei Jusuf gelernt, ohne Sattel und Zaumzeug zu reiten, nur wußte ich nicht, ob er mir auch gehorchen würde. Und wenn ja, würde ich Spirit überhaupt finden können? Was würden die Männer machen? Plötzlich zweifelte ich, ob ich das überhaupt tun sollte. Aber ja. Ich schüttelte den Kopf. Natürlich würde ich alles versuchen, um Spirit zu retten.
Ich versuchte erst gar nicht, durch die geöffnete Tür in den Stall zu kommen, sondern wandte mich der zerstörten Rückwand zu. Sie war stabil, hatte aber der Kraft von Spirit nicht standhalten können. In der allgemeinen Aufregung achtete niemand auf mich. In einem günstigen Moment schlich ich in den Stall. Taschin reagierte ruhig und gelassen, als ich die Tür zu seiner Box öffnete.
„So mein Guter, nun mußt du mir helfen.“
Taschin spitzte die Ohren, als könne er alles verstehen.
„Du mußt mir helfen Spirit zu finden. Sonst kommt er nie wieder.“
Geschickt schwang ich mich auf seinen Rücken und führte ihn sacht aus der Box. Nun gab es kein Halten mehr. Hart trieb ich Taschin an und er schien nur so aus dem Stall zu fliegen. Aufgeregte Stimmen huschten an mein Ohr vorbei und es gab auch einige Männer, anscheinend lebensmüde, die versuchten uns aufzuhalten. Doch es war zu spät. Mal von Spirit abgesehen, war Taschin das schnellste Pferd im Stall, das sogar schon etliche Preise gewonnen hatte. Niemand konnte uns so schnell folgen.
Schon bald hatten wir die Koppeln und Felder hinter uns gelassen und näherten uns dem Wald. Die Bäume huschten an mir als schwarze Schatten vorbei, der Wind verfing sich in meinen Haaren. Ich hatte alle Mühe mich festzuhalten. Taschin schien zu spüren, worauf es ankam und vielleicht witterte er auch Spirit. Jedenfalls folgte er seinem Weg und ich ließ ihn gewähren.
Rasch schaute ich mich um und gewahrte zwei, drei Reiter am Waldrand. Ich trieb Taschin noch ein wenig mehr an. Doch weniger die Reiter hinter mir, als die Reiter vor mir stellten eine Gefahr dar. Es waren schon einige vorgeritten, um Spirit zu suchen, doch vertraute ich auf Taschins Sinne. Noch einmal schaute ich mich um, doch von meinen Verfolgern war weder etwas zu sehen noch zu hören. Allerdings wiegte mich das nicht in Sicherheit. Vielleicht überholten sie mich gerade auf einem der anderen Wege, denn ohne Zweifel kannten sie sich hier besser aus und es war dazu noch Nacht.
Plötzlich brach Taschin nach links aus und verließ den Weg. Hastig beugte ich mich tief über Taschins Hals, um nicht von tiefhängenden Ästen vom Pferderücken geweht zu werden. Lautlos fluchte ich, mußte dann aber feststellen, daß mich Taschin gerade gerettet hatte. Aus dem Gebüsch brachen drei Reiter hervor, ihre aufgeregten Stimmen klangen bedrohlich in meinen Ohren. Ich hatte mich also nicht geirrt. Es waren meine Verfolger gewesen, doch Dank Taschin entkam ich auch dieser brenzligen Situation. Nach diesem Vorfall überließ ich Taschin die ganze Führung. Die Nacht nahm uns auf und ich hing ein wenig meinen Gedanken nach, ohne die Umgebung aus den Augen zu lassen.
Was wohl Zomar gerade machte? Wahrscheinlich tobte er vor Wut und ich war wohl ziemlich in Ungnade gefallen, doch diesmal war es mir egal. Hier ging es um ein Leben. Ich merkte nicht, daß Taschin abermals die Richtung wechselte. Erst als mir ein Ast ins Gesicht schlug, schreckte ich auf. Ich ärgerte mich etwas darüber, denn ich mußte wachsam bleiben.
Wir standen am Rande einer Lichtung und Taschin bewegte unruhig den Kopf. Ich treib ihn an weiterzugehen, aber er weigerte sich. Er trat sogar noch ein wenig zurück. Das wunderte und alarmierte mich zugleich. Taschin war gewiß nicht stur und eigenwillig. Was also war los?
Vorsichtig ließ ich mich zu Boden gleiten und lauschte in die Nacht. Es war nichts zu hören und sehen konnte ich hier, mitten im Wald genauso wenig. Ich runzelte die Stirn. Zomars Männer waren nicht in der Nähe, daß spürte ich einfach. Was war dann für Taschins Unruhe verantwortlich? Vielleicht Spirit?
Eine Weile stand ich einfach nur da und war schließlich davon überzeugt, daß es nichts zur Beunruhigung gab und wandte mich wieder Taschin zu.
„Also, was ist los? Wolltest du nur eine Pause machen?“
Ich griff in seine Mähne und wollte mich wieder auf seinen Rücken schwingen. Da erstarrte ich mitten in der Bewegung. Hatte ich nicht etwas gehört? Der Wind rauschte leise in den Wipfeln der Bäume und ich kam zu dem Schluß, mich getäuscht zu haben.
Da.
Ich fuhr herum. Das Geräusch erklang erneut und es war in der Nähe. Und ich glaubte auch zu wissen, was ich gehört hatte. Das Wiehern eines Pferdes. Sofort dachte ich an die Verfolger. Langsam, immer in die Richtung starrend, aus der das Geräusch kam, faßte ich wieder nach Taschins Mähne, aber ich kam nicht dazu, aufzusteigen. Taschin gab mir einen Stoß, der mich auf die Lichtung stolpern ließ. Dem Geräusch zu.
„Taschin. Laß das.“ Ich bemühte mich, nicht allzu laut zu reden.
Doch Taschin dachte nicht daran. Immer und immer wieder stieß er mich an und trieb mich vorwärts. Es ging über die Lichtung hinweg und mir wurde klar, daß aus dieser Richtung keine Gefahr drohte. Ich drehte mich um, denn bisher war ich rückwärts gelaufen. Wie auf ein geheimes Kommando blieb Taschin stehen. Das Wiehern erklang erneut und jetzt hätte ich es unter tausend herausgehört.
„Spirit.“ Ich flüsterte nur.
Meine Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und so fiel es mir nicht schwer, die Gestalt auszumachen, die da plötzlich vor uns auftauchte. Er war es und blieb tänzelnd stehen. Langsam ging ich auf ihn zu. Würde er mich wiedererkennen? Würde er mich überhaupt reiten lassen? Bisher hatte ich keine Gelegenheit gehabt, es auszuprobieren.
Nervös scharrte Spirit im Sand. Er konnte sich nicht entscheiden, hierzubleiben oder loszugaloppieren. Hinter mir wieherte Taschin. Ich zuckte zusammen, doch Spirit schien es eher zu beruhigen. Schritt für Schritt kam ich ihm näher und Spirit nahm mir die Entscheidung auf den letzten Metern ab und kam mir entgegen. Erleichtert lehnte ich mich an ihn und streichelte sein seidiges Fell. Endlich hatte ich ihn wieder.
Die Wirklichkeit holte mich aber schneller ein, als es mir lieb war. Die Männer hatten unsere Spur gefunden und Spirit wurde unruhig. Ich mußte mich beeilen.
„So Spirit, jetzt kommt es auf dich an. Du mußt dich von mir reiten lassen, sonst ist alles aus.“
Ich griff in seine Mähne und zog mich hinauf. Kurz scheute Spirit, doch auch er schien den Ernst der Lage erkannt zu haben. Hinter uns waren die Verfolger zu hören.
„Los Spirit. Zeig, was in dir steckt.“
Und der wildeste Ritt meines Lebens begann. Er machte seinem Namen, den er von den Stallburschen bekommen hatte alle Ehre, denn er lief wirklich wie der Teufel. Es schien, als hätte Spirit nicht schon einen Ritt hinter sich, sondern wäre ausgeruht aus dem Stall gekommen. Mir verging fast Hören und Sehen, und die Verfolger würden alle Mühe haben, uns zu folgen. Glücklicherweise hatte ich auch noch dunkle Sachen an und die Nacht war unsere Verbündete. Wo wir hinritten, konnte ich allerdings nicht sagen. Es war mir auch egal. Einfach nur raus aus dem Wald und Spirit in Sicherheit wissen. Mir wurde auch noch nicht die Tragweite meiner Unternehmung klar.
Plötzlich - ein Schuß.
Spirit stieg und wieherte erschrocken. Ich fluchte und konnte gerade noch verhindern, abgeworfen zu werden. Die Männer mußten doch noch in der Nähe sein und sie hatten dazugelernt, denn hören konnte ich sie nicht. Vorsicht war geboten.
Ein zweiter Schuß erklang, doch meine Glückssträhne hielt an. Ich bekam Spirit wieder unter Kontrolle und ohne mein Zutun strengte er sich noch mehr an. Zweige peitschten mir ins Gesicht, Dornen zerkratzten mir Arme und Beine, denn Spirit suchte sich seinen eigenen Weg. Ich selbst beschränkte mich darauf, mich festzuhalten.
Irgendwann, mein Zeitgefühl hatte mich völlig verlassen, ritten wir über Wiesen und Felder, vorbei an einsamen Höfen oder vereinzelten Scheunen. Ich fühlte mich plötzlich so zerschlagen und müde, daß ich nur noch den Wunsch hatte zu schlafen. Und auch Spirit wurde langsamer. Sein Atem ging stoßweise und ich wußte, ich mußte schnellstens einen Unterschlupf finden. Ruhe brauchten wir beide.
Als sich der erste Lichtstreifen des Tages weit hinten am Horizont zeigte, kamen wir abermals an einer Scheune vorbei. Ich ließ Spirit anhalten und stieg mit zitternden Knien ab. Steif stakste ich zur Scheune und hielt vorsichtig Ausschau. Man konnte nie wissen. Allerdings war meine Sorge unbegründet. Um diese Zeit hielt sich niemand hier auf und es war auch nicht schwer, in die Scheune zu gelangen. Sogar Heu gab es. Ich führte Spirit hinein und schloß sorgfältig die Tür. Erleichtert ließ ich mich ins Heu sinken und schaute Spirit an: „Bediene dich ruhig.“
Spirit schnaubte leise und fing an zu fressen. Bald darauf schlief ich ein.
In der Zwischenzeit stand alles im Palast Kopf. Zomar hatte alle Fighter wieder in die Zimmer gescheucht. Er hatte schlechte Laune und war auf mich gar nicht gut zu sprechen. Zudem konnten seine Männer ihm keine Erfolgsmeldung bringen. Nur Taschin stand wieder wohlbehalten im Stall. Der Prinz rief eine große Suchaktion ins Leben. Er teilte möglichst viele Leute dazu ein, abgesehen von den Fightern. Er wollte ihr Gewissen nicht unnötig belasten, wußte er doch, daß sie auf meiner Seite standen. Auch die Bauern und Farmer in der Umgebung bekamen Order, die Augen offen zu halten. Was aber nicht hieß, daß dadurch mehr erreicht wurde. Einige wollten mit der Sache nichts zu tun haben und so waren die Informationen eher dürftig.
Von all der Aufregung bekam ich nicht viel mit.
Noch nicht.
Ich schlief bis spät in den Tag hinein. Ein leises Schnauben weckte mich, aber noch wollte ich die Augen nicht öffnen. Doch Spirit war unerbittlich. Wieder schnaubte er, direkt neben meinem linken Ohr.
„He, hör auf.“ Ich lachte und öffnete die Augen. „Das kitzelt.“
Ich stand auf und streichelte ihn. Die Sonne schickte einige Strahlen durch die Ritzen der Wände und ich sah mich um. Viel gab es nicht zu sehen. Es hatte den Anschein, daß die Scheune nicht allzu oft benutzt wurde. Ich drehte mich wieder zu Spirit: „Wir werden jetzt erst mal Wasser für dich finden. Ich könnte auch einen Schluck vertragen. Vielleicht könne wir auf einem der Höfe unterkommen.“
Ich ging zum Tor und öffnete es ein Stück, aber es sah nicht so aus, als würde uns eine unangenehme Überraschung erwarten. Schließlich trat ich hinaus. Helles Sonnenlicht überflutete uns und ich mußte blinzeln. Gleichzeitig traf mich die Hitze. Spirit folgte mir langsam. Zu langsam, wie ich fand und drehte mich wieder zu ihm um. Dabei sah ich etwas, was mich bis ins Mark traf. An der linken Flanke hatte Spirit eine Verletzung. Vorsichtig, ohne sie zu berühren, sah ich mir die Wunde an. Ich hatte genug Ahnung um zuerkennen, daß es ein Streifschuß war. Noch einmal sah ich die Szene im Wald vor mir. Der Schuß, Spirit, der stieg. Jetzt war mir klar warum! Er war getroffen worden und ich hatte nichts bemerkt. Im Gegenteil. Die ganze Nacht hatte ich ihn laufen lassen und auch als wir rasteten, hatte ich nichts gesehen.
„Oh Spirit. Es tut mir so leid. Ich hätte besser aufpassen müssen.“
Spirit bewegte den Kopf und schüttelte seine Mähne, als wolle er sagen: Nicht so schlimm.
Ich überlegte. Jetzt mußten wir zu einem Hof. Jemand mußte sich um Spirit kümmern. Nur, in welche Richtung sollten wir gehen?
„Was meinst du?“
Einen Moment blickte Spirit mich an und als hätte er meine Worte verstanden, setzte er sich langsam in Bewegung. Ich wußte, ich konnte mich blind auf ihn verlassen, also folgte ich ihm. Die Sonne brannte noch immer vom wolkenlosen Himmel auf uns herab, obwohl sich der Tag langsam dem Ende neigte. Durst begann sich in mir breit zu machen, meine Zunge schien an meinem Gaumen zu kleben. Plötzlich wieherte Spirit ganz aufgeregt. Alarmiert blickte ich auf.
Was war das dort in der Ferne?
Ich schirmte die Augen mit der Hand ab und kniff sie ein wenig zusammen.
Tatsächlich.
Dort vorn standen ein paar Häuser, ein Gehöft, wie ich annahm. Ich schritt ein wenig schneller aus, denn der Durst wurde langsam zur Qual. Außerdem würden dort Leute sein, die Spirit helfen konnten. So hoffte ich wenigstens.
Ich wurde nicht enttäuscht, was die Anwesenheit von Menschen betraf. Schon von weiten konnte man hören, daß dort gearbeitet wurde. Stimmen erklangen, jemand hämmerte irgendwo und ein sirrendes Geräusch identifizierte ich als Rasenmäher. Trotzdem blieb ich vorsichtig und näherte mich dem Hof nicht direkt. Dichte Büsche boten mir Schutz, nahmen mir andererseits aber die Sicht. Plötzlich ertönte eine Stimme hinter den Büschen: „Was machst du da? Willst du stehlen?“
Ein Junge, jünger als ich, trat hervor. Spirit wurde sofort nervös.
„Ruhig. Ganz ruhig.“ Ich streichelte seinen Hals und blickte gleichzeitig den Jungen an. „Du kannst dich beruhigen. Ich will nicht stehlen, ich brauche Hilfe.“
Mißtrauisch blieb der Junge stehen: „Woher soll ich wissen, daß du die Wahrheit sprichst?“
Ich mußte mir ein Lachen verkneifen. Der Junge sah bei seinen Worten so ernst aus, daß es nicht zu seinem Äußeren paßte. Sein schwarzen Haare glänzten in der untergehenden Sonne, und man sah im seine Unbekümmertheit an. Er erwartete eine Antwort.
„Schau.“ Ich winkte ihn auf meine Seite. „Mein Pferd ist verletzt und ich kann ihm nicht helfen. Außerdem sind wir schon lange unterwegs und durstig.“ Ich hoffte nur, daß meine Sprachkenntnisse hier ausreichten. Anscheinend schon, denn jetzt trat der Junge, wenn auch zögernd, an mich heran und besah sich Spirits Wunde. Merkwürdigerweise blieb Spirit ruhig dabei. Jedenfalls ruhiger als sonst.
„Du magst wohl Pferde sehr gern, nicht war?“
Der Junge nickte überrascht. „Woher weißt du das?“ Sein Mißtrauen flackerte erneut auf, aber ich konnte ihn beruhigen.
„Fremden gegenüber ist mein Pferd sehr scheu. Da das bei dir nicht der Fall ist...“ Ich ließ den Satz offen und lächelte. Das half. Der Junge faßte Vertrauen und wurde neugierig.
„Du bist nicht von hier, oder? Deine Haare passen nicht hierher.“
Ich schüttelte den Kopf: „Ich bin erst seit einem halben Jahr in diesem Land.“
Der Junge grinste leicht: „Dafür sprichst du aber sehr gut unsere Sprache. Von einigen Fehlern abgesehen.“ Er machte eine kurze Pause. „Wie heißt du?“ fragte er schließlich.
„Taris.“
„Taris? Mmh, der Name gefällt mir. Ich bin Joschi. Wie kann ich dir helfen?“
Gerade als ich antworten wollte, erklang erneut eine Stimme: „Joschi, wo bist du denn schon wieder?“ Die Stimme hatte einen ungeduldigen und zornigen Klang.
Joschi zuckte zusammen: „Das ist mein Bruder Thasha. Mal wieder schlecht gelaunt.“
Anscheinend hatte Thasha seinen Bruder gehört, denn er kam näher: „Joschi, mit wem sprichst du da?“ Er kam um die Büsche herum. „Oh.“ Überrascht blieb er stehen.
Unruhig stampfte Spirit mit den Hufen auf und ich runzelte die Stirn. Bisher war er ruhig geblieben und das gab mir zu denken. Er mochte Thasha nicht und ich schloß mich ihm bald an.
„Wer bist du und was willst du hier?“ fragte Thasha kühl.
Ich schluckte eine herbe Antwort herunter. Ziemlich unfreundlich, dachte ich, antwortete aber umso freundlicher: „Ich heiße Taris und brauche Hilfe für mein Pferd. Es ist verletzt.“
Thasha warf einen kurzen Blick auf Spirit. Etwas in seinem Blick änderte sich und ich konnte nicht sagen, daß mir das, was ich sah, gefiel. Eher im Gegenteil. Auch seine Fragen gefielen mir nicht, obwohl sie eigentlich ganz harmlos waren.
„Ein hübsches Tier. Von welchem Gestüt kommt es? Gehört es dir?“
Ich hatte Mühe seinen Worten zu folgen, denn er sprach sehr schnell. Joschi mußte es mir angesehen haben, denn er unterbrach seinen Bruder: „Du mußt langsamer sprechen. Sie ist erst ein halbes Jahr in diesem Land und der Sprache noch nicht sehr mächtig.“
„Ach, so ist das. Oh“, Thasha drehte sich kurz um, „warte einen Moment. Ich komme gleich wieder.“
Joschi schaute seinem Bruder etwas ratlos hinterher. Auch er wußte nicht, was los war und warum Thasha mich nicht gleich mit zu Hof nahm. Um eine Antwort zu finden, schlich er ihm hinterher. Derweil sprach ich mit Spirit.
„Bald wirst du dich ausruhen können, Wasser und Futter genug haben. Das ist doch was, oder?“
Doch jäh wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Joschi kam angerannt. Er war außer Atem und sprach sehr schnell. Ich verstand nur wenig, aber das reichte schon. Thasha sprach gerade mit einigen Männern, die mich anscheinend suchten. Ich erschrak. Jetzt hatten unsere Verfolger doch eine Spur gefunden. Ich drehte mich zu Spirit um, der meine erneute Unruhe spürte.
„Es tut mir leid aber wenn du frei sein willst, muß die Pause wohl ausfallen. Hast du mich verstanden?“
Ich saß auf. Spirit scheute kurz, gehorchte mir dann aber. Joschi zeigte in eine Richtung: „Viel Glück!“
Ich lächelte kurz: „Vielen Dank. Leb wohl.“ Es tat mir irgendwie weh, schon wieder gehen zu müssen. Die paar Minuten hatten gereicht, um den Jungen lieb zu gewinnen.
Irgendwo hinter mir hörte ich Thasha und mir blieb keine Zeit mehr für große Worte. Spirit überwand sich und sprengte los. Und keine Sekunde zu früh, denn jetzt tauchten ein paar Männer auf, die ich sofort erkannte. Sie kamen vom Palast. Ich warf nur einen kurzen Blick zurück und sah, daß ich eine gute Chance hatte. Die Männer waren das Stück vom Hof zu Fuß gekommen, um mich durch ihre Pferde nicht zu verraten. Das rächte sich jetzt. Mir tat nur Joschi leid, denn mir war klar, daß er einigen Ärger zu erwarten hatte.
Irgendwann war ich der Meinung, daß ich es mal wieder geschafft hatte, meine Verfolger abzuschütteln und stieg ab. Spirit mußte nicht auch noch mein Gewicht tragen. Ich führte ihn durch einen seichten Fluß und beschloß, am anderen Ufer zu rasten. Ich fand Sträucher mit eßbaren Beeren, die meinen ärgsten Hunger stillten. Das Wasser war klar und sauber und Spirit fand genug Gras. Ich konnte sogar einige Kräuter ausfindig machen, die, das wußte ich aus dem Unterricht, Spirits Heilung unterstützen würden. Es war zwar nur eine notdürftige Lösung, aber besser als gar nichts.
Nach einer Weile brachen wir wieder auf, Ich zog es jetzt vor, in der Nacht zu wandern. Noch immer wußte ich nicht, was ich tun sollte, doch ich dachte auch nicht weiter darüber nach. Irgendwas würde schon kommen. Als erstes suchte ich nach einem Unterschlupf, in dem wir ungestört sein würden. Die Landschaft änderte sich, wurde grüner und hügeliger, schon fast bergig. Dann und wann gewahrte ich dunkle Löcher in den Felswänden, Höhlen. Ich untersuchte sie vorsichtig und eine erschien mir gerade recht. Sie war größer als alle anderen, hatte allem Anschein nach noch keinen Untermieter und die Luft war kühl. In der Nähe floß ein Bach. Hier konnten wir uns eine Weile ausruhen.
Nach und nach kam mir das Ausmaß dieser Reise zu Bewußtsein. Wohin sollte ich gehen, was waren meine Pläne? Wem konnte ich noch vertrauen? Ich kannte niemanden. Neben all diesen Fragen wußte ich nur eines ganz genau: Ich würde nicht eher zum Palast zurückkehren, ehe nicht für Spirits Sicherheit garantiert und unsere Freundschaft vom Prinzen akzeptiert wurde.
Während ich inmitten meiner Grübeleien einschlief, fanden ein paar Ereignisse statt, die mich interessiert hätten. Der Verfolgertrupp hatte sich getrennt und ein paar ritten zum Palast zurück, um Bericht zu erstatten. Der Prinz erwartete sie voller Ungeduld, denn er befand sich im Zwiespalt. Er war noch immer sehr zornig darüber, daß ich seinen Befehl mißachtet hatte, doch er machte sich auch große Sorgen. Als der Trupp am Hof eintraf, warteten neben Zomar auch Costa, Jusuf und Pascal. Er hatte die ausdrückliche Erlaubnis des Prinzen dafür bekommen.
Der Kommandant berichtete über die Ereignisse vom Hof. Die Nachricht, daß ich und Spirit wohlauf waren, zauberte Erleichterung in alle Gesichter. Das ich allerdings entkommen war, fand Zomar weniger gut. Der Kommandant mußte sich einiges anhören und wollte sich dann eiligst verziehen. Pascal machte sich derweil seine eigenen Gedanken. Er überlegte, wie er den Prinzen davon überzeugen konnte, daß Spirit nicht so gefährlich war, wie alle dachten. Und ihm fiel auch etwas ein. Rasch hielt er den Kommandanten zurück und fing an zu reden: „Man hat Taris also gesehen. Unverletzt und mit Spirit zusammen. Kommandant, erzählen sie doch bitte noch einmal, was genau geschehen ist.“
„Nun ja, also, wir waren an einem der Höfe angekommen und der älteste Sohn konnte uns etwas über das Mädchen erzählen. Sie befand sich hinter dem Hof und sprach mit dem jüngeren Bruder. Dieser warnte sie auch vor uns.“
„Der Junge stand also bei Taris und Spirit?“
„Ja.“
„Und? Konnte der Junge noch etwas sagen?“
Der Kommandant schaute etwas irritiert zum Prinzen. Er war es nicht gewohnt, von einem Jungen ausgefragt zu werden. Doch der Prinz nickte nur. Pascal wollte auf etwas Bestimmtes hinaus und er wurde neugierig.
„Nun, das Mädchen brauchte wohl Hilfe.
„Hilfe? Wobei?“
„Das Pferd scheint eine leichte Verletzung zu haben. Ich weiß aber nichts Genaueres.“
„Und wie benahm sich Spirit?“
„Nach Angaben des Jüngeren benahm er sich nur in Gegenwart des älteren Bruders unruhig.“
Prinz Zomar gewahrte das triumphierende Blitzen in Pascals Augen. „Und hast du nun erfahren, was du wissen wolltest?“
„Ja, und ich glaube es wird Zeit, alle aufzuklären.“
„Da bin ich aber gespannt.“
Pascal fuhr fort: „ Dem Bericht zufolge ist Taris mit Spirit zusammen. Das Pferd läßt sie an sich heran und auch dem Jungen gegenüber ist er ruhig geblieben.“
„Und was war das im Stall? Er hätte Taris beinahe mit den Hufen erwischt.“
„Er hat sich erschreckt. Im Umgang mit Spirit braucht man die nötige Ruhe. Dann klappt es auch.“ Pascal machte eine Pause, um Zomar Gelegenheit zu geben, über das eben Gehörte nachzudenken und brachte dann sein wahres Anliegen vor: „Meinst du nicht auch, es ist an der Zeit, die beiden wieder nach Hause zu holen?“
Atemlos wartete er auf eine Antwort. Würde Zomar sein Unrecht einsehen?
Wortlos schauten sie sich an. Hinter Zomars Stirn arbeitete es. Endlich, nach einer Ewigkeit, wie es Pascal schien, stahl sich ein Lächeln auf Zomars Lippen.
„Kommandant, stellen sie ihre Truppe wieder auf. Sie müssen jemanden nach Hause zurückholen.“
Er gab dem Kommandanten noch ein paar Anweisungen und dann begannen sich die Ereignisse zu überschlagen.
Für mich begann alles ganz langsam. Ich schlief wieder lange, doch unruhig. Mein knurrender Magen weckte mich schließlich. Wieder suchte ich mir ein paar Beeren und löschte meinen Durst am Bach. Spirit ging es den Umständen entsprechend gut. Ich versorgte noch einmal seine Wunde und dachte dabei nach. Es war später Vormittag und ewig konnten wir nicht hierbleiben. Zomar mußte einmal erfahren, wie ich über sein Verhalten dachte, daß ich niemals klein beigeben würde. Mein Ziel war es, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, doch dazu mußte ich erst einmal herausfinden, wo ich überhaupt war.
Ich wartete darauf, daß die Nacht hereinbrach. Mittlerweile war es die dritte. Ich mußte es wagen, zurück zum Hof von Joschi zu gehen. Er konnte mir bestimmt helfen. Außerdem wollte ich wissen, wie es ihm ergangen war. Ich machte mich langsam auf den Weg. Ich konnte nur hoffen, daß ich den Hof auch wiederfinden würde, aber mit Spirit konnte eigentlich nichts schief gehen. Die Nacht war klar, aber es hätte etwas wärmer sein können. Eine Mücke sirrte an meinem Ohr vorbei, irgendwo rief verschlafen ein Vogel. Ständig raschelte und wisperte es im Gebüsch, doch es gab kein Anzeichen dafür, daß außer mir hier noch andere menschliche Wesen unterwegs waren. Während ich mit Spirit gemächlich dahinschritt, ließ ich meine Gedanken schweifen. Ich dachte daran, wie alles angefangen hatte, mein Zusammenbruch, das Training, unser Einsatz. Das war doch was. Aufregend und gefährlich. Und natürlich dachte ich an Pascal. Ich vermißte ihn. Genauso wie meine anderen Freunde. Wie lange würde es wohl dauern, bis ich sie wiedersah?
Für einen Moment wurde ich schwermütig. Doch dann dachte ich an Spirit, der neben mir lief und verscheuchte diesen Gedanken. Er war jetzt wichtiger.
Kurz schaute ich mich um und blieb stehen. Mein Herz fing an zu klopfen. Wir standen am Waldrand und ich konnte undeutlich ein paar Gebäude vor mir erkennen. Wir hatten es tatsächlich geschafft, wir waren beim Hof angekommen. Still und dunkel lag er da. Plötzlich raschelte es hinter uns im Gebüsch, doch es klang anders als im Wald. Da kam jemand, ein Mensch. Erschrocken fuhr ich herum, in der Erwartung eine laute Stimme zu hören, die mir befahl, stehenzubleiben. Doch nichts der gleichen geschah. Stattdessen tauchte eine kleine Gestalt auf, die leise meinen Namen rief. Erleichtert atmete ich auf. Es war Joschi, der im nächsten Moment vor mir stand.
„Joschi. Man, hast du mich erschreckt. Was machst du hier?“
„Entschuldige aber irgendwie wußte ich, daß du noch mal zurückkehrst. Ich habe mich vom Hof weggeschlichen.“
„Und wenn man dich erwischt?“
Er zuckte mit den Schultern: „Ist auch egal.“
Betroffen schaute ich ihn an: „Hast du großen Ärger bekommen?“
„Na ja, mein Bruder war ziemlich sauer. Hat sich wohl eine Belohnung erhofft. Meine Eltern sehen das nicht so eng.“ Joschi grinste.
Wider Willen mußte ich lächeln, wurde dann aber wieder ernst. Ich fragte Joschi nach meinem jetzigen Standort und staunte. Es war ein ganzes Stück vom Hof entfernt, doch ich hatte es als vielmehr eingeschätzt. Wahrscheinlich waren wir etwas im Kreis gelaufen. Ich ließ mir auch die Richtung des Palastes zeigen und wollte mich wieder auf den Weg machen. Joschi hielt mich kurz zurück.
„Warte, ich habe hier noch etwas für dich“, sagte er und reichte mir zwei kleine Säckchen.
„Was ist das?“
„Ein Wasserschlauch und ein wenig Essen. Viel ist es nicht...“
„Aber immer noch genug“, unterbrach ich ihn. „Du hast schon so viel für mich getan, daß vergesse ich dir nie. Wenn das hier vorbei ist, werde ich mich bei dir melden.“
„Versprochen?“ Joschi war etwas unsicher.
„Versprochen.“ Ich reichte ihm die Hand und er schlug ein. Dann verschwand Joschi in der Dunkelheit.
„Tja Spirit, jetzt sind wir wieder auf uns allein gestellt.“
Leider wußte ich nichts von der umgeschlagenen Stimmung am Hof, sonst hätte ich mir eine Menge ersparen können.



Die Nacht über passierte nichts Aufregendes mehr. Als der Morgen dämmerte, suchte ich wieder einen Unterschlupf. Ich döste vor mich hin, als ich plötzlich aus der Ferne ein Geräusch wahrnahm. Mein Herz fing heftig an zu klopfen, doch noch war ich nicht völlig wach. Das änderte sich erst als Spirit anfing, mit den Hufen zu scharren. Ich fühlte mich jedoch total zerschlagen, ich hatte seit vier Nächten nicht ordentlich geschlafen oder gegessen. Daher war es schon fast zu spät, als ich das Geräusch endlich einordnen konnte. Es klang wie das wütende Knurren eines Hundes. Eines sehr großen und sehr wütenden Hundes.
Verdammt.
Nur mühsam unterdrückte ich einen Fluch. Ich war zu unaufmerksam gewesen, die Scheune war anscheinend nicht ganz so unbenutzt. Zu allem Übel näherten sich jetzt auch noch Schritte und eine tiefe Stimme rief den Hund zur Ordnung. Ich konnte mir leider nur zu gut die Gestalt dazu vorstellen. Ein zwei-Meter-Mensch mit Schultern, so breit wie ein Schrank, Hände so groß wie Bratpfannen, die gnadenlos zupackten. Ein Mann mit buschigen Augenbrauen und Augen, die wild blitzten. Jemand, der mit Einbrechern in seiner Scheune kurzen Prozeß machen würde. Hier half nur noch Flucht, denn in der Scheune gab es nichts zum Verstecken. Ich schwang mich auf Spirits Rücken: „Jetzt liegt es an dir. Sobald das Tor sich öffnet, mußt du losstürmen. Aber paß auf den Hund auf.“
Spirit gab nicht einen Laut von sich, als wüßte er, daß es auf den Überraschungseffekt ankam. Aber zunächst tat der Mann mir nicht den Gefallen, daß Tor zu öffnen. Er fragte nur, wer in der Scheune sei und das in einer Lautstärke, die mir die Ohren klingeln ließ. Wieso öffnete er nicht das verdammte Tor? Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und ich hatte einen Moment lang damit zu tun, nicht in Panik zu geraten. Ich zwang mich, ruhig und tief einzuatmen, was auch half. Ich beruhigte mich etwas. Der Mann draußen wurde langsam ungeduldig, der Hund bellte. Lange würde ich Spirit nicht mehr halten können.
Da. Ein knarrendes Geräusch.
Der Mann hatte endlich beschlossen, von sich aus etwas zu unternehmen. Er öffnete das Tor. Zunächst nur einen Spalt und Sonnenlicht flutete herein. Noch einmal flackerte die Angst auf. Was, wenn er nur den Hund hereinlassen würde? Dann wären wir verloren. Mir fiel aber ein, daß der Hund auf jeden Fall als erster hier drin sein würde. Also mußten wir schon durch das nur halb geöffnete Tor preschen. Spirits Hufe würden uns den Weg ebnen müssen.
Langsam, mir kam es wie in Zeitlupe vor, ging das Tor Zentimeter für Zentimeter auf. Die Zeit schien sich in Kaugummi verwandelt zu haben, wurde länger und länger. Meine Muskeln und Sehnen waren angespannt, ich schien plötzlich alles mit überdeutlicher Klarheit zu bemerken. Den Geruch des Strohes, das Knarren des Holzes, den Staub, der langsam zu Boden sank. Dann war alles wieder normal, ich sah meine Chance gekommen.
„Jetzt!“
Spirit machte einen Satz nach vorn und das Tor sprang auf. Etwas gewaltiges schwarzes Etwas sprang auf uns zu. Ich sah nur noch wilde Augen, gesträubtes Fell, gefletschte Zähne. Das Geräusch, das entstand, als die Fänge der Bestie nur in der Luft aufeinanderschlugen, ohne etwas zu erwischen, vergaß ich lange Zeit nicht. Doch plötzlich ging das Knurren in ein Jaulen über. Der Hund war unter Spirits Hufe geraten und so sehr ich darüber froh war, daß er uns nicht mehr verfolgen konnte, so sehr hoffte ich auch, daß er nicht ernsthaft verletzt war. Der Mann selbst wich nicht viel von meinen Vorstellungen ab. Sicher, ich hatte ihn mir größer, gewaltiger und wilder vorgestellt. Er kam aber dem Original trotzdem nahe.
Ich schauderte.
Aber ein wenig Glück war uns noch geblieben. Der Überraschungsmoment war noch nicht vorüber und so kamen wir unbeschadet an dem Mann vorbei. Dieser schaute erst einmal ziemlich verdutzt, ein Pferd hatte er nicht erwartet. Nur langsam entwickelte er wieder so etwas wie Eigenleben, doch dafür war es zu spät. Er konnte uns nicht mehr einholen. Doch das Glück war nicht von langer Dauer. Plötzlich tauchten vor uns auf dem Weg Zomars Männer auf. Fanden die mich denn überall? Hastig drehte ich um und ritt den Weg zurück. Dabei hätte ich noch fast den Bauern über den Haufen gerannt. Gerade noch konnte er zu Seite springen. Ich konnte ihn fluchen hören. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir nicht bewußt, daß ich mich immer weiter vom Palast entfernte, anstatt ihm, wie ich eigentlich wollte, näherzukommen. Und auch meine Verfolger ließen sich nicht abschütteln. Ich konnte den Weg nicht verlassen. Eine undurchdringliche Mauer aus Büschen erlaubte mir dies nicht. Außerdem waren Spirit und ich schon die halbe Nacht unterwegs und die Pause nur kurz gewesen. Die Pferde der Verfolger dagegen waren ausgeruht. Die Sonne fing an, erbarmungslos auf uns niederzubrennen. Es gelang den Männern jedoch nicht, mich ganz einzuholen und als sich die Büsche etwas lichtete, verließ ich den Weg. Kurzzeitig konnte ich meine Verfolger sogar loswerden. Doch ich traute mich nicht anzuhalten, ich gestattete Spirit nur, etwas langsamer zu werden. Zudem hatte ich auch noch den Wasserschlauch von Joschi in der Scheune zurückgelassen, was sich jetzt rächte. Ich wußte nicht, wer eher zusammenbrechen würde. Spirit oder ich.
Die Sonne raubte mir fast den Verstand, noch nie war sie mir so heiß vorgekommen wie jetzt. Eine Ewigkeit später dämmerte es. Waren wir tatsächlich den ganzen Tag unterwegs gewesen? Der Wald hüllte uns wieder ein und damit auch die Kühle. Ich suchte uns einen geschützten Platz hinter ein paar Hecken und schlief fast augenblicklich ein. Und ich hatte den Platz gut ausgesucht. Die Verfolger ritten in der Nähe vorbei, ohne uns zu entdecken.
Der Morgen kam und mit ihr die Gefahr. Spirit weckte mich und er blieb hartnäckig. Ich wollte nur noch schlafen. Als ich endlich aufstand, wankte ich kurz. Sanft stieß mich Spirit an und trieb mich in eine bestimmte Richtung. Dann hörte ich, was er wollte. Es war ein Plätschern und Gurgeln. In der Nacht hatte Spirit einen kleinen Fluß ausfindig machen können. Ich fiel auf die Knie und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser. Es dauerte lange, bis mein Durst gestillt war. Allerdings kam ich nicht dazu, etwas von den Beeren zu essen.
Spirit spitzte die Ohren.
Mir war sofort klar, was er gehört hatte. Mit einem letzten bedauernden Blick auf die Sträucher saß ich auf. Was gar nicht so einfach war. Ich war so müde und erschöpft, daß ich drei Anläufe brauchte. Gerade als ich das Dickicht verließ, erscholl hinter uns ein Ruf: „Da ist sie.“
Ich gönnte mir nicht mal einen Blick über die Schulter. Außerdem hatte ich alle Mühe, mich auf Spirits Rücken zu halten, denn obwohl er verletzt und genauso erschöpft wie ich war, legte er ein scharfes Tempo vor. Woher er die Kraft dafür nahm, war mir allerdings ein Rätsel.
Ob es nun Schicksal oder Zufall war, konnte ich später nicht sagen, aber unser Weg führte uns wieder näher an den Palast heran. Wieder entstand eine mörderische Verfolgung. Ich war jetzt fünf Tage unterwegs, mir kam es vor wie fünf Wochen. Die Verschnaufpausen kamen mir noch kürzer, die Verfolger noch näher und die Sonne noch heißer vor. Lange konnte das nicht mehr gutgehen. Mein Atem ging stoßweise und Spirit ging es nicht besser. Ihm machte seine Verletzung zu schaffen.
Der Kommandant versuchte alles, um mich zu finden und kam auch an den Hof, den ich gestern verlassen hatte. Zuerst schimpfte der Mann und hätte den Kommandanten am liebsten zum Teufel gewünscht. Erst als der Kommandant dem Mann die Situation erklärte, war dieser bereit zu helfen. Er erzählte, was vorgefallen war. Der Kommandant runzelte die Stirn. In ihm machte sich die Gewißheit breit, daß es Zeit wurde, mich zu finden. Doch wie sollte er es anstellen? Sobald ich die Männer sah, ergriff ich die Flucht. Die Männer hatten keine Gelegenheit, mir alles zu erklären. Über Sprechfunk berichtete er dem Prinzen von der derzeitigen Lage, anschließend ritten einige erneut in die Richtung, die der Bauer ihnen zeigte. Der Kommandant blieb zurück, damit es einen Anlaufpunkt gab. Das war auch gut so, denn am Nachmittag meldete sich eine Stimme aus dem Sprechfunkgerät. Ich war erneut gesichtet worden, allein, ohne Verfolger.
„Gut. Behaltet sie im Auge, aber zeigt euch nicht. Gebt regelmäßig euren Standpunkt durch und solltet ihr auf den zweiten Trupp stoßen, haltet sie zurück. Das Mädchen darf uns nicht zu früh sehen. Diesmal müssen wir sie aufhalten. Ich sage dem Prinzen Bescheid. Ende.“
Der Kommandant hatte sich einen Plan zurechtgelegt und unterrichtete den Prinzen. Er sollte mit ein paar meiner Freunde, allen voran Pascal, mir mit dem Jeep entgegenfahren. Sie wollten mich einkreisen und Pascal, so hoffte der Kommandant, würde es gelingen, mich davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung war. Der Prinz stimmte dem Plan zu und machte sich auf den Weg. Er nahm außerdem Jusuf und einen Pferdetransporter mit.
Je näher sie meinem Standpunkt kamen, den sie vom Kommandanten über Funk erhielten, desto mehr nahm die Spannung zu. Niemand wußte, in welchem Zustand Spirit und ich waren und ob es ihnen gelingen würde, mich zu fassen. Schließlich hielten sie auf einer Kreuzung, an der ich zwangsweise vorbeikommen mußte. Ich selbst befand mich schon auf diesem Weg und hätte ihn nicht einmal verlassen können, wenn ich es gewollt hätte. Links und rechts erstreckten sich Sumpfgebiete.
Der Jeep wurde außer Sichtweite gebracht und jeder zog sich zurück. Nur Pascal stellte sich mitten auf die Straße. Und dann hieß es warten. Nervös trat Pascal von einem Bein aufs andere. Wo bleibt sie nur, dachte er.
Ich war in der letzten Zeit viel langsamer geworden. Ich konnte einfach nicht mehr und plötzlich war es aus. Ich dachte, Halluzinationen zu haben. Oder war das da tatsächlich Pascal mitten auf der Straße? Ich schüttelte müde den Kopf und blinzelte ein paar Mal, aber die Gestalt blieb. Jetzt hob sie sogar die Hand und winkte. Ich ließ Spirit anhalten und blickte mißtrauisch. Ich kniff die Augen zusammen. Standen da in der Ferne nicht ein paar Autos? Ich lächelte bitter. Nicht gut genug versteckt.
Also eine Falle.
Und alle steckten mit drin.
Ich wollte wieder umdrehen, doch Spirit gehorchte mir plötzlich nicht mehr. Im Gegenteil. Er schritt auf Pascal zu. Er kam uns entgegen und rief schon von weitem: „Taris, bitte bleib. Hier ist jemand, der dir etwas erklären will.“
Ich zuckte zusammen, denn ich sah, wie hinter ihm Zomar erschien. Einerseits wollte ich nur noch weg, doch ich hatte nicht mehr die Kraft zu fliehen. Ich spürte, wie die Schwäche immer mehr zunahm und ich hatte etwas Mühe, Zomars Worten zu folgen.
„Taris, bitte hör mir zu.“ Seine Stimme klang um Verzeihung bittend. „Pascal hat mich davon überzeugt, daß es falsch von mir war, Spirit zu verurteilen. Ich weiß jetzt, daß er etwas Besonderes ist und wir mit ihm behutsam umgehen müssen. Bitte, nimm meine Entschuldigung an und komm zu uns zurück. Wir brauchen dich.“
Pascal kam zu mir und reichte mir die Hand: „Bitte, steig ab. Es ist vorbei.“
Für einen kurzen Moment zögerte ich noch, doch dann nickte ich wie zu mir selbst. Zomars Worte waren ernst gemeint, er würde sein Wort nicht brechen. Ich stieg vom Pferd, daß heißt, ich versuchte es, aber es war mehr ein Sturz. Pascal fing mich auf. Ich hatte nicht mehr die Kraft zu stehen, denn jetzt, wo es vorbei war, verließ mich auch das letzte bißchen Energie. Und Pascal erschrak, als er mich so sah. Meine Kleidung war verschmutzt und zerknittert, an einigen Stellen zerrissen. Die nächtlichen Ritte durch die Wälder hatten meine Arme und Beine zerkratzt und tiefe Schatten lagen unter meinen Augen. Das Gesamtbild war ziemlich erbärmlich. Und ich war müde, so unendlich müde.
Jetzt kamen auch nach und nach die Anderen hervor. Niemand sagte ein Wort. Jusuf kümmerte sich um Spirit, der ebenso erschöpft war wie ich.
Ich riß mich noch einmal zusammen: „Spirit ist verletzt.“
Jusuf nickte nur, denn er hatte die Wunde schon gesehen. Ich brauchte mir keine Sorgen um ihn zu machen. Dafür machten meine Freunde sich Sorgen um mich, denn ich war so müde, daß Pascal Schwierigkeiten hatte, mir Wasser zu geben. Ich weigerte mich schlichtweg und wollte nur noch schlafen. Ich wurde in den Jeep verfrachtet, Pascal war bei mir und ebenso Francis. Der Prinz würde später nachkommen. Ich schlief im Wagen augenblicklich ein und Pascal sah mich lange an. Mit dir machen wir schon eine Menge durch, dachte er im Stillen. Aufregung pur. Plötzlich, ohne es eigentlich zu wollen, mußte Pascal grinsen. Francis sah es und fragte mit einem scharfen Unterton nach dem Grund.
„Entschuldige bitte.“ Pascal sah schuldbewußt aus, doch er sagte nichts. Er hätte es nicht in Worte fassen können. Für einen Augenblick sah Francis ihn noch an, dann zuckte sie mit den Schultern und sah wieder nach vorn.
Da sie mit dem Jeep fuhren, dauerte es nicht lange, bis das Anwesen des Prinzen vor ihnen auftauchte. Das war auch gut so, denn der Weg war nicht der beste. Zumeist reihte sich Schlagloch an Schlagloch und ich bewegte mich unruhig. Mit quietschenden Reifen und eingehüllt in einer Staubwolke hielt der Fahrer vor der Krankenstation. Die Schwestern und der Arzt waren schon informiert und alles lief reibungslos ab. Als erstes wurde ich gewaschen und meine etlichen Kratzer versorgt. Dann untersuchte mich der Arzt, stellte aber außer einer enormen Erschöpfung nichts fest. Während der ganzen Zeit wurde ich nicht einmal wach. Ich bewegte mich nur ab und zu unruhig. Anschließend gab der Arzt seinen Bericht dem Prinzen.
„Es ist soweit alles in Ordnung, aber wir müssen Geduld haben. Sie wird eine ganze Weile schlafen und braucht jetzt Ruhe. Sie ging mal wieder an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Doch Genaueres wird sie uns selbst erzählen müssen.“ Der Prinz nickte und sorgte dafür, daß auch meine Freunde davon erfuhren. Die saßen später im Gemeinschaftsraum zusammen.
„Man“, Simon seufzte, „es wird wohl noch ziemlich dauern, bis wir Näheres erfahren. Da kann man nichts machen.“
Theo nickte: „Das Beste wird wohl sein, wenn wir uns in unsere Zimmer verziehen und uns etwas ausruhen. Morgen gehen dann zuerst Francis und Pascal zur Station. Es muß nicht gleich die ganze Meute auftauchen.“
Alle stimmten dem Plan zu und der Raum leerte sich. Langsam brach die Nacht herein. Pascal hatte es schwer, sich einfach hinzulegen und zu schlafen. Ständig drehte er sich von einer Seite auf die andere und schließlich wurde es Theo, der dadurch auch nicht schlafen konnte, zu bunt. Genervt knipste er seine Nachttischlampe an.
„Pascal, ich weiß ja, wie du zu Taris stehst, aber sie ist wohlauf, wenn auch etwas erschöpft und schläft. Was also raubt dir den Schlaf?“
Pascal setzte sich im Bett auf und seufzte: Es ist so unwahrscheinlich schwer, mir vorzustellen, wie sie jetzt dort liegt und schläft. Sie wirkte vorhin so... so zerbrechlich und irgendwie ... winzig. Ich weiß nicht, ich möchte...“
„Du möchtest dich persönlich davon überzeugen, daß es ihr gutgeht. Du möchtest sie sehen, “ vollendete Theo Pascals Gedanken.
Dieser nickte: „Am liebsten ja.“ Nachdenklich starrte er an die Wand.
„Und was hält uns davon ab?“ fragte Theo.
„Uns? Wieso uns?“
„Na, sind wir nun Freunde oder was? Ich helfe dir natürlich.“
„Helfen? Mir?“ Pascal war noch nicht überzeugt. „Das ist zu gefährlich. Wenn wir erwischt werden?“
„Ach was, “ Theo winkte ab. „Erstens sind wir hier nicht im Knast und zweitens nenne ich das hier nicht gefährlich. Denk an Lymath. Also komm schon.“
„Danke. Das vergesse ich dir nie.“
Rasch zogen sie sich an und schauten vorsichtig auf den Flur. Der ganze Palast lag im Dunkel und es war ruhig. Sie wußten, die Wachen waren nicht mehr ganz so aufmerksam und es waren auch nicht mehr so viele. Es konnte nicht so schwer sein, die Krankenstation zu erreichen. Gerade als Pascal losgehen wollte, stieß Theo ihn an: „Mach lieber das Licht aus. Nicht, daß noch jemand auf die Idee kommt, uns zu besuchen.“
Hastig löschte Pascal das Licht und machte sich dann mit Theo auf den Weg. Sie schlichen die Treppe hinunter. Außer ihren leisen Schritten und ihre Atemzüge war nichts zu hören. Der Mond schien silberhell durch die Fenster und beleuchtete den Gang ausreichend. Sie kamen ohne Schwierigkeiten voran.
„Scheint, als wäre noch eine Glückssträhne für uns übrig.“
Theo lächelte nur. Doch gerade als sie in den Flur einbogen, der zum Ausgang führte, stand wie aus dem Boden gewachsen eine Gestalt vor ihnen. Pascal und Theo zuckten zurück. Für einen Moment sah die Gestalt drohend und düster aus, doch dann trat sie vom Schatten ins Mondlicht.
„Tama.“ Pascal atmete erleichtert aus.
„Schlechtes Gewissen?“ Tama lächelte.
„Schlechtes Gewissen? Nein, wieso?“ Pascal war froh, daß man sein vor Verlegenheit rotes Gesicht nicht sehen konnte.
„Och, nur so. Was macht ihr hier um diese Zeit?“
Theo übernahm das Reden und Pascal hatte gewiß nichts dagegen: „Wir haben uns gegenseitig vom Schlaf abgehalten. Schlief ich ein, war Pascal unruhig und weckte mich wieder und umgekehrt. Außerdem ist auch noch Vollmond. Also beschlossen wir, noch ein wenig an die Luft zu gehen.“
„So, so. Schlafstörungen. Das wird es sein. Ihr hattet bestimmt nicht das vor, was man glauben könnte, daß ihr es vorhabt.“ Tama lächelte wieder. „Ich würde euch trotzdem raten, wieder auf eure Zimmer zu gehen. Leute wie José könnten auf dumme Gedanken kommen.“
Mit diesem Worten verschwand Tama um die Ecke und die Jungen machten, daß sie aufs Zimmer kamen. Aufatmend schloß Pascal die Tür.
„Daß war knapp.“
Sekundenlang blickten sie sich an, dann fing Theo plötzlich an zu grinsen und auch Pascal konnte nicht mehr ernst bleiben. Jeder ließ sich auf sein Bett fallen.
„Man“, Theo verdrehte die Augen, „Tama wußte auf jeden Fall, wohin wir wollten. Furchtbar nett von ihm, uns vor José zu warnen. Der wartet doch nur darauf, einen von uns zu erwischen.“
„Ja, du hast recht. Aber ich glaube, der kleine Ausflug hat einiges gebracht. Ich bin schon viel ruhiger. Nochmals vielen Dank für deine Begleitung.“
Theo winkte ab: „ich hoffe nur, du kannst jetzt schlafen.“
Pascal wollte etwas erwidern, mußte aber herzhaft gähnen.
„Ich glaube schon“, antwortete er schließlich.
„Nun dann, gute Nacht.“
Sie löschten das Licht und waren bald darauf eingeschlafen.
Doch sie waren nicht die einzigen, die eine unruhige Nacht hatten. Francis lag allein in unserem Zimmer und konnte nicht mal mit jemandem reden. Und ich?
Nun, die halbe Nacht schlief ich tief und fest, so erschöpft war ich. Plötzlich aber schreckte ich auf, wurde aber nicht ganz wach. Was hatte mich gestört? War jemand im Zimmer? Bevor ich den Gedanken richtig erfassen konnte, war ich schon wieder eingeschlafen. Ich brauchte noch viel Ruhe, doch so einfach war das nicht. Alpträume plagten mich und ich warf mich hin und her. Gesichtlose Gestalten tauchten auf und verfolgten mich, meine Freunde liefen vor mir davon. Mehr als einmal schreckte ich auf, doch nie wurde ich richtig wach. Doch irgendwann registrierte ich, daß jemand bei mir war. Er hielt meine Hand und redete leise mit mir. Es beruhigte mich ungemein und ich fand endlich den erlösenden Schlaf.
Am nächsten Abend kamen Francis und Pascal erneut zur Krankenstation. Doch wie enttäuscht waren sie, als der Arzt ihnen erklärte, daß sie noch immer nicht zu mir durften. Er erzählte ihnen von meiner unruhigen Nacht.
„Deshalb braucht sie mehr Zeit, sich zu erholen. Kommt morgen früh wieder, vielleicht habt ihr dann mehr Glück.“
So schwer es ihnen fiel, sie mußten sich noch eine weitere Nacht gedulden. Ich selbst schlief den Tag über tief und fest, doch auch der müdeste Körper hat sich mal erholt und so kam es, daß ich mitten in der Nacht aufwachte. Es war nicht dieses ruckartige Aufwachen, daß einem das Gefühl gab, man wäre von irgendwas geweckt worden. Nein, ich erwachte langsam und von selbst. Ich schlug die Augen auf, doch es änderte sich nichts. Alles blieb dunkel. Dann gab ich mir die Antwort selbst. Die Fenster waren wahrscheinlich verhangen und draußen war es Nacht. Wo ich mich befand, konnte ich mir denken. Ich hatte die letzten Minuten meiner Flucht nicht vergessen. Doch was war danach geschehen? Hier klaffte ein gewaltiges schwarzes Loch in meinen Gedanken, nur unterbrochen von einigen Erinnerungsfetzen, mit denen ich nichts anfangen konnte. War da nicht eine Stimme gewesen, als ich schlecht träumte? Ich wußte es nicht mit Sicherheit.
Vorsichtig setzte ich mich auf und tastete unsicher in der Dunkelheit umher. Außer der Deckenbeleuchtung gab es noch eine weitere Lampe am Bett. Wo nur verdammt war der Lichtschalter. Ich ertastete etwas Glattes und Kaltes.
Der Nachttisch.
Plötzlich stieß ich irgendwo an und etwas fiel zu Boden, wo es mit einem lauten Klirren zerschellte. Vor Schreck blieb ich erstarrt auf dem Bett sitzen. Da ging die Tür auf und im nächsten Moment die Deckenbeleuchtung an. Der Arzt, den ich schon vom letzten Mal her kannte, stand in der Tür. Er erfaßte die Situation mit einem Blick und man konnte ihm die Erleichterung ansehen.
„Ist dir etwas passiert?“
„Nein, aber...“ Ich blickte zu Boden. Ein Glas war auf dem Boden gefallen und zerbrochen. Das Wasser verteilte sich langsam.
Dr. Ahman winkte ab: „Das ist nicht so schlimm. Hauptsache, dir geht es wieder gut.“
„Mal vom Muskelkater, den ganzen Kratzern, Abschürfungen und den wund-gerittenen Stellen zu schweigen.“ Ich grinste.
Der Arzt schüttelte den Kopf. „Du bist wieder in Ordnung. Ich bitte dich aber trotzdem, in den nächsten Tagen etwas vorsichtiger zu sein. Ich will dich schließlich nicht gleich wieder hier haben.“
„Wie lange bin ich denn jetzt schon hier?“
Der Arzt setzte sich zu mir ans Bett. Ihm war klar, daß ich jetzt so schnell nicht wieder schlafen würde.
„So ungefähr dreißig Stunden. Und die meiste Zeit hast du geschlafen.“
„Die meiste Zeit? Ach, dann waren sie das letzte Nacht, der bei mir gesessen hat?“
„Ja, du hast ziemlich unruhig geschlafen, aber halb so schlimm. Willst du darüber reden?“
Für einen Moment herrschte Stille. Schließlich nickte ich zögernd: „Haben sie denn Zeit?“
„Für meine Patienten habe ich immer Zeit.“
Und so kam es, daß ich ihm die ganze Geschichte erzählte. Es dauerte lange und der Morgen dämmerte bereits, als ich schwieg.
„Da hast du ja ein handfestes Abenteuer hinter dir. Glaubst du, daß es Konsequenzen für dich haben wird?“
Ich zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht, doch wenn es so ist, stehe ich dazu. Ich habe so ziemlich gegen alle Regeln verstoßen und José wird keine Ruhe geben. Und Zomar kann ihn in diesem Fall gar nicht zurückweisen. Er muß schließlich alle gleich behandeln. Auch jetzt.“
Plötzlich ging die Tür auf und eine Krankenschwester sah herein. Sie wandte sich dem Arzt zu: „Sie werden am Telefon verlangt.“
Dr. Ahman nickte. „Taris, ich schaue später noch mal vorbei.“
Ich wurde ein wenig verlegen, wurde mir doch bewußt, daß ich ihm eine Menge Schlaf gekostet hatte.
„Danke fürs Zuhören“, rief ich noch hinterher, dann schloß sich die Tür.
Die Krankenschwester blieb. Sie öffnete nach meinem Einverständnis die Vorhänge und auch das Fenster. Anschließend schüttelte sie mein Bett auf und ich verschwand im Bad. Als ich unter der Dusche stand und das warme Wasser auf mich niederströmte, atmete ich auf. Wie gut das tat. Allerdings machten sich auch meine Kratzer und Abschürfungen bemerkbar. Schließlich drehte ich das Wasser wieder zu und schlüpfte in den Bademantel. Plötzlich hörte ich die Tür klappen und dachte, daß die Krankenschwester den Raum verlassen hatte. Nichtsahnend ging ich wieder hinüber und blieb überrascht stehen.
„Pascal.“ Ich freute mich wirklich, ihn zu sehen.
Ich fiel ihm in die Arme und als es nach ein paar Minuten klopfte, löste ich mich nur widerwillig von ihm. Francis steckte vorsichtig den Kopf durch die Tür.
„Kann man?“ Ich nickte und sie nahm mich ebenfalls in die Arme.
Noch einmal mußte ich alles erzählen, tat dies jetzt aber in der Kurzfassung. Während ich sprach, musterte Francis mich und ich sie. Viel besser sah sie auch nicht aus. Sie war blaß und hatte ebenfalls tiefe Ränder unter den Augen. Die letzte Woche mußte ziemlich hart für sie gewesen sein. Und irgendwie schämte ich mich deswegen. Ich hatte alle in Sorge versetzt und es tat mir leid. Ich hatte einfach nicht nachgedacht. Das sagte ich ihnen auch, aber weder Francis noch Pascal nahmen die Sache so auf.
„Du hast es für Spirit getan und sein Leben ist es genauso wert, wie es eines der unseren gewesen wäre. Außerdem, du bist wieder hier. Das ist es, was zählt. Aus und vorbei.“
An diesen letzten Satz mußte ich später noch denken, als ich wieder alleine war. Der Arzt wollte mich noch vorsorglich eine Nacht hierbehalten. Schon allein deshalb, daß mich die anderen nicht gleich mit Fragen bestürmen konnten. Meine Gedanken wanderten. Nein, vorbei war es noch lange nicht. Da war ich mir sicher. José war in seinem Job sehr korrekt, und bei mir würde er mit Sicherheit keine Ausnahme machen. Und ich dachte nicht daran, mich dagegen zu stellen. Ich war nun mal übers Ziel hinausgeschossen, aber ich wußte auch, es hatte sich gelohnt. Spirit war gerettet und wurde von Jusuf versorgt.
Irgendwann schlief ich ein und träumte ruhig und entspannt von Spirit. Wir ritten über Wiesen und Felder und nichts konnte uns aus der Ruhe bringen. Als ich die Augen wieder aufschlug, saß Zomar an meinem Bett. Wie lange er wohl schon hier war? Ein Blick auf die Uhr sagte mir, daß es schon später Nachmittag war.
Zomars Lächeln konnte seine Anspannung nicht überspielen und ich ahnte den Grund dafür. Doch noch war es nicht soweit. Der Prinz entschuldigte sich bei mir für seine Sturheit, betonte aber, daß er auch aus fürsorglichen Gründen gehandelt hätte. Schließlich war er für uns Fighter mehr oder weniger verantwortlich. Er erzählte mir auch, wie Pascal ihn hatte überzeugen können, mich zurückzuholen, samt Pferd. Als das Gespräch auf Joschi kam, zuckte ich leicht zusammen. Zomar fragte nach dem Grund und ich erzählte ihm etwas zögernd von meinem Versprechen Joschi gegenüber. Der Prinz erklärte sich bereit, sich darum zu kümmern. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Die ganze Zeit aber fiel nicht ein Wort wegen meiner Regelverstöße. Wahrscheinlich wollte er damit warten, bis ich die Station verlassen konnte. Was schon morgen sein würde.
Am Abend kam Dr. Ahman vorbei, untersuchte mich noch einmal und war dann damit einverstanden, daß ich am nächsten Tag wieder ins Haupthaus zurückkehren könne. Meine Freude darüber war nicht zu übersehen, doch Dr. Ahman bremste mich.
„Du hast noch Schonzeit, denk bitte daran. Und auch mit dem Reiten solltest du etwas warten.“
Ergeben nickte ich. Spirit brauchte schließlich auch etwas Ruhe. Ich starrte die Decke an und dachte nach. Wir waren erst etwas über sechs Monate hier und hatten schon so viel erlebt. Meine Gedanken wanderten zu der Zeit zurück, bevor ich hierher kam. Zu meiner Familie, meinen alten Freunden und Bitterkeit stieg in mir auf. Da half es auch nicht, daß ich jetzt neue Freunde und so etwas wie eine Familie gefunden hatte. Niemand konnte eine wirkliche Familie ersetzten. Und in Situationen wie dieser kam mein Kummer besonders zum Vorschein. Es dauerte lange, ehe ich das Licht löschte und Ruhe fand.



Am nächsten Vormittag kamen Pascal und Simon, um mich abzuholen. Ich fand es zwar ziemlich aufwendig, ich hätte auch allein gehen können aber sie ließen sich nicht davon abbringen. Simon freute sich sehr mich wiederzusehen und strahlte übers ganze Gesicht. Auf dem Weg zu unserem Haustrakt begegnete uns fast kein Fighter und vom harten Kern sah ich schon gar niemanden. Das wunderte mich und ich fragte die Jungen danach. Doch sie wichen mir aus, was mich dazu veranlaßte, irritiert die Augenbrauen zu heben. Was war hier los? Aber auch auf meine hartnäckigen Fragen herhielt ich keine Antwort. Auf dem Weg zu den Zimmern mußten wir am Gemeinschaftsraum vorbei. Ich wurde ziemlich überrumpelt, als Pascal und Simon plötzlich stehen blieben, mich rechts und links unterhakten und mich einfach durch die Tür bugsierten.
„Herzlich Willkommen“, schallte es mir entgegen und ich bekam den Mund nicht zu.
Der gesamt harte Kern, Peter und seine Freunde, Franko, Zomar, Tama und sonstige Leute, die ich näher kannte, waren hier versammelt. Sie hatten den Raum geschmückt und einen riesigen Willkommensgruß unter die Decke gehängt. Jeder von ihnen hatte eine Blume in der Hand, die er mir übergab. Zum Schluß hatte ich einen riesigen Strauß im Arm und Tränen in den Augen. Wie weggeblasen war meine Traurigkeit der Nacht und ich ließ mich völlig fallen. Ich war locker und gelöst. Selbst Rico machte einen fröhlichen Eindruck.
Nach der Begrüßung wurde ich von Pascal zur Tafel geführt. Sämtliche Tische waren zusammengestellt worden und darauf war ein köstliches Frühstück aufgetragen worden. Ich traute meinen Augen kaum. Jeder ließ es sich schmecken, auch ich.
Der Vormittag verging wie im Flug. Natürlich wollte jeder über die vergangenen Tage Bescheid wissen und so erzählte ich es ein drittes Mal. Keiner im Raum sagte ein Wort, alle hörten gespannt zu. Als ich von Joschi und seinem Bruder Thasha erzählte, grinsten einige verstohlen. Am Nachmittag löste sich die Gruppe fürs erste auf und ich ging zielstrebig zum Stall. Niemand hatte es mir verboten. Tief atmete ich die Luft ein. Mir kam sie etwas kühler vor. Und dem war auch so. Hier fielen die Temperaturen nicht wesentlich, aber zu spüren war es trotzdem. Nachts würde man wohl bald einen Pullover brauchen.
Ich schlenderte an den Koppeln vorbei. Schon vom weiten hörte ich das zufriedene Schnauben der Pferde. Ohne es selbst richtig zu merken, lächelte ich. Jeder der hierher kam, mußte diese friedliche Ruhe spüren. Ich bildete da keine Ausnahme. Als ich die Stalltür öffnete, erblicke ich Jusuf. Ich war nicht überrascht. Jemand mußte sich um Spirit kümmern und ich hatte auf dem Weg hierher bemerkt, daß seine Hütte verlassen war. Wo also sollte Jusuf sonst sein. Auch Jusuf grüßte mich, wenn auch nur kurz. Aber ich kannte ihn inzwischen gut und wußte, daß diese Herbe kein Zeichen dafür war, wie es in ihm aussah. Er war kein Mensch, der Gefühle zeigte, was nicht hieß, daß er sie nicht hatte. Und ich konnte damit umgehen.
Wir wandten unsere Aufmerksamkeit Spirit zu. Seine Wunde war von Jusuf versorgt und abgedeckt worden.
„Wie geht es ihm?“ fragte ich, während ich in die Box trat. Zur Begrüßung schnaubte er in seinen Futtertrog und berieselte mich mit Hafer.
„Schau ihn dir an. Die Frechheit blitzt schon wieder aus seinen Augen und er würde am liebsten draußen über die Wiesen jagen. Kurzum, es geht ihm gut.“
„Steht er denn den ganzen Tag im Stall?“
„Nein“, Jusuf schüttelte den Kopf. „Aber ich lasse ihn nur kurz raus und dann auch nur in die vorderste Koppel, damit er nicht übermütig wird.“
Ich grinste und schaute Spirit an. Schelmisch hob ich den Zeigefinger: „Mach mir ja keine Schande, hörst du?“
Spirit wieherte als hätte er verstanden und ich mußte lachen. Es war so schön, ihn gesund und munter zu sehen. Erst kurz vor dem Essen kehrte ich ins Zimmer zurück. Francis war mal wieder nicht da. Also duschte ich kurz und zog mich um. Gerade als ich das Zimmer verlassen wollte, klopfte es. Lee stand in der Tür, was mich etwas überraschte, denn ich verkehrte in letzter Zeit wenig mit ihm.
Er reichte mir seine Hand: „Wenn ich bitten dürfte?“
Ich schaute ihn verdattert an, machte dann aber mit und hakte mich bei ihm unter. Wieder wurde ich zum Gemeinschaftsraum geführt. Was haben sie wohl jetzt wieder vor? Ich ließ mich überraschen, was mir allerdings nicht schwer fiel. Das Licht im Raum war ausgeschaltet und wurde nur von etlichen Kerzen erhellt. Alles erstrahlte im geheimnisvollen Glanz. Erneut war ich sprachlos. Das alles nur wegen mir?
„Ihr seit verrückt.“ Ich schüttelte den Kopf.
„Ach was, “ Pascal umarmte mich, „wir sind nur froh, unseren Boß wiederzuhaben.“
Ich verzog kurz das Gesicht. „Ihr wißt ganz genau, was ich davon halte. Aber sagt mal, “ ich schaute mich um, „was sagt denn Zomar hierzu.“
Theo zuckte mit den Schultern: „Er schien nicht begeistert zu sein, hat uns aber auch nicht davon abgehalten. Keine Ahnung was er hat.“
Ich selbst ahnte es schon, doch ich ließ mir den Abend nicht verderben. Ich schätzte, daß ich am nächsten Tag ein sehr ernstes Gespräch mit dem Prinzen haben würde. Tatsächlich gelang es mir, meine düsteren Gedanken beiseite zu schieben. Knabbereien standen auf dem Tisch, es gab verschiedene Salate und Würstchen. Musik wurde angestellt und wir benahmen uns nach langer Zeit mal wieder durch und durch wie Jugendliche. An diesem Abend vergaß jeder von uns, daß er eigentlich sein altes Leben gegen ein völlig neues eingetauscht hatte.
Erst als ich spät abends im Bett lag, kam die Unruhe wieder. Was würde mich wohl erwarten? Würde es bis zum Äußersten gehen? Trotz allem war ich mir sicher, daß Zomar mich nicht nach Hause schicken würde, denn das hätte er sonst schon längst getan. Leichter wurde es dadurch für mich allerdings nicht. Für einen Augenblick wünschte ich, ich wäre nie in den Bus gestiegen, der mich ins Abenteuer führte. Aber nein, rief ich mich selbst zu Ordnung, es machte doch Spaß, hierzusein. Und im Grunde genommen fand ich auch meine Führungsrolle nicht schlecht. Ich konnte es nur nicht leiden, wenn man mich darauf ansprach.
„He Taris, was bedrückt dich?“
Ich zuckte zusammen, so unerwartet kam die Stimme von der anderen Seite des Zimmers. Ich schaute hinüber. Francis saß aufrecht im Bett. Im Dunkeln konnte ich sie nur schlecht ausmachen.
„Also?“
Ich zögerte nur kurz. Vielleicht war es ganz gut, wenn wenigstens eine Person Bescheid wußte. Also erzählte ich ihr von meinen Vermutungen und, wenn ich es ganz genau betrachtete, von meinen Ängsten. Helfen konnte Francis mir zwar nicht, aber mich beruhigen.
„Egal was passiert, wir werden hinter dir stehen. Du kannst dich auf uns verlassen.“
Ich nickte und fühlte mich schon besser.
Ein leises Klopfen weckte uns am nächsten Morgen. Verschlafen blinzelte ich zur Tür.
„Wer da.“ Francis war munterer als ich.
„Salya“, drang es durch die Tür.
„Komm herein.“
Salya war eines der Mädchen, die hier arbeiteten. Sie war in meinem Alter und wir verstanden uns gut mir ihr. Es war nicht das erste mal, daß sie uns aus dem Bett holte und war daher unseren Anblick früh am Morgen gewöhnt. Leise trat sie ein. Das war etwas, woran man sich erst gewöhnen mußte. Egal was sie tat, es geschah immer leise und behutsam. Sie selbst wirkte auch zart und zerbrechlich, ihre Bewegungen geschmeidig. Ihr schwarzes Haar fiel in sanften Wellen bis weit über die Schultern hinab, ihre haselnußbraunen Augen blickten immer etwas scheu. Allerdings wußten Francis und ich es besser. In Salya steckte Kampfgeist, nur war niemand da, der ihn förderte. Auch heute sah sie nicht anders aus. Ihr Haar war locker im Nacken zu einem Zopf gebunden. Wie alle Frauen hier am Hof trug sie ein langes Kleid, nur das Kopftuch, das manche der älteren Frauen hatten, wehrte sie ab.
Ich sprang aus dem Bett. „Morgen. Was gibt es?“
„Der Prinz möchte dich gern sprechen. Nach dem Frühstück.“
Ich war nicht überrascht, bekam dennoch eine Gänsehaut.
„Ist gut. Sonst noch was?“
„Schön, daß du wieder da bist.“ Dann verschwand sie, leise und behutsam.
Schweigend suchte ich meine Sachen zusammen, um unter der Dusche zu verschwinden. Francis hielt mich an der Schulter fest.
„Du weißt, was wir in der Nacht besprochen haben. Und es bleibt dabei.“
Ich nickte stumm.
Beim Frühstück riß ich mich zusammen. Es gelang mir einigermaßen. Danach machte ich mich auf den Weg zum Thronsaal. Wie erwartet fand ich nicht nur den Prinzen sondern auch Costa und José vor. Ich schluckte, zeigte meine innere Unruhe aber nicht. Zomar winkte mich heran und begann ohne Umschweife zu reden.
„Du kannst dir sicherlich denken, weshalb ich dich rufen ließ. Du hast in der letzten Zeit gegen mehr als nur eine Regel verstoßen und einen ausdrücklichen Befehl mißachtet. Deshalb wandte sich José an mich. Er ist für die Sicherheit verantwortlich und kann nicht ewig darüber hinwegsehen.“ Es fiel Zomar sichtlich schwer, darüber zu reden und er gab das Wort an José weiter. Dieser hatte damit nicht die geringsten Probleme.
„In den letzten Wochen hast du eine Regel nach der anderen verletzt und obwohl du eine besondere Position genießt, fordere ich eine Bestrafung, denn das ist nur gerecht. Siehst du das auch so?“
Ich nickte und José schaute für einen Moment ziemlich überrascht. Doch er hatte sich schnell wieder in seiner Gewalt und fuhr fort: „Ich fordere daher vierzehn Tage bis einen Monat Arrest und die Abgabe des Amtes.“
Es traf mich wie ein Schlag. Und das sehr hart. Zomar erkannte es in meine Augen. Arrest, gut. Das hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Aber Amtsenthebung? Ich machte es halt doch ziemlich gern. Zomar brach die lähmende Stille.
„Ich respektiere Josés Entscheidung und spreche die Bestrafung aus. Vierzehn Tage Arrest und bis auf weiteres die Abgabe des Amtes. Taris, wer soll dein Nachfolger werden?“
„Da mich die anderen gewählt haben, sollen sie auch dies selbst entscheiden.“ Meine Stimme klang tonlos.
Glücklicherweise erlöste mich der Prinz, wenn auch der Umstand nicht so glücklich war: „Geh und hol deine Sachen. Man wird dich dann zur...hinüber bringen.“ Zomar brachte es nicht fertig, Zelle zu sagen, was der Wahrheit entsprach. Aber ich konnte froh sein, noch so glimpflich davongekommen zu sein. Wäre es nach José gegangen, hätte ich viel längere Zeit keine Sonne gesehen.
Als ich hinaus geführt wurde, standen die anderen im Gang und warteten. Der Prinz schien damit gerechnet zu haben, denn er ließ sie sogleich hinein rufen. Wortlos ging ich an ihnen vorbei. Es gab nichts mehr zu sagen. Im Zimmer packte ich einige Sachen zusammen und folgte dann der Wache bereitwillig. Unser Ziel war ein etwas abseits stehendes Haus, in dem auch vor kurzem Don gewesen war.
Die Zelle enthielt ein schmales Bett, einen kleinen Nachttisch und einen Stuhl. In der hintersten Ecke hatte man noch zwei weitere Wände hochgezogen und so einen winzigen Raum für ein Waschbecken und die Toilette geschaffen. Sogar ein kleines Fenster gab es. Und hier sollte ich die nächsten vierzehn Tage verbringen? Es fiel mir noch immer schwer, den Gedanken zu akzeptieren. Immerhin konnte ich hier mein Training bedingt fortsetzen. Für alles hatte ich natürlich keinen Platz.
Während ich meine wenigen Sachen verstaute, war bei Zomar die Hölle los. Die Nachricht der Bestrafung schlug wie eine Bombe ein und der Prinz brauchte eine Weile, um ihnen begreiflich zu machen, daß er es der Gerechtigkeit wegen hatte tun müssen. Die Einzige, die sich nicht so sehr aufregte war Francis. Durch unser Gespräch war sie vorgewarnt. Nach einer Weile glätteten sich dann auch die Wogen. Auch der Letzte hatte schließlich begriffen, daß mir Zomar noch geholfen hatte. Er hatte die kürzeste Arrestzeit gewählt und mein Amt war nur bis auf weiteres aufgehoben. So konnte er, wenn es die Umstände verlangten, mich jederzeit wieder ins Amt heben. Als zeitlicher Nachfolger wurde Pascal gewählt. Zum einen, weil ich es dann leichter hätte, jemand anderes zu akzeptieren, wie sie sagten und zum anderen, weil er eben den besten Draht zu mir hatte.
Die Tage vergingen ohne Aufregung. Ich verbrachte die Zeit mit Training, lesen oder einfach nur auf dem Bett liegend über vergangenes grübelnd. Es war auch eine Zeit, in der ich viel an meine Familie dachte. Das war vielleicht das Schlimmste. Selten bekam ich ein anderes Gesicht, als das des Wächters zu sehen, der mir das Essen brachte. Endlos zogen sich die Tage dahin. Wie mußte es da erst Don ergangen sein? Er war fast ein halbes Jahr hier gewesen.
Doch es passierte auch irgendwas in den zwei Wochen mit mir. Als ich die Zeit abgesessen hatte und wieder freikam, war ich ruhiger geworden. Ich regte mich nicht mehr so schnell auf und nicht einmal Rico konnte mich reizen. Das fiel natürlich auf, doch den anderen wäre es wahrscheinlich nicht anders ergangen. Und wenn ich mit meinen Freunden zusammen war, hatte ich immer noch eine große Klappe und war um einen frechen Spruch nie verlegen. Es gab eben mehr Momente der Stille, das war alles.
Ich verbrachte auch wieder viel Zeit mit Spirit, der wieder wild über die Wiesen galoppieren durfte. Man spürte seine Freude und sein Feuer. Auch wenn das Wetter nicht so gut war, ritt ich aus. Ich ließ mein Haar im Wind flattern und genoß einfach die frische Luft. Danach fühlte ich mich immer wie von einer Last befreit. Und mit der Zeit konnten wir fast vergessen, was unsere eigentliche Aufgabe hier war. Eines Tages jedoch wurden wir wieder schmerzlich daran erinnert.


6.


Zomar hatte sein Versprechen gehalten und sich um Joschi gekümmert. Er hatte ihn sogar für seine Hilfe entlohnt. Seither war er auch manchmal am Hof oder ich bei ihm. Auch meine Freunde begleiteten mich ab und zu. Mit Thasha kam ich nur bedingt klar, und ich legte auch eigentlich keinen großen Wert darauf. Joschis Anblick auf dem Hof und im Palast war also nichts Neues mehr.
Eines Tages kam ich vom Training zurück und fand das Zimmer leer vor. Ich schnappte mir meine Sachen und verschwand unter der Dusche. Wasserschwaden durchzogen den Raum, als ich endlich das Wasser abstellte und mich in mein Handtuch wickelte. So übersah ich auch die Gestalt, die gerade durch die Tür kam, als ich hinauswollte. Wir stießen zusammen und sprangen erschrocken ein paar Schritte zurück. Ich blinzelte in die Schwaden, aus die sich eine zierliche Gestalt schälte.
„Salya?“ Meine Stimme klang gedämpft, wie durch Watte.
„Mensch Taris.“ Es war Salya.
„Willst du aus dem Raum eine Waschküche machen?“ Sie lachte und ich mußte grinsen.
„Nein, eigentlich nicht. Aber ich brauchte das. Das Training heute war etwas ausschweifend.“
Ich sah, wie ein Schatten über ihr Gesicht huschte und mir taten meine Worte sofort leid. Ich wußte, wie gern Salya bei uns mitgemacht hätte, wie gern sie auch ein Fighter gewesen wäre. Das Zeug dazu hatte sie. Doch noch immer herrschte hier eine ziemlich vorsintflutliche Meinung über die Arbeitsverteilung der Frauen. Francis und ich bildeten eine besonders aufsehenerregende Ausnahme. Wir kamen nicht von hier und so war das nicht so schlimm. Bei Salya dagegen bestimmten die Eltern. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter, aber sie schüttelte sie wieder ab.
„Ist schon gut. Dir muß es nicht leid tun. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Francis gesehen hast.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, seit dem Mittagessen nicht mehr. Ich schätze, sie läuft draußen irgendwo.“
„Danke.“ Salya verschwand und ließ mich etwas niedergeschlagen zurück. Man mußte doch irgendwas für sie tun können. Aber was? Ich gab mir selbst das Versprechen, etwas zu unternehmen.
Bis zum Abendessen blieb ich im Stall. Ich mistete Spirits Box aus, striegelte ihn und ließ ihn noch auf die Koppel. Ich setzte mich auf den Zaun und schaute ihm zu. Seine Mähne wehte im Wind und es war einfach nur atemberaubend, ihn laufen zu sehen. Nach meinem Arrest hatte Zomar mir die Verantwortung zum größten Teil überlassen. Darüber freute ich mich sehr und ich gab mir die allergrößte Mühe, dem gerecht zu werden. Was mir nicht schwer fiel, hatte ich doch immer Spaß dabei.
„Ein phantastischer Anblick, nicht war?“ fragte eine leise Stimme hinter mir.
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf. Jusuf stellte sich an den Zaun und legte seine Arme auf den obersten Balken. Ich nickte nur. Zwischen uns waren nicht viele Worte nötig. Aber ich war froh, Jusuf zu haben. Er gab mir immer gute Tips, leistete Hilfestellung, wann immer ich sie brauchte und auch eigene Sorgen konnte ich bei ihm loswerden. Er hatte immer ein offenes Ohr und darin bestand auch sein Geheimnis. Er war ein wundervoller Zuhörer.
Nach meinem Arrest war ich oft bei ihm gewesen und hatte ihm von meinen Gedanken der letzten vierzehn Tage erzählt. Jusuf bereitete dann immer einen besonderen Tee. Er schmeckte süß und würzig zugleich und unterstützte die beruhigende Wirkung des Gesprächs. Danach fühlte ich stets immer besser.
Auch jetzt waren wir einfach beisammen und ich vergaß die Zeit. Als der Gong zum Abendessen rief, blieb mir keine Zeit mehr, mich um Spirit zu kümmern. Jusuf versprach, mir diese Arbeit abzunehmen. Ich dankte ihm und lief schnell zum Haupthaus hinüber. Es blieb mir gerade noch Zeit die Hände zu waschen. Dementsprechend erhitzt war mein Gesicht, als ich zu Tisch ging. Doch ich warf nur einen kurzen Blick in den Saal, denn mir fiel sofort auf, daß Francis fehlte. Pascal trat hinter mich, doch ich hielt mich nicht lange mit einer Begrüßung auf.
„Hast du Francis gesehen?“
„Nein. Ich schätze, sie ist noch oben.“
Ich nickte langsam. Ich selbst war nicht im Zimmer gewesen, nur unten im Waschraum.
„Komm gleich wieder“, sagte ich und dränge mich durch die Menge, die jetzt in den Speisesaal strömte. Pascal zuckte mit den Schultern und begab sich zu den anderen an den Tisch. Ich würde schon noch erzählen, was los war.
Rasch lief ich über den Hof, die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu unserem Zimmer. Gähnende Leere schlug mir entgegen. Francis war nicht hier und langsam wurde ich unruhig. Francis gehörte nicht zu denen, die unpünktlich waren oder ohne etwas zu sagen vom Tisch fernblieben. Und niemand schien sie gesehen zu haben. Ich erinnerte mich daran, als ich selbst einmal unauffindbar gewesen war. Als man mich bewußtlos im Gemeinschaftsraum gefunden hatte. War Francis etwas Ähnliches passiert?
Ich überlegte. Hatte sie sich in letzter Zeit verändert, war sie vielleicht ruhiger geworden oder reizbarer? Nein, mir war nichts aufgefallen. Trotzdem suchte ich in allen Räumen, in denen sie sich hätte aufhalten können. Leider ohne Erfolg. Und ich traf auch niemanden, den ich hätte fragen können. Der Gebäudekomplex wirkte wie ausgestorben. Kein Wunder, saßen doch alle beim Essen.
Jetzt schlug meine Unruhe in echte Sorge um. Ich wollte noch einmal in den Speisesaal zurückkehren. Vielleicht war Francis inzwischen dort aufgetaucht.
Doch das war nicht geschehen und auch dort begann man, sich langsam Sorgen zu machen. Es kam heraus, daß anscheinend niemand Francis seit dem Training gesehen hatte. Ungeduldig warteten sie auf meine Rückkehr und hofften auf gute Nachrichten. Dabei standen viele am Fenster uns starrten gespannt hinaus auf den Hof. So wurden sie Zeuge eines merkwürdigen Gesprächs. Merkwürdig aus ihrer Sicht heraus.
Ich trat gerade aus der Tür, als eine Gestalt über den Hof flitzte. Scheint es ziemlich eilig zu haben, dachte ich, bevor ich in dieser Gestalt Joschi erkannte. Ich runzelte die Stirn. Was machte er hier um diese Zeit und dann noch unangemeldet? Auch meine Freunde am Fenster stellten sich diese Fragen.
Joschi wäre unweigerlich an mir vorbei gerannt, hätte ich ihn nicht gerufen. Doch so schnell konnte er nicht bremsen. Er kam ins Stolpern und ich fing ihn auf.
„Was ist los. Warum rennst du so?“ Ich konnte sehen, daß Joschi einen Zettel in der Hand hielt, den er mir jetzt gab.
„Den soll ich dir geben.“
„Mir? Von wem ist der?“
Joschi zuckte mit den Schultern. Er rang noch immer nach Atem und konnte nicht so antworten, wie er wollte. Im Speisesaal hatte es die wenigsten noch am Tisch gehalten, sie standen am Fenster, allerdings sahen sie nur unsere Bewegungen. Verstehen konnten sie nichts. Sie konnten sehen, wie ich den Zettel auseinanderfaltete, las und dann etwas blasser wurde. Meine Hände zitterten leicht und ließen das Blatt flattern. Ich sagte etwas zu Joschi, dann packte ich ihn und zog ihn mit. Pascal drehte sich zu den anderen um:“ Kommt mit. Es muß etwas passiert sein. Taris ist außer sich.“
Die anderen ließen sich nicht lange bitten und so kam es, daß fast alle Fighter zum Thronsaal gingen. Ich redete gerade mit Zomar und wirkte sehr aufgeregt. Der Prinz allerdings auch. Als eine Abordnung der Fighter den Saal betrat, ließ er gerade nach Costa, Tama und José rufen. Ich hielt noch immer den Zettel in der Hand und redete eindringlich auf Joschi ein. Dieser sah ziemlich ratlos und verwirrt aus. Als Pascal näher kam, konnte er seine letzten Worte hören.
„Ich weiß wirklich nicht mehr als das, was ich schon gesagt habe.“
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, unterließ es dann aber. Seufzend setzte ich mich auf den nächstbesten Stuhl. Ich merkte im ersten Moment kaum, daß Pascal zu mir trat: „Taris.“
Ich zuckte leicht zusammen und sah auf. Noch immer war ich etwas blaß, doch irgendwas schien in meinen Augen zu leuchten. Etwas, daß Pascal nicht gerne sah.
„Was ist los? Was soll die Aufregung?“
Schweigend reichte ich ihm die Nachricht. Während des Lesens wurden Pascals Augen immer größer. Er glaubte nicht, was er da sah.


Taris,

ließ diese Nachricht gut durch.
Wir haben deine Freundin. Francis ist in unserer Gewalt.
Füge dich unseren späteren Forderungen und ihr geschieht nichts!
Wir melden uns wieder. Versuche nicht, uns zu finden, es ist zwecklos!
Obwohl, du kennst uns.

Und wie, um mich noch zu verspotten, prangte auf dem unteren Abschnitt in großen Buchstaben der Satz:
Weißt du, wer wir sind?

Hinter Pascal tauchte eine Gestalt auf. Ich wollte Pascal noch den Zettel aus der Hand nehmen, aber zu spät. Theo, denn er war es, hatte schon ein paar Worte lesen können. Hastig entriß er Pascal die Nachricht, der im ersten Moment nur verblüfft auf seine leeren Hände starrte. Er hatte Theos Näherkommen nicht bemerkt. Mit jedem Wort, das Theo las, wurde dieser blasser und als er zu Ende gelesen hatte, setzte er sich wortlos auf den nächstbesten Stuhl. Francis war entführt worden und ausgerechnet Theo mußte es auf diese Weise erfahren.
Plötzlich schaute er auf und sah mich an. Ich hatte Mühe, seinem Blick standzuhalten. Es lag so viel Schmerz darin. Irgendwas in mir zerbrach und ich schwor mir, wer auch immer die Entführer waren, sie würden es noch bitter bereuen.
„Ich glaube, es ist besser, wenn Theo den Saal erst einmal verläßt und sich beruhigt. Ich habe das Gefühl, daß wir später jeden Fighter gebrauchen können.“
Pascal nickte nur und kümmerte sich darum. Gemeinsam mit Simon brachte er Theo hinaus und ich starrte ihnen hilflos hinterher. Ich konnte im Moment nichts für ihn tun.
Ich sah mich um. Tan, Lee und Nico waren anwesend, ebenso Rico und Franko. Und wahrscheinlich wartete der Rest der Truppe schon ungeduldig vor der Tür. Joschi stand noch immer neben mir und schien nicht so recht zu wissen, wohin. Mir fiel noch etwas ein: „Joschi, wie bist du überhaupt an die Nachricht gekommen. Ich meine, der Hof von deinen Eltern liegt ja nicht gerade nebenan.“
„Ich war gerade in der Nähe. Mein Bruder wollte einen Ochsen besichtigen und mir war es zu langweilig. Da bin ich ein wenig durch die Gegend gestreunt. Und plötzlich stand ein Mann vor mir und gab mir den Zettel mit dem Befehl, ihn zum Hof und zu dir zu bringen. Er war mir unheimlich und da ich euch alle kenne, tat ich es.“
„Könntest du den Mann beschreiben?“
„Ich glaube schon. Warum?“
„Einen Moment.“
Ich ignorierte die verwunderten Blicke der anderen. Ich wußte ganz genau, was ich tat. Rasch öffnete ich die Tür und blickte in mindestens zwei Dutzend, zum Teil erschrockene Gesichter. Ich hatte die Tür wohl etwas zu heftig aufgerissen.
„Kann einer von euch nach Angaben ein Gesicht zeichnen? Eine Phantomzeichnung?“
Kurzes Schweigen. Dann öffnete sich eine Lücke in der Masse und ein Junge trat etwas schüchtern hervor. Ich schätzte ihn auf siebzehn oder achtzehn Jahre und hätte ihn auf den ersten Blick als schmächtig eingestuft. Doch das täuschte, sonst wäre er nicht hier. Er gehörte zu denen, die schon vor uns am Hof gewesen waren. Die sogenannten alten Fighter. Und er schien das gleiche Problem wie ich zu haben. Er wußte, was er konnte, sprach aber nicht gern darüber. Noch dazu vor all den anderen. Doch wir mußten beide damit fertig werden, denn hier, mit unserer Aufgabe den Prinzen zu schützen, ging es oft nicht anders. Und jetzt brauchten wir ihn.
„Wie heißt du?“
„Sascha. Und ich denke schon, daß ich es hinbekomme.“
Beifälliges Gemurmel bestätigte seine Worte. Anscheinend gab es ein paar, die sein Talent schon kannten.
„Gut, komm mit. Ich erkläre dir, was los ist.“
Ich schloß die Tür und damit die enttäuschten Gesichter der anderen aus. Noch mußten sie warten. Anschließend winkte ich Joschi heran und bugsierte beide an den Tisch.
„Also Sascha. Joschi hat leider eine schlechte Nachricht mitgebracht. Francis ist entführt worden.“
Sascha nickte, was mir zeigte, daß er wußte, von wem ich sprach.
„Er wird versuchen, dir den Mann so genau wie möglich zu beschreiben, der ihm die Nachricht gab. Was deine Aufgabe ist, ist wohl klar.“
Sascha nickte wieder. In der Zwischenzeit hatte auch jemand Papier und Bleistift besorgt und ich ließ die beiden allein. Ich redete noch einmal mit Zomar: „Sollen die anderen schon erfahren, was los ist?“
„Was denkst du?“
Ohne es zu merken, war ich wieder in die Rolle des Anführers verfallen und den Prinzen störte es nicht. Nur José schaute etwas unglücklich. Ich konnte mir sein Verhalten allerdings nicht so recht erklären. Dies war nun mal eine Notsituation.
„Warnen müßte man sie schon“, beantwortete ich Zomars Frage. „Es ist Vorsicht geboten. Und Francis Fehlen ist sowieso schon aufgefallen.“
Zomar versprach diese Aufgabe zu übernehmen und entließ mich. Es gab hier im Moment nichts zu tun.
Ich zog mich aufs Zimmer zurück. Bisher hatte ich nicht viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Erst im Zimmer wurden mir die Stille und die Leere richtig bewußt. In diesem Moment verfluchte ich es auch, daß es nur zwei weibliche Fighter gab. Ich fühlte mich etwas verloren mitten im Raum. Ich starrte auf Francis Bett und fragte mich immer wieder, wer die Entführer waren. Laut Nachricht waren es mehrere.
„Verdammt!“ In einem plötzlichen Wutanfall schleuderte ich ein Kissen gegen die Wand.
Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet und zwei braune Augen blickten erschrocken herein. „Taris, alles in Ordnung?“
„Ach Salya, du bist es. Entschuldige meinen Ausbruch. Komm rein.“
Mit einem Seufzer hob ich das Kissen auf und warf es aufs Bett.
„Was ist los? Ist etwas mit Francis?“
Ich lachte kurz bitter auf, was mir einen fragenden Blick einbrachte. Doch warum sollte ich es ihr nicht erzählen? In Kürze würde es sowieso der ganze Hof wissen. Also setzten wir uns an den Tisch und ich berichtete ihr alles.
„Über euch wissen sie jedenfalls sehr gut Bescheid“, sagte Salya als ich geendet hatte. „Daß ihr euch kennt, egal wie man es auslegt, ist offensichtlich. Wen hast du alles kennengelernt, seit du hier bist?“
Ich verdrehte die Augen. Ich war jetzt über ein halbes Jahr hier. Wie sollte ich denn da jeden aufzählen können, der mir begegnet war?
Salya knuffte mich in die Seite: „Freunde fallen natürlich aus. Denk doch mal nach. Es können doch nur solche sein, die was gegen dich und den anderen haben.“
Verblüfft starrte ich sie an. Natürlich, wie hatte ich nur so blind sein können. Es war doch so offensichtlich und lange nachzudenken brauchte ich nicht. Es trat mich allerdings wie ein Blitzschlag. Einige Zweifel blieben, doch konnte es anders sein?
Ich griff die Hand von Salya und zog sie einfach mit, hinüber zum Thronsaal, wo Sascha nach Joschis Anweisungen zeichnete. Ich hoffte, daß sie schon fertig waren. Auf der Treppe begegneten wir Pascal und Theo. Theo sah noch immer etwas verstört aus, doch wenigstens blickten seine Augen nicht mehr so leer.
„Kommt mit“, sagte ich, bevor einer von ihnen etwas fragen konnte. Ich war jetzt viel zu aufgeregt, um die Sachlage lang und breit zu erklären. Ich mußte Gewißheit haben.
Alle Anwesenden schauten überrascht und zum Teil erschrocken auf, als ich in den Saal stürmte. Ich sollte vielleicht nicht immer die Tür so aufreißen, dachte ich im Stillen. Nur Sascha sah mir ruhig entgegen. Das gefiel mir.
„Fertig?“
Er nickte und hielt mir die Zeichnung entgegen. Eine Bombe hätte mich im Schritt nicht besser stoppen können. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Sascha hatte wirklich gute Arbeit geleistet und Joschi vorzügliche Anweisungen gegeben. Doch auch wenn es nicht so genau gewesen wäre, erkannt hätte ich dieses Gesicht auf jeden Fall. Das Blut rauschte in meinen Ohren und die Zeit schien stehenzubleiben. Für einen Moment gab es nur diese Zeichnung und mich auf der Welt. Dann legte mir Pascal eine Hand auf die Schulter und der unheimliche Bann zerbrach. Pascal sah mich fragend an und ich erkannte, daß ich seine Frage nicht mitbekommen hatte.
„Was?“
„Ich fragte, ob du den Mann kennst, aber deiner Reaktion zufolge, ist diese Frage unnötig.“
„Und ob ich den kenne. Immerhin habe ich ihn schon einmal niedergeschlagen.“
Jetzt waren die Blicke der anderen eindeutig fragend. Keiner von ihnen schien sich zu erinnern.
„Der Inder. Wißt ihr nicht mehr? Der Mann, der im Hotel war, dem wir durch ganz Lymath gefolgt sind?“
„Doch natürlich.“ Wie Pascal wußten auch die anderen, von wem ich sprach.
„Dieser Mann, “ ich zeigte auf das Bild, „gehört zu ihm. Er ist sein..., sein Laufbursche. Er war ständig bei ihm und wartete nur darauf, einen Befehl auszuführen. Widerlich.“ Ich schüttelte mich.
Es war einfach ungeheuerlich. Jeder von uns war der Meinung gewesen, daß die Gauner schnellstens das Weite gesucht hätten, aber das war ein großer Irrtum. Sie wollten uns in Sicherheit wiegen, Gras über die Sache wachsen lassen, um dann erneut zuzuschlagen.
„Du hast gesagt, du hast ihn niedergeschlagen?“ Zomar saß auf seinem Thron, was schon ein seltener Anblick war. Ich drehte mich zu ihm um.
„Ja, das war in der Lagerhalle. Während unseres Rückzuges wurde ich angegriffen. Ich ließ mich einfach fallen und trat zu.“
Grinsend registrierte ich Tamas gerunzelte Stirn. Ich wußte, wie ungern er es hörte. Blindlings zugeschlagen. Das hatte er uns nicht gelehrt.
„Der Mann ging zu Boden und stürzte die Treppe hinunter. Zu den Füßen des Inders blieb er liegen.“
„Und das war dieser Mann?“
„Ja. Und der Inder hat es mir ziemlich übel genommen.“
„Inwiefern?“
„Nun, als ich nach unten schaute, zeigte er auf mich und ballte dann die Faust. Schätze, er will einen Zweitkampf.“
Costa gab einen merkwürdigen Laut von sich und ich schaute zu ihm. Er hatte etwas an Farbe verloren und wirkte völlig entsetzt.
„Bist du sicher, daß er genau diese Geste gemacht hat?“
„Ja.“ Ich verstand zuerst nicht, warum ihn das so aufregte, doch seine folgenden Worte ließen mich eine Gänsehaut bekommen.
„Er will nicht einfach nur einen Zweitkampf. Er will einen Kampf auf Leben und Tod.“



Einen Kampf auf Leben und Tod.
Noch lange nach dem Gespräch hallte der Satz in mir nach. Eigentlich hätte ich nicht überrascht sein dürfen. Etwas in dem Blick des Inders hatte es mir schon gesagt, nur brauchte es jemanden, der diesen Verdacht aussprach.
Jetzt saß wieder der harte Kern zusammen, außerdem Sascha. Joschi war wieder nach Hause gebracht worden, es war schon spät. Ich hatte eigentlich Salya dabei haben wollen, doch sie bekam die Erlaubnis nicht. Offiziell gehörte sie nicht zu uns, aber ihr Blick hatte mir deutlich gesagt, was sie davon hielt. Doch noch konnte ich ihr nicht helfen.
Jemand stieß mich an und ich schreckte aus meinen Gedanken auf. Die anderen schauten mich an und mir wurde klar, daß sie auf Antwort von mir warteten. Nur wußte ich die Frage nicht. Ich bekam eine roten Kopf: „Äh, wie bitte?“
Lee verzog die Lippen zu einem flüchtigen Lächeln: „Ich habe gefragt, ob es möglich ist, daß die Gauner so dreist sind, wieder in Lymath aufzutauchen.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Auf jeden Fall werden wir dort anfangen zu suchen. Mich beschäftigt allerdings noch eine andere Frage. Wer ist alles an der Entführung beteiligt? Nur der Inder und seine Handlanger, oder ist Chantal wieder dabei, denn ich bin mir sicher, sie gehört dazu.“
Pascal beobachtete mich von der Seite und das beunruhigende Gefühl von vorhin kam wieder zum Vorschein. Meine Wangen waren leicht gerötet und ich konnte es anscheinend nicht abwarten, zuzuschlagen. Auch wenn es mich das Leben kosten könnte.
Unsere Suche sollte in Lymath beginnen, wo sonst. Allerdings mußte die ganze Organisation umgekrempelt werden. Wir konnten nicht offiziell in Erscheinung treten, die Gangster sollten uns nicht zu früh bemerken. Auch so war es schon riskant genug. In dieser Angelegenheit herrschte Einverständnis, blieb nur die Frage des Transports. Wie sollten wir diesmal in die Stadt kommen und wer? Denn alle zusammen konnten wir dort unmöglich auftauchen. Das wäre nur aufgefallen.
Wir redeten bis spät in die Nacht, ohne wirklich zu einer Lösung zu kommen. Nur eins war klar. Wir brauchten mindestens vier Mann, um in der Stadt einigermaßen klarzukommen. Dennoch würde es ein Wettrennen gegen die Zeit werden.
Sascha hatte noch eine andere Idee, wollte aber nicht so recht damit herausrücken. Simon bemerkte es und stieß ihn an: „Los Sascha, du willst doch schon die ganze Zeit was sagen.“
„Ja, also, ich hätte da noch einen Vorschlag. Aber ich weiß nicht...“
„Nun red schon. Du bist genauso ein Fighter wie wir, also kannst du getrost den Mund aufmachen. Niemand wird über dich herfallen.“ Simons vertrauter Ton verfehlte seine Wirkung nicht. Als ihn allerdings acht Augenpaare anschauten, sackte er wieder etwas in sich zusammen. Ich verstand es nicht. Wieso wurde jeder in unserer Gegenwart so unsicher? Wer weiß, was sie sich über uns erzählen. Schließlich rang sich Sascha zu einer Antwort durch: „ In der Nachricht stand doch, daß sie sich wieder melden würden. Warum warten wir dann nicht, bis sie es tun?“
Niemand von uns sagte ein Wort und Sascha lief rot an. Was für bescheuerte Ideen verbreitest du hier eigentlich, dachte er bei sich. Noch immer sagte niemand etwas, doch es lag nicht daran, daß uns die Idee nicht gefiel, sondern daran, daß wir alle verblüfft waren. Doch das konnte Sascha nicht wissen und er fühlte sich immer unbehaglicher. Schließlich fing ich an zu grinsen, dann Pascal und Simon und letztendlich fingen wir an zu lachen. Sascha wurde immer verwirrter. Ich klärte ihn auf: „Entschuldige unsere Heiterkeit, aber es ist doch immer wieder erstaunlich, wie kompliziert wir eigentlich denken. Niemand außer dir hat diese einfachste aller Lösungen erkannt. Ist doch eigentlich ganz logisch.“
Wir schauten uns an und es stimmte. Keiner von uns hatte an diese Zeile der Nachricht gedacht. Und ich sah die Erleichterung in Saschas Augen. Dabei mußte ich an eine Begebenheit aus meiner Kindheit denken. Es war wohl in der zweiten Klasse gewesen, kurz bevor Tama mich im Kampfsport und damit mein Selbstbewußtsein trainierte. Vorher war ich kleinlaut, schüchtern und verängstigt gewesen. Jeder aus der Klasse wußte das und machte mit mir, was er wollte. Als es wieder besonders schlimm war, drei Mitschüler, auch ein Mädchen, hatten mich in die Enge getrieben und drohten mich zu verprügeln, trat plötzlich ein kleines Mädchen dazwischen. Sie schob die drei einfach zur Seite, stellte sich schützend vor mich und blickte die drei wütend an. Ich spürte, daß auch sie Angst hatte, doch die ließ sie sich nicht anmerken. Sie sah so klein und fein aus in ihrem weißen mit bunten Pünktchen gesprenkeltem Kleid, doch ihre Stimme war so klar und fest, daß die anderen zurückwichen: „Schämt ihr euch gar nicht? Zu dritt ein wehrloses Mädchen anzugreifen? Sucht euch jemand in eurer Größe. Und du Britta machst bei so was auch noch mit?“
Das angesprochene Mädchen senkte hastig den Blick. Niemand unternahm auch nur den Versuch, mich nochmals zu ärgern. Die drei standen nur einfach da und blickten meinen Rettungsengel, wie ich sie später immer nannte, nur schweigsam an. Das Mädchen gewann das stille Duell und mit eingezogenem Kopf zogen die drei davon. Meine Erleichterung war groß und genau diese Erleichterung konnte man auch bei Sascha lesen. Ich war noch lange mit dem Mädchen, das Shirley hieß, befreundet.
Pascal griff indes die Idee auf, erweiterte sie aber noch: Wir werden auf diese Nachricht warten, können aber trotzdem schon eine Vorhut losschicken. Allerdings, “ er zögerte und dieses Zögern klang in meinen Ohren unheilvoll, „allerdings wird zumindest damit klar, daß Taris hierbleibt.“
„Was?“ Ich fuhr herum und blitzte ihn wütend an.
Pascal versuchte, es mir zu erklären: „Wenn eine Nachricht eintrifft, in der steht, was du machen sollst, anrufen oder so und du bist nicht da, was dann?“ Ich antwortete nicht. Es gab keine Antwort darauf und im Grund genommen hatte er recht. Trotzdem wich das Gefühl der Ungerechtigkeit nicht so schnell. Noch ehe jemand etwas sagen konnte, hatte ich das Zimmer verlassen. Pascal seufzte und Sascha starrte verwundert auf die geschlossene Tür.
„Was hat sie denn?“
Tan winkte ab: „Die kriegt sich wieder ein. Ihr Temperament.“
Tans Erklärung irritierte Sascha noch mehr. Pascal erklärte es ihm genauer: „Taris kann, wie wir alle, Ungerechtigkeit auf den Tod nicht ausstehen. Und jetzt geht es um Francis. Zwischen den beiden herrscht eine besondere Freundschaft. Und Taris mischt so gern in der ersten Reihe mit.“ Pascal grinste etwas schief. „Wie Tan schon sagte, ihr Temperament.“
„Sie schreckt vor nichts zurück, was?“
„Warum? Was meinst du?“
„Nun, immerhin geht es darum, den Inder zu finden. Und der will sie schließlich einen Kopf kürzer machen.“
Tan verstand: „Du mußt wissen, Taris wurde von kleinauf von einem Japaner trainiert. Du kennst ihn. Es ist Tama.“
Jetzt bekam Sascha allerdings große Augen.
„Bei den Japanern geht es immer um die Ehre. Taris hat dies so gelernt und übernommen.“
„Aha. Der Inder hat sie herausgefordert und ihre Ehre verbietet es ihr, sich zurückzuziehen.“
„Genau. Diesem Kampf aus dem Weg zu gehen hieße für sie, ihre Ehre zu verlieren. Und es ist egal, ob sie verliert oder gewinnt. Und daher versuchen wir, daß sie erst möglichst spät, am besten gar nicht, auf den Inder trifft.“
„Gar nicht? Aber ich dachte...“
Tan unterbrach ihn: „Ich habe nicht gesagt, daß sie nicht gehen soll. Aber was ist, wenn einer von uns früher als sie auf den Inder trifft?
„Schon klar. Aber was machen wir denn jetzt nun wirklich?“
„Nun, als erstes sollten wir morgen mit dem Prinzen reden. Er hat schließlich auch noch mitzubestimmen.“
Und so wurde es gemacht.
Beim Frühstück am nächsten Morgen war ich recht einsilbig, was aber nicht weiter auffiel. Es herrschte sowieso ungewöhnliche Stille. Anschließend versammelte sich der harte Kern mit Franko beim Prinzen. Rico hatte es schlichtweg abgelehnt mitzukommen. Der Prinz war mit den Vorschlägen einverstanden. Als die Sprache darauf kam, daß ich noch im Palast bleiben sollte, konnte er sich ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. Er konnte sich meine Reaktion gut vorstellen.
Jetzt mußte nur noch die Frage geklärt werden, wer denn nun in die Stadt ging. Nico dacht laut nach: „Es müßten in erster Linie Fighter sein, die bisher nicht in Aktion getreten sind.“
„Und wie sollen die den Inder und seine Handlanger erkennen?“
„Na, dann eben solche, die zwar mit in der Stadt waren, aber nicht weiter aufgefallen sind. Ihr selbst fallt doch auf wie ein bunter Hund.“
„Auch wieder wahr.“ Pascal seufzte.
„Ganz einfach“, half ich weiter. „Die Idee ist nicht schlecht. Die Gruppe muß aber etwas vergrößert werden.“
„Vergrößert? Es sollen doch nicht so viele nach Lymath gehen.“
„Es wird nicht anders gehen. Es ist doch so, daß wir möglichst immer zu zweit gehen sollten. Allein ist es zu gefährlich. Wir wollten vier Fighter schicken, also brauchen wir noch vier Begleiter. Macht zusammen acht. Das dürfte eigentlich noch gehen. Jedes Pärchen übernimmt einen Stadtteil. Norden, Osten, Süden, Westen, alles klar?“
Die Versammlung sank wieder in dumpfes Schweigen. Mir wurde das bald zuviel. Ich ließ meine Gedanken schweifen und dachte an Francis.



Ein leichter Schlag holte sie ins Bewußtsein zurück. Mühsam schlug sie die Augen auf. Vor ihr stand ein Mann, die Hand erhoben, um erneut zuzuschlagen. Francis zuckte zusammen und der Mann ließ die Hand wieder sinken.
„Sie ist wach“, sagte er mit einem fürchterlichen Akzent zu jemand, der hinter ihm stand.
Francis schloß wieder die Augen. In ihrem Kopf schienen kleine Zwerge mit Flugzeugen herumzufliegen, jedenfalls brummte er so. Wo war sie hier und noch wichtiger, wie war sie hierher gekommen? Sie versuchte sich zu erinnern, aber in ihrem Kopf herrschte nur Leere.
„He, mach gefälligst wieder die Augen auf.“ Der Mann stieß ihr in die Seite. Gequält stöhnte Francis auf.
Ein Kampf.
Es war ein Kampf gewesen.
Francis bewegte sich unruhig, daß heißt, sie versuchte es, denn sie war an Händen und Füßen gefesselt. Schritte näherten sich ihr und sie drehte etwas den Kopf. Ein zweiter Mann kam zu ihr und beugte sich hinunter, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Abermals stöhnte sie auf, aber nicht vor Schmerz, sondern vor Entsetzten.
Der Inder.
Der Schleier vor ihren Erinnerungen zerriß und sie wußte wieder in allen Einzelheiten, was geschehen war.
Vor einem Tag, oder waren es mehr, hatte sie zum Ausgleich des Kampfsports einen kleinen Waldlauf machen wollen. Allein. Wer konnte auch ahnen, was passieren würde?
Sie war noch nicht lange unterwegs gewesen, als ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie blieb stehen und lauschte angestrengt.
Da.
Da war es wieder. Es klang wie ein Wimmern.
Vielleicht ein verletztes Tier, dachte Francis. Sie überlegte, was sie tun sollte. Immerhin wußte sie, daß gerade verletzte und verängstigte Tiere gefährlich werden konnten. Der Laut erklang wieder und ihre Neugier siegte. Sie bestimmte die ungefähre Richtung und ging vorsichtig los. Wohl war ihr dabei nicht. Ein unbestimmtes Gefühl, daß sie nicht mehr losließ, überkam sie. Irgendwas stimmte hier nicht. Alarmiert blieb sie stehen und schaute in den Himmel hinauf. Sanft bewegten sich die Baumkronen im Wind, ein Schauspiel der verschiedensten Grüntöne. Es schien alles in Ordnung zu sein. Warum klopft dann mein Herz, als wollte es zerspringen, fragte sich Francis. Wieder erklang der seltsame Laut, diesmal sehr nahe und erinnerte sie daran, was sie eigentlich hier wollte. Noch vorsichtiger als zuvor setzte sie einen Fuß vor den anderen. Sie befand sich jetzt am Rande einer kleinen Lichtung. Für einen weiteren Moment blieb sie stehen, lauschte und hörte - nichts.
Francis runzelte die Stirn. Was störte sie nur daran? Und sie tat etwas für sie Unverzeihliches. Ohne auf ihre Gefühle zu achten, die ihr zuschrien, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen, trat sie auf die Lichtung hinaus. Ihre Turnschuhe verursachten nicht den geringsten Laut und dennoch hatte Francis das Gefühl, von tausend Augen beobachtet zu werden.
Jetzt reiß dich zusammen, schimpfte sie mit sich selbst. Hier ist nichts.
Merkwürdig. Dieser Satz ließ etwas in ihrem Inneren erklingen, sprach etwas in ihr an und ließ sie wieder logisch denken.
Es war ruhig um sie herum. Selbst das Tier (Tier?) war verstummt. Und plötzlich wußte sie, was sie die ganze Zeit über gestört hatte. Es war ruhig im Wald. Zu ruhig, wie sie fand. Sie konnte zwar noch immer den Wind in den Wipfeln der Bäume rauschen hören aber sonst - nichts.
Kein Vogel, der munter sein Lied pfiff, kein Tier, das durchs Unterholz huschte. Nichts, was man normalerweise hätte hören können. In Francis Kopf schrillten mit einem mal hundert Sirenen. Sie fuhr auf der Stelle herum und erstarrte. Sie war nicht mehr allein. Noch leiser als sie war eine weitere Person auf die Lichtung getreten.
Ein Mann.
Und diesen Mann kannte sie.
Es traf sie wie ein Schock und Francis stöhnte unwillkürlich auf. Teils vor Enttäuschung über sich selbst, daß sie sich so einfach hatte überrumpeln lassen, zum anderen vor Entsetzten, denn sie hätte nie im Leben daran gedacht, je den Inder wiederzusehen.
„Überrascht?“ Der Inder lächelte, doch es war ein kaltes Lächeln, welches nie seine Augen erreichte.
Francis schauderte. Dieser Mann war ihr schon immer unheimlich gewesen und jetzt, als sie ihm so nah stand, umso mehr. Vor allem seine Narbe, die sich quer über seine rechte Gesichtshälfte zog, wirkte abschreckend.
„Ich sehe, du bist nicht sehr gesprächig.“ Er schien eine Antwort zu erwarten. Als keine kam, gab er jemand ein Zeichen.
Die Bewegung löste Francis aus ihrer Erstarrung. Hinter ihr traten drei Männer aus dem Gebüsch, das die Lichtung umgab. Wieder einmal verfluchte sich Francis für ihre Unachtsamkeit. Das alles war nichts als eine Falle gewesen. Sie drehte sich etwas, so daß sie die Männer und den Inder gleichzeitig im Auge hatte.
„Was wollen sie?“ fragte Francis an den Inder gewandt.
„Nun, ihr habt uns genug Ärger bereitet. Jetzt drehen wir den Spieß einmal um. Und du wirst uns dabei behilflich sein, auch wenn du es noch nicht weißt. Du bist die Schlüsselfigur für unsere Rache. Besonders für meine Rache.“ Er lachte und dieses Lachen verursachte ihr eine Gänsehaut.
Im ersten Moment konnte Francis den letzten Teil seiner Worte nicht begreifen. Als sie es dann doch tat, wurde sie etwas blasser. Der Inder sah es mit Wohlwollen.
„Ich sehe, du begreifst schnell. Das gefällt mir.“ Er lächelte noch einmal, doch dann wechselte er das Thema und sein Gesicht wurde hart. „Die Kleine, diese Taris, “ er spie den Namen fast aus, „wird schon noch erfahren, was es heißt, sich mir in den Weg zu stellen.“
„Wieso gerade Taris? Sie allein ist doch nicht...“
„Sie allein“, unterbrach der Inder Francis grob, „sie allein ist schuld. An allem ist sie schuld, das hat jeder gesagt. Sie wird sich stellen müssen.“
Die Stimme des Inders wurde wieder leiser und Francis schauderte erneut. Sie hatte das Gefühl, daß der Inder nicht nur allein von sich sprach. Aber ihr blieb nicht viel Zeit nachzudenken, denn der Inder drehte sich um und verließ mit langsamen Schritten die Lichtung. Das war das Zeichen für die Männer zum Angriff, doch so leicht würde Francis es ihnen nicht machen. Sie wußte, ihr blieb nur eine Chance, mich zu schützen. Sie mußte so schnell wie möglich zum Hof zurück. Sie stürmte los. Den ersten Mann fegte sie mit einem Fußtritt zur Seite, dem zweiten schlug sie mit der Handkante vor den Brustkorb. Nach Luft ringend ging dieser zu Boden. Der dritte aber bekam ihr Handgelenk zu fassen. Francis ließ sich einfach zu Boden fallen, rollte sich nach hinten ab und schleuderte den Mann über sich hinweg. Doch eine Erholungspause blieb ihr nicht. Schnell standen die Männer wieder auf, um erneut anzugreifen. Francis wußte, wenn es ihr nicht gelang, die Männer schnell auszuschalten, sah es schlecht für sie aus. Sie schaffte es zwar, denn Tritten und Schlägen der Männer auszuweichen, konnte aber ihrerseits auch keine Treffer landen.
Francis wurde schnell das Ziel dieser Vorgehensweise klar. Sie wollten sie müde machen, um dann gemeinsam zuzuschlagen. Und es stand nicht schlecht für die Männer. Francis war zwar darauf trainiert, in Extremsituationen klar zu kommen, aber sie war kein Übermensch. Auch ihre Kräfte ließen einmal nach.
Plötzlich schrie Francis auf. Einer der Männer hatte sie am Knie erwischt und sie kämpfte um ihr Gleichgewicht. Das nutzen die Männer natürlich aus. Den ersten Schlag konnte sie noch abwehren, der zweite jedoch traf sie in die Seite, der nächsten im Magen. Keuchend fiel Francis auf die Knie. Aus den Augenwinkeln sah sie etwas auf sich zukommen und instinktiv rollte sie sich zur Seite. Ein schwerer Männerstiefel fegte knapp an ihrem Kopf vorbei und hinterließ im Waldboden einen tiefen Abdruck. Blitzschnell stand Francis auf und zog sich zum Rand der Lichtung zurück. Sie mußte sich erst einmal einen Überblick verschaffen, doch dazu kam sie nicht mehr. Hinter ihr raschelte es im Gebüsch und lenkte sie für einen kurzen Augenblick ab. Und so kurz diese Ablenkung auch war, den Männern reichte es. Auf Francis prasselten die Schläge nur so nieder und sie ging wieder zu Boden. Einer der Männer packte sie und zerrte sie brutal wieder hoch. Francis schrie auf, doch ihr Schrei wurde plötzlich von einem Tuch erstickt, daß ihr jemand, Francis vermutete den Inder, aufs Gesicht drückte. Sie brauchte den stechenden Geruch nicht, um zu wissen, daß das Tuch mit Betäubungsmittel getränkt war. Das finstere Gelächter des Inders war das Letzte, was sie mitbekam.
Und jetzt lag sie hier, schaute in das Gesicht des Inders und hatte einfach nur Angst. Sie versteckte es nicht einmal, denn sie wußte, nur wer Angst hatte, konnte sich vor Gefahren schützen. Und wer wußte schon, was noch alles auf sie zukam. Noch immer spürte sie die Stellen, an denen die Männer sie getroffen hatten.
„Bist du nun zufrieden?“ fauchte sie den Inder an.
Doch der blieb unerschütterlich ruhig: „Noch nicht ganz. Und das weißt du.“
Betroffen senkte Francis den Blick.
Taris. Sie konnte nichts mehr tun.
„Was hast du vor?“
„Oh, es muß eher heißen, was hatte ich vor. Die Sache läuft schon. Aber, ich will dich gerne aufklären. Immerhin bist du der Köder.“
Doch bevor er anfangen konnte, ertönte eine Frauenstimme im Hintergrund: „Ist alles klar mit ihr?“
Francis kannte diese Stimme. Sie hätte sie wahrscheinlich unter hunderten herausgefunden. Mühsam hob sie den Kopf und sah, wie sich Chantal Licois näherte. Also gehörte sie tatsächlich dazu.
Chantal lächelte und Francis hätte ihr am liebsten ins Gesicht geschlagen. Ihre Hilflosigkeit machte sie nur umso wütender.
„Sie ist wieder bei Bewußtsein und ich will sie gerade über ihre Rolle aufklären.“ So wie der Inder es sagte, konnte man erkennen, daß er nicht gerade erfreut über diese Unterbrechung war.
Auch Chantal begriff das, denn nach einem kurzen Blick auf Francis zog sie sich wieder schmollend zurück. Ihre Absätze klapperten irgendwo im Dunkel, dann war es wieder ruhig. Und der Inder erzählte Francis alles, was geschehen war.



Am Nachmittag fiel die Entscheidung, wer in die Stadt gehen und wie sie dort hingelangen sollten. Es waren vier fremde Gesichter sowie Peter und seine Freunde. Allen war klar, daß es wichtig war, schnell vorzugehen, denn die Zeit lief uns davon. Mir selbst fiel die Rolle des unbeteiligten Zuschauers wieder einmal schwer, aber ich sah auch ein, daß es nicht anders ging. Ich wurde hier gebraucht. Außerdem wurde ich oft abgelenkt, wenn auch mit weniger Erfreulichem.
Immer häufiger krachte es zwischen mir und Rico. Es war mir eigentlich unverständlich, doch er benahm sich meist nicht besser, als bei unserem ersten Einsatz. Ich sah nur keinen Grund dafür. Noch hatte ich mein Amt offiziell nicht wiederbekommen. Doch auch mit José verstand ich mich immer schwerer. Auch das verstand ich nicht. Mir war zwar klar, daß seit meiner Amtsenthebung jegliche Sympathie für ihn erloschen war, falls es sie jemals gegeben hatte, doch ich begriff seine versteckte Feindseligkeit nicht. Liefen wir uns über den Weg, gab es immer irgendwas, was er bemängelte. Zuerst versuchte ich, mit ihm zu reden; doch er hörte mir gar nicht richtig zu. Genauso war es mit Rico. Er tat es nicht so offensichtlich wie José, doch auch er machte oft böse Bemerkungen und stichelte, wo er nur konnte. Natürlich bemerkten es auch meine Freunde, doch da ich nichts sagte, schwiegen auch sie. Ich ging Rico und José eben möglichst aus dem Weg.
Die Späher waren immer in Zweiergruppen mit dem Jeep in die Stadt gefahren worden. Sie erhielten die Order, sich einmal die Stunde bei uns zu melden. Jeder von uns übernahm mal die Funküberwachung. Gleichzeitig warteten wir ungeduldig auch neue Nachrichten. Keiner von uns ahnte, daß sich gerade eine Katastrophe anbahnte.
Peter und die anderen waren am Stadtrand abgesetzt worden. Im Schutze der Dunkelheit betraten sie die Stadt. Sie wußten, diesmal würde es nicht so leicht werden. Sie konnten nicht einfach in ein Hotel gehen und ein Zimmer mieten. So suchten sie sich als erstes einen Unterschlupf. Ein altes Lagerhaus, schon zum Abriß bereit, genügte ihrem Zweck. Sie fanden einen Raum, der noch einigermaßen instand war und richteten sich ein. Von hier aus sollten alle Unternehmungen laufen. Der erste Schritt war, uns ihre Position durchzugeben. Die Funkverbindung klappte prima. Peter übernahm dieses Amt. Jeder Fighter trug ein Funkgerät bei sich. Es bestand auch Verbindung zu den Fahrern der Jeeps, die in der Nähe der Stadt in ihren Wagen warteten. So konnten sie, sollte es die Situation erfordern, entweder die Jungen aus der Stadt holen oder Verstärkung bringen.
Am nächsten Tag machten sich die Teams auf den Weg. Es war mühsam, man durfte nur vorsichtig Fragen stellen. Ihr Hauptaugenmerk richtete sich auf alte Lagerhäuser und mögliche Häuser, die die Gangster als Unterschlupf benutzen konnten. Natürlich waren sie auch in der Fabrik gewesen, in der die Bande das erste Mal aufgeflogen war. Erfolg hatten sie nicht und sie fanden auch keine Hinweise. Auch jetzt, am dritten Tag, waren sie nicht viel weiter gekommen. Sie hatten die Stadt schon fast völlig durchkämmt. Es gab zwar vereinzelte Hinweise, nur ließen sich die Spuren schwer verfolgen.
Am Abend, als sie wieder in ihrem Versteck zusammensaßen, bemerkten sie, daß ihnen die Lebensmittel knapp wurden. Steven, einer der unbekannten Fighter, gab gerade den Tagesbericht durch. Vorm nächsten Morgen würden sie sich nicht melden, da sie in der Nacht den Raum nicht verließen. Ich nahm die letzte Nachricht des Tages entgegen, denn ich hatte diesmal Nachtschicht. Begeistert war ich nicht. Während Pascal, Simon und Salya mir noch Gesellschaft leisteten, machten sich Peter und Rick auf in die Innenstadt. Sie wußten, dort würde es noch einen geöffneten Laden geben. Als sie auf die Hauptstraße einbogen zuckte ein Mann, von ihnen unbemerkt, zusammen und stieß seinen Kumpanen an. Rasch flüsterte er diesem etwas ins Ohr, worauf der verschwand. Peter und Rick brauchten nicht viel Zeit zum Einkaufen, der Fremde draußen noch viel weniger. Er kehrte mit einem weiteren Mann zurück, dem Peter wohl bekannt vorgekommen wäre, hätte er ihn gesehen.
Während Rick durch den Laden flitzte und hier und dort etwas aus den Regalen nahm und in den Einkaufskorb packte, stellte sich Peter an die Kasse und blickte durch die große Schaufensterscheibe nach draußen. Könnte auch mal wieder etwas Wasser vertragen, dachte Peter ironisch. So wie der ganze Laden schon vor einiger Zeit einen Aufputz hätte gebrauchen können. Der Boden war mit Fliesen ausgelegt, die schon völlig ausgetreten waren, billige Kunststoffregale liefen an den Wänden und der Mitte des Ladens entlang. Unter der Decke spendeten Neonröhren mattes Licht. Auch nicht mehr die Neuesten.
Doch so nachlässig die Einrichtung auch war, so gut war die Qualität der Ware, so vielfältig die Auswahl. Und der Besitzer war sehr nett, seine Preise angenehm. Er war vielleicht ein bißchen zu redselig. Peter drehte sich um und mußte grinsen, als er sah, daß Jassim Rick mal wieder einer seiner Geschichten zum Besten gab. Peter schüttelte den Kopf und sah wieder nach draußen. Die Dunkelheit war nun völlig hereingebrochen, doch hier in der Innenstadt gab es genug Leuchtreklamen und Laternen. Und genau unter einer dieser Laternen gewahrte Peter einen Mann. Es war der Mann, der Peter sofort erkannt hatte. Und Peter erkannte ihn. Er wußte nun, ihre Suche hatte ein Ende.
Rasch zog er sich in den hintersten Teil des Ladens zurück und winkte Rick zu sich: „Hast du alles?“
Rick nickte: „Ist was? Du wirkst so aufgeregt.“
„Draußen steht unbeliebte Gesellschaft. Also bezahle. Aber schnell.“
Während Rick das Geld abzählte, wandte sich Peter an Jassim: „Jassim, gibt es hier einen Hinterausgang?“
„Hinterausgang?“ Jassim sah in erstaunt an. „Wozu? Tür ist breit genug. Geht zur Straße.“ Er zeigte auf die Eingangstür.
Entschieden schüttelte Peter den Kopf. „Es ist jetzt zu kompliziert, um es zu erklären. Hast du noch eine andere Tür nach draußen?“
Jassim führte sie nach hinten. Er wußte, Peter und die anderen waren gute Kunden und bezahlten immer bar. Also stellte er keine Fragen. Keine Fragen, keine Antworten, die man aus ihm herauspressen konnte. Denn daß die Jungen jemanden aus dem Weg gingen, war ihm klar. Rasch schloß er auf und ließ die Jungen hinaus. Peter bedankte sich für seine Hilfe und versprach, sich wieder zu melden. Dann verschwanden sie lautlos in der Nacht.
Draußen, vor dem Geschäft, stand noch immer der Fremde. Er hatte genau beobachtet, was im Laden ablief. Rasch sagte er seinen Männern Bescheid.
Peter näherte sich indes mit Rick im Schlepptau den ruhigeren Gegenden der Stadt. Er wußte nicht, daß ihn der Mann schon gesehen hatte. Plötzlich wurde ihnen der Weg verstellt. Sie konnten aber nicht erkennen, von wem. Rick blieb wie angewurzelt stehen und auch Peter fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
„Was soll das?“ Peters Stimme zitterte leicht, doch er erhielt keine Antwort. Auch nach nochmaliger Frage blieb es still. Peter spürte eine Bewegung in seinem Rücken und drehte sich zur Hälfte um. Er wollte den Blick lieber in beide Richtungen frei haben, doch was er dann sah, ließ ihn völlig umdrehen. Er spürte die Unruhe, die von Rick ausging und fühlte sich nicht besser. Er beherrschte sich nur geschickter.
„So sieht man sich wieder.“ Der Satz kam so unerwartet, daß die Jungen zusammenzuckten. Rick wußte wahrscheinlich nicht einmal so genau, wem er da eigentlich gegenüberstand, dafür wußte es Peter umso besser. Er hatte daher Schwierigkeiten, dem Blick des Inders standzuhalten.
Der Inder sah sie einen Augenblick nur prüfend an und machte dann eine lässige Handbewegung. Den Jungen blieb keine Zeit zu reagieren. Ein Nackenschlag schickte sie ins Reich der Träume.
„Bringt sie weg.“ Die Stimme des Inders klang völlig kalt.
Zwei Männer warfen sich die Jungen über die Schulter und traten den Rückzug an. Als letzter verschwand der Inder. Der Überfall hatte nur ein paar Minuten gedauert und niemand bemerkte es. Nicht einmal die Fighter im Unterschlupf dachten an eine Entführung. Sie wunderten sich zwar ein bißchen, warum das Einkaufen so lange dauerte, doch nach Absprache waren sie einstimmig der Meinung, daß sie wahrscheinlich doch noch auf eine heiße Spur gestoßen waren, ohne ihnen Bescheid geben zu können. Also warteten sie ab und als sie sich endlich doch dazu entschlossen Alarm zu geben, war es längst zu spät.
Auch für mich war die Nacht lang. Ich hockte vor dem Funkgerät und wartete auf Nachrichten, die nie kamen. Aber wir mußten auf alles vorbereitet sein.
Seufzend griff ich zu meiner Tasse, die vor mir auf dem Tisch stand und verzog angewidert das Gesicht. Ich mochte Kaffee so schon nicht besonders, doch dieser hier war auch noch kalt. Mißmutig stellte ich die Tasse wieder zurück. Gerade als ich aufstand, um ein paar Schritte durch den Raum zu gehen, ertönte eine Stimme von der Tür her. Es war ein Fighter, der wohl noch nicht hatte schlafen können.
„Na, alles klar?“
Ich nickte: „Kannst du kurz hierbleiben? Ich will schnell rüber zur Küche. Neuen Kaffee holen.“ Ich zeigte auf meine Tasse.
Der Fighter grinste verstehend. Nachtwache war hier bei jedem sehr beliebt. Er sprang für mich kurz ein.
Auf dem Weg zur Küche stieß ich auf eine Wache und grüßte. Zum Glück war von José weit und breit nichts zu sehen. In der Küche holte ich den löslichen Kaffee aus dem Schrank und überlegte dann, daß es wohl besser wäre, gleich eine ganze Thermoskanne voll zuzubereiten. Ich setzte Wasser auf und stellte mich ans Fenster. Irgendwie war das nicht meine Nacht. Es war nicht meine erste durchwachte Nacht, aber noch nie war es mir so schwergefallen. Vielleicht wurmte es mich aber auch, daß ich hier festsaß.
Der Kessel pfiff. Seufzend wandte ich mich wieder vom Fenster ab. Viel gab es ohnehin nicht zu sehen. Vorsichtig ließ ich daß heiße Wasser in die Kanne laufen. Kaffeegeruch stieg auf und ich verzog das Gesicht. Kaffee war doch eigentlich etwas schreckliches, doch ohne würde ich die Nacht nicht überstehen. Ein leises Geräusch ließ mich auffahren.
„Wer ist da?“
Eine Gestalt tauchte in der Tür auf. Licht fiel vom Flur herein und so konnte ich wenig erkennen, denn ich hatte in der Küche nur wenig Licht gemacht. Als die Person nähr kam, war die Erleichterung nicht so groß aber vorhanden. José stand vor mir und ich spürte, wie meine Wut erwachte. Hatte nämlich ein anderer Fighter Nachtwache, tauchte er nie auf. Ich hatte mich erkundigt. Also hatte er wieder vor, mich zu nerven. Manchmal spielte ich mit dem Gedanken, zu Zomar zu gehen. Doch dann machte ich mir klar, daß es für ihn nicht einfach sein würde. José war immerhin sein Berater in Verteidigungsfragen und wir gehörten dazu. Wie hätte er mir da glauben können, daß José versuchte, mich fertigzumachen? Doch langsam überspannte José den Bogen und dementsprechend aggressiv begann ich zu reagieren.
„Na,“ fragte José aufreizend langsam, „ist die Nacht sehr lang?“
Ich riß mich zusammen. Einen offenen Krieg konnte keiner gebrauchen. Langsam schraubte ich den Deckel der Kanne zu, nahm sie und zwängte mich wortlos an José vorbei durch die Tür, wobei ich ihn etwas anstieß, da er keine Anstalten machte, zur Seite zu gehen. José nahm das gleich als Anlaß zur Provokation und packte mich am Arm. Mein ganzer Körper verkrampfte sich und das spürte auch José. Ein überlegendes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
„Glaub ja nicht, daß du hier Sonderstellungen beziehst. Du bist genauso klein und nichtssagend wie alle anderen hier. Ihr seit mir unterstellt.“
Langsam blickte ich auf seine Hand, die meinen Oberarm fest umpackte und wieder in sein Gesicht. „Las mich sofort los“, zischte ich ihn an.
Nach einem kurzen Augenblick tat er es auch, aber mir wurde klar, daß das, was bisher vorgefallen war, nur ein Spiel darstellte. Ab jetzt wurde es ernst. Nur den Grund dafür, den begriff ich immer noch nicht.
Schnell verließ ich die Küche. Zu schnell, wie mir bewußt wurde und ärgerte mich darüber. Zugegeben: langsam bekam ich wirklich Angst vor José und wenn es so weiterging, blieb mir nichts anderes übrig, als zum Prinzen zu gehen. Doch soweit sollte es nicht kommen.
Ich kehrte in den Wachraum zurück und dankte dem Fighter für seine Unterstützung.
„Keine Ursache.“ Er stand auf und blickte mich prüfend an.
„Was ist los?“ fragte ich leicht gereizt, während ich mich wieder auf den Stuhl setzte.
„Das könnte ich dich fragen. Als du hinausgegangen bist, warst du etwas fröhlicher.“
Ich winkte ab. „Alles in Ordnung. Ist eben eine lange Nacht.“ Sogar in meinen Ohren klang es nicht sehr überzeugend und dementsprechend sah der Fighter mich an. Doch als ich keine Anstalten machte etwas zu sagen, wünschte er mir noch einen geruhsamen Dienst und ließ mich mit meinen düsteren Gedanken in der Stille der Nacht zurück.
Was hatte José gesagt? Ich würde Sonderstellungen beziehen wollen? Was war das denn wieder für ein Quatsch? Ich hatte mein Amt doch noch immer nicht zurück. Fröstelnd zog ich den Kopf zwischen die Schultern. Ich bekam so langsam das Gefühl, daß José mich noch mehr haßte als angenommen. Aber warum? Irgendwie ahnte ich, daß die Szene in der Küche so etwas wie der Schlüssel zur Lösung gewesen war, doch es wollte mir nicht gelingen, ihn zu packen.
So saß ich die ganze Nacht da, zerbrach mir den Kopf und trank eine Tasse Kaffee nach der anderen. Als die Ablösung kam, wollte ich nur noch ins Bett. Doch so weit kam es nicht. Sascha, der jetzt Dienst hatte, wurde von Pascal, Theo und Simon begleitet. Ich wandte mich an Sascha: „Alles ruhig. In einer Stunde müßten sie sich melden.“
Sascha nickte und ich machte für ihn Platz. Er setzte sich aber nicht sofort, sondern griff nach der Thermoskanne, die neben dem Funkgerät stand. Er schüttelte sie kurz. Nicht ein Tropfen befand sich noch darin. Er zog die Augenbrauen hoch: „Lange Nacht, was?“ Verärgert blitzte ich ihn an.
Erstaunt legte Pascal seine Hand auf meine Schulter. „Was ist los? Die Nacht war doch ruhig, oder?“
Ich schluckte die Antwort, die mir schon auf der Zunge lang, hinunter. Der Vorfall der Nacht sollte mein Geheimnis bleiben.
„Ja, es war ruhig. Aber du weißt doch, ich sitze eben nicht gern untätig herum.“
Pascal nickte nur verstehend. Gerade als ich den Raum verlassen wollte, ließ ein Geräusch uns alle auffahren. Ein Knacken im Lautsprecher, schließlich eine Stimme, die sich meldete. Viel zu früh und die Stimme klang aufgeregt. Rasch ging ich zum Tisch und ergriff das Funkgerät. Ich meldete mich mit dem verabredeten Code: F zwei an Gruppe. Was gibt’s?“
„Hier Gruppe. Zwei Fighter sind seit der Nacht verschwunden.“
Mir fiel fast das Gerät aus der Hand und schlagartig war ich wieder wach.
„Wer ist verschwunden, seit wann genau und in welche Mission waren sie unterwegs?“
Wäre die Lage nicht so erst gewesen, hätte Steven laut gelacht. Mission. Wenn es wenigstens eine gewesen wäre. Aber er beantwortete meine Fragen genau.
„Peter und Rick sind verschwunden, seit gestern abend. Sie waren - einkaufen, “ kam es zögerlich.
„Einkaufen? Ihr wart nicht mehr auf Erkundigung?“
„Nein, die Zeit war vorbei. Was sollen wir jetzt tun?“
„Vor allem die Füße stillhalten. Wahrscheinlich hat man euch entdeckt. Moment, ich übergebe.“ Ich drückte dem verdutzten Pascal das Funkgerät in die Hand.
„Ich gehe rüber zum Prinzen und sage ihm Bescheid.“
Pascal nickte bloß und sprach mit Steven weiter. Theo und Simon standen noch immer in der Tür, machten mir jedoch schnellstens Platz. Pascal gab noch einmal die Anweisung, daß die Fighter in ihrem Unterschlupf bleiben und auf weitere Anweisungen warten sollten. Dann plazierte er Sascha auf den Stuhl und kam mir mit Theo und Simon hinterher. Unterwegs begegneten sie Rico. Er sah ihnen sofort an, daß etwas passiert sein mußte. Pascal klärte ihn auf.
„Würdest du Sascha bitte Gesellschaft leisten? Es ist immer besser, wenn zwei Leute auf den Funk aufpassen.“
Rico nickte nur und trabte davon.
„Komisch.“ Simon blickte ihm hinterher. „Wenn du etwas sagst, muckt er nicht einmal auf.“
Pascal grinste: „Am Anfang hatte er das Kommando und es wurde im abgenommen, von einer Frau. Wahrscheinlich kommt sein Ego mit einem weiblichen Wesen in dieser Position nicht klar.“
Theo lachte: „So wie er sich manchmal aufplustert, könntest du sogar recht haben.“
Als sie die Vorhalle zum Thronsaal betraten, kam ihnen Costa, der persönliche Berater des Prinzen entgegen. Er nahm sie gleich mit zu Zomar. Er führte sie in die Privatgemächer des Prinzen und das war für sie etwas ganz Neues. Hier waren sie noch nie gewesen und dementsprechend neugierig schauten sie sich um. Allerdings mußten sie sich wieder eingestehen, daß Zomar nicht ein Prinz war, wie sie sich einen Prinzen eigentlich vorstellten. Sicher, auch er umgab sich mit einigem Luxus aber der war verschwindend gering. Seine Räume waren etwas kostbarer ausgestattet, die Möbel teuer aber bequem. Doch erwartete man von einem Prinzen nicht irgendwie mehr?
Zomar bemerkte natürlich die Blicke und lächelte.
„Na, zufrieden?“
Die Jungen spürten, wie sie rote Ohren bekamen. Mit einem amüsierten Lächeln schloß Costa hinter ihnen die Tür.
„Du weißt, was passiert ist?“ fragte Pascal.
Zomar zeigte nur über seine Schulter. Am Ende des Zimmers stand ich, ans Fensterbrett gelehnt und war mit meinen Gedanken ganz woanders. Das sah man sofort. Mit der linken Hand knetete ich meine Lippe und kam auch in Versuchung, an den Fingernägeln zu knabbern. Mit der rechten Hand stützte ich meinen linken Arm. Pascal seufzte und der Prinz fragte ihn nach dem Grund.
Pascal grinste etwas verlegen: „Ihre Fingernägel. Ich habe es so schön geschafft, daß sie damit aufhört.“ Jetzt grinste auch Zomar.
Pascal kam zu mir und nahm meine Hände in die seine. Ich zuckte zusammen und sah ihn erschrocken an. Dann erkannte ich Pascal und entspannte mich wieder.
„Oh, du bist es.“
„Na, wen hast du denn erwartet? Glaubst du, der Inder taucht hier auf?“ fragte er leicht belustigt. Aber an meinem Blick erkannte er, daß ich es nicht im Geringsten lustig fand, was ihn wiederum zu einem Stirnrunzeln veranlaßte. Ich war doch sonst nicht so ernst. Aber er ging nicht weiter darauf ein.
„Über was hast du gerade nachgedacht?“
„Sie sind wieder hier.“
„Wieder hier? „Wer?“
Ich antwortete mit einem leicht ungeduldigen Unterton: „Denk doch mal nach. Der Inder, seine Männer und mit Sicherheit auch Chantal. Die ganze Bande eben. Peter und Rick müssen ihnen zufällig beim Einkauf begegnet sein. Sie dürften nicht den leisesten Hauch einer Chance gehabt haben. Zumindest Peter wird ihnen noch ein Begriff gewesen sein. Und damit hätten sie drei. Francis, Peter und Rick.“ Ich ballte die Fäuste. Wie so oft in letzter Zeit fühlte ich mich völlig hilflos. Pascal brach es fast das Herz, als er mein verzweifeltes Gesicht sah. Und ihm kam eine Idee. Zuerst mußte allerdings der weitere Ablauf geklärt werden. Dann war ein Gespräch mit Zomar nötig. Ein privates oder fast privates Gespräch.
Sie vereinbarten, dass die Jungen zurückgeholt werden sollten und eine weitere Nachricht, die ohne Zweifel noch kommen würde, abzuwarten war. Am Nachmittag kamen die Jeeps mit den Fightern aus Lymath zurück. Noch einmal berichteten sie, soweit sie es wußten. Von einer erneuten Nachricht allerdings wurde nichts bekannt.
Pascal setzte nun seine Idee in die Tat um. Er bat Zomar um ein Gespräch. Dieser hörte ihm interessiert zu und stimmt schließlich ein. Der Prinz rief verschiedene Leute zusammen und später fand noch eine weitere Versammlung statt. Alle Fighter waren auf dem Trainingsplatz zusammengerufen worden. Wir standen in Reih’ und Glied und obwohl jeder aufgeregt war, herrschte absolute Ruhe. Zomar, Costa, José und Tama stellten sich vor die versammelte Mannschaft. Niemand, außer Pascal, dessen Wunsch es war, wußte, worum es ging. Endlich fing der Prinz an zu sprechen: „Vorhin kam Pascal zu mir, der, wie ihr wißt, derzeit die Leitung der Fighter hat, soweit es Operationen betrifft. Ihr wißt auch, daß er die Leitung von Taris übernommen hat. Warum das so war, wißt ihr auch. Dabei wurde festgelegt, daß die Abgabe des Amtes nur vorübergehend sein sollte.“ Der Prinz machte eine kurze Pause und ich blickte mit immer größer werdenden Augen zu Pascal hinüber. Doch der grinste nur. Schließlich sprach Zomar weiter: „Nun sind Ereignisse eingetreten, bei denen Entscheidungssicherheit unabdingbar ist. Pascal wir euch nun sagen, weshalb er zu mir kam.“ Zomar winkte Pascal zu sich und dieser sprach zur Gruppe: „Da ich dieses Amt nur leihweise übernommen habe, finde ich es gerecht, wenn in der jetzigen Situation dieses Amt auf die Person zurückfällt, die es sich vorher redlich verdient gemacht hat. Aus Gründen, die sich Kameradschaftlichkeit, Einfühlungsvermögen und Teamgeist nennen. Ich will nicht sagen, daß ich diese Eigenschaften nicht besitze, immerhin habt ihr mich zum Stellvertreter bestimmt, aber ich glaube, daß Taris diese Dinge besser umsetzten kann. Und deshalb bin ich dafür, daß sie ihr Amt wiederbekommen soll.“
Beifall klang auf und zeigte schon im Voraus, daß die meisten damit einverstanden waren. Fassungslos blickte ich Pascal an, der mir aufmunternd zunickte. Der Prinz hob die Hand und schlagartig kehrte Ruhe ein.
„Es gibt noch zwei Dinge zu klären. Erstens: Wollt ihr Taris wieder als eure Leiterin sehen?“
Donnernder Applaus und Ja-Rufe waren Antwort genug. Das zwei Leute sich gar nicht rührten, fiel nicht auf.
„Und nun die zweite Entscheidung: Taris, nimmst du das Amt wieder an?“
Jeder schaute mich an und für einen Moment glaubte ich, kaum atmen zu können doch dieser Augenblick ging schnell vorbei. „Ja“, antwortete ich, aber es kam so leise, daß nur die Leute neben mir es verstanden. Ich holte tief Luft: „Ja, ich nehme das Amt wieder an“, antwortete ich diesmal laut und deutlich.
Jetzt gab für die Fighter kein Halten mehr. Sie klatschten, pfiffen und einige klopften mir auf die Schulter, während ich nach vorn zu Zomar ging. Pascal schüttelte mir die Hand, womit die Übergabe besiegelt war. In der ganzen Menge gab es nur zwei Gesichter, die nicht Begeisterung oder wenigstens Zustimmung ausdrückten. Das eine Gesicht gehörte Rico und das wunderte mich nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Wäre es nicht so gewesen, hätte es mich irritiert. Das andere Gesicht aber erschreckte mich doch und es gehörte José. Als ich zu Zomar ging, konnte ich es sehen. Verschiedene Gefühle spiegelten sich darauf wider. Widerwille, gegen diese Entscheidung, gegen die er nichts tun konnte. Er hatte mich schon einmal bei Zomar in Ungnade fallen lassen, obwohl es damals schon nicht leicht gewesen war. Diesmal würde er nichts gegen mich vorbringen können. Ärger und Wut, weil ich es mal wieder geschafft hatte, aus meinem Schatten hervorzutreten. Aber das, was mich am meisten erschreckte, war sein Haß. Haß war das stärkste Gefühl von allen, so abgrundtief und ganz auf mich gerichtet. Dieser Ausdruck verfolgte mich noch in meinen Träumen, obwohl ich es nur ein paar Sekunden sah. José hatte sich schnell wieder in seiner Gewalt, doch dieser kurze Augenblick zeigte mir mehr, als es seine Worte vermochten. Ich war so etwas wie sein erklärter Todfeind.
Aber ich schaffte es, meine Fassung zu bewahren. Die Freude überwog. Mit einem strahlenden Lächeln stellte ich mich vor die anderen Fighter und genoß für einen Augenblick den Rummel. Doch ich mußte noch etwas sagen und bat um Ruhe, was sofort gelang: „Ich freue mich, daß ihr euch so einstimmig für mich entschieden habt, gerade jetzt, wo es sowieso nicht so leicht für uns ist. Aber ich denke, es sollte sich einiges ändern. Zurzeit ist es nun mal so, daß sich der größte Teil der Aktivitäten gegen mich richtet. Für den Fall der Fälle fände ich es besser, schon jetzt einen Vertreter oder...“ ich zögerte kurz, „einen Nachfolger zu bestimmen.“
Ich hatte das Gefühl, daß sich das allgemeine Schweigen noch verstärkte. Erstaunt sahen mich alle an, meine engsten Freunde aber eindeutig erschrocken und entsetzt. In diesem Moment fühlte ich mich schrecklich, aber wir durften die Augen vor der Wahrheit nicht verschließen. Gerade jetzt nicht und vor allem nicht bei mir. Ich überließ den anderen die Wahl, denn im Notfall mußten sie mit ihm auskommen.
Die Versammlung wurde aufgelöst und alle gingen bedrückt davon. Allerdings hatte ich meine Freunde sehr aufgewühlt und eine Diskussion endete im lauten Streit, den wohl so ziemlich jeder Fighter mitbekam. Es begann damit, daß mich meine Freunde fragten, ob das wirklich von Nöten gewesen war. Ich nickte nur. Für mich war das eine klare Sache. Wir standen in der Vorhalle des Wohnhauses. Über das Treppenhaus konnte man überall unsere Worte hören. Sogar Zomar bekam alles mit.
Pascal, dem der Schrecken noch immer ins Gesicht geschrieben stand, fragte warum.
„Warum? Weil es die Wahrheit ist.“
„Die Wahrheit? Verdammt, willst du das nächste Mal Kamikaze spielen?“ Pascal wurde in seiner Erregung immer lauter. „Du hast die ganze Mannschaft in Aufruhr versetzt.“
Ich sah an den Gesichtern der Anderen, daß sie gleicher Meinung waren. Sie verstanden es nicht und das war es, was mich so wütend machte.
„Kamikaze? Was ist mit euch los? Wir haben einen gefährlichen Job und die Wahrheit ist nun mal, daß jederzeit einer von uns drauf gehen kann. Und im Moment bin ich nun mal sehr gefährdet. Es ist mein Kampf. Das soll nicht heißen, daß ich alles allein durchziehen will, aber der größte Teil liegt nun mal bei mir. Der Inder will mich und ihr wißt, ich werde gegen ihn antreten. Und niemand kann sagen, wie es diesmal laufen wird. Vergeßt ihr langsam, daß wir auch nur Menschen sind? Wir haben eine gute Ausbildung hinter uns, aber die schützt uns nicht vor Verletzungen oder Schlimmerem. Und es ist mein gutes Recht, Vorsorge zu treffen. Wir sind nicht unverwundbar und wer das noch nicht kapiert hat, sollte sich schleunigst damit beeilen.“ Mit einem Ruck drehte ich mich um und verschwand. Mit einem Knall fiel die Tür hinter mir zu.
Niemand sagte ein Wort und als der Gong zum Abendessen rief, war es ungewöhnlich ruhig im Speisesaal. Jeder dachte über meine Worte nach und so mancher mußte sich eingestehen, daß er sich darüber nie groß Gedanken gemacht hatte.
Ich selbst erschien nicht zu Tisch. Ich saß derweil bei Jusuf und schüttete ihm mein Herz aus. Er hörte mir zu und versorgte mich mit Tee. Anschließend kümmerten wir uns gemeinsam um die Pferde. Das heißt, eigentlich war ich nur bei Spirit. Ich hatte ihn in letzter Zeit vernachlässigt und es tat mir leid. Kurzerhand führte ich ihn aus dem Stall.
Jusuf rief mir zu: „Denk daran, nur auf dem Gelände. Allein darfst du nicht raus.“
Ich seufzte. Das hätte fast vergessen. Seit Francis geschnappt worden war, dürften wir noch in Gruppen das Anwesen verlassen. Das hieß aber, daß man, da das Gelände sehr groß war, nur noch in der Nähe der Wachen, also auf dem Trainingsplatz, dem Hof oder den Koppeln allein sein durfte. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mit Spirit über die nahen Wiesen und Felder zu jagen. Trotzdem genossen wir es beide und ich beruhigte mich etwas.



Als der harte Kern den Speisesaal verließ, wartete Costa schon auf sie. Zomar wollte mit ihnen reden und den Grund konnten sie nur erahnen. Sie wußten schließlich nicht, daß auch Zomar den Streit mitbekommen hatte. Der Prinz erwartete sie in seinen privaten Gemächern. Nachdem sie sich gesetzt hatten, herrschte Schweigen. Als Zomar merkte, daß niemand von den Fightern reden würde, ergriff er das Wort: „Ich weiß, was vorhin passiert ist, ich habe es persönlich gehört. Aber ich möchte es gern von euch hören.“
„Nun“, Pascal war es bei diesem Gespräch nicht wohl, „nach der Versammlung haben wir mit Taris über ihren Entschluß gesprochen. Wegen der Nachfolge.“
„Und?“
„Wir, oder die meisten, sind der Meinung, daß es unnötig war, alle dermaßen in Aufregung zu versetzen. Immerhin...“
„Immerhin was? Immerhin ist nie etwas passiert? Jetzt hört mir mal zu. Vorhin, beim Streit, habe ich jedes Wort gehört.“ Die verlegenen Blicke der Jungen ignorierte der Prinz. „Taris hat nicht unrecht, wenn sie sagt, diesmal könnte euer Auftrag anders ausgehen. Aber es geht nicht nur um diesen Auftrag. Es werden andere Aufgaben kommen und es kann immer etwas passieren. Ich habe euch eigentlich dazu ausgebildet, um die Vorarbeit zu leisten oder nicht ganz so gefährlichere Aufgaben zu übernehmen, doch ihr seid längst nicht mehr nur die Vorhut. Ihr seid hier sehr gut ausgebildet worden und der erste Auftrag war mehr als nur Informationen sammeln. Ihr seid zur Elite aufgestiegen, ob es mir nun gefällt oder nicht. Ihr könnt durchaus mehr tun, als ich es je wollte. Und doch bekomme auch ich immer mehr das Gefühl, daß einige von euch vergessen, wer sie sind und was sie sind. Ihr seid keine Superhelden, die unverwundbar sind. Taris hat vollkommen recht und ich denke, daß die Aktion heute einige von euch wachgerüttelt hat. Ihr solltest sie nicht verurteilen sondern unterstützen, denn sie weiß, dieser Auftrag ist gerade für sie sehr gefährlich.“ Mit diesen Worten entließ er sehr nachdenkliche Fighter.
Sie diskutierten noch eine Weile darüber und am Schluß mußten sie ihre Meinung ändern. Sie hatten von Anfang an nicht sehr gründlich darüber nachgedacht, nicht nachdenken wollen. Nun mußten sie sich noch bei mir entschuldigen. Aber das war nicht schwer, zumal ich mich wieder beruhigt hatte. Sie suchten mich im Zimmer auf, jedoch war ich nicht allein. Salya war vorbeigekommen und hatte mir etwas zu Essen mitgebracht. Mein Fehlen am Tisch war auch ihr aufgefallen. Und sie wußte über alles Bescheid. Daher hatten die Jungen auch keine Probleme, in ihrer Gegenwart frei zu sprechen. Mir fiel dabei ein Stein vom Herzen, denn eine gespaltene Gruppe konnte nicht funktionieren.
An diesem Tag und auch in der Nacht traf keine weitere Nachricht mehr ein. Das Warten zerrte an meinen Nerven. Am nächsten Tag wurde noch einmal eine Versammlung einberufen, an der ich allerdings nicht teilnahm. Ich verbrachte die Zeit lieber im Fitneßraum. Während der Versammlung wurde ein Nachfolger gewählt. Allerdings fiel die Wahl nicht, wie angenommen Pascal, sondern auf Simon. Das wurde damit begründet, daß, sollte mir wirklich etwas passieren, keiner wußte, wie Pascal damit fertig werden würde. Und man wollte kein Risiko eingehen. Pascal verstand das sehr gut, wußte er doch selbst nicht, wie er reagieren würde.
Und Simon? Der nahm die Wahl an, denn im Extremfall konnte er sicher sein, daß alle hinter ihm standen. Natürlich gehörte auch ein gesundes Maß an Verantwortung dazu. Nun, die würde er zu tragen wissen. Doch natürlich hoffte jeder, daß diese Nachfolge niemals in Kraft treten würde.



Stimmen, von weit weit her, drangen auf sie ein, ebenso der Schmerz. Doch war der Schmerz weitaus intensiver. Aber gerade das zwang sie, wieder zu sich zu kommen. Beinahe gleichzeitig wachten sie auf und ihnen bot sich ein seltsamer Anblick. Der Raum, in dem sie sich befanden, war klein und stickig. Nur ein kleines vergittertes Fenster ließ spärliches Licht herein. Viel mehr gab es nicht zu sehen. Zwei Pritschen standen im Raum, zu mehr war kaum Platz. Den brauchten sie allerdings auch nicht, denn sie waren verschnürt wie zwei Pakete.
Peter schaute zu Rick hinüber und der zurück. „Geht’s?“
Rick nickte: „So einigermaßen. Mein Schädel brummt ganz schön. Ich schätze, wir liegen hier schon eine ganze Weile.“
„Wie kommst du darauf?“
Rick versuchte sich in eine bequemere Lage zu drehen, erreichte aber nur, daß die Fesseln tiefer ins Fleisch schnitten. Also gab er es wieder auf. „Nun, wie es aussieht, geht die Sonne bald unter. Soweit es sich durch dieses sogenannte Fenster beurteilen läßt. Außerdem klebt meine Zunge schon fast am Gaumen fest. Das bedeutet einigen Flüssigkeitsverlust. Und daraus schließe ich, daß die Typen wahrscheinlich noch mit einem Betäubungsmittel nachgeholfen haben.“
Sie versanken wieder in Schweigen. Sie hatten nichts zu erzählen und es sparte Kraft. Doch nach einer Weile meldete sich Rick wieder zu Wort: „Was glaubst du? Ist Francis auch hier irgendwo?“
Peter überlegte nicht lange: „Ich denke schon. Und ich glaube auch, daß sie uns bald zu ihr bringen werden. Damit wir uns sozusagen in unserem Elend und unserer Hilflosigkeit gegenseitig beschauen können.“
Und Peter behielt recht, wenn auch nur zum Teil. Erst als die Sonne schon lange untergegangen war, wurde ein Schlüssel ins Schloß gesteckt. Die Jungen blinzelten aufgrund plötzlicher Helligkeit als die Tür aufging. Der Gang draußen war hell erleuchtet. Ein Mann kam herein und löste ihre Fußfesseln.
„Los, mitkommen.“ Er zerrte Peter und Rick in die Höhe, doch nach der langen Zeit der Bewegungslosigkeit und der Fesseln gaben ihre Beine nach und hilflos hingen sie in den Armen des Mannes. Der ließ sie mit einem verächtlichen Schnauben wieder auf die Pritschen fallen. Peter verzog das Gesicht. Seine Hände waren mittlerweile fast taub, doch der Aufprall ließ ihn die Einschnitte schmerzlich spüren.
Nach einiger Zeit kribbelte es in seinen Beinen und er wagte es aufzustehen. Es klappte, er blieb stehen. Auch Rick versuchte sein Glück, er stand. Nun wurden sie hinausgeführt. Auf dem Gang standen noch zwei weitere Männer mit Waffen. Hier war jemand ganz vorsichtig geworden. Peter glaubte, einen von ihnen zu erkennen, war sich aber nicht sicher.
Der Gang führte zu einer Treppe, die zu einer weiteren Etage hinaufführte. Weitere Türen gab es auf ihrer Etage nicht. Merkwürdige Bauweise, wunderte sich Rick. Nach der Treppe folgte noch ein Gang, am Ende erneut eine Tür. Grob stießen die Männer sie hindurch. Der Raum dahinter war wesentlich größer und ebenfalls hell erleuchtet. Hier wurden sie auf zwei Stühle plaziert. Niemand sprach ein Wort. Als Peter gerade fragen wollte, warum man sie überhaupt hierher gebracht hatte, ging die Tür erneut auf.
„Peter!“
Die Jungen drehten sich um. Francis wurde hereingebracht und sie sah bei dem Anblick der Jungen wirklich erschüttert aus. Sie war ebenfalls an den Händen gefesselt und wurde daran gehindert, zu den Jungen zu gehen. Peters Augen wurden schmal als er sah, wer hinter Francis den Raum betrat.
Der Inder und Chantal.
Rick hatte nur einmal kurz den Inder gesehen, Chantal kannte er gar nicht. Was nicht hieß, daß er ruhiger als Francis und Peter war.
„So sieht man sich wieder.“ Chantal lächelte wie immer, als ob nichts geschehen wäre. Francis kannte es schon, Peter dagegen trieb es fast zur Weißglut. Sagen tat er allerdings nichts, aber man sah es seinem Gesicht deutlich an. Das reizte Chantal erst recht und sie tat erstaunt: „Freut es dich nicht, mich zu sehen?“ Sie lachte schallend. „Bringt sie weg. Sie haben sich gewiß eine Menge zu erzählen.“
Zu dritt wurden sie in einen winzigen Raum gesperrt. Vorher nahm man ihnen jedoch die Fesseln ab. Stirnrunzelnd schaute Peter auf seine Hände. Rotblaue Striemen überzogen seine Handgelenke, winzige Blutstropfen quollen aus der aufgeschürften Haut. Bei Rick war es ebenso, einzig Francis hatte Glück gehabt. Mit einem Seufzen ließ sie sich auf den Boden sinken. „Seit wann seid ihr hier?“
Die Jungen setzten sich ebenfalls und Peter übernahm das Reden: „Gestern Abend haben sie uns geschnappt. Jedenfalls glaube ich, daß es gestern war.“
Gegenseitig berichteten sie von ihrer Gefangennahme.
„Und, was ist im Quartier los? Wie geht es Taris und - Theo?“
Peter überging ihr Zögern geflissentlich. „Als wir sie das letzte Mal sahen, den Umständen entsprechend. Besonders Theo war betroffen. Und Taris natürlich auch.“
„Sie gibt sich mal wieder die Schuld an allem, nicht war? Weil der Inder es auf sie abgesehen hat.“
Peter nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf: „Einerseits schon, wir wissen ja, wie sie ist. Doch ich glaube, sie begreift auch, daß sie es nicht anders hätte machen können. An ihrer Stelle hätte auch jemand anders stehen können, geändert hätte es nichts. Der Inder hat sich nun mal jemanden von uns herausgesucht.“ Peter sagte genau das, was er dachte. Er brauchte die Situation nicht zu verschönern, um Francis nicht zu beunruhigen. Sie kannte mich zu genau und wußte daher auch, was Peter noch nicht ausgesprochen hatte. Nämlich, daß ich auf jeden Fall noch in die Stadt kommen würde. Sie wußten natürlich nicht, was sich in der Zwischenzeit am Hof abgespielt hatte. Daß ich meine Position wiedererhalten hatte, meine Rede, mein Entschluß, der Streit und die anschließende Versöhnung.
„Was glaubt ihr, wie es weitergeht?“
„Nun, im Palast wird man schon wissen, was passiert ist. Unsere Leute werden über Funk Bescheid gegeben haben und ich denke auch, daß man sie zurückgeholt hat. Und man wird abwarten, was die Gegenseite macht.“
„Peter, du lernst immer schneller und ich schließe mich deiner Meinung an. Sie werden jetzt erst recht nicht durch die Stadt stürmen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig als zu warten.“ Niemand von den dreien ahnte, daß jedes Wort mitgehört wurde. Der Inder lächelte still und unergründlich.



Ich wurde noch im Fitneßraum mit der Nachricht von Simons Nachfolge überrascht. Ich gratulierte ihm, blieb aber nicht ernst.
„Schaut ihr auch mal wieder herein?“ Probehalter drückte ich Pascals Arm. „Wird mal wieder Zeit, was?“ Ich grinste.
Aber wie immer, ließ sich Pascal das nicht ohne Weiteres gefallen, genauso wenig wie die anderen.
„Jungs, wollen wir ihr mal zeigen, wie schwach wir sind?“
Theo und Simon grinsten, ein sicheres Zeichen für mich, den Rückzug anzutreten. Weit kam ich nicht.
Pascal packte mich und hob mich hoch: „Du willst das Angebot doch nicht etwa ausschlagen?“
Ich zappelte, kam aber nicht frei. Mit Schwung ließ er mich auf die große Weichbodenmatte plumpsen. Aber auch jetzt war keine Flucht möglich, denn schnell war Pascal bei mir und hielt mich an den Armen fest. Theo und Simon knieten sich ebenfalls nieder und zu dritt kitzelten sie mich ab. Ich konnte kaum etwas tun.
„Jungs, das ist unfair. Bitte.“ Gleichzeitig mußte ich lachen, was sich im Endeffekt eher wie ein Quieken anhörte. Mir wurde langsam die Luft knapp und die Jungen hatten ihren Spaß. Doch plötzlich wurde der Spieß umgedreht. Jemand packte Simon und zog ihn von mir weg. Pascal und Theo waren für einen Moment so überrascht, daß sich ihre Umklammerung lockerte. Ich sprengte ihren Griff und setzte mich auf. Ich war ebenso erstaunt wie die Jungs.
„Salya.“
Sie grinste: „Dein rettender Engel.“ Sie hielt mir die Hand hin, um mir beim Aufstehen zu helfen, wurde aber von Simon umgerissen. Mit einem Aufschrei landete sie neben mir auf der Matte und weiter ging das Gerangel. Natürlich wurde dabei auch gelacht und das nicht zu leise. So konnte man uns auch draußen auf dem Gang hören und plötzlich fragte eine herrische Stimme, was denn hier los sei. Ich hatte es gerade geschafft aufzustehen und fuhr herum. Mein Gesicht verschloß sich sofort, denn niemand anders als José stand in der Tür. Als er Salya erblickte, wurden seine Augen schmal.
„Ich glaube, darüber sollte ich Meldung machen.“ Er winkte Salya nach draußen. Diese machte ein erschrockenes Gesicht, setzte sich aber in Bewegung.
Ich hielt sie zurück. Obwohl ich wußte, daß es denkbar schlecht für mich war, machte ich den Mund auf: „Ich wüßte nicht, daß es verboten ist, daß Salya hier bei uns ist und ihren Spaß hat.“ Meine Stimme klang eiskalt.
Salya, die nicht so viel über unseren Kleinkrieg wußte, sah mich völlig erschrocken an, die Jungen eher interessiert. Sie ahnten, daß es einen erneuten Vorfall gegeben haben muß. Doch diesmal hatte sich José wunderbar unter Kontrolle.
„Es ist wirklich nicht verboten, daß Salya oder Andere sich mit euch treffen, doch sollte beachtet werden, wer dabei anwesend ist und was ihr macht.“
„Würdest du bitte etwas genauer werden?“ Meine Stimme klang ungeduldig und das freute José. Er schaffte es wieder, mich aus der Reserve zu locken.
„Nun, Situationen wie diese gerade sind bei euch wahrscheinlich normal. Bei uns jedoch wird es nicht gern gesehen, wenn Mädchen und Jungen solche Spielchen spielen. Dabei kann leicht mehr passieren und...“
Ich sah so aus, als würde ich gleich platzen vor Wut, doch bevor ich etwas sagen konnte, ging Pascal dazwischen. Und, wie es seine Art entsprach, sehr sachlich.
„Ich glaube nicht, daß es sich hier um eine verfängliche Situation gehandelt hat, aber wenn du es für nötig hältst, gehe zu Zomar und melde es ihm. Wir sind jederzeit bereit, uns zu verteidigen.“
Ich staunte über Pascals Gelassenheit. Das war etwas, was mir meistens fehlte. José jedenfalls sagte kein Wort mehr und verschwand. Zomar erfuhr natürlich nichts von diesem Gespräch.
Erleichtert, daß José wieder gegangen war, wollte ich unter die Dusche, spürte aber plötzlich, daß ich angestarrt wurde. Ich drehte mich um. Salya schaute mich noch immer etwas erschrocken, Theo und Simon fragend und Pascal sogar etwas strafend an. Ich fühlte mich sofort unwohl.
„Ist was?“ fragte ich, innerlich immer kleiner werdend.
„Sag du es uns.“
Ich zuckte mit den Schultern: „Ich würde es gern, aber ich kann nicht.“
„Taris.“ Pascals Stimme klang eindeutig vorwurfsvoll. „Du weißt doch hoffentlich noch, wohin es dich gebracht hat, als du deine Probleme für dich behalten hast.“
„Ja natürlich. Aber wie soll ich euch etwas erzählen, was ich selbst nicht weiß?“
„Aber es muß doch etwas passiert sein. Das sieht man euch an.“
„Es ist etwas aber was? Ich verstehe es selbst nicht.“
„Sag uns, was du weißt und wir versuchen dann gemeinsam, eine Lösung zu finden.“
„Schon gut, in Ordnung, ihr laßt ja doch nicht locker. Aber erst will ich duschen. Schließlich habe ich als einzige ehrlich im Fitneßstudio gearbeitet, “ stichelte ich.
Bevor Pascal mich wieder kitzeln konnte, war ich verschwunden. Eine halbe Stunde später trafen wir uns im Zimmer wieder. Pascal kam ein paar Minuten vor den anderen. Mir war das ganz recht, denn wir waren viel zu wenig allein.
„Taris, was meinst du? Sollen wir die Tür einfach abschließen?“
Ich grinste. „Wäre keine schlechte Idee, doch leider, leider...“ Ich ließ den Satz offen aber Pascal wußte auch so, was ich meinte. Er seufzte und nahm mich in den Arm. Ich bekam eine Gänsehaut. Selten genug hatten wir Zeit zum Kuscheln und ich lehnte mich dankbar gegen ihn. Plötzlich ließ er sich aufs Bett fallen und zog mich mit. Die Minuten, die uns blieben, vergingen wie im Flug. Als es an der Tür klopfte, setzte ich mich erschrocken auf und ging zur Tür. Auf dem Weg dorthin versuchte ich, meine Kleidung wieder in Ordnung zu bringen. Als ich die Tür öffnete, standen die anderen vor mir. Simon sah mich nur kurz an und grinste verstehend. Ich wurde rot.
„Kommt rein.“
Pascal saß auf der Bettkante und sah ganz unschuldig aus. Wie machte er das nur?
Die Jungen hatten auch gleich Tan und Lee mitgebracht. Nico war mal wieder nicht auffindbar.
„Macht es euch bequem.“ Mein Blick streifte Francis Bett und ich drehte mich schnell weg. Ich vermißte sie immer mehr.
Theo setzte sich auf Francis Bett, Simon ging zu Pascal und Tan und Lee machten sich auf dem Fußboden breit. Die beiden verstanden sich auch immer besser. Ich wählte wie immer meinen Lieblingsplatz, das Fensterbrett. Eine Weile war es still im Raum. Ich überlegte, wie ich anfangen sollte. Die anderen drängten mich nicht. Was sollte ich erzählen, wann hatte alles angefangen?
„Wohl am Anfang.“
Irritiert schaute ich auf, ehe mir klar wurde, daß ich meinen letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte.
Ich überlegte kurz und nickte dann. Ich würde meinen Freunden alles erzählen, was ich wußte und vermutete: „Ich habe langsam den Verdacht, daß es besser gewesen wäre, José aus dem Verkehr zu ziehen und nicht Don. Ich werde das Gefühl nicht los, daß José seit dem Zeitpunkt angefangen hatte, mich nicht zu mögen, seit er das erste mal gesehen hat, was ich kann. Also seit dem Moment, als ich Don zu Fall brachte.“ Ich machte eine kurze Pause, um meine Gedanken in Worte zu kleiden.
Ich erzählte alles und es dauerte lange. Ich fing an mit den kleinen Reibereien, als er sich mir gegenüber als Wachoberhaupt aufgespielt hatte, ging weiter über den Tag, an dem ich den Posten von Rico übernahm, was seine Ablehnung mir gegenüber nur noch schürte. Schließlich der Tag, an dem ich den Posten wieder hatte abgeben müssen, was einzig und allein Josés Verdienst gewesen war. Dann später, die Amtsrückgabe. Wieder sah ich das hassverzerrte Gesicht von José vor mir und mir lief ein Schauer über den Rücken. Auch den Vorfall in der Küche, als ich Nachtwache hatte, ließ ich nicht aus. Nach einer Stunde kehrte Ruhe ein, ich war fertig. Weiterhin saß ich auf dem Fensterbrett und starrte hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Ich war irgendwie erleichtert, fühlte mich aber dennoch wie ausgebrannt.
„Und, willst du mit Zomar über deinen Verdacht sprechen?“
„Nein, ich glaube nicht, daß das eine gute Idee ist.“
„Wieso nicht?“ fragte Simon.
Während des Berichts hatte ich meine Freunde nicht angeschaut, sondern aus dem Fenster gestarrt. Jetzt drehte ich mich um und man konnte an meinem Gesicht sehen, daß ich sehr aufgewühlt war.
„Zomar vertraut José schon jahrelang. Was glaubst du, was passiert, wenn ich mit meinen Verdächtigungen zu ihm komme? Wird er gegen José genauso vorgehen, wie gegen Don? Oh nein, “ ich wurde lauter, was zeigte, wie erregt ich war. „Der Prinz wird ihn fragen, was er davon hält und José wird es herunterspielen. Es wäre nichts dergleichen, nur ein paar Mißverständnisse zwischen uns.“
„Aber wir haben doch auch einiges mitbekommen.“
„Was habt ihr schon gesehen?“ fragte ich bitter. „Daß er mir einen Vortrag gehalten hat, wegen eines Regelverstoßes und damit auch leider im Recht lag oder der Vorfall im Trainingsraum? Nein, damit komme ich nicht weit. Für das, was wirklich wichtig ist, gibt es keine Zeugen. José ist schließlich nicht dumm.
„Aber Zomar weiß doch, daß er uns vertrauen kann.“
„Sicher. Aber Zomar kann sein Vertrauen Josés gegenüber nicht ohne weiters über Bord werfen. Nein, “ ich schüttelte traurig den Kopf, „es gibt nichts, was ich jetzt machen könnte. Sein Wort stände gegen das meine. Ich brauche stichhaltigere Beweise.“
Niemand sagte ein Wort und bald darauf verabschiedeten sie sich. Auch Pascal ging auf meinen Wunsch hin. Sie akzeptierten meine Entscheidung. Etwas anderes blieb ihnen auch nicht übrig. Sie konnten mich schließlich nicht dazu zwingen und letztendlich mußten sie mir auch zustimmen. Ich konnte nicht zum Prinzen gehen. Nicht jetzt.
Ich legte mich aufs Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Meine Gedanken glitten in die Vergangenheit, als ich noch ein wohlbehütetes Kind war und nichts von den Problemen der komplizierten Welt dort draußen wußte. Und sie wanderten weiter zu den Tagen, als sich meine Welt langsam zu verändern begann. Tama trat in mein Leben. Unwillkürlich mußte ich lächeln, als ich daran dachte, wie tolpatschig ich am Anfang war und wie stur ich später wurde. Das hatte sich bis heute nicht geändert. Ich hatte noch immer einen Dickschädel.
Ein Klopfen an der Tür ließ mich zusammenzucken. Ich mußte wohl doch eingeschlafen sein, denn ich fand mich im ersten Moment kaum zurecht. Es klopfte abermals.
„Ja doch, ich bin nicht so schnell“, brummelte ich und schlich zur Tür.
Tama stand draußen, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Ich war etwas erstaunt, ihn hier zu sehen.
„Darf ich hereinkommen?“ Ich trat beiseite und ließ ihn ein.
„Setzt dich und erzähl. Was gibt es Wichtiges?“
„Nun, ich habe dich in letzter Zeit beobachtet.“
„Und, was hast du festgestellt?“ Irgendwie beunruhigte mich Tamas Besuch plötzlich. Wußte er etwa doch von dem Gespräch vorhin? Ich konnte es mir kaum vorstellen.
Tama lächelte wieder: „Nun mach nicht so ein Gesicht. Es ist nicht so schlimm.“
Ich verzog das Gesicht. Ich mochte es nicht, wenn Tama so sprach. Es bedeutete nie etwas Gutes für mich.
„Du hast dein Temperament und deine aufbrausende Art von damals bis heute nicht abgelegt. Es ist zwar keine Katastrophe, aber wir können es trotzdem ändern. Für deine Position solltest du etwas ruhiger werden.“ Er machte eine Pause und ich überlegte, was er von mir wollte. „Ich habe dich die Kampfkunst gelehrt und noch einiges mehr. Eins allerdings wollte mir nicht gelingen. Und ich denke, es ist an der Zeit, noch einmal zu beginnen.“
In meinem Kopf schrillten hundert Sirenen.
„Ich werde dir die Kunst der japanischen Ruhe beibringen.“
„Japanische Ruhe?“
„Meditation, um genau zu sein.“
„Oh Tama.“ Ich verdrehte die Augen. Er hatte schon Recht gehabt. Damals hatte er es auch versucht, doch er hatte es nie geschafft. Ich wollte es einfach nicht lernen.
„Jetzt aber“, sprach Tama weiter, als hätte er meine Gedanken gelesen, „jetzt bist du alt genug und solltest eigentlich die nötige Disziplin dafür haben. Wir sollten nach dem Abendessen damit anfangen.“ Mit diesen Worten stand er auf und ging. Mit einer Mischung aus Nachdenklichkeit und Wut starrte ich die geschlossene Tür an. Doch was Tama sagte, wurde letztendlich auch gemacht. Und da ich nun wirklich älter war, klappte es auch ganz gut. Viel Zeit blieb uns allerdings nicht mehr, denn die nächste Nachricht traf ein. Und wieder war es Joschi, der sie brachte. Seine Antwort auf meine Frage, warum er schon wieder kam, machte mich allerdings wütend. Entweder, er stelle sich als Bote zur Verfügung, oder seiner Familie ging es schlecht.
„Jetzt machen sie nicht mal vor kleinen Jungen halt“, knurrte ich.
Doch Joschi lachte nur: „Ich komme doch sowieso gern vorbei. Und da ihr auf diese Nachrichten angewiesen seid, ist es doch egal, ob ich auf meinen Weg noch etwas mitnehme.“
Jeder wunderte sich über seine ruhige Auffassung, doch ich war froh, daß er sich nicht entscheiden mußte. Die Nachricht machte meine eben gewonnene gute Laune jedoch schnell zunichte:

Jetzt ist es wohl ein offenes Geheimnis, wer wir sind und wo wir stecken.
Doch wenn du uns fangen willst,

allein auf dem Papier klang es schon höhnisch,

mußt du bessere Leute schicken, als diese Stümper. Vielleicht kommst du auch mal selbst? Dann kann man euch auch mal etwas ernster nehmen.
Doch nun zur Sache.
Es gibt nicht mehr viel zu sagen, es ist so ziemlich alles klar.
Ich unterhalte mich nett mit deinen Freunden, manchmal höre ich nur zu, erfahre ich doch vieles von ihnen.
So soll ich mich vor dir in acht nehmen. Wirklich niedlich.
Ich freue mich schon auf unser Wiedersehen!

Meine Hand zitterte und ich war schneeweiß vor Zorn, doch ich beherrschte mich. Das hatte ich Tama zu verdanken, denn durch seine Meditation konnte ich meine Gefühlsausbrüche einigermaßen unter Kontrolle halten. Die anderen staunten darüber nicht schlecht.
Langsam faltete ich den Zettel zusammen. Wie konnte sich der Inder nur anmaßen, meine Truppe so zu verspotten. Zum erstenmal dachte ich so, wie es war. Meine Truppe. Und ich war für jeden einzelnen von ihnen verantwortlich. Und jetzt reichte es mir.
In Anwesenheit aller stellte ich die Gruppen zusammen, die in die Stadt gehen sollten. Doch jetzt nahm ich nur die Fighter, die schon beim erstenmal dabeigewesen waren. Der harte Kern, Franko und einige seiner alten Gruppe. Rico stellte ich mit gutem Gewissen nicht auf, ahnte ich doch nicht, was ich damit auslöste. Aber Rico hatte mein Vertrauen verloren und es würde sehr schwer für ihn sein, es wiederzugewinnen.
Ich wollte die einzelnen Gruppen nacheinander nach Lymath schicken und erst später nachkommen. Ich hoffte, daß sie niemanden in die Falle gingen, denn ich ahnte, daß die meisten Wege überwacht wurden. Ich blieb derweil aber nicht untätig. Es war ein gutes Stück bis nach Lymath aber nicht unerreichbar. Auch nicht für ein Pferd.
Die nächsten Tage waren mit Training, Training und nochmals Training erfüllt. Im Trainingsraum, bei der Meditation und auf dem Reitgelände. Tama feilte meine Technik, was die Kampfkunst anging, noch weiter aus und ließ mich anschließend bei der Meditation entspannen. Später absolvierte ich mit Spirit immer ein Ausdauertraining. Ich hatte mir einen Plan zurechtgelegt, den ich aber nur Zomar mitteilte. Ich wußte nicht, wem ich noch blind vertrauen konnte. José jedenfalls nicht. Und ich bat Zomar auch, niemandem etwas zu erzählen. Er erklärte sich dazu bereit, wunderte sich aber natürlich, denn einen Grund gab ich nicht an.
Die Tage vergingen wie im Flug, denn es gab kaum einen Augenblick, in dem ich tatenlos herumsaß. Mit den Spähern, wie sie genannt wurden, hielten wir jetzt ständigen Kontakt, denn noch eine Panne konnten wir uns nicht leisten. Und tatsächlich, nach knapp einer Woche hatten sie herausgefunden, wo sich der Inder und seine Leute aufhielten. Nun wurde die letzte Truppe, in der sich Simon und Lee befanden, losgeschickt. Ich versprach, kurz vor dem Morgengrauen in Lymath anzukommen und wir machten einen Treffpunkt aus. Ich wollte dem Inder keine Gelegenheit geben, mich noch auf dem Weg dorthin abzufangen, denn das traute ich ihm durchaus zu.
Daher hatte ich mir einen etwas ungewöhnlicheren Weg ausgesucht, um in die Stadt zu kommen. Ich wollte mit Spirit in der Nacht dorthin reiten. Er würde den Weg auch allein zurückfinden und auf halben Weg würden ihm Zomars Leute entgegenkommen. Allerdings mußte mir der Prinz versprechen, daß er seinen Leuten erst im Morgengrauen Bescheid geben würde. Dann war ich schon am Ziel.
Tama gab mir noch ein paar Anweisungen und dann ging es los.


7.


Schnell hatten wir das Gelände verlassen, was mich irgendwie an unsere Flucht erinnerte. Ich ritt ohne Sattel. Das war besser für Spirit, wenn er allein zurückkehrte. Nur seine Hufschläge hallten durch die Nacht, ansonsten war alles ruhig. Ich ritt allerdings nicht zu scharf. Wir hatten Zeit und Spirit mußte schließlich noch zurück. Ich gönnte uns Pausen und kam ohne Probleme pünktlich in der Stadt an. Ich stieg ab.
„So Spirit, hier trennen sich unsere Wege. Los, lauf zurück. Lauf zu Zomar.“ Ich gab ihm einen leichten Klaps und kurz darauf war Spirit im Wald verschwunden.
Ich selbst peilte erst einmal die Lage. Es war nicht mehr weit bis zum vereinbarten Treffpunkt. Dort angekommen, verbarg ich mich. Es war eine Gegend, in der nur selten Menschen kamen, vor allem um diese Zeit. Doch ich mußte nicht lange warten. Ich sah ein paar Gestalten heranschleichen und ein Lichtsignal. Es blitzte erst dreimal, zweimal und dann einmal auf. Das hatten wir verabredet und ich gab mein Zeichen zurück. Kurz darauf standen Simon, Lee und Pascal vor mir.
„Gibt es was Neues?“
Die Jungen schüttelten nur den Kopf und führten mich dann zu ihrem Schlupfwinkel. Es handelte sich wieder um ein Abrißhaus und erinnerte mich an das Haus, in dem ich unsere Informanten getroffen hatte. Auch die Gegend sah so aus.
„Vorsicht, duck dich.“
Im letzten Moment sah ich den Balken, der aus der Decke herausgebrochen war und in den Flur hing und wich ihm aus.
„Ist hier noch etwas, vorauf ich achten sollte. Falltüren vielleicht?“ Ich grinste.
Pascal konnte es im Dunkel nichts sehen, doch er spürte es. „Du brauchst gar nicht so zu grinsten, “ erwiderte er todernst, „es ist alles vorbereitet.“
Jetzt mußte ich wirklich lachen und nahm seine Hand. Es war schön, wieder bei ihm zu sein.
Vorsichtig kletterten wir die brüchigen Stufen hinunter und standen plötzlich in einem geräumigen Kellergewölbe. Sofort fiel mir auf, daß einige Fighter fehlten. Ich stellte eine dementsprechende Frage. Simon klärte mich auf.
„Sie sind immer noch beim Versteck des Inders. Nicht, daß er uns im letzten Augenblick entkommt.“
Langsam drehte ich mich noch einmal im Kreis und blickte dann wieder zu Simon: „Was glaubst du? Will er denn entkommen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging ich zu Pascal hinüber.
Simon kam etwas betroffen hinterher. Er hatte schon verstanden, was ich meinte, wollte aber noch etwas wissen: „Meinst du, er weiß, was um ihn herum geschieht?“
Ich setzte mich und blickte nachdenklich in die Runde: „Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach. Ich finde, es war bisher ziemlich leicht. Die Nachrichten, die ziemlich eindeutig waren, das Hierherkommen. Ich war immer der Meinung, der Inder versucht uns schon vor der Stadt aufzuhalten. Aber es ist nichts geschehen. Im Übrigen stand in der Nachricht, daß ich kommen soll. Aber er muß doch wissen, daß ich das nicht allein durchziehe. Was also hat er vor? Er weiß wahrscheinlich nicht, wo wir sind, aber er wollte wohl, daß wir seinen Unterschlupf finden. Will er sich doch an alle rächen oder was? Ich glaube, daß alles war genau so von ihm geplant und daher wird er ziemlich gut wissen, was um ihn herum geschieht.“
In der Zwischenzeit war der Inder nicht untätig geblieben. Wie ich vorausgesagt hatte, war er nicht blind und hatte natürlich bemerkt, was um ihn herum passierte. Oft sah er Gestalten in der Gegend herumschleichen und es war ihm recht so. Es mißfiel ihm schon lange, wie wir uns seiner Meinung nach aufspielten. Er war der Meinung, daß wir einen Dämpfer brauchten. Diesbezüglich hatte er auch schon einen Plan. Hier ging es nicht mehr unbedingt um das geplatzte Geschäft, daß konnte er auch noch woanders abwickeln, vielleicht sogar besser. Nein, hier ging es um viel mehr. Es ging um seine Ehre. Aber das würde Chantal nie verstehen. Außerdem brauchte er auch seine Leute nicht mehr als nötig nach draußen zu schicken. Es war ein Täuschungsmanöver und er wußte noch mehr als ich dachte. Er wußte, daß wir da waren, wo wir waren und wer alles. Einzig ich bereitete ihm einige Kopfschmerzen, denn er hatte nicht erfahren können, auf welche Weise ich in die Stadt kommen würde. Das machte ihn erneut wütend. Doch schon bald würden neue Informationen eintreffen. Er machte sich an die Arbeit.
„Das wird eine lange Nacht.“
Ich verzog das Gesicht. Gerade hatte ich mir von den anderen die genaue Lage erklären lassen. Lee zeigte mir ein Foto vom Unterschlupf des Inders. Diesem Foto und den Berichten zufolge, mußte das ein altes Gefängnis oder ähnliches sein.
Lee seufzte: „Es muß da ungefähr wie in einem Labyrinth aussehen, nur schlimmer. Es dürfte schwer sein, den Inder und unsere Freunde dort zu finden. Es gibt einfach zu viele Räume und Gänge dort.“
„Ich schätze, dieses Problem löst sich von allein. Der Inder findet uns einfach zuerst.“ Doch ich sprach so leise, daß es nur meine Freunde verstanden.
Um die Fighter nicht noch nervöser und aufgeregter werden zu lassen, entschied ich mich dafür, die Aktion in der nächsten Nacht zu starten. Vorher mußte jeder noch einmal seine Waffe gründlich überprüfen, denn ich war mir sicher, diesmal würden wir sie brauchen. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, doch ich bildete keine Ausnahme.
Die Zeit bis zur Nacht schien sich endlos auszudehnen. Nur selten wurde die Stille unterbrochen. Einmal passierte es, als das Funkgerät losquäkte. Ich erhielt gute Nachrichten. Spirit war wohlbehalten in den Stall zurückgekehrt und genoß eine Extraportion Heu. Ein anderes Mal wurde das Warten durch die Ablösung der jetzt noch draußen befindlichen Fighter unterbrochen. Lee kam zu mir herüber. Ich hatte es mir auf umgedrehten Obstkisten so bequem wie möglich gemacht. Lee setzte sich zu mir: „Was passiert eigentlich, wenn wir mit dem Inder nicht allein fertig werden?“ Er sprach leise, denn trotz der Aufregung gab es ein paar Fighter, die schliefen.
Ebenso leise antwortete ich: „Seit wir das erste mal hier waren, haben wir die Polizei auf unserer Seite. Sollte es wirklich notwendig sein, werden wir sie rufen. Ich brauche dazu zwei Fighter.“
„Wieso zwei?“
„Ich habe keine Ahnung, inwieweit dem Inder unsere Pläne bekannt sind. Er wird wohl auch seine Leute hinausschicken. Wenn einer der Fighter erwischt wird, kann der andere immer noch Hilfe holen.“ Meine Uhr am Handgelenk piepste. „Es wird langsam Zeit.“
Wir standen auf und weckten die letzten Fighter. Gruppen wurden gebildet, Waffen eingesteckt, Uhren verglichen. Jeder hatte wieder seinen schwarzen Anzug an. Ich teilte zwei Fighter zur Wache ein und gab letzte Anweisungen.
„Wir treffen uns in exakt einer halben Stunde bei dem Gebäude auf der Westseite. Bis dahin bleibt das Funkgerät auf ständigem Empfang. Passiert etwas auf dem Weg dorthin, wissen es die anderen sofort. Im Gebäude wird es nur im Notfall oder zur Orientierung benutzt, daß heißt, wenn man aus irgendwelchen Gründen wissen muß, wo sich die anderen aufhalten. Vorerst keine Einzelaktionen, das ist zu gefährlich. Ihr geht immer zu zweit. Es gilt in erster Linie, unsere Freunde zu finden. Alles klar?“
Alle nickten.
„Dann los.“
Wir schwärmten aus. Noch bildeten wir größere Gruppen und schon vorher hatten wir die Routen ausgewählt, auf denen jeder innerhalb einer halben Stunde ankommen mußte. Ich traf mit meiner Gruppe nach zwanzig Minuten ein, zeitgleich mit der Gruppe von Simon. Nach und nach trafen auch die von Theo, Pascal und Lee ein. Als die halbe Stunde vorüber war, fehlte von Tans Gruppe noch immer jede Spur. Da meldete er sich auch schon über Funk: „Späher vier an Späher eins.“
Ich nahm das Funkgerät zur Hand: „Hier Späher eins. Was ist los bei euch?“
„Wir mußten leider einen kleinen Umweg machen. Sind in etwas zehn Minuten bei euch. Näheres später. Ende.“
„Verstanden. Ende.“ Ich drehte mich zu den anderen um. „Hat einer von euch eine Ahnung, was da los ist?“
Theo hatte: „Tans Gruppe geht doch durch das Nobelviertel. Wahrscheinlich feiert einer von denen eine Riesenparty und sie können nicht vorbei, ohne aufzufallen.“
„Gute Idee, aber eine Viertelstunde?“
„Die Anwesen sind riesig und es gibt eine Menge Leibwächter.“
Ich zuckte mit den Schultern: „Gleich werden wir den Grund wissen.“
Aber so gleichgültig ich mich auch gab, meine Augen verrieten mich. Pascal konnte in ihnen lesen, wie in einem offenen Buch. Beruhigend nahm er meine Hand und ich dankte es ihm im Stillen.
Plötzlich raschelte es leise hinter uns in der Dunkelheit und die Reaktion der Fighter zeigte mir sehr deutlich, daß ich mich auf sie verlassen konnte, denn nicht alle drehten sich in diese Richtung. Auch zur anderen Seite hin wurde gesichert. Zum Glück war es nur Tan mit seiner Gruppe. Und Lee behielt recht. Es war tatsächlich eine Gartenparty gewesen, die sie zur Umkehr zwang. Ich ärgerte mich im Stillen, darüber nicht nachgedacht zu haben, doch da jetzt alle anwesend waren, verdrängte ich diesen Gedanken. Ich durfte mich jetzt nicht unnötig belasten. Die Aufgabe die vor uns lag, war schon schwer genug.
Schnell teilte ich die einzelnen Leute zu. Möglichst zu zweit oder zu dritt. Ich selbst nahm Franko mit. Jeder von uns hatte nur eine ungefähre Vorstellung, wie es im Inneren des Gebäudes aussah. Ich machte mir nichts vor. Es würde sehr schwer bis unmöglich sein, allein mit dieser Situation fertig zu werden. Wahrscheinlicher war, daß wir die Polizei doch noch einschalten mußten. Dazu hatte ich zwei aus Frankos alter Gruppe eingeteilt. Wir drückten uns noch einmal gegenseitig die Hände, dann ging es los.
Jede Gruppe suchte sich einen anderen Zugang zum Gebäude. Den Zaun, der früher das Gelände umgeben hatte, gab es nicht mehr, was uns den Zugang entschieden erleichterte. Auch Bepflanzung war so gut wie nicht vorhanden, nur das, was sich die Natur in der Zwischenzeit zurückerobert hatte. Kein Laut war zu hören. Franko fand ein zerbrochenes und nur notdürftig repariertes Fenster. Es war nicht schwer, die losen und schon etwas morschen Bretter zu lösen und einzusteigen. Schnell kletterten wir hindurch und fanden uns in einem finsteren Gang wieder. Im Strahl unserer Taschenlampen sahen wir, daß etliche Türen davon abzweigten. Ich verdrehte die Augen: „Wenn das überall so aussieht, wird es Weihnachten, bis wir sie finden.“
Franko schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, daß sie hier eingesperrt sind. Hier kann der Inder sie nur schwer kontrollieren. Er wird sich bestimmt weiter im Innern aufhalten. Außerdem wird er sie als Druckmittel benutzen wollen, falls wir ihn wirklich finden.“
„Wenn nicht, findet er uns. Allerdings ist mir Ersteres lieber.“
Wir machten uns auf den Weg, immer tiefer ins Gebäude hinein, denn dort würden wir den Inder sicher finden. Auch die anderen Gruppen waren schon im Gebäude. Niemand fühlte sich wohl. Überall hatte die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Spinnweben hingen von der Decke und der Staub lag an manchen Stellen zentimeterhoch. Zeitweise konnte man Wasser von den Decken tropfen hören oder
Ratten.
So manchem lief es bei diesem Gedanken eiskalt den Rücken runter. Aber je tiefer wir ins Gebäude vordrangen, desto besser wurde es. Und es war offensichtlich, daß wir nicht allein waren. Fußabdrücke im Staub bewiesen es. Jetzt wurden auch die Türen vorsichtig untersucht, doch noch fanden wir nichts. Franko und ich trafen auch andere Fighter und nach einer kurzen Absprache kamen wir zu dem Schluß, daß Franko und ich ein Stockwerk höher unsere Suche vorsetzen sollten.
Auch der erste Stock unterschied sich nicht von dem darunter. Staub, Spinnweben und Türen. Doch plötzlich hörten wir Schritte und es klang nicht nach unseren Leuten. Schnell traten wir den Rückzug an, was nicht ganz leicht war in der Finsternis. Die Taschenlampen hatten wir natürlich gelöscht. Zum Glück gingen die Schritte an uns vorbei. Ich konnte Franko neben mir spüren. Er berührte mich kurz in der Dunkelheit. Ich kam wieder aus der Hocke hoch: „Was meinst du Franko? Sollen wir noch eins höher?“
Ich bekam keine Antwort.
„Franko?“
Ich schaltete schnell meine Taschenlampe an und drehte mich um.
Nichts.
Nur ein paar herumfliegende Staubflocken bewiesen mir, daß er gerade noch da gewesen war. Ich griff nach meinem Funkgerät und mir wurde eiskalt. Meine Finger griffen ins Leere. Hastig suchte ich auf dem Boden danach, doch ich hatte es nicht einfach verloren. Es war mir gestohlen worden. Mir fiel Frankos Berührung wieder ein, doch war er es tatsächlich gewesen?
Für einen Moment mußte ich mich gegen die Wand lehnen, denn mir wurde ganz anders. Einer der Männer war direkt neben mir gewesen. Ich hatte nichts gehört und nichts bemerkt. Wie leicht war es da für den Inder, an mich heranzukommen. Daß man mich allerdings in Ruhe gelassen und Franko dafür entführt hatte, sagte mir nur eins. Der Inder wollte unbedingt, daß ich ihn fand und nicht umgekehrt. Und ich sollte ihm allein gegenübertreten.
Ich blieb noch kurz stehen und sammelte mich. Ich war jetzt auf mich allein gestellt, solange ich keinen der anderen Fighter traf. Und ich beschloß, erst einmal auf dieser Etage zu bleiben. Ich wollte sie ganz durchqueren.
Ich bog gerade in einen anderen Gang ein, als ich erneut Schritte hörte. Ich blieb wo ich war und löschte die Lampe. Falls es eine Wache sein sollte, konnte ich sie vielleicht überwältigen und sie zwingen, mich zum Inder zu bringen. Vorsichtig lugte ich um die Ecke und sah einen Lichtstrahl auf dem Boden tanzen. Doch wer immer da kam, würde am anderen Ende des Ganges erscheinen und wenn er vorbei lief, würde es sehr schwer sein, ihn zu schnappen.
Ich spannte meinen Körper an, ich war bereit. Jetzt tauchte die Gestalt auf und meine Augen wurden riesengroß vor Überraschung, denn wer da schnell vorbeilief war niemand anders als - Rico.
Meine Gedanken überschlugen sich. Was machte er hier? Ich hatte ihn extra nicht eingeteilt. War er hier, um mir zu beweisen, daß er des Vertrauens doch würdig war? Ich wollte schon hinterher, doch Stimmen aus der anderen Richtung hielten mich davon ab. Hatte ich denn gar kein Glück heute? Doch dann hörte ich eine Tür zuschlagen und einen Schlüssel, der im Schloß herumgedreht wurde. Meine Aufregung nahm zu. Wozu sperrte man hier eine Tür zu? Um jemanden daran zu hindern, hinauszukommen? Was sonst?
Leise schlich ich den Flur entlang bis zur nächsten Biegung und betete die ganze Zeit, gerade jetzt möge niemand hier entlang wollen. Diesmal blieb das Glück auf meiner Seite. Vorsichtig blickte ich um die Ecke und zuckte schnell zurück. Nicht weit entfernt hielt ein Mann vor einer Tür Wache, ein anderer verschwand gerade. Sehr gut, dachte ich. Für ein paar Sekunden blieb ich noch in meiner Deckung, dann schoß ich plötzlich vor. Ob es nun mein überraschtes Auftauchen oder die Tatsache war, daß ich ihn so offen angriff, wußte ich nicht zu sagen. Jedenfalls hatte ich ein leichtes Spiel. Zwei Schläge mit der Handkante und der Mann sackte zu Boden. Schnell durchsuchte ich ihn und fand zwei Waffen. Wo zum Teufel waren die Schlüssel?
Da, endlich. Rasch suchte ich den Richtigen und hoffte, daß meine Freunde auch wirklich hinter dieser Tür waren.
Ich schloß auf.
Der Raum dahinter war nur schwach beleuchtet. Schließlich erkannte ich, daß sich drei Stühle darin befanden, einer leer und zwei besetzt.
Und wer saß da?
Peter und Rick.
Sie starrten mich an, als wäre ich ein Geist. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt und hatten außerdem einen Knebel im Mund. Mit einem Taschenmesser schnitt ich ihnen die Fesseln durch. Rick war so benommen, daß er mir entgegenkippte. Vorsichtig half ich ihm, sich auf dem Boden auszustrecken. Ich sah, daß er vor kurzer Zeit noch geschlagen worden sein mußte. In der Zwischenzeit hatte sich auch Peter von seinem Knebel befreit.
„Wo kommst du so plötzlich her? Wo sind die anderen? Du bist doch nicht allein hier, oder?“
Schnell berichtete ich den beiden, was inzwischen geschehen war.
„Wo ist Francis?“
„Sie haben sie woanders hingebracht.“
„Hier im Gebäude?“ Peter zuckte mit den Schultern.
Ich wandte mich Rick zu: „Geht es wieder?“ Er nickte nur.
„Am besten bleibt ihr hier. Ich helfe euch noch, den Kerl hineinzubringen und zu verschnüren. Nehmt seine Waffen. So weiß ich wenigstens, wo ihr seid.“
Nach getaner Arbeit wollte ich schon gehen, als Peter mich noch einmal zurückhielt.
„Taris, warte noch.“ Ich sah ihm sein Unbehagen direkt an und schloß noch einmal die Tür.
„Ich muß dir etwas sagen und es wird dir nicht gefallen.“
Ich setzte mich schon mal vorsichtshalber.
„Der Inder ist sehr von sich überzeugt und er hat uns eine Menge verraten. Hast du dich eigentlich mal gefragt, wieso der Inder so gut über uns Bescheid wußte?“
„Gefragt schon, allerdings ohne richtiges Ergebnis.“
„Aber du hattest eine Vermutung und ich schätze, die richtige. Er hat einen Informanten, einen Spion oder Verräter, ganz, wie du ihn nennen willst.“
„Und du weißt, wer es ist?“
Peter nickte ganz langsam. „Es ist Rico.“
„Was?“ Ich sprang auf. „Aber warum? Ich meine, wie kann er... Oh.“ Mir war gerade eingefallen, aus welchen Gründen Rico so etwas tun konnte, doch glauben wollte ich es nicht.
„Er kann mich doch nicht dermaßen hassen, daß er den Prinzen und den ganzen Hof so verrät.“
Peter verzog das Gesicht: „Leider doch. Er war sogar hier und hat es uns höhnisch ins Gesicht gesagt.“
„Er war hier? Wann?“
„Kurz bevor du gekommen bist.“
„Dann ist er gerade von euch gekommen, als ich ihn gesehen habe. Aber ich dachte, vielleicht will er nur beweisen, daß wir ihm doch vertrauen können.“ Ich lachte kurz und bitter.
„Ihr wartet hier so lange, bis einer von uns euch holt.“
Die Jungen nickten und ich verschwand. Ich wählte die Richtung, in die Rico verschwunden war. Durch seinen Verrat waren meine Freunde in äußerster Gefahr. Mich beunruhigte schon allein die Tatsache, daß ich keine anderen Fighter mehr traf. Wie sollte ich auch ahnen, daß das alles Berechnung des Inders war? Er hatte seine Leute so plaziert, daß alle anderen in Kämpfe verwickelt worden waren, eben nur nicht auf dieser Etage. Ich allein sollte unbehelligt durchkommen. Der Inder spielte noch immer mit mir.
Hin und wieder traf ich auf ein paar Wachen, doch außer vereinzelten leicht schmerzhaften Blessuren kam ich ungeschoren davon. Ich blieb immer Sieger. Und mit der Zeit begriff ich, daß es einfach zu leicht war und ich durchschaute die Taktik des Inders. Es machte mich nur umso wütender.
Mittlerweile hatte sich die Umgebung geändert. Das mußte mal der Küchentrakt gewesen sein. Ob ich dem Inder schon näher gekommen war? Leicht war die Frage nicht zu beantworten, denn schon allein eine Etage zu durchkämmen, dauerte ewig. Plötzlich sah ich einen Lichtschimmer und hörte Stimmen. Mir fiel auf, daß es hier kaum noch Staub oder Spinnweben gab. Ich war also nah dran. Leise schlich ich weiter und kam schließlich an eine Tür, die einen Spalt offenstand. Vorsichtig spähte ich hindurch und fuhr wie elektrisiert zusammen. Dort stand der Inder, mit dem Rücken zu mir und sprach mit jemand, den ich nicht sehen konnte. Ich überlegte noch, was ich jetzt tun sollte, als der Inder die Stimme hob und mich unvermittelt ansprach.
„Willkommen Taris. Möchtest du nicht hereinkommen?“
Für einen Moment war ich wie erstarrt, aber auch sonst wäre mir keine Zeit zum Reagieren geblieben. Eine dritte Person, von mir unbemerkt, stieß die Tür mit voller Wucht auf. Pech nur, daß diese Tür in meine Richtung aufging. Ich konnte ihr nicht mehr ausweichen. Ich taumelte zurück und wäre gestürzt, hätte mich nicht jemand grob gepackt und in den Raum geschleift. Für einen Moment sah ich Sterne. Ich wurde auf einen Stuhl gestoßen, aber nicht gefesselt. Langsam klärte sich auch meine Sicht wieder.
Der Inder stand direkt vor mir und schaute auf mich hinab. Ich hielt seinem Blick stand, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Schließlich machte der Inder eine lässige Handbewegung nach hinten: „Ihr kennt euch ja schon.“
Ich wußte erst, was er meinte, als er zur Seite ging und ich die Gestalt erkannte, mit der er gesprochen hatte. Schlagartig kehrt meine Wut zurück und ich sprang auf.
„Rico:“ Mehr konnte ich nicht sagen.
Der Mann, dem ich mein Zusammentreffen mit der Tür zu verdanken hatte, vertrat mir den Weg, doch ich ließ mich erst gar nicht auf einen langen Kampf ein. Mit einem gezielten Schlag schickte ich ihn ins Reich der Träume. Den Inder beeindruckte das nicht sehr. Er schaute recht gelangweilt auf den Bewußtlosen nieder: „Gute Arbeit.“
Ich bewegte mich auf Rico zu, doch das wollte der Inder nicht: „Nicht so hastig.“
Er vertrat mir den Weg und schlug blitzschnell zu. Ich konnte den Schlag zwar noch abblocken, doch ein scharfer Schmerz schoß durch meinen Arm. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein schmerzhaftes Stöhnen.
„Meinst du nicht, du solltest ihn erst einmal erzählen lassen?“
„Was gibt es da noch zu erzählen?“ knurrte ich.
„Nun, weshalb er überhaupt hier ist, vielleicht?“
„Das weiß ich schon, danke.“
„Wirklich?“ Die Überraschung auf dem Gesicht des Inders war nicht gespielt, das spürte ich. Also wußte er noch nicht, daß ich Peter und Rick gefunden hatte.
Jetzt schaltete sich auch Rico ein: “Weißt du im Ernst, weshalb ich hier bin?“ Seine arrogante Stimme trieb mich zur Weißglut. „Persönliche Rache? Oh ja, daß war der Hauptgrund, aber längst nicht alles. Ich will, daß es euch nicht mehr gibt. Und das lohnende Ziel? Macht und Geld. Sehr viel Geld.“
Ich schüttelte den Kopf: „Rico, mach die Augen auf. Glaubst du eigentlich, was du da sagst oder hat man dir das immer wieder fein eingeredet?“
„Glaubst du nicht, daß du da etwas zu weit gehst?“
„Nein. Er, “ ich zeigte auf den Inder, „haßt uns Fighter, weil sie sein Geschäft platzen ließen und mich im Besonderen. Richtig?“
Rico nickte: „Und?“
„Rico, du bist noch immer einer von uns, wenn auch auf der falschen Seite.“
Für einen Moment verlor Rico viel von seinem Hochmut, fand aber schnell die Kontrolle wieder. „Da irrst du dich aber gewaltig. Ich habe die Seiten gewechselt. Der Inder weiß das. Für ihn bin ich kein Fighter mehr.“
„Sicher?“ fragte der Inder plötzlich. Ich fuhr herum und erstarrte, denn ich blickte in den Lauf einer Waffe. Doch sie galt nicht mir. Plötzlich schwenkte er die Waffe herum, zu Rico. Die Waffe war schon entsichert.
„Nein.“ Ich wollte dazwischengehen, doch der Inder stieß mich aus der Schußlinie. „Du wirst noch früh genug sterben.“
Das letzte was ich sah, war Ricos ungläubiger Blick. Die Kugel traf ihn präzise.
Das war zuviel für mich, ich sank auf die Knie. Ich hatte zwar schon Einiges erlebt, doch so abgehärtet war ich nun auch wieder nicht. Ein trockenes Schluchzen drang über meine Lippen. So wenig Rico auch für mich und schließlich für die ganze Truppe übrig gehabt hatte, das hatte er nicht verdient. Aber ich mußte kein Experte sein, um zu wissen, daß der Schuß tödlich gewesen war. Der Inder hatte aus nächster Nähe geschossen.
„Und nun zu uns beiden. Steh auf, “ befahl der Inder barsch.
Ich schrak aus meinen Gedanken auf. Wieder richtete der Inder seine Waffe auf mich. Bei diesem Anblick spürte ich, wie irgendwas in meinem Innersten geschah. Irgendwie erstarrt alles zu Eis, meine Gefühle wurden eingefroren. Jegliche Emotion wich aus meinen Augen.
„Was ist? Willst du es gleich zu Ende bringen?“
Der Inder lächelte kalt: „Oh nein, daß wäre nicht gut für mich.“
„Und ich laß es erst gar nicht zu“, sagte ich und griff an.
Ich trat dem Inder die Waffe aus der Hand und verteilte noch ein paar schmerzhafte Schläge, eher er reagieren konnte. Er packte meinen Arm und drehte ihn mir mit einem Ruck auf den Rücken. Ich keuchte vor Schmerz.
„Das war gut“, zischte mir der Inder ins Ohr, „aber wie gefällt dir das.“ Er stieß mich nach vorn und zog mir gleichzeitig die Füße weg, so, wie ich es damals bei Don gemacht hatte. Nur gab es diesmal keinen Sand, der meinen Aufprall milderte. Ich konnte spüren, wie meine Lippe aufplatzte.
„Und wie gefällt dir das?“ Ich bekam einen Tritt in den Magen und krümmte mich vor Schmerz.
In diesem Moment ging die Tür auf und Pascal stürmte herein.
„Taris.“ Seine Stimme war voller Entsetzten.
Der Inder hechtete zu seiner Waffe und hob sie auf.
„Pascal, in Deckung. Er hat eine Waffe.“ Pascal reagierte sofort und warf sich hinter ein paar Kisten, die neben der Tür standen. Die Kugel blieb im Türrahmen stecken. Gleichzeitig zog Pascal seine Waffe und durch die Tür kamen Simon und Theo herein, ebenfalls mit gezogenen Waffen. Der Inder blickte sie für einen Moment an, dann schaute er hoch zur Deckenbeleuchtung. Ein gezielter Schuß und der Raum war stockdunkel. Ich konnte noch hören, wie der Inder an mir vorbeilief. Es mußte noch eine weitere Tür geben, eine, die ich bisher nicht bemerkt hatte. Die Jungen knipsten ihre Taschenlampen an und kamen zu mir herüber.
„Alles klar mit dir?“
„Ich denke schon. Helft mir mal.“ Ich stand auf. Meine Taschenlampe konnte ich allerdings nicht mehr finden.
„Was machst du hier? Und warum hast du uns nicht informiert?“
„Können vor lachen.“ Ich zeigte auf die Stelle, an der sonst mein Funkgerät hing und erzählte, was geschehen war.
Inzwischen hatten Simon und Theo den noch immer benommenen Mann mit Handschellen an ein Heizungsrohr gekettet. Simon war es auch, der Rico auf dem Boden fand.
„Pascal, kommst du mal?“ Seine Stimme klang sehr merkwürdig und mit einem letzten bedeutsamen Blick in meine Richtung drehte er sich um und ging hinüber. Simon leuchtete zu Boden.
„Oh mein Gott.“ Pascal hatte ebenso wie die anderen sofort erkannt, daß Rico tot war.
Derweil kreisten meine Gedanken um den Inder und ich erschrak. Was, wenn er nun zu Peter und Rick gegangen war?
Ich lief sofort los. Es ging so schnell, daß die anderen kaum reagieren konnten. Als Pascal in den Flur trat, war ich schon nicht mehr zu sehen. Er fluchte. Was sollte das denn jetzt schon wieder. Bei meinem Bericht war ich an dieser Stelle noch nicht angekommen. Er wußte also nicht, was ich vorhatte.
Ich selbst kümmerte mich im Moment wenig darum. Für mich zählten nur die Leben meiner Freunde. Als ich in den Gang einbog, wo der Raum lag, gab es keine Anzeichen dafür, daß ein Kampf oder ähnliches stattgefunden hatte. Alles war still und ruhig. Leise pirschte ich mich an die Tür heran, preßte mein Ohr dagegen und lauschte. Hörte ich da wirklich Stimmen oder spielten mir meine Nerven einen Streich?
Ich zog meine Waffe und riß mit einem Ruck die Tür auf. Zwei erschrockene Gesichter schauten mir entgegen. Nach einem schnellen Blick in die Runde ließ ich erleichtert die Waffe sinken. Es ging ihnen gut, niemand war hiergewesen.
„Taris, was ist los? Du siehst so blaß aus.“
„So wie es aussieht, war der Inder nicht hier.“
„Richtig. Aber sag, was ist passiert?“
„Später. Ich muß den Inder finden.“
„Oh, kann sein, daß er hier vorbei ist. Jemand ist den Flur entlang gerannt, aber nicht hier stehengeblieben.“
Ich wollte gerade etwas erwidern, als ein Geräusch, das durchs Fenster drang, mich ablenkte. Doch durch diese winzige Luke konnte ich nicht viel erkennen.
„Was ist das dort?“
Rick zuckte mit den Schultern: „Wir nehmen an, der Innenhof?“
„Der Innenhof?“ Ich überlegte. Der Mann hier war gut verschnürt, der Gang ruhig, der Inder dort draußen. Es sprach also nichts dagegen, daß Peter und Rick diesen Raum verließen.
„O.K. Ihr geht jetzt den Gang entlang, bis zur Ecke. Biegt dort rechts ab und lauft weiter. Dann müßtet ihr bald auf Pascal, Simon und Theo stoßen. Beeilt euch.“
„Und was machst du?“
„Was glaubst du denn?“ Ehe Peter etwas erwidern konnte, stürmte ich hinaus. Am Ende des Ganges tauchte Pascal auf und rief nach mir. Doch ich konnte und wollte jetzt nicht stehenbleiben. Ich hatte noch eine Rechnung zu begleichen.
So schnell ich konnte, rannte ich den Gang entlang zur Treppe und hätte mir beim Hinuntergehen noch beinahe den Hals gebrochen. Meine Füße wollten eben nicht so schnell wie ich. Verzweifelt suchte ich die Tür, die zum Hof hinausführte und es schienen Stunden zu vergehen, ehe ich sie fand. Ich stürzte hinaus, suchte Deckung hinter ein paar Büschen, die es hier gab und schaute mich um.
Da, auf der gegenüberliegenden Seite sah ich einen Lichtschein, wie von einer Taschenlampe. Das mußte der Inder sein. Ich setze ihm nach, doch plötzlich pfiff mir eine Kugel um die Ohren. Das verstand der Inder also unter einem fairen Kampf, der seine Ehre wieder herstellen sollte. Im nächsten Moment allerdings konnte ich den Inder fluchen hören und mußte mir eingestehen, daß er das diesmal nicht gewesen war. Wer aber war es dann?
Jetzt trat der Inder durch eine weitere Tür und ich beeilte mich, nicht den Anschluß zu verlieren. Ein weiterer Schuß fiel nicht.
Hinter der Tür erwartete mich eine Überraschung. Das mußte einmal so etwas wie eine Sporthalle gewesen sein, wurde jetzt aber anscheinend vom Inder als Lagerraum benutzt. Überall standen Kisten herum, die noch ganz neu aussahen. Manchmal standen nur zwei Kisten oder eine herum, andere stapelten sich fast bis zur Decke. Es waren bedeutend mehr als damals. Und mittendrin stand der Inder und wartete auf mich. Er stand da, als könnte nichts und niemand ihn von der Stelle bewegen. Sein wie immer, gepflegter Anzug wies einige Flecke, auch Blutflecke auf, was aber den beeindruckenden Gesamteindruck nicht weiter störte. Er sah etwas gelangweilt aus, seine Waffe in der Hand.
Ich schaute mich rasch um. Eine andere Fluchtmöglichkeit als durch die Tür, durch die ich eben getreten war, schien es nicht zu geben. Ich trat aus dem Schatten der Kisten hervor. Der Inder bewegte nur die Augen: „Schließ die Tür hinter dir. Wir wollen doch nicht, daß uns jemand stört, oder?“
Ich bewegte mich nur widerwillig, doch die Waffe in seiner Hand war ein überzeugendes Argument. Jetzt war es also soweit, ich mußte mich ihm stellen. Und ich tat es auch.
„Was ist?“ fragte ich. „Willst du den Kampf mit der Waffe entscheiden?“
Er lächelte kurz. „Nein, ich glaube nicht. Und du?“
Ich runzelte die Stirn, hatte ich doch vergessen, daß auch ich noch die Waffe in der Hand hielt. Direkt neben mir stand eine Kiste und ich wollte die Waffe dort ablegen, um notfalls rasch heranzukommen. Doch der Inder blieb weiterhin unfair. Mit seiner Ehre schien es doch nicht so weit her zu sein. Er legte seine Waffe gar nicht erst ab, sonders trat sofort zu. Da ich in diesem Moment seitlich zu ihm stand, trat er genau. Ich flog gleich über die Kiste hinweg.
Erst jetzt entledigte sich der Inder seiner Waffe und kam um die Kiste herum. In der Zwischenzeit war ich schon wieder auf den Beinen und blockte seine Angriffe ab. Schließlich griff ich selber an. Es gelang mir, dem Inder einen Tritt gegen sein Knie zu landen. Er fiel und ich schickte noch einen Ellenbogenschlag in sein Genick hinterher. Er ging zu Boden, war aber noch nicht geschlagen. Er packte mein Hosenbein und riß mich mit. Hart prallte ich mit dem Hinterkopf auf den Boden und sah Sterne. Benommen blieb ich liegen, aber nicht für lange. Der Inder packte mich am Kragen, riß mich hoch und landete einen Treffer in die Magengrube, der mir die Luft abdrehte. Wieder sackte ich zu Boden, der Inder trat nach. Diesmal konnte ich einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken.
Keiner von uns ahnte, daß die anderen vor der Tür standen und alles mit anhörten. Helfen konnten sie mir nicht, denn der einzige Eingang war von mir persönlich versperrt worden. Pascal litt mit mir. Simon, Theo und Rick versuchten noch immer, einen anderen Weg hinein zu finden. Peter blieb vorsichtshalber bei Pascal.
Doch ich gab mich noch nicht geschlagen. Als der Inder ein zweites Mal zutreten wollte, fing ich seinen Fuß ab und stieß ihn mit aller Kraft, die ich noch hatte, zurück. Die winzige Pause, die mir blieb, nutzte ich und versteckte mich zwischen den Kisten. Ich rang nach Atem. Das war ganz schön knapp gewesen.
Ich hörte, wie der Inder durch die schmalen Gänge schlich und immer wütender wurde. Ich schaute nach oben und mir kam eine Idee. Überall um mich herum stapelten sich die Kisten unterschiedlich hoch und es mußte doch leicht sein, dort hinaufzukommen. Von dort oben gesehen, lag der Vorteil auf meiner Seite.
So schnell und so leise wie möglich kletterte ich hinauf. Wo war der Inder?
Da lief er. Er kam genau auf mich zu.
Ich wartete den günstigsten Moment ab und sprang. Es kam für den Inder zu überraschend, als daß er noch hätte etwas tun können. Ich ließ eine ganze Salve von Schlägen auf ihn niederprasseln und schickte ihn zu Boden. Ich wich ihm aus, was er abermals nutzte, um mein Fußgelenk zu packen. Doch diesmal stolperte ich nur und sah etwas, war mir helfen konnte. An einer der Kisten war eine Holzlatte nur lose angebracht. Ich riß sie ab.
Der Inder stand wieder auf. Seine Lippe war aufgeplatzt und er blutete aus der Nase. Das Blut tropfte auf seinen Anzug, doch das kümmerte ihn nun schon gar nicht. In seinen Augen loderte der blanke Haß. Es war derselbe Ausdruck, den ich schon damals gesehen hatte. Ich schlug einfach zu und mit großer Wirkung, wie es aussah. Der Inder schrie auf, hielt sich den Kopf und taumelte zurück. Auf seiner Stirn war eine große Platzwunde sichtbar. Ich wollte ihm nachsetzen und mußte erkennen, daß ich mal wieder auf eines seiner Täuschungsmanöver hereingefallen war.
Für einen kurzen Augenblick hatte ich ihn nicht sehen können und blickte jetzt in den Lauf seiner Waffe. Und der Inder kannte keine Gnade.
Er drückte sofort ab.
Der Schuß war auch vor der Tür zu hören und Pascal trommelte und hämmerte gegen die Tür. Er wurde fast wahnsinnig vor Sorge um mich. Auch die anderen stürmten herbei und es hatten sich sogar noch ein paar Fighter mehr angefunden.
Der Schuß saß und traf mich in die linke Schulter. Im ersten Moment spürte ich gar nichts, doch dann sah ich das Blut, mein Blut und der Schmerz breitete sich rasend schnell aus. Ich stöhnte, mir wurde schwindelig. Tränen schossen mir in die Augen und verschleierten mein Blick. Eins konnte ich aber noch ausmachen. Durch die Wucht des Treffers war ich zurückgeschleudert worden und hinter der Kiste gelandet, auf der meine Waffe lag. Ich wartete noch einen Moment und griff dann blindlings zu. Meine Finger ertasteten kaltes Metall und krümmten sich darum. Eine Kugel schlug dicht neben meiner Hand ein und überschüttete mich mit winzigen Holzsplittern. Wenigstens hatte ich jetzt meine Waffe.
Ich war nie besonders begeistert von Waffen gewesen, doch hier und jetzt war es meine einzige Rettung. Der Inder wußte jetzt, wo ich war und ich wußte wo er steckte. Einzig, von welcher Seite er sich mir nähert, konnte ich nicht bestimmen. Daher stand er plötzlich vor mir und ich konnte nichts mehr tun. Kraftlos ließ ich meine Waffe wieder sinken und irgendwie teilnahmslos blickte ich ihn an. Die Schmerzen wurden immer schlimmer und ich wunderte mich, daß ich überhaupt noch lebte. Ich wußte, ich verlor zu schnell zu viel Blut.
„Ich muß schon sagen, du warst eine würdige Gegnerin für mich. Schnell, sicher, mit guten Instinkten. Doch ich habe dir damals schon geschworen, daß du sterben wirst. Sag dieser Welt ade.“
Ich schloß die Augen, doch der erwartete Schuß blieb aus. Stattdessen erklang eine Stimme aus dem Hintergrund: „Da wäre ich mir nicht so sicher.“
Ich kannte diese Stimme, konnte sie im Moment aber nicht einordnen. Erst als ich die Augen öffnete, wußte ich es. Chantal stand da, ebenfalls eine Waffe in der Hand, die auf den Inder gerichtet war.
„Los Abn Hal, zwing mich nicht, sie zu benutzen.“
Jetzt erst, in diesem Moment, fiel mir auf, daß ich vorher nie seinen Namen gehört hatte.
Ironie des Schicksals.
Fast wäre ich durch die Hand eines Mannes getötet worden, der zwar mein größter Feind war, dessen Namen ich aber nicht kannte.
Abn Hal zögerte noch einen Moment, tat dann aber, was Chantal von ihm verlangte.
„Sie hat den Tod verdient.“
„Ja, aber später. Los Taris, hoch mit dir.“
Aber ich konnte ihrer Forderung nicht nachkommen, mit fehlte die nötige Kraft. Da packte mich der Inder und riß mich hoch. Ich schrie auf und taumelte gegen die Kisten, die prompt ins Wanken gerieten und umkippten. Im letzten Moment riß ich mich zusammen und blieb schwankend stehen.
„Na also, es geht doch noch.“ Chantal gab sich betont freundlich.
„Was soll das? Wieso bringt ihr es nicht hinter euch?“ Ich hatte nicht die Kraft für diese Spielchen.
„Oh, da ist aber jemand ungeduldig. Hängst wohl nicht sehr am Leben. Aber mach dir keine Sorgen, deine Zeit kommt schon noch und es gibt gewiß noch eine Person, die sich darüber freuen wird.“
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ich hatte immer gedacht, nur Abn Hal und jetzt Chantal wollten meinen Tod.
Chantal lachte: „Ich kann richtig sehen, wie du dir dein Gehirn zermarterst. Aber überlege doch mal vernünftig. Einen deiner Feinde bist du schon los.“
Ich sagte nichts.
„Nun komm schon. Glaubst du, es ist damit getan, dich aus dem Weg zu räumen? Gewiß nicht. Unsere Hintermänner haben für uns ein höheres lohnenderes Ziel auserkoren.“ Sie lachte wieder.
Ich zuckte zusammen und stöhnte erneut auf, als der Schmerz dadurch stärker wurde. War das alles hier nur Täuschung gewesen? Ich stellte diese Frage laut.
„Aber nein, der Handel ist echt, nur reicht uns das nicht. Hast du nicht schon einen Zipfel der Wahrheit erraten? Ist dir nicht auch klar geworden, daß es hier um mehr geht? Es geht, “ sie machte eine Pause, um ihre Worte zu dramatisieren, „um die Vernichtung eurer kindischen Einheit, um die Vernichtung des Prinzen und seines Reiches.“
Es traf mich wie ein Schlag und ich hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Das war es also, was ich die ganze Zeit geahnt hatte. Und ich wußte plötzlich auch, wer die dritte Person war.
„José. Es ist José. Er ist der Verräter. Deshalb hat er mich die ganze Zeit über nicht in Ruhe gelassen. Er sollte mich schon vorher fertigmachen.“
„Oh, schlaues Kind.“
„Ja, nur ist ihm das leider nicht gelungen.“
„Was heißt hier leider?“ Der Inder schaute Chantal vorwurfsvoll an. „Mir gebührt die Ehre, ihrem Leben ein Ende zu setzen.“
Chantal ging nicht darauf ein und ich war noch nicht fertig.
„Rico war also nur euer Spielzeug?“
„Sicher. Rico war dumm und naiv. Er wollte dir schaden und hat sich doch nur selbst geschadet. José ist der wahre Informant, doch das wirst du niemandem mehr erzählen können. Aber bevor ich zu dir komme...“ Sie drehte sich zu Abn Hal um und ihr Gesichtsausdruck änderte sich abrupt. Haß spiegelte sich in ihren Augen.
Unsicher ging der Inder ein paar Schritte zurück.
„Du bist genauso ein Verräter, nicht war? Du wolltest die Geschäfte allein abwickeln, deine Ehre retten und mich dann der Polizei ausliefern. Zu dumm, daß ich aufgepaßt habe.“
„Aber Chantal. Ich weiß gar nicht...Ich meine, was...“
„Spar dir deine jämmerlichen Ausreden“, unterbrach Chantal ihn kalt. „Niemand legt mich ungestraft herein und du schon gar nicht. Sag Tschüs zu dieser Welt.“
„Nein.“ Ich schrie entsetzt auf und im gleichen Moment sah ich wieder Rico vor mir.
Chantal schoß. Der Inder fiel zu Boden und blieb regungslos liegen. Ich schluchzte. Wann hörte dieser Alptraum endlich auf? Die Schutzbarriere, die ich um mich herum aufgebaut hatte, fing an zu bröckeln.
„Na Taris, keine Nerven mehr? Die braucht man in diesem Geschäft. Aber keine Sorge, ich weiß dir zu helfen.“
„Warst du es auch, die auf dem Hof auf mich geschossen hat?“
„Oh ja. Leider habe ich nicht getroffen. Aber das wird mir jetzt nicht passieren.“
Die nächsten Sekunden schienen wie in Zeitlupe zu vergehen. Ich sah das Mündungsfeuer aufblitzen, Chantal schoß nicht nur einmal und ich sah die Kugeln auf mich zufliegen. Der Knall zog sich lang wie Kaugummi. Dann trafen mich die Geschosse und die Zeit lief wieder normal ab. Ich hätte bis zu diesem Augenblick nicht geglaubt, daß eine Steigerung der Schmerzen noch möglich war. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Es fühlte sich an, als würde mein Körper zerrissen werden und es mußten mindestens zwei Kugeln getroffen haben. Ich stürzte, ohne die Möglichkeit zu haben, meinen Sturz auch nur minimal abzufangen. Wie durch Watte hörte ich Chantal lachen und irgendwas von Francis sagen.
Francis. Ich hatte sie fast vergessen, doch es gab mir noch einmal die Kraft, aufzustehen. Plötzlich spürte ich außer den Schmerzen noch einen Luftzug. Also mußte es hier noch einen Ausgang geben. Mühsam stemmte ich mich in die Höhe, brauchte aber schon allein dafür drei Anläufe. Ich schleppte mich in die Richtung, in der ich Chantal vermutete.
Und richtig.
Da gab es eine Tür, so unscheinbar und versteckt, daß ich sie allein nicht gefunden hätte. Ich hätte nicht einmal danach gesucht. Sie zu öffnen überstieg fast meine Kräfte. Wie sollte es mir dann gelingen, Chantal zu folgen und Francis zu schützen, denn mir war klar, was immer Chantal jetzt vorhatte, Francis würde es schaden.
Chantal lief über einen weiteren Hof und in ein niedriges Gebäude. Es dauerte auch nicht lange, bis sie wieder hinauskam. Und noch immer war sie allein. Aber ihr Gesicht zeigte äußerste Zufriedenheit. Das änderte sich allerdings kurz, als sie mich sah.
„Was denn, du lebst immer noch?“ Doch Chantal brauchte sich keine Mühe mehr zu machen.
Die Welt begann, sich um mich herum zu drehen und aus meinem Körper entwich auch noch das letzte bißchen Kraft. Haltlos stürzte ich zu Boden und Chantal lachte laut und zufrieden. Plötzlich blieb ihr jedoch das Lachen im Hals stecken.
Meine Freunde waren in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Nachdem ihnen klar wurde, daß sie nicht mehr viel machen konnten, informierten sie die abkommandierten Fighter, die ungeduldig vor dem Polizeirevier warteten. Es war natürlich mal wieder nicht leicht, die Polizisten von der Wichtigkeit unseres Einsatzes zu überzeugen, doch da man es uns nach unserem ersten Einsatz versprochen hatte, wurden Polizei- und Krankenwagen zum alten Gefängnis geschickt. Und die Polizisten kannten sich eindeutig besser aus. Sie wußten, wie man in den Innenhof kam. So retteten sie mir das Leben.
Plötzlich tauchten sie auf und nahmen Chantal völlig widerstandslos fest. Sie wurde total überrumpelt. Viel bekam ich davon nicht mehr mit. Mein Blick war verschleiert und ich reagierte kaum noch. Trotzdem wußte ich instinktiv, daß irgendwas nicht stimmte. Etwas fehlte.
Doch meine Gedanken wurden unterbrochen. Jemand beugte sich über mich und redete beruhigend auf mich ein. Ich hörte eine Sirene und wußte doch nicht, daß das ein Krankenwagen war. Sanitäter kamen und behandelten mich, dann wurde ich auf eine Trage gehoben. Die Schmerzen dabei raubten mir fast den Verstand.
Plötzlich zerriß ein Schrei die schon fast vergangene Nacht. Da wußte ich, was ich vergessen hatte. Francis war noch immer in Gefahr. Sie war es, die da schrie. Verzweifelt versuchte ich mich aufzubäumen, doch ich war festgeschnallt. Immer und immer wieder bewegte ich mich unruhig, die Schmerzen taten ihr übriges dazu. Ich wurde fast rasend. Bis plötzlich eine Stimme da war, eine Stimme, die mich beruhigte: „Still Taris. Es ist alles in Ordnung. Francis ist gleich hier.“
Ich sollte die Stimme eigentlich kennen, dachte ich, doch meine Gedanken bewegten sich so zäh. Ich konnte kaum noch klar denken, der Blutverlust machte sich bemerkbar. Eine tiefe Zufriedenheit und Wärme machte sich in mir breit und ich war bereit, ihr nachzugeben. Einfach nur Ruhe haben. Das war es. Immer mehr entfernte ich mich von der Realität und nur undeutlich konnte ich eine Stimme hören. Sie klang eindeutig besorgt, doch es interessierte mich nicht mehr.
„Taris, laß es nicht zu. Kämpfe dagegen an. Verlaß uns nicht.“
Dann schloß ich die Augen und Dunkelheit hüllte mich ein.


8.


Ich schwebte durch einen Raum, in dem Entfernung und Zeit keine Rolle spielten. Der Schmerz war, ebenso wie ein nie verstummendes Piepsen, ein ständiger Begleiter und störte mich daher nicht. Es gab nichts anderes. Der Raum selber war eher so etwas wie ein Tunnel. Es gab kein Licht, nur Finsternis und doch glaubte ich, manchmal Gesichter zu sehen. Sie besaßen keine erkennbaren Konturen und sahen oft irgendwie langgezogen aus, wie aus Gummi. Angst hatte ich aber nicht, ich fühlte mich wohl und geborgen. Oft sah ich so etwas wie Wattefetzen an mir vorüberziehen und ich stellte mir vor, über den Wolken zu fliegen.
Wie lange war ich jetzt schon hier?
Es war egal.
Wo wollte ich hin?
Auch das wußte ich nicht, bis ich plötzlich etwas sah und ich erkannte darin mein Ziel. Das sollte der Endpunkt meiner Reise werden. Ein heftiges Verlangen danach flackerte in mir auf und ich wünschte, ich würde schneller vorankommen. Ich war sehr erstaunt, als es tatsächlich funktionierte. Ich war schon sehr nahe an dem...
Ja, woran eigentlich?
Es sah wie ein Lichtschein, eine Orientierung aus. Erst ein Pünktchen, dann ein Punkt, schließlich ein Lichtball. Ich hatte das Gefühl, in die Sonne zu fliegen. Je näher ich diesem Licht kam, desto mehr verebbte der Schmerz. Es gefiel mir. Ich kam immer näher.
Doch plötzlich wurde die friedliche Stille unterbrochen. Das Piepsen, das ich immer gehört hatte, wurde immer lauter und hektischer. Es fing an, mich zu stören.
Und etwas geschah.
Ich fühlte mich auseinandergerissen, der Schmerz nahm wieder zu. Auf einmal merkte ich, daß ich auch einen Körper besaß. Entsetzt mußte ich zusehen, wie ich mich wieder vom Licht entfernte. Ich wehrte mich dagegen, ich wollte es nicht. Doch jemand tat alles dafür, mich von meinem Ziel abzuhalten. Mein Strampeln und Kämpfen half mir nicht. Mein Gegner war stärker und zog mich wieder in die Dunkelheit zurück.



Wortfetzen zogen an meinem Ohr vorbei. Ich wollte nicht wissen, wer es war und versuchte daher erst gar nicht, meine Augen zu öffnen. Ich erinnerte mich dunkel an einen Zwischenfall. Jemand hatte meinen Willen gebrochen, mich an einen Ort gebracht, wo ich nicht hin wollte. Und ich machte diese Stimmen dafür verantwortlich. Sie waren mal stärker und mal schwächer, verschwanden aber nie ganz. Ich spürte Berührungen und konnte ihnen nicht ausweichen. Oft wurde etwas mit mir gemacht, was ich nicht zu erklären vermochte. Auch mit meiner Atmung schien irgendwas nicht zu stimmen. Hatte ich denn überhaupt je geatmet?
Von Zeit zu Zeit nahm ich immer mehr Sachen in meiner Umgebung war und ich wurde neugierig. Zuerst drängte ich es zurück, doch dieses Gefühl wurde immer stärker und stärker. Hatte ich das nicht schon einmal erlebt?
Irgendwann war das Verlangen stärker als ich und ich erwachte.
Es war alles andere als angenehm. Ich fing an, meine Umgebung zu spüren. Ich lag in einem Bett und das wohl schon sehr lange, denn mein Körper fühlte sich zerschunden an. Ich konnte noch immer das Piepsen hören. Hatte es etwas mit mir zu tun?
Leute waren um mich herum. Sie redeten mit mir, sprachen mir Trost zu und wollten mich wieder bei sich haben. Ich schlug die Augen auf, sah aber trotzdem nichts. Ich fühlte etwas Feuchtes meine Wangen herablaufen. Jemand strich mir mit etwas weichem (einem Tuch vielleicht?) über die Augen und es ging besser. Zuerst sah ich schemenhaft Konturen, aus denen Gesichter und schließlich ganze Körper wurden. Bekannte und Unbekannte, die eines gemeinsam hatten. Sie waren froh, meine offenen Augen zu sehen.
Plötzlich spürte ich, wie sich meine Hand bewegte. Es erstaunte mich, denn das hatte ich gar nicht gewollt. Es zeigte mir, daß ich über meine Bewegungsabläufe noch keine genaue Kontrolle hatte. Ich machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch es kam nur ein undefinierbares Gekrächze heraus. Eine mir unbekannte Stimme sagte: „Versuchen sie nicht zu sprechen und bleiben sie ruhig liegen. Es wird alles wieder gut. Das Wichtigste ist, daß sie wieder gesund werden und Schlaf ist bekanntlich die beste Medizin.“
Schlafen? Ich wollte jetzt nicht schlafen, ich war gerade erst aufgewacht. Ich wollte lieber bei meinen Freunden sein. Ein feiner Stich beendete aber vorerst meine Wachphase.
Als ich das nächste Mal erwachte, geschah dies völlig übergangslos. Der Schmerz war auf ein pochendes Etwas zusammengeschrumpft und das Piepsen drang noch immer an mein Ohr. Ohne Probleme schlug ich die Augen auf. Vorsichtig drehte ich den Kopf und stöhnte, als der Schmerz erneut zum Leben erwachte. Sofort war jemand an meinem Bett. Ich erkannte, daß es ein Arzt oder Pfleger sein mußte. Im Hintergrund stand Pascal.
„Was ist passiert?“ Ich konnte nur flüstern.
„Erinnern sie sich nicht?“
„Ich weiß nicht genau. Ein Kampf vielleicht? Oder etwas...“ Ich schloß gequält die Augen, denn jetzt stürmten Bilder auf mich ein. Plötzlich wußte ich wieder, was geschehen war und in mir geriet alles in Aufruhr. Ich versuchte mich aufzusetzen, wurde aber vom Arzt und von den Schmerzen daran gehindert. Pascal stellte sich ans Bett und ergriff meine Hand.
„Beruhige dich, es geht allen gut.“
„Auch Francis?“
„Ja, ihr auch.“
„Erzähl mir bitte alles.“
Pascal strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn: „Ich, nein, wir werden dir alles erzählen, aber nicht jetzt. Du bist noch zu schwach und es wäre zuviel für dich. Ruh dich aus. Je mehr du den Anweisungen der Ärzte folgst, desto schneller bist du hier raus.“
Ich nickte zum Zeichen, daß ich verstanden hatte. Die Augen fielen mir wieder langsam zu, doch ich ließ Pascals Hand nicht los. Ich fühlte, daß ich ihn eine ganze Weile nicht gesehen hatte. Pascal verstand und blieb bei mir, bis ich eingeschlafen war.
Die nächsten Tage verliefen im gleichen Rhythmus und so langsam begriff ich, was eigentlich geschehen war. Ich lag im Krankenhaus, wie nicht anders zu erwarten. Insgesamt hatten die Ärzte drei Kugeln aus meinem Körper entfernen müssen, ein vierter Treffer war ein glatter Durchschuß gewesen. Ich hatte eine Menge Blut verloren und brauchte eine Transfusion. Danach lag ich eine Woche auf der Intensivstation im Koma und wäre beinahe gestorben. Das erfuhr ich allerdings erst später, doch es erklärte die merkwürdigen Ereignisse, an die ich mich nach und nach erinnern konnte.
Das Licht, das ich hatte erreichen wollen, hätte meinem Leben ein Ende gesetzt. In dem Moment, als ich in die Finsternis zurück gerissen wurde, wurde ich auch ins Leben zurückgeholt. Auch das Piepsen ließ sich leicht erklären. Es war eine Maschine, die meine Herztöne maß. Später, als ich wieder fit genug war, erfuhr ich auch alles Weitere.
Rico war tot, mit einem gezielten Schuß vom Inder ermordet. Der Inder selbst hatte, entgegen meiner Überzeugung, überlebt und wartete jetzt im Gefängnis auf seinen Prozeß. Chantal und viele ihrer Komplizen waren ebenfalls verhaftet worden. Einzig Ted war noch auf der Flucht. Einige Fighter mußten wegen Rippenbrüchen oder anderen Verletzungen ins Krankenhaus. Unter ihnen auch Francis.
„Was ist eigentlich mit dir geschehen?“ Ich drehte mich zu ihr.
Der harte Kern hatte sich im Krankenzimmer versammelt, um mir Bericht zu erstatten. Und Francis fing ganz von vorn an. Wie sie entführt wurde, wohin sie kam, ihr Wiedersehen mit Peter und Rick. Kurz bevor wir ins Gebäude eingedrungen waren, hatte man sie wieder getrennt. Wahrscheinlich wollte man uns die Sache erschweren. Chantal verband ihr die Augen und fesselte sie und brachte sie schließlich weg. Francis hatte keine Ahnung wohin. Chantal brachte sie in das Gebäude, aus dem ich sie hatte herauskommen sehen. Dort war die Wasserversorgung untergebracht und Chantal hatte sich einen teuflischen Plan ausgedacht. Sie schloß Francis in einen der Tanks ein und ließ ihn mit Wasser vollaufen. Als das Wasser immer höher stieg, fing Francis an zu schreien. Das rettete ihr das Leben. Mit einem Schock und leichter Unterkühlung kam sie ins Krankenhaus. Außerdem hatte sie, wie alle anderen auch einige Prellungen und Blutergüsse. Außer mir hatten aber schon alle das Krankenhaus verlassen dürfen.
Ich selbst mußte noch einige Behandlungen über mich ergehen lassen, sowie eine Bewegungstherapie für meine linke Schulter. Es war nicht immer schmerzfrei und mehr als einmal mußte ich mich zusammenreißen, um überhaupt weiterzumachen. Vier Wochen nach meinem Aufwachen durfte ich das Krankenhaus endlich verlassen. Ich war zwar schon ein paar Mal auf dem Krankenhausgelände herumspaziert und es war immer jemand zu Besuch gekommen, doch das war kein Vergleich.
In einem Wagen, den Zomar wohl immer zu hohen Besuchen benutzte, wurde ich zum Palast kutschiert. Ich hatte es den anderen untersagt, etwas für mich zu organisieren, wie sie es damals getan hatten. Sie akzeptierten es, ließen es sich aber nicht nehmen, sich auf dem Hof zu versammeln, um mich zu empfangen. Ich wußte gar nicht, was ich sagen sollte, wie ich so dastand und sie anblickte. Schließlich erlöste mich Zomar, indem er uns alle in den Speisesaal bat. In diesem Moment knurrte mein Magen und ich wurde knallrot. Das Essen im Krankenhaus war nicht immer mein Geschmack gewesen.
Langsam schlenderten alle zum Saal hinüber und ich genoß es, wieder hier zu sein. Doch im Speisesaal holte mich die jüngste Vergangenheit wieder ein. Simon hatte gerade einen Witz zum Besten gegeben und ich lachte aus vollen Hals. Bis ich am Ende des Saales jemanden stehen sah.
José.
Es traf mich wie ein Donnerschlag und abrupt blieb ich stehen. Die ganze Zeit über hatte ich das Wichtigste überhaupt vergessen und der Schock haute mich glatt um. Als ich wieder zu mir kam, lag ich am Boden. Pascal beugte sich besorgt über mich. Hatte ich vielleicht einen Rückschlag erlitten? Außer mir wußte niemand über José Bescheid.
„Pascal, ihr müßt unbedingt José aufhalten, er gehört zu ihnen. Sie wollten den Prinzen stürzen. Nicht Rico war der Hochverräter, José ist es.“ Den letzten Satz hatte ich fast geschrien, Tränen liefen mir übers Gesicht. Alles kam wieder in mir hoch, auch das Bild von Rico, wie er tödlich getroffen wurde. Ich konnte nichts dagegen tun.
Ich wurde aus dem Saal gebracht und der Arzt gab mir ein leichtes Beruhigungsmittel. Ich schlief bis zum nächsten Morgen. Ausgeruht und entspannt wachte ich auf. Francis saß an meinem Bett und schaute mich grinsend an.
„Na du Schlafmütze.“
„Gott, wie ich das vermißt habe.“ Ich reckte mich gemütlich, zuckte aber sogleich zusammen.
„Was ist?“ Francis war sofort wieder in Sorge.
Ich winkte ab: „Ich muß nur etwas vorsichtiger sein. Durch die Operation bin ich nicht mehr so beweglich.“
„Und was heißt das, in Zukunft?“
„Was das heißt?“ Ich lachte und stand auf. „Das Tama mich ordentlich beuteln wird, um mich wieder fit zu bekommen.“
„Man und ich dachte schon.“
Nachdenklich stand ich vor dem Spiegel. Hatte ich mich eigentlich verändert? Fast schien es mir so, als könnte ich nicht mehr so unbeschwert sein, wie die anderen.
„Was ist gestern denn noch passiert?“
„José wurde vorsichtshalber in Verwahrung genommen.“
„Gut. Und was weiter?“
„Das möchte man gerne von dir wissen“, antwortete eine Stimme aus dem Hintergrund.
Ich fuhr herum: „Salya.“ Ich mußte glatt ihr Klopfen überhört haben.
„Wer will was von mir wissen?“
„Sobald du dich dazu in der Lage fühlst, sollst du runter in den Thronsaal kommen. Der Vorfall gestern hat den Prinzen doch etwas beunruhigt und er würde gern wissen, warum.“
„Schon klar. In einer halben Stunde bin ich fertig.“
Salya nickte und verschwand, um die Nachricht zu überbringen. Francis sah mit ernster Miene zu, wie ich Handtücher, Duschgel und Kleidung aus dem Schrank nahm, um zum Duschraum zu gehen.
„Wirst du es schaffen?“
„Was?“ Mein Kopf taucht wieder aus dem Kleiderschrank auf. Ich suchte etwas Bestimmtes und hatte ihre Frage nicht ganz verstanden.
„Ich habe gefragt, ob du es schaffen wirst.“
„Du meinst gleich, im Thronsaal?“ Ich setzte mich aufs Bett und überlegte kurz. „Ich glaube schon. Was gestern passiert ist...“ Ich schüttelte den Kopf. „Gestern war irgendwie merkwürdig. Weißt du, da liege ich die ganzen Wochen im Krankenhaus und vergesse praktisch, wem ich das zu verdanken habe.“
„Aber er hat doch nicht geschossen.“
„Nein das nicht, aber er hat Informationen weitergegeben und er hat dafür gesorgt, daß ich auf der Abschußliste des Inders stand. Ich schätze, er hat ihn gegen mich aufgehetzt und ich habe mich auch ganz nach Plan verhalten. Na ja, und als ich ihn dann gestern plötzlich sah, war das ein Schock. Die Jungen haben dir doch sicherlich erzählt, was in der Zwischenzeit hier los war.“
„Ich habe sie bis zum Letzen ausgequetscht.“
„Dann ist ja alles klar. Gestern war es wohl einfach nur ein bißchen viel für mich. Jetzt bin ich bereit.“
Ich verzog mich unter die Dusche und war pünktlich eine halbe Stunde später im Thronsaal. So wie es dort aussah, konnte man auch schon von einer Anhörung sprechen, nur daß ich diesmal nicht auf der Anklagebank saß. Der Prinz saß auf dem Thron. Es war ein seltener Anblick und machte den Ernst der Situation nur allzu deutlich. Immerhin ging es um einen Mann, dem der Prinz jahrelang Vertrauen geschenkt hatte. José war ebenfalls anwesend und bei meinem Anblick wurde er sichtlich nervöser. Er konnte nicht wissen, wieviel ich wußte. Ich selbst nahm die Sache gelassener und setzte mich auf einen Stuhl, um zu warten, bis ich sprechen dürfte.
Der Prinz sprach mich direkt an: „Taris, was gestern geschehen ist, wissen wir alle und viele werden auch deine Worte gehört haben, nur verstanden hat sie keiner. Würdest du sie bitte wiederholen und näher darauf eingehen.“
Ich holte noch einmal tief Luft: „Wie offiziell bekannt ist, war Rico ein Informant. Er hat dafür bezahlt und jeder, auch ich, dachte, daß damit die ganze Bande aufgeflogen wäre. Ich geriet jedoch an den Inder, der von Chantal niedergeschossen wurde. Bevor sie auf mich schoß, verriet sie mir aber noch etwas. Sie glaubte, ich würde es nicht mehr weitererzählen können.
Der Handel mit den Waffen war nur ein Nebeneffekt, etwas, mit dem sich gut Geld verdienen ließ. Der wahre Grund für ihr Hiersein war letztendlich ein anderer. Sie wollten nicht nur nach dem geplatzten Geschäft uns Fighter beseitigen. Sie wollten...“ Ich stockte, denn ich wußte plötzlich nicht, wie ich den Prinzen anreden sollte. Das war hier mehr als nur eine Plauderei. Doch der Prinz schien meine Gedanken zu erraten und half mir weiter.
„Bleiben wir doch einfach beim du, daß macht die Sache leichter.“
Ich nickte und sprach fast zögernd weiter: „Die wahre Tat bestand eigentlich darin, dich vom Thron zu stürzen.“
Wäre jetzt eine Bombe eingeschlagen, wäre niemand überraschter gewesen. Es herrsche eine Totenstille und ich fühlte mich nun doch etwas unbehaglich. Mit meinen nächsten Worten würde ich eine Menge Vertrauen und eine Freundschaft zerstören. Um José tat es mir weniger leid, nicht aber um den Prinzen. Doch ich konnte auch nicht schweigen.
„Um dieses Ziel zu erreichen, brauchten sie gute Informationen. Informationen, die Rico ihnen nicht geben konnte. Mit ihm haben sie nur gespielt, er war eben gut zu gebrauchen. Er hat den Tod nicht verdient, niemand hat das. Rico wußte nicht, was um ihn herum geschah. Er hätte nie jemanden getötet.“
„Aber jemand anders hätte es getan, nicht war?“ Zomars Stimme klang brüchig und ich konnte ihn verstehen. Alle Anwesenden ahnten es, doch ich mußte es aussprechen, sonst würde es nur ein Gerücht bleiben.
Doch es fiel mir so unendlich schwer. Noch unter der Dusche war ich mir meiner Sache sicher gewesen, aber jetzt? Es würde so enttäuschend für den Prinzen werden.
„Taris, du weißt, daß du dir Zeit lassen kannst, doch einmal mußt du es sagen. Daran kommst du nicht vorbei.“
Ich nickte und gab mir einen Ruck: „José war der Informant. Er hat alles eingefädelt, er wollte die Macht an sich reißen. Chantal hat es mir verraten, bevor...“ Meine Stimme erstarb, doch auch so war alles gesagt. Ich fühlte mich völlig leer und auch der Prinz schien ein Stück in sich zusammenzusacken. Auf seinen Wink hin verließ ich den Saal, besser gesagt, ich flüchtete. Der Schmerz in Zomars Augen würde ich nie wieder vergessen können.
Der Prinz zog sich in seine Privatgemächer zurück und José wurde der Polizei übergeben. Er schwieg eisern, doch das würde ihm nicht viel nützen. Zu erdrückend war die Beweislast.
Ich zog es vor, nicht zu meinen Freunden zurückzukehren, sondern ging zum Stall. Spirit hatte mir schon immer geholfen, mich zu beruhigen und auch heute verfehlte er seine Wirkung nicht. Ich mistete seine Box aus, striegelte und kämmte ihn und gönnte ihm noch etwas Auslauf. Danach ging es mir schon besser und ich schlenderte zum Haupthaus zurück. Als ich vor dem Speisesaal stand, knurrte mein Magen. Meine letzte Mahlzeit hatte ich im Krankenhaus gehabt. Hinter mir lachte jemand. Es war Salya.
„Wohl lange nichts mehr bekommen, was?“ flachste sie. Ich wollte gerade etwas sagen, doch sie zog mich nur mit durch den Saal in die Küche.
Plötzlich befand ich mich an einem Tisch, um mich herum die Küchenfrauen. Sie stellten allerlei Köstlichkeiten vor mich hin und baten mich, zuzugreifen. Ich flüchtete mich in ein verlegenes Lächeln, folgte dann aber den Bitten. Bis zum Mittag würde es noch eine Weile hin sein. Die Frauen waren sehr freundlich, doch ich verstand leider nicht alles, was sie sagten. Salya dachte wohl, daß sie mir ein Gefallen tun würde, wenn sie mir einiges übersetzte. Doch es half mir nicht viel weiter.
Eine der Frauen zeigte noch einmal auf den Tisch, damit ich weiter zugriff, sagte etwas und lachte dabei. Salya fing an zu grinsen, als sie mein fragendes Gesicht sah.
„Auch hier in der Küche redet man über dich. Du bist so etwas wie eine Heldin.“
Am liebsten hätte ich mich unter den Tisch verkrochen: „Nicht doch.“
„Na hör mal. Du hast es immerhin verhindert, daß der Prinz sein Reich verliert.“ Ich schüttelte nur den Kopf.
Nach einiger Zeit kam Bewegung in die Gruppe. Die Frauen fingen langsam an, daß Mittagessen zuzubereiten. Um für alle zu kochen, brauchte es schon eine Weile. Um nicht im Weg zu sein, wollte ich die Küche verlassen, doch die Frauen ließen mich nicht fort. Sie freuten sich über meine Anwesenheit und ich bekam eine Menge zu sehen. Das Essen wurde gänzlich anders zubereitet, als ich es kannte. Die vielen verschiedenen Gewürzdüfte stiegen mir in die Nase und ich mußte niesen. Salya lachte und schnippelte an dem Salat weiter. Ich konnte über die Geschwindigkeit dabei nur staunen.
Irgendwann begann sich der Speisesaal zu füllen, es war nicht zu überhören. Als schließlich zum Essen gerufen wurde, spazierte ich zum Erstaunen Aller aus der Küche. Ohne Zweifel war ich schon von einigen vermißt worden. Meine deprimierende Laune war verschwunden. Am Tisch selbst begnügte ich mich mit etwas Salat. Mehr paßte einfach nicht hinein.
Den Nachmittag verbrachte ich mit meinen Freunden im Gemeinschaftsraum. Wir hörten Musik, spielten Karten oder unterhielten uns einfach. Wir waren einmal mehr ganz normale Jugendliche. Am Abend wurde das Wetter etwas schlechter und es regnete. Das würde in nächster Zeit allerdings noch öfter passieren. Uns machte es nichts aus. Wir wußten mit unserer Zeit auch im Haus etwas anzufangen. Allerdings blieb es nicht immer regnerisch und der Prinz hatte eine gute Nachricht für uns. Da die Gefahr in der Stadt gebannt war, erlaubte uns Zomar, ohne Begleitung dorthin zu fahren. Da einige von uns schon den Führerschein hatten, konnten wir die Jeeps benutzen. Zum Glück gehörte Francis dazu. Und diese Gelegenheit ließen wir uns nicht entgehen.
Die Fahrt wurde lustig. Zum erstenmal, seit wir im Dienste des Prinzen standen, hatten wir keinerlei Verpflichtungen, keinen Auftrag. Wir konnten tun und lassen, was wir wollten. In der Stadt trennten wir uns. Francis und Salya, die zum Glück hatte mitfahren dürfen, hatten sich allerdings in den Kopf gesetzt, mein Outfit etwas zu ändern.
„Was heißt hier ändern? Ich fühle mich so wohl und außerdem bin ich die meiste Zeit sowieso am Hof.“
„Du sagst es, die meiste Zeit. Aber ich habe so eine Ahnung, daß sich jetzt so Einiges ändern wird. Seit eurem Erfolg ist der Prinz in der Achtung gestiegen.“
„Aber von uns weiß man doch so gut wie gar nichts.“
„Sicher? Man weiß jetzt, daß es dem Prinzen gelungen ist, eine Elitetruppe aufzustellen, mit Leuten, denen man so etwas nie zugetraut hätte. Ihr habt sogleich einen Verbrecherring auffliegen lassen und habt den Sturz des Prinzen verhindert. So etwas spricht sich herum und jetzt will natürlich jeder etwas mit so einer Persönlichkeit zu tun haben. Du weißt doch, wie das ist. Wahrscheinlich wird es wieder mehr Empfänge geben, wie zu der Zeit als noch Zomars Vater König war. Und dazu sollte jeder etwas feiner aussehen, auch du.“ Salya wußte genau Bescheid.
Ich fügte mich meinem Schicksal und mußte bald feststellen, daß es doch eigentlich Spaß machte. Außerdem hatten Francis und Salya wirklich Ahnung in solchen Dingen. Zudem achtete Francis auch darauf, daß ich trotzdem Bewegungsfreiheit hatte. Man konnte ja nie wissen.
Unser Einkaufsbummel fand allerdings ein schnelles Ende. Wir standen gerade in einem kleinen Lebensmittelgeschäft, um etwas zu kaufen, als hinter uns aufgeregte Stimmen erklangen. Erstaunt drehte ich mich um. Vor dem Laden standen ein paar Jugendliche und zeigten aufgeregt auf mich. Sie sprachen zu schnell, als daß ich sie verstand, dafür verstanden andere Einheimische umso besser und blieben ebenfalls stehen. Selbst der Verkäufer sah mich merkwürdig an. Hilflos drehte ich mich zu Salya um: „Was geht hier vor? Was wollen die?“
Salya aber sah selbst aus, als hätte sie ein Gespenst gesehen und zeigte auf einen Punkt hinter mir. Ich drehte mich um und bekam große Augen. An der Schaufensterscheibe war ein Zeitungsartikel angebracht worden. Die Überschrift, in großen fetten Buchstaben lautete:

Jugendliche helfen bei Verhaftung gefährlicher Gangster

Doch was mich aus der Fassung brachte, war das Foto, das zum Artikel gehörte. Es zeigte mich im Krankenhaus. Ich hatte die Augen geschlossen und ich vermutete zu Recht, daß es noch in der Zeit meines Komas gemacht worden war. Es erschreckte mich etwas, denn das hieß, daß ein Fremder einfach so ins Zimmer gekommen war und niemand hatte ihn bemerkt. Salya übersetzte die ersten Sätze.
„Eine Gruppe Jugendlicher konnte der Polizei helfen, einen Verbrecherring auffliegen zu lassen. Dieses Mädchen, siehe Foto, schaffte es sogar, die beiden Anführer in Schach zu halten, bis Polizeibeamte eintrafen und diese festnahmen. Dabei wurde sie schwer verletzt.“ Mit einer Handbewegung unterbrach ich Salya. Was ich gehört hatte, reichte vollkommen.
„Scheint so, als feierten sie dich als...“
„Es reicht.“
Francis verstummte, doch es half alles nichts. Wie Salya uns schon gesagt hatte, sprach sich unsere Anwesenheit schon herum. Dieser Artikel jedoch verriet nicht nur unsere Existenz. Das Foto war das Schlimme daran, jeder kannte nun zumindest einen Fighter vom Gesicht her.
Ich wollte unbedingt zur Redaktion dieser Zeitung. Außerdem mußte Zomar informiert werden. Ich fragte den Verkäufer, wie ich zur Zeitungsredaktion kam und der beeilte sich, es mir zu verraten. Er überschlug sich bald vor Freundlichkeit. Innerlich verdrehte ich die Augen und beeilte mich, aus dem Laden herauszukommen. Nicht, daß es jetzt leichter wurde. Auf dem Gehweg hatte sich eine große Menschentraube angesammelt und jeder wollte mir etwas sagen oder die Hand schütteln. Es war ein einziges Gedrängel und Geschubse. Schließlich aber hatten wir es doch geschafft und machten uns auf den Weg. Doch auch jetzt noch kamen wir immer wieder an Leuten vorbei, die stehenblieben und mich genauer musterten. Um nicht wieder angesprochen zu werden, rannte ich fast. Vor der Redaktion angekommen, lehnte ich mich gegen die Wand. Ich konnte es einfach nicht fassen. Allerdings stellte ich mir auch die Frage, warum Zomar bisher nichts über diesen Artikel gewußt hatte. Salya konnte sie mir beantworten.
Es war einfach so, daß dieses Blatt im Palast nicht vertreten war. Es war nicht die größte Zeitung hier und die Stadt einfach zu weit vom Palast weg, als daß sie dort hätte bekannt werden können. Dafür hatte die Zeitung jetzt aber einen echten Knüller gelandet.
Schweren Herzens stieg ich die Stufen zur Redaktion hoch, die im ersten Stock eines schon leicht windschiefen Hauses lag. Ein Wunder, daß hier überhaupt noch etwas war. Doch als wir durch die Tür traten, kam die gleiche Aufregung wie vor dem Laden auf. Man erkannte mich sofort, denn es gab nur sehr wenige Mitarbeiter. Man beeilte sich, uns zu dem Mann zu bringen, der für den Artikel und vor allem für das Foto verantwortlich war. Sein Gesicht strahlte, als er mich sah, doch ich würgte sein Redeschwall mit einer Handbewegung ab und überließ es vorerst Francis und Salya ihn auszufragen. Ich selbst rief im Palast an. Doch, oh Wunder, Zomar war nicht ganz so überrascht, wie ich es vermutet hatte. Auch an sein Ohr war es schon gedrungen, daß wir bekannt wurden. Und er konnte nichts dagegen tun. Als ich allerdings den Artikel erwähnte, wurde es etwas stiller am anderen Ende. Das war selbst dem Prinzen neu und er bat uns herauszufinden, woher der Autor des Artikels seine Informationen hatte. Im Übrigen fand er es nicht mehr ganz so schlecht, daß man uns kannte, doch es sollte sich alles im Rahmen bewegen.
Nachdem ich den Anruf beendet hatte, stellte ich dem Reporter die Frage, wer ihm die Information geliefert hätte. Er konnte es mir nicht sagen. Er hatte nur einen anonymen Anruf erhalten, indem ihm mitgeteilt wurde, was es mit diesen Verhaftungen auf sich hatte und wo er mich finden würde. Ob es noch Konsequenzen für ihn haben würde, konnte ich allerdings nicht sagen. Immerhin war der Mann auf der Intensivstation gewesen, was sowieso schon mal verboten war. Und dann hatte er auch noch ohne Einverständnis Fotos gemacht. Doch diese Entscheidung überließ ich dem Prinzen.
Als Nächstes gingen wir zur Polizei, um zu erfahren, was von hier aus an die Presse gegangen war. Auch hier waren Information weitergegeben worden, die uns aber nicht verraten hätten. Es hieß, daß wir rein zufällig in die Sache hineingeraten waren. Man erzählte, wir wären eine Schülergruppe auf Auslandsreise gewesen und wir hatten Erfahrungen im Personenschutz gesammelt. Daher war es uns möglich, uns einzuschalten. Ricos Tod wurde verschwiegen, ebenso meine Verletzungen. Von hier aus waren also keine schädlichen Informationen nach draußen gedrungen und wir fragten uns, wer denn der geheimnisvolle Informant gewesen war. Und ich brauchte nicht einmal lange für die Antwort. Es gab nur einen, der dieses Wissen hatte und der uns schaden wollte.
Nämlich José.
„Das war Josés letzter Streich gewesen. Entweder hat er etwas geahnt oder er wollte, nachdem seine Komplizen verhaftet worden waren, auf andere Weise für unseren Schaden sorgen. Er dachte wohl, wenn er uns verriet, könnten wir den Prinzen nicht mehr schützen. Nun, es sieht aber ganz so aus, als würde es uns nicht allzu sehr schaden.“
Ich behielt recht. Ich war als Einzige wirklich enttarnt worden und auch mich würde man bald wieder vergessen haben. Der Prinz verzichtete darauf, dem Reporter eine Klage auf den Hals zu hetzten, der Vorfall sollte so schnell wie möglich vergessen werden. Was aber nur bedingt gelang. Die einfachen Menschen in den Dörfern und Städten rund um den Palast mochten es schon vergessen, sie hatten genügend Probleme, doch es gab einige Edelleute, die sich für uns interessierten. Sie erfuhren noch ein bißchen mehr über uns und Salyas Prophezeiungen bewahrheiteten sich. Ein Empfang folgte dem nächsten, jeder wollte einmal diejenigen sehen, die in der Lage waren, die Polizei zu übertrumpfen.
Die Empfänge bedeuten für mich, daß ich aus meinen gewohnten Klamotten heraus und ein Kleid anziehen mußte. Francis half mir dabei. Sie steckte mein Haar hoch und schminkte mich dezent. Meinen Protest überhörte sie jedesmal geflissentlich. Den ganzen Abend mußten wir freundlich lächeln, Fragen beantworten und gleichzeitig unsere Augen offenhalten, denn auch jetzt erfüllten wir unsere Aufgabe als Beschützer des Prinzen. Die Gäste begeisterten sich sehr für uns, doch ich fühlte mich oft als Bodygard degradiert. Mit der Zeit fing Zomar an, die Gäste leicht auszusortieren. Er merkte allmählich, wer wirklich an einer Freundschaft mit ihm interessiert war und wer nicht. Die, die es ernst meinten, erfuhren irgendwann die ganze Wahrheit über uns. Von unserer Ankunft bis jetzt und auch Ricos Tod wurde nicht verschwiegen. Und es war wohl eine gute Idee vom Prinzen gewesen, denn auch die anderen Edelleute interessierten sich für einen solchen Schutz. Wir selbst ahnten nichts davon und waren daher erstaunt und leicht beunruhigt, als eine große Versammlung einberufen wurde. Nicht einmal ich, als Vertreterin aller Fighter, wußte etwas.
Alle redeten aufgeregt durcheinander, wurden jedoch schlagartig still, als der Prinz eintrat. Ihm schien es nicht leicht zu fallen, das zu sagen, was er sagen wollte. Kein Wunder, war es doch sehr ungewöhnlich. Er fing erst ganz vorsichtig an, ob es jedem hier wirklich gut gefiele oder ob sich jemand vorstellen könne, auch woanders zu leben. Doch jeder von uns war so verunsichert, daß alle schwiegen. Schließlich ließ Zomar die Bombe platzen.
Seine engsten Freunde waren sehr daran interessiert, ebenso eine Gruppe um sich herum zu haben und fragten, ob nicht einige von uns zu ihnen ziehen wollten. Sicher, jeder von ihnen hatte Personenschützer, doch wir waren etwas Anderes, etwas Neues. Der Prinz hatte ihnen vorgemacht, daß der Schutz auch auf einer anderen Ebene stattfinden konnte. Auf der Ebene Freundschaft.
Im ersten Moment blieb es noch ruhig, doch dann brach ein wahrer Orkan los. Jeder wollte etwas sagen und schließlich verstand man sein eigenes Wort nicht mehr. Um mir Gehör zu verschaffen, pfiff ich mit den Fingern. Es klappte.
„Inwieweit soll das funktionieren?“
„Ich habe Angebote bekommen, würde aber niemals über eure Köpfe hinweg entscheiden. Es mag vielleicht den einen oder anderen geben, der sich vorstellen könnte, auch woanders seine Pflicht zu tun. Ich werde selbstverständlich jeden, der sich dafür entscheidet, unterstützen. Jeder soll die Gelegenheit haben, sich zu entfalten. Heute Nachmittag werden diese Leute, die Interesse haben, zu uns kommen und sich vorstellen. Jeder, der mehr erfahren möchte, kann zu mir in meine Privatgemächer kommen.“ Damit löste der Prinz die Versammlung auf.
Der harte Kern traf sich hinter den Ställen. Hier waren Strohballen aufgestapelt und da es die letzten Tage nicht geregnet hatte, konnten wir uns setzten.
„Schon stark, was da plötzlich alles auf uns zugekommen ist.“ Simon konnte sich gar nicht beruhigen.
„Und, wirst du gehen?“ Theo grinste und drückte Francis Hand. Seit sie wieder bei uns war, waren die zwei unzertrennlich.
Durch Theos Frage wurde jeder ein bißchen nachdenklich, allerdings nur kurz.
„Nein.“ Sie antworteten fast alle gleichzeitig. Ich schaute völlig unbeteiligt in den blauen Himmel und kaute an einem Halm. Meine Entscheidung stand schon lange fest.
„Hey Taris, was ist mit dir?“
Gemächlich nahm ich den Halm aus dem Mund: „Was soll mit mir sein?“
„Deine Entscheidung.“
Ich grinste: „Kennt ihr die drei Musketiere? Einer für alle und alle für einen?“
Ich sah nur ratlose Gesichter, dann hellte sich das von Simon auf. Er streckte seine Hand aus: „Natürlich. Einer für alle und alle für einen.“ Ich legte meine Hand auf die seine und schließlich begriffen es auch alle anderen und taten es mir nach.
„Einer für alle und alle für einen.“
Niemals würden wir auseinandergehen.
Obwohl wir hierbleiben wollten, waren wir natürlich neugierig und gingen am Nachmittag zur Versammlung. Zomars Freunde machten alle einen sympathischen Eindruck und sie erzählten viel über sich. Wie sich herausstellte, gab es auch Fighter, die bereit waren, ihren Dienst woanders zu tun. Auch Nico gehörte dazu, er war in letzter Zeit sowieso immer mit anderen Fightern zusammengewesen. Doch wir freuten uns für jeden von ihnen, und auch der Prinz unterstützte sie in ihrer Entscheidung.
Letztendlich blieben der harte Kern, Sascha, Franko, Peter und Rick am Hof. Was uns wohl die Zukunft bringen würde?


Die Geschichte ist zu Ende, doch das Abenteuer geht weiter...


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 19.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Hella - Meiner Wegweiserin

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