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„Wenn mein Vater oder mein Bruder jemanden berührt, erspüren sie, was dem Menschen fehlt. Diese ach so tolle Gabe wird Generation an den Erstgeborenen weitergegeben. Immer ein männlicher Nachfolger im Geschäft des Heilens, immer ein Mann, der die Linie aufrecht erhält...“
Catherine stockte verbittert in ihrem Redeschwall. Das Pferd, mit dem sie sprach, schien bei weitem nicht so interessiert zu sein, wie es ein anderer Mensch wohl gewesen wäre, aber Cat wusste, dass sie ihr eigenes Geheimnis mit in ihr Grab würde nehmen müssen. Das war ihr von ihrer Mutter damals eingetrichtert worden.
Die junge Frau saß auf einem Strohballen und hatte die Beine verschränkt. Sie lehnte sich zurück und seufzte. Dann ließ sie ihren Blick nach oben schweifen und besah sich die Holzbalken genauer. Das alte Holz sah noch genauso aus, wie es vor Jahren ausgesehen hatte, als sie sich angewöhnt hatte, im Stall mit den Pferden zu sprechen um so ihre Frustration loszuwerden. Wer sonst würde ihr schon zuhören; einem Mädchen, der jüngsten von sechs Kindern!?
Catherine zählte mittlerweile 17 Sommer und sie wusste, dass dies ihr letzter Sommer war, bevor sie heiraten und eine Familie gründen musste. Sie war bereits jetzt schon alt und wäre wahrscheinlich bereits vor Jahren vermählt worden, hätte es einen passenden Partner gegeben. Nun war ein neuer Posten als Jäger freigeworden und man hoffte, dass der junge Mann, der bald ankommen sollte, passend genug für die Jüngste des Heilers war.
Catherine stand auf. Es hatte keinen Sinn sich Sorgen über die Zukunft zu machen, so lange sie sich auch Sorgen um die Gegenwart machen konnte.
Im Moment war ihr aufgetragen worden, die Ställe herzurichten, denn man erwartete noblen Besuch.
Catherine war von der körperlichen Arbeit stark und drahtig und sie hatte gelernt, schnell zu arbeiten, um die verlorene Zeit, die sie damit verbrachte, mit den Pferden zu reden, wieder gut zu machen. So war sie auch heute fertig, bevor irgendjemand auch nur daran dachte, sie zu suchen.
Sie klopfte liebevoll auf den Hals der Stute, die sie als Mitgift in die Ehe bringen würde und schmiegte sich sanft an sie. Das Tier spürte ihre Unruhe und stupste sie leicht an, woraufhin Catherine lächelte, das Maul in beide Hände nahm und sie küsste. Sie hatte dieses Tier seit knapp einem Jahr, seit ihr Vater entschieden hatte, dass ein schönes Pferd eine bessere Mitgift war, als die Decken und Ornamente, die die anderen Mädchen in ihre Ehen gebracht hatten.
Zu Beginn hatte Cat sich innerlich dagegen gewehrt, die Stute in ihr Herz zu schließen, denn das hätte bedeutet, sich damit abzufinden, dass sie bald heiraten und Kinder kriegen würde, doch das Tier hatte es ihr nicht leicht gemacht und hatte sie dann schließlich doch gewonnen, weshalb Catherine nun täglich im Stall saß und mit ihr sprach. Sie hatte sie Veritas genannt, Wahrheit, denn sie wusste alles über sie.
Langsam wurde es Zeit wieder ins Haus zurückzukehren und Cat vergewisserte sich noch einmal, dass mit jedem Pferd alles in Ordnung war, bevor sie sich auf den Weg machte.
In ihrem Haus war immer viel zu tun und seit sie, außer ihres ältesten Bruders natürlich, das einzige noch verbleibende Kind des Haushalts war, hatte sich ihre Arbeit, so schien es ihr, verdoppelt. Eigentlich machte ihr das wenig aus, doch somit konnte sie automatisch fast keine Zeit mehr in den Behandlungsräumern verbringen.
Als Jüngste war ihr immer viel durchgegangen und sie hatte sich, obwohl sie ein Mädchen war, am allgemeinen Unterricht über Heilkräuter und die Kunst des Heilens beteiligen dürfen. Je älter sie wurde, desto sporadischer wurde sie mitgenommen, aber ihre Brüder hatten ihr doch danach immer erzählt, was sie gelernt hatten. Irgendwann hatte auch das aufgehört. Es war nicht so, als ob sich Catherine nicht dafür interessiert hätte, aber sie war nun einmal ein Mädchen und würde das Wissen sowieso niemals brauchen. Weshalb also sollte man sie von anderen, wichtigeren Arbeiten abhalten!?
Den generellen Unterricht absolvierten noch alle drei ihrer Brüder, doch nur der Älteste, der, der die Gabe geerbt hatte, wurde zum Heiler ausgebildet.
Dass Catherine selbst eine Gabe hatte, wusste nur ihre Mutter.

Damals, als Cat elf Jahre gewesen war und ihre Blutung zum Ersten Mal eingesetzt hatte, war sie sehr krank geworden. Sie erinnerte sich noch genau an die Hilflosigkeit mit der ihr Vater über ihrem Bett gestanden und seine Hände nicht von ihrem Arm genommen hatte. Er hatte mit aller Macht versucht herauszufinden, warum sein kleines Mädchen von Fieber und Albträumen geschüttelt und im nächsten Moment eiskalt und starr wurde. Später erzählte er ihr, dass es war, als sei mit ihr alles in bester Ordnung, nur dass dem offensichtlich nicht so war. Er sagte, er habe niemals mehr Angst in seinem Leben gehabt.
Als, nach einer Woche, das Fieber abschwächte, die Albträume friedlicheren Dingen wichen und die Kälte ging, fühlte sich Catherine von einem Tag auf den Anderen wie neu geboren. Sie sprang im Bett auf und fragte, ob sie nicht etwas zu Essen haben könne. Niemals würde sie den Gesichtsausdruck ihrer Mutter vergessen. Verwunderung, Schock, Freude und Unglauben vermischten sich mit den Tränen, die sie vor Glück weinte.
Die nächsten Tage vergingen wie im Rausch. Niemals zuvor war Catherine so unermüdlich herum gesprungen, hatte Räder geschlagen und Purzelbäume gemacht, war durch das Dorf gelaufen und über die Felder geritten. Es war, als wäre ihre Energie absolut unerschöpflich, als würde sie die Zeit der langen Krankheit sofort aufholen wollen. Es hatte keinen Sinn wenn ihre Eltern sie zwangen sich hinzusetzen und zu essen; sofort war sie wieder auf den Beinen und lief um den Tisch herum.
Nach einiger Zeit jedoch hatte sich auch das wieder gelegt und man vergaß schnell, dass sie jemals krank gewesen war.
Die Einzige, die erst jetzt richtig mit ihrem Zustand zu kämpfen hatte, war Catherine selbst, denn ihr wurde immer wieder schlecht, wenn auch nur für eine kurze Minute. Meist reichte es, wenn sie sich hinsetzte und durchatmete, doch natürlich fiel das ihrer Mutter auf. Deren erste Spekulation war eine Schwangerschaft und obwohl Catherines Vater zigmal bestätigte, dass hier niemand schwanger war, wartete sie voller Anspannung auf Catherines nächste Blutung, die auch nicht lange auf sich warten ließ. Danach beruhigte sie sich und vergaß bei all der Arbeit, die auf sie wartete, schon bald, dass ihre Tochter ihr je so einen Schrecken eingejagt hatte.
Catherine jedenfalls konnte immer besser mit dieser leichten Übelkeit umgehen und wurde wieder zu dem fröhlichen Kind, das sie gewesen war.
Wenige Wochen später, als niemand mehr an seltsame Krankheiten und Übelkeiten dachte, wurde Catherine Zeugin wie ein benachbarter Junge Schmetterlinge zu fangen versuchte. Cat hatte etwas dagegen, dass man Tieren Schmerzen zufügte. Selbst denen, die man später aß und sie stritt mit dem Buben und verlangte, dass er den Schmetterling, den er eben zu fassen bekommen hatte, sofort wieder loslassen solle.
Natürlich wurde sie dafür nur ausgelacht und bösartig, wie Kinder manchmal sind, zerquetschte der Junge einen Flügel des Insektes und ließ es fallen, bevor er davon sprang.
Catherine fühlte sich elend und fiel neben dem vormals schönen Tier auf die Knie. Sie hob das leidende Insekt hoch und der Schmerz durchfuhr sie wie ein Blitzschlag. Keuchend ließ sie den Schmetterling fallen und krümmte sich. Ihre linke Seite fühlte sich an, als habe sie sich alle Rippen gebrochen. Der Schmerz hielt nur einen Sekundenbruchteil an und Catherine sah auf das Insekt herab. Sie registrierte, dass der zerquetschte Flügel der Linke war und auch, dass das Tier wie tot am Boden lag und die Fühler sich nur noch schwach bewegten. Voller Neugier hob sie den Schmetterling wieder auf und bemerkte nun nur ein leichtes Ziehen in ihrer eigenen Schulter. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf den Schmerz bis er verschwand. Als sie die Augen wieder öffnete waren ihre Hände leer und als sie überrascht nach oben blickte, flog der Schmetterling um ihren Kopf als habe er nie etwas anderes getan, als sei sein Flügel niemals zerstört gewesen.
Eine Welle der Müdigkeit, aber auch der Erleichterung schwappte über Cat und sie lachte glücklich auf, als das Insekt sich auf ihre ausgestreckte Hand setzte, als wolle es danke sagen, bevor es davon flog.
Catherine war nun zu ihrer Mutter gerannt und hatte ihr erzählt was passiert war. Sie war aufgeregt und voller Stolz gewesen, doch ihre Mutter hatte ihr verboten es einer weiteren Menschenseele zu erzählen. Sie hatte gesagt, dass wenn stimme, was Cat ihr erzähle, dann solle sie es niemals vor jemand anderem erwähnen, denn es sei gefährlich und sie wolle doch nicht, dass ihrer Familie etwas passiere.
Catherine war verletzt gewesen, aber sie wollte nicht riskieren, dass sie oder ihre Lieben bestraft würden für etwas, für das sie nichts konnten, weshalb sie wirklich niemandem davon erzählte. Niemandem, außer den Pferden.

Catherine trat in das Behandlungszimmer und überflog schnell die Regale. Sollte ein Heilmittel ausgehen, so wäre das katastrophal und sie, da sie ein allgemeines Wissen hatte, war von ihrem Vater gebeten worden, immer mal wieder zu schauen. Ihr Bruder kam sich dafür natürlich zu gut vor.

Die junge Frau summte vor sich hin als ihr Bruder, Leon, in Gedanken versunken und ein Buch lesend, eintrat. Er war ein attraktiver, intelligenter Mann mit einer Gabe und hatte allein in den letzten Wochen die Hoffnungen drei verschiedener Familien zerstört, da er noch nicht vorhatte zu heiraten. Im Dorf gab es einen Männermangel und es säte böses Blut, dass er keines der Mädchen auswählen wollte.
Cat jedoch verstand das sehr gut und außerdem hatte sie das Gefühl, dass ihr Bruder ein Geheimnis hütete, fast so groß wie ihr eigenes...
Sie schüttelte den Gedanken ab und räusperte sich kurz. Leon sah kurz auf und lächelte. Er hatte sie heute noch nicht gesehen, kam auf sie zu und küsste sie auf die Stirn.
„Kleine Schwester, schwer am Arbeiten, wie?“ Er zwinkerte ihr schelmisch zu. Manchmal konnte sie nicht glauben, dass er tatsächlich ein erwachsener Heiler war. Es lagen zehn Jahre zwischen ihnen und doch fühlte sie sich ihm näher als ihren anderen Brüdern. Manchmal hatte er eine äußerst egoistische, arrogante Ader und das regte sie mehr als oft auf, aber sie würde sich wahrscheinlich ebenfalls so benehmen, wenn die Welt wüsste, was sie konnte.
„Immer, Bruder, immer“ sagte Catherine und lächelte zurück. Sie liebte ihren großen Bruder sehr und bewunderte ihn für das Wissen, das er sich angeeignet hatte. Obwohl er gegen ihre Fähigkeiten fast machtlos schien.
„Mutter sucht nach dir. Sie sagt, du sollst dich umziehen und waschen, da die Herrschaften bald eintreffen sollen...“ er rollte die Augen und Cat musste lachen. Für diese so genannten ‚Herrschaften’, hatte er seine Räume opfern müssen und war kurzfristig in das Zimmer des zweitältesten Sohnes, Joachim, gezogen. Das passte Leon natürlich überhaupt nicht, obwohl Jo bereits seit Jahren ausgezogen war, er und seine Frau ihr zweites Kind erwarteten und er deshalb schon seit Wochen nicht mehr zu Besuch gekommen war.
„Also los, Cat, mach dich hübsch!“ Er zwinkerte ihr kurz zu bevor er das Buch auf einen Tisch fallen ließ und einen Kitzelangriff startete. Lachend und kreischend floh Catherine aus dem Raum und die Treppen hoch, wo ihre Mutter bereits stand und nach ihr rief.
Cat zog sich ihre hübscheren Kleider gerne an, aber sie war überrascht, dass ihre Mutter ihr schönstes herausgelegt hatte. Verwirrt drehte sie sich zu der älteren Frau, doch die blickte so ernst wie eh und je zurück.
Seit damals, als sie ihrer Mutter erzählt hatte, was mit dem Schmetterling passiert war, hatte sie kaum ein Lächeln von ihr bekommen. Als habe sie etwas Unaussprechliches getan und müsste bestraft werden. Vielleicht war auch das ein Grund weshalb sie ihr Geheimnis niemals an einen anderen Menschen weitergegeben hatte. Um ihre Mutter glücklich zu machen...
„Mutter, wieso soll ich denn das rote Kleid anziehen? Ich dachte, das sei für meinen Hochzeitstag.“
„Catherine. Du weißt, dass dein Vater den Auftrag hat, Lady Fugal von ihren Kopfschmerzen zu erlösen. Nun, mit ihr reist ihr jüngster Sohn, der nur wenig älter ist als du. In diesem Kleid sollte es dir nicht schwer fallen ihm schöne Augen zu machen und wenn dein Vater Lady Fugal geheilt hat, und ich bin mir sicher, dass er keine Probleme damit haben wird, dann werden sie alles Erdenkliche tun wollen um uns zu danken und dann wird der junge Fugal sicher um deine Hand anhalten!“ sie sprach aufgeregt und schnell und Catherine hörte ihr schon gar nicht mehr zu. Sie fühlte sich als habe man ihr in den Magen getreten. Sie wollte nicht heiraten, nicht jetzt und schon gar nicht nur weil man ihrem Vater dankbar war. Der nächste Sommer schien noch so weit weg zu sein, der junge Jäger eine Figur aus ihren Träumen, der sie auf ihrem bald gemeinsamen Pferd davontragen und ihr den Mond vom Himmel holen würde.
Sie setzte sich auf ihr Bett und strich gedankenverloren über das Kleid, das darauf ausgebreitet war. Ihr Vater war ein mächtiger Mann. Niemand, gegen den man sich stellen wollte. Man brauchte ihn und es war ein Glück für die bisherigen Lords, dass er mit dem, was er hatte, zufrieden war. Menschen waren ihm dankbar, wenn er sie heilte und sie würden alles für ihn tun. Den jüngsten Sohn an die jüngste Tochter des Magierheilers zu vermählen war sicher auch aus der Sicht des Lords keine schlechte Idee.
Catherines Mutter deutete ihr Schweigen als stille Zusage, denn sie lächelte ein seltenes Lächeln und ließ sie dann alleine um sich fertig zu machen. Das Wasser war bereits eingelassen und Cat wusste, dass sie bald hinein steigen musste, um es noch warm zu haben.
Catherine ging zu ihrem Sekretär und öffnete eine der Schubladen. Darin war ein Kästchen und in dem Kästchen der Schmetterling von damals. Einige Monate nachdem Cat ihn gerettet hatte, war er an ihr Fenster geflogen, hatte sich niedergelegt und war eines natürlichen Todes gestorben. Catherine hatte bitterlich geweint, sich aber auch geschmeichelt gefühlt, dass das Insekt zurück zu ihr gekommen war. Sie hatte die leblose Hülle bis heute aufgehoben und immer, wenn sie sich unsicher fühlte, nahm sie in die Hand und erinnerte sich daran, dass sie anderen Lebewesen Gesundheit und Kraft schenken konnte.
Dieser Gedanke half ihr auch jetzt und sie verstaute das Kästchen wieder, nachdem sie einen Kuss darauf gedrückt hatte. Das war ihr kostbarster Besitz und so unglaublich fragil nach all den Jahren.
Nun etwas gestärkter zog sie sich aus und sank in die Wanne. Das Wasser war lauwarm und nicht besonders angenehm. Ihre Mutter wollte sie wohl dazu bringen, sich schneller als üblich fertig zu machen. Normalerweise lag sie minutenlang einfach nur da und genoss die Wärme. Heute jedoch übersprang sie diesen Teil des Rituals und wusch sich einfach von Kopf bis Fuß.
Als sie fertig war, flocht sie ihre Haare in Zöpfe und zog sich das rote Kleid an. Es stand ihr unheimlich gut und selbst wenn sie nicht sagen würde, dass sie mit ihrem drahtigen Körper und den schmalen Lippen eine Schönheit war, so war sie doch von sich selbst überzeugt. Die Spiegelfläche, die in ihrem Zimmer stand, hatte ihr einst ein dankbarer Lord geschenkt, der von ihrem Vater Heilmittel gegen Schmerzen in seinen Knien bekommen hatte. Ihr Vater hatte ihm zwar gesagt, dass die Schmerzen irgendwann zurückkommen würden, aber der Lord hatte die Familie trotzdem reich beschenkt.
Catherine drehte sich vor ihrem Abbild und löste dann seufzend die Zöpfe. Ihre braunen Haare hingen ihr glatt hinab. Sie würde keine Zeit haben, sie richtig trocknen zu lassen und vor allem hatte sie keine Zeit sie in Zöpfen trocknen zu lassen. Sie würde sich damit abfinden müssen, dass ihre Haare glatt waren und versuchen, Volumen durch oftmaliges Kneten hervorzubringen.
Ihre große Schwester, Amalia, war fantastisch darin gewesen, Haare herzurichten, selbst die Catherines. Sie hatte es verstanden aus allem etwas zu machen. Ihre Töchter würden sie dafür lieben.
Cat war sich nicht so sicher, weshalb sie sich so darum kümmerte, gut auszusehen. Sie wollte nicht heiraten, aber sie fühlte, dass sie keine große Wahl hatte und sie wollte dann zumindest gut aussehen. Außerdem steigerte das ihr Selbstbewusstsein und sicherte ihr somit auch ein gutes Auftreten.
Catherine schlüpfte in ihre schönen Schuhe und ging hinunter in die Küche. Ihre Mutter nickte ihr zu, jedoch nicht ohne vorher einen kritischen Blick auf ihre Jüngste zu werfen. Alles in allem jedoch schien Cat richtig gemacht zu haben was auch immer ihre Mutter unausgesprochen von ihr verlangt hatte.
Die junge Frau machte sich daran, ihrer Mutter zu helfen, Kartoffeln zu schälen, während ihre Gedanken wieder abschweiften.
Die Wahrheit war, dass ihr Vater in den letzten Jahren viel mehr Menschen und vor allem Tiere hatte heilen können als jemals zuvor. Das lag jedoch nicht an Leon, obwohl das natürlich jeder behauptete, sondern an Catherine, die, wann immer sie sich stark genug fühlte, half wo sie nur konnte. Natürlich tat sie es heimlich und nur die Pferde wussten, dass sie in der Dosierung der Gabe immer besser wurde, manche Wunden extra langsam heilen ließ, damit niemand Verdacht schöpfte und sich danach immer weniger ausgelaugt und schwach fühlte. Sie verstand immer noch nicht, weshalb das etwas Gefährliches sein sollte, doch ihre Mutter wusste immer was zu tun war und Cat war sich sicher, dass sie auch mit dem Recht hatte. Außerdem wollte Catherine eigentlich nicht, dass Jemand davon wusste. Sie genoss Aufmerksamkeit nicht wirklich. Natürlich war es schön, wenn man bemerkt wurde, aber sie wollte im Grunde nur ein schönes, ruhiges, normales Leben führen. Sie hatte das Gefühl, dass sie das nicht können würde, wenn jeder wüsste, was sie konnte.

Catherines Mutter hörte auf damit, Kartoffeln zu schälen und sah sie an. Etwas verwirrt sah Cat von ihrer eigenen Arbeit auf.
„Catherine. Ich werde dich das nur einmal fragen und ich möchte eine ehrliche Antwort darauf.“ Sie sah ihr in die Augen und Cat nickte stirnrunzelnd.
„Hast du jemals wieder geheilt?“
Catherine sah auf ihre Hände hinab und dann wieder zu ihrer Mutter. Das war ein Tabuthema zwischen ihnen gewesen. Niemals hatte ihre Mutter sie darauf angesprochen oder auch nur Andeutungen gemacht.
Catherine nickte langsam und biss sich auf die Lippe. Sie wartete gespannt auf die Reaktion der Frau vor sich. Diese jedoch wandte sich wieder dem Messer und der Kartoffel in ihren Händen zu.
Catherine seufzte innerlich und machte sich auch wieder an das Schälen. Sie erwartet keine weitere Reaktion und war dementsprechend erstaunt, als ihre Mutter sich ihr wieder zuwandte.
„Meine Schwester konnte das Gleiche“ sagte sie leise.
Beinahe hätte Catherine das Messer fallen gelassen. Mit offenem Mund wandte sie sich an ihre Mutter. Sie sah sie nicht an und sprach die nächsten Worte, als ginge es um das Wetter.
„Sie war knappe zwei Jahre älter als ich und wir wussten alle davon. Sie war das kleine Wunderkind und wurde auch als solches behandelt. Bis hin zu dem Tag, als sie unseren Vater ermordete...“
Wieder musste Cat sich sehr zusammenreißen und den Griff des Messers fester umfassen. Sie sah ihre Mutter immer noch von der Seite an und versuchte zu verarbeiten, was diese Frau, die ihr seit ihrem elften Lebensjahr mehr als kühl begegnet war, sagte.
„Was... was heißt ermordet?“ fragte sie dann mit leicht zitternder Stimme.
„Ich denke nicht, dass sie es mit Absicht getan hat. Sie wollte heiraten und mein Vater hatte etwas gegen die Verbindung. Im Grunde wollte er das Wunderkind behalten. Sie stritten und er fasste sie am Arm. Sie verlangte von ihm, er solle sie loslassen und als er das nicht tat, wurde sie so wütend, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie schrie ihn an und dann passierte es, dass sie ihre Handfläche auf sein Gesicht presste. Es war als ginge eine Stoßwelle durch beide Körper und dann durch den Raum“, sie brach ab und hielt sich am Tisch fest, „Ich wurde nach hinten geschleudert und mit mir auch meine Mutter und sämtliche Möbel. Das nächste, das ich sehe ist meine Schwester, die sich schluchzend über den leblosen Körper meines Vaters beugt und jammert, sie habe es nicht gewollt und es täte ihr so Leid. Sie hatte seine gesamte Lebensenergie mit einem Mal freigesetzt. Selbst sie konnte Tote nicht mehr aufwecken.“
Catherines Mutter begann wieder zu schälen. Die junge Frau neben ihr schüttelte ungläubig den Kopf. Wieso hatte ihre Mutter ihr das nicht schon früher erzählt!?
„Sie beschrieb den Vorgang des Heilens immer als sehr schmerzhaft, allerdings konnte sie nicht genau ausmachen, woher der Schmerz kam und so hatte sie einfach soviel Energie in einen Körper geströmt, bis der Schmerz verebbt war. Ich kann mich noch genau an deine Schilderung von vor Jahren erinnern. Ist es immer so, dass du genau weißt wo der Schmerz sitzt?“ Ihr Tonfall glich wieder dem einer Person, die über belangloses plauderte.
Catherine nickte unsicher. Seit damals wusste sie immer ganz genau wo der Schmerz war; zumindest bei Menschen. Bei Tieren war es komplizierter, da ihre Anatomie so ganz anders war. Doch um ehrlich zu sein wollte sie ihre Mutter nicht mit langen Erklärungen von dem abhalten, was sie eigentlich zu sagen hatte.
„Nun, dann hast du wohl die Gabe deines Vaters geerbt. Ich wusste es vom Tage deiner Geburt an. Es war so ein Gefühl... Ach Kind!“ Sie drehte sich zu ihrer Tochter; Tränen in den Augen, und umarmte sie so fest, wie sie es Jahre lang nicht getan hatte.
„Ich liebe dich, Catherine, aber ich habe Angst, dass genau das Gleiche mit dir passiert, wie mit Sonia damals.“
Catherine ließ die Umarmung auf sich wirken. Es fühlte sich unheimlich gut an und sie sog den Duft ihrer Mutter ein. Dann jedoch lösten sich die beiden Frauen unbeholfen. Cats Mutter hatte immer noch Tränen in den Augen und Cat war selbst gerührt von dem, was ihre Mutter gerade gesagt hatte. Sie liebte sie! Sie liebte sie wirklich!
Erst langsam sickerte ein, was sie sonst noch gesagt hatte.
„Was... was genau ist mit... Sonia passiert?“ Sie traute sich beinahe nicht zu fragen, denn sie hatte noch niemals von dieser Tante gehört und sie war sich sicher, dass der Name Sonia ebenfalls nie gefallen war.
„Sonia wurde zu König Finio gebracht und dort als zu gefährlich eingestuft. Sie wurde erhängt.“ Das letzte Wort war nur geflüstert.
„Sie haben mich ebenfalls genau beobachtet. Und euch Kinder. All die Lords und Ladys, die unsere Dienste in Anspruch nahmen, fragten nach besonderen Fähigkeiten und Gaben. Du kennst deinen Vater; er ist dem König treu ergeben. Er hätte dich sofort ausgeliefert...“ Sie sog scharf Luft ein, als ringe sie mit ihrer Fassung.
„Mir ist bewusst, dass du nicht Sonia bist, Catherine. Und mir ist auch bewusst, dass du nur helfen möchtest, aber deine Fähigkeit ist gefährlich!“ Sie sah ihr nun in die Augen. Fest und beinahe drohend.
„Ich möchte, dass dir bewusst ist, dass, solltest du den jungen Fugal heiraten, du erst recht im Auge des Throns stehen wirst. Du darfst niemals auch nur ein Sterbenswort darüber von dir geben und du darfst vor allem nie wieder heilen. Wer weiß ob du damit nicht mehr Schaden anrichtest, als du behebst. Catherine, der König wird dich töten lassen. In der Sekunde, in der du ihm auffällst, wird er dich töten lassen.“
Catherine atmete tief durch. Ihre Mutter schien fertig zu sein mit dem, was sie loswerden hatte wollen, denn sie wandte sich erneut an ihre Arbeit.
Cat wusste nicht, wie sie mit dieser ganzen Information fertig werden sollte. Sie fühlte sich nicht gut, denn Übelkeit hatte sich in ihre Knochen geschlichen. Normalerweise konnte sie mit diesem Gefühl umgehen, aber gerade eben bräuchte sie dringend einen Stuhl um sich zu stabilisieren.
Ihre Mutter ließ sie sich entfernen und so stolperte Cat die Treppen nach oben und in ihre Zimmer. Das Bett schien eine noch bessere Lösung als der Stuhl zu sein und so setzte sich die junge Frau darauf. Dabei strich sie gedankenverloren ihr Kleid gerade.
Gedanken kämpften um ihre Aufmerksamkeit und sie wusste nicht, was sie von den Sorgen ihrer Mutter halten sollte.
Jemanden töten? Konnte sie das überhaupt?
Daran hatte sie noch nie gedacht und sie hatte es dementsprechend niemals ausprobiert. Sie wusste, dass sie ihre eigene Energie zum Heilen hergab. Je größer die Verletzung, desto schwächer fühlte sie sich danach. Einmal war sie sogar so weit gegangen, dass sie ihn Ohnmacht gefallen war. Der Mann, der so gut wie tot gewesen war, hatte überlebt und ihr Vater war zum Wunderheiler erkoren worden. Das war er mit Sicherheit auch, denn er kannte mehr Rezepturen als alle anderen Heiler und konnte mit seiner Gabe genau bestimmen, was einem, vielleicht auch ohnmächtigen, Opfer einer Krankheit fehlte. Doch nur durch Catherine waren in den letzten Jahren von all den Patienten nur drei verstorben.
Sie würde niemals versuchen jemanden zu töten! Sie war in einem Haushalt groß geworden, in dem geheilt wurde; egal ob Verbrecher oder Nobelmann. Niemals hatte ihr Vater Gift zugemischt und verkauft, obwohl sie sich sicher war, dass er auch das konnte.
Catherine knetete ihre Finger ineinander. Verzweifelt sah sie sich um, ohne wirklich irgendetwas zu betrachten. Sie fühlte ihre Energie prasseln und überlegte wie lang es bereits her war, dass sie das letzte Mal eine größere Verletzung geheilt hatte. Seit sie elf Jahre alt gewesen war hatte sich ihre Gabe um das hundertfache gesteigert und sie wusste, dass da noch mehr ging.
Cat fühlte eine einzelne Träne ihre Wange herunter rollen. Sie strich sie ein wenig überrascht aus ihrem Gesicht. Dann räusperte sie sich; fühlte, dass es ihrem Magen wieder besser ging und stand auf. Sie wusste nicht, was ihr Leben ihr bringen würde, aber sie wusste, dass sie kein schlechter Mensch war und dass sie niemals auch nur daran denken würde, jemandem ernsthaft Schaden zuzufügen. Ihr war bewusst wo ihre Rolle als Frau und Jüngste des Heilers war und sie war sich sicher, dass sie eine gute Ehefrau und Mutter werden würde.
Worin sie sich jedoch ebenfalls sicher war, war dass sie ihre Gabe nicht würde aufgeben können. Für nichts und niemanden in dieser Welt.




2



Die Familie Fugal erreichte den Ort spät am Nachmittag. Sie waren langsam geritten um Lady Fugal zu schonen, die blass war und gequält wirkte. Durch ihre Schmerzen aß und trank sie wenig und blieb meist den gesamten Tag über in ihrem Bett. Die Strapazen der Reise waren ihr jedenfalls deutlich anzusehen und ihre Söhne mussten ihr vom Pferd helfen, auf das sie wahrscheinlich auch nicht alleine gekommen war.
Catherines Vater reiste nur, wenn jemand auch wirklich im Sterben lag. Er war stolz auf seine Gabe und befand, dass jene, die ihrer bedurften, auch zu ihm kommen mussten. Allein für die königliche Familie würde er wahrscheinlich alles stehen und liegen lassen.
Catherine hatte sich mittlerweile gefangen und hatte ihre Haare doch noch in leichten Zöpfen ganz trocknen lassen, weshalb sie ihr wellig auf die Schultern fielen. Das Kleid hatte sie so gut es ging geschont und auch die Schuhe waren frisch poliert.
Ihre Mutter begrüßte das Gefolge herzlich und lächelnd und wies ein Nachbarskind an, Brot und Milch unter den mitgereisten Soldaten zu verteilen. Catherines Vater und Bruder waren inzwischen ebenfalls auf die Ankunft der Gäste aufmerksam geworden und traten aus dem Haus heraus, beide in ihre besten Heilergewänder gehüllt.
Catherine hatte sich im Hintergrund gehalten und das getan, was ihr beigebracht worden war; auf den Boden zu sehen und so zu tun, als sei sie unsichtbar. Dennoch hatte sie sich einen Blick auf die Fugals erlaubt, vor allem auf Lady Fugal und sie war besorgt über den Zustand, in dem die ältere Frau zu sein schien.
Ihr nachgestelltes Interesse galt den beiden Söhnen, die mitgereist waren. Sie würdigten ihr keines Blickes und so konnte sie ihre Gesichter genauer betrachten.
Es schien keinen großen Altersunterschied zu geben und sie fragte sich, welcher der Beiden wohl der jüngere war. Beide waren sie groß und beide hatten sie ähnliche Gesichtszüge, obwohl die Kinnlinie des einen ausgeprägter war und auch die Nase markanter. Sie versuchte gerade zu ermessen, wessen Haar dunkler war, als sich einer der Beiden zu ihr umwandte. Sein Blick war bohrend und berechnend und er schien auch etwas erstaunt, dass sie ihn so unverhohlen angesehen hatte. Natürlich senkte Cat schnell ihre Augen, doch ihr war nicht entgangen, dass die Seinen sich amüsiert verengt hatten. Sie fand, dass das nicht ganz fair gewesen war, aber sie musste sich dennoch ein Lächeln verkneifen.
Da Catherine von keinem den Namen wusste und auch sonst wenig fand, was sie körperlich unterschied, verschob sie die Analyse und die vorehelichen Gedanken, die sich in ihren Kopf geschlichen hatten, nun ganz nach hinten.
Die Gesellschaft schritt Richtung Haus und sie folgte, schweigend.

Während ihre Mutter das Essen zubereitete, trat Catherine in den Behandlungsraum. Erstens würde ihr Vater sie eventuell brauchen und zweitens wollte sie herausfinden, was Lady Fugal fehlte. Sie tat das, was sie auch sonst tat, wenn sie assistierte. Sie wusch sich die Hände und richtete her, was man eventuell brauchen könnte. Noch war der Raum leer, denn die Herrschaften hatte erst ihre Reisegewänder ablegen wollen und so machte sich Cat schon einmal daran, das Feuer im Kamin zu entfachen und Wasser darüber zu kochen. Warmes Wasser brauchte man immer, auch wenn es nur dafür gebraucht würde um Tee zu kochen.
Catherine versuchte dann stirnrunzelnd einen Fleck zu entfernen, der sich in das Laken geschlichen hatte, das sie immer über den Behandlungstisch legten. Sie seufzte, als er sich nur tiefer eingrub und entschied dann, es einfach umzudrehen.
Sie übersah dabei, dass eine Schüssel am anderen Ende des Tisches stand und als sie ruckartig am Laken zog, klirrte diese laut, als sie zu Boden fiel. Catherine zog scharf die Luft ein und hörte aufmerksam auf, ob jemand das Geräusch gehört hatte. Als keine kreischende Mutter angerannt kam, atmete sie tief durch und besah sich den Schaden. Die Schüssel hatte einen Sprung, war aber ansonsten noch heil. Bewundernd hob Catherine das Teil hoch und stellte es rasch wieder zurück auf seinen Platz als sie Schritte hörte. Der Fleck war für den Moment vergessen und sie drehte sich schnell umher um irgendetwas zu suchen, mit dem sie extrem beschäftigt sein könnte.

Catherines Bruder trat ein und bemerkte seine Schwester. Sie sah die Sorgenfalte, die sich auf seine Stirn geschlichen hatte. Wahrscheinlich hatte er Lady Fugals Hand geschüttelt um einen flüchtigen Eindruck zu erhaschen, was ihr fehlen könnte.
„Also?“ fragte Catherine. Sie assistierte bereits so lange, dass ihr Bruder aufgegeben hatte ihr wegen ihres Geschlechtes nichts zu erzählen. Zwar besprach er alles auch lieber mit ihrem Vater, doch er befand, dass sie oftmals einen scharfen Verstand besaß und Dinge auch von einem weiblichen Standpunkt betrachten konnte.
Es schmerzte Catherine immer wieder, dass sie nicht im Stande war ihm zu sagen, dass sie das Gleiche fühlte wie er und vor allem, dass sie besser war, dass sie wirklich heilen konnte.
Leon streckte seine Hand aus und fuhr ihr liebevoll über die Wange. Auch er wusste von den Plänen seiner Mutter und es betrübte ihn, dass seine jüngste Schwester nun auch zur Ehefrau werden würde und er dann ganz allein sein würde.
Er seufzte und schüttelte den Kopf.
„Sie ist sehr schwach. Es ist, was ich befürchtet hatte. Eine Schwellung des Gehirns. Ich bin überrascht, dass sie es bis hierher geschafft hat.“ Seine Art, mit der er diese Worte sprach, ließ Catherine innerlich zusammensinken. Wenn ihr Bruder so davon überzeugt war, dass er Lady Fugal nicht helfen konnte, dann würde eine weitere Wunderheilung – vor allem jetzt, da Cat wusste, was sie wusste – mehr auffallen als jemals zuvor. Sie hatte wenige Möglichkeiten. Entweder, sie schaffte es, Lady Fugal soweit zu heilen, bevor ihr Vater sie berührte, damit es beiden eventuell so vorkommen könnte, dass Leon sich bei seiner ersten Diagnose vertan hatte oder sie riskierte eine weitere Wunderheilung... oder aber, und dieser Gedanke kam ihr unaussprechlich vor, sie ließ die Frau sterben.
Niemals hatte sie solche Gedanken gehabt und sie musste sich am Tisch festhalten um die Übelkeit, die sich durch ihre Knochen schob, nicht überhand nehmen zu lassen. Sie hätte sich niemals gedacht, dass sie ihre Kräfte einmal nicht einsetzen würde; nur um nicht zu riskieren, dass ihr Geheimnis herauskam. Verdammt, warum hatte ihre Mutter ihr ausgerechnet heute sagen müssen, dass sie alle unter Beobachtung standen!?
Cats Bruder deutete ihren Schwächeanfall wohl falsch, denn er seufzte frustriert auf.
„Du willst unbedingt heiraten nicht wahr? Und du willst reich heiraten! Sind wir dir nicht gut genug? Willst du in eine noble Familie einheiraten? Ist es das was du willst? Wahrscheinlich nehmen sie dich auch, wenn wir Lady Fugal ein paar schmerzfreie Tage bescheren können! Oder wer weiß, vielleicht geschieht ja auch ein Wunder!“
Er drehte sich um und stürmte aus dem Raum, bevor Catherine auch nur einen einzigen Ton herausbringen konnte. Er verstand sie völlig falsch! Doch sie konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Sie hatte ihm niemals gesagt, was sie für ihn, ihren Vater und all die Patienten tat. Er wusste mit Sicherheit nicht einmal etwas von Sonia.
Catherine schluchzte trocken auf. Sie wollte so nicht weiterleben! Sie fühlte sich, als habe man ihr in den Magen getreten. Und die verdammte Übelkeit wich auch nicht.
Catherine zitterte heftig, schaffte es aber doch irgendwie nach draußen. Sie umrundete die Soldaten, die ihre Zelte im Hof aufgeschlagen hatten. Der Stall war der einzige Ort, an dem sie sonst ein wenig Erleichterung finden konnte, doch heute waren so viele extra Pferde dort untergebracht und Sättel verstaut, dass sie kaum zu Veritas durchkam. Ihre Stute begrüßte sie aufgeregt.
„Na, meine Schöne? So viele neue Freunde für dich, nicht wahr?“ Catherine lächelte schwach. Sie fuhr über den Haupt des Tieres und beruhigte sich damit selbst ein wenig.
„Was soll ich nur machen, Veritas? Wenn mein Vater sich ebenfalls so sicher ist wie Leon, dass Lady Fugal nicht gerettet werden kann, dann müsste ich es tun und... ach je, du weißt ja noch gar nicht was mir Mutter erzählt hat! Ich sags dir später, aber es ist so verdammt ungerecht! Ich bin kein schlechter Mensch und ich habe schon so vielen Leuten das Leben gerettet! Du weißt, dass ich das mache, weil ich es möchte, weil ich es als meine Pflicht sehe... Ich weiß nicht was ich tun soll... Ich könnte sie wahrscheinlich heilen, aber wenn ich das tue, werden sich die tollen Noblen daran erinnern, dass es eine Sonia gab und sie werden mich mitnehmen. Sie werden mich zwingen zu zeigen, dass ich jemanden verletzen kann... Ich weiß nicht einmal ob ich das kann und dann werden sie mich töten.“
Catherine hatte angefangen zu weinen. Die Tränen rollten von ihren Wangen und sie schluchzte heftig.
Sie wäre gerne stärker, würde lieber genau wissen, was sie eigentlich wollte. Sie war in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass sie eine Frau war und außerdem die Jüngste. Noch dazu hatte sie immer gewusst, dass sie ein Geheimnis hüten musste, dass sie mehr konnte, als sie durfte.
Sie wusste, dass sie heiraten und Kinder kriegen würde und das wollte sie auch irgendwann. Eine Familie zu gründen war genau das, was sie in ihrer Zukunft sah, aber sie wollte keine Aussätzige in ihrem eigenen Heim sein. Sie wollte nicht das Gefühl haben, dass sie beobachtet wurde, dass man sich fragte, ob sie irgendetwas an ihre Kinder weitergegeben hatte. Und was wenn doch? Was, wenn ihre Fähigkeit vererbt würde!? Was wenn man sie dann dazu zwang das Kind herzugeben?
Die Wahrheit war, dass sie sich nie mit diesen Möglichkeiten ihrer Zukunft beschäftigt hatte. Sie hatte nicht daran gedacht, dass sie gefährlich war. Und erst jetzt verstand sie, wieso ihre Mutter damals so harsch gewesen war, dass sie das Gefühl gehabt hatte, dass ihre Mutter sie härter bestrafte, sie weniger umarmte und seltener ansprach als ihre Geschwister. Es war einfach die Wahrheit gewesen. Sie hatte sich innerlich abgekapselt als ihr bewusst geworden war, dass ihre Jüngste ihr jederzeit genommen werden könnte.
Der eben versiegte Tränenstrom begann von neuem. Catherine versuchte die Schluchzer mit einer Hand zu unterdrücken, doch sie kamen nur umso erstickter aus ihrer Kehle.
Veritas blieb ruhig als spüre sie genau, dass sie für Cat wichtig war.
Es vergingen sicher mehr als 30 Minuten bevor sich die junge Frau so sehr fassen konnte, dass sie sich zutraute nicht mehr in Tränen auszubrechen, wenn sie ihrer Familie gegenüberstand. Sie war sich im Klaren darüber, dass ihre Chance vertan war, Lady Fugal zu heilen bevor ihr Vater sie berührte, doch sie hatte sowieso nicht daran geglaubt, dass ihr das helfen würde.

Die junge Frau atmete tief durch. Sie warf ihre Haare nach hinten und trat aus dem Stall heraus. Der Abend war hereingebrochen, Feuer entfacht. Sie war sich der Blicke bewusst, die sich in ihren Rücken bohrten als sie in das Haus trat und sie versuchte ihre Schritte so zu setzen, dass sie selbstbewusst und erwachsen wirkte.
Sie sah ihre Mutter in der Küche und beschloss sich zu der einzigen Person zu gesellen, die ihre Fähigkeit, wenn auch nicht ihre Gefühle kannte.
Die ältere Frau würdigte ihr nur eines kurzen Blickes, der dazu bestimmt war, ihr zu sagen, dass sie nicht mehr ganz so frisch aussah, wie sie es vielleicht sollte.
Catherine war sich bewusst, dass sie nach Pferd roch und auch, dass ihre Augen vom Weinen gerötet sein mussten. Ihr war außerdem klar, dass sie mit Sicherheit viel mehr hätte helfen müssen.
Die restliche Arbeit war schnell erledigt und das Essen gekocht. Die Gäste wurden herbei geholt und um den Tisch gesetzt. Cats Vater und Bruder gesellten sich zu ihnen, während sie und ihre Mutter das gekochte Essen servierten. Sie waren Frauen und blieben daher im Hintergrund. Die einzigen Frauen, die am Tisch sitzen durften, waren die Ehefrauen und Töchter der Noblen und Reichen. So war es immer schon gewesen.
Seit ihre letzte Schwester ausgezogen war, war es beim Essen einsam gewesen, denn ihre Mutter setzte sich niemals hin. Sie war zu beschäftigt damit, eine Soße umzurühren oder eine Suppe zu würzen. Nun dachte sich Catherine, dass ihre Mutter ihr vielleicht immer absichtlich aus dem Weg gegangen war um zu vermeiden, dass sie Mutter-Tochter Gespräche führten. Das tat weh.
Catherine kam heute jedoch kaum zum Essen, denn ihre Mutter scheuchte sie immer wieder auf und verlangte, sie solle den Gästen noch einmal nachschenken, fragen ob denn alles in Ordnung sei und dem jüngeren Bruder schöne Augen machen.
Bisher jedoch hatte Cat immer noch keine Ahnung, welcher der Beiden denn eigentlich der jüngere war. Sie wollte einen guten Eindruck machen, denn sie wusste auch, dass sie als Jüngste eines Heilers niemals einen besseren Ehemann abbekommen würde. Natürlich hatte sie sich gewünscht das zu fühlen, was ihre Schwester Mia beschrieben hatte; Schmetterlinge im Bauch und unbändige Freude, aber auch Schüchternheit wann immer er sie ansah. Mia hatte erst vor wenigen Monaten geheiratet. Er hatte sie endlich nach seinem Wehrdienst gefragt. Sie hätten schon früher den Bund der Ehe geschlossen, wenn er nicht gefürchtet hätte, eventuell nicht mehr zurück zu kommen. Manchmal starben die jungen Männer im Dienst. Manchmal verschwanden sie einfach.
Mia war es schrecklich gegangen. Sie hatte wenig gegessen und jeden Tag auf eine Nachricht gewartet.
Catherine konnte sich nicht vorstellen, jemals so etwas zu empfinden, doch sie hätte es sich gewünscht. Stattdessen sah sie ihr weiteres Leben undeutlich vor sich. Als noble Frau? Als Gejagte?
Sie schüttelte sich innerlich, setzte ein Lächeln auf und trat wieder in den Speiseraum, wo das Gespräch verstummte, als man sie erblickte.
Cat wurde rot als sie alle anstarrten. Sie spürte ihren Herzschlag schneller werden. Sie hatte sich nicht verraten! Mit Sicherheit nicht!
„Da ist ja meine Schöne!“ sagte ihr Vater in die Stille hinein. Sein Lächeln spiegelte sich auch in den Gesichtern des Lords und der Lady wieder. Diese sah bereits ein wenig besser aus; sicher hatte Cats Vater ihr einen Trunk bereitet, der ihre Schmerzen linderte. Catherine riss sich schnell zusammen. Wieso lächelten sie alle so merkwürdig?
Sie versuchte ein unsicheres Lächeln zu fabrizieren, doch sie fürchtete, sie sah eher ängstlich aus.
Leon blickte finster und auch die zwei mitgereisten Söhne wirkten nicht besonders glücklich.
Was ging hier vor sich?
„Komm mein Schatz, komm, setz dich zu uns. Es gibt etwas zu Feiern!“ Beinahe unsanft wurde sie von ihrer Mutter, die hinter ihr aufgetaucht war, in Richtung Tisch geschoben. Ein Stuhl wurde herbeigeschafft und Catherine setzte sich. Das Lächeln auf ihren Lippen wirkte immer noch unsicher, doch sie ahnte bereits, was vor sich ging.
Ihr Geheimnis jedenfalls war mit Sicherheit nicht herausgekommen. Das konnte nur eines heißen; dass sie ihrem zukünftigen Ehemann übergeben würde.
Übelkeit überkam sie. An diesem Tag hatte sie so viel erfahren und war so unheimlich überfordert worden, dass sie das Unwohlsein, das sie täglich spürte, nicht wirklich unterdrücken konnte.
Doch Catherine hatte, dem Himmel sei dank, mittlerweile genügend Kontrolle über ihren Körper um sich nichts anmerken zu lassen und so blickte sie fragend in die Augen ihres Vaters.
„Meine Tochter,“ begann der ältere Mann, gefolgt von einer eindrucksvollen Pause, „Lord Mathieu Fugal, Jüngster der Linie Fugal, Erbe des Folea Anwesens und König Finio treu ergeben, erbittet deine Hand in dem von König Finio gesegneten Bund der Ehe.“
Catherine hatte es kommen sehen, doch ihr Körper spielte nicht ganz mit und ihr Lächeln rutschte aus ihrem Gesicht. Sie spürte, dass sie blass wurde und sie fühlte, dass ihre Hände zu zittern begonnen hatten.
Schnell riss sie sich zusammen und zauberte eine Art Lächeln auf ihre Lippen. Sie drehte sich zu den Anwesenden. Ihre Eltern strahlten. Ihre Mutter wahrscheinlich auch, weil sie sie endlich los war. Leon, ihre Bruder starrte nur auf seinen Teller. Er fühlte sich wahrscheinlich gekränkt und ein wenig verlassen. Sie würde nachher mit ihm reden müssen. Neben ihm saß einer der Söhne des Lords. Ihr kam der Gedanke, dass sie immer noch nicht wusste, wen sie denn jetzt eigentlich heiraten würde, doch sie beruhigte sich, als der eine sie freundlich ansah – übrigens der, der sie bei der Ankunft beim Starren erwischt hatte – und der andere eher teilnahmslos wirkte.
Catherine lächelte daraufhin Lord und Lady Fugal an und legte geschwind Worte zurecht, die sie als Antwort geben würde, denn man sah sie bereits mehr als erwartungsvoll an.
„Lords und Lady Fugal, liebe Eltern, lieber Bruder“ ihr Mund war trocken und sie versuchte zu schlucken. Ihre Nägel hatten sich in ihre Handflächen gebohrt um ihre Hände davon abzuhalten zu zittern.
„Niemals hätte ich ein solch großzügiges Angebot erwartet und ich bin mehr als glücklich, sagen zu können, dass ich meine Hand natürlich Lord Mathieu Fugal reichen werde.“ Sie atmete tief aus und war froh, das zumindest hinter sich zu haben, selbst wenn es etwas holprig geklungen hatte. Sie lächelte Mathieu an und der grinste zurück.
Plötzlich jedoch meldete sich der andere Bruder zu Wort: „Darf ich ein Wort mit meiner zukünftigen Braut sprechen?“ Verwirrt blickte Catherine von einem zu anderen. Hatte sie sich vertan? War der, den diese gesamte Situation mehr als zu langweilen schien etwa ihr Bräutigam? Wieder verrutschte ihr Lächeln, doch wenigstens war sie diesmal nicht alleine. Alle Anwesenden tauschten Blicke aus.
„Natürlich Mathieu, doch vergiss nicht, dass ihr noch nicht verheiratet seid!“ Lord Fugal versuchte die Stimmung ein wenig aufzulockern und auch als das nicht wirklich gelang, versuchte man, auf andere Gesprächsthemen zu kommen. Der, der nun wirklich Mathieu zu sein schien, stand auf, trat um den Tisch herum und hielt seine Hand auf, die Catherine höflich ergriff.
Sie fühlte sich kalt an und Cat musste sich konzentrieren um einen freundlichen Gesichtsausdruck zu bewahren. Was würde denn nun schon wieder kommen?

Die Beiden traten in den Behandlungsraum. Eine kluge Entscheidung, denn hier würden sie von niemandem überhört werden.
„Catherine nicht wahr?“ fragte Mathieu, jedoch ohne eine Antwort zu erwarten.
„Du scheinst ein nettes Mädchen zu sein und ich denke, du wirst dich bereits darauf freuen in eine noble Familie einzuheiraten, doch gibt es da etwas, das ich dir sagen muss, bevor du zusagst, meine Frau zu werden.“
Catherine gab es auf zu lächeln. Sie fühlte sich schwach und ausgelaugt, als habe sie gerade eine Ganzkörperheilung durchgeführt. Heute war wohl wirklich nicht ihr Tag.
„Ich werde dich heiraten, denn meine Eltern verlangen es, doch ich werde dich nicht lieben und ich fürchte, wir werden auch keine Kinder bekommen, es sei denn du nimmst dir einen Geliebten, was dein gutes Recht sein wird.“
Was? Sie musste sich verhört haben. Catherine musste lachen, sie presste sich eine Hand vor den Mund, doch konnte den Schwall, der sich durch ihren Körper bahnte nicht stoppen. Sie lachte hysterisch weiter, krümmte sich und wischte sich in der nächsten Sekunde die Tränen aus den Augen. Mathieu sah sie überrascht und verwirrt an. Mit so einer Reaktion hatte er sicherlich nicht gerechnet.
Catherine streckte die Hand nach ihm aus und er nahm sie. Sie stabilisierte sich ein wenig und atmete tief durch. Ihre Haare hingen ihr ein wenig wirr ins Gesicht und auch sonst sah sie mit Sicherheit nicht mehr besonders toll aus, doch sie fühlte sich viel besser.
„Alles in Ordnung?“ fragte Mathieu. Seine Augen strahlten eine wärmende Freundlichkeit aus, die sie vorher nicht bemerkt hatte.
Im Grunde musste sie erst all das verarbeiten, was sie im Laufe des Tages erfahren hatte. Erst dass sie zum Tode verurteilt würde, wenn sie ihre Gabe preisgab, dann dass sie in eine noble Familie einheiraten würde und nun, dass sie jemanden heiraten sollte, der ihr bereits jetzt sagte, dass er das Bett nicht mit ihr teilen würde.
Sie sollte wohl froh darüber sein. Irgendwie.
„Mir geht es gut, es tut mir Leid,“ Sie richtete sich zu einer Statur auf, die sie selbst als Stolz bezeichnen würde und sah ihm in die Augen.
„Lord Fugal, ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit, obwohl ich sie nicht ganz verstehe. Meine und Eure Eltern haben beschlossen, dass ich Euch heiraten werde und das werde ich auch tun.“ Wieder war sie sich der Holprigkeit bewusst, mit der sie diese Sätze geformt hatte.
Wollte sie das denn? Wollte sie einen Mann heiraten, der sie anscheinend abstoßend fand? Der das Bett nicht mit ihr teilen wollte und ihr keine Kinder schenken wollte, ihr aber in dem gleichen Satz erlaubt hatte, sich einen Liebhaber zu suchen.
Ein beunruhigender Gedanke kam ihr. Was, wenn er nicht wollte, dass seine Kinder ihre Gene trugen? Ihr Vermächtnis? Was, wenn er Angst hatte, dass seine Kinder so würden wie Sonia?
Tapfer lächelte Catherine durch diesen Schleier an deprimierenden Gedankensträngen.
Mathieu nickte. Er wirkte nicht besonders glücklich über ihre Antwort, aber als habe er nichts anderes erwartet. Sie würden ihre Eltern nicht beschämen. Egal, wie sie sich dabei fühlten.




3



Die nächsten Tage vergingen wie im Rausch. Es war zu erwarten gewesen, dass Catherines Vater Lady Fugal nicht würde heilen können und ihr nur eine Linderung verschaffen konnte. Somit war höchste Eile geboten, was die Hochzeit betraf, denn Lady Fugal wollte diese unbedingt noch miterleben.
Catherine war sich immer noch nicht ganz klar, weshalb eine so noble Familie überhaupt beschlossen hatte, dass ihr Sohn eine Heilerstochter heiraten musste. Dieser Gedanke war ihr erst nach ihrem Gespräch mit Mathieu gekommen und doch ließ er sie nicht mehr los. Dankbarkeit konnte es doch nun wirklich nicht sein, denn Lady Fugal würde sterben. Eher früher als später. Natürlich nur, wenn Catherine nichts dagegen unternahm.
Sie hatte sich bisher nicht dazu durchringen können eine Entscheidung zu treffen. Je länger sie wartete, desto auffälliger würde eine Heilung wirken. Doch wenn sie sie jetzt heilte, dann... dann was? Würde die Hochzeit verschoben werden? Würde man skeptische Befragungen durchführen?
Sie hatte einfach Angst. Angst zu König Finio geschickt zu werden, Angst vor den Gedanken an Sonia und vielleicht auch Angst vor ihrer Gabe. Was, wenn sie sie unabsichtlich tötete?
Soweit sie wusste, hatte sie bisher noch keinen Schaden zugefügt. Jedoch dachte sie oft daran, dass sie nun ungefähr in dem Alter sein musste, in dem Sonia gewesen war. Sie wusste, dass ihre Mutter mit 16 geheiratet hatte und dass Sonia zwei Jahre älter gewesen war. Die logische Schlussfolgerung war, dass Sonia ihren Vater vor der Hochzeit ihrer Schwester ermordet hatte, denn soweit Cat wusste, hatte der Bruder ihrer Mutter sie zum Altar geführt.
Sie ärgerte sich ein wenig, dass sie nie über diesen Umstand nachgedacht hatte. Vielleicht hätte sie mit ein paar gezielten Fragen all das früher erfahren, womit sie nun so zu kämpfen hatte.

Der Tag der Abreise rückte immer näher und Catherine hätte gerne noch einmal mit Mathieu geredet. Ihm Fragen zu seinem Anwesen gestellt, ihn besser kennen gelernt, doch die jungen Fugals waren zu sehr damit beschäftigt ihre Pferde über die Felder zu hetzen und den ein oder anderen Hirschen zu erlegen. Sie schienen großen Spaß zu haben und Abends, wenn sie zurückkamen, ignorierten sie Catherine völlig. Als müssten sie sich noch früh genug mit ihr auseinander setzen.
Catherine durchlebte eine Vielzahl an Gefühlen. Meistens war sie aufgewühlt und zappelig, wenn sie im gleichen Raum wie ihr Bräutigam war, dann war sie gekränkt und verletzt so ignoriert zu werden. Ihre Mutter scheuchte sie von früh Morgens bis spät Abends umher, Catherine packte und fing an zu weinen oder aber sie malte sich ihr Leben als Herrin eines Anwesens aus.
Dann beschloss sie, ihre Probleme vor sich hin zu schieben und so tat sie das, was ihr am Besten vorkam; sie konzentrierte sich darauf nichts zu vergessen und ihre Zimmer in einem ordentlichen Zustand zurück zu lassen.
Ihre Mutter sprach ihre Schwester nicht mehr an und auch Catherine hatte kein großes Bedürfnis noch mehr darüber zu erfahren was ihr passieren würde, wenn sie erwischt würde...

Catherine hatte immer noch nicht richtig realisiert, dass sie in wenigen Tagen heiraten würde. Ihre Geschwister waren alle gekommen um sie zu verabschieden. Alle außer Joachim, der jedoch seine Grüße und Glückwünsche ausrichten ließ.
Cat hatte keine Gelegenheit gehabt mit Leon zu reden, denn dieser war ihr völlig aus dem Weg gegangen, weshalb sie sich wiederum schuldig fühlte, da sie sich eventuell mehr hätte anstrengen müssen.
Die Trauung würde im Zentrum des Aufgabenbereiches der Fugals, in der Fugalhauptstadt Funai stattfinden. Der Repräsentant des Königs sie aneinander binden. Ihre Eltern würden sie nicht begleiten.
Catherine hatte das erwartet. Erstens, weil sie sich mittlerweile sicher war, dass ihre Mutter sie wirklich loswerden wollte und Zweitens, weil ihr Vater seine Patienten nicht zurücklassen konnte.
Dass jedoch auch Leon keine Anstalten gemacht hatte mitzureisen, versetzte ihr dennoch einen Stich. Normalerweise musste immer ein männliches Familienmitglied eine Tochter, Schwester oder Kusine in die Verantwortung des Bräutigams übergeben, doch man hatte ihr gesagt, dass ein entfernter Verwandter in Funai lebte und daher das Protokoll eingehalten werden könnte, auch ohne der Mitreise eines direkten Verwandten.
Ihre gepackte Kiste würde ihr mit einigen anderen Habseligkeiten in einer Transportkutsche folgen. Das hieß jedoch, dass sie zumindest einen Tag lang ohne diese Dinge auskommen musste. Sie packte daher die wichtigsten Utensilien, vor allem die, die sie für die Reise und dann danach zum Waschen brauchte, in die Satteltaschen.
Veritas schien aufgeregt zu sein endlich wieder richtig geritten zu werden und außerdem verstand sie sich gut mit den anderen Pferden, weshalb sie keine Zicken machte, als sie zu ihnen geführt und gesattelt wurde.
Catherines letzter Blick galt ihrem Zuhause. Dem Ort, an dem sie geboren und aufgewachsen war. Sie würde das Dorf vermissen, sie würde ihr Zimmer vermissen und vor allem würde sie ihren Bruder vermissen. Als sie ihre Familie zum letzten Mal umarmte fiel ihr wieder auf, dass Leon nicht da war. Es traten Tränen in ihre Augen, die ihre anderen Geschwister falsch deuteten und ihr so Mut zu machen begannen. Sie winkte diese Versuche so freundlich es ging ab und stieg auf Veritas. Das Gefühl auf einem Pferd zu sitzen vertrieb einige der düsteren Gedanken beinahe und sie winkte ihrer großen Familie noch einmal zu. Es würde etliche Zeit dauern, bis sie sie besuchen kommen könnte.
Die Prozedur setzte sich in Bewegung, mit Catherine hinter den Fugals, allerdings vor den hinteren Soldaten. Ihr zukünftiger Mann hatte sie nur kurz gegrüßt, als sie sich zufällig in der Früh in die Arme gelaufen waren.
Ein wenig frustriert mit der gesamten Situation hatte sie keine große Lust mit irgendjemandem zu reden, was wahrscheinlich auch nicht funktioniert hätte, denn niemand außer den Brüdern schien sich zu unterhalten. Die Soldaten schwiegen eisern und auch Lord und Lady Fugal hingen ihren eigenen Gedanken nach.
Die Straße, die sie entlang ritten war Catherine noch bekannt, doch nach einem kurzen Zwischenstopp um Lady Fugal eine Möglichkeit zum rasten und der Gefolgschaft zu essen zu geben, merkte Cat plötzlich, dass sie eine Grenze überschritten hatte. So weit von Zuhause war sie noch nie gewesen.
Ein mulmiges Gefühl setzte ein und die junge Frau wusste nicht wirklich, wie sie damit umgehen sollte.
Weil ihr dann jedoch doch langweilig wurde und sie ihren eigenen Gedanken nachging versuchte sie sich daran zu erinnern, was sie alles über das Land, in dem sie lebte, über Finiens wusste.
Ihr Geschichts- und Geographieunterricht war eher sporadisch erfolgt. Da sie die Jüngste war, war es ihr Vater Leid gewesen, sie und ihre um zwei Jahre ältere Schwester Mia in der Tiefe zu unterrichten, in der er seine Söhne und die Älteste Schwester unterrichtet hatte. Wären sie ebenfalls Söhne gewesen, dann hätten sie wahrscheinlich einen ausgewogenen Unterricht erhalten.
Jedenfalls wusste Catherine, dass Finiens von König Finio regiert wurde. Das Reich war unterteilt in Lordschaften, wobei jede noble Familie eine Lordschaft regierte. Sie alle waren jedoch dem König unterstellt.
Die Hauptstadt der Fugallordschaft war Funai. In jeder Hauptstadt residierte ein Vertreter des Königs, der Hochzeiten und Verurteilungen vornahm. Bei Ausnahmefällen wurde jedoch in die Reichshauptstadt gefahren um König Finio selbst zu befragen.
Das gesamte Reich war in ungefähr zwanzig Lordschaften aufgeteilt. Das kam Catherine riesig vor und sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass sie jemals in ihrem Leben auch nur drei Lordschaften zu Gesicht bekommen würde.
Sie selbst war in der Farenlordschaft aufgewachsen, allerdings stellte ihre Familie eine Ausnahme dar, weswegen sie keine Erlaubnis Lord Farens einholen mussten, bevor sie in eine andere Lordschaft einheiraten konnten.
Ihre Geschwister waren alle in der Lordschaft geblieben. Der Gedanke kam ihr plötzlich und unvermittelt. Sie würde die erste sein, die woanders lebte.
Ein lauter Ruf ließ sie aufhorchen. Sie drehte sich auf Veritas um um zu sehen, was denn passiert sei und sah einen heranpreschenden Reiter, der die Hand gehoben hatte.
Verwirrt registrierte sie die Verwunderung der Soldaten, dann deren Abwehrhaltung.
Mittlerweile hatten sich alle Mitglieder der Prozedur herumgedreht und die Pferde waren angehalten worden. In der Sekunde in der der Reiter sein Pferd zum Stillstand brachte, erkannte Catherine ihren Bruder Leon.
Außer Atem grüßte er die Gesellschaft und wurde ohne zu Zögern von den Soldaten durchgelassen.
Catherine hatte ein strahlendes Lächeln auf ihren Lippen und streckte die Arme nach ihrem Bruder aus, der sie, unbeholfen, über zwei Pferderücken umarmte.
„Ich dachte du magst mich nicht mehr...“ flüsterte Cat. Tränen waren in ihre Augen gestiegen.
„Du bist so dumm, kleine Schwester. Ich war im Wald als ihr abgeritten seid. Ich musste noch Kräuter sammeln. Ich hätte wohl jemandem sagen sollen, dass ich dich zum Altar führen werde.“ Sein verschmitztes Lächeln brachte eine unendliche Ruhe in Catherines Körper. Er konnte das; sie fühlte sich in seiner Gegenwart immer viel besser als zuvor.
Sie lösten sich ganz voneinander und Leon schloss zu den Fugals auf um diese ebenfalls auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen.
Danach ritt er wieder neben ihr und Catherine hörte nicht mehr auf zu grinsen. Ihn würde sie mit Abstand am Meisten vermissen.
„Weißt du,“ sie sprach so leise, dass nur Leon sie hören konnte, „Ich hatte gar nicht vor zu heiraten. Nicht so schnell jedenfalls... Ich weiß gar nicht was ich hier tue.“
Ihre Sorgen kamen ein wenig zum Vorschein.
„Ich weiß. Ich habe völlig überreagiert, aber bei dem Gedanken, dass ich der Letzte bin... Ich habe eine verdammte Verpflichtung. Ich wünschte, ich hätte sie nicht.“
Cat nickte. Sie wusste, dass der Gedanke eine Frau zu haben für ihn Furcht erregend war. Er hatte sich nie für Mädchen interessiert. Viel eher waren es er und sein bester Freund gewesen, die man zusammen angetroffen hatte. Bevor dieser in den Militärdienst getreten war. Leon war am Boden zerstört gewesen. Er wäre ebenfalls gegangen, hätte er die Gabe nicht gehabt. So jedoch musste er seine Ausbildung abschließen, während sein Freund für König Finio Soldat spielte.
Soweit Catherine wusste, hatte bisher niemand die Vermutung laut ausgesprochen, die ihr selbst oft genug gekommen war. Es wäre keine Schande, doch Leon war der älteste Sohn und musste selbst einen Sohn bekommen. Er musste es, denn sonst würde die Heilerlinie aussterben.

Catherine reichte ihrem Bruder die Hand. Er nahm sie und lächelte sie schwach an. Die Pferde schritten gleichmäßig voran, die Gesellschaft kam gut und gemütlich zu ihrem nächsten Halt und von da aus weiter zum Rand der Fugallordschaft. Sie waren gut zehn Stunden geritten und alle waren erschöpft. Obwohl Cat gerne ritt, war sie niemals mehr als zwei Stunden auf einem Pferd gesessen und als sie für die Nacht an einer Raststelle anhielten, fiel sie beinahe vom Sattel. Ihre Muskeln schmerzten und ihre Reisegewänder saßen auch nicht mehr wie sie sollten. Sie war froh endlich ein wenig gehen zu können und erleichtert, als Stalljungen ihnen die Pferde abnahmen. Sie versprach Veritas nachher zu ihr zu kommen und sie endlich auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen und folgte dann den Fugals und ihrem Bruder in das große Haus, das nur für sie von anderen Gästen geräumt worden war.
Es war ihr unangenehm so viele fremde Menschen um sich zu haben und nach dem Essen entschuldigte sie sich schnell.
Ihr Weg führte sie auf raschem Schritte zum Stall und sie verbrachte etliche Stunden dort, bevor sie, nun wirklich erschöpft, in ihr Bett fiel.

Am nächsten Tag ging es weiter Richtung Funai. Wieder sprach man nicht mit ihr und auch ihr Bruder bevorzugte nun die Gesellschaft ihres zukünftigen Ehemannes und dessen Bruders über ihre eigene. Catherine versuchte sich nicht gekränkt zu fühlen. Sie sollte es doch eigentlich gewohnt sein, als Jüngste und als Mädchen. Dennoch; dass sie wirklich alle ignorierten fand sie schrecklich. Auch dass ihre zukünftige Schwiegermutter sich bereits wieder schlechter fühlte, machte ihr zu Schaffen. Wie einfach es wäre, sie zu heilen!
Cat wusste, dass sie sich entscheiden musste. Eine Wunderheilung würde sie in Gefahr bringen. Sie war sich dessen so richtig bewusst, seit ihre Mutter ihr von Sonia erzählt hatte. Mit dem König spaßte man nicht und Catherine hatte richtige Angst, selbst wenn sie sich das nicht wirklich eingestand.

Das Land der Fugals unterschied sich nicht sehr von dem, in welchem Cat und Leon aufgewachsen waren. Leon selbst war bereits in der Reichshauptstadt gewesen. Er hatte dort seine Heilerprüfung mit Auszeichnung bestanden. Er hatte Cat und den anderen Geschwistern damals von Farben, Licht und freundlichen Menschen erzählt. Von Gebäuden, die vier Stockwerke hoch waren und vor allem vom Schloss, das so groß war, dass das ganze Dorf zehnmal hineingepasst hätte.
Cat konnte sich das nicht wirklich vorstellen. Das Haus ihres Vaters war bereits überdimensional groß und Catherine war sich sicher, dass kein anderes größer sein konnte. Zumindest nicht wenn nur eine Familie darin lebte.
Leon hatte außerdem von Straßenkünstlern erzählt; von Feuerspuckern und Jongleuren, die dabei noch auf einem Seil tanzen konnten. Das wollte Catherine unbedingt einmal sehen. Es klang fantastisch, aufregend und ein wenig gefährlich.
Allerdings wusste sie nicht ob sie sich freiwillig in die Stadt des Königs begeben wollte. Nicht nach dem, was sie erfahren hatte.

Eintönigkeit vermischte sich mit Langeweile und dehnte sich immer weiter aus. Ihre Gedanken wanderten zurück zu ihrem Zimmer, dann voraus zu einer möglichen Zukunft. Immer wieder malte sie sich aus wie ihre Ehe wohl verlaufen würde. Je mehr Catherine darüber nachdachte, desto unsicherer wurde sie sich ob sie jemanden heiraten sollte, der sein Desinteresse so vehement ausgedrückt hatte. Und der dem König so loyal war.
Vielleicht war der Befehl von weit oben gekommen. Weiter als sie es sich vorstellen konnte. Von einem Berater des Königs selbst. Um zu kontrollieren ob die vermeintlichen „Wunderheilungen“ wirklich nur Zufälle waren oder ob sie eine Spur in ihr neues Leben zogen.
Cat schluckte schwer. Die Sonne brannte ihr ins Genick und sie wusste nicht, ob sie etwas tun oder sagen sollte. Und vor allem, was sie tun oder sagen sollte.




4



Der Angriff erfolgte in sekundenschnelle. Bevor sich Catherine auch nur umdrehen konnte um zu sehen, woher die Schreie kamen, die plötzlich ausgestoßen worden waren, wurde sie bereits mit einem Hieb in die Seite aus dem Sattel gehoben.
Keuchend fiel sie zu Boden. Sie öffnete die Augen in einer Welle aus Panik und versuchte aufzustehen, doch der Tumult um ihr herum hatte die Pferde aufgeschreckt und Veritas stieg neben ihr hoch. So schnell sie konnte, rollte sich die junge Frau auf die Seite, rechtzeitig genug um nicht unter den Hufen ihres Pferdes begraben zu werden, die neben ihr niederkamen.
Es geschah wie in Zeitlupe. Schreie und klirrende Geräusche kamen an ihre Ohren und Catherine schluchzte hysterisch. Sie versuchte wieder aufzustehen, doch wurde von Neuem auf den Boden geschleudert. Diesmal von Leon, der ein Schwert gehoben hatte und auf eine Gestalt losging, die ebenfalls eine Waffe auf ihn richtete.
Vielleicht hatte sie seinen Namen geschrieen, vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet, doch Leon drehte sich flüchtig zu ihr um und wurde in dieser Sekunde von hinten niedergestreckt. Catherine schrie und schaffte es endlich hochzukommen. Sie lief zu ihrem Bruder, schnappte sich in einer Geisteseingebung seinen Arm und versuchte, ihn so weit wie möglich von dem Kampf wegzuschleifen. Sie hatte keine Zeit über die Kraft erstaunt zu sein, die sie aufbegehren konnte und das einzige, auf das sie sich konzentrieren konnte, war ihren Bruder wegzubringen.
Sie kam nicht weit, denn der in schwarz gekleideter Mann, der Leon angegriffen hatte, bemerkte sie, versetzte einem Soldaten einen blutigen Hieb mit dem Schwert und rannte auf sie zu.
Catherine sah sich verzweifelt nach einer Waffe um, fand jedoch nichts in Reichweite und sank dann schluchzend auf die Knie, die Arme erhoben.
Der Mann legte ihr sein Schwert an den Hals und brüllte, sie solle sich nicht bewegen, wenn ihr ihr Leben lieb war.
Dann drehte er sich flüchtig zu seinen Kameraden um, die mittlerweile alle Soldaten entweder bewusstlos geschlagen, getötet oder zum Aufgeben bewegt hatten.
Es wurde ruhig. Als sei nichts passiert.
Cat sah auf ihren Bruder hinab. Sein Angreifer hatte ihm mit seinem Schwert von Hinten auf den Kopf geschlagen. Sie sah, dass sein Brustkorb sich hob und senkte. Finiens sei dank, er lebte.

Die Angreifer formierten sich und legten die überlebenden Soldaten in Ketten. Catherine konnte auch ihren zukünftigen Ehemann sowie dessen Bruder ausmachen, die Beide ebenfalls mit Schwertern im Nacken vor zwei Männern knieten.
Zitternd nahm sie zur Kenntnis, dass einige Angreifer auch weiblich waren, die allerdings ebenfalls Hosen trugen. Sie hatte noch nie Frauen in Hosen gesehen.
Befehle wurden gebellt und sie plötzlich hochgerissen.
„Keine falsche Bewegung, dann geschieht dir auch nichts.“ Der Mann löste die Klinge von ihrem Hals und wies sie an, ihre Hände hinter ihren Rücken zu halten. Das Band, mit dem er sie dann zusammen zog war wohl aus Leder und bohrte sich in ihre Arme. Sie traute sich nicht zu protestieren und ihre Stimme hätte ihr auch mit Sicherheit versagt, hätte sie es gewagt.

„Hanno, Mera!“ rief ihr Angreifer dann laut und zwei Menschen lösten sich aus der Masse der Angreifer.
„Der Junge ist bewusstlos, wir nehmen ihn mit“, meinte er dann und nickte in Richtung Leon.
„Bist du sicher, Pan? Wir sollten nur die Fugals mitnehmen... Ren wird nicht erfreut sein...“ der andere Mann, Hanno, trug einen besorgten Ausdruck auf seinem Gesicht.
„Hanno, verdammt noch mal, ich leite die Operation und ich sage, wir nehmen ihn mit!“ Pans Mund verzerrte sich zu einer frustrierten Grimasse.
„Und die Kleine?“ meldete sich die Frau, Mera, zu Wort.
Catherine sah zitternd auf. Ihre Angst stand ihr mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben. Niemals zuvor war sie angegriffen worden. Niemals, niemals, niemals zuvor war sie Gewalt ausgesetzt worden.
„Auch. Wenn sie mit den Fugals reist, wird sie schon wichtig sein...“ Pans Blick wanderte über ihren Körper. Mehr abschätzend als lustvoll, doch Catherines Nackenhaare stellten sich dennoch vor Abscheu auf.
„Und jetzt vielleicht ein wenig Beeilung, die Herrschaften, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“ Sein Befehl löste eine Welle der Beschäftigung aus. Die Angreifer waren, das konnte Catherine doch ausmachen, bei Weitem in der Überzahl und sie hatten kein Problem damit, die überlebenden Soldaten dazu zu bringen, brav in einer Reihe hinter einem Pferd herzugehen. Ihre eigenen Tiere dienten den Angreifern dabei gut, denn Pferde sind zwar bei neuen Reitern oftmals nervös, jedoch leicht unter Kontrolle zu bringen. Zumindest, wenn sie Kampftiere sind. Veritas scheute stark und Catherine war stolz auf sie, allerdings wurde auch ihre Stute bald dazu gebracht, jemand anderen auf sich reiten zu lassen.
Leon wurde auf eines der Tiere bugsiert, jedoch nicht ohne sicher zu gehen, dass auch er fest verschnürt und bewegungsunfähig war. Catherine hoffte stark, dass er nicht vom Tierrücken fallen würde.
Sie selbst und, wie sie zu ihrer Erleichterung sah, auch Lady Fugal, wurden ebenfalls auf ein Pferd, wenn auch beide gemeinsam, gehoben. Lady Fugal war nicht angekettet, doch so wie sie aussah, machte das den Angreifern mit Sicherheit keine Sorgen.
Sie hätten die Gruppe außerdem aufgehalten, wenn sie zu Fuß gegangen wären, denn als Frauen trugen sie auch auf Reisen lange Kleider und wenig geeignete Schuhe. Lady Fugal jedenfalls, wäre in ihrem Zustand keine zehn Meter gekommen und hielt sich auch nun nur mit schierem Willen auf dem Pferd. Sie klammerte sich an Cat, die vorne saß.

Die Gruppe schlug etliche Waldwege ein. Gesprochen wurde wenig und wenn doch, dann folgten Hiebe mit den Enden der Schwerter. Der ein oder andere Soldat brach zusammen und wurde dann entweder von seinen Kameraden getragen, oder aber getötet. Es war grauenvoll und Catherine sah nach einer Weile alles nur noch wie durch einen Schleier. Sie war behütet aufgewachsen. Sie hatte niemals echte Gewalt miterlebt.
Natürlich wusste sie, dass an den Fronten Finiens gekämpft wurde. Sie wusste auch, dass dort etliche Menschen starben, doch bis jetzt hatte sie keine Ahnung gehabt, dass es so grausam sein konnte.

Hinter ihr stöhnte Lady Fugal schmerzverzerrt auf. Das Gewicht, welches sie auf Catherine legte, verdoppelte sich. Cat war panisch. Was, wenn sie jetzt starb? Hier, hinter ihr?
„Gebt mir Eure Hand!“ Sie flüsterte die Worte so leise es ging und hatte ihren Kopf nach hinten gedreht.
„Was?“ Es war kaum verständlich und Catherine wusste, dass sie keine Zeit mehr hatte.
„Eure Hand! Schnell!“ Sie versuchte ihre Hände so zu verbiegen, dass die Riemen Platz ließen und sie Lady Fugals zitterndes Händchen zu fassen bekommen konnte. Es gelang ihr gerade so, bevor jemand auch die beiden Frauen zu Recht weisen konnte. Catherine drehte sich wieder nach vorne, schloss die Augen und gab sich den Schmerzen hin, die Lady Fugal bereits seit Monaten erfuhr. Sie hatte bereits Schlimmeres erlebt und doch konnte sie sich ein Stöhnen nicht verkneifen, das jedoch in den Geräuschen der Gruppe unterging. Catherine konzentrierte sich auf den Ursprung des Schmerzes, auf den Haupt der Lady. Sie spürte ihre Kraft, die die Gehirngänge der Frau erforschten und den Druck, der sich angestaut hatte, langsam abbaute. Der Schmerz verebbte langsam und obwohl Cat augenblicklich nicht mehr tun konnte, als Lady Fugal des Sterbens abzuhalten, so war doch eine innere Ruhe zu spüren, die von der Frau hinter ihr ausging. Endlich, endlich keine Schmerzen mehr.
Erschöpft ließ Catherine ihre Hand los. Sie hätte sich gerne abgestützt, doch mit ihren Händen im Rücken war das unmöglich.
Nun auch spürte sie wie sehr ihre Seite schmerzte. Sie hatte sich selbst noch nie heilen können und so versuchte sie, sich besser hinzusetzen, auch wenn das Geschaukel auf dem Tier nicht half, ihre wahrscheinlich geprellten Rippen zu schonen.

Endlich, und es schien ihr, als seien Tage vergangen, kam der Treck zu einem Stillstand. Vor ihnen sprangen zwei junge Männer aus ihrem Versteck hinter zwei Bäumen und verlangten ein Losungswort woraufhin der, der sich Pan nannte, anfing zu brüllen. Catherine wusste nicht, ob die Flüche, die er ausstieß, das Losungswort beinhalteten, doch sie spürte, wie sie angesichts dieser Sprache rot anlief. Auch Lady Fugal sog erschrocken die Luft ein.
Den zwei Männern, die sie angehalten hatten, erging es nicht anders. Sie waren erstarrt und rührten sich erst als Pan ihnen befahl aus dem Weg zu gehen.
Catherine hatte noch nie solchen Respekt in den Augen anderer für einen Einzelnen gesehen. Natürlich hatte man ihren Vater respektiert, aber das, was in deren Augen zu lesen war, ging darüber hinaus.
Als ihr Pferd an den zwei Jungen vorbei schritt, konnte Catherine erkennen, dass es sich eigentlich um einen Mann und eine Frau handelte. Erstaunt und erschrocken drehte sie sich noch einmal kurz um um einen zweiten Blick zu erhaschen.
Auch Lady Fugal hatte es bemerkt: „Unerhört“, hauchte sie leise.
Cat hatte ihren Blick lange auf die kurzhaarige Frau geheftet, doch schließlich verschwand sie aus ihrem Blickfeld.
Wieder nach vorne schauend nahm sie wahr, dass der Wald sich lichtete und sie schließlich auf eine Lichtung kamen. Es waren Zelte aufgeschlagen und Feuer loderte in einigen Feuerstellen.
Vor dem größten Zelt standen zwei Wachen, wieder ein Mann und eine Frau. Pan hob die Hand um anzuzeigen, dass die Gruppe stehen bleiben sollte und ritt dann selbst weiter vor. Er saß vor dem Zelt ab, nickte den Wachen zu und verschwand dann darin.
Catherine schluckte schwer. Sie war müde, erschöpft und hatte Schmerzen. Die Zahl der Soldaten hatte sich seit dem Angriff drastisch dezimiert und auch die Überlebenden sahen schrecklich aus. Sie könnte ihnen helfen, doch momentan war sie zum Einen gefesselt und bewegungsunfähig, zum Anderen war sie sich auch nicht sicher, ob es nicht besser wäre, wenn sie ihre Gabe erst einmal für sich behalten würde.
Es dauerte nur wenige Augenblicke bis Pan wieder aus dem Zelt trat. Mit ihm schritt auch ein weiterer Mann heraus, der dann wohl, wenn Erinnerung nicht trog, Ren sein musste.
Ren hatte ein breites Lächeln aufgesetzt. Seine Zähne waren die eines Mannes, der bereits etliche Kämpfe auf Leben und Tod hinter sich hatte und wahrscheinlich auch mehr eingesteckt hatte, als ihm zugetraut worden war. Er musste Mitte vierzig sein, doch so ein Leben verbrauchte schnell, weshalb sich Cat nicht sicher war.
Seine Kleidung jedoch entsprach der eines noblen Mannes. Catherine war sich sicher, dass sie gestohlen sein musste.
Das Lager beherbergte auch noch andere Männer und Frauen, die geschäftig ihrer Arbeit nachgingen. Nur wenige hatten sich um die Ankunft der Gruppe geschert. Wohl deswegen, weil ihre Anführer noch keine weiteren Pläne für sie verkündet hatte. Catherine ahnte Schreckliches.

Ren streckte seine Arme aus und trat auf die beiden jungen Lords zu. Seine Körpersprache erzählte eine andere Geschichte als die eiserne Kälte, die Cat in seinen Augen sah. Sie spürte, wie sich Lady Fugal hinter ihr aufrichtete. Doch selbst ihre einschüchternden Gebärden hielten Ren nicht davon, weiter auf ihre Söhne zuzusteuern. Die Beiden waren den gesamten Weg mit den Soldaten gegangen und obwohl sie sich bemühten gerade zu stehen, sahen sie mehr geschunden als stolz aus.
„Meine lieben Freunde!“ begann Ren auf einmal. Seine Stimme war laut und klar. Auch die anderen Menschen in dem Lager legten nun ihre Arbeit nieder und traten näher.
„Ich freue mich herzlichst, so gehobenen Besuch in unserer bescheidenen Unterkunft begrüßen zu können. Nicholas Fugal“, Ren verbeugte sich spöttisch vor dem älteren Bruder, „Mathieu Fugal“, wieder eine viel zu tiefe, vor Spott triefende Verbeugung, „bitte, fühlt Euch wie Zuhause. Der König möchte doch, dass es die Gäste seiner Geheimgarde auch behaglich haben!“
Es schien Catherine, als wäre plötzlich die gesamte Welt verstummt. Die Gäste seiner Geheimgarde? Der Geheimgarde des Königs? Der König hatte sie angreifen lassen?
Ihr Blick wanderte auf die Gesichter der jungen Lords. Sie waren blass und angespannt, doch ihre Haltung hatte sich merklich verbessert. Sie standen da, wie zwei Steinstatuen, steif und gerade.
Der König? War das möglich? Er musste doch lügen, der Anführer dieser Bande von Halunken!
Auch Lady Fugal schien erschrocken, denn sie hatte den Atem angehalten und stieß ihn erst nach einigen Sekunden wieder aus.
„Geheimgarde des Königs? Die Familie Fugal ist König Finiens treu ergeben! Wäret Ihr die Geheimgarde seiner Hoheit, muss er wohl ständig um sein Leben fürchten!“ Der ältere Bruder, Nicholas, hatte mit gefestigter Stimme das Wort ergriffen.
Es war in diesem Augenblick, dass Catherine bewusst wurde, dass Lord Fugal, der Vater nicht anwesend war. Sie hatte ihn bereits seit dem Angriff nicht gesehen... Konnte es sein, konnte es wirklich sein, dass er tot war?
Ren ergriff wieder das Wort. Seine Haltung entsprach nun dem, was er auch sagte. Er wirkte bedrohlich, wie ein großer dunkler Schatten über den jungen Fugals.
„Nicholas Fugal, Mathieu Fugal, Ihr Seid hiermit des Hochverrates an eurer Hoheit König Finiens angeklagt! Ihr habt dem Feind Informationen geliefert und somit euren Vater zum Tode verurteilt!“ Er hielt inne und starrte erst Joachim und dann Mathieu tief in die Augen.
Hinter Catherine fing Lady Fugal an zu zittern. Beinahe panisch drehte sich die Frau hin und her, vielleicht um nach ihrem Mann zu suchen. Catherine konnte ihr nicht helfen, denn sie selbst war mit dem, was sie gehört hatte, mehr als überfordert.
Ihr Zukünftiger war ein Verräter? Das war unmöglich.
Catherines Blick wanderte zwischen Ren und den Brüdern hin und her. Sie waren blass, ihre Münder zu schmalen Schlitzen verzogen. Sie sahen sich in diesem Moment sehr ähnlich.
Ren grinste hämisch und drehte sich dann zu den Frauen um, die immer noch auf dem Pferd saßen, das sich überhaupt nicht darum scherte, dass die Welt der Menschen so kompliziert war.
„Wen haben wir denn da?“ Ren begutachtete Catherine und Lady Fugal, die sich wieder gefasst zu haben schien.
„Ren, das ist Lady Fugal.“ Pan zeigte auf die Ältere und runzelte dann die Stirn, „Wer die andere ist, weiß ich nicht. Oh, und dann haben wir auch noch einen jungen Mann gefangen genommen, den wir ebenfalls nicht kannten. Er schien jedoch wichtig zu sein, denn er ritt mit den jungen Lords.“ Pan verstummte, als er Rens wütenden Blick bemerkte.
„Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ihr nur die Fugals mitnehmen sollt!“ Er besah sich zornig den immer noch reglosen Körper Leons und dann Catherine selber. Die überlebenden Soldaten schienen ihn hingegen nicht zu kümmern.
Sein Blick wanderte zu Lady Fugal, er beruhigte sich und zauberte ein wohl charmant gemeintes Lächeln auf die Lippen.
„Lady Divina Fugal! Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise in unser Lager. Verzeiht die Umstände, in denen wir uns wieder begegnen.“ Dann richtete er das Wort an seine Männer und Frauen: „Die Soldaten an die Bäume, die restlichen...“ er warf einen Blick auf Catherine und die anderen, „...Gäste... in mein Zelt, aber passt auf, dass sie sich nicht befreien können. Ach, und schaut mir einer nach ob der Junge noch lebt!?“
Sobald er seine Befehle gegeben hatte, brach geschäftiges Treiben aus. Lady Fugal und Catherine selbst wurden von dem Pferd gehoben.
Catherine kam sich schmutzig vor. Sie waren den gesamten Tag, nicht sehr damenhaft, auf einem einzigen Pferd, noch dazu in Männerpose geritten. Davor hatten Cat sich, eher unfreiwillig, am Boden gewälzt. Sie war sich schmerzhaft bewusst, wie sie aussehen musste, doch die Tatsache, dass sie nicht die einzige war, tröstete merkwürdigerweise.
Ihre Handfesseln, die ihre Hände immer noch auf dem Rücken hielten, wurden ihr jedoch nicht durchgeschnitten. Die einzige, die daher nicht gefesselt war, war Lady Fugal, die dastand, als habe sie eben das Ende der Welt erlebt. Wahrscheinlich hatte sie das allerdings auch. Dennoch verlieh ihr ihre Haltung immer noch eine autoritäre Aura, die wohl die Männer und Frauen davon abhielten, sie ebenfalls zu verschnüren.
Catherines Blick fiel auf ihren Bruder, der herab gehoben wurde. Der Schlag musste fester gewesen sein, als ihr bewusst gewesen war. Sonst hätte sie sofort versucht, ihn zu heilen. Sie hatte Angst. Was, wenn er nicht überlebte? Was, wenn er nie mehr aufwachen würde und das nur, weil sie nicht zu ihm konnte?
Unsanft wurde sie von hinten in die Rippen gestoßen. Sie sog scharf die Luft ein, denn von dem Sturz schmerzte ihre Seite sowieso schon.
Catherine folgte gehorsam, als sie und Lady Fugal in Richtung des Zeltes gedrängt wurden, in welches auch die jungen Fugals getreten waren. Jedoch nicht ohne sich zu ihrer Mutter umzudrehen. In Nicholas’ Augen hatte sie Sorge und Kummer gelesen, allerdings auch so etwas wie Schuld. Konnte das sein?

Das Zelt war geräumiger, als es von außen den Anschein hatte. Sie alle hatten bequem darin Platz und es drängten sich auch noch etliche Gardisten hinein um ihren... Hauptmann?... zu beschützen.
Dieser hatte es sich auf einem Stuhl hinter einem Tisch gemütlich gemacht und auch für die Lords und Lady Fugal wurden Sitzgelegenheiten herbei geschafft. Mit einem kurzen, abschätzenden Blick entschloss sich Ren dann dazu, Catherine keinen Stuhl zukommen zu lassen.
Cat kam sich verloren vor und außerdem war sie schockiert, dass man als angeblicher Hauptmann der Geheimgarde des Königs nicht so viel Anstand besaß um einer Frau, wenn sie auch noch so schmutzig und geschunden aussah, einen Stuhl anzubieten.
Auch die Fugals bemerkten es, sagten jedoch nichts. Catherine stellte sich soweit es ging abseits der Gruppe an eine Seite. So, dass sie alle Beteiligten ansehen konnte, allerdings nicht direkt einbezogen wurde.
Mathieu sah aus, als würde er am Liebsten davonlaufen. Die Blässe war noch nicht aus seinem Gesicht gewichen und auch sein Bruder unterschied sich von ihm nur durch seinen eher entschlossenen Gesichtsausdruck.
Lady Fugal wirkte klein und schmächtig neben ihren großen Söhnen. Zuvor war das durch ihre Krankheit zwar aufgefallen, jedoch hatte man es höflich übersehen. Nun jedoch, da sie nicht mehr sterben würde und dies auch ausstrahlte, wirkte der Unterschied umso größer.
Die jungen Fugals wurden unsanft nach unten gedrückt, Lady Fugal hingegen mit Respekt zu ihrem Platz geführt. Catherine wusste nicht recht, was sie von alle dem halten sollte. Übelkeit schwappte wie Wellen, die kurz vor einem Sturm standen an ihr Bewusstsein und sie versuchte angestrengt, sie zu verdrängen. Sie war schon lange nicht mehr wegen dieses ständigen Unwohlseins umgekippt, doch wenn sie die Übelkeit wirklich überwellen sollte, dann war sie auch davor nicht gefeit.
„Nun...“ meldete sich Ren, abermals lächelnd, an Lady Fugal, „Lady Divina, ich freue mich, Euch endlich, nach so langen Jahren, wieder sehen zu können, auch wenn es unter diesen jämmerlichen Umständen geschehen muss.“ Sein Lächeln jagte Catherine einen Schauer über den Rücken.
„Rendor Font. Ich bezweifle, dass mir dieses Zusammentreffen auch nur ansatzweise Freude einbringen kann. Vor allem jedoch möchte ich sofort und ohne Umschweife wissen, weshalb sie meinen Söhnen so etwas Schreckliches wie Hochverrat vorwerfen. Und wo mein Mann ist.“ Sie hatte sich in ihrem Sitz vor Ren aufgerichtet und ihn mit einer Herablassung angesehen, die Catherine nur noch mehr Respekt vor der zierlichen Frau einbrachte.
Ihre Söhne wirkten zerknirscht und warfen sich, als sie glaubten nicht gesehen zu werden, einen Blick zu, den Catherine als Schuldeingeständnis deuten konnte. Sie sog scharf die Luft ein und starrte ihren zukünftigen Ehemann und dessen Bruder scharf und erschrocken an. Entweder bemerkte es Ren nicht, oder es war ihm egal. Er jedenfalls hatte eine verständnisvolle Miene aufgesetzt und nickte Lady Fugal beinahe entschuldigend zu.
„Ich weiß, dass das als Schock kommen muss, meine Liebe, doch König Finio hat allen Grund zu der Annahme, dass ihre Söhne, mit Ausnahme Jacob Fugals natürlich, Informationen über die Grenze schaffen und unseren Feinden des Westens somit einen unheimlichen Vorteil im Kampf gegen Finiens bringen. Weshalb und warum. Nun, dem werden wir versuchen, heute auf die Spur zu kommen, weshalb wir Euch gebeten haben zu kommen.“ Sein falscher Blick wandte sich den jungen Fugals zu, denen er dann in aller Dreistigkeit auch noch zuzwinkerte. Wieder sah Catherine die beiden Brüder erblassen.
„Was Euren Mann angeht, liebste Freundin, nun...“ er fuhr sich mit seiner Hand über seinen schlecht und unregelmäßig gewachsenen Bart, „...ich befürchte, er hat seinen Tod selbst verschuldet.“ Nun war es an Lady Fugal zu erblassen. Sie atmete tief durch.
„Seht, Lady Divina, Euer Mann hat König Finio betrogen, Kinder mit Magie aus dem Land geschafft, eine Rebellion geleitet. Ein fataler Fehler. So einen Lord möchte König Finio natürlich nicht regieren lassen.“ Wieder hielt er an. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Finger vor sich. Ihm schien diese Situation mehr als zu gefallen und Catherine spürte, wie ein Gefühl in ihr hochstieg, das man wohl am besten mit Abscheu beschreiben konnte.
„Eure Söhne, Lady Fugal, sind unserer Informationen zufolge stark involviert. Jacob Fugal allerdings. Nun, ihn hätte König Finio gerne weiter an seiner Seite.“ Er grinste wieder sein angeschlagenes Lächeln. Es fiel Catherine schwer zu begreifen weshalb der König einem von drei Brüdern trauen konnte. Dann jedoch wusste sie auch sehr wenig über das Verhältnis, das die noblen Familien und den König verband.
Nun schien Nicholas den Schock der Gefangennahme mit einem Ausbruch der Entrüstung ersetzt zu haben. Auch Mathieu saß mit offenem Mund da.
„Wenn Ihr wirklich glaubt, dass Jacob eine Lordschaft wird führen können, seid ihr falsch informiert! Jacob ist eine Marionette, die nur auf einen geeigneten Spieler wartet!“ brach es plötzlich und unaufhaltsam aus Mathieu heraus. Lady Fugal sog scharf die Luft ein und bedarf ihren Jüngsten mit einem strafenden Blick. Auch Nicholas schien erschrocken und verärgert über den Ausbruch seines Bruders zu sein.
Ren jedoch lachte überheblich.
„Da Euer Bruder im Palast aufgewachsen ist, mein junger Freund, bedeutet das natürlich, dass er Eurem Einfluss niemals auf lange Zeit ausgesetzt war. König Finio würde nur ungern eine ganze Familie ausrotten müssen.“ Catherine schluckte schwer. Sie fühlte sich so dermaßen fehl am Platz, dass sie am Liebsten vor Scham im Boden versunken wäre. Sie hatte damit nichts zu tun. Und es sah um ihre Heirat auch sehr schlecht aus, um es Milde auszudrücken.
Die junge Frau verlagerte ihr Gewicht von einem auf das andere Bein. Sie war mit der ganzen Situation absolut überfordert und hoffte nur, dass sie und ihr Bruder heil herauskommen würden. Immerhin hatten sie nichts getan. Wenn man von der Kleinigkeit absah, dass sie gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstieß, indem sie heilen konnte.

Während ihre Gedanken gewandert waren, war es still geworden und nun fand sie Rens Augen auf sich selbst ruhen. Sie fing an zu zittern und musste wohl wirklich, wie ein verschrecktes Reh ausgesehen haben, denn Rens Blick wurde weicher und ein ehrlich gemeintes Schmunzeln lag auf seinen Lippen.
„Ich habe mich überhaupt nicht vorgestellt. Mein Name ist Rendor Font. Mit wem habe ich die Ehre?“ Diese Worte waren direkt an sie gerichtet und Catherine errötete. Sie wollte nicht sprechen und sie war so erzogen worden, dass sie erst etwas sagen würde, wenn der oder die am Ranghöchsten es ihr erlaubte. Jedoch machten die Fugals keinerlei Anstalten sich zu ihr umzudrehen.
Nicholas allerdings ließ sie auch nicht zu Wort kommen, da er sofort an ihrer Stelle antwortete: „Das ist Katla. Sie ist die Gesellschaftsdame meiner Mutter.“
Catherine starrte ihn an, fing sich aber schnell genug um diese Lüge nicht auffliegen zu lassen. Sie wollte nicht lügen, vor allem wollte sie keinen Gesandten des Königs anlügen und mit Sicherheit wollte sie keine Anweisungen eines Verräters des Königs annehmen. Dennoch hielt sie den Mund und senkte den Blick artig, wie man es von einer Gesellschaftsdame wohl verlangen würde. Sie hatte nur eine Sekunde gehabt um sich zu entscheiden, was sie tun wollte und das war ihr entschieden zu wenig gewesen. Für jetzt jedenfalls schien ihr diese Lösung am Einfachsten und solange sie nichts sagte, log sie doch auch nicht.
Ren nickte und verlor wieder das Interesse an ihr.
„Und der junge Mann den mir meine Leute da angeschleppt haben? Auch ein Anstandswauwau?“
Catherine öffnete schockiert den Mund ob dieser ungenierten Ausdrucksweise, besann sich dann jedoch eines Besseren.
Wieder antwortete Nicholas: „Das, Ren...“, er zog den Namen bewusst in die Länge, als könne er sich an den Rest des Namens nicht erinnern, „ist Leon Fayes, nächster Meisterheiler Eurer Hoheit. Wir hatten ihn bei uns, da es unserer Mutter nicht gut ging. Daher auch unser Aufenthalt in dieser Gegend des Reiches. Nicht etwa, um irgendwelche Informationen über die Grenze zu schmuggeln.“ Seine Miene wirkte aufrecht und ehrlich, seine Augen jedoch verrieten, dass er zumindest teilweise log.
Catherine fragte sich kurz, weshalb sie seit Neuestem aus den Augen Gefühle ablesen konnte. Sie war sich sicher, dass sie das vor einer Woche noch nicht gekonnt hatte. Sie verdrängte den Gedanken schnell wieder. Sie bildete sich das mit Sicherheit ein.

Ren hatte den Mund zu einem hässlichen Grinsen verzogen. Er lehnte sich vor und sah Nicholas mit unverhohlener Abneigung an.
„Wir wissen, dass Ihr diese Reise unter dem Vorwand angetreten habt, Eure Mutter sei sterbenskrank. Nun, so schlimm sieht sie nicht aus.“ Er warf einen Blick auf Lady Fugal und schien dann zu bemerken, dass er sie eben schwer beleidigt hatte.
„Verzeiht Lady Divina. Wir hatten nur erwartet, Euch in schlimmerer Verfassung anzutreffen. Natürlich bin ich überaus froh, dass Ihr gesund zu sein scheint“, wandte er schnell, beschwichtigend ein. Catherine bemerkte den Anflug von Scham in seinem Blick und war nun noch verwirrter. Es konnte ihn doch nicht wirklich kümmern, was Lady Fugal von ihm dachte!?
Ren wandte sich wieder seinen eigentlichen Opfern zu: „Jedenfalls haben Späher berichtet, ihr hättet Boten gen Westen geschickt solange ihr hier wart. Ein schlechter Zug, wie ich bemerken will...“
Mathieu warf einen flüchtigen Blick auf seinen Bruder, den dieser jedoch, wahrscheinlich absichtlich ignorierte.
„Ich kann Euch versichern, dass wir nichts weiter taten als jagen zu gehen und uns von unserem Alltag zu erholen.“ Nicholas’ Stimme klang eindringlich und etwas scharf.
„Nun, wenn das so ist, dann habt Ihr sicher nichts dagegen, wenn meine Männer Eure Treue zu Eurem König ein wenig auf die Probe stellen, wenn sie doch so unerschütterlich ist.“ Rens Augen blitzten gefährlich auf.
Zitternd atmete Catherine ein. Wie zu Finiens kam sie denn aus dieser Situation wieder heraus? Sie würden doch die „Dienstboten“ nicht ermorden?
Ohne auf eine Antwort seitens der jungen Männer zu warten, drehte sich Ren wieder zu Lady Fugal: „Dies ist, wie ich befürchte, nichts für Euch, da Ihr noch sehr geschwächt sein werdet, meine Liebe. Ich kann Euch und Eure Gesellschaftsdame gerne in Euer Zelt bringen lassen, wo Ihr alle Annehmlichkeiten vorfinden werdet, die wir in unserem bescheidenen Lager hervorbringen konnten...“ Es ziemte sich nicht, die Frau eines Lords aus einer Runde zu verbannen, doch Catherine war sich sicher, dass Ren keinen großen Respekt vor Anstandsregeln hatte, wenn es hart auf hart kam.
Lady Fugal schien das Für und Wider abzuwägen und blickte dann ihre Söhne beinahe flehend an, bevor sie das Wort wieder an Ren wandte: „Ich bin mir sicher, dass sich meine Söhne nichts zu Schulden haben kommen lassen. Diese Anschuldigungen resultieren gewiss aus einem Missverständnis heraus.“
Dann stand sie langsam auf, mit einer Eleganz, die ihresgleichen sucht.
„Ihr habt meinen Mann ermorden lassen, Font, und das wird weit reichende Konsequenzen haben. Ich werde mich zurückziehen, doch erweist meinem Sohn“, sie hob die Hand und wies damit auf Nicholas, „den Respekt, den er als Lord Fugal verdient! Ich warne Euch, Font.“ Ihre Stimme war gefestigt und untersetzt mit einer mehr als eindeutigen Drohung.
Catherine spürte eine neue Welle der Übelkeit über sich schwappen. Sie sah kurzzeitig etliche schwarze Punkte vor ihren Augen und sie musste sich scharf konzentrieren um sich nichts anmerken zu lassen.
Lady Fugals Blick fing den ihren und obwohl sie immer noch einen wütenden Ausdruck bewahrte, blickten ihre Augen fragend und beinahe verängstigt.
Catherine sah einen Ausweg aus der momentanen Situation und machte sich an, Lady Fugal zu folgen als diese ohne auf eine Antwort Rens zu warten, aus dem Zelt trat. Bevor sie jedoch zu ihr aufgeschlossen hatte wurde sie angehalten und mit einer groben Handbewegung herumgedreht. Ein Messer erschien in der Hand der Wache und Catherine sog scharf Luft ein bevor sie realisierte, dass er ihre Handfesseln durchschnitt. Sie wurde dann durch die Öffnung des Zeltes gestoßen.

Die Kühle des heranbrechenden Abends traf Catherine unerwartet. Dennoch vertrieb der Wind auch einen Großteil ihrer Übelkeit und half ihr wieder mit Lady Fugal aufzuschließen, die sicheren Schrittes einer anderen Frau folgte.
Catherine sah sich ängstlich nach ihrem Bruder um. Unter den Soldaten, die gefangen genommen worden waren und die mittlerweile alle in Ketten lagen, sah sie ihn nicht. Sie hatte Angst um ihn, denn wenn er starb und sie nicht einmal versucht hatte, ihn zu retten, würde sie sich das nie wieder verzeihen.
Das Zelt, an das die Partie schließlich trat war etwas kleiner als das Hauptzelt. Darin standen zwei Betten mit reichlich Abstand voneinander und ein Schreibtisch samt Waschschüssel und kleinem Spiegel.
Catherine erhaschte einen Blick auf sich selbst. Sie sah schrecklich aus, doch wirklich von Bedeutung war das nicht.
Die Frauen wurden alleine gelassen und als sich Lady Fugal sicher war, dass niemand lauschte, drehte sie sich langsam zu Catherine um.
„Du hast Magie in dir.“
Catherine öffnete den Mund vor Staunen und Erschrecken. Lady Fugal war so gut wie ohnmächtig gewesen, als sie sie geheilt hatte.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Sollte sie ihre Fähigkeit zugeben? Sollte sie es verleugnen?
Bevor sie etwas sagen konnte, meldete sich Lady Fugal wieder zu Wort: „Du hast mich gerettet, Fayes, weshalb ich schweigen werde, doch du wirst meinen Sohn nicht heiraten. Und du wirst sofort umkehren, wenn die Angelegenheit hier zu Ende ist.“
Die ältere Frau setzte sich auf eines der Betten. Plötzlich wirkte sie erschöpft und müde. Die lange Krankheit hatte sehr an ihr gezehrt und die Auseinandersetzung mit Ren sowie der Verlust ihres Ehemannes hatten ihr die letzten Kraftreserven geraubt. Sie war wieder die alte, gebrechliche Frau.
Catherine setzte sich ebenfalls, allerdings auf das andere Bett. Sie wusste nicht was sie tun oder sagen sollte, deshalb biss sie sich einfach in die Lippen. Ihr Geheimnis, ihr gut gehütetes Geheimnis war ans Licht gekommen.
Ihre Gedanken wanderten zu Leon. Sie wollte zu ihm gehen, wollte ihn heilen, ihn halten, wollte sich in seiner Gegenwart von all dem ablenken, das passiert war.
„Lady... Lady Fugal.“ Ihre Stimme brach und sie räusperte sich. Die ältere Frau sah auf, sichtlich in ihren Gedanken gestört.
„Dürfte ich mich nach meinem Bruder erkundigen? Bitte?“ Catherine wimmerte beinahe. Sie hatte gesprochen, auch wenn sie das niemals hätte tun dürfen. Sie hatte sicher gegen mindestens ein Dutzend Anstandsregeln verstoßen, die ihr seit jüngster Kindheit eingebläut worden waren.
Lady Fugal schloss kurz die Augen, dann hob sie die Hand und schwenkte sie in Richtung Zeltausgang.
Mit weichen Knien stand Catherine auf. Eine weitere Welle der Übelkeit überkam sie und sie wankte kurz, bevor sie die letzten Schritte Richtung Ausgang absolvierte.
„Ach, Fayes?“ erklang es von hinten. Catherine drehte sich um. Sie war blass und verängstigt und wollte eigentlich nur noch hier hinaus.
„Du heißt Katla und bist meine Gesellschaftsdame. Vergiss das nicht“, meinte Lady Fugal müde.
Catherine nickte ernst und trat hinaus.

Es war weniger schwierig als erwartet zu ihrem Bruder vorzudringen. Wenn man sie anhielt meinte sie, Lady Fugal habe sie angewiesen nach dem nächsten Heiler zu sehen und da sie nicht als Bedrohung angesehen wurde, wurde sie zügig weiter gelassen.
Nachdem Ren erfahren hatte, dass es sich um den ungebetenen Gast um den nächsten Heiler handelte, hatte er ihn sofort und ohne Umschweife behandeln lassen.
Er war bei Bewusstsein als sie eintraf und atmete erleichtert aus als er sie sah.
Catherine eilte an seine Liege und legte den Finger an ihren Mund. Sie waren nicht alleine und Leon wusste nichts von der Lüge, die die Fugals erzählt hatten.
Leon sah sie verständnislos an, sagte jedoch nichts.
Er sah nicht gut aus, auch wenn von außen keine eindeutigen Verletzungen zu erkennen waren.
Catherine beugte sich vor und nahm seine Hand in die Ihre. Er wusste natürlich nicht, dass sie somit seinen Schmerz erkundete, doch es tat ihm gut die vertraute Wärme zu spüren, die sie abgab.
Sie beherrschte sich, damit er an ihrem Gesicht nichts der Schmerzen ablesen konnte, die sie durch den Hautkontakt spürte. Er hatte innere Verletzungen, eine gebrochene Rippe und sein Skalp hatte einen kleinen Riss. Es war nichts, was sie nicht heilen könnte, selbst in dem Zustand in dem sie sich gerade befand, doch sie hatte auch noch nie versucht ihren Bruder von Schmerzen zu befreien. Als Heiler wusste er sicher wenn eine Heilung zu rasch vonstatten ging. Sie durfte nicht auch noch riskieren, dass er etwas von ihrer Fähigkeit wusste. Sie liebte ihren Bruder und sie wusste, dass er sehr an ihr hing, doch er stand vollends hinter König Finio. Wie sie eigentlich auch... sollte sie sich selbst vor den König begeben?
Sie verdrängte diesen Gedanken so schnell wie er gekommen war.
Ein Räuspern erklang hinter ihr und Catherine sprang vor Schreck auf.
„Es geht ihm gut. Du kannst Lady Fugal ausrichten, dass wir alles tun um den Heiler... nun ja, zu heilen.“ Der unbekannte Mann vor ihr runzelte die Stirn ob des holprigen Satzes.
Catherine nickte ängstlich. Sie durfte nicht vergessen, dass sie nur die Gesellschaftsdame war. Nach Meinung dieses Mannes hatte sie überhaupt keine Verbindung zu Leon.
Schnell drehte sie sich noch einmal um, tat als würde sie die Decke richten, die Leon mehr schlecht als recht wärmte und flüsterte ihm so rasch es ging die wichtigsten Fakten ins Ohr: „Ich heiße Katla, bin Gesellschaftsdame. Die jungen Lords wurden wegen Hochverrates angeklagt, Lord Fugal ist tot, Lady Fugal geht es gut, mach dir keine Sorgen und versuch zu schlafen!“
Sie wusste an seiner Reaktion, dass sie lieber hätte schweigen sollen. Sein Atem beschleunigte sich und sie las... Schuld... in seinen Augen. Er wurde blasser als er es sowieso schon war und umklammerte ihren Arm, als wolle er ihr etwas sagen.
„Das reicht jetzt!“ Der Wächter ergriff Catherines anderen Arm grob und zog sie von Leon weg. Sie verkniff sich ein Wimmern und warf ihrem Bruder einen letzten Blick zu, bevor sie aus dem Zelt trat.




5



Schnell und mit gesenktem Blick eilte die junge Frau über die Lichtung. Der Rauch der Lagerfeuer blies ihr ins Gesicht und sie verlor kurz die Orientierung. Als sie sich gerade soweit vom Rauch weggedreht hatte, dass sie ihre Augen ohne Probleme öffnen konnte, wurde sie unsanft von der Seite angerempelt. Der scharfe Schmerz der sich nach dem Sturz vom Pferd nur langsam gelegt hatte, flammte ohne Umschweife wieder auf und Catherine stöhnte laut.
Sie starrte den Gestalten nach, die auf dem Weg ins Hauptzelt waren. Sie zerrten ein Kind hinter sich her. Ein kleines Mädchen, das starr vor Angst nicht mit den großen Männern mithalten konnte.
Catherine stieß die Luft aus. Was taten sie dem Kind an? Das durften sie nicht!
Wider ihrer Vernunft und Erziehung stürmte Catherine hinter den Männern her und rief laut, sie sollten das Mädchen loslassen.
Sie hörten sie nicht und als sie in das Zelt traten, bremste Cat unsanft ab. Die Wachen hatten ihre Schwerter erhoben und richteten sie auf die Brust der jungen Frau. Catherines Herz schlug wie wild und ihr Atem ging stoßweise vor Angst.
Sie richtete die Augen auf den Boden und versuchte ihren Atem zu verlangsamen. Ihre Knie zitterten und sie fühlte sich elend.
Die beiden Wachen warfen sich einen Blick zu und steckten die Schwerter wieder in ihre Halfter. Die Frau legte den Kopf schief und sah sie drohend an.
„Was willst du?“ fragte sie dann, mit einem Hauch Ärger in der Stimme.
„Ich...“ Catherine hob den Kopf. Sie wollte nach Hause, sie wollte zu ihrem Bruder, sie wollte zu ihrem Pferd. Doch sie musste in dieses Zelt! Das Kind hatte Angst gehabt, hatte beinahe zu leise gewimmert um gehört zu werden. Sie war eine Frau, sie musste dem Mädchen helfen! Wer wusste, was sie mit ihr vorhatten.
„Lady Fugal hat mich geschickt um nach ihren Söhnen zu sehen.“ Sie versuchte Nachdrücklichkeit und Ernst in ihre Stimme zu legen, war sich jedoch bewusst, dass sie sicher stotterte und aussah wie ein verschrecktes Reh.
Wieder wurde ein Blick zwischen den zwei Wachen gewechselt. Der Mann zuckte mit den Schultern und trat dann in das Zelt, wahrscheinlich um zu fragen, ob die Gesellschaftsdame eintreten dürfe.
Catherine zitterte heftig und sie hatte unheimliche Angst vor dem, was sie erwarten würde.
Der Wächter kam zurück und winkte sie durch die Öffnung. Beinahe hätten ihre Beine nachgegeben. Sie war nicht sehr mutig und sie war vor allem nicht vorbereitet auf das, was sie erwarten könnte.

Ren warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Er grinste sein hässliches Grinsen und zeigte leicht auf einen Stuhl.
„Katla, nicht wahr? Nun, ich denke dies hier dürfte von Interesse für Lady Divina sein. Bitte, setz dich!“
Catherine sank auf den Stuhl. Ihr Blick fing den von Nicholas, der immer noch versuchte seine Haltung zu bewahren, jedoch beinahe geschlagen aussah. Mathieu neben ihm hatte den Blick gesenkt. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, seine Lippen aufeinander gepresst. Er ignorierte Catherine, oder traute sich vielleicht auch nicht sie anzusehen.
Das Kind, das zwei Männer in das Zelt gezogen hatten, war auf einen Stuhl platziert worden, der gut von allen Seiten her zu sehen war. Sie weinte stumm.
Catherine wollte aufstehen und das Mädchen trösten, wollte es in den Arm nehmen und halten und ihm sagen, dass alles gut werden würde.
Ren räusperte sich: „Nun, wo war ich? Ach, natürlich. Dieses Mädchen hier wird Eure Prüfung sein, Lord Nicholas. Wenn ihr besteht werden wir uns natürlich gebührend entschuldigen und Ihr dürft weiterreisen. Besteht Ihr jedoch nicht, so werden wir Lord Mathieu auf die Probe stellen. Besteht er ebenfalls nicht, so... nun, dazu kommen wir noch früh genug.“ Ren warf einen kurzen Blick auf das Kind und verzog den Mund verächtlich.
Nicholas wirkte verwirrt und schüttelte langsam, verständnislos, den Kopf. Auch Catherine wusste nicht, was sie von dieser Situation halten sollte. Wieso war ein kleines Mädchen, nicht älter als sieben, die Prüfung zweier Lords? Wie sollte irgendetwas prüfen, dass sie dem König treu ergeben waren?
Ren kicherte und stand auf.
„Ich möchte Euch Melanie vorstellen. Dieses Balg haben meine Männer gestern im Wald gefunden. Sie verstößt gegen die höchste aller Regeln des Königreichs Finiens. Sie besitzt Magie.“
Es war Catherine als verstumme die Welt. Nichts regte sich und auch die unhörbaren Schluchzer des Mädchens schienen erstarrt zu sein. Cat atmete tief ein. Ihr Blick fiel auf das Mädchen, das wieder zu zittern angefangen hatte.
Ren grinste und beobachtete die Reaktionen der jungen Lords. Nicholas sah aus als würde ihn alle Kraft verlassen, als wüsste er was nun kommen würde.
Mathieu hatte den Mund geöffnet und starrte verstört auf das Kind.
„Wir wissen natürlich, dass Ihr den Rebellen, den Magiesympathisanten geholfen habt Kinder, die Fähigkeiten entwickelt haben, aus dem Reich zu schaffen. Das findet König Finio überhaupt nicht toll...“
Catherines Atmung beschleunigte sich. Sie fühlte sich entdeckt, verraten. Sie hatte gedacht sie sei die einzige! Konnte das Kind ebenfalls heilen? Hatten sie Angst sie würde töten?
Nicholas raffte sich zusammen. Er setzte ein amüsiertes Lächeln auf.
„Rendor, ich bin sicher, dass hier ein Missverständnis vorliegt. Dieses Kind ist nicht alt genug um irgendwelche Fähigkeiten vorweisen zu können. Woher wollt Ihr wissen, dass sie...“, er verzog theatralisch das Gesicht, „Magie inne hat?“ Nicholas begann zu lächeln, als genösse er es, Recht zu haben.
Catherines Blick schwankte zwischen ihm und Ren hin und her. Seit sie hier war hatte sie zum ersten Mal von ‚Magie’ gehört. Hieß Magie heilen? War es das, was sie konnte? Und das Mädchen?
Sie bemerkte, dass sie ihren Mund vor Staunen geöffnet hatte und schloss ihn schnell wieder.
„Mein lieber Lord Nicholas. Ihr vergesst, dass der König bestimmten Linien erlaubt hat sich fortzupflanzen. Was wäre ein Verbot, wenn man die Kinder erwachsen werden lässt und erst dann erfährt ob sie Magie besitzen? Das dürfte auch der Grund sein, warum die Heilerlinie noch existiert.“
Bildete sie sich das nur ein oder hatte Ren sie gerade angesehen? Und was sollte heißen, dass die Heilerlinie nur deshalb existiert, weil... sie Magie erspüren?
Catherine schrumpfte in sich zusammen und eine Welle der Übelkeit gewann die Oberhand. Sie war sich sicher, dass ihr Vater keine Ahnung hatte, dass sie... Magie besaß!
Cat schluckte schwer und beobachtete die Szenerie wie eine Außenstehende.
Nicholas’ Lächeln war aus seinen Zügen verschwunden und auch Mathieu sah unglücklich aus.
„Nun denn, kommen wir zum eigentlichen Kern dieser Geschichte.“ Ren lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück. „Das Kind hat magische Fähigkeiten und muss eliminiert werden. So einfach ist das.“ Sein selbstzufriedenes Grinsen drehte Catherine den Magen um.
Eliminiert? Nicht wirklich, oder?
Nicholas und Mathieu warfen sich einen Blick zu. Das kleine Mädchen fing nun deutlich zu wimmern an. Sie sah verwahrlost aus, die dunklen braunen Haare waren verfilzt und dreckig.
Wieder überkam Catherine das Verlangen das Mädchen in die Arme zu schließen und zu beschützen. Wie konnte man ein Kind töten wollen? Sie konnte doch nichts für die Magie!?
„Ich möchte sicher nicht widersprechen“, begann Nicholas, „doch woher soll ich wissen, dass dieses Kind nicht eine aufgelesene Hurentochter ist, die nicht die Spur einer magischen Fähigkeit in sich trägt?“ Er lehnte sich vor: „Verlangt Ihr wirklich, dass ich Euch traue nachdem Ihr meinen Vater ermorden ließet und mich und die Hälfte meines Hofstaates gefangen genommen habt?“ Er war wütend geworden und Catherine sah Trotz in seinen Augen aufblitzen.
Rens Grinsen verschwand und Ärger machte sich durch seine Haltung bemerkbar. Er war es sicher nicht gewohnt, dass man ihm so dreist widersprach.
„Lord Nicholas! Wir können diese Angelegenheit jetzt, hier, friedlich lösen. Oder aber ich nehme an Ihr seid der Anklage schuldig und ich lasse Euch und euren Bruder sofort exekutieren. Es ist Eure Entscheidung!“ Ren war aufgestanden und Catherine spürte ihr Herz wild in ihrem Brustkorb klopfen.
Nicholas schnaufte wütend und warf einen Blick auf das Mädchen. Sie hatte sie Augen weit aufgerissen und sah von einer Person zur nächsten.
„Das Kind wird sterben, so oder so...“ meinte Ren dann selbstgefällig und lehnte sich auf seinen Tisch gestützt nach vorne.
Catherine sah es in Nicholas’ Haupt arbeiten. Sie wusste, dass er das Mädchen nicht töten wollte, doch wenn es hieß, dass er dafür selbst sterben musste? Durfte man das? Einen Lord exekutieren?
Mathieu, der still gewesen war, sprang plötzlich auf.
„Einverstanden, ich mache es. Lasst dafür meinen Bruder und meine Mutter gehen. Er ist sich zu gut um solche Befehle auszuführen.“
Nicholas starrte seinen Bruder erschrocken aus, verengte die Augen und stand nun ebenfalls auf. Catherine, die als einzige noch saß traute sich nicht sich in dieser angespannte Atmosphäre zu rühren.
Ren grinste und richtete sich ganz auf.
„Nun gut. Ich sehe schon, dass unser Zuckerpüppchen hier keinen Finger rühren möchte. Wenn Ihr, Lord Mathieu, tut was ich Euch sage, wird Euch König Finio reich belohnen. Vielleicht überlässt er Euch ja sogar die Lordschaft...“
Catherine sah die Hoffnung in Mathieus Augen, das Verlangen und auch die Gier die er verspürte. Er wollte diese Lordschaft mehr als alles in der Welt. Und er würde sie eventuell durch eine Tat wie diese bekommen. Aber er konnte doch kein kleines Mädchen töten wollen? Nicht einmal für eine Lordschaft?
Catherine biss sich vor Nervosität in die Unterlippe. Sie zitterte und versuchte ihre Übelkeit weiter zu verdrängen.
Diese gesamte Situation kam ihr unwirklich vor. Unwirklich und unrealistisch. So etwas passierte doch nicht...
„Nun denn... Ein Schwert für den jungen Lord!“ Ren bellte den Befehl beinahe und die Wächter neben ihm zuckten merklich zusammen, taten jedoch wie geheißen. Die Waffe, die Lord Mathieu gereicht wurde, glänzte wie frisch poliert. Er hielt sie hoch, zitterte dabei jedoch ein wenig. Catherine sah den Zweifel in seinem Gesicht, sah die Schuld die sich in seinen Augen widerspiegelte, als er das Mädchen... als er Melanie betrachtete.
Sie schüttelte langsam den Kopf, fassungslos. Nein... Nein... Nein...
„NEIN!“ Sie sprang hoch, bebend, die Arme nach vorne gestreckt.
Rens Blick durchbohrte sie.
Stille war eingetreten und alle, im Zelt Anwesenden, hatten sich zu ihr gedreht.
Catherines Mund war wie ausgetrocknet. Ihre Lippen schienen ein Eigenleben zu entwickeln und formten Worte, die sie nicht aussprechen sollte, wenn sie plante, hier mit dem Leben davon zu kommen;
„Das ist ein Kind! Ein KIND!“
Rens Augenbraue hob sich in schier unermessliche Höhen.
„Zorgon... komm einmal her“, sagte er dann leise.
Cat zitterte, doch sie sah nur noch das kleine Mädchen, das hier vor allen hingerichtet werden sollte. Sie sah sie stumm an. Beinahe flehend.
Ein Mann trat vor. Er bedachte Catherine langsam, beugte sich vor Ren und hörte ihm zu, als er ihm flüsternd einen Befehl gab.
Catherine nahm an, dass sie nun entweder niedergestreckt, oder aus dem Zelt eskortiert werden würde.
Sie stand ein wenig gerader, stolzer.
Zorgon trat auf sie zu und lächelte sie an. Cat sah die Lüge in seinen Augen, die mit dem Lächeln einherging. Sie traute ihm nicht.
Der Arm des Mannes schoss nach vorne und seine Finger schlossen sich um ihren Hals. Sie versuchte zu schreien, doch der Druck, den er ausübte, verhinderte jeden Ton. Ihre nächste Reaktion war, nach hinten zu weichen, zu fallen wenn es notwendig war. Auch das schien ihr verwehrt, er behielt einen festen Griff um ihren Hals.
Dann ließ er los und sie stürzte. Keuchend kam sie auf dem Boden auf und griff sich selbst um den Hals. Schluchzend, mit Tränen in den Augen, sah sie auf. Nun entsprach auch Zorgons Miene seinen Augen. Er blickte verächtlich auf sie hinab.
„Nun denn?“ fragte Ren. Er klang genervt, als ginge ihm die gesamte Geschichte hier zu langsam.
„Magie“, sagte Zorgon und drehte sich von ihr weg.
Ren wirkte noch genervter. Er verzog die Lippen zu einer widerlichen Grimasse.
„Bei Finiens, lernt ihr Leute denn nie aus?“ Er spuckte auf den Boden. „Ein Dienstmädchen mit Magie! Wirklich!?“ Ren lehnte sich vor und rieb sich die Stirn als habe er unendliche Kopfschmerzen.
„Bringt sie fort! Und passt auf, wir wissen nicht was sie kann.“ Seine Stimme schickte eine Welle des Schocks über Cats Körper.
Zwei Männer traten vor und rissen sie hoch. Catherine schluchzte wieder, Schmerz breitete sich in ihren Armen aus.
Das letzte das sie sah bevor sie aus dem Zelt geschleift wurde waren Nicholas’ Augen. Schock und Scham.




6



Catherine wurde mit solcher Gewalt vom Zelt geschleift, dass sie nicht einmal Zeit fand auf ihre eigenen Beine zu kommen um so selbst mit den Wachen mitzukommen. Ihr Gesicht war tränenverschmiert als sie an einem Zelt ankamen, das mit extra Holz verstärkt war. Sie wurde mehr als unsanft hinein gestoßen und landete auf ihren Knien woraufhin die Wachen den Eingang des Zeltes mit Lederriemen verschlossen und sie so in gedämpftem Licht auf dem Boden eines winzigen Raums saß. Catherine zog ihre Beine an sich, umarmte sie so fest sie konnte und wippte vor und zurück. Ihre Atmung beruhigte sich nur langsam. Sie schloss die Augen und gab sich der Übelkeit hin, die immer noch in Wellen über sie zu schwappen schien.
Ihre Gedanken drehten sich um all das, was gerade passiert war, was in den letzten Tagen passiert war. Sie war vermählt worden, hatte erfahren wieso ihre Gabe gefährlich war, war angegriffen, dann Zeugin des Mordes an Lord Fugal geworden und nun war ihre Gabe als Magie identifiziert worden. Dieser Tag konnte wirklich nicht schlimmer werden. Sie erinnerte sich wieder an das Mädchen. Sie hatte ihr nicht helfen können, hatte sich selbst durch den Versuch in unheimliche Schwierigkeiten gebracht.

Es verging sicher eine Stunde bevor sich vor ihrem Zelt etwas rührte. Die Wachen hatten untereinander nicht geredet und Catherine war sich nicht einmal sicher ob sie überhaupt bewacht wurde. Sie hatte mit jeder Faser ihres Körpers gewünscht, dieser Situation, gemeinsam mit ihrem Bruder entkommen zu können, aber sie hatte nicht riskiert sich zu bewegen. Sie wusste nicht was mit ihr passieren würde, aber sie wusste, dass ihr Geheimnis nicht mehr geheim war und dass nur noch zählte, dass Leon nicht mit ihr in Verbindung gebracht wurde.
Catherine hatte angefangen zu zittern als die Kälte des Abends in ihre Glieder kroch. Ihre Seite schmerzte immer noch, selbst wenn dieser Schmerz langsam abschwächte. Sie hoffte inständig, dass die jungen Lords das Mädchen nicht getötet hatten um ihre Loyalität zum König zu beweisen. Und sie hoffte, dass Lady Fugal nicht unter Verdacht stand absichtlich eine Gesellschaftsdame mit Magie angestellt zu haben. Das fehlte gerade noch; dass sie all die Leute in Gefahr brachte, die sie eigentlich retten hatte wollen.
Eine laute Stimme riss sie aus ihrer Trance. Der Eingang des Zeltes wurde zurückgeschlagen und ein Gesicht erschien. Es war das eines der Wachen, die sie hierher geschleift hatten und Catherine wimmerte kurz als ihr Arm erneut mit einer solchen Wucht ergriffen wurde, dass sie ohne viel Hilfe aufsprang. Sie wurde in die Dämmerung gezogen und fand sich daraufhin von mindestens zehn Wachen umzingelt, die allesamt ihre Schwerter erhoben hatten. Sie alle wirkten grimmig und sie las Berechnung aus ihren Augen. Wie sollte sie diesen Menschen nur erklären, dass sie niemandem schaden wollte!?
Der Mann, der sie vor sich hin schob ging nicht zimperlich mit ihr um und ließ ihre keine Zeit sich wieder daran zu gewöhnen zu stehen. So stolperte Cat vor ihm her als er sie zu Rens Zelt zurück brachte. Auf dem Weg dorthin erhaschte Cat einen Blick auf den älteren der Fugals, der an einer Feuerstelle saß, mit seiner eigenen Wache hinter ihm. Er versuchte aufzustehen als er sie sah, doch der Mann drückte ihn grob wieder auf den Boden. Cat versuchte einen flehenden Blick in seine Richtung zu schicken, doch der Mann der sie fest in seinem Griff hatte, stieß sie nur noch härter. Catherine stolperte wieder nach vorne, fing sich jedoch gerade so, was auch daran lag, dass ihre Hände nicht zusammen gebunden waren.
Am Zelt angekommen wurde sie bereits von Ren erwartet, der wie schon zuvor auf seinem Stuhl hinter dem Tisch saß. Das Mädchen war nicht im Raum und Catherine zweifelte daran ob sie überhaupt wissen wollte, was mit ihr passiert war.
Ren sah auf als sie eintrat und sein Blick versprach puren Hass. Er stand auf während sie auf einen Stuhl gedrückt wurde, der bereit stand. Die Wache fesselte dann ihre Hände und Beine an diesen Stuhl und zog die Riemen so fest, dass Catherine unfreiwillig aufstöhnte. Sie traute sich nicht sich zu bewegen aus Angst, dass das Leder sich noch weiter in ihre Haut bohren würde. Sie sah dann in Rens Augen als dieser auf sie zu trat.
„Eine kleine Magierin. Eine Spionin vielleicht?“ Er hatte sie erreicht und hob ihr Kinn mit einer groben Bewegung noch höher. Er umschloss ihren Hals mit seiner Hand und obwohl sie versuchte dem Griff zu entkommen waren ihre Bemühungen völlig umsonst.
„Die Lordschaften haben mir versichert, dass sie nichts von deiner Magie wussten. Der Schock auf ihren Gesichtern sprach Bände findest du nicht auch? Warst es du die Lord Fugal dazu bewegte seinen König und sein Land zu verraten? Hast du ihm kleine Lügen ins Ohr geflüstert als du sein Bett geteilt hast?“ Sein Gesicht war dem ihren immer näher gekommen und Catherine spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Er roch nach faulen Eiern und sie versuchte so gut sie konnte ihr Gesicht auf eine andere Seite zu drehen. Er jedoch umschloss ihren Hals noch härter und sie fokussierte auf ihren Atem, der nur schwer zu kommen schien.
Ren ließ sie los und Catherine sog soviel Luft ein wie sie konnte. Sie atmete stoßweise und schluchzte dabei als sich neue Tränen zu formen begannen.
„Also sag mir, kleine Magieschlampe. Was für ein Fluch ist dir inne?“ Ren war rückwärts getreten und saß halb auf seinem Tisch. Catherine war immer noch dabei so gut wie es ging zu atmen weswegen sie etwas brauchte bis die Frage in ihr Gehirn gesickert war. Fluch? Welcher Fluch ihr inne war?
„Ich, ich weiß nicht wovon Ihr sprecht“, kam es krächzend aus ihrem Mund. Ihre Gabe zu verstecken war ihr so lange eingetrichtert worden, sie würde den Teufel tun und sie jetzt so einfach heraus posaunen. Ein Funke Trotz war in ihr hoch gestiegen und obwohl die Angst sie immer noch fest im Griff hatte, so war ihr Stolz als Heilerstochter doch nicht völlig verloschen.
„Natürlich weißt du nicht wovon ich spreche... Es wäre auch zu einfach gewesen wenn die Wahrheit ohne Anstrengung aus dir herausgesickert wäre.“ Er lehnte sich vor und starrte in ihre Augen. Sie las Verachtung in ihnen, und Hass.
Das war der Moment in dem ihr eine Idee kam. Sie konnte ihm nicht sagen wer sie war, noch was sie wirklich konnte. Sonia war gestorben weil sie einen Fehler gemacht hatte; einen schrecklichen Fehler, zugegeben, aber immer noch nur einen Fehler. Man würde ihr nicht zuhören, man würde sie sofort exekutieren lassen und mit ihr ihre gesamte Familie. Wenn Magie heilen bedeutete, dann war sie verloren. Wenn es jedoch verschiedene Dinge beinhaltete, was sie daraus schloss, dass Ren gemeint hatte man wüsste nicht was genau sie könne, dann hatte sie eine Chance ihre Familie nicht verraten zu müssen, vielleicht sogar selber zu überleben.
„Ich bin eine einfache Gesellschaftsdame und ich habe in meinem Leben noch nie von... Magie... gehört.“ Sie stockte. Sie könnte auch einfach verschweigen, dass sie etwas konnte. Doch der Mann vor ihr war ein Mann des Königs, ein loyaler Anhänger dieses Hasses gegen Magie und sie war bereits der Gabe, des Fluches angeklagt. Alles zu verschweigen würde wohl kaum funktionieren und wenn man befand, dass sie log, würde sie sofort hingerichtet werden, dessen war sie sich beinahe sicher.
Sie atmete noch einmal tief durch. Ren sah sie abschätzend an und sie konnte in seinen Augen lesen, dass er ihr nicht glaubte.
„Aber ich habe seit ich Denken kann immer schon gewusst ob Leute lügen.“ Nun log sie selber. In Wahrheit hatte sie keine Ahnung ob sie sich das, was sie in den Augen ihrer Gegenüber in den letzten Tagen zu ‚lesen’ glaubte, einfach nur einbildete. Diese Lüge jedoch war besser als die Wahrheit, denn die Gabe eine Lüge zu entdecken konnte doch nicht gefährlich sein... oder?
Ren runzelte die Stirn. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah sie kommentarlos an. Catherine senkte den Blick und versuchte ruhig zu atmen.
„Ich bin König Finio treu ergeben.“ Sie flüsterte diese Worte nur, versuchte jedoch so viel Ehrlichkeit in sie zu legen wie sie konnte. Sie war natürlich dem König treu ergeben, hatte nie etwas anderes gekannt und hatte im Prinzip auch keinen Grund zu rebellieren. Außer ihre Magie, die anscheinend völlig verachtet wurde.
Ren grunzte und setzte sich bequemer hin.
„Von so einem Fluch habe ich noch nie gehört.“ Er lehnte sich wieder vor und seine Augen bohrten sich in die Ihren als sie aufsah. „Falls du lügst, Magieschlampe, dann bist du tot.“
Catherine schluckte und starrte in sein Gesicht. Sie war mit dieser Situation völlig überfordert und wollte doch keine Schwäche zeigen. In seinen Augen sah sie überdeutlich, dass er die Wahrheit sprach, was ihr noch mehr Angst einjagte.
Sie nickte und signalisierte so, dass sie ihm glaubte.
Ren lehnte sich wieder zurück und nickte selber.
„Wie du der Entdeckung entgangen bist ist mir schleierhaft Magierin...“ er seufzte und sah plötzlich um einiges älter aus. „Aber wenn du die Wahrheit sprichst, kann ich dich gebrauchen. Es liegt an dir. Arbeite für deinen König und dein Land, verzichte auf jegliche Fortpflanzung und sonstige Privilegien, sei ehrlich und folge Befehlen, dann lasse ich dich leben.“
Catherine öffnete den Mund. Sie war geschockt, verwirrt, starr vor Angst und bemerkte nun, dass sie aufgehört hatte zu atmen. Sie sog Luft in ihre Lungen und schluckte wieder.
Was hatte er gesagt? Die Worte sickerten nur langsam in ihr Bewusstsein und sie konnte keine sinnvollen Gedanken spinnen. Das einzige was ihr in dieser Situation übrig zu bleiben schien war langsam zu nicken. Er hatte gesagt er würde sie nicht töten wenn sie ihm folgte. Das war zwar etwas, das sie wirklich nicht wollte, niemals in ihrem Leben gewollt hatte, doch sie ahnte, dass ihr nichts anderes übrig zu bleiben schien.
Ren nickte wieder: „Gut.“ Er drehte sich dann um und schritt um den Tisch herum, zurück zu seinem Stuhl.
„Ich habe keine Zeit dich zu testen, also wird das Zorgon für mich übernehmen. Du kannst dich im Lager frei bewegen, aber wenn du dich den Fugals näherst oder versuchst zu fliehen, so wird dein verachtenswertes Leben schneller vorbei sein als sogar dir lieb ist.“
Catherine sog rasselnd noch mehr Luft ein und unterdrückte einen erleichterten Schluchzer, der ihr in der Kehle steckte.
Als habe er Ren gehört trat der Mann ein, der sie vor weniger Zeit herausgefunden hatte. Das musste Zorgon sein und Catherine war erleichtert als Ren seinen Befehl wiederholte und dann auf ihre Riemen wies. Zorgon seufzte genervt und band sie dann mit schnellen Schnitten seines Messers los. Catherine spürte wie Blut ihr wieder in ihre Hände schoss und sie stöhnte erleichtert auf während sie sich die geschundenen Gelenke rieb.
„Komm.“ Es war ein knapper Befehl, der keine Widerrede zuließ und Catherine stand so elegant es ihr in diesem Zustand möglich war, auf. Sie besann sich daraufhin ihrer guten Erziehung und verbeugte sich vor Ren, der ihr dadurch sogar ein amüsiertes Schmunzeln schenkte.
Sie eilte daraufhin aus dem Zelt um zu Zorgon aufzuschließen.

Zorgon hatte sie zu einer Feuerstelle geführt an der etliche Leute saßen, sich unterhielten und aßen. Catherine spürte wie sich ihr Magen zusammen zog. Sie hatte seit Stunden nichts gegessen, doch es fühlte sich wie Tage an seit sie auf Veritas ihrer Zukunft entgegen geritten war. Dass diese so aussah hatte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen können.
Sie bemerkte außerdem, dass diese Feuerstelle weit entfernt von den zahlreichen anderen war, an denen ebenfalls Menschen saßen und ihr Abendessen genossen.
Catherine setzte sich auf einen Wink Zorgons auf den Boden neben einem Holztrog, der von zwei Frauen besetzt war. Daraufhin ignorierte er sie und umarmte eine der Frauen, die zur Begrüßung aufgestanden war. Als er sie küsste wendete Cat den Blick geniert ab. Sie lief rot an und fing an ihre Finger zu kneten. Zum einen um etwas zu tun zu haben, zum anderen um sich von dieser Unverfrorenheit abzulenken.
Ein schallendes Lachen erklang neben ihr und sie sah verwirrt auf. Eine der beiden Frauen die neben ihr saßen hatte ihr zugesehen und amüsierte sich scheinbar köstlich über ihr Verhalten.
„Eine Kleine vom Land, hm?“ Sie zwinkerte Catherine zu. Diese senkte schnell wieder den Blick, hatte jedoch Freundlichkeit in den Augen der jungen Frau entdeckt, was ihr zumindest halbwegs gut tat.
Gedanken an ihren Bruder schossen ihr durch den Kopf. Sie durfte sich den Fugals nicht nähern, dessen war sie sich bewusst, aber sie wollte auch nicht riskieren Leon nahe zu kommen. Es würde schwer genug werden ihn davon abzuhalten sie zu verraten, vor allem wenn er und die Fugals frei gelassen würden und sie hier bleiben musste. Hier bleiben? Nein, nein, nein, sie konnte nicht hier bleiben. Sie wollte nicht hier bleiben. Sie spürte wie weitere Tränen in ihr hoch stiegen und sie versuchte all die Gefühle einzukerkern, die sich ihren Weg hinaus bahnten.
Die junge Frau neben ihr bemerkte ihren Gefühlsausbruch.
„Oje, Kleines, nicht weinen. Es hätte schlimmer kommen können!“ Sie lächelte und hob Catherines Kopf höher um ihr in die Augen schauen zu können. „Wirklich, für jemanden mit Magie ist das hier besser als der Tod. Besser als alle anderen... Optionen.“ Sie ließ sie wieder los und starrte dann ins Feuer. Sie wirkte ein wenig traurig und Catherine wollte sie trösten, konnte sich beim besten Willen jedoch nicht vorstellen wie, wo sie sich doch selbst so hilflos fühlte.
„Ich heiße übrigens Leia.“ Die junge Frau wandte sich wieder zu Catherine und die Traurigkeit, die sie ausgestrahlt hatte, wich einer tiefgründig freundlichen Aura, die Catherine etwas von ihrer Angst nahm.
„Cat... Katla.“ Als sie ihren neuen Namen sagte, den den sie so lange tragen würde müssen bis sie ihr altes Leben wieder aufnehmen konnte, hatte sie einen bitteren Beigschmack auf der Zunge. Sie log wirklich nicht gerne. Natürlich hatte sie einen großen Teil ihrer selbst immer verschwiegen, aber es war etwas anderes zu lügen als einfach nur nicht die ganze Wahrheit zu sagen.
Catherine versuchte zu lächeln und sah sich dann wieder um. Ihr Magen fing erneut an zu knurren, als ihr Blick auf einen Topf fiel der über dem Feuer vor sich hin brodelte. Leia fing ihren Blick auf, grinste und reichte ihr eine leere Schüssel. Cat schluckte schwer und stand dann etwas ungelenk auf. Ihre Seite schmerzte immer noch und würde wohl für längere Zeit blaue Flecken aufweisen. Allerdings war sich Cat relativ sicher, dass keine Rippe gebrochen war, weswegen sie sich um sich selbst, zumindest in dieser Hinsicht, wenig Sorgen machte. Sie bemerkte wie Zorgon ihr einen abschätzenden Blick zuwarf, sich allerdings wieder seiner Geliebten zuwandte als Catherine keine Anstalten machte sich großartig aufzuspielen.
Die junge Frau wollte im Prinzip nur endlich etwas Essen und als sie sich reichlich Suppe in ihre Schüssel getan hatte, hätte sie beinahe wieder angefangen zu weinen. In diesem Moment war ihr egal wo sie war, was mit ihr passieren würde und ob ihr Bruder sie verraten könnte. Sie war so dankbar diese warme Flüssigkeit in ihren Körper führen zu können, sie hätte wohl alles um sich herum vergessen, wäre sie alleine gewesen. So jedoch war sie sich trotz allem der Blicke bewusst, die sich auf sie gelegt hatten. Catherine dachte, dass sie vielleicht zu forsch gewesen sein könnte und senkte ihren Blick als sie an ihren Platz zurückkehrte. Leia grinste sie an und zwinkerte ihr offen zu. Catherine bemerkte wie Zorgon und sie sich einen viel sagenden Blick zuwarfen. Sie fing ihn nicht wirklich auf und konnte daher nicht sagen welche Nachricht sie sich übermittelten, aber Leia lächelte wieder und wandte sich zurück an Cat, die sich bereits wieder hingesetzt hatte und angefangen hatte, die Suppe zu löffeln, weswegen die Nachricht nichts allzu schlimmes beinhaltet haben konnte.
„Also, Katla. Ich frage dich grad heraus, da wir hier keine Geheimnisse voreinander haben und du nun teil unserer Gruppe bist. Was beinhaltet deine Magie?“ Leia hatte sich vorgelehnt, ihre Stimme jedoch trug und Cat bemerkte wie alle, die um das Feuer herum saßen aufhorchten und sich interessiert zu ihr drehten. Sie spürte wie Blut in ihre Wangen schoss und sie blickte wieder auf den Boden, der Rest der Suppe vergessen. Männer wie Frauen fingen an zu grinsen und sich gegenseitig in die Seite zu stoßen. Catherine wusste wirklich nicht, was sie von ihr wollten. Sie war nur ein Landmädchen. Ja, natürlich, sie war die Tochter des Heilers, aber doch nur die Jüngste. Sie war so erzogen worden, dass sie nur sprach wenn man sie etwas fragte, dass sie nur mit den Leuten Augenkontakt hielt, die ihre Familie und engsten Freunde waren. Sie mochte diese Nähe nicht, diese Menschen, die so taten als wäre ihr Leben nicht gerade völlig aus den Fugen geraten, als wäre ihr größtes Geheimnis nicht vor nur wenigen Stunden mit einem Knall heraus gekommen. Weil Zorgon... es erkannt hatte?
Sie hob die Augen und sah ihn an. Er und seine Geliebte hatten sich nieder gesetzt und beide sahen sie mehr neugierig als alarmiert an.
Catherine räusperte sich, ihre Wangen brannten.
„Ich weiß wann jemand lügt.“ Sie sagte es laut genug um es nicht wiederholen zu müssen, aber leise genug damit man wusste, dass sie niemand war der ihre Magie gerne heraus posaunte.
Es half jedoch nicht, denn sobald sie den Satz beendet hatte klatschte Leia begeistert in die Hände.
„Wirklich?“ Sie lachte, ihre Augen glitzerten, voll von unschuldigen und weniger unschuldigen Gedanken. Catherine fühlte erneute Übelkeit hochsteigen. Sie drückte eine Hand auf ihren Bauch, wie um ihn zu beruhigen, als ob das ihr jemals geholfen hätte.
„Gut, ich werde dir drei verschiedene Sachen erzählen. Du sagst mir dann welche wahr sind und welche nicht!“ Leia grinste wieder. Cat wurde erneut von Angst überfallen. Sie hatte niemandem gesagt was sie wirklich konnte. Was, wenn das was sie dachte, das sie in den Augen anderer lesen konnte, nur Einbildung war? Ein Streich den ihr ihr Geist spielte?
Sie schluckte.
„Nein, wirklich nicht, bitte, ich bin... müde.“ Sie flehte Leia mit Blicken an, doch diese schien völlig begeistert von diesem neuen Spiel.
„Ach komm! Wir bekommen so wenig frisches Blut hier herein.“ Sie zwinkerte und auch Zorgon lehnte sich vor. Ihm war immerhin aufgetragen worden ein Auge auf sie zu haben. Wenn sie hier versagte, würde sie wieder vor Ren gebracht werden! Das konnte sie nicht, dann hatte sie ihr Leben gehörig verspielt. Und wahrscheinlich auch das ihres Bruders.
Catherine nickte langsam und bereute es sofort wieder, denn Leia klatschte noch einmal laut in die Hände, was die Aufmerksamkeit derer, die sich bereits wieder abgewandt hatten, erneut auch sie zog.
„Hm...“ Leia überlegte kurz. Sie hatte einen Finger auf ihre Lippen gelegt.
Catherine wusste, dass sie ihr in die Augen sehen musste, wenn sie auch nur eine Chance haben sollte hier mit dem Leben heraus zu kommen. Es war ihr unangenehm, aber sie zwang sich dazu ihren Blick nicht abzuwenden als sich Leia schließlich zu ihr drehte.
„Mein Vater hieß Pukor Flemmon, er war ohne Magie und als ich zehn Jahre alt war und meine Magie zu Tage kam, verstieß er mich. Wahr oder falsch?“ Sie lächelte, sah in Cats Augen und wartete. Catherine hatte den Atem angehalten, aber sie hatte umsonst gezittert. Es lag Traurigkeit in Leias Augen, und Wahrheit. Außer als sie den Namen genannt hatte. Natürlich konnte sich Cat das wieder nur eingebildet haben, aber sie musste sich selbst vertrauen. Ihre Nägel hatten sich in ihre Hand gebohrt und sie ließ widerwillig los um sich nicht auch noch eine neue Wunde zuzulegen.
„Dein Vater hieß nicht Pukor Flemmon, war jedoch ohne Magie und verstieß dich als du zehn Jahre alt warst.“ Sie hielt den Atem erneut an, ihre Nägel bohrten sich wie von Geisterhand geführt nochmals in ihre Handfläche und Catherine ließ es geschehen. Sie war zu sehr damit abgelenkt zu hoffen, dass sie richtig lag.
Leia lachte auf.
„Sein Name war Geron Funta, ja.“ Sie grinste, „Alles andere war wahr.“
Catherine ließ ihren Atem zischend hinaus gleiten. Sie fühlte unendliche Erleichterung durch ihre Venen fließen. Alle Kraft, die sie übrig gehabt hatte, schien sie zu verlassen und ihre Schultern, die durch jahrelange Erziehung nach oben gehoben worden waren fielen nach vorne.
„Ach komm. Das war doch leicht. Jeder von uns wurde verstoßen! Und das mit dem Namen... Frag sie etwas Schwereres!“ Die Frau, die gesprochen hatte, war die Geliebte Zorgons und hatte sich vor Neugierde ganz nach vorne gelehnt.
Catherine hätte weinen können. Sie wollte nicht mehr, sie wollte fort, in ihr eigenes Bett, zurück in ihr beschauliches Leben wo ihre einzige Sorge die war, dass man sie überhören könnte wenn sie mit Veritas sprach.
Leia lachte erneut, war dieses Mädchen niemals lange unglücklich?
„Na gut, Katla, wahr oder falsch: Ich bin achtzehn Jahre alt, verlor meine Unschuld mit fünfzehn an Miko und hasse Spinnen.“
Catherine hatte ihr rechtzeitig in die Augen gesehen um zu erkennen, dass sie nur in einer Sache log.
„Du lügst nur wenn du sagst du hast deine Unschuld an... Miko verloren.“ Es fiel ihr schwer das auszusprechen. Sie hatte nicht wirklich registriert was Leia ihr gesagt hatte, doch nun war ihr fast augenblicklich klar geworden, dass sie wirklich nicht mehr in ihrer eigenen, behüteten, kleinen Welt war.
„Hey!“ Ein Ausruf war von der anderen Seite des Feuers gekommen. „Mit wem hast du vor mir geschlafen?“
Der junge Mann, der empört aufgestanden und um das Feuer getreten war, wurde von Leia mit leisem Kichern empfangen.
„Das bleibt mein kleines Geheimnis Miko. Und ja, Katla, das hast du richtig erkannt.“ Sie zwinkerte und zeigte Catherine dann den Rücken ihres Halses an dem ihr eine Spinne in die Haut gebrannt worden war.
Catherines Augen weiteten sich noch mehr als sie ohnehin waren. Ihr war unheimlich schlecht, sie war froh dass sie saß und, obwohl sie sicher war, dass sie sich das zumindest einbildete, schien sich die Spinne langsam zu bewegen. Cat riss den Blick los und starrte Leia voller Schreck an.
Erneut erklang Leias helles Lachen. Langsam ging das Catherine auf die Nieren. Wie konnte jemand hier so ein frohes Gemüt haben? Sie selbst fühlte sich vollständig ausgelaugt und überhaupt nicht glücklich. Sie spürte Tränen hochsteigen und kämpfte sie nur mit mehr Mühe hinunter, als sie geglaubt hatte noch in sich zu haben.
Finiens sei dank war die Aufmerksamkeit aller nun zu Leia und Mikos liebevollem Gezanke übergegangen. Cat schaffte es kaum die Augen offen zu halten. Zorgon schien das zwischen zwei Bissen zu bemerken und stand auf. Er räusperte sich kurz und verabschiedete sich dann von der Gruppe. Seine Geliebte schien wenig begeistert, wurde jedoch still als er einen Kuss auf ihre Stirn drückte.
Er nickte dann Catherine zu und wies ihr an ihm zu folgen. Sie murmelte einen Abschiedsgruß zu Leia, die ihr ein Lächeln und einen Wink schenkte bevor sie sich wieder Miko zuwandte, der immer noch versuchte, einen Namen aus ihr herauszukitzeln.
Catherine schüttelte kurz ungläubig den Kopf und folgte Zorgon.

Sie hielten an einem, ebenfalls abseits stehenden Zelt an und Zorgon hob die Eingansfalte damit Catherine eintreten konnte.
„Hier schlafen die meisten von uns. Es ist nicht viel, aber es wird dich vor Wind und Wetter schützen. Die Kutte da“, er wies auf eine der vielen, eng aneinander gereihten Schlafstellen, „sollte für heute reichen. Wenn du für kleine Mädchen musst, geh nach draußen, aber entfern dich nie mehr als soweit das Licht reicht. Falls du es tust werden wir es wissen und Ren wird dich bitterlichst bestrafen. Glaub mir wenn du hier überlegen willst.“
Catherine schluckte schwer und nickte dann. Zorgon war anders als die anderen Wachen hier. Sie waren alle anders gewesen. Lag das an der Magie? Sie war nicht dumm, sie hatte bemerkt, dass diese Gruppe sich unterschied, dass sie weit entfernt von den Anderen saßen und augenscheinlich auch woanders schliefen. Und Leia hatte gemeint ihre Magie sei mit zehn Jahren erwacht. War das nicht ungefähr die Zeit in der auch sie zuerst heilen hatte können? Die Zeit in der sie so krank geworden war und nicht einmal ihr Vater hatte herausfinden können, was ihr fehlte?
Catherine ließ sich auf die Kutte fallen. Ihre Glieder fühlten sich schwer an, sie war immer noch hungrig und müsste sich außerdem erleichtern, aber dazu fehlte ihr die Kraft. Sie wollte nur noch schlafen. Sie schloss ihre Augen und sah nur noch Zorgon, der sich abwandte und aus dem Zelt trat. Dann war sie endlich fort.

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Tag der Veröffentlichung: 08.03.2011

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