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„ER ist AAAAAAAAAAAAAAB…“, schreit Onkel Alexandra, quetscht sich ein paar Tränen aus den Augen und fasst sich x-beinigaffig an die Hose, als müsse er etwas halten.
„…durch die Tür!".
Onkel Alexandra ist weise Schenkelklopferheldin mit Plan. Sagt er von sich selbst. Einer seiner Running Gags geht einfach nur so: „Eristabdurchdietür“.
„Running“ ist Englisch und bedeutet, dass das, was da ist, immer wieder kommt, als ob es Beine hätte. Ein „Gag“ ist etwas zum Lachen.
Nicht alle lachen über Onkel Alexandras Running Gag. Weil es zugleich ein „Insider“ ist. Ein Witz für Leute, die bescheid wissen. Ich lachte immer, weil Onkel Alexandra laut und schallend lachte und Mama laut und schallend lachte und ihre Freunde laut und schallend lachten. Und nun weiß ich obendrein noch bescheid.
Viele Menschen verziehen beim Lautundschallendlachen das Gesicht, sodass sie zum Lautundschallendmitlachen aussehen.
Oder ihr Lachen gluckst rauf und runter, als hätten sie Schluckauf oder einen Frosch verschluckt. Lachen ist einfach lustig und kann ganz schön ansteckend sein.

Onkel Alexandra wohnt seit mindestens tausend Jahren bei uns. Beweise: Fotos, auf denen er mich auf seinen behaarten Armen schaukelt, als ich noch ein unbehaartes Baby war. Jetzt hab’ ich welche. Haare. Auf dem Kopf. Nicht auf den Zähnen. HARRHARR! Das war und ist MEIN EIGENER Running Gag. Auch ich wollte weise Schenkelklopferheldin mit Plan zu werden. So wie Onkel Alexandra.
„… wenn ich mal groß bin“, dachte ich, „und bescheid weiß.“
„Und Übung macht schließlich den Meister“, sagte Onkel Alexandra.
Onkel Alexandra ist ein bisschen wie ein Papa. Bloß, dass mein Papa keinen Lippenstift mochte, sagt Mama. Onkel Alexandra dagegen schon. Knalleqietschebunt am liebsten. Und Onkel Alexandra lacht mehr als Papa. Sagt Mama. Und lauter. Weiß ich.
Papa ist Anno Dazumal von uns gegangen. Er lebt aber noch, der Papa. Bloß nicht bei uns. Anno Dazumal ist bei uns, als Onkel Alexandra zu Mama und Mamas Bauch mit mir drin gezogen ist.
Warum Papa gegangen ist, hab’ ich Mama mal gefragt. Da hat Mama gesagt, das hätte mit der Liebe zu tun.
„Mich hat’s damals einfach erwischt“, sagte sie und lächelte Onkel Alexandra verliebt an.
„Die Liebe kommt und geht - und kommt… “, hat sie mir erklärt,
„… aber manchmal eben NICHT wieder.“
Und dass die Liebe durch den Magen geht, weiß ich auch noch. Von Onkel Alexandra.
Dass Papa gegangen und Onkel Alexandra gekommen ist, hängt also mit dem Liebesding zusammen.
Onkel Alexandra hat meine Frage und Mamas Antwort und meine dranhängenden Gedanken mit „Die Liebe ist ein seltsames Spiiiiiel. Sie koaammt und geht von eiiiiiiiiiiinem zum andreeeen“ begleitet.
Ich finde, Onkel Alexandra kann ganz schön singen. Zu jeder Frage hat er das passende Lied.
Einmal hab’ ich nachbohrend etwas nachgefragt. Da sang er „Bohr’ dir doch ein Loch ins Knie!". Das hab’ ich natürlich nicht getan. Aber ich war ihm auch nicht böse. Weil ich abgelenkt war.

Wenn wir Mutter-Vater-Kind spielen, bin ich immer die Mutter. Mama, also die meine, ist viel am Arbeiten. Den Vater lassen wir weg. Dafür spielt Onkel Alexandra immer zwei Kinder auf einmal. Das kann er richtig gut. Ich bin aber auch eine gute Mutter, finde ich.

Mein Name ist Leilani Lehmann. Das ist hawaianisch und bedeutet Himmelskind. Lehmann, um Himmels willen, ist natürlich nicht hawaianisch, sondern deutsch.
Ich bin zehn Jahre alt und zwischen vier Brüsten aufgewachsen. Mamas echten und Onkel Alexandras unechten. Das sage ich immer mit vor Stolz angeschwellter Brust. Es ist nämlich etwas Besonderes, zwischen vier Brüsten aufzuwachsen. Ob unecht oder nicht. Und auf Besonderes darf man stolz sein, finde ich. Da darf man ruhig seine Brüste mit ins Spiel bringen. Meine müssen noch wachsen. Aber das hat noch ein bisschen Zeit, sagen Mama und Onkel Alexandra.
Onkel Alexandras Brüste sind, trotz, dass sie unecht sind, die besten Brüste der Welt zum Reinkuscheln. Besonders dann, wenn der Peter, der Junge von oben drüber, mal wieder eines meiner Kreidebilder kaputt gemacht hat.
„Leilani malt die besten Kreidebilder der Welt“, sagt Mama oft zu ihren Freunden und zwinkert mir dabei zu. „Sie hat ihren ganz eigenen Stil.“
Das stimmt. Ich setze meine Kreide an und kein einziges Mal ab, wenn ich kreidmale. Manchmal überlege ich vorher, was es werden soll. Und manchmal lasse ich es einfach werden, was es werden will. Da kommen dann ganz oft gähnende Berge mit löchrig ungeheuren Ungeheuern drin raus. Manchmal auch puffelige Wolkenhimmel, durch die blümelige Blumenkinder hoppsen. Oder einfach „Fantasie“. Ich nenne das so, wenn ich selbst nicht weiß, was es werden willwollte.

Wir wohnen in einem Wendehammer. Da fahren wenig Autos. Eigentlich nur die, die wenden wollen. In drei Zügen.
Dann muss ich doch meine Kreide absetzen. Das mag ich gar nicht.
Der dumme Peter von oben drüber lacht dann immer.
Den Peter von oben drüber finde ich doof. Der ist nämlich hochgemein. Weil er mir meine Kreidebilder immer kaputt macht. Ich wollte wissen, warum, und mich beschweren und ihn schütteln und beschimpfen. Hab’ mich aber nicht getraut. Da hat mich Onkel Alexandra auf seine Schultern gesetzt, und wir haben beim Peter geklingelt und ihn gefragt, was mit ihm los wäre.
„Warum fragst du nicht selbst? Angsthase!", grinste der nur großwürstig und machte einen auf dicke Hose.
„Ich spreche aus ihrer Brust“, sagte Onkel Alexandra und deutete zu mir hinauf.
Sprechende Brüste sind herrlich, finde ich. Davon kann ich einfach nicht genug bekommen.
Aber meine sprechenden Brüste haben dem Peter anscheinend nicht imponiert, denn er hat einfach munter weiter meine Kreidebilder verwischt, verscharrt, weggespült, um nur einige fiese Gemeinsamkeiten an Gemeinheiten zu nennen.
„So kommen wir keinen Zentimeter weiter beim Peter“, sagte Onkel Alexandra und seufzte.
„Das hintere Gemeinloch dieses Kerls ist noch nicht einmal mit hochwohlgeformt fülligen und obendrein sprechenden Brüsten zu stopfen! Wir müssen uns einen anderen Plan überlegen, Leilani!"
„Der Peter ist ein richtiger Sauhackekackepeter! Meine Bilder müssten ihm einfach mal kräftig in den Hintern beißen“, schlug ich vor. „Dann würde er sich bestimmt nicht mehr getrauen, sie kaputt zu machen.“
Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten bei Peters Hinterngedanken.
„Das ist eine sehr gute Idee“, meinte Onkel Alexandra anerkennend. „Du hast immer großartige Ideen, Leilani! Das ziehen wir durch!"
Und zusammen tüftelten wir aus, was ich kreidmalen könnte.
„Ich male eine riesengroße, Furcht einflößende, Zahnfleisch fletschende „Fleischhakennasenfantasie“ mit Halsknöterichen“, schlug ich vor.
„Aber dann kriegt’s ja die kleine Tilde von ganz oben mit der Angst zu tun“, sagte Onkel Alexandra. „Du könntest stattdessen eine liebe „Fantasie“ für liebe Leute malen, die nur zur „Gruselfletschfleischhakennasenfantasie“ wird, wenn man ihr Böses will.“
Die Idee fand ich nun auch großartig. Das ist das Großartige an Onkel Alexandra und mir, dass wir beide großartige Ideen haben und dass diese - zusammengenommen - noch großartiger werden.
So suchten wir gemeinsam die passende Farbe für die „Fantasie“ aus. Wir entschieden uns für ein orangerotgrüngelbbraunblau, und ich zog meine Jeans an. Ein ausgewaschenes Hemd von Onkel Alexandra. Ärmel hoch, und los ging’s.
„Los, aufihopphoppgalopp, komm her, du Fantasie!", rief ich und klatschte in die Hände.
Mit leuchtender Farbkreide setzte ich an und ließ meine Fantasie Gassi gehen.
Und da ging sie auch wieder einmal mit mir durch: Als würde ein Zauber in meine Hand fahren, glitt sie schwungvoll geführt mit Kreidefarbe orangerotgrüngelbbraunblau über das Pflaster. Zerrte sie hierhin und dorthin. Überstreichelte liebevoll das Zwischenmoos, hüpfte um den von Tilde festgetretenen Kaugummi herum und über Klitzeblitzekieselsteinchen hinweg. Fegte Blütenblätter und Stäube beiseite, pustete und prustete. Ein Ästchen, ein Zigarettenstummel – keine Entgleisung. Wegblasen und weitersausen mit Fantasiezausen und -flausen. Hier noch hin, dort noch hin. Hin und her. Hochrunterrüber.
Mein Arm, mein ganzer Körper - mit Kopf und Beinen dran - hing an kreidmalender Hand, als hätte ich plötzlich Flügel bekommen. Der Wind blähte mir meine Hemdärmel auf, sodass ich aussah wie der Bestgoldweltenboxer Ali. Die Sonnenkonzentratpumpe pampte Farbfrische in die „Fantasie“, und so flog und flog ich noch ein paar Runden über den Wendehammer, bis die „Fantasie“ mich fertig geflogen hatte.
Da blickte sie mir von ihrem Grunde aus entgegen bis in die tiefsten Kammertiefen meines Herzens, direkt hinter meinen Brüsten: Die Geheimwunderwaffe an vollbrüstiggroßartigbestwendehammerplatzierten „Fantasie“, die mir bisher gelungen war. Hier und da konnte ich ein Scheinchen saupeterschützender Zähnefletschgefährlichkeit aufschillern sehen.
„Das ist ein Meisterwerk, Leilani: Sie ist prächtig geworden, deine „Fantasie“!",, sagte Onkel Alexandra. Und das fand ich auch.
Blieb uns nur zu hoffen, dass sich ihr Fantasiellantlitz auch tatsächlich Zähnefleisch fletschend verwandeln konnte, um dem Peter beim Sausein einen tüchtigen Schrecken einzujagen. Dass sie bloß nicht in ihrer liebäuglichen Lieblichkeit erstarrte, um vom ihm – wie all ihre Vorgänger - munter verwischt, verscharrt oder weggespült zu werden.

Es vergingen ein paar Tage, an denen es nicht regnete, aber der Novo Virus, eine gemeine Durchfallerkrankung, kräftig Gas gab. Es wendeten auch nicht sonderlich viele Autos in drei Zügen. Tilda spielte an jedem dieser Nachmittage Nichtdielinienberührenhüpfen mit sich und der „Fantasie“ und hatte sie recht gern, so schien es. Und die Nachbarn blieben beguckwundernd stehen. Wegen Tilde. Und vielleicht wegen der langlebliebäugelnden „Fantasie“. Den Peter haben sie nicht beguckwundern können. Den hatte wohl der Erdboden verschluckt.
Ich schöpfte Hoffnung.
Ich träumte, dass Peter sich meiner „Fantasie“ gefährlich saunäherte. Mit zwei Eimern kreidwegspülendes Wasser in den Händen. Damit wollte er gerade kräftig Schwung nehmen, da packte ihn die „Fantasie“ am Schopfe und rüttelte und schüttelte und beschimpfte ihn zahnfleischzähnefletschend. Meine „Fantasie“ ummantelte den Peter und nahm ihn gehörig in die Mangel. Ich träumte innigst, wie meine „Fantasie“ den Peter verschlang. So richtig mit Haut und Haaren. Und dann spie sie ihn spötzelnd wieder aus. Der Peter war nun gescheiter und verliebte sich dankbar in die nun mit ihm liebäugelnde Lieblichkeit meiner „Fantasie“.

So vergingen die letzten zwei Wochen.
Da hörte ich eines Tages, heute, Schritte im Treppenhaus. Petrig schleichschlurfend kamen sie - so gar nicht tildaquirlighüpfend – von oben herab… Es klingelt. Ich geh’ mal eben nachschauen.

„Peter hat’s voll erwischt“, sagt Onkel Alexandra zu mir, schlurfend von der Klingeltür kommend. „Ging voll durch den Magen“, und zeigt mit einem Kopfnicken zur Tür, wo der Peter steht.
„Peter hat sich verliebt?!“ Ich kann es kaum fassen: Ich kann hellsehen! Ich strahle wie ein Honigkuchenpferd. Wenn ich nicht mal bescheid weiß.
Und noch großartiger finde ich: Wir haben’s NICHT verkackt: Unser Plan hat funktioniert!

Kreidebleichdünnhäutig dreinblickend entschuldigt sich Peter – geisteserhellt und, wie ich jetzt weiß, verliebt - bei mir und auch bei meinen sprechenden Brüsten.
Ich fühle mich wunderbar wie auf Wolken, als er geht, und meine Augen leuchten wie tausende von Sonnenpumpen vollgepampte „Fantasien“.
Onkel Alexandra legt den Kopf schief und sieht mich fragend an.
Nun weiß ich bescheid. Und fühle mich sehr weise.
„ER ist AAAAAAAAAAAAAAB…“, schreie ich, quetsche mir ein paar Tränen aus den Augen und fasse mir x-beinigaffig an die Hose, als müsse ich etwas halten.
„…durch die Tür!", schreit Onkel Alexandra weiter.
Und zusammen lachen wir großartig.
Onkel Alexandra und ich sind nun beide weise Schenkelklopferheldinnen mit Plan. Einer unserer Running Gags geht einfach nur so: „Eristabdurchdietür“.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Paul. Dauerdarmgeschichten.

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