Wie jeden Tag saß ich während der Mittagspause auf meiner Bank. Es war meine Bank. Inzwischen traute sich niemand mehr hier zu sitzen, weil ich ihn entweder schon bevor oder schon während er sich setzte, darauf hinwies, dass gleich meine Freunde kommen würden. Die meisten hauten direkt ab, ohne nachzufragen oder zu meckern, dass ja niemandem diese Bank gehöre, schließlich sei sie öffentliches Eigentum, die anderen strafte ich jedes Mal mit einem so bösen, nahezu teuflischen Blick- den ich mittlerweile perfekt auf Anhieb beherrschte-, so dass sie mit einem mitleidigen Seufzten schließendlich doch abhauten.
Da die Anzahl der Schüler auf meiner Schule relativ knapp geraten war, wusste nach einiger Zeit jeder, dass dies meine Bank war, ich jeden Tag hier saß, zuerst etwas aß, dann meistens meine Pädagogikhausaufgaben machte, die ich abends komischerweise nie zu machen schaffte, und schließlich Musik hörte und mit immer wiederkehrendem Blick auf meine Uhr das Ende der Mittagspause und demnach das Ende des Schultages herbeisehnte.
Meine imaginären Freunde, für die ich diese meine Bank immer freizuhalten schien, existierten nicht. Obgleich ein Teil von mir immer darauf wartete, wusste ein anderer Teil, dass das Leben was ich einst einmal geführt hatte, vorbei war und niemals wieder kommen würde. Meine Freunde würden nie hierhin kommen. Nie.
Ich wusste noch genau, wie das ganze angefangen hatte. Mit dem „ganzen“ meinte ich die Ignoranz und Intoleranz meiner ehemaligen Freunde.
Vor ungefähr einem Jahr kam eine neue Schülerin an unsere Schule. Ich war mal anders gewesen als jetzt, damals hatte ich nicht die Anwesenheit anderer Menschen gescheut. Also hatte ich die Neue, Cathy war ihr Name, ein wenig betreut, hatte sie an unseren Tisch gebeten, hatte versucht nett zu sein und sie zu integrieren. Sie schien so scheu und so schüchtern zu sein, ein wenig erinnerte sie mich an mich selbst, als ich noch ein wenig jünger gewesen war. Ich hatte ihr bloß die Chance geben wollen sich Freunde zu suchen und nicht zu einem einsamen Freak zu werden, der ich nun war.
Außerdem war sie nicht gerade hübsch, wir hatten geschworen ihr Stil und Klasse beizubringen und ihr nebenbei gesagt beizubringen wie man sich richtig schminkt.
Sie war, wie bereits gesagt, erst gerade hergezogen. Ihre Eltern hatten- aus welchem Grund auch immer, dass ihr Vater Abwechslung brauchte, wie sie immer behauptete, war gelogen, das wusste ich- ihr Haus in Vermont verkauft. Ihr Bruder, Armin, der ebenfalls mit hierhergekommen war, besuchte mit uns zusammen die Highschool, allerdings war er 1 Jahr älter als wir und machte bald seinen Abschluss. So weit ich noch wusste, war Cathys Mutter Krankenschwester und ihr Vater Finanzberater, oder so was.
Ich stellte Cathy meinen Freunden vor, ohne zu ahnen, was das für mich später bedeuten sollte. Ich hätte von Anfang an sehen sollen, wie sehr sie meinem Freund schöne Augen machte und wie sehr sie meinen anderen Freunden in den Arsch kroch. Allerdings hielt ich das anfangs für ihre introvertierte Art und den Versuch beliebt zu werden und machte mir keine Gedanken.
Mein damaliger Freund Lucas und ich waren erst seit 2 Monaten zusammen gewesen und er war mein erster richtiger Freund gewesen. Er war schön, nett, lieb, zuvorkommend und letztlich total naiv gewesen. Wir waren uns auf romantische Weise auf einem Schulball näher gekommen und seitdem unzertrennlich geworden.
Meine damaligen besten Freundinnen Sarah und Harper und ich kannten uns schon seit der Junior High. Wir hatten damals den „Club der 3 It’s“ gegründet um unsere damaligen Ambitionen auszudrücken. Oh ja, das war schon immer unser Traum gewesen. Die 3 It-girls der Schule zu sein, wie man es in jedem amerikanischem Teenagerfilm sah. Wir hatten alles dafür getan. Wir trafen uns fast jeden Tag nach der Schule, meistens hielten wir bei mir oder bei Harper die täglichen Treffen ab um neuen Tratsch und Neuigkeiten zu besprechen. Wenn eine von uns verliebt war, taten die anderen alles um die eine zu unterstützen. Wenn eine ein Problem mit irgendwem anders hatte, versuchten die anderen alles um dieses Problem zu lösen. Die Wochenenden verbrachten wir größtenteils damit zu shoppen und im Einkaufzentrum rumzuhängen, dort Menschen zu mustern und uns Szenarien auszudenken, wie was wäre wenn Dinge anders liefen. Die Abende verbrachten wir damit uns Zeitschriften zu kaufen, alle Tipps und Tricks für a) ein schöneres Aussehen, für b) bessere Chancen einen süßen Jungen zu daten und c) Stress mit den Eltern zu vermeiden und loszuwerden, zu lesen und Pläne zu schmieden diese Tipps auszuführen.
Als ich dann irgendwann mit Lucas zusammen kam, versuchte ich die 2 nicht zu vernachlässigen, was auch immer gut klappte. Inzwischen verbrachte ich die Mittagspausen abwechselnd mit Lucas und den beiden. Bis wir schließlich alle zusammen aßen zusammen mit Lucas’ Freunden, die sich gut mit Sarah und Harper verstanden. Es war alles super. Bis Cathy kam.
Cathy war, wie gesagt, sehr schüchtern gewesen. Indem sie zu uns gehörte, lernte sie Selbstbewusstsein und bekam Mut. Sie schien sogar letztendlich total extrovertiert zu werden, was vielleicht auch daran lag, dass sie mit ein wenig Make-up im Gesicht ganz gut aussah und mit unserer Hilfe lernte wie sie sich kleiden konnte.
Sie war ein halbes Jahr meine Freundin gewesen, hatte mir immer zugehört und immer Informationen über mich gesammelt. Warum ich ihr Opfer war, hatte ich bis heute nicht verstanden.
Es fing damit an, dass sie ein paar Mal scheinbar versehentlich vergessen hatte mir Bescheid zu sagen, dass wir uns alle trafen um shoppen zu gehen.
Weiter ging es damit, dass sie mir Worte im Mund umdrehte und ironische Bemerkungen wie „Sarah ist sooo dumm manchmal!“ ernst nahm und Sarah hinter meinem Rücken davon berichtete. Dass sie das meinen beiden besten Freundinnen alles zusteckte, erfuhr ich erst später, sonst hätte ich noch eine Chance gehabt das klarzustellen.
Ständig drehte sie es so als sei ich der Sündenbock, doch auch wenn ich versuchte mit Sarah und Harper zu reden und die beiden zu fragen was eigentlich mit Cathy los sei, winkten die beiden ab und sagten, dass Cathy normal sei und sie nichts gegen mich hätte. Sie behandelten Cathy mittlerweile ganz wie mich, als hätte sie komplett meine Stellung eingenommen und ich fiel immer mehr ab. Auch Lucas, dem ich ständig davon erzählte, dass ich glaubte, dass Cathy total hinterhältig war, glaubte mir nicht und meinte, dass Cathy immer total nett zu mir war und er nie etwas Schlechtes gehört hätte.
Und dann kam die Party von Remy. So ziemlich jeder, der einigermaßen „beliebt“ war, war eingeladen gewesen. Ich war zusammen mit Lucas, seinen Freunden, meinen Freundinnen und natürlich Cathy hingegangen. Man konnte schon sagen, dass eigentlich fast jeder auf dieser Party betrunken nach Hause gegangen war. Selbst Sarah, die eigentlich nicht viel trank, war damals blau gewesen. Wir hatten erst alle zusammen herumgehangen, getanzt, gelacht und immer mehr getrunken. Eigentlich konnte ich mich nicht daran erinnern, dass ich viel getrunken hatte, nur 1 bis 2 Bier und ein paar Pinchen Wodka. Normalerweise vertrug ich viel mehr. Das wäre zu diesem Zeitpunkt gerade mal genug gewesen um mich gut mit Cathy zu verstehen. Wir tanzten viel und ausgelassen und hatten viel Spaß.
Doch was auch immer ich da getrunken hatte, es hatte eine so starke Wirkung, dass ich nichts mehr wusste, was dann passierte. Ich hatte einen totalen Filmriss gehabt, konnte mich an rein gar nichts erinnern. An was ich mich allerdings sehr gut erinnern konnte, war der Morgen danach. Ich wachte auf und brauchte eine geschätzte Ewigkeit um mich zu folgendes festzustellen: Ich befand mich nicht in meinem Schlafzimmer. Ich befand mich nicht, wie eigentlich vorgehabt, in Lucas’ Schlafzimmer. Und: Ich befand mich in überhaupt keinem Schlafzimmer. Ich schätzte, dass ich auf einer Couch. Der Raum war noch nicht ganz hell, es konnte also noch nicht sehr spät gewesen sein. Ich tastete um mich herum. Nichts. Wo war meine Handtasche? Irgendwann, als ich den Lichtschalter gefunden hatte, bekam ich einen Schock. Ich war noch auf der Party, es war allerdings schon 7 Uhr früh, aber wo war der Rest? Mein Kopf tat höllisch weh. Ich fand meine Handtasche nach langem Suchen unter der Couch. 10 entgangene Anrufe. 3 nicht gelesene Sms.
Ich öffnete die erste: Du hinterhältiges Miststück! Für mich bist du gestorben! Du hast noch nicht mal den Mut an dein Telefon zu gehen! H.
Ich schluckte. WAS? Trotz tausend Fragen öffnete ich die nächste: Ich bin sehr enttäuscht von dir. Ich dachte das, was wir hätten wäre was Besonderes. Es ist vorbei. Lucas.
Und schließlich die letzte: Geheimnisse sind Geheimnisse, das solltest du mittlerweile wissen. Wie kannst du dich nur selbst ertragen?! S.
Ich hatte damals absolut keine Ahnung gehabt, was diese Sms bedeuten sollten. Erst nach den Gesprächen mit Harper, Sarah und auch Lucas, war mir das dann klar:
Ich hatte auf der Party angeblich mit Harpers neuen Schwarm rumgemacht und somit Lucas betrogen, Sarahs Geheimnis, dass sie sich hatte Fett absaugen lassen, rumerzählt und die 3 den ganzen Abend ignoriert.
Das komische an der Sache war allerdings, dass Cathy die einzige gewesen war, die gesehen hatte, wie ich und Tom, Harpers Schwarm, rumgemacht hatten und das einzige, was das bewies, ein Foto von ihm und mir war, wie wir nebeneinander auf einer Couch saßen und lachten. Und, dass Cathy und ich die einzigen mit Harper waren, die das mit Sarah wussten, und Harper und ich das sicherlich nicht rumerzählt hatten.
Ich konnte mir zwar an nichts mehr erinnern, aber das hätte ich alles nicht gemacht. Tom fand ich schon immer ekelig und ich war die jenige gewesen, die Sarah geraten hatte, das keinem zu erzählen, weil die Leute das falsch verstehen würden.
Cathy hatte sich das alles nur ausgedacht, aber ich hatte keine Chance, dass mir irgendwer glaubte. Lucas machte, wie schon in der Sms angedroht, Schluss, weil er keiner Freundin, die ihn betrügt, noch eine Chance geben wollte. Sarah und Harper redeten kein Wort mehr mit mir, obwohl ich ständig versuchte alles klar zu stellen und Cathy zu entlarven. Warum ich mir so sicher war, dass Cathy das alles eingefädelt hatte? Dass hatte sie mir deutlich gezeigt. Sie war die einzige gewesen, die sich von meinen alten Freunden einmal zu mir gesellte, während ich auf meiner Bank saß.
„Da dir das hier eh niemand glauben wird, kann ich ja eins einmal klar stellen. Du bist am Boden. Du hast niemanden mehr und das hast du mir zu verdanken. Ich mag dich einfach nicht. Ich mochte dich die ganze Zeit nicht. Und jetzt hast du es mir so einfach gemacht dich zu ersetzen.“
Das waren ihre Worte. Sprachlos sah ich ihr hinterher. Wie konnte ein Mensch nur zu so etwas fähig sein? Sie hatte mein Leben kaputt gemacht und ich wusste, dass ich sie irgendwann dafür strafen würde. Nur hatte ich nichts gegen sie in der Hand. Und auch nichts um zu beweisen, dass ich nichts getan hatte.
Seit diesem Tag redete ich kein Wort mehr mit Sarah, Harper oder Cathy. Sie hatten mich sowieso schon längst vergessen.
Tag der Veröffentlichung: 28.08.2011
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