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Kapitel 1

Es war ein trüber Septembertag. Draußen nieselte es und allmählich wurde es dunkel. Mein Bett versank in verschiedenen Englischbüchern und Heften. Am nächsten Tag hatte ich eine Klausur zu schreiben, fühlte mich aber immer noch nicht bereit dafür. Auch wenn mich das wunderte, denn in Französisch war ich noch schlechter und die Klausur stand mir auch nächste Woche bevor. Ich war gerade dabei einen Sachtext zu übersetzen, als es an meiner Tür klingelte. Ich öffnete und sah Lisa vor mir. Sie hatte einen schwarzen Trainingsanzug an und ihre blonden Haare zu einem Pferdezopf gebunden. „Hi! Bereit für die Klausur morgen?“ Sie strahlte mich mit einem unschuldigen Lächeln an. Mir fiel auf, dass sie ihre Hefte dabei hatte. „Komm rein. Ich bin schon am verzweifeln“, seufzte ich und ließ mich auf das Bett fallen. „Bleib ruhig, wir haben noch jede Menge Zeit und Kaffee.“ Meine Freundin stellte präsent die Kaffeebecher auf den Tisch und setzte sich neben mich. „Danke“, murmelte ich etwas verlegen. Sie war nicht viel besser als ich im Unterricht, aber zu zweit machte es doch mehr Spaß. Ich übersetzte den Text bis zum Ende, wir gingen noch einige wichtige Punkte durch und schon waren zwei Stunden vergangen. „Ich denke, jetzt steht uns nichts mehr im Weg. Wir haben alles Mögliche wiederholt. Es ist besser wir sind morgen ausgeschlafen“, sagte Lisa und klappte ihr Heft zu. „Du hast recht, mein Kopf ist gerade überfüllt. Ich werde jetzt auch ins Bett gehen.“ Ich gähnte und fing an die Stapel Papier von der Tagesdecke zu räumen.
„Ah, noch was, hast du eigentlich schon deinen neuen Nachbarn begrüßt?“
„Neuen Nachbarn? Was meinst du?“ Ich schaute meine Freundin verwirrt an und entdeckte ein leichtes funkeln in ihren grünen Augen. „Er ist genau nebenan eingezogen, ein total süßer Typ. Du solltest ihn dir schnappen.“ Lisa zwinkerte mir zu und verschwand hinter der Tür. Ich schüttelte nur meinen Kopf. Die ständigen Versuche meiner Freundin mich mit jemanden bekannt zu machen, nervten mich schon lange. Außerdem musste ich mich auf die Uni konzentrieren.
Der nächste Morgen war schrecklich. Fast die ganze Nacht lag ich schlaflos im Bett und versuchte mir noch mehr Englisch einzuprägen. Dazu regnete es stark und ich kam später an, als ich dachte. Die nah gelegenen Parkplätze an der Universität waren schon alle belegt und ich vergaß meinen Regenschirm. Total durchnässt kam ich gerade noch pünktlich an. Das einzig Erfreuliche an diesem Morgen war, unglaublicherweise die Englisch Klausur, die mir meiner Meinung nach sehr gut gelungen war. An dem Tag hatten wir keine Pflichtkurse mehr, also ging ich mit Lisa und Niko frühstücken. Unser Stammlokal befand sich, nicht weit von der Uni entfernt. Es war mehr ein Café, das nur von Studenten besucht wurde. Man bekam günstig was zu Essen und konnte den besten Kaffee der Stadt trinken. Der Laden war nicht sehr groß, dafür war er aber mit gemütlichen Ledersofas ausgestattet. Die dem Ambiente, eine legere Wirkung verliehen.
„Ich sag's euch Mädels, Englisch war nichts im Vergleich zu Französisch nächste Woche. Ich bin mir sicher da werden ziemlich viele versagen“, sagte Niko der wie üblich mit seinem ungebügelten Hemd und der zerrissenen Jeans, beide Beine unter sich gekehrt, auf dem Sofa saß. „Dann hätten die nicht Sprachwissenschaften studieren sollen. Ich bin mir sicher, ich und Hanna schaffen das locker!", warf Lisa fröhlich ein und zwinkerte mir zu. „Da bin ich mir nicht so sicher. Lernen wird jedenfalls nicht schaden, also mache ich mich jetzt auf den Heimweg und fange schon mal an zu büffeln.“ Ich trank den letzten Schluck Kaffee aus meiner Tasse und hing mir meine Tasche um. „Okay, aber vergiss nicht, morgen Abend gehen wir ins Kino“, erinnerte mich Niko. „Achja stimmt. Treffen wir uns wieder vor dem Einkaufscenter?“, fragte ich schon zum Gehen bereit. „Ja. Macht euch auf was gefasst Mädels! Ich darf dieses Mal den Film aussuchen und ich sage wir schauen SAW!“ Das schadenfrohe Lachen meines Kumpels erklang im ganzen Raum. Er wusste, dass ich nichts von diesem ganzen Blutgemetzel in den Filmen hielt. So waren aber nun mal die Regeln. Einmal in der Woche durfte einer von uns einen Film aussuchen, den wir im Kino anschauen gingen. In meiner ganzen Zeit, als Studentin, hatte ich bestimmt schon hunderte Filme gesehen, aber es war besser, als sich wie die anderen, Nachts auf Partys herum zu treiben. Ich war froh, dass Niko und Lisa ebenfalls keine Discogänger waren und, dass wir alle genug Geld von unseren Eltern bekamen, um uns das leisten zu können.
Mit einigen Einkäufen für das Wochenende, fuhr ich nach Hause. Normalerweise parkte ich weiter weg und nahm einen kleinen Umweg über den Louisenpark, aber es regnete wieder und die Einkaufstüten waren voll. Für das Lernen brauchte man immer genug Fertigprodukte, die schnell zuzubereiten gingen und etwas Obst. Für das Kochen, hatte ich wirklich nicht die Zeit. Ich versuchte gerade die Schlüssel aus meiner Schultasche raus zu fischen, als ich Jemanden an der Haustür sah. Es musste der neue Nachbar sein. In dem Wohnblock wohnten gerade mal fünfzehn Personen und die meisten davon waren Rentner oder Familien mit Kleinkindern. Der Wohnblock war ein renoviertes Altbaugebäude, die meisten Wohnungen waren groß. Eigentlich fast alle, außer meine. Die Besucheranzahl war also leicht überschaubar, und die, die vorbei kamen, kannte ich fast alle. „Hallo“, sagte der Fremde und hielt mir die Tür auf. „Danke“, murmelte ich. „Soll ich Ihnen helfen?“, fragte er bevor ich die erste Stufe erreichte. „Nein danke, es geht schon, ist nicht so schwer“, antwortete ich und es schien mir, als wurde ich röter im Gesicht. Wir stiegen wortlos die Treppen hinauf. Mein Stiefel quietschten laut auf dem Parkett und schon wieder schoss Blut in meine Wangen. Er lief hinter mir. Als wir beide im dritten Stockwerk ankamen und er zur Tür gegenüber von meiner ging, war ich mir sicher, dass er der neue Nachbar war. Ich schaute über die Schulter und betrachtete ihn. Er war groß, schlank und bestimmt nicht älter als fünfundzwanzig. Lisa hatte Recht, er sah wirklich gut aus. Plötzlich schaute er über die Schulter und ertappte mich dabei, ihn an zu starren. In Panik irgendetwas sagen zu müssen, krächzte ich nur: „Sie sind also neu eingezogen hier?“ Er lächelte sanft und schaute mich durchdringend mit seinen schwarzen Augen an. Sein Gesicht war wunderschön. Die hohen Wagenknochen, der nah zu perfekter Mund und die außergewöhnlich blasse Haut machten sein Anblick graziös. Er sah jedoch nicht arrogant aus. „Ja genau. Ich bin Steffen“, sagte er mit sanfter Stimme und streckte mir die Hand aus. Ich starrte ihn noch einige Sekunden verwirrt an, dann sammelte ich mich und erwiderte seinen Händedruck. Seine Hand war weich und kalt, der Händedruck fest. „Ich, ich bin Hanna“, stammelte ich vor mich hin. „Freut mich dich kennen zu lernen, Hanna.“ Er drehte sich um, steckte flink die Schlüssel in sein Türschloss und verschwand direkt aus meinem Blickfeld.
Den ganzen Nachmittag lang regnete es weiterhin wie aus Strömen und das Geräusch der auf den Fenstersims aufprallenden Regentropfen, schläferte mich ein. Ich zwang mich mit mehreren Tassen Kaffee auf zu bleiben und versank in meinen Französisch Büchern. Irgendwann war meine Konzentration so weit gesunken, dass die Buchstaben vor meinen Augen verschwammen, und ein schwarz-weißes Muster bildeten. Ich legte mich auf das Bett und versuchte zu schlafen. Doch meine Lider wollten nicht zufallen. Ich schaute mich um. Meine Wohnung war klein, gerade mal fünfundvierzig Quadratmeter groß und davon, war fast das halbe Zimmer, mein riesiges Bett. Ich hatte es von meinen Eltern zum Einzug bekommen und konnte das Geschenk nicht ablehnen. Es passte in keine Ecke rein, also stand es einfach in der Mitte des Raumes. Links an der Wand gegenüber vom Fenster, war ein alter Kleiderschrank, den ich aus einem An- und Verkauf Laden hatte. Er war schon fast Antik, deswegen mochte ich ihn so sehr. Am Fenster hatte ich einen kleinen Schreibtisch hingestellt, der nur als Abstellplatz für den Computer diente, denn ich arbeitete am liebsten auf meinem Bett, das schließlich genug Platz anbot. Genau gegenüber vom Bett war eine kleine Kommode, mit dem Fernseher aus meinem alten Kinderzimmer drauf. Alles in einem mochte ich meine Wohnung sehr, sie hatte ein Tageslichtbad mit einer Badewanne und eine große geräumige Küche, was ziemlich ungewöhnlich für solch kleine Wohnungen war. Meine Vermieterin, eine nette alte Dame die mit im Haus wohnte, erzählte mir, dass sie einst zu der Wohnung nebenan gehörte, da aber die Wohnung zu groß war wurde sie aufgeteilt, in ein kleines Apartment und eine zwei Zimmer Wohnung. Das erklärte auch, warum die Wand so hellhörig war. Ein verheiratetes Paar das dort vor meinen neuen Nachbar wohnte, streite sich oft und ich konnte jede Beleidigung mithören. Auch wenn Steffen erst seit einigen Tagen dort wohnte, musste ich feststellen, dass er doch sehr leise war. Ich hörte nichts, was untypisch war denn beim Einzug in eine neue Wohnung bohrt und schraubt man normalerweise. Ich dachte nicht weiter darüber nach und fiel ins Land der Träume.
Der nächste Tag war sonnig und schön. Ich lernte fast den ganzen Vormittag lang und am frühen Abend tauchte Lisa bei mir auf. „Bist du bereit dir den Film anzuschauen?“, fragte sie mich glucksend. „Ich hoffe nur ich muss mich nicht übergeben“. antwortete ich ernst, jedenfalls hatte ich nicht vor Poppcorn zu kaufen. „Das hoffe ich auch. Echt widerlich was sich manche Leute so anschauen wollen.“ Lisa schüttelte den Kopf. „Widerlich dass es Menschen gibt die so etwas produzieren“, fügte ich hinzu. „Ja stimmt. Wir müssen gleich los, in fünfzehn Minuten treffen wir uns mit Niko. Willst du dich nicht umziehen?“, fragte meine Freundin verwundert. Ich ging zum Spiegel um mich anzuschauen. Meine blauen Augen schimmerten grün, in dem künstlichen Licht der Lampe, die Haut war blass und hatte einen leicht bläulichen Teint. Meine dunkel braunen Haare waren unordentlich zu einem Zopf gebunden. Wirklich kein toller Anblick, im Vergleich zu meiner, wie ein Topmodell aussehenden Freundin. Dachte ich mir etwas enttäuscht. Ich hatte meine helle, geblümte Bluse an und dazu eine alte, dunkelblaue Jeans. „Was hast du an dem auszusetzen was ich gerade an habe?“, fragte ich sie leicht gekränkt. „Nichts, nur sieht das nicht sehr festlich aus.“ Lisa zuckte unschuldig mit den Schultern. Ich schaute noch mal in den Spiegel, befreite meine Haare von den klammern und schüttelte sie leicht auf. „Wir gehen nur ins Kino, nicht auf eine Gala“, sagte ich und schnappte mir meine Jeansjacke.
Vor dem Einkaufscenter wimmelte es nur so von Menschen. Nichts ungewöhnliches, an einem Samstagabend. Die Besucher ließen sich von dem kühlen Wind und dem Nieselregen nicht verunsichern und schlenderten seelenruhig durch die Gassen. Vom weitem her erkannte man Nikos blonden Lockenkopf. Er winkte uns fröhlich zu. „Ich hab uns schon Tickets reserviert!“, verkündete er begeistert. Wir hatten die besten Plätze in der Mitte bekommen. Niko stopfte sich zufrieden Popcorn in den Mund, Lisa gab einige verärgerte Kommentare ab und mir wurde schon nach der ersten Szene übel. Mitten im Film konnte ich es nicht mehr aushalten und ging an die frische Luft. Vor dem Kino standen schon einige Jugendliche, die auf die Spätvorstellung warteten. Nach einigen Minuten kam auch Lisa raus und regte sich über den Film auf. Wie üblich gingen wir danach in unser Stammlokal was Essen, wobei es mir nicht danach war, also bestellte ich mir nur eine Cola. Niko berichtete uns ausführlich von dem Ende des Films. Gegen Mitternacht fuhr ich dann nach Hause und nahm noch Lisa mit. Sie wohnte nur einige Minuten von mir entfernt. „Hast du jetzt eigentlich deinen Nachbar mal kennen gelernt?“, fragte sie beim Aussteigen. „Ich hab ihn gesehen, ja“, murmelte ich und signalisierte Lisa, dass ich ihr nicht ausführlich darüber berichten würde.


Kapitel 2

Ich verbrachte wieder den ganzen Tag mit Büchern. Kaum hatte ich angefangen schon war es Nachmittag und mein Magen brummte vor Hunger. Ich räusperte mich, stand auf und ging in die Küche, um eine Fertig-Lasagne in den Backofen zu schieben. Ein paar Vitamine würde ich aber trotzdem brauchen, dachte ich mir und entschied, noch ein kleinen Salat dazu zu zaubern. Ich schnitt gerade ein Paar Tomaten, als mein Telefon klingelte und ich vor Schreck mit dem Messer in meinen Finger schnitt. „Mist!“, entfloh es mir. „Hallo, wer ist dran?“, brummte ich mit dem Finger im Mund in den Hörer. Er blutete stark. „Deine Mutter, was ist denn los?“, fragte sie. „Nichts Mama, ich hab mich nur leicht geschnitten", antwortete ich dieses mal sanfter.
„Was machst du denn?“
„Ich wollte mir ein Salat schneiden und das Telefon hat mich erschreckt. Kann ich dich später zurück rufen?“ Meine Wunde sah ziemlich tief aus, ich musste sie schnell verbinden. „Klar, aber desinfiziere die Verletzung sofort.“ Befahl meine Mutter. „Klar mache ich, bis dann!“
Ich durchwühlte meine Kommode nach einem Pflaster oder Verband, als mir einfiel, dass ich das letzte Lisa gegeben hatte, weil ihre Schuhe drückten. Na Toll! Dachte ich mir. Die Wunde war zu tief also würde sie nicht einfach verheilen. Wegen so etwas ins Krankenhaus zu fahren wäre aber peinlich. Ich ging in das Treppenhaus und klingelte bei meiner Vermieterin, um sie nach einem Pflaster zu fragen. Ich wartete einige Minuten doch keiner machte auf. Auf dem zweiten Stock war auch niemand zu sehen, genau wie im Ersten. Innerhalb von zehn Minuten hatte ich bei jedem an der Tür geklingelt, außer Steffen. Mir blieb nichts anderes übrig, als auch bei ihm anzuklopfen. Wie peinlich. Er würde bestimmt denken ich bin verrückt. „Hallo, ich bin von neben an. Haben Sie vielleicht ein Pflaster oder ein Verband da? Ich habe mich ziemlich stark verletzt und hab nichts mehr zu hause“, erklärte ich schüchtern. Er schaute mich wütend und genervt an, dann knallte er die Tür vor meiner Nase zu. Noch bevor ich verstand, was überhaupt passiert war, öffnete er sie wieder und drückte mir eine eine kleine Tüte in die Hand. „Sie sollten es vorher desinfizieren. Solche Schnittwunden sind gefährlich“, sagte er in einem strengen, klaren Tonfall. Ich nickte verlegen mit dem Kopf. Dann schlug die Tür vor mir wieder zu. In der Tüte war ein Desinfektionsmittel, einige Verbände und Watte.
Den ganzen Abend lang konnte ich mich nicht mehr richtig aufs Lernen konzentrieren, diese Steffen ging mir einfach nicht aus dem Kopf! Was hatte ich ihm nur getan? Warum war es so wütend? Vielleicht hatte er das ja für eine schlechte Anmache gehalten, aber dafür schneidet sich doch keiner den Finger auf, dachte ich verärgert. Ich konnte einfach nicht verstehen, wie man so unfreundlich sein konnte.
Am Dienstag schrieben wir die Französisch Klausur und die hatte ich auch ganz gut geschafft. Eine Eins in Englisch machte mich sicherer, also hoffte ich für Französisch eine Zwei zu bekommen. In der nächsten Zeit standen keine wichtigen Termine an der Uni fest, also beschlossen wir ein wenig zu feiern. Niko schlug vor in ein Studentenlokal nach Heidelberg zu fahren. „Für mich ein Bier und für die Ladies hier zwei Margaritas, bitte“, sagte Niko zu der blonden Kellnerin, die eindeutig mit ihm flirtete. „Nein, für mich nur eine Cola, bitte. Ich muss heute noch fahren“, fügte ich hinzu. „Ah komm schon Hanna, ich wollte mein Auto hier stehen lassen, also musst du nicht fahren. Wir teilen uns ein Taxi auf dem Rückweg.“ Lisa setzte ihren Hundeblick ein, und da es nicht mein Auto war, mit dem wir da waren, konnte ich auch nicht widersprechen. „Na gut, aber nur einen“, beteuerte ich. „Was ist denn nun mit deinem Nachbarn, willst du ihn oder nicht? Sonst schnappe ich ihn mir. „Meine Freundin lachte lautstark auf. „Was für ein Nachbar?“, fragte Niko neugierig. „Ah da ist so ein neuer Typ bei uns im Haus eingezogen. Er ist aber unfreundlich und ich will gar Nichts von ihm.“ Die letzten Worte betonte ich besonders. „Warum denn unfreundlich?! Mir schien er ja ganz nett zu sein.“ Lisa warf ihre blonde Mähne kokett hinter die Schulter und schaute mich fragend an. „Ich hab mich doch letztens am Finger geschnitten, und da ich dir meine letzten Pflaster gegeben hatte, konnte ich die Wunde nicht verbinden. Ich habe bei allen Nachbarn geklopft und geklingelt, aber keiner war da. Bis auf Steffen. Ich fragte ihn nach einem Verband und er schlug mir einfach dir Türe vor dem Gesicht zu. Dann öffnete er wieder, gab mir das Verbandszeug und knallte sie wieder unfreundlich zu. Ich verstehe nicht wieso er so aggressiv war," erzählte ich kopfschüttelnd. „Vielleicht hatte er gerade eine Lady bei sich, wenn du verstehst was ich meine“, warf Niko glucksend ein. „Ah und wenn schon, der Typ ist einfach nur toll. Ich würde ihn mir nicht entgehen lassen", beteuerte Lisa.
Wie ich befürchtete, blieb es nicht nur bei einem Margarita, wir kamen erst nach eins aus dem Laden raus. Es war wenigstens beruhigend zu wissen, dass die erste Vorlesung erst um zwölf Uhr statt fand und ich ausschlafen konnte. Mein Kopf tat mir unheimlich weh und ich wollte nur noch ins Bett. Als ich nach Hause kam, wurde es aber nur noch schlimmer. Plötzlich wurde alles schwarz vor meinen Augen, dann sah ich etwas. Es spielte sich direkt vor mir ab. Da war ein Mann, um ihn herum waren viele Bäume und er stand auf einer Wiese. Er war bestimmt Mitte Fünfzig und sah ziemlich furchteinflößend aus. Er steuerte direkt auf mich zu. „Hab keine Angst, ich werde dir nichts tun“, sagte er mit einer ruhigen Stimme zu mir. Dann war auf einmal alles weg.
Mein Kopf dröhnte und alle möglichen Gelenke taten mir weh. Ich musste direkt auf dem Boden eingeschlafen sein. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon viel zu spät war. Eine kalte Dusche und eine Kaffeetasse später, fühlte ich mich im Stande ein Auto zu fahren und rannte aus dem Haus. Wie immer kam unser Rektor zu spät und ich konnte noch in Ruhe meine Sachen auspacken. „Geht’s dir heute besser? Die Margaritas haben dir gestern wohl nicht sehr gut getan“, flüsterte Niko zu mir. „Naja es geht so, ich hab immer noch ziemlich starke Kopfschmerzen“, antwortete ich im leisen Ton. „Also du verträgst auch gar nichts.“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich lege aus auch nicht drauf an viel zu vertragen.“ Es kam härter heraus als beabsichtigt. „Hey, ist ja schon gut. Da ist wohl jemand gereizt. Alkohol ist wirklich nichts für dich.“ Niko nahm es mit Witz auf. „Du sagst es“, bestätigte ich lächelnd.

Kapitel 3

Die Tage bis zum Wochenende zogen sich hin. Ich hatte immer wieder Kopfschmerzen und allmählich schien es, als würden sie nie wieder aufhören. Ich musste immer wieder über meinen Traum nachdenken, oder was auch immer es war. Ich hatte den Mann noch nie vorher gesehen.
Am Samstag Abend gingen wir wieder ins Kino. Lisa hatte sich irgend so einen neuen Vampir Film ausgesucht. „Ich hatte wirklich gehofft, wir schauen uns etwas friedlicheres an, nach letzter Woche.", sagte ich und griff nach ein paar Popcorn Flocken. „Es ist auch friedlich. Es geht um eine Liebesgeschichte“, beteuerte Lisa. „Ich glaube es nicht, dass ihr mich in so ein Mädchenfilm rein zwingt“, warf Niko empört ein. „Wir haben SAW mit dir auch letzte Woche geschaut, also beschwere dich nicht“, widersprach meine Freundin. „Ihr habt nicht mal den halben Film geschafft“, spottete er. Lisa nahm etwas Popcorn und schmiss es, über mich auf Niko. „Aber nur weil er so eklig war!“, rief sie. Niko verteidigte sich und warf eine ganze Handvoll zurück. „Schnulzen filme sind noch ekliger!“
„Hört auf Leute der Film fängt an.“ Das Meiste war natürlich auf mich geflogen. Ich stand kurz auf und schüttelte es von mir runter.
Nach dem Film saßen wir wieder in unserem Stammlokal. Es befand sich im Zentrum. Und sie hatten die besten Fritten der ganzen Stadt. Dieses mal konnte ich etwas essen, denn der Film war wirklich nicht eklig. „Ah ich finde diese Vampire so toll! Der Edward sieht total gut aus“, schwärmte Lisa. Ihre Augen glühten, wenn sie von ihm sprach. „Ich weiß nicht ob ich mich damit abfinden kann. Für mich waren Vampire immer böse Kreaturen die dir das Blut weg saugen und nicht die, die in der Sonne glitzern und dich küssen“, sagte ich. „Du verstehst auch gar nichts. Es gibt halt auch andere Seiten, da heißt es ja auch nicht, dass alle so gut sind wie Edward", rechtfertigte sie. „Ich will ja nichts sagen. Ich fand den Film auch ziemlich toll. Nur irgendwie unglaubwürdig“, murmelte ich. „Graf Dracula! Das waren noch Vampir Filme die ich mir gern angesehen habe“, fügte Niko stolz hinzu. Lisa fing wieder eine unendliche Diskussion mit ihm an, also schaltete ich einfach ab und schaute mich um. Das Lokal war ziemlich voll. Fast alles waren Studenten aus unserer Uni. Ich sah einige bekannte Gesichter, nickte ihnen freundlich zu und schaute weiter. Plötzlich begegnete mein Blick einem anderen. Einem, den ich sofort wieder erkannte. Es war Steffen, es saß an der Bar. Es schien, als würde er lachen, aber er unterhielt sich mit niemanden. Ich versuchte weg zu schauen, aber es gelang mir nicht. Er nickte mir zu, dann drehte er sich weg. Ich tätschelte Lisa an der Schulter. „Was denn?“, fragte sie immer noch aufgebracht von der Diskussion. „Da ist mein neuer Nachbar." Auch wenn er uns unmöglich von da hören konnte, flüsterte ich trotzdem. „Wo denn?“, fragte Niko neugierig. „Da an der Bar!“ Ich nickte mit meinem Kopf in die Richtung. „Ich sehe ihn nicht“, stellte Lisa entgeistert fest. Um mich noch mal zu vergewissern, dass er da war, drehte ich mich um. Nichts. „Er saß da eben an dem Hocker“, murmelte ich ungläubig. „Ja klar. Ich glaub jedenfalls, er hat es dir wirklich angetan.“ Lisa wimmelte mein Versuch zu widersprechen ab. Ich verstand, dass sie mir eh nicht glauben würde. Das Ganze hatte ich mir aber nicht eingebildet, er war da. Oder doch? Nein, denn auch wenn, warum sollte ich genau ihn sehen? Dieser unfreundlicher Typ interessierte mich überhaupt nicht.
Am nächsten Tag wollte ich etwas Zeit für mich haben. Der Himmel wurde von einer grauen Wolkendecke überzogen, aber es regnete nicht, also entschied ich mich wandern zu gehen. Ich fuhr nach Heidelberg. Dort gab es einige gute Wanderwege, ohne Touristen. Ich sog ein Atemzug der frischen Waldluft ein und lief den Berg hinauf. Meine Kopfschmerzen plagten mich nach drei Aspirin Tabletten immer noch. Nach einer Weile schien es mir, aber besser zu gehen. Ich kam an einer kleinen Lichtung an, dort wollte ich ein Zwischenstopp einlegen und Etwas essen. Gerade dabei die Decke auszupacken, hörte ich Schritte auf mich zukommen. Ich schaute auf und traute meinen eigenen Augen nicht. Vor mir stand der Mann aus meinem Traum. Die Situation spielte sich genau so ab. Er kam auf mich zu und sagte mit einem Lächeln: „Hab keine Angst, ich werde dir nichts tun.“ Paralysiert vor Angst, stand ich einfach nur da und starrte ihn an. Ich hatte in meinem Traum nicht erkannt, dass es ein Wald war, aber jetzt verstand ich plötzlich alles. Schlagartig veränderte sich sein Gesichtsausdruck stark. Er schaute verängstigt und erstaunt, als ob er ein Geist gesehen hätte. Dann rannte er einfach weg. Ich verstand erst mal gar nicht, was los war. Als ich mich umdrehte, sah ich ihn. Steffen stand direkt hinter mir und schaute mich besorgt an. „Hat er dir was getan?“, fragte er mit einer ruhigen, gleichmäßigen Stimme. Ich schüttelte den Kopf. „Du solltest wirklich nicht allein auf diesen Wegen wandern.“ Es schien ihn gar nicht zu überraschen, mich dort zu treffen. „Was, was machst du hier?", stammelte ich immer noch benommen. „Ich genieße das Wetter, was sonst.“ Er lächelte mich an, dabei funkelten seine schwarzen Augen wie Diamanten. „Wollen wir ein Stück zusammen laufen?", fragte er immer noch lächelnd. Ich nickte überrascht von seinem neuen Benehmen. Wir liefen einige Minuten schweigend den Berg hinauf, dann blieb er stehen. „Hör mal, es tut mir wirklich Leid, wie ich mich letztens verhalten habe. Ich hatte ein paar persönliche Probleme und war etwas gereizt.“ Beim Reden legte er seine Hand auf den Nacken und schaute zum Boden. „Schon okay", antwortete ich schlicht. „Wollen wir uns hinsetzten? Komm ich zeig dir ein schönen Platz", versprach er sanft. Wir schlugen einen mir noch unbekannten Weg ein und kamen an einer Klippe an. Der Ausblick war wunderschön. Die ganze Stadt und der Neckar Fluss bereiteten sich vor uns aus. Das Grau des Himmels spiegelte sich in dem Fluss wieder und gab ihm, einen silbernen Glanz. Die Hügel dahinter färbten sich mit einer Palette aus sanften rot, gold und grün Tönen.
„Ich gehe hier schon seit zwei Jahren wandern und kenne den Platz nicht. Hast du hier früher gewohnt?“ Ich versuchte ihn nicht anzuschauen, weil ich sonst das Gefühl hatte ihn an zu starren. „Ähm ja, so zusagen. Ich war eine Weile im Ausland. Du studierst also Sprachwissenschaften, ein interessantes Gebiet.“ Er sprach sehr leise, es schien mir als würde es für ihn unangenehm sein über sich zu sprechen. „Ja, woher weißt du das?“, fragte ich erstaunt. „Frau Linz kann sehr gesprächig sein“, gluckste er. Meine Vermieterin plauderte immer alles aus. „Was hat sie dir sonst noch erzählt?“
„Nicht viel, nur dass du ziemlich ruhig bist und sich nie Jemand beschwert hat“, erklärte er ruhig. „Was hast du im Ausland gemacht?“ Ich konnte es mir nicht verkneifen ihn zu fragen.
„Ich war in England, habe dort Englisch studiert und jetzt bin ich hier, um zu arbeiten.“
„Was arbeitest du denn?“, hackte ich neugierig nach. „Ich übersetzte Texte fürs Gericht. Nichts aufregendes.“ Er pflückte ein Grashalm und steckte sich das Ende zwischen die Lippen. „Ich finde es ziemlich aufregend, ich will später auch mal als Dolmetscherin arbeiten“, widersprach ich. „Warum eigentlich?“, fragte er abrupt. „Naja, ich glaube es ist etwas gutes den Menschen aus verschiedenen Ländern zu helfen sich zu verständigen. Ohne Kommunikation funktioniert gar nichts, man muss einander verstehen. Die Sprache ist eins der wichtigen Werkzeuge dafür“, erklärte ich schüchtern. „Und welche Werkzeuge gibt es noch?“ Er wollte einfach nicht locker lassen. „Es gibt die Gestik, die Mimik, den Augenkontakt. Ich finde man kann in den Augen eines anderen Menschen viel sehen, sie spiegeln die Seele wieder.“ Ich fühlte mich allmählich wie an der Uni, schließlich wusste er die ganzen Sachen bestimmt selber. Mir war einfach nicht klar, warum er mich so ausfragen musste. „Und was siehst du in meinen Augen?“ Er beugte sich zu mir, so, dass ich ihn anschauen musste. „Ähm also,“ - mir blieb die Luft weg - „ich glaube, du hast irgendwas auf dem Herzen, etwas was dich belastet. Trotzdem bist du ein guter Mensch, also deine Seele ist gut.“ Sein durchdringender Blick vernebelte meinen Verstand. Schlagartig fing er an zu Lachen, als hätte ich einen Witz gemacht. „Ich glaube du musst noch etwas trainieren, um aus den Augen lesen zu können. Mit einer Sache lagst du total daneben“, sagte er immer noch lachend. „Und mit welcher?“, fragte ich etwas beschämt. „Das werde ich dir nicht verraten, zu mindestens jetzt noch nicht.“
Wir saßen bis zur Dämmerung dort. Er erzählte mir viel von England und fragte mich nach meinen Hobbys. Ich beschloss ihn nicht von meinem Traum, oder besser gesagt meiner Vision zu berichten. Ich wollte nicht, dass er mich gleich am Anfang für verrückt hält. Während der Unterhaltung hatte ich den Vorfall fast vergessen, doch als ich zu hause war, ließ es mich nicht in Ruhe. Konnte ich jetzt plötzlich in die Zukunft sehen?
Am Montag, nach der Vorlesung erzählte ich Lisa und Niko von dem Geschehenen. „Vielleicht bist du jetzt so was wie eine Wahrsagerin. Damit könntest du viel Geld verdienen“, spottete Niko. Er nahm die ganze Sache nicht sehr ernst. „Mich interessiert ja viel mehr was jetzt mit dir und Steffen ist. Hat er dich nach einem Date gefragt?“ Lisa konnte es nicht lassen, mich alles über den Tag mit meinem Nachbarn auszufragen. „Nein hat er nicht, darum geht es jetzt doch auch gar nicht. Warum sah ich etwas, das in der Zukunft passieren sollte? Und warum war der Mann einfach so weg gerannt?“, lenkte ich wieder auf das Thema zurück. „Es gibt viele Solche Phänomene, vielleicht war es ja eine Art Vorwarnung. Ich würde mir an deine Stelle nicht so viele Gedanken machen. Seit dem hast du ja nichts gesehen. Und der Mann hat vielleicht Angst bekommen, weil er dachte Steffen wäre dein Freund oder so“, behauptete Lisa. Ich stimmte dem zu, allein, weil ich mich einfach nicht mit solchen Dingen verrückt machen wollte.


Kapitel 4

Als ich zu hause war, legte ich mich etwas hin und dämmerte ein. Meine Kopfschmerzen wurden etwas stärker. Langsam überlegte ich mir deswegen zum Arzt zu gehen, ich hatte nie so lange am Stück Kopfweh. Meine Türklingel riss mich aus dem Schlaf. Es war Steffen. Er hatte ein ordentlich gebügeltes Hemd und eine dunkle Jeans an. Drüber trug er einen knielangen, schwarzen Mantel. Er war bestimmt ein Kopf größer als ich, also musste ich meistens nach oben schauen, um mit ihm zu reden. Ich hatte mit Lisa gerechnet, also dachte ich nicht darüber nach, mir schnell was anderes anzuziehen. So stand ich in meinem karierten, violetten Pyjama und zerzausten Haaren vor ihm. Gott, ich muss schrecklich aussehen, dachte ich mir. Nicht, dass ich mich hässlich fand, ich war ein Durchschnittsmensch. Dünn aber nicht sportlich, mit gewöhnlichen Gesichtszügen. Es gab eben Nichts, was mich besonders auszeichnete. „Hi, habe ich dich gerade gestört?“, seine Stimme erklang sanft im Raum. „Nein, ich war nur kurz eingeknickt. Willst du rein kommen?“, fragte ich Anstandsweise. Dabei war es das, was ich mir in dem Moment am wenigsten wünschte. Ich fühlte mich nicht besonders wohl im Pyjama. „Nein, ich wollte nur fragen, ob du Morgen schon was vor hast“, sagte er etwas verlegen. „Außer in die Uni zu gehen nichts", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Hast du Lust mit mir was Trinken zu gehen? Morgen Abend?“, sein blick raubte mir für einen Moment die Luft. „Klar, wieso nicht“, murmelte ich. Er versprach gegen achtzehn Uhr bei mir zu klingeln und verschwand wieder. Ich wollte mich gerade wieder hinlegen, als die Kopfschmerzen anfingen stärker zu werden. Wieder wurde alles schwarz vor meinen Augen. Ich sah ein Mädchen, das auf die Straße lief, ein blauer Truck fuhr direkt auf sie zu. Sie bemerkte das Auto nicht und rannte auf die Straße. Er konnte nicht rechtzeitig bremsen. Das Auto rammte sie und schleuderte sie Meterweit weg. Sie blutete stark, die Menschen versammelten sich um sie. Der Truckfahrer stieg aus um ihr zu helfen. Dann war alles wieder weg.
Ich erzählte alles meinen Freunden, doch Lisa hörte wieder nicht zu und Niko machte sich über mich lustig. Was noch mehr dazu beitrug, dass ich mir Sorgen um meine geistige Gesundheit machte. Ich dachte ernsthaft darüber nach zu einem Psychologen zu gehen, doch sattdessen machte ich mich erst mal im Internet schlau. Es hieß manche Menschen würden die Gabe haben in die Zukunft zu sehen. Es gab sogar viele Fälle, bei denen solche „Hellseher“ der Polizei halfen einen Täter auf zu spüren. Mich beruhigte die Vorstellung, dass es gar nicht so selten war etwas, nahm mir aber trotzdem nicht die Angst.
Den ganzen Tag über schien die Sonne und nur zum Abend wurde es etwas Trüb. Doch es blieb warm, der Herbst schien noch nicht richtig eingetroffen zu sein. Ich entschied mich mein weißes Sommerkleid anzuziehen, schließlich hatte ich ein Date. Meine langen, dunkelbraunen Haare lies ich offen, zog noch ein Paar schöne Ohrringe an und war einigermaßen zufrieden mit dem was ich im Spiegel sah. Die vielen Kopfschmerzen hatten ihre Spuren hinterlassen, die Anzeichen von Augen-ringen machten sich bemerkbar und meine Haut wirkte wesentlich blasser. Aber darüber musste ich mir keine Sorgen machen, denn Steffens Haut wirkte neben meiner weiß wie eine Wand. Punkt um achtzehn Uhr klingelte es an meiner Tür. Steffen hatte einen grauen Pullover an und dazu eine graue Hose. Auch so schlicht gekleidet, sah er einfach perfekt aus. Ich musste mir eingestehen, dass ich ihn ziemlich toll fand, aber das wegen machte ich noch keinen Höhenflug. Was sollte er auch an mir finden? Ich konnte mir gut vorstellen, dass ihn mehr Mädchen wie Lisa ansprachen.
Wir fuhren mit seinem schwarzen Mercedes in die Stadt. Das Auto hatte Ledersitze und schien fabrikneu zu sein. Er parkte in einer Tiefgarage am Marktplatz, von da aus liefen wir ein Stück. Kurz bevor wir an dem Café waren, sah ich ein Mädchen das gerade auf die Straße zu lief. Ich verstand nicht sofort was passierte, doch dann war mir wieder alles klar. Ohne ein Wort zu verlieren rannte ich los. Der blaue Truck war schon zu sehen und steuerte auf sie zu. Mir blieb die Luft weg, also konnte ich nicht schreien. Ich packte sie am Arm und zerrte sie mit Gewalt weg. Das Auto sauste um ein Haar breit an uns vorbei. Der Truckfahrer hupte und schrie verärgert irgendetwas aus dem Fenster. Das Mädchen war etwa sechzehn Jahre alt, sie schaute mich verängstigt an. „Danke“, krächzte sie. „Nichts zu danken, pass beim nächsten mal besser auf“, stieß ich Luft ringend hervor. Schon sammelte sich eine Menschenmasse um uns, die Eltern von dem Mädchen bedankten sich noch mal und kümmerten sich um ihre Tochter. Steffen zerrte mich sanft unter seinem Arm von der Menge weg. Erneut fiel mir auf, dass seine Haut außergewöhnlich kalt war, mir was es schon bei seinem Händedruck aufgefallen, aber ich dachte, dass viele Menschen kalte Hände hatten. Jetzt spürte ich aber, dass der Frost von seinem ganzen Körper ausging. „Bist du okay?“, fragte er mich als wir die Menge hinter uns gelassen hatten. Ich nickte. Wir nahmen in dem kleinen, gemütlichen Restaurant Platz. Steffen bestellte für mich erst mal ein Glas Wasser. „Woher hast du das gewusst? Ich meine du hast das Mädchen im richtigen Moment weg gezerrt“, stellte er fest. „Glaub mir das ist eine lange Geschichte und danach wirst du mich sicher für verrückt halten“, erklärte ich. „Ich hab Zeit und wer versichert mir, dass du mich nicht auch für verrückt hältst?“
Ich erzählte ihm alles. Von dem Vorfall im Wald und von dem Heute. Er hörte mir aufmerksam zu und gab kein einzigen Kommentar ab. „Und hältst du mich jetzt eindeutig für verrückt?“, fragte ich als ich fertig war. „Nein“, antwortete er ernst. „Was denkst du? Ist so etwas möglich?“ Ich fühlte mich wohl bei ihm. Er nahm mich wenigstens ernst und das beruhigte mich. „Ich glaube, dass ein Mensch durchaus solche Möglichkeiten entwickeln kann. Vielleicht nicht jeder X Beliebiger, aber manche können das auf jeden Fall. Du darfst dir das wegen nicht so viele Sorgen machen, akzeptiere das und versuch zu lernen damit um zu gehen. Das ist das wichtigste. Du solltest froh sein, dass du so eine Gabe besitzen darfst. Sei jedoch vorsichtig damit, erzähl es nicht jedem.“ Er sprach leise zu mir über den Tisch gebeugt. Seine schwarzen Augen durchdringen mich. Am liebsten währe ich ihm in den Moment in die Arme gefallen. Er war da für mich, obwohl ich ihn nicht ein mal richtig kannte. „Du musst das für sich behalten. Deine Gabe sollte ein Geheimnis sein. Ich weiß es wird schwer mit niemanden darüber reden zu können, aber glaub mir es ist besser für dich“, fügte er noch hinzu. Sein Gesicht nahm diesen leidenden Ausdruck an, den ich bei ihm schon mal gesehen hatte. „Es scheint mir als würdest du dich damit auskennen. Mit Geheimnissen meine ich.“ Ich wollte wissen was ihn so belastete. „Du hast ja keine Ahnung“, murmelte er mehr zu sich selbst. Ich hackte nicht weiter nach. Die Stunden flogen an mir vorbei wie Sekunden. Es war schön mit Steffen zu sein, er brachte mich zum lachen und verstand mich. Erst nach Mitternacht war ich zu hause. Der Tag hatte seine Spuren hinterlassen und kaum, dass ich mich ins Bett gelegt hatte, spürte ich wie schwer sich meine Glieder anfühlten. Kurz darauf schlief ich ein.

Kapitel 5

Ich beschloss, am nächsten Tag nicht zur Uni zu gehen. Das Ganze belastete mich sehr und ich musste mir erst über einige Dinge klar werden. Steffen sagte ich sollte lernen damit umzugehen, um das zu tun musste ich erst einmal verstehen, was mit mir los war. Gleich am morgen setzte ich mich mit einer Tasse Kaffee an den Computer und suchte weiter im Internet. Ich fand einige religiöse Einträge darüber, in einigen hieß es, es würde Gottes Gabe sein, in anderen wurden Hellseherinnen als Hexen bezeichnet. Das Wort „Hexe“ ließ einen kalten Schauder über meinen Rücken laufen. Ich hatte nie groß über solche Dinge nachgedacht. Ich wusste ja nicht ein Mal, ob ich an Gott glaubte, wie konnte ich dann entscheiden weshalb ich diese Gabe besaß? „Vielleicht wird das ganze auch einfach aufhören, zwei Mal das war doch nichts“, redete ich beruhigend auf mich ein. Meinen Eltern entschied ich nichts von dem zu erzählen, es würde sie nur beunruhigen. Am kommenden Wochenende hatte ich versprochen sie zu besuchen. Sie hatten ein Haus in Darmstadt, etwa fünfzig Kilometer von Mannheim entfernt. Es würde mir gut tun ein paar Tage dort zu verbringen.
An dem Tag, ging mir aber nicht nur das eine durch den Kopf. Ich musste viel an Steffen denken. Etwas war anders an ihm. Ich war mir sicher er verbarg irgendetwas vor mir, ich wusste nur nicht was. Er war anders. Seine Bewegungen, seine Art zu sprechen, seine Gestik, das alles schien nicht von dieser Welt zu sein. Was auch immer es sein mochte, einem war ich mir sicher: Ich mochte ihn und das sogar sehr.
Gegen Mittag bereitete ich mir was zu essen vor. Ich setzte mich auf mein Bett und schaltete den Fernseher an. Es lief irgendein Film über den zweiten Weltkrieg, ich schaute nicht wirklich hin. Ich nahm ein Stück Kartoffel in den Mund. „Mist! Vergessen zu salzen“, brummte ich verärgert vor mich hin. Unwillkürlich streckte ich meine Hand Richtung Salz, das auf dem Tisch in der Küche stand, aus. Plötzlich bewegte sich die Pappschachtel von ihrem Platz und schwebte in der Luft. Erst, als ich die Schachtel in meiner Hand hielt, realisierte ich, was passiert war, vor Schreck ließ ich sie fallen. „Was zum Teufel?!“, schrie ich auf. Ich vergrub mein Gesicht in die Hände. „Nein, nein, nein. Das ist jetzt nicht wirklich passiert. Du Träumst Hanna, du träumst. Es ist nichts passiert“, verzweifelt schluchzte ich die Sätze in meine Hände. Nach einiger Zeit hatte ich mich einigermaßen beruhigen können und entschied es noch mal zu versuchen. Ich setzte mich aufrecht hin und streckte meine Hand nach einer Kerze auf der Kommode aus. Nichts. Ich versuchte es wieder und wieder passierte nichts. Nach etwa zehn Versuchen wurde ich allmählich wütend. „Ich will jetzt die verdammte Kerze!“, schrie ich laut. Plötzlich hielt ich sie in der Hand. Ich versuchte es mit anderen Gegenständen und hatte nach einer weile den Trick raus. Ich musste es mir nur stark genug wünschen, dann funktionierte es sofort. Ob ich mich darüber freuen oder sorgen sollte, wusste ich nicht. Ich wollte es sofort Steffen erzählen, aber mir fiel ein, dass ich seine Telefonnummer gar nicht hatte. Ob er wohl gerade zu hause war? Ich entschied es herauszufinden, schließlich waren wir so etwas wie Freunde. Bevor ich raus ging, schaute ich noch mal in den Spiegel und kämmte meine Haare.
Seine Tür stand ein Spalt breit offen. Ich Klopfte einige Male. Keine Reaktion. „Steffen bist du da? Ich muss dir unbedingt was erzählen!“, rief ich und ging einen Schritt in die Wohnung hinein. Es war wunderschön eingerichtet. Der Korridor war mit einem weinrotem Teppich ausgelegt, er führte direkt ins Wohnzimmer. Ich lief einige Schritte weiter. An den Wänden hingen Van Gogh's Gemälde in vergoldeten Barockrahmen. Die Kopien waren sehr gut gemacht, einige schauten wie Originale aus. Das Wohnzimmer hatte eine abgerundete Wand, die fast nur aus Fenstern bestand, an denen schwere dunkel violette Samtgardienen hingen. Das Parkett war dunkelbraun, ihn schmückte ein Bärenfell, das sich direkt vor dem Antiken Ledersofa ausbreitete. Zu dem gehörten noch zwei gleiche Sessel. An den Wänden hingen Regale aus dunklem Holz, die mit, eben so Antiken Büchern wie den Rest der Gegenstände im Zimmer ausgestopft waren. „Hanna! Was machst du denn hier?“ Hörte ich Steffens erschrockene Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. Seine dunklen, mittellangen Haare hingen ihm zerzaust vor's Gesicht. Er hatte einen schwarzen Bademantel aus Seide an, der seine strammen Brustmuskeln entblößte. Mir blieb die Luft weg. „Ich, ich muss dir unbedingt etwas erzählen“, stotterte ich. „Hanna geh jetzt bitte. Ich komme gleich zu dir rüber“, bat er mich sanft. Ich stand wie angewurzelt da und konnte mein Blick nicht von ihm lösen. Unter seinen tiefschwarzen Augen waren violette Schatten, sie schauten mich bedrohend an. „Geh jetzt! Sofort!“, befahl er mir nun im strengen Ton. Ich schaute ihn verstört an und lief schnell aus der Wohnung. Was war mit diesen Typen nur los?! Ich konnte es einfach nicht verstehen.
Nach etwa einer viertel Stunde klopfte es bei mir an der Tür. Steffen stand nun in einer Jeans und einem T-Shirt, mit ordentlich gekämmten Haar vor mir. Auch die Schatten unter seinen Augen waren verschwunden und er lächelte mich sanft an. „Darf ich hinein kommen?“
„Klar. Möchtest du was trinken oder so?“, fragte ich freundlich. „Nein danke.“ Er blieb mitten im Raum stehen und schaute sich um. „Setzt dich doch. Es gibt leider nichts anderes“, forderte ich ihn auf und klopfte auf das Bett. Für andere Sitzgelegenheiten blieb mir einfach der Platz weg. Er befolgte meine Bitte und schaute mich nun erwartungsvoll an. „Also, was gab es denn so dringendes?“
„Ich entwickle anscheint noch andere Fähigkeiten.“
Wieder lauschte er mir aufmerksam zu, als ich ihm von meinen neuen Fähigkeiten berichtete. Als ich fertig war, sagte er eine Weile nichts. „Komm ich zeige es dir!“, sagte ich und konzentrierte mich auf einen Stift, der an meinem Schreibtisch lag. Es klappte. „Und was hältst du davon?“, fragte ich ihn Stolz auf meine gelungene Leistung. „Ich hätte es dir auch so geglaubt. Darum geht es jetzt aber nicht. Hattest du jemanden in deiner Familie, der ebenfalls solche Fähigkeiten hatte?“ Er schien nicht sehr von meiner neuen Gabe begeistert zu sein. „Nicht das ich wüsste“, antwortete ich verwirrt. „Was hat es damit zu tun?“
„So etwas kann man vererben. Du solltest dich darüber erkundigen, es könnte dir helfen“, erklärte er seufzend.
„Und wie sollte es mir helfen?“
„Es können nicht die einzigen Fähigkeiten sein die du vererbst.“
„Was denn noch? Werde ich Gedanken lesen können oder wie?“, fragte ich ungläubig.
„Das könnte durchaus sein. Du musst dich jedenfalls auf alles gefasst machen.“
„Na gut. Aber ich verstehe es trotzdem nicht. Warum habe ich diese Fähigkeiten erst jetzt? Warum schon nicht früher?“
„Das kann ich dir nicht sagen.“ Er zuckte die Achseln. „Ich muss jetzt wieder gehen, Hanna. Tut mir Leid“, sagte er resigniert.
Ich verabschiedete Steffen, öffnete das Fenster und schaute heraus. Ein frischer Herbstwind wehte hinein und blies kleine Regentropfen in mein Gesicht. Es fühlte sich gut an. Ich tastete an meiner Stirn. Sie war glühend heiß. Meine ganze Haut schien zu brennen. Ich schloss die Augen und füllte meine Lunge mit der kühlen Luft. Was hatte Steffen auf ein Mal wieder? Dieses Mal schien er ein anderer Mensch zu sein. Distanziert und kalt.
Mein Kopf drohte zu zerplatzen. Den ganzen restlichen Tag verbrachte ich damit, mir den Kopf über Steffen zu zerbrechen. Nicht ein Mal das was mit mir passierte, beschäftigte mich so sehr wie er. Etwas veränderte sich in mir, und es lag nicht nur an meinen Fähigkeiten.

Kapitel 6

Mittwoch, Donnerstag, Freitag. Nichts. Ich wartete jeden Tag auf Steffen, aber er kam nicht vorbei. Jeden Tag hoffte ich ihm in Treppenhaus zu begegnen, doch er lies sich nicht blicken. Von den Geschehenen erzählte ich Lisa und Niko nichts.
Ich packte meine Sachen für das Wochenende bei meinen Eltern. Die perfekte Gelegenheit, um über alles nachzudenken. Etwas Zeit wo anders zu verbringen, würde mir sicher gut tun. Gegen abend stieg ich in meinen alten Ford und fuhr los. Etwa eine Stunde später stand ich vor dem Haus meiner Eltern. „Hanna! Du bist endlich da! Komm her mein Kind! Bist du gut angekommen?“ Meine Mutter überrumpelte mich mit ihrer Umarmung. Sie hatte sich nicht verändert. Sie Lächelte sanft und um ihre blauen Augen bildeten sich kleine Falten. Ihr kurzes, braunes Haar roch vertraut nach Sommerblüten. Die kleinen Hände drückten mich fest an ihren zierlichen Körper. „Lass sie doch erst ein Mal rein kommen“, rief mein Vater von der Terrasse aus. Er hatte wie immer, wenn er zu hause war ein T-Shirt und eine Sporthose an. Sein schwarzes Haar hatte noch mehr graue Streifen bekommen, doch sein Gesicht war immer noch gleich. Die braunen Augen schauten mich aus tiefen Höhlen sanft an. Er stieg einige Treppen hinunter und kam auf mich zu. „Komm ich nehme dir die Tasche ab“, forderte er mich auf. „Sie ist doch gar nicht schwer Pap's“, widersetzte ich mich. Er riss mir sie gewaltsam aus der Hand und ging damit vor ins Haus. Meine Eltern hatten kurz vor meiner Geburt das Grundstück ersteigert und das Haus direkt nach ihren Vorstellungen bauen lassen. Es war mit grün gestrichenen Holzplatten bedeckt und hatte zwei Etagen. Der Haupteingang führte durch eine Terrasse, die vom rot gewordenen Hopfen bewachsen war. Als Kind hatte ich oft dort gespielt. Mein Zimmer befand sich oben. Meine Eltern hatten alles so gelassen wie es war. Sie hofften, dass ich nach meinem Studium zurück ziehen würde. Dort stand ein kleines Bett, das immer noch mit meiner alten Blümchen Bettwäsche bedeckt war, mein alter Schreibtisch mit der schwarzen, biegsamen Tischlampe und ein Kleiderschrank. Mein Vater stellte die Tasche im Zimmer ab. „Packe erst ein mal aus, komm dann nach unten deine Mutter hat Gemüseauflauf gemacht“, sagte er mit einem vorfröhlichem Lächeln auf das Essen.
Ich hatte nur ein paar Kleinigkeiten mitgenommen, die schnell ausgepackt waren. Ich roch den leckeren Geruch des Essens, als ich die alte klirrende Treppe hinunter stieg. Gemüseauflauf war mein Lieblingsgericht, meine Mutter bereitete es jedes Mal zu, wenn ich zu Besuch kam. Die Küche war sehr groß, dort stand immer noch der runde Tisch aus meiner Kindheit. Das Wohnzimmer wurde im letzten Jahr neu renoviert, ein neues Polstersofa und ein Flachbildschirmfernseher, der ein spezieller Wunsch meines Vaters war, erfüllten den Raum. „Na komm setzt dich und erzähl uns wie es an der Uni läuft!“, bat mich meine Mutter lächelnd. „Es ist alles gut, ich habe zwei Einsen bekommen. In Französisch und Englisch also kann ich jetzt aufatmen“, berichtete ich Stolz auf meine Gut verdiente Eins in Französisch. „Warum hast du uns das nicht früher erzählt? Dann hätten wir dir ein Geschenk besorgt oder so“, beschwerte sich mein Vater. „Ah es sind nur Klausuren, die bedeuten noch nicht so viel“, winkte ich ab.
Nach dem Essen saßen wir eine ganze Weile im Wohnzimmer und schauten uns Fußball an. Die zweitgrößte Leidenschaft meines Vaters, die erste war seine Kanzlei. Mein Vater wollte schon immer Rechtsanwalt werden und als er genug Geld hatte, eröffnete er die „Haas“ Kanzlei. Meine Mutter hingegen, hatte nur eine Leidenschaft und das war Klavier. Früher arbeitete sie in einem Gymnasium als Musiklehrerin, doch als ich zur Welt kam gab sie nur noch privat Unterricht. Es war schön wieder zu hause zu sein, in meinem alten Bett zu liegen und für einen Moment über die unbeschwerte Zeit nachzudenken, die ich dort verbracht hatte. Mein Vater klopfte an meiner Tür und steckte seinen Kopf zwischen den Spalt. „Was ist denn?“, fragte ich flüsternd. „Ich wollte dir nur Gute Nacht sagen, schön dass du uns mal wieder besuchst“, erklärte er etwas verlegen. „Danke dir auch gute Nacht. Ich finde aus auch schön.“ Ich war überrascht davon, was mein Vater sagte, es fiel ihm nicht leicht Gefühle zu zeigen, daher rechnete ich es ihm hoch an. Ich deckte mich zu, atmete den bekannten Geruch Mutters Weichspüler ein und fiel in den Schlaf.
Der nächste Morgen war sonnig und warm. Ich ging hinaus auf die Terrasse, die Erde war noch feucht vom nächtlichen Regen. Die Luft war klar und frisch, der Himmel wolkenlos. Mein Mutter war schon auf und machte Pfannkuchen zum Frühstück. Ich ging ins Haus um ihr zu helfen. Während ich die klebrige Masse mit dem Schneebesen rührte, fiel mir ein was Steffen mich gefragt hatte. „Mutti, weißt du eigentlich ob bei uns in der Familie jemand besondere Fähigkeiten hatte? Ich meine so etwas wie Hellsehern oder ähnliches“, fragte ich sie vorsichtig.
„Ja, deine Uroma. Aber daran erinnerst du dich wahrscheinlich nicht mehr. Sie hat sich viel mit Magie und Zauberei beschäftigt. Meine Mutter erzählte mir, dass sie auch Hellsehern konnte, aber sie hat es immer mehr für sich behalten. Warum fragst du?“
„Nur so, hab letztens ein Bericht darüber im Fernsehen gesehen“, log ich. „Achso. Wusstest du eigentlich, dass der Anhänger den du trägst, sie dir vererbt hatte? Ich wollte ihn als kleines Mädchen immer haben, aber sie sagte es währe für meine Tochter. Sie sagte, sie hätte es gesehen, dass ich eine Tochter bekomme“, erzählte meine Mutter lächelnd. Ich berührte den kleinen, in Silber umringtem, grünen Stein an meiner Halskette. Ich bekam ihn zu meinen vierzehnten Geburtstag, da war meine Uroma schon verstorben. Ich konnte mich nicht erinnern, dass es von ihr war. „Das wusste ich nicht. Er ist wirklich sehr schön“, bestätigte ich. „Ja das ist er. Sie sagte er würde dich beschützen“, fügte sie noch hinzu. Was hatte es damit auf sich? Wusste meine Uroma, dass ich später mal die gleiche Gabe haben würde wie sie? Ich hoffte durch diese Frage mehr Klarheit zu bekommen, doch das alles verwirrte mich nur noch mehr. Wir sprachen nicht mehr darüber, meine Mutter schien meine Lüge nicht bemerkt zu haben. Ich hatte ein wenig schlechtes Gewissen deswegen, aber ich hielt es für richtig erst einmal nichts zu sagen. Vielleicht würde ich meinen Eltern später darüber berichteten, aber erst musste ich selber damit klar kommen.
Das Wochenende flog schnell an mir vorbei. Meine Eltern schenkten mir so viel Aufmerksamkeit, dass ich kaum eine Minute Zeit hatte über mich, oder Steffen nachzudenken. Sonntag nachmittag fuhr ich zurück. Meinen Eltern versprach ich, sie möglichst bald zu besuchen. Schon auf der Fahrt merkte ich wie mein Kopf vor Schmerz pulsierte. Ich war nur ein kleines Stück mit meinen Fragen weiter gekommen, trotzdem wusste ich noch viel zu wenig. Dazu drängte sich rücksichtslos Steffen in meine Gedanken. So viele Fragen überfluteten meinen Kopf und für keine hatte ich eine Antwort.
Erschöpft von der Fahrt schmiss ich mich zu hause auf mein Bett. Ich hoffte Steffen zu begegnen, doch er war nicht da, auch aus seiner Wohnung war wie immer nichts zu hören. Ich schlug ein Spanisch Buch auf und hoffte, mich damit ein wenig ab zu lenken. Es funktionierte nicht lang, nach etwa einer halben Stunde legte ich das wieder weg. Ich schaltete den Fernseher ein. Gerade liefen Nachrichten. Sie zeigten mir eine ganz bekannte Gegend, ich machte den Ton lauter. „Hier in Mannheim, neben den beliebten Nachtclub 'Panta' findet eine Zeugin die Leiche eines jungen Mannes. Der Austauschstudent wurde am Mittwoch von einem Unbekannten ermordet...“ Die Worte des Nachrichtensprechers hallten in meinem Kopf wieder. Einige Sekunden später wurde alles schwarz. Ich sah einen Mann. Jung, groß mit einem wunderschönen Gesicht. Er hätte von dem Cover eines Modemagazins stammen können. Er hatte einen dunklen Mantel an und verdeckte mit dem Kragen Teil seines Gesichts. Er lief einer Straße entlang, am Ende leuchtete eine Aufschrift mit den Namen 'Panta'.


Kapitel 7

Ein lautes Hämmern riss mich aus dem Schlaf. Ich hob mein Kopf leicht vom Boden und bemerkte ein stechenden Schmerz im Nacken. Ich wollte mich aufrichten, aber mein Arm war eingeschlafen und lag leblos auf dem Parkett. Das klopfende Geräusch wurde von Schreien übertönt. „Hanna! Hanna! Bist du da? Mach bitte auf! Was ist denn los?“ Ich erkannte die Stimme meiner Freundin. Nach einigen gescheiterten Versuchen gelang es mir auf zu stehen und die Tür zu öffnen. Lisa stürmte in die Wohnung hinein und überrumpelte mich mit einer festen Umarmung. „Mein Gott, jage mir nie wieder so eine Angst ein! Ich wollte schon die Polizei rufen! Was ist denn passiert?“ Ihre Stimme zitterte vor Aufregung. „Ich, ich weiß es nicht genau.“ Presste ich heißer aus mir hervor und fasste mir an den Kopf. Autsch! Es tat so weh! „Du warst heute nicht an der Uni, ich hatte mir Sorgen gemacht! Du bist nicht ans Telefon gegangen! Hanna, ich dachte dir währe was passiert!“ Erklärte Lisa aufgebracht. „Ich muss geschlafen haben.“ Langsam dämmerte es mir. Meine Vision, der Mann am „Panta“. „So schläft doch kein Mensch! Weißt du wie spät wir es schon haben?“ Sie nahm meine Hand und drückte sie ganz fest. „Mir ging es nicht gut, ich glaube ich hab mir was eingefangen.“ log ich. Meine Freundin legte ihre Hand an meine Stirn. „Gott, du glühst ja!“ Schrie sie erschrocken auf. „Wir müssen dich sofort zum Arzt bringen.“ Lisa stand auf und fing an hektisch durchs Zimmer zu laufen. „Nein! Nein!“ Es kam härter heraus als beabsichtigt. Meine Freundin schaute mich verstört an. „Bitte nicht zum Arzt. So schlecht geht es mir auch wieder nicht. Ich, ich muss mich nur etwas hinlegen.“ Erklärte ich im sanften Ton. Lisa setzte sich mit einem seufzen zu mir aufs Bett. „Dann leg dich hin, ich mach dir ein Tee.“
Lisa blieb die ganze Zeit neben mir. Ich konnte nicht einschlafen also erzählte sie mir Neuigkeiten aus der Uni. Ein Student aus unserem Französisch Kurs hatte sie zum Essen eingeladen, sie schien ganz begeistert davon zu sein. Doch das ganze bekam ich nur halbwegs mit. Ich versuchte meiner Vision eine Bedeutung zu zuschreiben, aber es klappte nicht. Ich brauchte Steffen, er würde mir zuhören und mich verstehen. Ratlos seufzte ich vor mich hin. „Was ist denn los?“, unterbrach Lisa ihren Redefluss. Ich schüttelte einfach den Kopf. „Ist das wegen deinem neuen Nachbarn?“ Sie schaute mich mitfühlend an. „Woher weißt du das?“ Fragte ich verwundert. „Süße, man muss kein Genie sein um zu sehen dass du verknallt bist.“ Sie verdrehte ihre Augen. „Das stimmt nicht!“ Energisch schüttelte ich den Kopf. Plötzlich klopfte es an der Tür. Wir tauschten ein verwunderten Blick aus dann ging Lisa zur Tür. Sie schaute durch den Spion, drehte sich um und lächelte breit. „Wenn man vom Teufel spricht.“ Flüsterte sie glücklich. Ohne mein Okay abzuwarten schloss sie die Tür auf und Steffen kam herein. „Hi, ist Hanna zu hause?“ Fragte er freundlich. „Ja klar, komm rein.“ Lisa führte ihn vom Korridor ins Zimmer. „Hallo“ Begrüßte ich ihn heißer. „Hallo. Störe ich gerade? Ich kann auch später wieder kommen.“ Er schaute wieder nett und sprach in einer sanften Stimme. Gerade als ich mein Mund öffnen wollte um zu sagen, dass es wohl besser währe wenn er ein anders mal vorbei käme, kam mir Lisa zuvor. „Nein, natürlich nicht. Ich wollte sowieso gerade gehen.“ Rasch schnappte sie sich ihre Tasche und zog sich die Stiefel an. „Ich sag an der Uni beschied, dass du Krank bist und komm Morgen vorbei.“ Sagte sie und verschwand. „Du bist krank?“ Fragte Steffen besorgt und setzte sich zu mir an die Kante vom Bett.
„Ich weiß es nicht genau, ich glaube ehr es liegt an was anderem.“
„An was anderem heißt an deiner Gabe?“
„Ja, ich hatte gestern wieder eine Vision und hab dann bis vor kurzem durch geschlafen.“
„Es kann durchaus sein, dass die neuen Fähigkeiten deinen Körper stark beanspruchen. Das wegen braucht er mehr Entspannung.“
„Woher weißt du so viel über diese Dinge?“ Fragte ich unwillkürlich. „Ich habe viel gelesen, nichts weiter. Du warst am Wochenende nicht da.“ stellte er fest. „Ich habe meine Eltern in Darmstadt besucht.“ antwortete ich. „Ich hatte bei dir geklingelt. Ich wollte mich wiederholt für mein Benehmen entschuldigen.“ Er schaute mich fragend an. Er sah so gut aus, dass es fast eine Frechheit war mich um Entschuldigung zu bitten. Bei diesem Blick würde ihm jede Frau verzeihen. „Wenn du mir erklären würdest was los ist, müsstest du dich auch nicht immer wieder entschuldigen.“ Ich hielt mich noch beisammen. „Glaub mir Hanna, das würde ich gern. Aber es geht nicht.“ Verärgert legte er sein Kopf in die Hand und schaute zum Boden. Ich seufzte. Ich berichtete ihm von meiner Uhroma und von meiner neuen Vision. „Nicht jede Vision muss in der Zukunft statt finden und nicht jede ist wahr. Du solltest dem nicht so viel an Bedeutung zumessen. Schließlich hast du ja nur ein Mann gesehen, er hatte weder jemanden getötet noch wurde er ermordet.“ Er sprach sehr selbstbewusst über solche Dinge, als hätte er so etwas öfter miterlebt. Ich konnte nicht glauben dass sein Wissen nur aus Büchern stammt. Und wer las schon Bücher über Magische Fähigkeiten und sonstiges? Ich beschloss die Frage erst mal auf sich ruhen zu lassen, ich hatte genug andere auf die ich eine Antwort finden musste. „Wahrscheinlich hast du recht. Es, es ist alles so verrückt. Dass das alles jetzt auf ein Mal passiert, ich habe das Gefühl dass ich es noch nicht ein mal realisiert habe.“ Ich fasste mir an den Kopf, oder besser gesagt an den Feuerball der an meinem Hals dran hing. Steffen lehnte sich zu mir, hob mit seiner kalten Hand mein Kinn an und schaute mir tief in die Augen. „Es wird schon wieder. Man braucht eben Zeit um damit klar zu kommen, aber irgendwann akzeptiert man sein Schicksal. Etwas anderes bleibt einem auch nicht übrig.“ Wieder sprach er, als wüsste er wie so etwas ist. Seine Hand fuhr über meine Wange. „Deine Hand ist so schön kühl.“ Flüsterte ich und ließ mein Kopf in das Kissen sinken.
„Und du bist sehr warm. Es könnte ebenfalls mit dem ganzen zusammenhängen.“
„Ich fühle mich auch nicht als ob ich Fieber hätte. Meine Haut ist nur unglaublich heiß.“
Vorsichtig rutschte er etwas näher zu mir, lehnte sich seitlich an den Hinterbalken des Bettes und legte seine Hand auf meine Stirn. „So besser?“Hauchte er mir sanft ans Ohr. Ich nickte und schloss meine Augen.
Man müsste glauben, seine Hand wäre nach einer Weile warm aber sie blieb Kalt. Eine gefühlte Stunde lagen wir schweigend da. Ich dämmerte schon langsam ein, als ich spürte das Steffen seine Hand weg zog. Gedankenlos zog ich ihn an seinem Hemd an mich. Ich hörte wie seine Schuhe zu Boden fielen, dann zog er mich an sich und presste mich an seinen kalten Körper. Er spendete die nötige Abkühlung und schon bald schlief ich ein.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte lag Steffen nicht mehr neben mir. Meinem Kopf ging es etwas besser, aber meine Körpertemperatur hatte sich nicht verändert. Ich erinnerte mich an den Abend mit ihm. Es war schön in seinen Armen zu liegen, ihn neben mir zu haben. Konnte es sein dass ich mich schon nach so einer kurzen Zeit verliebt hatte? Bei dem Gedanken bekam ich Panik. Was war wenn er mich nicht liebte? Wenn er nur aus Mitleid mit mir die Zeit verbrachte? Ich beschloss abzuwarten und zu sehen wie sich die Sache entwickelte. Wenn ich schon zu hause blieb wollte ich wenigstens was für die Uni machen, also setzte ich mich mit den Spanisch und Französisch Büchern auf mein Bett und büffelte. Gegen Nachmittag klopfte es an der Tür. Ich dachte es währe wieder Lisa, die mir wahrscheinlich eine Hühnersuppe vorbei bringen würde, aber Steffen stand an der Tür. „Ich dachte wenn du schon Krank bist solltest du etwas frische Luft bekommen. Hast du Lust ein kleinen Spaziergang zu machen?“ Er lächelte Sanft und schaute zum Boden, dabei fiel ihm eine Haarsträhne ins Gesicht. Um ihn nicht anstarren zu müssen schaute ich raus zum Fenster. Eine dunkle Wolkendecke überzog mit einer unglaublichen Schnelligkeit den grauen Himmel. Die Äste der Bäume drohten abzubrechen, so tief wurden sie vom starken Wind nach unten gezogen. „Denkst du nicht dass es nicht unbedingt das passende Wetter ist um raus zu gehen?“ fragte ich ihn verwirrt. „Ich glaube dass es gerade sehr schön draußen ist, und sollte es anfangen zu Regnen finden wir bestimmt irgendwo Unterschlupf.“ Er schien es ernst zu meinen. So abwegig mir die Idee auch erschien während einem Sturm spazieren zu gehen, fühlte ich mich bei Steffen sicher. Ich schnappte mir mein Mantel, zog ein paar schwarze Stiefel an die besonders gut beim Regen hielten und wir gingen hinaus. Wir fuhren ein Stück mit seinem Auto bis wir in der Stadt waren. Es sah aus als währe die ganze Stadt ausgestorben, man sah nur einige Restaurant und Café Angestellten die hektisch versuchten die noch draußen stehenden Möbel an zu ketten oder ins Innere zu befördern. Steffen schien es nicht zu beeindrucken, in einem gemütlichen Gang lief er neben mir her. Als wir den Marktplatz überquert hatten und auf die Haupteinkaufstraße abgebogen sind verlangsamte er seinen Schritt. Vorsichtig und doch entschlossen nahm er meine Hand. Mein Herz machte einen langen Aussetzer, erst nach einigen Minuten konnte ich mich sammeln. Ich sah ihn, unsere Blicke begegneten sich und er lächelte sanft. Ich erwiderte etwas schüchtern sein Lächeln und drückte seine Hand fester. Der Wind zerrte gnadenlos an meinen Haaren und blies meinen Mantel auf. Die ersten Regentropfen schlugen mir kalt ins Gesicht. Alles was nicht fest am Boden war wurde mit einer Wucht in die Luft geschleudert. Innerhalb von wenigen Minuten war es dunkler geworden, die Stadt schien der Kraft der Natur ergeben zu sein. „Lass uns hinein gehen.“ Schrie Steffen zu mir. Ich konnte ihn kaum verstehen und machte mir nicht die Mühe zu antworten. Wir kamen in ein kleines, gemütliches Café. Es sah ziemlich alt aus, die Möbeln waren aus einem dunklen, robustem Holz gebaut. An den Wänden hingen unzählige schwarz-weiß Fotografien von Pferderennen, Flügel und Sängerinnen, Landschaften, Stillleben, alten Autos alles mögliche war vorhanden. Wir nahmen in einer Ecke Platz. Der alte Wirt kam persönlich um uns zu bedienen, ich bestellte eine heiße Schokolade und Steffen einen Kaffee. Ich war gerade dabei jedes der Fotos zu beäugen als ich Steffens Hand auf meiner spürte. Er schaute mich mit einer ernsten Miene an. Dann milderte sie sich und er fing an zu sprechen: „Mir ist noch nie Jemand begegnet der so war wie du Hanna. Ich sollte mich eigentlich von dir fernhalten, aber ich konnte es nicht. Meine Gefühle zu dir sind einfach zu stark und ich kann sie nicht mehr verdrängen.“ Er sprach mit sichtlicher Überwindung. Ich konnte nicht glauben dass das alles Gerade wirklich passierte. Jeden Moment wartete ich darauf aus dem Traum über Magie und Liebe zu erwachen. Doch es passierte nicht und Steffen blickte mich erwartungsvoll an. „Warum solltest du dich von mir fernhalten? Ist, ist das wegen meinem P..Problem?“ stotterte ich. „Nein das hat nichts damit zu tun!“ widersprach er energisch. „Ich kann es dir nicht sagen Hanna, es tut mir Leid.“
„Ich empfinde genau so für dich, aber wenn wir einander nicht vertrauen weiß ich nicht ob das alles so gut ist.“
„Es hat nichts mir Vertrauen zu tun. Glaub mir es ist nur zu deinem eigenen Schutz. Es ist besser manche Dinge nie zu erfahren.“
Ich seufzte resigniert. Diese Unterhaltung würde zu nichts führen, aber ich würde nicht aufgeben. Was auch immer es war, ich musste es wissen.
Der Sturm war nach einer halben Stunde vorbei und wir gingen wieder hinaus. Die Luft war frisch, auf den Straßen hatten sich große Pfützen gebildet und die Spuren des Sturms konnte man überall herumliegen sehen. Einige Plakate wurden abgerissen, der Müll lag verteilt über die ganze Straße und einige Sonnenschirme der Cafés hatten es auch nicht überstanden. Liebevoll legte Steffen sein Arm um mich und wir liefen wieder zurück zum Marktplatz in die Tiefgarage wo er geparkt hatte.
Wir kamen gerade am Auto an als ich einen Mann auf uns zu kommen sah. Sein Gesicht kam mir unheimlich bekannt vor. Ich starrte ihn an und bemerkte dass er Steffen zunickte. Mein Freund erwiderte diese Gäste weniger freundlich. Als mir klar wurde woher ich den Mann kannte, überflutete mich eine neue Vision. Der Mann den ich an den Nachtclub und in der Tiefgarage gesehen hatte, stand gegenüber vom Steffen. Ich konnte Steffens Gesicht nicht sehen, aber ich erkannte ihn trotzdem sofort. Anscheint hatten sie gerade eine Auseinandersetzung, denn der Mann aus meiner anderen Vision schlug wütend auf die Tischkante. Ich konnte den Raum erkennen, es war Steffens Wohnzimmer. Plötzlich veränderte sich das Gesicht den Unbekannten. Seine Augen wurden Pechschwarz, nicht nur die Iris sondern auch das ganze Gewebe drumherum. Es sah aus als währen es nur leere Augenhüllen. Sein Gesicht wurde noch bleicher und ein paar violette Venen kamen um seine Augen hervor. Er knurrte und entblößte dabei zwei lange Eckzähne.
„Hanna ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?“, hörte ich Steffens besorgte Stimme neben mir. „Ja alles okay, ich...“ - kurz dachte ich darüber nach was ich sagen sollte, - „ich hatte nur einen Schwächeanfall.“ log ich schließlich. Er half mir ins Auto und schnallte mich an. „Sag mal wer war eigentlich dieser Mann vorhin in der Garage?“ fragte ich als wir los fuhren und versuchte es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen. „Niemand. Ich meine ich weiß es nicht, er war einfach nur freundlich.“ Er log, ich wusste er sagte nicht die Wahrheit. Ein blinder hätte gesehen dass die beiden sich kannten. Gut das ich ihm nichts von meiner Vision erzählt hatte, dachte ich nur. Als wir an der Tür waren hielt Steffen an. „Soll ich noch mit rein kommen und dir einen Tee machen?“ fragte er lächelnd. „Ehrlich gesagt fühle ich mich nicht sehr wohl und würde gern gleich ins Bett gehen.“, erklärte ich ihm und versuchte seinem Blick dabei nicht zu begegnen. „Na gut“ seufzte er. Er lehnte sich zu mir vor und berührte mit seinen eisigen Lippen meine Wange. „Gute Nacht“ hauchte er mir ins Ohr. „Gute Nacht“ erwiderte ich sanft.
Ich brauchte nicht lang nachzudenken um zu verstehen was oder wen ich in meiner Vision gesehen hatte. Ein Vampir. Schon in Gedanken bereitete mir dieses Wort Unbehagen. Das Internet bot mir keine hilfreichen Antworten an. Ich vergrub meine Gesicht in die Hände und zwang mich darüber nachzudenken. War es möglich dass das alles gerade passierte? Das Hexen und Vampire auf ein mal kein Mythos mehr waren, sondern die Wirklichkeit? Und was gab es sonst noch, existierten jetzt auch Elfen und Dämonen? Mit diesen Fragen zögerte ich nur die wichtigste heraus. War Steffen ein Vampir?


Kapitel 8

Ich hatte ihn nicht ein einziges Mal im Sonnenlicht gesehen. Er aß nichts. Seine Haut war bleich und kalt. Die violetten Schatten unter seinen Augen die fünfzehn Minuten später nicht mehr da waren. Die Art wie er sprach und sich bewegte. Und seine Reaktion als ich mit dem blutenden Finger vor seiner Tür auftauchte. Das alles passte perfekt in die Beschreibung der Vampire aus den Filmen und Mythen. Aber trank doch, er hatte vor mir ein Kaffee getrunken. Er hatte mich nicht getötet obwohl er mehr als eine Gelegenheit dazu gehabt hätte. Ich suchte verzweifelt nach allem was dagegen sprach, doch es war nicht genug. Was sollte ich tun? Ihn zu Rede stellen? Und was wenn er doch keiner war, was wenn es überhaupt keine Vampire gab? Wenn er recht hatte und die Visionen nicht immer der Wahrheit entsprachen. Würde er es dann verstehen? Ich musste mir was besseres ausdenken, ich musste es herausfinden ohne ihn was davon wissen zu lassen. Vampire mochten doch kein Knoblauch und Kreuze. Auch wenn dieser Mythos sich nicht bewahrheiten würde, es währe zu mindestens ein Anfang. Und was wenn er mich umbringen wollte? Wie sollte ich mich dann schützen? Dinge in der Gegend herum schweben lassen währe da nicht sehr hilfreich. In vielen Büchern konnte man Vampire mit Silber töten. Ich erinnerte mich an ein Geschenk meines Vaters. Ein kleiner Schweitzer Messer aus Silber. Es war keine Kampfwaffe aber immerhin etwas. Während die Sonne schien würde er sich nicht raus trauen. „Was überlege ich mir da gerade eigentlich? Ich muss verrückt sein.“ schluchzte ich in meine Hände. Aber so abwegig das Ganze klang und so verrückt ich mir dabei vor kam daran zu glauben, musste ich es tun.
Ich entschied meine Pläne schnellstmöglich in Angriff zu nehmen. Ich ging wieder nicht zur Uni, rief Lisa an und erzählte ihr dass es mir immer noch nicht gut ging und ich noch einige Tage zu hause bleiben würde. Ich bat sie mich nicht zu besuchen, versicherte ihr dass Steffen sich wunderbar um mich kümmerte. Sie freute sich für mich und bestand auf ein Doppeldate mit ihrem fast Freund Peter. Ich wimmelte sie mit einer Zusage ab. Gleich am Morgen ging ich in den Supermarkt und besorgte Knoblauch. Ich wollte eine Pizza machen, perfektes Essen für ein DVD Abend. Ich tat ein paar Zehen in den Teig, ein paar in die Tomatensauce und rieb noch einige auf den Belag. Das müsste reichen. Dann grub ich ein altes Kreuz aus der Schmuckkiste, den ich zu meiner Taufe bekommen hatte. Das Messer versteckte ich unter einem Kissen. Als alles bereit war, ging ich rüber zum Steffen und klingelte.
„Hi. Geht es dir besser?“, er lächelte sanft.
„Ja etwas, allerdings will ich heute nicht raus ich muss mich wohl doch noch ein bisschen schonen. Hast du vielleicht Lust bei mir ein Film anzuschauen? Ich habe Pizza gebacken.“
„Warum auch nicht. Wann soll ich vorbei kommen?“
„In einer Stunde?“
„Dann bis in einer Stunde.“ er küsste mich wieder an der Wange. Trotz der nicht all zu schönen Umstände, schlug mein Herz in einem unregelmäßigen Takt als seine Lippen mich berührten. Allmählich fühlte ich mich wegen der ganzen Aktion schuldig. Was ist wenn er kein Vampir war? Vertrauen. War es nicht das was ich mir auch von ihm wünschte? Trotzdem verbarg er irgendwas vor mir, also war es nur gerecht wenn ich versuchte die Wahrheit herauszufinden.
Kurz bevor es so weit war hängte ich mir das Kreuz um. Ich dachte darüber nach ob es einen Gott gab und ob er mir diese Gabe geschenkt hatte. Die Vorstellung das es da oben jemanden gab der über alles und jeden wachte beruhigte mich. Es klopfte an der Tür. „Hi“ Steffen lächelte mich unbeschwert an. „Komm rein, die Pizza ist gleich fertig.“ sagte ich freundlich. Er setzte sich auf das Bett und ich mich neben ihn. Sein Blick fiel auf meinen Hals, auf das Kreuz. Er schrie nicht auf, wendete sein Blick nicht ab, er sagte gar nichts. „Was für ein Film möchtest du schauen?“, fragte er nach einer Weile. „Weiß nicht, worauf hättest du Lust? Ich habe ziemlich viele.“ antwortete ich so unbeschwert wie möglich. „Vielleicht etwas über die Liebe?“ Er schaute mich ernst an. „Ich hab Dirty Dancing.“ gluckste ich. „Der Film ist doch gut, von mir aus können wir ihn gern anschauen.“ sagte er. „Na gut.“ Ich schob die Silberscheibe in den DVD Player und drückte auf Start. „Erst gibt es aber noch Pizza.“ verkündete ich fröhlich wie es ging. „Ehrlich gesagt habe ich keinen Hunger.“ Hatte er das wirklich gesagt? Nein, so schnell würde ich nicht aufgeben. „Aber ein Stück musst du probieren, ich hab sogar den Teig selbst gemacht.“ Ich zwang mich zu lächeln. „Nein, ich kann wirklich nicht, tut mir Leid.“ Sein Gesichtsausdruck wurde ernster. Ich sagte nichts, weil sich ein Kloß in meinem Hals bildete der mich am sprechen hinderte. Etwas verklemmt setzte ich mich auf das Bett. Ich schaute in den Fernseher aber bekam nicht von dem Film mit. War es nur ein Zufall, oder stimmte meine Theorie? Mein Plan kam mir jetzt gar nicht mehr so toll vor, denn im Grunde war der Test zu Ende und ich wusste immer noch nicht weiter. Was hatte ich denn erwartet, dass seine Augen anfangen zu qualmen wenn er das Kreuz sieht? Ich schüttelte den ungläubig den Kopf.
Der Film war fast zu Ende und ich hatte mich kein einziges Mal bewegt. „Hanna, willst du mich vielleicht etwas fragen?“ Stieß Steffen mit einem schweren Seufzten hervor.
„Nein, warum fragst du?“
„Bist du dir sicher?“
„Klar bin ich mir sicher, warum denn?“
„Hör auf damit, wir wissen doch beide was los ist. Was hast du in deiner Vision gesehen?“
Ich stellte mich dumm. „Das habe ich dir doch schon alles erzählt.“
„Nein, ich meine die Vision in der Garage. Du hast gesehen was ich bin, stimmt's?“ Seine Stimme wurde leiser und trauriger. „Was bist du denn?“ fragte ich. „Was denkst du was ich bin? Die Knoblauchpizza, das Kreuz an deinem Hals und das Silbermesser unter dem Kopfkissen.“ stieß er zwischen den Zähnen hervor.
Woher wusste er von dem Messer? Es spielte keine Rolle mehr, er wusste was ich dachte. „Ein V..V..Vampir?“ Als ich das Wort über meine Lippen brachte stieg in mir eine Höllenangst auf. „Habe ich dir nicht gesagt es wäre besser manche Dinge nicht zu wissen?“ Er schaute weg und seufzte. Eine Weile saß ich stumm da. „Hast du jetzt vor mich umzubringen?“ Die Frage erschütterte mich, mein Körper erstarrte, ich konnte nicht mehr atmen. „Dich umbringen? Hanna ich liebe dich, wie könnte ich dir jemals weh tun!“ Die Worte platzen wie ein Wasserfall aus ihm heraus. Das „Ich liebe dich“ blendete ich für den Moment aus, um einigermaßen klar denken zu können. „Und was ist mit anderen Menschen, tötest du sie?“
„Nein ich töte keine Menschen aus Nahrungszwecken, wenn du das meinst.“
„Und nicht um dich zu ernähren, tötest du dann Menschen?“
„Auch nicht, ich töte keine Menschen.“ Die Betonung lag auf Menschen. „Du, du wirst mir also nichts tun?“ hackte ich noch mal nach. „Nein, das würde ich nie. Du hast trotzdem Angst.“ Er fragte nicht, er stellte fest. „Ja habe ich. Ich verstehe gerade gar nichts, auf ein mal ist alles wahr. Was ist mit anderen Mythen, stimmt das jetzt auch alles?“
„Nein, alles weitere sind nur Mythen. Es gibt weder Elfen noch Werwölfe.“
„Das beruhigt mich ein wenig. Das mit Knoblauch stimmt aber.“
„Nein. Ich kann einfach keine feste Nahrung zu mir nehmen, mein Magen ist nicht im Stande es zu verdauen. Weder Kreuz, noch Knoblauch und erst recht Silber können mir etwas anhaben.“ erklärte er ruhig. „Und Sonnenlicht?“ Ich fragte gnadenlos weiter, es ging fast mechanisch. „Direktes Sonnenlicht ja. Ich kann höchstens eine Stunde in der prallen Sonne aushalten, danach würde mein Körper austrocknen. Aber es würde mich nicht töten, man kann Jahrhunderte in diesem Zustand verbringen sobald man wieder was zu trinken hat ist man Fitt wie vorher. Indirektes UV Licht kann mir aber nichts tun, dafür sind die Strahlen zu schwach. Hast du jetzt alle deine Antworten?“ Er klang schon fast etwas genervt. „Nur noch eins, du ernährst dich also von Tierblut ja?“ Diese Frage musste ich einfach stellen. „Nein, Tierblut hat nicht die richtige Zusammensetzung es ist als würde ich Wasser trinken.“
„Und, und woher kriegst du dann menschliches Blut?“ Die Angst stieg wieder in mir hoch.
„Aus Blutbanken, wir brauchen nicht viel um uns gut bei Kräften zu halten deshalb fällt es keinem auf.“
„Ich glaube ich muss das ganze erst verarbeiten. Kann ich etwas Zeit haben?“ Ich fasste mir an den Kopf und spürte den pochenden Schmerz. „Du hast alle Zeit der Welt.“ Ohne mir die Gelegenheit zu geben noch etwas zu sagen verschwand Steffen aus der Wohnung. Ich spürte wie Tränen über meine heißen Wangen runter liefen. Was ging hier nur vor? Mein Kopf drohte zu explodieren. Zu mindestens tötete er keinen. Ich versuchte aus seinen Antworten schlau zu werden, zu verstehen was geschah, doch ich konnte es immer noch nicht glauben. Er hatte gesagt er liebt mich. Bei diesem Gedanken fing ich an richtig zu heulen. Und es hörte nicht auf, ich heulte eine gefühlte Stunde vor mich hin bevor ich verstand. Verstand dass ich ihn liebte und dass er meine Gefühle erwiderte. Ich musste zu ihm, egal wie spät es war ich musste ihn sofort sehen. Ohne meine Tränen ab zu wischen ging ich zu ihm. Ich klopfte nur ein mal und direkt öffnete sich dir Tür vor mir. Steffen hatte immer noch die gleiche Kleidung an wie vorhin und schaute mich besorgt an. Ohne ein Wort zu sagen warf ich mich ihn an die Brust und fing an wieder zu heulen. Er hob mich hoch und trug mich zu ihm ins Schlafzimmer. Ich konnte es nicht sehen, ich spürte nur wie er mich an einem wahrscheinlich noch größerem Bett als meinem absetzte. Wie er mich leicht zudeckte und sich neben mich hinlegte. Ich vergrub mein Gesicht in seine steinerne Brust und drückte ihn so fest an mich wie ich nur konnte. Ich spürte wie seine kalten Lippen mein Haar mit Küssen übersähnten, wie seine starken Hände mein Rücken streichelten und wie sein kühler Atem an meinem Hals streifte. „Ich liebe dich“flüsterte ich in seine Brust. „Ich liebe dich“ erwiderte er. Die Tränen liefen mir weiter die Wangen hinunter und irgendwann fiel ich in den Schlaf.


Kapitel 9

Ich aß ein Buttersandwisch während Steffen mir zuschaute. Am Morgen waren wir zu mir rüber gegangen, denn Steffen hatte natürlich nichts Essbares bei sich. Er beobachtete jeden Biss den ich tat aufmerksam. „Kannst du aufhören mich so an zu starren, ich kann so nicht essen.“ beschwerte ich mich. „Ich versuche mich nur gerade zu erinnern wie das ist zu essen.“ sagte er nachdenklich. „Wann hast du denn das letzte mal gegessen?“ ich fragte vorsichtig und beobachtete seine Reaktion. „Seit 1415.“ antwortete er schlicht. Ich verschluckte mich am Brot um musste husten. „Du bist fast sechshundert Jahre alt?!“ stieß ich keuchend hervor. „Nein ich bin dreiundzwanzig, seit fünfhundert-neunundfünfzig Jahren genau genommen.“ er lächelte. „Ich dachte Vampire sind hundert vielleicht zweihundert Jahre alt, aber sechshundert ist echt viel.“ sagte ich. „Ist dir das jetzt zu alt?“ Er fing an laut zu lachen. „Nein ich dachte nur nicht dass manche Vampire so lang existieren.“ rechtfertigte ich. „Die Mehrheit ist so alt wie ich, es gibt nur wenige die jünger sind.“ erklärte er. „Wie bist du zum Vampir geworden?“ fragte ich behutsam.
„Ich war ein Offizier der Englischen Armee. Wir führten Krieg gegen Frankreich. Heinrich V schickte die Truppen nach Harfleur um die Normandie zu erobern. Die Franzosen hatten vier mal so viele Krieger mehr als wir. Der Oberoffizier kam eines Abends in Oktober zu mir und sagte er hätte ein besonderes Mittel das mich und die Truppe unbesiegbar machen würde. Ich wusste wovon er redete, aber die Entscheidung fiel mir leicht. Der Krieg dauerte schon viel zu lange und ich wollte ihn mit einem Sieg beenden. Wir gewannen die Schlacht von Agincourt. Von uns ging kein einziger zu Boden, die Franzosen verloren über fünftausend Mann.“
Ich erinnerte mich an die Schlacht von Agincaourt aus dem Geschichtsunterricht. „So wurde sie also gewonnen, ich dachte immer die Franzosen wahren schlecht organisiert.“ sagte ich lächelnd. „Das kam noch mit dazu, es war ein Kinderspiel für uns.“ verkündete Steffen stolz. „Was passierte danach? Nach dem ihr die Schlacht gewonnen habt?“ Ich stand auf, spülte kurz mein Glas aus und goss Orangensaft hinein.
„Erst nach der Schlacht wurde ich über die Regeln informiert. Ich konnte nie wieder zu meiner jungen Frau zurück die zu hause auf mich wartete. Die anderen Krieger, die zu Vampiren gemacht wurden tötete der Oberoffizier mit seinen Untertannen. Es waren etwa hundert, am Ende blieb kein einziger übrig. Ich wurde wegen meinen Fähigkeiten am leben gelassen und zu Evgeny gebracht.“
„Was gab es denn für Regeln und wer ist Evgeny?“
„Damals gab es nur eine Regel, nicht zu verraten was man war. Evgeny ist der Kopf des Klaans. Damals war er ein russischer Fürst mit einem sehr großen Einfluss. Alle Vampire stehen unter ihm. Er wusste schon damals dass zu viele Vampire nur Chaos einrichten würden, er ließ Armeen erschaffen und nach den erfolgreichen Schlachten ließ er alle vernichten. Ich verbrachte eine lange Zeit in Russland, danach mussten wir umsiedeln weil es auffiel dass wir nicht älter wurden. Alle zehn Jahre wechselten wir das Land, ich war Evgenys rechte Hand. Wir mochten einander sehr und arbeiteten zusammen. Es ging um Macht, Geld und Tod. Jeder Vampir der die Regeln brach wurde getötet. Als einige versuchten ihre eigene Armee zu erschaffen setzte Evgeny noch ein Regel auf. Niemand durfte ohne seiner oder meiner Zustimmung jemanden verwandeln. Evgeny war immer sehr darauf bedacht unsere Existenz so geheim wie möglich zu halten. Als Blutbanken erschaffen wurden verbat er das töten aus Nahrungszwecken.“
„Bist du jetzt immer noch mit diesem Evgeny befreundet?“ fragte ich neugierig.
„Wir hatten eine Zeit lang nichts von einander gehört, doch jetzt hat er mich her gebeten.“
„Warum hat er das? Er ist also hier in Mannheim?“
„Er ist in Heidelberg. Es gibt einige Komplikationen bei denen er Hilfe braucht, ich kann dir leider nichts mehr dazu sagen.“
Ich wurde stutzig, doch hackte nicht weiter nach. Dir Vorstellung wie viele Jahre Steffen schon lebte und wie viel er in den Jahren gesehen hatte faszinierte mich. Er könnte so viel über Geschichte erzählen, was wirklich passierte und was nur erfunden wurde. Am liebsten wollte ich ihn den ganzen Tag ausfragen, welche Länder er gesehen hatte was für Menschen er kennen lernte. „So nun genug von der Geschichtsstunde. Was möchtest du Heute unternehmen?“ Steffen stand auf und schaute mich fragend an. „Weiß nicht.“ seufzte ich. Es erschien mir abwegig nach allem was passiert ist einfach spazieren zu gehen oder eben etwas zu tun was normale Paare so taten. „Okay, dann weiß ich wo wir hingehen.“ entschlossen lief er zu Tür. „Und wohin?“ fragte ich verwundert. „Das wirst du dann sehen.“
Nach einer viertel Stunde fahrt und einem langen weg zu Fuß kamen wir am Rheinufer an. Es war nicht der Platz wo sich Studenten im Sommer versammelten um zu grillen und Alkohol zu trinken. Es schien als wäre dort vor uns noch kein Mensch gewesen. Die dicht aneinander wachsenden Bäume bildeten einen Schutz um das kleine Stück Wiese dass zur Wasser führte. An der anderen Seite des Ufers war nichts als goldene und rote Kronen der Bäume zu sehen. An dieser Stelle war der Fluss nicht sehr breit. Steffen zog seinen Mantel aus und legte ihn auf das vom Laub bedeckte Gras. „Setz dich.“ forderte er mich mit sanfter Stimme auf. Ich ließ mich nieder und lauschte dem Geräusch des Wassers. Es war unheimlich beruhigend. Steffen der neben mir Platz nahm legte sein Arm um mich und küsste zart mein Haar. „Gefällt es dir?“ fragte er. „Es ist wunderschön.“ Ich schaute ihm in die Augen und verlor mich in dem tiefen Schwarz. Eine Strähne meines Haare verfing sich von Wind verweht in meinen Wimpern. Vorsichtig streifte Steffen sie mir hinter das Ohr. Seine Hand blieb an meinem Hals liegen und fuhr langsam auf und ab, dann näherte er sich zu mir. Ich bemerkte wie er meine Lippen anschaute und mich behutsam am Nacken zu sich zog. Ich schloss meine Augen. „Darf ich dich Küssen?“ fragte er fast flüsternd. Ich nickte. Seine kalten Lippen zogen spielerisch an meinen, vereinten sich mit ihnen in ein Spiel der Leidenschaft und Liebe. Bald lösten sie sich wieder voneinander und ich bemerkte wie Steffen mich anlächelte. Er presste mich an seine Brust und küsste wieder mein Haar. „Warum hast du erst gefragt?“ wollte ich wissen. „Es ist üblich so, man muss eine Lady erst um Erlaubnis bitten bevor man sie küsst.“ erklärte er. „Du bist altmodisch. Das wirst du jetzt aber nicht jedes mal machen oder?“ gluckste ich. „Das kann gut möglich sein, ich bin ja auch alt. Aber nein eine Antwort genügt mir, außer du würdest es mir verweigern dann würde ich wieder fragen.“
Ich musste Lachen. „Warum sollte ich dir das verweigern?“
„Vielleicht findest du einen jüngeren.“
„Ich glaube mich stört es nicht dass du so alt bist. Ich finde es sogar interessant über dich mehr über die Geschichte zu erfahren.“ Ich kicherte.
„Also brauchst du mich jetzt für Geschichtsstunden, war ja klar.“ Er lachte und ich lachte mit. Wir sprachen über alles mögliche und genossen dabei die frische Luft und den milden Wind dort. Allmählich wurde es kühler, doch mir war nicht kalt. Meine Haut war immer noch sehr warm, sie glühte nicht mehr so aber war auch nicht auf die Normaltemperatur gesunken. „Woher weißt du eigentlich wirklich so viel über meine Gabe?“ fragte ich nach dem wir eine weile wortlos da saßen. „Hexen, so nennen wir Frauen mit diesen Gaben machen öfter Jagt auf uns, weil sie uns für Seelenlose Bestien halten.“ sagte er sichtlich bedrückt. „Und ihr macht Jagt auf sie?“ In meinem Hals bildete sich ein Kloß.
„Nein, so lange sie uns nichts tun, tun wir ihnen auch nichts.“
„Verstehe. Warum kam meine Gabe gerade jetzt? Warum nicht schon früher?“
„Es könnte an mir liegen. Deine Fähigkeiten waren die ganze Zeit über da, sie haben sich nur jetzt von allein bemerkbar gemacht. Es ist eine Art Selbstschutz.“
„Selbstschutz? Du meinst als Schutz vor dir?“ ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Ja. Vampire und Hexen kommen normalerweise nicht so gut miteinander aus.“ antwortete er seufzend. „Deine Vision hatte dich vor mir gewarnt.“
„In meiner Vision sah ich dich aber nicht richtig. Ich sah den Mann aus der Garage, ihn hatte ich auch in meiner anderen Vision vor dem „Panta“ gesehen. Du standest mit dem Rücken zu mir, ihr hattet euch wegen irgendwas geschritten. Ich konnte nicht hören was es war aber er wurde wütend und sein Gesicht veränderte sich.“ erklärte ich. „Lui“ murmelte er abwesend.
„Wer ist das?“
„Ein Mitglied des Klaans. Hast du sonst noch irgendwas gesehen?“
„Nein, nur dass es bei dir im Wohnzimmer passierte. Gehören nicht alle Vampire zu dem Klaan?“
„Jeder muss die Regeln des Klaans befolgen, aber nicht jeder gehört dazu. Es ist eine Art Regierung. Jeder ist betroffen aber nicht jeder wird zum Politiker.“
„Was denkst du warum er so wütend wurde?“
„Ich weiß es nicht, aber das werde ich ja bald herausfinden.“ ein Hauch Hass schwang in seinen Worten mit. Ich wollte nicht weiter nachfragen, vielleicht weil ich wusste dass ich keine Antwort bekommen würde.
Wir verbrachten den ganzen Abend am Rhein und als ich zu hause war spürte ich die Wirkung der frischen Luft, die mich schläfrig machte. Steffen blieb bei mir und legte sich mit auf das Bett. „Wirst du eigentlich Müde, wenn du den ganzen Tag wach bist?“ murmelte ich halb im Schlaf. „Ich schlafe nicht.“ antwortete er. „So wie die Vampire in Twilight?“ Ich erinnerte mich an den Film den ich mit Lisa und Niko geschaut hatte. „Der Film? Ja, nur hast du recht glitzernde Vampire gibt es nicht.“ gluckerte er. „Wie meinst du das, ich hab recht?“ Ich schaute verwirrt zu ihm auf.
„Ihr habt euch doch im Kaffee darüber unterhalten, weißt du noch nach dem Film.“
„Du hast uns gehört?“
„Meine Sinne sind wesentlich schärfer als bei Menschen Hanna.“ antwortete er als währe es etwas das man wissen musste. „Ich denke nicht dass du ein Monster bist.“ sagte ich als mir einfiel was ich noch an dem Abend von mir gab. „Das sagtest du aber.“ seufzte er. „Damals wusste ich aber auch nicht dass es Vampire wirklich gibt, es gibt so viele Geschichten und keine stimmt mit der Wahrheit vollkommen überein.“
„Da hast du recht. Die Menschen lassen sich viel einfallen. Aber es zeigt nur ihre Selbstsicherheit, sie glauben nicht dass es uns gibt also denken sie sich alles mögliche aus. Es spielt nur zu unserem Vorteil.“ Die letzten Worte hörte ich nur in meinem Kopf wieder hallen. Die Müdigkeit hatte die Oberhand gewonnen und zog mich in den Schlaf.


Kapitel 10

Am nächsten Morgen weckte mich der Geruch vom frischen Kaffee und Pfannkuchen. Mit halb geöffneten Augen folgte ich dem Duft in die Küche. Steffen stand in einem Hemd und einer Anzughose am Herd. „Was machst du da?“ murmelte ich verschlafen und rieb mir an den Augen. „Frühstück. Ich dachte ich wende meine Kochkünste mal an.“, er lächelte und stellte ein prall gefüllten Teller mit dünnen Pfannkuchen auf den Tisch ab. „Es ist ein französisches Rezept.“ verkündete er Stolz.
„Das ist aber so viel, das kann ich doch nicht alles essen!“
„Tut mir Leid, ich wusste nicht genau wie viel du möchtest und dachte ich mache ein paar mehr.“
„Danke.“ ich musste schmunzeln. Steffen sah so gut aus in dem Anzug. „Ich komme noch rechtzeitig zur Uni, ich muss mich dort mal wieder blicken lassen.“ erklärte ich beim Essen. „Ja das weiß ich. Ich werde den Tag heute leider auch nicht mit dir verbringen können, Evgeny erwartet mich.“ Ich konnte spüren wie ihm etwas Unbehagen bereitete. Ich wollte nicht fragen was, er würde es nicht sagen. „Na gut, dann gehe ich heute mit Lisa und Niko was trinken.“ verkündete ich nicht sehr begeistert. Ich wollte meine Freunde sehen, ich hatte sie vermisst, aber einen ganzen Tag lang von Steffen getrennt zu erschien mir sehr schmerzvoll. Als wüsste er was ich gerade dachte kam er zu mir und küsste mich auf die Stirn. „Wenn du es mir gestattest würde ich aber trotzdem gern in der Nacht kommen, um das Bett mit dir zu teilen.“, er lächelte. „Natürlich.“, sagte ich schlicht.
In den ersten zwei Vorlesungen hatten wir eine strenge Dozentin. Sie erfüllte das Klischee der bösen Lehrerin mit einem Dutt und strengem Anzug. Das wegen konnte ich mich weder mit Lisa, noch mit Niko unterhalten. Die nächste Vorlesung in Spanisch sollte erst in einer Stunde statt finden also gingen wir in unser Stammcafé. „Komm her du armes, krankes Kind und lass dich drücken!“, begrüßte mich Niko lachend und hob mich mit seiner ehr schlackigen Statur in die Luft. „Vielleicht kann ich mich noch schnell anstecken und eine Woche krank machen.“, sagte er hoffnungsvoll. „Das kannst du vergessen ich bin schon wieder gesund.“, gluckste ich und löste mich aus seinen Fängen. „So ein Mist!“, brummte er. „Also hat sich Steffen gut um dich gekümmert!“, stellte Lisa fest. „Wer ist den Steffen?“, hackte Niko nach. „Na ihr neuer Nachbar, da läuft jetzt was.“, den Endteil des Satzes sang meine Freundin hoch. „Moment mal! Wie heißt denn die Krankheit an der du erkrankt warst? Doch nicht etwa LIEBE!“, er gestikulierte theatralisch mit seinen Armen. „Nein mir ging es wirklich nicht gut.“, beteuerte ich. „Das wissen wir ja, dass kann ich auch bestätigen. Aber jetzt erzähl lieber was zwischen dir und Steffen ist!“ Lisa platze vor Ungeduld. „Ich denke wir sind jetzt zusammen.“ murmelte ich beschämt. „Oh das freut mich für dich süße!“ Ich hatte Angst dass Lisa gleich die Freudentränen kommen würden und sie vor Glück anfing zu schreien. „Ja das ist schön. Aber sag mal wie war denn das Essen mit Peter?“ Ich versuchte sie mit ihren eigenen Waffen ab zu lenken. Hauptsache es ging nicht mehr um mich. „Oh der ist total süß. Er hat mich gleich am Anfang eine Rose geschenkt, und dann sind wir in ein feines, französisches Restaurant...“ Lisas Worte verschwammen zu einem eintönigem Bla, bla, bla. Ich nickte ab und zu freundlich um zu zeigen dass ich mich für sie freute, und schaltete zwischendurch ab. Meine Freundin konnte Stundenlang über etwas berichten, die Fähigkeiten sie einerseits auszublenden und anderseits alles mit zu bekommen was wichtig war, eignete ich mir in den Jahren ein. Es war schön einfach neben meinen Freunden zu sitzen. Jedoch bemerkte ich trotzdem die ständige Last meiner Geheimnisse, ich konnte nicht mehr ganz ich selbst sein, denn ein Teil von mir war etwas, was die beiden nicht kannten.
Nach der Spanisch Vorlesung schlug ich vor den Kinotag auf Heute zu verlegen, wegen der versäumten letzten Woche in der ich meine Eltern besuchte. Meine Freunde stimmten mit ein. So trafen wir uns wie meistens am Eingang des Einkaufscenter. „Hanna, du hast heute eine schwere Entscheidung zu fällen. Bitte vergiss aber nicht dass ich immer dein bester Freund war und zu dir stehe! Also bitte wähle ein Action oder Horrorfilm.“, Niko nahm spielerisch meine Hände in seine und presste sie an sein Herz. Er versuchte mich mit einem Hundeblick zu besänftigen, der allerdings mehr nach einem Geisteskranken aussah. Lisa wandte sich direkt an Niko: „Du glaubst doch nicht wirklich dass sie so Etwas abartiges wie dieses Saw auswählen wird!“ fuhr sie ihn an. „Aber bestimmt wählt sie auch nicht so ein Schnulzen Film aus wie du!“, blaffte Niko zurück. Während die beiden sich streiteten wählte ich schon mal den Film aus. Ich entschied mich für eine animierte Komödie in der es um den Kampf zwischen Katzen und Hunden ging. „Ist das nicht eigentlich ein Kinderfilm?“, fragte Lisa vorwurfsvoll. Ich zuckte die Schultern. Eigentlich war es mir egal was wir schauten, ich würde eh nur die Hälfte mitbekommen. Seit dem ich Steffen traf und sich alles in meinem Leben veränderte war ich nie richtig anwesend. Wie ein schwerer Stein lag es auf meiner Brust. Das schlimmste war, dass ich immer noch nicht alles wusste. Allmählich glaubte ich meine Fähigkeiten waren festgelegt, aber ich konnte nicht ganz sicher sein dass nicht noch weiteres dazu käme. Mir reichte es vollkommen. Ich wollte nicht ein mal meine jetzigen Fähigkeiten besitzen. In die Zukunft zu sehen gefiel mir nicht, denn bis jetzt sah ich nur Negatives. Dinge herum schweben zu lassen war zwar ganz witzig, aber auch gefährlich. Ich musste ständig aufpassen dass es nicht in der Öffentlichkeit passiert. Nach dem was mir Steffen mir über das Verhältnis zwischen Hexen und Vampiren erzählt hatte, wollte ich mich nicht unbedingt bemerkbar machen. Wie es schien gab es ziemlich viele Vampire und ich konnte es nicht sehen wenn einer in der Nähe war. Mein Leben ist viel Gefährlicher geworden, aber das könnte ich niemals bereuen, denn dadurch habe ich Steffen kennen gelernt. Dachte ich bedrückt. Es war einfach so viel auf ein mal, das was mit mir passierte, die Existenz von Vampiren und meine Liebe zu Steffen. Ich fühlte mir erschöpft. Verträumt stellte ich mir vor wie es wäre wenn ich und Steffen ganz normal wären. Gewöhnliche Jugendliche die einfach das Leben genossen. So war es aber nun mal nicht. Ich seufzte und bemerkte dass der Film zu Ende war. Wie üblich gingen wir danach was Essen. „Ich glaube dieser Steffen tut ihr nicht gut, sie war die ganze Zeit abwesend.“ Bemerkte ich Nikos Worte im Hintergrund meiner Gedanken. „Ich denke sie ist einfach nur verliebt, lass sie doch.“, verteidigte mich Lisa. „Was ist denn mit euch allen los, wirst du bald auch so drauf sein? Wenn ja muss ich mir andere Freunde suchen!“, brummte Niko. „Warum suchst du dir nicht einfach eine Freundin?“, fragte Lisa im milden Ton. „Vielleicht will ich gar keine!“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Ihr wisst schon dass ich eben das Ganze mitgehört habe.“ Ich versuchte von Thema abzulenken um ein weiteren Streit zwischen beiden zu verhindern. Meine Freunde machten unschuldige Gesichter und schauten beide zur Seite. „Schon okay. Ich glaube mir geht es einfach noch nicht wieder gut, ich sollte jetzt auch lieber nach Hause.“ ich lächelte um zu zeigen dass ich nicht sauer war. Allmählich glaubte ich dass die beiden sich mochten, und zwar nicht wie zwei Freunde sich mögen sollten. Ich wollte es aber beide selbst herausfinden lassen.
Als ich nach hause kam wartete Steffen schon vor der Tür auf mich. Er sah nachdenklich aus, erst bemerkte er gar nicht dass ich vor ihm stand. „Hi, du wartest schon?“, ich stellte mich auf die Zehnspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Ja, aber ich bin selber erst vor kurzem gekommen.“ Etwas bedrückte ihn das konnte ich sehen. „Ist alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt. „Ja es geht schon.“, seufzte er. Es war schon spät also putze ich mir die Zähne, nahm eine warme Dusche und schlüpfte in eine Pyjama. Steffen lag schon unter der Decke, ich krabbelte zu ihm drunter und legte meine Wange auf seine kalte Brust. Es war kein Herzschlag zu hören, auch seine Lungen bewegten sich nicht. Es jagte mir ein bisschen Angst ein, wenn er nicht redete hatte und mich nicht streichelte hatte ich das Gefühl ich würde auf einer Leiche liegen. Zu minderst kam es mir manchmal so vor. „Erzähl mir etwas.“, bat ich flüsternd. „Würdest du gern irgendwohin reisen?“, fragte er stattdessen. „Ja, ich will gern nach Spanien. Madrid soll eine sehr schöne Stadt sein.“, antwortete ich verträumt. Ich rief mir die Fotografien von der Stadt ins Gedächtnis. „Madrid ist wirklich schön. Wenn du von der Plaza de Toros nach rechts läufst siehst du eine enge Gasse. Wenn man immer geradeaus läuft kommt man an einem kleinen Park an, dort gibt es ein altes Pavillon...“ Steffens stimmte verblasste und ich sah Madrid. Sah die kleine Gasse und am Ende den Park. Ich fühlte nicht wie ich einschlief.
Als ich aufwachte war Steffen nicht da. Auf meinem Nachtschrank lag ein Stück Papier auf dem in einer schönen Schrift „Ich musste weg, entschuldige. Wir sehen uns heute Abend. Ich liebe dich.“ geschrieben stand. Ich lies Frühstuck ausfallen und beeilte mich zu Uni. Ich erfuhr dass wie vor den Herbstferien keine Klausuren mehr haben würden, was mich beruhigte denn Zeit zum lernen hatte ich wirklich nicht. Oder besser gesagt ich hatte kein Kopf dafür. Lisa und Niko hatten mir ein Platz zwischen einander frei gehalten. Sie redeten nicht. Daraus schloss ich dass beide sich gestern Abend doch zerstritten hatten. In der Pause ging Niko weg und ich blieb allein mit Lisa im Saal wo die nächste Vorlesung statt finden würde. „Was ist eigentlich los mit dir und Niko?“, fragte ich vorsichtig. „Er spinnt. Ich verstehe das nicht, endlich habe ich jemanden gefunden der mir gefällt und er kann sich nicht mal für mich freuen. Gut, für dich freut er sich auch nicht besonders, aber das liegt daran dass du dich wirklich komisch benimmst seit dem dieser Steffen da ist. Aber ich mache gar nichts, ich bin immer noch so wie früher und mich greift er richtig an!“ Die Worte meiner Freundin klangen vorwurfsvoll. „Hatte ich mich wirklich so sehr verändert? Oder besser formuliert, konnte ich meine Veränderung so schlecht verbergen? Ich versuchte nicht auf das was Lisa über mich gesagt hatte einzugehen. „Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass Niko dich vielleicht mag?“, wollte ich wissen. „Wir sind Freunde natürlich sollten wir einander mögen.“, erwiderte sie schnippisch. „Ich meine ob Niko dich anders mag, nicht wie eine Freundin.“, erklärte ich. „Denkst du das wirklich?“ Sie schaute mich mit großen Augen an. „Ja ich glaube schon, es stört ihn offensichtlich dass du mit Peter ausgehst.“, beteuerte ich. „Aber warum sagt er es mir dann einfach nicht?“, verärgert schüttelte meine Freundin den Kopf. „Vielleicht hat er das vorher selbst nicht gewusst und jetzt wo du ein Freund hast kann er es dir nicht sagen.“, spekulierte ich. „Und was soll ich jetzt machen?“ Lisa schaute mich verzweifelt an. „Kommt drauf an was du zu Niko empfindest.“, sagte ich. „Ich hab doch Peter.“ - sie schüttelte den Kopf - „Ich hab keine Ahnung.“, seufzte sie. Auch wenn ich Peter für einen netten Kerl hielt wusste ich dass Lisa und Niko wie für einander geschaffen waren. Ich wunderte mich dass mir das nicht schon früher aufgefallen war. „Ich denke ihr würdet gut zueinander passen.“, redete ich auf sie ein. „Wirklich?“ Ein begeistertes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ja und wenn du denkst dass du ihn auch magst solltest du ihm das sagen.“, schlug ich vor. „Gut, dann sage ich ihm das jetzt. Weißt du wo er hin ist?“ Entschlossen stand Lisa auf, fast schon breit los zu rennen. „Ich würde an deiner Stelle bis nach der Uni warten und mit ihm allein reden.“, riet ich ihr. „Du hast recht. Aber wie soll ich ihn dazu bekommen dass er mit mir irgendwohin geht, er redet nicht mal mit mir.“ Aus ihrer Stimme war reine Verzweiflung heraus zu hören. „Das mache ich schon.“, antwortete ich lächelnd. „Danke!“ Sie warf sich mir an den Hals und drückte mich fest. Ich freute mich für die beiden und war mir sicher dass es gut ausgehen würde. Als Niko in den Saal rein kam fing ich ihn ab und zerrte ihn nach draußen. „Was ist denn los?“, fragte er verwundert. „Lisa will mit dir nach der Vorlesung sprechen.“, sagte ich. „Ich rede nicht mit der Kuh!“, widersprach er energisch. „Bitte Niko, glaub mir dass ist sehr wichtig.“ Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und schaute ihn bittend an. „Wenn das so wichtig ist warum sagt sie es dann nicht jetzt?“, brummte er. „Weil es nicht geht, vertrau mir bitte.“, antwortete ich sanft. „Na gut, von mir aus.“ Seufzte er. „Als ich wieder an mein Platz kam zwinkerte ich Lisa zu. Sie lächelte dankend.


Kapitel 11

Ich beeilte mich nach hause weil ich nicht wusste wann Steffen wieder kommen würde. Es gefiel mir nicht dass er so oft weg musste. Noch mehr gefiel mir nicht der Gedanke dass er beim Fürst der Vampire war und ich nicht wusste was er dort trieb. Es war komisch dass Steffen nicht darüber sprach. Es musste einen triftigen Grund geben warum er mir nichts sagte. Seufzend ließ ich meinen Kopf in das Kissen sinken und lauschte dem Geräusch des Regens zu. Es regnete schon seit frühen Morgen ununterbrochen. Ich schloss meine Augen und schlummerte ein wenig. Als ich wieder wach war wurde es dunkel. Der Regen hatte sich verstärkt, ich hörte das Heulen des Windes draußen. Mein Magen knurrte und mir fiel ein dass ich heute noch gar nichts gegessen hatte. Ich schob eine Tiefkühlpizza ins Backofen und schaltete den Fernseher ein. Es lief irgendeine Serie über Ärzte. Ich schaute eigentlich nie richtig Fernseher, er war nur da um die Ruhe zu brechen wenn ich allein war und Ablenkung brauchte. Mir wurde plötzlich sehr warm ich ging zu Fenster und öffnete es. Als ich gerade ein tiefen Atemzug der frischen Regenluft ein sog wurde alles Schwarz vor meinen Augen. Ich hatte wieder eine Vision. Als ich wieder zu mir kam roch ich den leckeren Geruch der Pizza. Ich öffnete die Augen und sah Steffen vor mir. Er hielt mich in seinem Arm. „Geht es dir gut?“, fragte er und strich sanft eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Ich nickte benommen. „Was hast du gesehen?“, fragte er besorgt. Ich lächelte. „Niko und Lisa. Die beiden sind jetzt zusammen. Ich hab gesehen, wie die beiden sich küssten.“, erzählte ich glücklich. Es war schön etwas gutes zu sehen. Etwas über das ich mich freuen konnte. Steffen atmete erleichtert auf. „Das ist schön.“, bestätigte er. „Die Pizza ist fertig, du solltest was essen.“ Er brachte die schon geschnittene Pizza zu mir aufs Bett. „Wie bist du überhaupt rein gekommen?“ fragte ich verwirrt. „Durchs Fenster ich hatte geklopft aber du hast nicht aufgemacht, ich hörte den Fernseher und hatte ich mir Sorgen gemacht.“, erklärte er. „Du bist spät, ist alles in Ordnung? Ich meine dort beim Evgeny?“, fragte ich gelinde. „Ja es hat nur etwas länger gedauert.“, murmelte er. Mein schwacher Versuch etwas über die Sache mit Evgeny herauszufinden war wieder gescheitert.
Es war schon ende Oktober. Die Zeit mit Steffen veging wie im Flug. Wir unternahmen viel, einige Male waren wir sogar mit Niko und Lisa im Kino. Niko mochte ihn zwar nicht besonders, freute sich aber trotzdem für mich. Meine Freunde waren viel lockerer, wahrscheinlich lag es an ihrer Beziehung. Sie waren glücklich verliebt und verbrachten jede freie Sekunde miteinander. Wenn Steffen nicht da war, ging ich mit ihnen weg. Meine Fähigkeiten hatte ich soweit unter Kontrolle bekommen und konnte seit dem auch meine Eltern wieder besuchen. Ich erzählte ihnen zwar immer noch nichts von der Gabe, aber von Steffen. Mein Vater hatte grimmig geschaut, aber meine Mutter war glücklich. Sie wollten ihn demnächst kennen lernen. Zuerst stand aber noch die Geburtstagsparty von Lisa auf dem Plan, zu der ich und Steffen eingeladen waren. Da Steffen mal wieder weg war, entschied ich mich in die Stadt zu fahren um ihr ein Geschenk zu kaufen. Der erste Schnee lag dünn auf der Straße und verbreitete den typischen Wintergeruch. Es war ziemlich kalt und ich beeilte mich in das beheizte Einkaufscenter zu kommen. Ich hatte noch keine genauere Vorstellung davon was ich Lisa schenken sollte. Sie hatte fast alles was ein Mädchen sich wünschte. Ich kam an einem Schmuckgeschäft vorbei und ging unwillkürlich hinein. Die Verkäuferin an der Theke, eine Dame mittleren Alters mit ziemlich vielen Ketten und den Hals, begrüßte mich freundlich. Ich schaute mich verstohlen um. An einer Theke bemerkte ich viele kleine Anhänger. „Die sind für einen Armreif, so können sie einen ganz persönlichen Schmuck zusammen stellen.“, erklärte die Verkäuferin machte sich aber nicht die Mühe von der anderen Seite des kleinen Ladens zu mir zu kommen. Sie sahen gar nicht mal so schlecht aus und das Wort „persönlich“ klang gut für ein Geschenk. Ich suchte einige aus: ein Herz, ein Buch, einen Zugwagon, eine Muschel und ein paar Schuhe. Die kleinen Anhänger waren alle aus Silber. Ich fand das Geschenk ziemlich treffend, weil jedes der kleinen Zeichen Lisa und unsere Freundschaft beschrieb.
Am Freitag holte Steffen mich ab und wir fuhren in seinem Auto zu Lisa. Er hatte mir sein Geschenk für sie nicht gezeigt. Als wir ankamen war es im Haus, wo sie mit ihren Eltern lebte, die allerdings nicht da waren um ihre Tochter feiern zu lassen, schon voll. Ich hasste große Menschenansammlungen. Als meine Freundin uns bemerkte kam sie direkt zu uns. „Alles gute zum Geburtstag.“, begrüßte ich sie und überreichte ihr die kleine, in blau verpackte Schachtel. „Danke süße!“ Sie drückte mich kurz. „Alles Gute.“, sagte Steffen gelassen und überreichte ihr ein Kuvert. „Danke.“ Sie schaute mich fragend an, dann ging sie zur Couch und setzte sich hin. Ungeduldig zerrte sie an der Verpackung meines Geschenks. Als sie das dunkelblaue Kästchen aus Samt sah machte sie ein überraschtes „Oh!“. „Das ist ja schön. Oh, ein kleiner Zugwagon, weil wir uns im Zug kennen gelernt hatten? Und eine Muschel weil ich das Meer liebe? Du bist so süß, danke!“ Sie drückte mich noch mal und beschäftigte sich eine Zeit lang mit den Anhängern. Niko kam dazu und setzte sich neben seine Freundin. Sie bat ihn gleich den Armreif um ihr Gelenk zu zumachen. Dann nahm sie das Kuvert von Steffen und machte es vorsichtig auf. Ich schaute eben so gespannt wie sie. „Oh mein Gott! Steffen das ist doch nicht dein Ernst! Das kann ich doch nicht annehmen.“, schrie sie überrascht. „Doch natürlich, keine Widerrede.“, bestand Steffen. „Na gut, danke dir das ist wirklich toll.“, murmelte sie und drückte meinen Freund kurz. „Was ist das denn?“, fragte ich Steffen neugierig. „Eine Wochenendreise nach Südfrankreich zum Meer.“, antwortete er gelassen. „Was du schenkst ihr eine Reise?“ Ich starrte ihn erstaunt an. „Ja ich dachte da Lisa Meer so liebt, könnte sie mit Niko mal hinfahren.“, erklärte er ruhig. „Du bist verrückt.“, gluckste ich kopfschüttelnd. Niko machte ein überraschtes Gesicht. „Danke man.“, sagte er etwas verlegen zu meinem Freund. „Wir fahren nach Frankreich!“, sagte Lisa mit einem französischen Akzent, umarmte ihren Freund und küsste ihn. Sie wühlte Nikos blonde Locken auf und zerrte ihn mit um die nächsten Gäste zu begrüßen. Die Party war im vollen Gange, Lisa kümmerte sich die ganze Zeit um die Gäste. Ich schlürfte gelangweilt an meiner Bohle. „Komm mit.“, sagte Steffen plötzlich und zerrte mich nach oben. Wir gingen auf die Terrasse. Es schneite, die ganze Landschaft war nun von einer dicken, weißen Schicht bedeckt die im Licht der Laternen glitzerte. Ich atmete die kalte Luft ein. „Ich hab etwas für dich.“ Steffen drehte mich zu ihm und überreichte mir einen identischen Umschlag, wie den von Lisa. „Was ist das?“, fragte ich verwundert. „Mach es auf.“, forderte er mich auf. „Ein Ticket nach Madrid?“, sagte ich ungläubig als ich das Kuvert geöffnete hatte. „Du hast bald Herbstferien und du wolltest Madrid immer sehen.“, er zuckte die Schultern. Ich küsste ihn sanft. „Danke! Das wird toll, dann kannst du mir eine persönliche Stadtführung geben!“, rief ich erfreut. Steffen fasste mich behutsam an den Schultern und drückte mich weg von sich. Sein Gesicht verriet mir das irgendwas nicht stimmte. Ich schaute ihn fragend an. „Du wirst allein fliegen müssen Liebes, ich werde nicht mitkommen.“, seufzte er. „Warum nicht?“ Mir erschien die Idee absolut sinnlos, warum sollte er mir ein Ticket schenken wenn er doch gar nicht mit wollte? „Ich habe hier sehr viel zu tun.“, antwortete er streng. „Aber warum schenkst du mir dann das Ticket? Ich will nicht ohne dich fliegen!“ Auch wenn sein Geschenk an mich sehr großzügig war, konnte ich meine Wut nicht verstecken. „Ich werde nicht da sein und Lisa wird auch weg sein mit Niko, ich dachte dann wärst du nicht allein.“, er schlug einen sanfteren Ton ein um mich zu beruhigen. „Ich bin manchmal gern allein, außerdem kann ich auch meine Eltern besuchen.“, widersprach ich. „Ich wollte nur dass du auch was schönes erlebst, ich dachte es würde dir gefallen.“ Mein freund zuckte die Achseln und seufzte tief. Ich ging hinein weil mir allmählich kalt wurde und setzte mich auf ein Sofa, Steffen folgte mir. „Es tut mir Leid, ich freue mich wirklich über dein Geschenk.“ Ich nahm seine Hand und schaute ihn an. Steffen gab mir ein Kuss auf die Stirn. „Schon okay.“


Ich fühlte mich immer noch schlecht wegen meinem Benehmen. Ich hatte schon lang aufgehört Steffen zu fragen was er zu tun hatte. Er würde nur ausweichen und sagen dass ich es nicht wissen durfte. Um ehrlich zu sein fragte ich mich das nicht mal mehr selbst, es war als hätte er einfach einen Job zu dem er eben hin musste. Die Reise hatte mich aber wieder stutzig gemacht. Warum hatte er nicht gewartet und die Reise aufgehoben bis er auch Zeit hatte? Schließlich besuchte ich auch meine Eltern an dem Wochenende wo er zu tun hatte und das hatte ihm nichts ausgemacht. Ich hatte ein komisches Gefühl bei der Sache und in Bezug auf Steffen hatte mich mein Gefühl bis jetzt nicht getäuscht. Ich wollte zwar auf der Hut bleiben, aber das Ticket war schon für den zweiten November reserviert. Ich hatte also weniger als eine Woche Zeit. Bei dem Gedanken wurde mir klar dass ich weder ein Plan, noch genug Zeit besaß um dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Ob es mir nun passte oder nicht, ich würde nach Madrid fliegen. „Ich sollte anfangen mich darüber zu freuen und weniger versuchen Steffens Geschenk zu hinterfragen.“ Sagte ich mir.
Die kommenden Tage ließen mein Vorhaben jedoch scheitern. Es war schon Sonntag und bis dahin kam Steffen immer spät zurück. Manchmal schlief ich schon und wachte auf als ich seinen kalten Körper neben mir spürte. Er sah schlechter aus, war nachdenklicher. Ich versuchte daraus schlau zu werden, doch er tat als währe alles ganz Normal. Es bedrückte mich, ich fühlte mich vernachlässigt. Nach der Uni blieb ich zu hause und wartete auf ihn. Wenn ich ehrlich zu mir war, hatte ich überhaupt nicht die Stimmung für eine Reise. Doch mir blieb nichts anderes übrig, ich hatte kein Grund sie abzusagen. Am Montag Abend packte ich meine Sachen, ich hatte nur eine kleine Tasche. Schließlich würde ich nur eine Nacht dort bleiben. Auch Niko und Lisa fuhren am Dienstag los nach Frankreich. Als ich mich gerade ins Bett gelegt hatte hörte ich wie Steffen rein kam. Ich hatte ihm ein Schlüssel gegeben damit er in der Nacht kommen konnte, falls ich schon schlief. Er war unglaublich leise, ich bemerkte seine Anwesenheit erst wieder als ich fühlte wie er die Decke hoch hielt und sich drunter legte. Ich drehte mich zu ihm und schaute in seine tiefschwarzen Augen. „Du hast schon gepackt.“, stellte er fest. „Ja der Flug geht ganz früh morgen.“, antwortete ich fast flüsternd. „Ich werde dich zum Flughafen fahren, allerdings muss ich dann direkt los. Morgen wird es sonnig und ich werde mich beeilen müssen.“, erklärte er.
„Du musst mich nicht hin bringen ich kann auch mit dem Zug fahren.“
„Nein, das musst du nicht. Der Morgen wird noch neblig und trüb sein. Und jetzt schlaf du hast Morgen einen langen Tag vor dir.“ Er küsste mich zärtlich und presste mich an seine Brust. Ich wollte am liebsten aufstehen und los schreien, ihm erklären dass ich nicht nach Madrid wollte, nicht ohne ihn. Stattdessen schloss ich aber meine Augen und schlief.
Der nächste Morgen war tatsächlich trüb und sehr neblig, man konnte auf die Entfernung von fünfzig Metern kaum was erkennen. Der Schnee war wieder getaut und es lag nur eine dünne Schicht Morgentau auf dem Gras. Der Flug ging vom Frankfurter Flughafen ab, bis dahin war es etwas mehr als eine Stunde. Steffen fuhr mir seinem Wagen, was sehr angenehm war denn die Sitzheizung war eine praktische Sache wenn man im frühen Morgen raus ging. Es lief gerade ein Song von „Muse“ im Radio. Mein Lieblingslied „Undisclosed Desires“. Ich machte den Ton etwas lauter, lehnte mein Kopf auf die kalte Glasscheibe und schaute hinaus auf die Felder an denen wir vorbei fuhren. Während der Fahrt wechselte ich kein Wort mit Steffen. Ich wusste nicht ob er bemerkte dass ich nicht sehr gut drauf war, oder ob er selber abwesend war. Er begleitete mich nur hinein und blieb dann stehen. „Ich muss jetzt los Liebes. Bald zeigt sich die Sonne. Pass bitte gut auf dich auf, ruf mich an so bald du gelandet bist.“, sagte er betont freundlich. „Mache ich. Pass du auch auf dich auf.“, erwiderte ich sanft. Seine Lippen umspielte eine verächtliches Lächeln. „Ich brauch nicht auf mich auf zu passen, schon vergessen ich bin ein Vampir?“, gluckste er. Ich wollte was sagen doch er nahm mich in den Arm und küsste mich. Dieser Kuss war anders als die üblichen, er war leidenschaftlicher, fester, endgültiger. Ich versuchte die Situation hinauszuzögern mit einer langen Umarmung, doch am Ende scheiterte ich. Ich sah Steffen nach bis er sich in der Menge verlor.


Kapitel 12

Noch eine Stunde bis zum Flug. Ich musste mich hinsetzen, plötzlich ging es mir gar nicht mehr gut. Mein Kopf schmerzte wieder stark und allmählich wurde mir schwindlig. Ich suchte die abgelegenste Bank hinter einem Zeitschriften Kiosk, ich wollte mit meiner Verfassung nicht gerade Aufsehen erregen. Ich trank ein Schluck Cola aus der Flasche die mir Steffen eingepackt hatte. Trotz dass er mich gezwungen hatte zu frühstücken fühlte ich mich unheimlich schlapp. Ich lehnte mein Kopf an die Metallstange von der Bank und versuchte tief ein und aus zu Atmen. Als ich bemerkte dass es alles Anzeichen einer bevorstehenden Vision waren, sah ich schon etwas. Ein Mann in einem dunklen Anzug stand vor Steffen, es war in der Tiefgarage am Marktplatz. „Du kannst die Sonnenfinsternis nicht aufhalten.“, sagte der Mann in einem strengen Ton zu meinem Freund. „Aber ich kann dich aufhalten.“, erwiderte Steffen düster. Ich sah wie sich sein Gesicht veränderte, genau wie aus meiner anderen Vision bei dem Mann. Die schwarz ausgegossenen Augen, die violetten Venen darunter und zwei lange Eckzähne. Er wollte gerade auf den Mann los rennen als ihn etwas aufhielt. Ich konnte nichts sehen, doch Steffen blieb abrupt stehen und schrie auf. Er ging zum Boden und zuckte eindeutig vor Schmerz. Ich konnte sehen wie der Mann auf seine Uhr blickte, es war neun Uhr vierzig. „Deinem Klaan bleiben vierundzwanzig Stunden, ihr seid ist machtlos! Entweder ihr schließt euch an oder die anderen werden euch vernichten!“, verkündete er kalt.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Hallo, hören Sie mich? Ruft bitte jemand einen Arzt!“, hörte ich die Worte einer Frau vor mir. Ich schlug meine Augen auf und sah eine korpulente Dame mittleren Alters die sich vor mir gebeugt hatte und meine Gesicht mit ihren Händen hielt. „Mir, mir geht es gut. Ich brauche kein Arzt.“, stammelte ich noch benommen. „Aber Kind Sie wahren ohnmächtig!“, rief sie laut. „Das passiert mir öfter. Ich muss jetzt wirklich los.“ Ich rappelte mich auf, nahm meine Tasche und wollte los, als mich die Frau am Arm packte. „Aber bitte, Sie brauchen dringend einen Arzt!“, widersprach sie. „Vielen Dank für ihre Hilfe, aber mir geht es gut.“ Ich musste mich gewaltsam von ihr entfernen, dann rannte ich los. Ich wusste nicht wohin ich rannte, aber ich wusste dass ich nicht fliegen würde. Als ich an dem riesigen Parkplatz des Frankfurter Flughafens ankam fiel mein Blick auch ein Taxi. „Zum Bahnhof bitte.“, sagte ich noch leicht aus der Puste. Der Taxifahrer nickte mir freundlich zu und fuhr los. Ich versuchte das ganze noch mal in Ruhe durch zugehen. Sonnenfinsternis. Was meinte der Mann damit? Wenn tatsächlich eine Sonnenfinsternis bevor stünde, wüssten das doch schon alle. Was wenn doch nicht? Was wenn es nur „sie“ wussten? Die Vampire, und was auch immer der Mann war. Aber um was ging es wirklich, auch wenn die Sonnenfinsternis statt finden würde was hatte das alles mit Vampiren zu tun? Es war doch nur eine harmlose Sache, ja die Sonne wäre für einen Moment weg aber das ist sie doch jede Nacht auch. Mein Kopf drohte zu zerplatzen. Die Uhr des Mannes hatte neuen Uhr vierzig angezeigt, das bedeutete mir blieben noch gut zwei Stunden. Nicht viel Zeit um vom Frankfurt nach Mannheim zu kommen. Als ich am Bahnhof war entschied ich mich den Schnellzug zu nehmen, er kostete zwar um einiges mehr aber kam dafür pünktlich um neun Uhr dreißig am Bahnhof an. Ich würde es schaffen! Ich hoffte ich würde es schaffen. Ich wusste nicht wie ich Steffen in der Situation beschützen sollte, aber ich war mir sicher dass ich das Ganze nicht ohne Grund sah. Die knappe Stunde Zugfahrt war der Horror, ich konnte nicht aufhören an Steffen zu denken. Ich hatte ihn noch nie in seiner Gestalt gesehen, erst das machte mir klar was er war. Er war ein Vampir. Ich glaubte bis jetzt die Tatsache verdrängt zu haben. Ein wenig jagte mir sein Anblick Angst ein, aber so bald ich daran dachte wie der Mann ihm weh tat, war meine Angst verschwunden und Schmerz breitete sich in mir aus. Die Sonne strahlte gnadenlos in mein Gesicht, so wie Steffen es gesagt hatte.
Als die Zugtüre sich öffneten rannte ich los. Ich nahm das erste Taxi und fuhr zum Marktplatz. Mein Herz hörte nicht auf zu pochen. Ich hatte weder die Möglichkeit, noch einen Plan wie ich Steffen schützen sollte, aber ich musste dahin. Ich schmiss den Taxifahrer das Geld zu und rannte wieder los. Es war neun Uhr sechsunddreißig. Ich rempelte einige Menschen auf dem Weg an. Gerade fand ein Markt statt und der Platz war überfüllt von kleinen Buden die Blumen, Gemüse und Obst verkauften. Ich übersprang einige Stufen auf dem Weg nach unten, ich wusste nicht auf welcher Etage Steffen war also musste ich überall rein schauen. Als ich auf Deck zwei war sah ich die beiden. Sie unterhielten sich gerade noch. Der Mann sah wesentlich Furcht erregender aus als in meiner Vision. Ich bemerkte einen großen Medallion aus Silber an seinem Hals hängen, es war ein umgedrehtes Pentagramm. So weit ich das in Erinnerung hatte war das ein Zeichen des Bösen. Plötzlich passierte genau das, was ich in meiner Vision gesehen hatte. Steffen fiel zum Boden und schrie. Gedankenlos rannte ich und schrie. „Lass ihn in Ruhe!“ Der Mann schaute mich verwundert an während Steffen sich weiter am Boden quälte. „Hör sofort auf Damit!“, schrie ich weiter. Mein Gegner lachte verächtlich und zeigte auf mich mit der Hand. Ich bemerkte wie sich eine Schicht aus grünem Licht um mich bildete. Es kam von Uhromas Anhänger. Ich sah einen Dolch der im Riemen des Mannes hing. Ich dachte intensiv dran und schon hatte ich ihn in der Hand. Seine Brauen zogen sich zusammen. „Hexe!“, sagte er widerwärtig. Ohne nachzudenken scheuerte ich das Messer in seine Richtung. Es flog direkt auf ihn zu und bohrte sich tief in seine Brust. Schockiert beobachtete ich wie der letzte Funken des Lebens seinen Körper verließ. Steffen konnte wieder aufstehen. Ich konnte nicht fassen dass ich gerade jemanden getötet hatte. „Was machst du hier?“ Steffens Stimme klang ganz anderes, es war keine menschliche Stimme mehr. Unglaubliche tiefe Töne schwangen darin mit. Auch sein Gesicht war immer noch das eines Vampirs. Ich starrte ihn einfach nur an, als er mein Blick verstand drehte er sich um. Einige Minuten stand er mit dem Rücken zu mir. Allmählich kam ich wider zu mir und versuchte mich zu beruhigen. Ich ließ mich auf den Boden sinken, zog meine Knie an mich und vergrub darin mein Kopf. „Hanna was machst du hier?“ Hörte ich Steffens normale Stimme. Ich schaute auf. Er sah wieder normal aus, wir er sonst immer aussah. „Meine Vision.“, sagte ich nur heißer. Mein Freund seufzte. „Du hättest nicht hier sein müssen, dir hätte was passieren können. Verstehst du das?“, er sprach in einem ruhigen Ton. „Mir geht es gut. Dir währe was passiert wenn ich nicht aufgetaucht wäre.“, erwiderte ich schnippisch. „Na gut. Ich danke dir, aber jetzt versuche ich erst mal den Flug um zu buchen damit du heute noch fliegen kannst.“ Er war sichtlich bedrückt. „Nein! Spinnst du? Denkst du ich fliege jetzt einfach so nach Spanien?“, ich schrie. Wie konnte er nur, ich hatte wahrscheinlich ihm gerade das Leben gerettet und er wollte mich nach Madrid abschieben? Ich spürte wie die Wut in mir hoch stieg. Mir wurde immer heißer, ich hatte das Gefühl als würden meine Hände brennen. Als ich sie anschaute, bemerkte dass sie wirklich in Flammen standen. In Panik versuchte ich das Feuer ab zu schütteln, doch statt mich davon einfach zu befreien setzte ich die Leiche in Brand. Ich konnte sehen wie sie innerhalb weniger Sekunden komplett verkohlte bis nur noch ein kleines Haufen Staub übrig blieb. Mein Blick wanderte wieder zu meinen Händen, zumindest brannten sie nicht mehr. Die Rauchmelder gingen an und ich wurde von kaltem Wasser bespritzt. „Komm wir müssen hier weg.“ Steffen packte mich unter seinem Arm und zog mich zum Auto. „Aber draußen scheint die Sonne!“, widersprach ich entsetzt. Ohne mich einer Antwort zu würdigen fuhr er mit quietschenden Reifen davon. Statt normalen zehn Minuten, brauchten wir bis nach hause nur fünf. Als Steffen ausstieg knallte er laut die Tür zu, zog mich mit Gewalt aus dem Auto, nahm mich auf seine Arme und trug mich die Treppen nach oben. Als wir in meiner Wohnung ankamen legte er mich auf dem Bett ab und machte mit schnellen, wütenden Bewegungen die Rollläden zu. „Was hast du dir dabei gedacht? Du kannst jetzt nicht mehr weg, toll! Du hast das wirklich super hin bekommen! Lieber hättest du mich sterben lassen!“, er schrie und gestikulierte wütend mit seinen Armen. Ich spürte wie meine Augen sich mit Tränen füllten. Innerhalb von einer Sekunde saß Steffen neben mir auf dem Bett und hielt mich an den Schultern fest. „Hanna du verstehst einfach nicht wie gefährlich es für dich ist hier zu bleiben.“, seine Stimme war jetzt nicht mehr wütend, sondern wurde von Besorgnis durchtränkt. „Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?“, schluchzte ich. „Ich konnte das nicht, ich wollte dich nur beschützen.“ Ich sah in seine Augen und wusste dass er das ehrlich meinte. „Was ist mit dieser Sonnenfinsternis?“, fragte ich. „Woher weißt du davon?“ - er fasste sich an den Kopf - „Ah stimmt ja. Der Mann in der Garage war ein schwarzer Magier. Er hat einige von uns an seine Seite gezogen. Er wollte die Sonnenfinsternis ausnutzen um uns zu vernichten und um die anderen Vampire an die Macht zu bringen. Er wollte dass Menschen seine Sklaven werden, alle würden damit von unsere Existenz erfahren und hier würde ein Chaos ausbrechen.“
„Aber jetzt ist er Tod, also heißt es, es ist vorbei oder?“
„Nein, das Problem ist dass seine Verbündeten weiter machen werden. Du musst wissen dass während einer Sonnenfinsternis Vampire besondere Kräfte entwickeln. Das heißt wir sind viel stärker, blutdurstiger und gefährlicher als sonst. Diese Sonnenfinsternis wird nicht einige Minuten andauern sondern ganze zwei Tage.“
„Was hat das Ganze aber mit mir zu tun? Ich verstehe das nicht!“
„Sie wollen nicht nur den Vampir Klaan zerstören, sondern auch die ganzen Hexen vernichten. Wenn sie das schaffen, hat die Menschheit keine Chance gegen sie.“
„Warum hast du mir das alles nicht schon früher erzählt?“
„Evgeny ist sich nicht sicher ob die Hexen mit den dunklen Magiern zusammen arbeiten, das heißt er würde nicht erfreut sein wenn er wüsste dass eine davon an meiner Seite ist. Außerdem dürftest du nach den Regeln nichts über uns wissen, und du weißt jetzt schon zu viel.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Wir machen jetzt gar nichts, du fliegst nach Spanien. Hanna du kannst nicht hier bleiben hast du das nicht verstanden?“
„Aber was ist mit meiner neuen Gabe? Ich könnte aus versehen ein Flugzeug in Brand stecken, es geht nicht.“, widersprach ich. „Mist!“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Du kannst aber auch nicht hier bleiben, der Klaan weiß bestimmt schon dass du hier bist.“ sagte er mehr zu sich selbst. „Aber woher denn?“, fragte ich verwundert. „Du kannst dich doch noch an Lui erinnern, der aus deiner Vision. Der Grund warum er so wütend war, warst du. Er hat mitbekommen dass du eine Hexe bist. Ich hatte ihn zwar versichert, dass ich das nicht wusste und du nicht weiß wer ich bin, aber er hat mir das hundertprozentig nicht abgenommen.“, antwortete er. „Er war also hier? Du hast mir gar nichts davon erzählt! Gibt es noch mehr was ich vielleicht wissen sollte?“ Ich bemerkte wie mir wieder warm wurde. In Angst dass meine neue Gabe wieder zum Vorschein kommen würde versuchte ich mich ab zu regen. Plötzlich klingelte Steffens Handy, er schaute verstohlen auf sein Display dein hielt er sich den Hörer ans Ohr. „Ja, gut das werde ich machen. Bis bald.“, sprach er in den Hörer. Er legte das Handy bei Seite und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Es tut mir so Leid Hanna.“, sagte er fast schluchzend. Ich rutschte näher zu ihm und legte mein Kopf aus seine Schulter. „Was ist denn los? Wer war das?“, fragte ich leise. Er richtete sich auf und schaute mich mit den Tränen gefüllten Augen an. „Das war Evgeny, er weiß von uns. Wir müssen zu ihm gehen. Es tut mir so Leid, das ist alles meine Schuld Hanna, ich hätte dich nicht da mit rein ziehen sollen.“, beteuerte er. „Nein ist das nicht, du wolltest mich nur beschützen. Aber was machen wir jetzt?“ Ich versuchte klar zu denken. „Wir müssen dahin. Er und seine Leute würden uns sofort finden wenn wir versuchen würden zu flüchten.“, sagte er entschlossen.


Kapitel 13

Wir mussten nur etwa eine viertel Stunde warten bis die Sonne sich hinter dunklen Wolken verbarg, dazu stieg ein heftiger Wind auf. Nicht gerade aufmunterndes Wetter wenn man zum Fürst der Vampire fährt. Dachte ich mir. Steffen war die ganze Zeit in seine Gedanken vertieft, wahrscheinlich versuchte er ein Plan auszuarbeiten wie wir aus der Sache raus kommen. Ich im Gegensatz nahm es erschreckend locker, wenn man bedachte dass Evgeny vielleicht vor hatte mich zu töten. Ich bereute nichts von dem was mich nun dazu führte über meinen Tod nachzudenken. Ich hatte Steffen gerettet, das war das wichtigste. Außerdem glaubte ich dass auch wenn Steffen nicht da wäre, ich in Lebensgefahr schweben würde. Meine Gaben wurden mir schon in die Wiege gelegt und das Schicksal hätte ich nicht ändern können. Ich musste schmunzeln. Früher glaubte ich nicht an das Schicksal, nach dem Motto „Jeder ist seines eigenen Glücks und Leides Schmied.“, aber das war nun vorbei. Es war Schicksal dass Steffen auftauchte und meine Fähigkeiten dadurch zum Vorschein kamen. Vielleicht war es der Grund warum ich der bevorstehenden Gefahr so leicht ins Auge blickte. Nach weniger als einer halben Stunde fuhren wir einen Hügel hinauf, der Weg war schmal und drumherum bewachsen von dichten Wald. Allmählich stieg in mir ein mulmiges Gefühl auf. Es wurde dunkel, so dass Steffen die Scheinwerfer anschaltete. „Du überlässt das reden mir, sag am besten gar nichts und bleib immer dicht bei mir. Stell auch keine Fragen.“, sagte Steffen in einem Befehlston. „Okay“, murmelte ich leise. Seine Anweisung ließ mich befürchten dass wir gleich da waren. Tatsächlich konnte ich am Ende des Weges einen Steinzaun mit Metalltoren erkennen. Als wir an fuhren öffnete es sich von allein und machte dabei ein klirrendes Geräusch. Ich spürte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete, ich bekam schlecht Luft.
Vor uns breitete sich eine riesige, Schloss ähnliche Villa aus dunkelgrauen Stein aus. Und ich glaubte das wären alles nur Klischees. Dachte ich mir, verzichtete aber darauf es auszusprechen. Steffen stoppte ruckartig den Wagen und stieg aus. Gerade als ich meine Hand auf den Griff gelegt hatte um die Tür zu öffnen, stand er schon an meiner Seite und half mir beim aussteigen. Alles auf dem Grundstück sah verlassen aus. Wir stiegen die noch vom alten Laub bedeckten Stufen hinauf und vor uns öffneten sich zwei abgerundete Metalltüren, auch sie ließen das Klirren nicht aus. Der Boden war aus einem dunklen Marmor, den bemerkte ich als erstes weil unsere Schuhsohlen darauf quietschten. Mein Blick wanderte langsam nach oben und ich erkannte eine dunkle Gestalt vor uns. Ein langhaariger, breiter Mann stand mit verschränkten Armen vor uns. „Der Meister erwartet euch schon.“, sagte er mit einer dunklen Stimme. Steffen nickte ihm verständnisvoll zu. Der Raum war eine riesige, leere Halle. Die Kolumnen trennten den linken und rechten Teil des Raumes voneinander, so dass in der Mitte eine Art Durchgang entstand. Die Fenster waren im gotischen Stil gebaut, eigentlich wies das ganze Anwesen auf gotischen Still hin. Vor uns befand sich noch eine niedrige, breite Treppe aus Marmor. Wir stiegen die wenigen Stufen hinauf bis zu zwei aus massiven Holz gebauten Türen. Dieses Mal gingen sie nicht einfach von allein auf, sondern man konnte hören wie die Türklinken gedreht wurden. Tatsächlich stand an jeder Tür ein Wächter, ich blickte beide an. Sie waren noch ziemlich jung, nicht viel älter als ich und sahen sich ziemlich ähnlich. Scheinbar waren es Brüder. Plötzlich hörte ich sanfte Gitarren Klänge die sich durch den ganzen Raum verteilten. Mein Blick schweifte nach vorn, dort erkannte ich einen jungen Mann der eine Gitarre in den Händen hielt. Er saß in einem gepolsterten Barocksessel mit silbernen Verzierungen. Sein langes, blondes Haar hing vor seinem Gesicht. Abrupt hörten die Klänge auf. „Hallo mein Freund!“, rief er erfreut und machte eine begrüßende Handbewegung. „Schön dich und deine Freundin hier bei mir empfangen zu können.“, fügte er ebenso freundlich hinzu. Allerdings sah für mich das Ganze nach Sarkasmus aus. „Hallo Evgeny.“, antwortete Steffen kurz. Das war Evgeny? So hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Er war sehr jung, vielleicht jünger als ich. Sein Gesicht sah wunderschön aus, die schwarzen Augen stachen wegen dem blonden Haar heraus. Sein Blick traf auf meinen und ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Sie ist wirklich wunderschön.“, brachte er verstohlen hinaus. „Aber du hattest ja schon immer einen sehr guten Geschmack was Frauen anging.“, sagte er wieder gefasst. Steffen seufzte. „Na gut, kommen wir zum Geschäftlichen. Ich habe gehört du hast Aemilianus getötet?“ Er schlug erfreut die Handflächen zusammen und rief sie aneinander. „Das war nicht ich, es war sie.“, antwortete Steffen streng. „Ah nein, tatsächlich?“ Evgeny kam entschlossen auf mich zu und betrachtete mich aufmerksam. Ich nickte. „Eine Hexe die für uns kämpft! So etwas habe ich wirklich noch nie erlebt. Fabelhaft. Sie gefällt mir wirklich gut.“ Begeistert stolzierte er durch den Raum hin und her. Ich schielte rüber zu Steffen, er gab mir ein beruhigendes Nicken. „So nun ich habe genug Recherchen angestellt und ich glaube sie kann uns von Nutze sein, was wir dann machen werden wir sehen. Im Moment habe ich nicht die Zeit mich mit eurer kleinen Liebesgeschichte zu beschäftigen.“, sagte Evgeny, der sich nun wieder in sein Sessel gesetzt hatte. „Sie wird nicht mitkämpfen!“, widersprach Steffen wütend. „Oh nein mein Freund, für wen hältst du mich denn! Sie wird hier bleiben, in meiner Obhut. Dein Verrat nehme ich dir wirklich übel, fast sechshundert Jahre kennen wir uns schon und dann tust du so etwas. Währst du nicht mein Freund, müsste ich mich von euch beiden verabschieden. Also bitte, widersprich mir nicht.“, er machte eine abwinkende Gäste. „Nein. Sie. Wird. Auch. Nicht. Hier. Bleiben.“, brachte Steffen mit eindeutiger Überwindung heraus. Sein Gesicht veränderte sich sofort und er knurrte laut. Evgeny schien es nicht so zu beeindrucken wie mich. „Julius.“, sagte er an einen der Wächter gerichtet. Blitzartig hatten beide Steffen in den Händen, so das er sich nicht mehr bewegen konnte. Er knurrte jedoch weiterhin. „Sie wird nicht hier bleiben!“, schrie er wütend. Darauf seufzte Evgeny tief und ging zu ihm. Er legte seine Hand auf Steffens Hals und drückte fest zu. Einige violette Venen traten hervor. „Hör bitte auf! Hör auf!“, schrie ich entsetzt. Doch Evgeny schenkte mir keinerlei Beachtung. „Ich werde hier bleiben! Ich will hier bleiben! Bitte...“ Die Tränen flossen nur so meine Wangen hinunter.
Schlagartig drehte er sich zu mir und ließ meinen Freund los. „Na wer sagts denn, bitte! Ist doch gar nicht so schwer.“, sagte er selbst zufrieden. Steffen schien noch wütender zu werden, ich ging zu ihm. „Bitte, ich werde das schon schaffen ich bin stark. Beruhige dich wieder.“ Sein Anblick löste in mir immer noch ein mulmiges Gefühl aus, aber ich überwand mich und streifte mit meiner Hand über seine Wange. Er atmete tief aus und ich sah wie seine Augen wieder normal wurden. Die Wächter ließen ihn los, blieben allerdings paar Meter weiter stehen. „Also mein hübsches Kind, lass uns alle hinsetzten und das ganze besprechen. Du bist menschlich, also dachte ich du hast bestimmt Hunger ich habe etwas für dich vorbereiten lassen.“ Die theatralische Freundlichkeit mit der er sprach widerte mich an, doch ich lächelte freundlich zurück. „Folgt mir.“, forderte er uns auf. Wir liefen zur Tür rechts im Raum, hinter ihr befand sich ein düsterer Korridor der von Fackeln erleuchtet wurde. Steffen legte seinen Arm fest um mich, sagte aber nichts. Wir kamen an mehreren Abzweigungen vorbei bis wir schließlich in eine abbogen. Ungefähr zehn Meter weiter öffnete sich eine kleine Tür und wir traten in einen riesigen Saal ein. In der Mitte stand ein großer, runder Tisch, bedeckt mit allem möglichen Besteck und verschiedensten Früchten. Zwischen den großen, lang gezogenen, spitzen Fenstern hingen Gemälde und einige Kerzenleuchter. In den Ecken standen gepolsterte Sofas und Sessel im Barockstiel, mit gestreiften Überzügen. Der Boden war aus dem gleichen Marmor wie auch in dem vorigen Raum. Die Decke ging wie eine Kuppel nach oben und in der Mitte hing ein riesiger Kronleuchter. Evgeny setzte sich an einen der massiven Stühle am Tisch, Steffen nahm neben ihn platz und deutete mir sich neben ihn zu setzten. „Was hast du mit ihr vor?“, fragte Steffen im strengen Ton. „Also erst ein Mal möchte ich ihr was zum Essen anbieten.“, brachte Evgeny belustigend hervor. Steffen warf ihm einen bösen Blick zu. „Ah ist ja schon gut, ich wollte diese trübe Stimmung nur etwas auflockern.“ - sagte er immer noch lächelnd, dann seufzte er - „Sie bleibt hier bis der Kampf vorbei ist, ihre Kraft in die Zukunft zu sehen kann uns helfen wenn der Feind hier angreift.“
„Das lässt sich nicht kontrollieren.“, bemerkte Steffen.
„Ja, aber ihr Schutzsystem wird sie warnen so bald Gefahr besteht.“
„Nein, sie kann hier getötet werden das lasse ich nicht zu!“
„Mein Freund du enttäuschst mich wirklich. Wie viele Kriege haben wir zusammen gewonnen und nun traust du mir nicht zu eine lächerliche Armee von Vampiren und Magiern zu besiegen? Ich werde die ganze Zeit über hier bleiben und auf sie aufpassen.“, sagte Evgeny immer noch betont freundlich, beim letzten Satz zwinkerte er mir zu. „Es ist kein einfacher Krieg Evgeny, vergiss nicht es ist SONNENFINSTERNIS und das wird nicht so einfach sein wie siebzehn hundert fünfzehn.“, beteuerte Steffen. Ich fragte mich was siebzehn hundert fünfzehn wohl passiert war. Ein Sonnenfinsternis, oder ein Kampf zwischen Vampiren? Ich versprach Steffen keine Fragen zu stellen, also blieb ich ruhig und hörte dem Gespräch der beiden zu. „Sonnenfinsternis hin oder her, sie werden nicht gewinnen und du mein Freund wirst dazu beitragen!“ Evgeny stampfte wütend mit der Faust auf den Tisch, dann lockerte er sein Genick in dem er den Kopf kurz in alle Richtungen neigte und atmete tief aus: „Nun, wo bleibt das Essen für unseren teuren Gast?“, fragte er wieder freundlich. In dem Moment stürmte durch eine andere Tür ein als Koch verkleideter junge, er war vielleicht sechzehn oder fünfzehn Jahre alt. In den Händen hatte er ein großes Silbertablett mit mehreren Teller und Gläsern drauf. Er stellte es neben mir auf den Tisch ab und lächelte freundlich. An seinem Äußeren erkannte ich dass er ebenfalls ein Vampir war. „Danke Mario!“, sagte Evgeny an den Jungen gewandt und winkte ihm ab zu gehen. „Iss mein Kind, du musst bei Kräften bleiben.“, wandte er sich nun zu mir. Ich schaute zu meinem Freund rüber, er nickte zustimmend. „Du solltest wirklich was essen.“, sagte er und drückte sanft meine Hand. Mein Blick schweifte zum Tablett, in einem Korb lag frisches Baguette dessen Geruch mir direkt in die Nase drang. Auf den anderen Tellern waren verschiedene Gerichte, Spaghetti mit Pasta, Kartoffel mit Braten und Reis mit Hänchenbrust Streifen. Beim Anblick des leckeren Essens bemerkte ich dass ich wirklich etwas essen sollte. „Danke.“, murmelte ich verlegen. „Nichts zu danken, lass es dir ruhig schmecken. Ich und Steffen gehen so lange Raus und besprechen ein paar Einzelheiten.“, sagte Evgeny und stand auf. Ich schaute verwirrt zu Steffen. Er küsste sanft mein Kopf und begleitete Evgeny zur Tür. Allein in dem großen Raum zu sitzen jagte mir Unbehagen ein, aber ich ignorierte es und bediente mich am Essen.
Nach einer gefühlten viertel Stunde kamen beide herein. Ich war schon fertig mit dem Essen, viel konnte ich nicht runter kriegen, und schaute meinen Freund fragend an. Evgenys Blick wanderte von mir zu Steffen und wieder zurück. „Na gut, ich lass euch mal kurz alleine.“, sagte er und verschwand direkt wieder. Steffen setzte sich mit einem Seufzen neben mir. „Du bist hier in Sicherheit, ich werde die ganze Zeit Kontakt mit Evgeny halten und sollte was passieren bin ich sofort da. Nach der Sonnenfinsternis wird sich zeigen was passiert, bevor das Ganze beginnt habe ich eine Menge zu erledigen. Es tut mir so schrecklich Leid Hanna, wegen mir bist du jetzt in diese Schwierigkeiten.“, den letzten Satz schluchzte er mühsam und drückte mich darauf hin an seinen Körper. „Wie, wie lang werde ich hier sein müssen?“, stammelte ich. „Drei Tage, vielleicht etwas länger. Evgeny wird dir ein Zimmer geben und Kleider zum umziehen, ich kann nicht in deine Wohnung rein es wäre zu Gefährlich. Sie könnten durch mich deine Spur aufnehmen.“, erklärte er. „Wer sind sie?“, fragte ich. „Die Magier, die Vampire, die andere Seite. Ich muss jetzt gehen Hanna, ich werde versuchen vor der Finsternis noch mal hierher zu kommen. Ansonsten werde ich dich anrufen. Ich liebe dich, bitte passe auf dich auf.“, bat er mich sanft und küsste mich lang und zärtlich. Dieser Kuss glich dem am Flughafen, er war anders als sonst. Nun wusste ich jedoch woran es lag, er würde in den Kampf gehen und ich würde hier bleiben. „Ich liebe dich.“, flüsterte ich und versuchte meine Tränen zu unterdrücken. Steffen lief wieder zur Tür, doch blieb kurz davor stehen und schaute mich noch mal an. „Es tut mir so Leid.“ Dann verschwand er und Evgeny kam an seiner Stelle herein.


Kapitel 14

Evgeny zeigte mir das Zimmer, in dem ich die nächsten Tage verbringen würde. Es sah nicht wie ein übliches Gästezimmer aus, eher erinnerte es mich an eine kleine Bibliothek. Drei Wände waren von vollgestopften Bücherregalen belagert, die andere Wand bestand aus drei großen Fenstern die eben so wie die anderen Fenster im Haus aussahen. In der Mitte stand ein Himmelbett an dem schwere dunkelrote Gardinen hingen, auch die Bettwäsche passte farblich dazu. Ansonsten war es leer, der Marmorboden machte das ganze Ambiente ziemlich ungemütlich. Evgeny ließ mich dort allein, und sagte, mich würde Jemand zum Abendessen holen.
Ich war froh meine Reisetasche dabei zu haben, die eine Zahnbürste und einige Kleider beinhaltete. Das Bad war gegenüber von meinem Zimmer, es sah, wie alles andere im Anwesen, ziemlich düster aus, mit dunklen Armaturen aus Marmor. Ich fragte mich, warum ich das Haus noch nie gesehen hatte, wenn ich doch so oft in Heidelberg wandern ging. Was mich aber mehr beschäftigte war, was mit Steffen passierte. Wo er sich gerade befand und ob es ihm gut ging. Die Tatsache nichts tun zu können und in diesem Monsterschloss fest zu sitzen, machte mich fertig.
Ich vertraute Steffen, Angst, dass mir was passiert, während er weg war, hatte ich also nicht. Trotzdem war es unbehaglich in dem Zimmer zu sein. Ich schaute mir die Bücher im Regal an, fast alle waren auf Latein. Auf das Lernen hatte ich nun wirklich keine Lust und beschloss es Lesen bleiben zu lassen. Stattdessen grub ich meinen MP3 Player aus und hörte etwas Musik. Draußen regnete es immer noch und der Wind hörte nicht auf zu heulen. Ungewöhnlich warmes Wetter für November, dachte ich. Zwischendurch schlummerte ich ein und wachte wieder von Sturmgeräuschen draußen auf. Allmählich wurde es draußen dunkel. Ich sah auf mein Handy in der Hoffnung, Steffen hätte angerufen, doch das Display zeigte nichts an.
Eine gefühlte Stunde später klopfte es an meiner Tür. „Herein.“, rief ich laut. An der Schwelle stand der große Mann, der mich und Steffen am Eingang des Hauses begrüßt hatte. Er hielt einen schwarzen Kleiderbeutel in der Hand. „Mein Meister bittet Euch, das zum Abendmahl zu tragen“, sagte er im gleichgültigen Ton. „Ähm, nein danke ich habe meine eigene Kleidung dabei.“, antwortete ich etwas eingeschüchtert von dem Anblick des Wächters. „Er wäre sehr enttäuscht, wenn Ihr das nicht anziehen würdet.“, betonte er mit Nachdruck. Es signalisierte mir, dass ich die Kleider tragen musste, ob ich wollte oder nicht. Seufzend nahm ich dem Wächter den schweren Kleiderbeutel ab. „Ich werde Euch in einer halben Stunde in den Speisesaal führen, bitte seid bis dahin fertig“, sagte er nicht viel höflicher und schloss die Tür hinter sich.
Warum mussten sie hier alle wie im Mittelalter sprechen, dachte ich kopfschüttelnd und öffnete den Reißverschluss des Beutels. „Okay, jetzt ist mir alles klar“, brummte ich als ich das Kleid sah. Es war ein Ballkleid, im Barock oder Rokko Stil, genau wusste ich das nicht. Das dunkelgrüne Batist war von unzähligen Perlen an der Taille verziert. Zu dem Kleid gehörte ein Reifrock und ein Korsett. Wütend über die Kleidervorschrift, zwängte ich mich in das viel zu enge Kleid hinein. „Das ist nicht sein ernst!“, entfloh es mir als ich mich im Spiegel betrachtete. Der Ausschnitt war unverschämt weit! Jedoch musste ich mir eingestehen, dass ich gar nicht so schlecht in dem Aufzug aussah. Der Stoff schmiegte sich perfekt an meine Haut und betonte die richtigen Stellen. Zu gern hätte ich das bei einem fröhlicherem Anlass angehabt. Trotz des einengenden Korsetts und den nicht sehr praktischen Unterrock, fühlte ich mich wohl und etwas passender zu dem Ambiente. Kurz darauf klopfte es auch schon wieder an der Tür und der Wächter holte mich zum Essen.
Ich kam wieder in den gleichen Saal hinein. Dieses mal stand das Essen für mich schon auf dem Tisch. Ich bemerkte den leckeren Geruch vom Braten. Plötzlich hörte ich Hände klatschen und drehte mich um. Evgeny kam mit einem begeisterten Lächeln auf mich zu. „Bravo! Mein Kind Ihr seht wunderschön aus! Dieses Kleid steht Euch entzückend!“, sagte er immer noch begeistert. Er hatte auch ein passendes Outfit an. Ein schwarzes Samtjackett mit einer schwarzen Batist Weste, einem weißen Tuch um den Hals, kurzen Samthosen und die dazu passenden Stulpen ließen ihn wie ein Mann aus der Vergangenheit erscheinen. Er kam näher zu mir und nahm meine Hand. „Ihr erlaubt mir“, sagte er lächelnd und küsste meine Handfläche. Ich nickte so freundlich, wie es eben ging und setzte mich an den Tisch.
„Ich hoffe es schmeckt Euch Liebes!“, sagte er nach einer Weile. „Ja vielen Dank, es ist sehr lecker“, antwortete ich höflich. „Erzählt mir, wie habt Ihr meinen guten Freund kennen gelernt?“, er lehnte sich zurück, bereit zum Zuhören. Ich erzählte ihm die Wahrheit über meine Fähigkeiten und Steffen.
„Ah! Was für eine wunderbare Liebesgeschichte! Eine Hexe verliebt in sich einen Hexenjäger und umgekehrt! Das ist wahrhaftig besser als Romeo und Julia!“, schrie er, außer sich vor Freude. „Hexenjäger? Ich, ich verstehe nicht“, stammelte ich benommen. Was sollte das heißen? „Oh, er hat Euch nicht von seiner grandiosen Aufgabe im Klaan erzählt?“, gespielt setzte Evgeny ein trauriges Gesicht auf. „Wie... Was, was für eine Aufgabe? Er hat mir nichts davon gesagt.“ Mein Herz machte einen Aussetzer und ich spürte wie Tränen mir in die Augen stiegen. War es vielleicht nur ein Trick, um mich und Steffen auseinander zu bringen, oder sagte Evgeny die Wahrheit? „Steffen ist ein sehr guter Freund von mir und eine lange Zeit stand er immer an meiner Seite. Jedoch sind seine Kenntnisse und Fähigkeiten über Magier- und Hexenjagt so gut, dass ich ihn im Außendienst einsetzte.“, erklärte er im ruhigen Ton. „Ich dachte ihr jagt keine Hexen, sondern sie jagen euch.“, antwortete ich entsetzt. „Und wie stellt Ihr euch das vor? Sie jagen uns, und wir unternehmen nichts? Wir handeln eben so konstruktiv wie sie, sonst wären wir nicht mehr so stark.Wir jagen jene, die für uns eine Gefahr darstellen und diese werden ausgelöscht.“ Evgeny schien das alles zu amüsieren, sein Lächeln schwand nicht für eine Sekunde von seinem Gesicht. „Wusste Steffen, dass ich eine Hexe war, bevor er bei mir im Haus eingezogen ist?“, fragte ich schluchzend. „Aber natürlich Kind! Wir beobachten die jungen Hexen um zu sehen, ob sie später gefährlich werden können. Rosalinda war so eine starke Hexe, da musste sich unser höchster Mann ihre Urenkelin natürlich persönlich unter die Lupe nehmen“, erzählte er gelassen. „Wie? Sie kannten meine Uroma?“, ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Ja, eine sehr hübsche und starke Hexe! Uns ist es nicht gelungen sie zu besiegen, bis zu ihrem natürlichen Tod.“, er seufzte erleichtert.
Was sollte ich nur tun? Sollte ich ihm wirklich alles glauben? Er kannte den Namen meiner Uroma und alles was er erzählte klang gar nicht so abwegig. Steffen kannte sich sehr gut mit Hexen aus, er riet mir, mich nach meinen Wurzeln zu erkundigen, weil er vielleicht wusste, dass meine Uroma eine Hexe war. Er war bei mir in der Nähe eingezogen, es war also kein Zufall, dass ich ihn kennen lernte. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz, der sich in meinen Magen ausbreitete, die Tränen flossen meine Wangen hinunter und meine Hände zitterten.
„Der Schmerz eines Betrugs ist immer schlimm, nicht wahr?“, fragte Evgeny nachdenklich. Ich antwortete nicht, weil ich nicht wollte und weil ich nicht konnte. Mein Hals war zugeschnürt und ich bekam kaum noch Luft. „Tja, mein lieber Freund hat nicht nur Euch belogen, sondern auch mich. Nun, man muss lernen zu verzeihen Kind. Aber auch nur, wenn es sich lohnt. Steffen ist mir von Nutzen, nur weil er einmal eine Hexe aus lässt, wird ihm das nicht den Kopf kosten. Und wenn ich das so betrachte, hat er sogar was Gutes getan. Im Moment seid Ihr nämlich auf unserer Seite. Sollten die Hexen sich den Magiern anschließen, haben wir wenigstens eine Geisel“, philosophierte er vor sich hin.
Ich hörte gar nicht mehr richtig zu, die Schmerzen hatten die Oberhand gewonnen und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. „Nun gut, das reicht jetzt. Ich glaube, Ihr solltet Euch etwas Ruhe gönnen.. Artur bring sie in euer Gemach.“, befahl er dem Wächter der wie aus dem Nichts auftauchte. Er nahm mich am Arm und zog mich gewaltsam durch den Flur, zurück ins Zimmer.

Kapitel 15

Schmerz. Was für ein eigensinniges Gefühl. Es frisst sich in einem hinein und breitet sich im Körper langsam aus, wie eine bösartige Krankheit. Man will schreien, doch es schnürt einem die Kehle zu. Man will um sich schlagen, doch es lähmt den Körper. Es trübt das Denkvermögen und macht sich über jeglichen Hoffnungsschimmer her. Nach dem es im Besitz des Kranken ist, sich überall festgesetzt hat, kann man nicht denken, nicht sprechen, nicht essen und trinken, sich nicht bewegen, es ist wie Tod.
Die ganze Nacht konnte ich keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Ich wollte alles, was Evgeny gesagt hatte, noch mal durchgehen nach einem Punkt suchen der Steffen entlastete. Ich konnte nicht, denken, vielleicht wollte ich das auch einfach nicht weil ich wusste dass es keinen gab. Steffen war ein Hexenjäger und sollte mich beobachten, das stand fest. War das alles nur eine schlechte Masche um näher an mich heran zu kommen? War die ganze Liebe nur ein Spiel? Dieser Gedanke löste wieder ein Heulanfall in mir aus. Ich wollte, nein ich konnte nicht glauben, dass alles Lüge war.
Plötzlich klopfte es an der Tür, ohne auf ein „Herein“ zu warten, kam Artur ins Zimmer. „Der Meister wünscht Euch zu sprechen“, sagte er wie immer streng. „Okay, kann ich mich noch umziehen?“ schluchzte ich. „Nein, Ihr müsst sofort mitkommen“, nun nahm Arturs Stimme den Befehlston an. „Ist etwas passiert?“ fragte ich und wischte mir die Tränen weg. „Evgeny wird Euch alles Nötige sagen, bitte folgt mir“, er wurde lauter also, rappelte ich mich schnell auf und ging hinter ihm her. In meinem Zimmer war es noch dunkel, doch es lag nicht an der Tageszeit. Von außen konnte kein Licht eindringen, allerdings wusste ich nicht warum. Ich hatte immer noch das Kleid vom Vorabend an. Mein Brustkorb schmerzte von dem Korsett und nun bemerkte ich, wie unbequem das Ding war. Wir liefen einen, mir noch unbekannten Korridor entlang.
Nach einer Weile stand ich in einem Büro, so sah es zumindest aus. An den Fenstern stand ein riesiger Mahagoni Schreibtisch, rechts und links befanden sich Bücherregale. Die Lampen im Kronleuchter erzeugten künstliches Licht. Evgeny saß hinter dem Schreibtisch in einem großen Sessel. „Nehmt Platz mein Kind“, sagte er ruhig und wies mich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch hin. Ich setzte mich ohne zu widersprechen. „Wenn Euch das Kleid so gut gefällt, kann ich Euch gern noch eins bringen lassen, dafür müsst Ihr nicht immer ein und dasselbe tragen“, sagte er und lachte über seinen Witz. „Ihr müsst doch etwas Lächeln, Ihr habt genug geweint!“, sagte er sanft. Allmählich glaubte ich, ein paar Gefühle unter Evgenys schauspielerischer Art entdeckt zu haben.
„Nun kommen wir zum Geschäftlichen. In einer Stunde tritt die Sonnenfinsternis ein und dann müssen wir alle auf der Hut sein. Steffen sagte, die Lage wäre etwas knifflig, denn es sind mehr, als er gedacht hätte. Sobald es dunkel ist, wird ein Chaos ausbrechen, die Menschen sind nicht darauf vorbereitet. Egal welche Armee im Vorteil ist, früher oder später werden unsere Gegner hier auftauchen, denn sie wollen mich. So bald Ihr Etwas seht müsst Ihr es mir direkt sagen. Artur wird vor Eurer Tür wachen, Ihr könnt es an ihn weitergeben.“
Hatten sie etwa telefoniert? Und warum rief er mich dann nicht an? War es ihm so egal, was nun mit mir geschah? Ich musste wieder mit den Tränen kämpfen.
„Ihr müsst Euch langsam beruhigen, Artur bringt Euch später ins Speisesaal, dann könnt Ihr frühstücken. Und bitte Kind, wischt eure Tränen ab.“
Ich nickte nur leise und ging zur Tür, wo Artur schon auf mich wartete. „Ah ja und noch was, das hätte ich ja fast vergessen! Euer Geliebter lässt Euch ein Gruß und Kuss ausrichten!“ rief Evgeny mir noch vergnügt hinterher. Gruß und Kuss? Also hatte ihm Evgeny nichts davon erzählt, was ich nun wusste, oder er log. Ich wusste gar nicht was passierte, ich konnte keinem mehr vertrauen. Und nun würde die Sonnenfinsternis eintreten und ich würde hier fest sitzen. In dem Moment überkam mich ein starkes Verlangen wieder in meinem alten Kinderzimmer, in dem Haus meiner Eltern, zu sein, im Bett zu liegen und der Geruch des Weichspülers wahr zu nehmen. Wenn ich das Ganze heil überstehen würde, würde ich nach meinem Studium zurück zu meinen Eltern gehen und alles vergessen. Steffen, Hexen, Vampire und die Sonnenfinsternis. Doch so fest ich auch daran glauben wollte, wusste ich dass es nicht so kommen würde.
Ich ging ins Bad und zwängte mich aus dem Kleid heraus, die Korsettstäbe hatten rote Spuren auf meiner Haut hinterlassen. Es war ein schönes Gefühl wieder tief ein und ausatmen zu können. Es gab nur eine Badewanne, ohne Duschfunktion. Es war vielleicht nicht richtig so kurz vor dem großen „Krieg“ baden zu gehen, dennoch hatte ich es wirklich nötig. Ich ließ das Wasser einlaufen und legte mich in das warme Nass. Langsam spürte ich wie meine Muskeln sich entspannten und die Anstrengung der letzten Tage verschwanden, jedoch der Schmerz blieb.
Nun konnte ich endlich ein paar klare Gedanken fassen. Wenn alles stimmte, was Evgeny mir erzählt hatte und Steffen tatsächlich ein Hexenjäger war, würde er mich gar nicht mehr von hier holen. Dann hatte er mich also einfach hier abgeliefert und das war vielleicht alles geplant. Ich musste handeln. Nur wie? Aus diesem Haus raus zu kommen war unmöglich, ich würde mich auf den Weg nach draußen in den vielen Korridoren verirren, abgesehen davon, dass vor meiner Tür ein riesiger Vampir stand. Auch durch die Fenster konnte ich nicht raus, sie waren komplett versiegelt. Langsam stieg Wut in mir auf. Wie konnte ich nur so dumm sein und auf diesen Arschloch rein fallen? Ich hatte gar kein Plan, ich war komplett ausgeliefert! „Verdammt!“ brummte ich und kelterte aus der Badewanne.
Als ich mich gerade ins Handtuch eingehüllt hatte, wurde mir schwindlig und schlecht. Ich setzte mich kurz auf den kalten Marmorboden. Eine Vision war im Anflug, das konnte ich mittlerweile erkennen.
Ich sah, wie ein großer Mann mit langem, schwarzem Haar das Badezimmer betrat. Jemand hinter der Tür rief: „Da ist sie!“. Als ich wieder zu mir kam und die Augen öffnete, wurde ich vom grellen Sonnenlicht getroffen und konnte nichts sehen. Dann passierte es. Im Schock, dass die Vision so schnell eintraf, konnte ich mich nicht mal richtig wehren. Der große Mann kam auf mich zu, riss mir meine Kette vom Hals und legte mir seine Hände auf die Schläfen. Schwarz.

Ich spürte den kalten Stein unter meiner nackten Haut, schreckliche Schmerzen durchdringten meine Glieder. "War das eine seltsame Vision", dachte ich und öffnete mühsam meine Lieder. Finsternis. Ich sah nichts, nur der Geruch nasser Erde drang in meine Nase. Ich wollte aufstehen, doch es gelang mir nicht. Ich war gefesselt! „Hallo, ist da jemand?“ krächzte ich. „Hallo?“ Stille. Nur das Geräusch von tropfendem Wasser, irgendwo in meiner nähe, war zu hören. Ich rief noch ein Paar mal Etwas ins Nichts hinein, bekam jedoch keine Antwort. Die Luft war feucht und stickig, der Stein, auf dem ich lag, kalt und schleimig, außerdem spürte ich ab und zu Etwas auf meinem Körper krabbeln. Ich versuchte meine Hände von den Fesseln zu befreien, doch sie waren zu dicht aneinander gebunden, der Stoff kratzte an meiner Haut. Allmählich wurde ich wütend. Ich hatte zwar keine Ahnung wo ich war, aber ich musste da raus! Mir wurde plötzlich wärmer, ich dachte an meine neue Gabe. Ich versuchte mich auf das Feuer in meinen Händen zu konzentrieren und tatsächlich klappte es nach einigen Minuten. Die Fesseln brannten und ich konnte meine Hände wieder frei bewegen, die noch in Flammen standen. Ich hielt sie an meine Fußfesseln, sie lösten sich auch nach einer Weile. Durch das Feuer wurde der Raum ein wenig erleuchtet. Ich stieg vom Stein ab und fühlte feuchte Erde unter meinen nackten Füßen. Es war ein kleiner Raum mit einer Kuppel. Ich drehte mich um und sah, worauf ich die ganze Zeit gelegen war. Ein Grab! Zumindest ließ sich erahnen, dass unter dem steinernen Monument ein Grab war. Erschrocken trat ich ein paar Schritte zurück. Ich war in einem Mausoleum eingesperrt. Mich überkam Panik, das Feuer an meinen Händen erlosch und vollständige Dunkelheit nahm den Raum wieder in ihre Fänge. Ich wollte weinen, aber dazu blieb mir keine Zeit. Wer auch immer mich hier eingesperrt hatte, wollte mich sicher nicht zum Kaffee und Kuchen einladen.
Vorsichtig tastete ich mich an der Wand bis zur Tür. Sie war verriegelt. Ich schaute durch das Schlossloch, draußen musste es eben so düster sein. Ich versuchte das Schloss zu ertasten, es war ein altes Modell, so eins hatten meine Eltern am Zauneingang gehabt. Man musste nur ein Teil bewegen und schon war es auf. Zwar hatte ich noch nie versucht mit meiner Gabe Schlossmechanismen zu bewegen, aber es konnte nicht schaden es zu versuchen. Angestrengt dachte ich daran, wie sich das Schloss öffnet, und schon eine Sekunde später ertönte ein Knacken. „Hallo?“, flüsterte ich und streckte mein Kopf langsam aus dem Türspalt. Niemand schien da zu sein, also ging ich hinaus. Es war stockfinster, ich schaute mich um und bemerkte am Himmel einen roten Kreis, der in der Mitte schwarz war. Die Sonnenfinsternis, es war also soweit. Als meine Augen sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich erkennen, dass ich mich tatsächlich auf einem Friedhof befand. Zwischen den Grabsteinen waren ziemlich viele Bäume, die mir die Sicht auf einen Ausgang nahmen. Eine Windböe schlug an meiner Haut auf. Ich hatte ein weißes Nachthemd an, das ziemlich dünn war. Langsam erinnerte ich mich wieder an alles. Die Vision im Bad, der Mann der mich am Kopf berührte. Daraufhin fiel mir ein, in welcher Gefahr ich gerade schwebte und kaum, dass ich das verstanden hatte, spürte ich schon wie meine Beine sich über den nassen Boden fortbewegten.
Ich rannte ziemlich lange, die Luft ging mir langsam aus, doch ich hörte nicht auf. Einige Mahle stieß ich auf die Grabsteine oder Bäume und holte mir einige Abschürfungen. Auf ein mal traf ich mit meinem ganzen Körper auf etwas Hartes. Es war ein Mensch, oder besser gesagt ein Vampir. Die weißen Eckzähne leuchteten fast in der Dunkelheit. Ich schrie auf und ging einige Schritte zurück. Ich erkannte Steffen und schrie wieder. Sofort war er bei mir und hielt mir den Mund zu. „Tschh, Hanna ich bin es“, flüsterte er. „Ich weiß! Lass mich sofort los!“ blaffte ich. „Hör zu, ich muss dich schnell von hier wegbringen, du bist in Gefahr“, sagte er mit Nachdruck. „Ich gehe mit dir nirgendwohin! Lass mich sofort los!“ schrie ich. „Du lässt mir keine andere Wahl“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Dann packte er mich über seine Schulter und rannte mit einer unglaublichen Geschwindigkeit los. Mir wurde sofort schlecht, ich kniff die Augen zusammen und hielt mich an seinem Rücken fest. Nach einer viertel Stunde setzte er mich ab, ich musste mich erst einige Minuten sammeln, bis ich wieder klar denken konnte.
Ich bemerkte, dass wir in einem kleinen Bungalow waren, auf dem Tisch brannten zwei Kerzen, die schwach den Raum erleuchteten. „Okay Hanna, ich weiß zwar nicht was du hast, aber du musst jetzt hier bleiben. Es ist zu gefährlich draußen“, sagte Steffen. Sein Gesicht war immer noch das eines Vampirs. Die schwarz ausgegossenen Augen jagten mir Angst ein. „Was mit mir los ist? Was ist mir dir los? Denkst du, ich mache jetzt noch alles, was du von mir verlangst?!“ schrie ich wütend. „Ich verstehe nicht, wovon sprichst du überhaupt?“, fragte er verwundert. „Ich weiß nicht genau, vielleicht von der Hexenjagt? Oder von dem, dass du mich jagen wolltest? Oder davon, dass du mich angelogen hast? Keine Ahnung, da steht viel zur Auswahl!“ Vor Wut kochend, starrte ich ihn an. „Hanna, deine Hände, pass auf!“, machte er mich aufmerksam. Toll! Sie brannten wieder. „Das ist jetzt egal“, brummte ich. „Es tut mir so Leid, Hanna du kannst dir nicht vorstellen...“
„Warum hast das getan?“, unterbrach ich ihn.
„Was hätte ich dir sagen sollen? Ich liebe dich, aber mache normalerweise auf solche wie dich jagt?“ seufzte er.
„Du liebst mich? Warum hast du mich dann an diesen Evgeny abgeliefert?“ schluchzte ich. Die Tränen flossen über meine heißen Wangen. „Ich hatte keine andere Wahl! Evgeny hätte dich getötet, wenn ich mich geweigert hätte dich da zu lassen. Hanna glaub mir bitte, ich würde nie zulassen, dass dir was passiert.“ Seine Stimme nahm einen verzweifelten Ton an. „Das hast du schon. Wer war der Mann, der mich von Evgeny weg brachte?“, fragte ich kalt. Ich wollte nicht daran denken, ob das was Steffen sagte, die Wahrheit war, dazu hatte ich kein Nerv mehr. Ich wollte einfach nur weg, dass alles einfach vorbei ist. „Es war Julistius, er war ein dunkler Magier“, erklärte er. „War? Heißt das...“ Steffen unterbrach mich. „Ja, ich habe ihn getötet“, bestätigte er kalt. „Steffen, ich...“ Schlagartig drehte Steffen sein Kopf in Richtung Fenster und hielt sich den Finger vor dem Mund. Was bedeutete, ich sollte leise sein. Ich starrte ihn verständnislos an.

Kapitel 16
Gerade als ich meinen Mund öffnete, um ihn zu fragen was los war, stürmte ein Vampir durchs Fenster. Er richtete sich auf, klopfte sich die Glasscherben von seinem Anzug und schaute mich an. Panisch versuchte ich den Kloß in meinem Hals runter zu würgen. Ich hörte ein lautes Knurren, das eindeutig von Steffen ausging, der Vampir knurrte zurück. „War gar nicht so schwer“, sagte der Fremde und legte dabei seinen Kopf in den Nacken. Steffen sprang auf ihn, beide fielen durch das Fenster zurück nach draußen. Ich folgte ihnen durch die Tür. Der Feind hatte Steffen am Hals gepackt und schleuderte ihn mit einer unbeschreiblichen Kraft an einen Baum. Der Baumstamm krachte und fiel mit der Krone hin. Steffen nahm Anlauf und rannte auf den Gegner zu. Er fing ihn mit einer Handbewegung ab und kugelte Steffens Arm aus. Mit einer wütenden Miene renkte Steffen sein Arm wieder ein. Der Gegner flechte seine Zähne und sprang auf ein Baum, von ihm dann direkt auf Steffen. Er krallte sich in seinen Rücken und biss ihm in die Brust. Mit einem lauten Knurren, befreite sich Steffen von seinem Angreifer. Aus Steffens Brust schoss eine Menge Blut hinaus. Es ging alles so schnell, dass ich Angst hatte den Überblick, über den Kampf zu verlieren. Steffen sprang circa sechs Meter in die Luft, schloss den Kopf des Vampirs zwischen seinen Füßen, machte dann einen Salto und schleuderte ihn auf den Boden. Doch dem Gegner schien der Sturz nichts auszumachen, er rappelte sich rasch auf und rannte auf mich zu. Ich schrie erschrocken auf. Der Vampir ließ sich davon ablenken und Steffen nutze die Gelegenheit. Er steckte seine Hand in den Brustkorb des Feindes und riss ihm das Herz aus. Ich musste schwer mit Brechreiz kämpfen, denn das Ganze sah echt widerlich aus. „Kannst du ihn anzünden?“, fragte Steffen leicht geschafft. „Ähm, ja denke schon“, antwortete ich etwas verunsichert. Ich konzentrierte mich auf meine Hände und als sie brannten, schleuderte ich das Feuer in die Richtung der Leiche. Dann schaute ich selbstzufrieden zu Steffen rüber. „Und das Herz jetzt auch, bitte“, sagte er und warf das Organ auf den Boden. Auch das war nach wenigen Sekunden verbrannt.
„Ich fürchte, du bist hier nicht mehr sicher, ich bringe dich woanders hin.“
„Moment, würdest du mir vielleicht erst mal erklären, wer das war?“
„Ein Vampir, einer von der anderen Seite. Für mehr haben wir im Moment keine Zeit. Los, spring auf meinen Rücken! Hanna, bitte du kannst mich danach verfluchen und in den Wind schießen, aber lass dir bitte von mir helfen“, drängte er fast schluchzend. Ich nickte und klammerte mich an ihm fest. Er rannte los. Dieses mal war es wesentlich angenehmer, ich hing nicht mehr kopfüber an ihm.
Nach einer gefühlten halben Stunde waren wir angekommen, er setzte mich vorsichtig ab. Wir befanden uns auf einem Berg, wieder vor einem Bungalow. Dieser war allerdings etwas größer. Steffen schloss die Tür auf und ließ mich hinein. Es war ein gemütliches Häuschen, mit einem weichen Teppich, der sich wunderbar unter meinen kalten Füßen anfühlte. Ein Polstersofa stand mitten im Raum und davor ein kleiner Schreibtisch. „Versprich mir, dass du hier bleibst, bis alles vorbei ist“, bat er mich sanft. „Wie lange wird es noch dauern?“, fragte ich nachdenklich.
„Noch etwa zehn Stunden.“
„Wie sieht's aus, denkst du ihr gewinnt den Kampf?“
„Das müssen wir. Ich hole dich wenn alles vorbei ist. Sollte hier einer von denen auftauchen, musst du ihm erst das Herz raus reißen und ihn danach verbrennen“, antwortete er ernst und ging. „Viel Glück!“, schrie ich noch hinterher.
Ich verriegelte die Tür und setzte mich erst mal, auf das gemütliche Sofa. Mir tat alles weh, ich war komplett nass und mir war sehr kalt. Ich stand wieder auf und öffnete den Schrank in der Hoffnung, eine Decke vorzufinden. Stattdessen entdeckte ich einige Männerklamotten, ich zog einen Pullover raus und streifte ihn über die nasse Haut. Mein Magen machte sich mit einem lauten Knurren bemerkbar. Ich hatte schon eine ganze Weile nichts mehr gegessen, ich musste ziemlich lange im Mausoleum gewesen sein. Gegenüber von mir war eine kleine Küche, ich öffnete den Kühlschrank und fand tatsächlich etwas Essbares darin. Es gab Käse, Wurst und Butter. Ich öffnete noch mehr Schränke, bis ich in einem Brot fand. Einen Toaster gab es auch, also schob ich zwei Scheiben hinein. Nach einigen Minuten hatte ich mir einen leckeren Sandwich gezaubert und aß es erst mal gierig. Ich war müde und wollte danach schlafen, aber es ging nicht. Die Angst hielt mich wach.
Nach etwa drei Stunden „an die Decke starren“, was mir zumindest dazu verhalf an Nichts denken zu müssen, hatte ich es satt. Die Sorge, dass etwas schief laufen könnte, machte sich in mir breit. Ob ich wohl eine Vision hervorrufen konnte?, dachte ich. Auch wenn es möglich war, ich hatte keine Ahnung wie ich das bewerkstelligen sollte. Auch wenn ich immer noch sauer auf Steffen war und nicht in der Lage ihm zu verzeihen, machte ich mir trotzdem Sorgen. Ich liebte ihn, das konnte ich nicht ändern. Angestrengt dachte ich daran, wo er wohl gerade war und ob es ihm gut ging. Es funktioniert!, dachte ich begeistert, als ich die ersten Anzeichen einer Vision spürte. Ich sah Steffen und Evgeny, hinter ihnen stand eine Armee von Hundertern, von Männern. Sie alle waren in roten Umhängen gekleidet und starrten auf den Wald. Plötzlich sah ich, dass hinter den Bäumen eine undefinierbare Anzahl von Gegnern hervortrat. Sie waren alle in schwarz gekleidet. Dann begann es. Ich sah nur noch rote und schwarze Punkte die aufeinander trafen. In einem Gewirr vermischte sich alles, nur Blut spritze aus alles Richtungen auf die dünne Schneeschicht.
„Das war nicht sehr hilfreich“, brummte ich, als ich wieder zu mir kam. Inzwischen war ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich die Vision hervorgerufen hatte, oder ob sie einfach kam. Jedenfalls sah ich nicht das, was ich sehen wollte, ich hatte immer noch keine Ahnung wer gewann.
Um mich abzulenken, dachte ich nach. Ich dachte daran, wie mein Leben noch vor einigen Monaten verlief. Es war so ruhig, so unbeschwert. Mir hatte Nichts gefehlt, weder Liebe, noch Abenteuer. Ich erinnerte mich an Niko und Lisa, beide waren gerade in Frankreich, genossen bestimmt die kalte Meeresluft. Lisa war ein Meer-Fan, egal ob Winter oder Sommer, sie war immer gern am Strand. Ich freute mich ehrlich für meine Freunde, jedoch war ich auch neidisch. Neidisch auf ihre unkomplizierte Beziehung, darauf, dass beide es so einfach hatten. Warum konnte es bei mir und Steffen nicht so sein? Ich konnte nicht ein mal sagen, dass es an ihm lag. Es lag ebenfalls an mir, ich war nicht normal. Dass er mich angelogen hatte, verletze mich sehr. Die Strapazen der vergangenen Tage, hatten ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur Körperliche, sondern auch Seelische. Es war zu viel, ich wollte in mein altes Leben zurück. So schwer es mir fiel, ich wusste, dass Steffen nicht zu meinem alten Leben gehörte. Was bedeutete, dass es auch ihn nicht mehr geben durfte, wenn ich mein altes Leben wieder führen wollte. Dieser Gedanke versetzte mir ein Messerstich, ich krümmte mich vor Schmerz.
Plötzlich hatte ich wieder eine Vision. Es war der selbe Kampf, nun waren allerdings wesentlich weniger Krieger auf dem Feld. Der Schnee wurde von einer undefinierbaren Anzahl von roten und schwarzen Umhängen bedeckt.
Artur war auch dort, er hatte ein glückseliges Lächeln auf dem Gesicht und spießte gerade einen Gegner mit seinem Schwert auf. Es war das erste Mal, dass ich Artur so glücklich sah. Auch Evgeny sah sehr zufrieden aus und kämpfte sehr gut. Mit einer unglaublichen Leichtigkeit stürzte er sich von den Bäumen ab und sprang auf die Gegner, denen er mit einem Dolch die Herzen herauspickte. Einige von der Gegenseite waren offensichtlich Magier, sie wendeten ihre Kräfte an. Einer hatte die gleiche Gabe wie ich, er zündete mit dem Feuer an seinen Händen Vampire an, nachdem er ihre Herzen raus gerissen hatte. Noch einer schwebte in der Luft über die Krieger und konnte somit mehrere besiegen. Allerdings kam ihm Evgeny in diesem Moment in die Quere, er sprang von einem Baum herunter und zerrte den Mann mit nach unten, dann stach er ihm seinem Dolch in die Brust.
Dann sah ich, wie ein schwarzer Magier, so ließ es sich zumindest erahnen, denn er hatte ein umgedrehtes Pentagramm als Anhänger an einer Halskette hängen, auf Steffen zu lief. Ich hatte noch nie gesehen, wie er seine Kräfte anwendete, deshalb machte ich mir umso mehr Sorgen um Steffen. Dieser bemerkte den Angreifer nicht, denn er war gerade mit zwei Vampiren beschäftigt. Dem Einen riss er gerade das Herz heraus, als der schwarze Magier ihn von hinten mit seiner Hand durchbohrte und sein Herz raus zog. Steffen schrie laut, drehte sich um und zerkratzte den Magier das Gesicht. Der Gegner lachte künstlich und presste Steffens Herz in der Faust zusammen.
Es fehlte etwas. Luft. Ich brauchte Luft! Warum konnte ich bloß nicht atmen? Verzweifelt schnappte ich danach. Mein Hals war wie zugeschnürt. Nach mehreren gescheiterten Versuchen gelang es mir endlich ein- und auszuatmen. Von der plötzlichen Luftzufuhr wurde mir ganz schwindlig. Etwas drückte gewaltig auf meinen Brustkorb. Ich tastete mich ab, jedoch wurde ich nicht fündig. Mir wurde klar, dass es der Schmerz war. Diese Art davon hatte ich noch nie empfunden, es fühlte sich an, als würde ich von einem schweren Stein zerquetscht werden, der auf den Resten meiner Organe lag. Steffen ist..., ich konnte den Gedanken nicht zu Ende führen. „Nicht jede Vision muss sich bewahrheiten“, schossen mir Steffens Worte durch den Kopf. Es musste also nicht so sein. Ich überlegte kurz, ob ich ihm helfen konnte. Es sah sehr schlecht aus. Um mich herum mussten mindestens 10000 Hektar Wald sein, ich wusste nicht ein mal wo genau ich war und erst recht nicht wo der Kampf statt fand. Nein, es war hoffnungslos.
Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken, als ich von draußen etwas hörte. Etwas hinter dem Haus hatte gekracht. Vielleicht war es nur ein Tier, versuchte ich mich zu beruhigen. Mein Körper war wie angewurzelt, ich konnte mich nicht bewegen.
„Ich würde dir vorschlagen die Seite zu wechseln, so lange es noch möglich ist“, erklang eine tiefe Stimme neben mir. Ich zuckte zusammen und starrte perplex den Mann vor mir an. Er war sehr hübsch, die sanften Gesichtszüge bildeten ein warmes Lächeln auf seinen Lippen. Seine Haut war dunkel von der Sonne und die grünen Augen schauten mich fragend an.
„W-w-w-wer b-b-bist d-du?“, stotterte ich.
Er warf sein schwarzes, lockiges Haar hinter die Schultern und streckte mir seine Hand entgegen. Unwillkürlich erwiderte ich die Geste. Er packte mich an der Taille und half mir wieder auf die Couch zu kommen.
„Mein Name ist Lestat", antwortete er ruhig.
Ich starrte ihn fragend an.
„Ich bin so wie du. Wir haben sehr viel gemeinsam. Du solltest zu unserem Klaan beitreten, denn du denkst ja wohl nicht wirklich, dass die Vampire dich akzeptieren werden“, redete er beruhigend auf mich ein.
Was zum Teufel hat er denn jetzt vor, dachte ich.
„Nichts weiter, ich will nur reden“, sagte er sanft. Hat er gerade meine Gedanken gelesen? Nein, das kann nicht sein, dachte ich.
„Doch, das habe ich. Es ist eine meiner Gaben, wenn du an dir arbeitest, kannst du das irgendwann auch und ich werde dir dabei helfen“, beteuerte er lächelnd.
„Danke, aber ich glaube, dass alles ist nichts für mich. Ich will weder mit den Vampiren, noch mit Magiern was zu tun haben. Ich will einfach nur normal sein“, erklärte ich und schon flossen einige Tränen über meine Wangen.
„Sie werden dich töten“, seufzte der Magier.
„Wer?“, fragte ich besorgt.
„Evgeny und die anderen. Dein Liebster kann dich dann nicht beschützen“, warnte er. Stimmte es also, war Steffen wirklich tot?
„Ja, das ist er“, bestätigte Lestat. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und hinderte mich am Atmen.
„Du bist betroffen und kannst im Moment keine klaren Entscheidungen treffen, daher lasse ich dir Zeit. Ich werde wieder kommen, bis dahin musst du entschieden haben, ob du uns beitrittst“, sagte er sanft und dennoch streng, dabei legte er mir seine Hand auf die Schulter. Plötzlich schwand der Schmerz und ich fühlte nur noch die Müdigkeit, danach schlief ich ein.
Es ist ein warmer, trüber Tag. Ich spüre, wie der leichte Wind meine Haut streift, ich lehne mich zurück und fühle feuchtes Gras unter meiner Haut. Steffen lächelt, seine Augen leuchten und er nimmt meine Hand. Wir laufen zum Wasser und stehen Knöcheltief drinnen. Jetzt erkenne ich den Ort, es ist das kleine Ufer vom Rhein, an dem ich schon mal mit ihm war. Das Wasser fühlt sich gut an, es ist warm und streichelt sanft meine Haut. Ich spüre Steffens Lippen auf meinem Nacken, drehe mich um und sehe ihn an.
„Ich liebe dich“, flüstert er. Ich muss schmunzeln, lehne mich an seine Brust, er drückt mich fest.
„Ich dich auch“, murmle ich. Dann gehe ich tiefer ins Wasser, bis zu den Knien stehe ich darin. Steffen taucht seine Hände rein und spritzt mich damit an. Ich kneife die Augen zusammen, damit kein Wasser darin eindringt, dann öffne ich sie wieder, plantsche mit meinen Händen so stark im Wasser, dass Steffen, der neben mir steht, komplett nass wird. Ich höre sein Lachen, er rennt auf mich zu und nimmt mich auf seine Arme. Ich wehre mich spielerisch, doch er reagiert nicht darauf. Kurz taucht er mit mir unter, als wir wieder an der Wasseroberfläche sind, klatsche ich ihm auf die Wange. Ich bin sauer, meine Ohren sind voller Wasser. Er schaut mich entschuldigend an und küsst mich lang und zärtlich. Plötzlich erscheint ein grelles Licht und blendet mich fürchterlich.

Impressum

Texte: Alle Rechte bei Taniya B.
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2011

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