Es war kalt. Und das war es auch, was Sarah Turner an diesem Morgen weckte. Aber das war nichts Ungewöhnliches für die Winterzeit, da das Feuer im Kamin während der Nacht langsam in sich zusammenfiel und nur noch Glut hinterließ, und das kleine Häuschen, das sie mit ihrem Sohn bewohnte, sie beide nicht gut gegen die Kälte schützen konnte. Aber sie hatten ein Haus und zu jeder Mahlzeit genug zu essen, wofür sie auch schon sehr dankbar war, denn in diesen Tagen war dies schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr.
Langsam wühlte sich sich unter den Decken hervor und stand auf, um wie jeden Morgen zuerst zum Fenster zu gehen und einen Blick hinaus zu werfen. Sie schmunzelte etwas, als sie die Schneeflocken sah, die über Nacht einen weißen Teppich über die Landschaft gelegt hatten. Will würde sich wohl noch mehr darüber freuen und eine Schneeballschlacht beginnen wollen. Aber erst nach dem Auspacken der Geschenke, denn heute war Weihnachten.
Schnell warf sie sich etwas über und schlich an dem Bett ihres noch schlafenden Sohnes vorbei, denn bisher hatte sie es noch nicht geschafft, die wenigen Geschenke unter den kleinen Baum zu legen. Sie hatten nicht viel Geld, und fast schien es wie ein Wunder, dass sie es trotzdem geschafft hatte, etwas für ihn zu kaufen. Dabei hatte auch das Geld geholfen, das ihr Mann Bill noch ab und zu schickte. Sie hätte es sofort wieder zurück gegeben, wenn er dafür nur selbst wieder hier sein würde, aber sie wusste auch, dass dies wohl nie geschehen würde. Das Leben als Pirat war ihm wichtiger als seine kleine Familie, aber nach all den Jahren war sie nicht mehr wütend auf ihn. Aber sie liebte ihn auch nicht mehr.
Dennoch brauchte Will einen Vater, und das besonders in dieser Zeit. Ihr konnte es egal sein, wo sich Bill herumtrieb, aber Will fragte besonders zu Weihnachten immer wieder nach, ob denn sein Vater endlich wieder nach Hause kommen würde. Und sie musste ihm immer wieder sagen, dass es ein weiter Weg von der Karibik bis hierher war, und dass es einfach nicht ging. Natürlich hatte sie ihm nie gesagt, dass sein Vater Pirat geworden war, sondern ihn lieber eine Geschichte von dem Seefahrer in der Handelsmarine erzählt, der so seinen Lohn verdiente, damit sie überleben konnten. Wie lange dies Will noch besänftigen würde, konnte sie allerdings nur ahnen. Je älter er wurde, desto mehr Fragen fielen ihm ein.
Gedankenverloren verteilte sie die kleinen Geschenke unter dem Baum und legte auch das dazu, das Will für sie gemacht hatte. Er wollte wohl nicht, dass sie leer ausging, und hatte schon lange begriffen, dass es den Weihnachtsmann nicht wirklich gab, aber darüber gesprochen hatten sie noch nicht. Das würde die Illusion nur ganz zerstören, und damit auch den Zauber von Weihnachten. Trotzdem wurde ihr kleiner Junge langsam erwachsen, auch wenn er gerade mal 8 Jahre alt war. Wo war nur die Zeit hin? Hatte sie ihn nicht erst gestern noch als Baby in den Schlaf gewiegt?
Ein Klopfen an der Tür riss sie dann aus ihren Gedanken, und leise öffnete sie die Tür, um sich dann dem Postboten gegenüber zu sehen. Er tat ihr richtig leid, da dieser heute und bei diesem eiskalten Wetter arbeiten musste, aber dieser hielt ihr mit einem Lächeln ein Päckchen entgegen, als wüsste er ganz genau, dass dieses vom Weihnachtsmann persönlich kam. Etwas verwundert nahm sie es entgegen und dankte ihm leise, bevor sie ihm noch schnell einen kleinen selbstgemachten Weihnachtskuchen in die Hand drückte und ein schönes Fest wünschte. Das vergrößerte das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes, der jetzt einen kleinen Trost dafür hatte, noch nicht bei seiner Familie sein zu können.
Nachdem Sarah die Tür wieder geschlossen hatte, warf sie einen kurzen Blick auf das Päckchen und erkannte sofort die Schrift ihres Mannes. Hatte er es also doch noch geschafft, etwas rechtzeitig zu schicken. Sie hatte sich schon innerlich darauf vorbereitet, Will auch noch sagen zu müssen, dass weder sein Vater noch ein Gruß von ihm zu Weihnachten hier sein würden, aber zum Glück stimmte wenigstens Letzteres nicht, was Will etwas trösten würde. Und es einfach musste.
Da dieser aber immer noch schlief, öffnete sie das Päckchen schon mal, auch weil sie wusste, dass auch etwas für sie darin sein würde. Etwas, das ihr Sohn lieber nicht sah. Die genaue Menge des Geldes, das Bill ihnen immer wieder schickte, und ein kurzer Brief, denn inzwischen hatte Will lesen gelernt und würde seine Neugier nicht mehr bremsen wollen. Aber diese Briefe zu lesen, würde nur noch eine Illusion zerstören, wofür er aber noch nicht bereit war.
Und tatsächlich fand sie in dem Päckchen wieder einen Lederbeutel voller Münzen aus Gold oder Silber. Ein kurzer Blick verriet ihr, dass sie damit zumindest den Winter überleben würden, wenn sie sparten, aber das sparen hatte sie ja inzwischen perfektioniert. Außerdem fand sie noch eine kleine Schachtel, in dem sich wohl das Geschenk für Will befand, und den Brief für sie. Auch wenn sie die ständigen Entschuldigungen und Erklärungen, warum Bill gegangen war, nicht mehr hören konnte, so las sie die Briefe trotzdem jedes Mal. Auch weil Bill sie immer noch schickte, obwohl sie ihm nie geantwortet hatte. Denn sie hatte ihm schon damals vor dem Abschied alles gesagt, was es zu sagen gab.
Nach einem kurzen Zögern nahm sie nun den Brief in die Hand und begann ihn zu lesen. Aber schon nach den ersten Worten wusste sie, dass dieser Brief ganz anders als alle Anderen sein würde.
Liebste Sarah,
ich hoffe sehr, dass euch das Päckchen noch rechtzeitig zu Weihnachten erreichen wird. Es hat dieses Mal besonders lange gedauert, bis wir wieder einen Hafen anlaufen konnten. Ich hoffe auch sehr, dass es euch überhaupt erreicht, da ich nie weiß, ob euch meine Nachrichten überhaupt erreichen. Du hast mir ja noch nie darauf geantwortet.
Aber das musst du auch nicht. Ich tue einfach alles in meiner Macht stehende, um euch so gut wie möglich zu unterstützen. Ich hoffe, die Münzen bringen euch über den Winter, der sehr streng sein kann, wenn ich mich recht erinnere. Ich vermisse den Schnee.
Keine Angst, ich werde nicht wieder darüber schreiben, warum ich gehen musste. Du kennst ja meine Worte inzwischen gut genug, und wenn sie dich bisher nicht davon überzeugen konnten, mir zu antworten, dann wird es eine Wiederholung der Worte auch nicht können. Ich kann nur hoffen, dass sie dein Herz trotzdem eines Tages erweichen werden.
Dein Hauptargument war bisher immer, dass dieses Leben einfach zu gefährlich ist. Mittlerweile gebe ich dir Recht, denn auf unserem Schiff hat sich viel verändert, von dem ich noch nicht weiß, wohin es mich führen wird. Ich befürchte nur, dass dies wohl die letzte Nachricht von mir sein wird, zumindest für eine lange Zeit. Wahrscheinlich willst du jetzt noch mehr, dass ich zurück komme, wenigstens um Wills Willen, aber du weißt auch, dass ich nicht einfach gehen kann, ohne mein Bestes gegeben zu haben. Ich muss alles dafür tun, dass es wieder wie früher wird.
Gibst du Will mein kleines Geschenk? Sag ihm, dass es etwas ganz Besonderes ist, genau wie er.
Gebt auf euch Acht.
In Liebe
Bill
Entsetzt las sie den Brief noch einmal und noch einmal. Aber dies bestätigte das ungute Gefühl nur noch. Bill hatte geschrieben, dass dies vielleicht der letzte Brief sein würde, und ihr Gefühl sagte ihr, dass er dies auch war. Leise verfluchte sie ihn, da er trotz dieser Schwierigkeiten nicht zurück kam, aber machte sich auch gleichzeitig große Sorgen um ihn. Wenn er es schon erwähnte, dann gab es auch wirklich einen Grund dafür, sich Sorgen um ihn zu machen, und auch mehrmaliges Lesen konnte ihr nicht verraten, was genau passiert war. Ihr gingen die verschiedensten Möglichkeiten durch den Kopf, eine schlimmer als die Andere.
Sie wurde erst aus ihren Gedanken gerissen, als sie leise Schritte hinter sich hörte. Schnell ließ sie den Brief verschwinden und setzte ein Lächeln auf, um damit ihren Sohn zu begrüßen. "Fröhliche Weihnachten, mein Schatz", flüsterte sie ihm zu und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Die verschlafene Antwort darauf ließ sie etwas schmunzeln, und sie versuchte, die Sorgen zu verdrängen, bevor Will diese bemerken würde. Schließlich sollte er ein schönes Fest haben.
Will konnte es kaum noch erwarten, endlich die Geschenke auspacken zu können, und so setzten sie sich gemeinsam zu dem kleinen Baum. Wie immer durfte er sein Geschenk zuerst öffnen, woraufhin er mit großen Augen auf das kleine hölzerne Pferd starrte, dass sie bereits im Sommer für ihn gekauft hatte, nachdem sich die Apfelernte in der Stadt gut hatte verkaufen können. Vor Freude strahlend klammerte er sich an das Pferd, und dieser Anblick allein machte alles wieder wett. Doch bevor er damit spielen konnte, befreite er noch einen selbstgestrickten Schal aus seiner Verpackung, den er sich sofort um den Hals legte. Sein Blick sagte ihr eindeutig, dass er genau wusste, von wem das Geschenk wirklich kam, und wie sehr er sich auch darüber freute, aber ihrer stillen Abmachung entsprechend verlor er kein Wort des Dankes.
"Und das ist für dich." Nachdem un seine Geschenke ausgepackt waren, drückte er ihr nun das letzte Geschenk unter dem Baum in die Hand. Aufgeregt wartete er ab, was sie dazu sagen würde, wobei sie jetzt schon wusste, dass sie davon begeistert sein würde, egal, was es war. Grinsend ließ sie sich extra viel Zeit beim Auspacken und beobachtete dabei, wie er unruhig mit den Füßen wippte. Sie war natürlich genauso gespannt wie er, da sie überhaupt keine Ahnung hatte, was es war. Im letzten Jahr hatte sie vorher entdeckt, wie er heimlich an einem Bild gearbeitet hatte, aber dieses Jahr hatte er das Geschenk nicht unter seinem Bett versteckt, sondern an einem Ort, wo sie es nicht hatte finden können.
Nachdem sie endlich die Verpackung entfernt hatte, kam ein Tuch zum Vorschein, in das noch etwas eingewickelt war. Vorsichtig schlug sie das Tuch zurück und starrte dann groß auf das kleine Messer darin. Sie konnte sofort sehen, dass es nicht gekauft war, denn dafür hatte es einfach zu viele Dellen und war wohl auch nicht wirklich scharf, aber trotzdem auch wunderschön. Zumindest in ihren Augen, denn er hatte es gemacht.
"Unser Schmied hat geholfen", flüsterte Will leise und unsicher, als sie weiter das Messer betrachtete, ohne ein Wort zu sagen. Er hatte sich oft in die Schmiede geschlichen, um den Schmied bei seiner Arbeit zu beobachten, bis dieser ihn eines Tages entdeckt hatte. Aber er scheuchte ihn nicht wieder fort, womit er eigentlich gerechnet hatte, sondern hatte ihm den einen oder anderen Handgriff gezeigt und ihn auch das machen lassen, was er bereits konnte. Und er war es auch gewesen, der die Idee für dieses Geschenk gehabt hatte.
"Es ist wunderbar", flüsterte Sarah dann endlich und drückte ihren Sohn fest an sich. Das Messer war wirklich eine große Leistung für den kleinen Jungen, und irgendwo in sich drin war sie auch froh, dass er wohl Gefallen an der Schmiedekunst und nicht an der Seefahrt gefunden hatte. Sie wollte ihn nicht auch noch wie seinen Vater an die See verlieren.
Erleichtert hörte sie ihm dann zu, wie er begeistert darüber berichtete, was alles nötig war, um so ein Messer herzustellen. Er hatte schon viel gelernt, und vielleicht würde ihn der Schmied dann später auch bei sich in die Lehre gehen lassen. Sie war davon überzeugt, dass er schlau genug dafür war, einmal ein geschickter Schmied zu werden.
Als er dann alles erzählt hatte, holte sie das Geschenk von Bill hervor und gab es ihm in die Hand. Im ersten Augenblick schien er sich auch darüber zu freuen, bevor dann seine Augen doch immer trauriger wurden. "Das ist von deinem Vater", bestätigte sie seinen Verdacht, der auch bedeutete, dass dieser dieses Jahr wieder nicht zu Weihnachten nach Hause kommen würde. Sie konnte ihm die Enttäuschung ansehen, auch wenn er kein Wort darüber verlor. Wahrscheinlich wollte er auch nicht schon wieder die gleichen Erklärungen dazu hören.
Die kleine Schachtel wurde vorsichtig geöffnet, und Will schaute genauso vorsichtig hinein. Die Enttäuschung in seinen Augen machte der Verwirrung über das Geschenk Platz. Er zögerte noch eine Weile und zog dann eine Kette hervor, an der ein goldenes Medaillon baumelte, was sie beide in Erstaunen versetzte. Es war aus Gold und mit fremden Zeichen verziert und ganz sicher ein sehr außergewöhnliches Geschenk für einen kleinen Jungen.
"Es ist etwas Besonderes, genau wie du", wiederholte Sarah leise die Worte von Bill und beobachtete weiterhin aufmerksam ihren Sohn. Mit gerunzelter Stirn drehte er das Medaillon in seinen Händen und musterte es genau, während er als Antwort nur kurz nickte. Gefiel es ihm etwa nicht? Ahnte er, dass so viel mehr dahinter steckte? Sie hätte zu gern gewusst, was jetzt in seinem Kopf vor sich ging, während ein Teil von ihr schon darüber nachdachte, wie lange sie davon leben konnten, wenn sie es verkauften, und der andere Teil nun wusste, wieviel Will seinem Vater wirklich bedeutete.
"Nun habe ich ihn immer bei mir, bis er wirklich wieder da ist." Vorsichtig hängte sich Will die Kette mit dem Medaillon um den Hals und steckte dieses unter sein Hemd, wo es sicher war. Dann strahlte er seine Mutter an und kuschelte sich bei ihr ein, während sie mit den Tränen kämpfen musste. Sie wusste, dass er seinen Vater sehr vermisste, aber auch gleichzeitig Trost in dem kleinen Geschenk gefunden hatte, das aber auch das letzte Zeichen von Bill sein konnte. Trauer und Freude kämpften in ihr um die Vorherrschaft, und sie drückte Will wieder fest an sich.
Irgendwann konnten sie sich dann wieder voneinander trennen, um ein schönes Frühstück und den ganzen Tag so zu genießen, wie sie es jedes Weihnachten taten.. Wie immer las Sarah jeden Wunsch ihres Sohnes von dessen Augen ab, wozu auch eine Schneeballschlacht gehörte, bis sie beide vollkommen durchgefroren waren. Dann las sie ihm seine Lieblingsgeschichte vor dem Kamin vor und trug ihn dann in sein Bett, nachdem er einfach auf ihrem Schoß eingeschlafen war. Vorsichtig deckte sie ihn richtig zu und beobachtete ihn noch eine Weile, bis sie sich sicher sein konnte, dass er auch wirklich tief schlummerte. Erst dann holte sie den Brief von Bill aus seinem Versteck und lass ihn noch einmal, bevor sie sich eine Feder nahm und zum ersten Mal ebenfalls ein paar Zeilen schieb.
Liebster Bill,
ich hoffe, dieser Brief wird dich erreichen, denn ich habe mich dazu entschlossen, dir von deinem Sohn zu berichten. Er hat sich über dein Geschenk gefreut, und ich habe ihm auch deine Worte übermittelt. Er trägt die Kette nun um den Hals und wird sie wohl auch nie wieder ablegen. Erst an dem Tag, an dem er dich wiedersieht.
Ich bin auch froh, dir berichten zu können, dass er Gefallen am Schmieden gefunden hat. Auch bin ich überzeugt davon, dass unser Schmied ihn in die Lehre nehmen wird. Ja, er wird kein Seemann werden, und verzeih mir, wenn ich mich sehr darüber freue.
Er vermisst dich sehr. Ist dies und diese Bedrohung, von der du geschrieben hast, nicht Grund genug, wieder zurück zu kommen? Nein, ich werde dich nicht bitten, da dies damals schon nichts gebracht hat, aber ich appelliere an dein Herz, denn dein Geschenk hat gezeigt, wie sehr du Will liebst. Er braucht einen Vater. Gerade jetzt, wo er langsam begreift, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, und wie die Welt wirklich ist. Komm zurück, so lange er noch Hoffnung in dich hat.
Ich werde dir nicht für die Münzen danken. Auch wenn wir ohne sie kaum über den Winter kommen würden, und wir so den Frühling erleben werden, so weißt du auch ganz genau, dass es nur eine Sache gibt, für die wir dir dankbar sein würden.
Überlege dir bitte genau, wofür du wirklich kämpfen willst.
Ich mache mir Sorgen.
In Liebe
Sarah
So bald wie möglich schickte sie den Brief auf die Reise und wartete ungeduldig auf eine Antwort, die niemals kam.
Texte: Will und dessen Lebenslauf gehört den Machern von "Fluch der Karibik". Diese Geschichte ist nur für den Lesespaß, und ich mache damit keinen Profit.
Tag der Veröffentlichung: 27.03.2009
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