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EINS

Ich roch seine Angst, die mich immer wieder dazu veranlasste, ihm mein riesiges Maul mit den vielen scharfen Zähnen zu zeigen. Ich bohrte meine großen, schwarzen Klauen so tief in die Erde, dass er darunter beinahe keine Luft mehr bekam. Vorfreude durchströmte mich wie ein Stromschlag und ließ mich leise knurren. Imposant hob ich meine schwarzen, mit Rauchschwaden durchzogenen Flügel. Der Wanderer hatte die Augen weit aufgerissen, seine Hände spürte ich an meinen Klauen. Ich wollte seinen Schmerz spüren! Langsam senkte ich meinen gigantischen Kopf, ließ meinen Schwanz hin und her peitschen und leckte mir mit der Zunge über die Zähne. Der Mann verzerrte das Gesicht als ich meine Klauen aus der Erde zog und ihn mir griff. So viel Angst in einem Menschen. Warum hatten sie solche Angst!? Wissend, dass der Wanderer es nicht sehen konnte, grinste ich genüsslich und holte langsam Luft. In meinem Magen fing es an, warm zu werden bis es schließlich so heiß war wie Lava. Diese Lava kroch meine Kehle hinauf.
Ich hörte die Schreie des Mannes kaum, als das Feuer ihn verzerrte, da ich zu sehr auf das leise Rauschen meines Feueratems fixiert war. Die Lava kühlte sich ab und floss wieder hinab in meine Magengegend und erlosch dort schließlich.
Der Wind trug die Asche aus meinen Klauen fort und zu hören war nur noch mein siegendes Brüllen.

Mit einem Schrei schreckte ich hoch, an meinem Körper klebten die nassen Sachen. Ich bedeckte mein Gesicht mit den Händen. Heiße Tränen liefen mir die Wange hinunter und tropften auf die Bettdecke. Warum ich? Seit drei Wochen immer wieder die gleiche Frage. Sagte mir der Traum meine Zukunft? Wurde ich langsam zu einem Monster? Ich wusste es nicht. Alles was ich wusste war, dass mich dieser Traum langsam innerlich in Fetzen riss und dass es aufhören musste.
Als ich mich beruhigt hatte, schlug ich die Bettdecke beiseite und ging mit zitternden Knien zum Fenster. Hastig schob ich die schweren Vorhänge beiseite, um die ersten Sonnenstrahlen des Tages zu genießen. Der Himmel war frei von lästigen Wolken, es würde ein warmer Sommertag werden.
„Roxy“, die gedämpfte Stimme meiner Mutter Bianka drang durch die Tür.
Als ich nicht sofort antwortete, steckte sie ihren Kopf hinein und erblickte mich vor meinem Schrank.
„Ah gut, du bist schon wach. Ich muss los, Süße. Viel Spaß, wir sehen uns heute Abend“, sie kam zu mir rüber, drückte mir einen Kuss auf die Stirn, sah mich kurz an und ging dann wieder. So viele Wörter auf einmal. Seufzend suchte ich mir ein weites T-Shirt und eine kurze Hose heraus. Dazu kam andere Unterwäsche. Mit diesen Sachen bewaffnet ging ich ins Bad duschen.
Nachdem ich mich völlig fertig gesäubert und geschminkt hatte, trottete ich in die Küche und durchsuchte den Kühlschrank nach etwas Essbarem. Nicht schon wieder. Die Tür fiel leise zu und der Kühlschrank summte weiter. Auf einer Anrichte lagen einige Äpfel, ich nahm mir einen und ging meine Tasche holen.
Während ich in meine Turnschuhe schlüpfte, zog ich mir eine Strickjage an und hievte mir die Tasche um die Schulter.
Die Straße war voll mit hupenden Autos. Ihr seid ja alle so ungeduldig. Menschen konnten einfach nicht warten. Mütter mit lachenden Kindern kamen mir entgegen, Rentner schoben ihren Rolli vor sich, blieben stehen uns schauten sich um. Überall diese Rentner, oh Gott! An sich war Hoyerswerda ganz cool, aber es waren diese verdammten Rentner die störten.
Meine Sinne schärften sich, als ich um die Ecke bog und einem anderen Dracos in die Arme lief.
Stak. Er war zwei Jahre älter als ich und Ratsmitglied in Noctows, Stadt der Drachen. Seine eisblauen Augen musterten mich neugierig. Ein Schaudern lief mir den Rücken runter. „Entschuldige…“, murmelte ich, schaute bewusst nach unten und ging weiter. Ein Kribbeln im Rücken warnte mich, nicht zurück zu blicken. Stak sah mir hinterher. Wenn er ebenfalls bemerkt hatte, dass ich ein Dracos war, dann wäre ich geliefert. Seit gut einem Jahr war ich vom Radar der Dracos verschwunden, nicht das ich etwas angestellt hätte, nein, sie wollten mich. Naja, oder zumindest wollten sie alle neun Mitglieder in Noctows haben.
Verdammt! Was macht er hier? Stak sollte eigentlich in Noctows sein und sich mit den anderen Ratsmitgliedern streiten. Wieso ist er hier? Unbewusst beschleunigte ich meine Schritte. Das Kribbeln im Rücken ließ nicht nach. Folgte er mir? Ohne nachzudenken, blickte ich zurück. Stak stand nicht mehr da, wo er hätte stehen sollen. Er folgte mir tatsächlich. „He, warte!“, rief er. Einige Leute wandten den Blick in unsere Richtung. Was wenn ich jetzt wirklich stehen blieb? Was würde er machen? Ich hatte nicht vor, es herauszufinden und bog in einen Wohnkomplex ein. Viele Straßen, viele Autos und viele Hochhäuser. Als ich um die Ecke war, fing ich an zu rennen. Meine Füße trommelten wild auf den Boden, es hörte sich zu laut in meinen Ohren an. Verdammte Scheiße, noch mal! Stak rief nicht mehr nach mir, und doch wusste ich, dass er mir noch folgte. Das Kribbeln wollte einfach nicht aufhören! Suchend sah ich mich um. Ich brauchte etwas dunkles, ich brauchte Schatten.
Da! Eine alte, verlassene Schule kam mir grade recht. Ohne zu zögernd, kletterte ich über den Zaun und flitzte weiter. Die große Tür war einen Spalt breit geöffnet und ich schlüpfte in die Dunkelheit. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte ich mich an die Finsternis gewöhnt und sah alles gestochen scharf. Eine der Vorteile der Dracos-Familie. Eine dicke Staub- und Dreckschicht bedeckte den Boden und ich musste mich anstrengen, um nicht zu niesen.
Hinter mir hörte ich einen dumpfen Aufprall. Der Junge ist gut. Sehr sogar.
Ich begab mich auf eine der Treppen und nahm zwei Stufen mit einmal. Der Dreck auf dem Boden wirbelte auf und man konnte meine Fußabdrücke sehen. Gerade als ich in eines der Klassenzimmer schlich, wurde unten die Tür aufgerissen. Jemand nieste. Vorsichtshalber hielt ich mir eine Hand vor den Mund, um nicht loszulachen. Es würde nicht lange dauern bis er mich gefunden hatte – Dank der Staub- und Dreckschicht. Vielleicht sollte ich ihm mit der Eisenstange eins überbraten! Nein, schlechte Idee. Mein Blick glitt über den Raum, zum Fenster. Hinter dem Fenster befand sich eine dicke Eiche und ein Ast wuchs so, dass er bis ans Fenster heran reichte. Würde mich der Ast halten? Sicherlich, ich war nicht sonderlich schwer. Da das Fenster noch verglast war, griff ich mir die Eisenstange und schwang sie mit voller Wucht dagegen. Splitter flogen und einige trafen mich, ohne dass ich davon wirklich etwas mitbekam. Das Loch war gerade ausreichend für mich. Bis zum Erdboden waren es vielleicht Zehn Meter. Ich atmete noch einmal tief durch und kletterte auf den Ast, der sich nur minimal verbog. Schnell sprang ich von Ast zu Ast nach unten. Dann rannte ich nach Hause ohne mich noch einmal umzudrehen.

Stak sah sie nur noch über den Zaun klettern und dann war sie verschwunden. „Mist!“, entfuhr es ihm laut. Sie war es. Sie war es auf jeden Fall. Während er zurückging, kreisten die Gedanken wild in seinem Kopf. Als Sie mit ihm zusammengestoßen war, meldeten sich sofort seine Alarmglocken. Zuerst dachte er, wegen der schwarzen Kleidung, es sei eine Gothictante, die er nicht zu beachten brauchte. Sie hatte nicht aufgeblickt, murmelte nur irgendwas und ging an ihm vorbei. Seine Alarmglocken hatten lauter geschrillt. Unter seiner Haut hatte das Blut gekocht und in seinen Fingerspitzen hatte es gekribbelt. Sie war ein Dracos, da war er sich sicher. Dazu kam, dass sie vor ihm weglief. Alles was er zu sehen bekam, war diese dunkelbraune Haarpracht, die ihr bis zur Rückenmitte ging. Während sie vor ihm stand, waren sie braun, doch aus der Entfernung wirkten sie tiefschwarz. Stak wollte der Name dieser jungen Dame nicht einfallen. Der Rat hatte ihnen befohlen, sie zu finden und wieder nach Noctows zu bringen. Wusste sie überhaupt, was sie war? Einer der Alten aus dem Rat, Manos, hatte ihnen beschrieben, wie sie in Drachengestalt aussah. Überall Schwarz.
Schwarze Schuppen mit einem leichten Goldschimmer; schwarze Flügel mit Rauchschwaden. Graue Augen, gefährlich spitze Zähne und um ihren Hals baumelte eine Stahlkette. So hatte man ihnen den Drachen beschrieben. Doch aber nicht sie selbst. Wenn sie gewusst hätten, wie sie in Menschengestalt aussah, hätte das ihre Suche beeinflusst? Ein wenig. Immerhin waren er und Cy, sein Mitbewohner und ebenfalls Dracos, jeden Tag in der Stadt umher geirrt, nur um sie zu finden.
Stak bemerkte erst dann, das er zu Hause war, als er direkt vor der Haustür war und sich wunderte, dass die Tür nicht aufging. Seufzend nahm er seinen Schlüssel aus der Jackentasche und schloss auf, um dann in den fünften Stock zu gehen.
„Hi Stak“, Naomis Stimme glich einem Schnurren. Naomi gehörte die Wohnung, in der Cy und Stak sich für die Suche niedergelassen hatten. Sie war eine gute Freundin von Naria gewesen – der Frau des Anführers der Dracos. Naomi hockte auf der Lehne des Sessels, auf dem Cy saß. Sie hatte schon immer eine Schwäche für ihn gehabt. Für seine schwarzen Haare, die einen Stich blau enthielten; für seine braunen Augen und seinen muskulösen Körperbau. Ein kurzer Stich von Eifersucht ließ ihn kaum merklich zusammenzucken. Er sah Cy ein wenig ähnlich, aber im Gegensatz hatte er dunkelblondes Haar und eisblaue Augen. Und genau den gleichen Körperbau wie Cy. Abwartend sah Cy ihn an. „Ich habe sie gesehen“, sagte er und ließ sich den beiden gegenüber auf die Couch sinken. Er war erschöpft. „Sie ist verdammt flink, ich hatte also kaum eine Chance.“
Enttäuscht fuhr sich Cy durch die Haare. Seit gut einer Woche waren sie schon auf der Jagd nach ihr und bis vor einer halben Stunde hatte auch keiner damit gerechnet, sie hier zu sehen geschweige denn zu finden. „Aber ich habe jetzt eine ungefähre Beschreibung ihrer Menschengestalt“, fuhr er fort. „Hm, wie heißt die Kleine doch gleich?“, fragte Naomi. Gegen den Willen von Stak und Cy, war Naomi eingeweiht worden. Sie brauchten nicht auch noch einen Blutsauger, welcher dem Mädchen hinterher jagte. Stak und Cy waren schon genug. „Roxana, oder so“, antwortete Cy ihr.
„Ich könnte mal bei meiner, hm, Bekanntschaft fragen, ob jemand sie kennt“, schlug Naomi im Plauderton fort. Wäre sie keine Vampirin gewesen, so hätte Stak sie vielleicht gemocht. Aber er hasste Blutsauger, genauso wie Cy und er saß trotzdem bei ihr. Die Eifersucht kehrte zurück. Wieso Eifersucht? Er hasste sie doch, warum war er dann eifersüchtig. Es wunderte ihn überhaupt, das Cy auch nur in der Nähe von ihr saß, denn er hatte nicht wirklich das Händchen für Frauen. Nicht so Stak. Er liebte Frauen. Ihre weichen Körper und ihre sinnliche Stimme. Ihren Glanz.
„Sie ist etwas kleiner als einen Meter siebzig, hat eine verdammte dunkelbraune Mähne, die ihr bis zur Mitte des Rücken geht und naja, eben die grauen Augen“, beschrieb er sie mit einen Blick auf Naomi. Auch wenn er sie nicht mochte, sie kannte sich hier aus und hatte viele Bekannte.
„Ich werde sehen, was ich für euch tun kann“, schnurrte sie, strich mit einem Finger über Cy’s Arm, der sich versteifte, und ging schließlich. Erleichtert seufzte Cy und entspannte sich wieder.
„Ich mag sie nicht“, sagte er und verzog dabei das Gesicht. „Nein? Dann ist dir wohl entgangen, dass sie fast auf deinem Schoß saß“, erwiderte Stak und grinste dabei. Cy ignorierte das und konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche. „Wo hast du sie gesehen?“
„Irgendwo, keine Ahnung. Auf jeden Fall bin ich ihr hinterer gerannt bis zu einer alten Schule. Dort ist sie mir dann entkommen.“
„In einer Schule?“, Cy konnte sich das spöttische Grinsen nicht verkneifen.
„Sie ist aus einem Fenster gesprungen!“
„Oh“, Cy’s Grinsen verblasste und nun zeigte sich Besorgnis. „Wenn wir sie nicht bald finden… Ich habe genug von dieser Stadt. Überall sind alte Menschen und die sondern einen echt ekligen Geruch ab!“
Stak verstand ihn nur zugut und er fragte sich, wie sich diese Roxana wohl daran gewöhnt hatte.


ZWEI

Ohne noch einmal einen Gedanken daran zu verschwenden, die Straßen zu betreten, ließ ich mir ein Bad ein. Das warme Wasser ließ zu, das sich meine verspannten Glieder lösten. Zu groß war die Angst gewesen, von Stak geschnappt zu werden und wieder nach Noctows zu gehen.
Sie würden mich nicht hierlassen. Sie befolgen ja nur ihre Befehle. Ich hasste Noctows. Diese ganzen Gestalten die durch die Stadtgassen schlurften. Die belebten Nachtclubs. Aber am meisten hasste ich die Wächter, Krieger und den Rat. Nichts weiter als aufgeblasene Säcke, die jedem demonstrieren wollen, wie viel Einfluss sie doch haben. Sie war es leid, sich so etwas hinzugeben. Vorallem, da ihre Mutter ganz anderer Ansicht war. Bianka war mal mit einem Dracos verheiratet gewesen – ihrem Vater. Sie hatte mir nur erzählt, dass er nach meiner Geburt verschwunden sei und er sich keinen Kontakt wünschte. Damit hatte ich auch kein Problem, er war eh einer dieser Säcke im Rat und dazu noch Fadhis rechte Hand und bester Freund. Dieser ganze Kram interessierte mich kein bisschen und das würde – das schwor ich mir – auch so bleiben. Keiner wird mich je klein kriegen. Schon gar nicht die Dracos. Selbst wenn ich ihr Blut in mir trug und kurz das Leben als Drache genossen hatte, so hasste ich sie. Scheuten keine Kosten, um ihr Wohl zu verbessern.
Das schrille Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. Lange Zeit ignorierte ich es einfach, doch der Anrufer wollte nicht aufhören, anzurufen. „Ja?“, sagte ich in die Sprechmuschel, nachdem ich mir ein Handtuch um den Körper gewickelt hatte. „Hi, Süße!“, die Stimme meiner Mutter hatte einen komischen Unterton. „Hättest du mich nicht auf meinem Handy anrufen können?“, fragte ich sie genervt. „Entschuldigung, ich wollte nur wissen, ob du heute Abend mit feiern kommst. Keine Ahnung warum, aber unsere Chefin gibt uns allen einen aus.“
Auf die Gefahr hin, geschnappt zu werden? Nein, danke.
„Oh, heute nicht, Mutti. Mir geht’s nicht besonders gut“, log ich ohne einen Gewissensbiss zu spüren. Wir hatten schon lange nichts mehr unternommen. Mutti arbeitete zu viel und ich, nun ja, ich war eben nicht an der Stadt der Drachen interessiert. „Schade, Süße“, erwiderte sie.
„Wir holen das nach, Mutti. Aber heute ist echt nicht mein Tag. Lasst euch alle mal schön ´ne Runde gehen“, ich täuschte einen Husten vor. Sie glaubte es mir. „Okay, dann brauchst du heute auch nicht auf mich zu warten. Es kann entweder spät werden, oder ich übernachte woanders.“
Ich wünschte ihr noch viel Spaß und legte dann auf. Da ich – leider – schon trocken war, beschloss ich, den Rest des Tages faul auf der Couch zu lümmeln.
Spät am Abend klingelte mein Handy. Maja. Eine der wenigen Freunde, die ich mir hier angesammelt hatte. „He, was gibt’s?“, begrüßte ich sie. „Hey, sag mal, kennst du jemanden namens Naomi?“, fragte sie. Im Hintergrund hörte ich Leute lachen und einen Hund bellen. Sie war sicherlich im Park.
„Nein, wieso?“, meine Stimme zitterte leicht. Naomi. Den Namen hatte ich noch nie gehört, aber ich konnte mein Leben darauf verwetten, das es was mit den Dracos zu tun hatte.
„Nun, sie steht bei unserer Gruppe und erkundigt sich nach dir. Als sie gesagt hat, das sie dich sucht, habe ich vorgegeben einen Anruf zu bekommen.“ Die gute Maja.
„Sag ihr bloß nicht wo ich wohne, nicht mal den Hauch einer Andeutung!“ Ich war froh, dass mich außer Maja keiner weiter aus ihrer Gruppe kannte. „Danke Maja, dass du mich angerufen hast.“
Ich hörte das Lächeln aus ihrer Stimme heraus. „Kein Problem, Rox‘. Du weißt, das du dich immer auf mich verlassen kannst.“ Ich dankte ihr im Stillen unendliche male.
„Und Maja? Pass auf dich auf!“, sagte ich, bevor sie auflegte. Ein Schauder lief mir über den Rücken. Sollte ich nach ihr sehen? Hoffentlich passierte Maja nichts. Wenn es wirklich was mit den Dracos zu tun hatte, dann war Naomi nicht menschlich.
Unentschlossen ob ich nachsehen sollte oder nicht, entschied ich mich erst mal, mich anzuziehen.
Um den Abend herum, wurde es kühl, also zog ich mir eine längere, dunkle Jeans an. Dann streifte ich mir einen schwarzen Pulli über und schlüpfte schließlich in Lederjacke und Turnschuhe.
Zögernd nahm ich Handy und Schlüssel vom Küchentisch und verließ das Haus – wieder einmal.

Naomi hatte die Jungs vor wenigen Minuten angerufen und ihnen mitgeteilt, sie sollen sofort in den Park kommen. Stak und Cy schauten sich verwirrt und zugleich neugierig an. „Anscheinend hat deine Naomi doch was rausgefunden“, sagte Stak amüsiert. Cy’s Lippe wurde zu einem schmalen Strich.
Irgendwie schaffte er es immer wieder, Cy auf die Palme zu bringen.
Wenige Minuten waren sie zum Park unterwegs. „Vielleicht sind Vampire doch nicht so lästig, wie wir immer dachten.“ Stak war zwar nicht im Geringsten davon überzeugt, sagte es aber trotzdem.
Cy erwiderte nichts, sondern schaute sich in der Gegend um. „Glaubst du wirklich, sie hat das Mädchen gefunden?“, fragte er schließlich. Stak schüttelte den Kopf, wohl wissend das Cy es nicht sah.
„Nein.“ Er wollte nicht, dass ein Vampir das Mädchen fand, sondern sie. Das war ihre Aufgabe.
„Ich glaube, sie hat nur was Nützliches herausgefunden, was sie uns aber nicht am Telefon sagen wollte.“
Cy schnaubte angewidert. „Sie will uns durch die Gegend schubsen.“
So in etwa, hatte auch Stak gedacht.
Die Spannung wuchs immer weiter, während der Park immer näher kam.
Was mochte Naomi rausgefunden haben? War es wichtig? Sie hofften es.
Als sie schließlich ankamen, nahmen sie den beißenden Geruch von Naomi auf. Irgendwas zwischen Parfüm und Blut. „Das ist widerlich“, sagte Cy leise. Stak stimmte ihm mit einem Brummen zu. Der Park war so schon schwach beleuchtet, doch die Bäume machten ihn noch düsterer. Für Dracos kein Problem, sie waren das gewohnt.
„Ah“, fluchte Stak, als ihm ein Ast ins Gesicht peitschte, den Cy zuvor gehalten hatte um vorbei zu kommen. „Mistkerl!“
Cy lachte und ging weiter. Schon bald sahen sie Naomi. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und blickte auf ein Knäul hinab. Stak und Cy atmeten tief ein und sagten dann einstimmig: „Mensch.“
Ihre schulterlangen Haare hatte Naomi zu einem Pferdeschwanz gebunden, sie trug ein Tanktop eine Hotpants und … Netzstrümpfe. „Typisch Vampir“, säuselte Stak. Sie lächelte die beiden triumphierend an. „Das ist aber nicht…“, setzte Stak an, doch Naomi schnitt ihm das Wort mit einer einzigen Handbewegung ab. „Ich weiß. Aber sie weiß, wo euer Mädchen wohnt.“
Nun blickte Cy hinab zum Menschen, der sich in Embryostellung gebracht hatte. „Was hast du mit ihr gemacht, Naomi?“, entfuhr es ihm. Es war den Dracos ein Widerspruch, den Menschen Leid anzutun.
Aber Naomi war ja kein Dracos, erinnerte er sich. „Sie wollte nicht reden, und da habe ich ein bisschen nachgeholfen.“ Sie zuckte lässig die Schultern. „Du hast gesagt, du hörst dich um. Und nicht, du verprügelst hilflose Menschen!“ Stak stand die Wut ihm Gesicht. „Ich bin nicht an eure Regeln gebunden, Dracos. Das heißt im Klartext, ich kann das machen, was ich will. Nun ja, mit ein paar Ausnahmen, aber ich darf Leute verprügeln.“ Sie ging ein paar Schritte und ließ sich auf eine Bank fallen. Cy hockte sich hin, um den Menschen zu drehen und erblickte zwei dunkel rot leuchtende Punkte an ihrem Hals. „Naomi!“, knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Auch Stak sah nun, was Cy sah. „Wollt ihr euch um das Mädchen kümmern oder wollt ihr nun endlich wissen, wo eurer Mädchen ist!“, Naomi stand auf, kam wieder zu den Jungs und zog das Mädchen am Jackenkragen nach oben. Ein erstickter Laut hallte durch die Nacht. „Lass mich los“, hauchte Maja. Ihre Lunge tat weh, sie fror und ihr war schlecht. Was hatte diese Schlampe mir ihr gemacht? Hatte Rox‘ nicht noch gesagt, sie solle auf sich aufpassen. Aber diese Naomi war so viel stärker.
Cy griff nach Naomis Arm und zerrte sie vom Mädchen weg. „Wir danken dir Naomi, das du jemand ausfindig gemacht hast, aber du kannst jetzt gehen. Wir machen alleine weiter“, sagte er ernst.
„Das könnt ihr vergessen! Ich habe sie gefunden, sie gehört mir“, erwiderte Naomi und trat einen Schritt auf Cy zu. „Naomi, verschwinde!“ Stak gesellte sich zu Cy. Sie warf noch einen letzten Blick auf das Mädchen, fauchte und ging. Erleichterung machte sich breit. Cy drehte sich zu dem Mädchen um, welches nun auf der Bank saß. Sie hatte ihre Knie angezogen und den Kopf darauf gelegt.
Langsam näherte er sich ihr. Majas Blick zuckte kurz zu ihm. Dann wand sie sich wieder ihrem Knie zu und fing an zu zittern. „Hi, ich bin Cy und das“, er zeigte auf Stak, “ ist Stak. Tut uns Leid wegen Naomi, wenn wir gewusst hätten ….“ Cy wusste nicht was sie dann gemacht hätten. Wohlmöglich hätten sie versucht, sie aufzuhalten. „Was wollt ihr von mir?“, fragte sie mit einem unüberhörbaren Zittern. Ihre Angst war zum Greifen nahe. Cy schaute kurz zu Stak, der nickte.
„Wir sind auf der Suche nach deiner Freundin“, antwortete er ihr wahrheitsgemäß. Maja drehte den Kopf von ihnen weg und blickte in das tiefe Dickicht, welches einige Meter entfernt war. Graue Augen. Beinahe hätte sie darüber gelächelt, aber sie besann sich eines Besseren. Roxana würde ihr helfen, das wusste sie. Sie hatte ihr schon so oft aus der Patsche geholfen. Als sie von Betrunkenen angefasst wurde. Roxana hat sie windelweich geschlagen, doch Maja musste ihr versprechen, es niemanden zu sagen. Und Maja hat ihr Versprechen eingehalten. Es gab noch weitere solche Dinge.
Maja blickte wieder zurück zu Cy und Stak. „Welche Freundin?“, hauchte sie scheinheilig. Sie wusste wen sie meinten. „Sie heißt Roxana“, erwiderte Stak. Keiner der beiden schien etwas bemerkt zu haben. Während sie überlegte, ob sie ihnen vertrauen sollte oder nicht, betrachtete sie die beiden näher. Der eine, Stak, hatte dunkelblondes kurzes Haar, welches für sie braun aussah. Durch sein Shirt, was er unter seiner Lederjacke trug, zeichneten sich seine Muskeln ab. Wie auch bei dem anderen. Er hatte schwarze Haare, die wenn Licht darauf fiel, bläulich waren. Der eine hatte eisblaue Augen und der andere braune. Wenn sie entscheiden müsste, sie würde diesen Stak nehmen. „Ich kenne keine Roxana“, log sie. Naja, eine Lüge war es nun auch nicht, denn Roxana wollte von Anfang an Rox‘ oder Roxy genannt werden. Stak kam nun näher. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem Entfernt. Maja konnte sein Aftershave riechen. Oh Gott. Ja, das war er, dachte sie. Ein Gott.
„Kann ich jetzt gehen?“, fragte sie hoffend.
Cy und Stak überlegten. Wir könnten ihr hinterher gehen, sie wird bestimmt Roxana anrufen.
Stak stimmte Cy zu und sie erlaubten Maja zugehen. Diese konnte gar nicht schnell genug abhauen.

Kaum war Maja hinter einen Busch verschwunden, zog ich mein Handy heraus und simste ihr.
Dann machte ich mich auf den Weg. Ich wusste, das mit Maja was nicht stimmte, als ich vor der Haustür gestanden hatte. Und ich hatte Recht behalten. Nun wusste ich allerdings, wie diese Naomi aussah und konnte sie für das, was sie Maja angetan hatte, bestrafen. Außerdem hatte ich ihren Vampirgestank wahrgenommen. Den würde ich nicht mehr so schnell loswerden.
Hoffentlich schafft es Maja bis zur Gartenanlage. Sogar ich selbst wusste, dass es weit war.
Für Maja wahrscheinlich noch weiter, da sie verletzt war. Während ich also zu den Gartenanlagen rannte, fuhren meine Gedanken Achterbahn.
Ich wusste nun, das Stak mit Cy hier war. Ebenfalls im Rat, Sohn von Fadhi und höchster Drachenkrieger. Das konnte ja lustig werden. Ich hoffte inständig, dass sie mich nicht kriegen würden.
Ausgerechnet Cy. Meine Mutter hatte mal von ihm geschwärmt, als sie mir vor neun Monaten vorgeschlagen hat, ihn zu heiraten. Lachend zeigte ich ihr den Vogel und sagte ihr, dass ich weder zurückgehen würde, noch zu einer Zwangsheirat einwilligte. Danach hat sie nie wieder das Thema angeschnitten.
Kalte Tropfen holten mich aus meinem Kopf heraus. Es fing wieder an zu regnen, und zwar heftig.
Öfters trat ich in eine Pfütze, erst recht, als ich den Trampelpfad zu den Gartenanlagen erreichte.
Dieser war verziert mit Schlaglöchern in denen sich jede Menge Wasser sammelte.
Neben mir rauschte ein Güterzug vorbei, einer der Gründe, warum ich Maja gesimst hatte, sie solle hierher kommen. In der Nähe lag ein heruntergekommenes Bahnhofsgebäude. Zur Not konnten wir dorthin gehen, denn ich wusste, das Cy und Stak Maja gefolgt waren.
Kaum war ich angekommen, sah ich Maja den Trampelpfad runterrennen.
Und ehe ich mich versah, lehnte sie sich an mich und ich umarmte sie.
„Ich…“, schluchzte sie. Ich hielt ihr den Mund zu, zog sie durch die gesamte Gartenanlage und rannte schließlich mit ihr im Schatten zum Bahnhofsgebäude.
Maja ließ sich auf ein Brett fallen, legte die Hände vor ihr Gesicht und fing an zu weinen.
„Maja, hej! Sieh mich an“, flüsterte ich sanft und drückte ihre Hände auseinander.
In ihren grasgrünen Augen lag pure Angst. „Es ist vorbei, Süße. Ich bin bei dir, okay. Dir wird nie, niemals wieder so etwas Schreckliches passieren. Das Schwöre ich dir!“
„Ich weiß“, schluchzte sie und suchte meine Nähe. Ich umarmte sie und wiegte sie in meinen Armen, bis sie einschlief.


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Texte: Copyright des erstellten Covers liegt bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 29.11.2011

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