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Sex, Drugs & Feenstaub



Rocko „The Rock“ Sullivan griff nach der Gummi-Saugglocke. Im Klo vor ihm schwammen Tütchen mit bunten Pillen, und die Spülung hatte soeben den Dienst quittiert. Von draußen donnerte es gegen die Tür:
„Mach auf, du verlauster irischer Affe, oder ich nage dir die Knie ab!“
Das war Rockos Kumpel Finn, sein Mitbewohner. Er hatte stets ein Problem damit, wenn Rocko ihren Drogenfundus vernichtete. Beide gehörten zu den schlimmsten Junkies von London: Ob LSD, Koks oder Speed: Sie konsumierten den schrägsten Scheiß – alles, was irgendwie in den Körper hineinging und schlecht für die Leber war. Nur einmal im Monat, wenn das Geld zur Neige ging, bekam Rocko einen lichten Moment. Dann schnappte er sich die letzten Vorräte, rannte aufs Klo und brachte mit dem Gummi-Pömpel Perspektive in ihr Leben.
Wenig später begegnete Rocko irgendeiner neuen Droge, und alles begann von vorn. Aber diesmal war nach Ansicht des Zwei-Meter-Iren alles anders. Und auch wenn er das jedes Mal behauptete: Er hatte Recht. Tief in Rockos Hosentasche befand sich ein Beutelchen aus rotem Samt. Gegen dessen Inhalt war das Zeug in der Kloschüssel Kinderkram.

Alles begann damit, dass Rocko ein walisisches Mütterchen überfiel. Er hatte sie in einer Fußgängerunterführung nahe der U-Bahn getroffen. Mit ihrem Marry-Poppins-Kleid und dem Spitzenhäubchen wirkte sie wie aus einem Märchenbuch. Oder aus einem psychedelischen Schub. Doch Rocko war knapp bei Kasse. Und nachdem sich seine Faust auf ihr Häubchen gesenkt hatte, war es eh egal.
Rocko hatte ein schlichtes Gemüt. Aber seine Hände waren groß wie Bratpfannen, das sicherte ihm in Londons Unterwelt einen guten Posten. Zusammen mit Finn arbeitete er mal als Bordelltürsteher, Drogenkurier oder Leibwächter. Für Jungs wie sie fand sich immer Verwendung.
Die Ausbeute des Überfalls war bescheiden. Doch der Beutel aus Samt appellierte an Rockos Instinkte. Es war prall gefüllt mit glitzerndem Pulver, das der Ire umgehend konsumierte. Er rauchte und schnupfte es. Einen Moment war Rocko versucht, ein Zäpfchen daraus zu machen.
Schließlich warf er den Beutel auf den Couchtisch – und das war die Lösung. Ein kleines Wölkchen stob beim Aufprall hervor. Es glänzte im Licht des Zimmers, und Rocko glaubte, fernes Kichern und das Wogen endloser Wiesen zu hören. Eine winzige Menge Pulver berührte seine Haut, danach gab es kein Zurück mehr: Rocko war auf Feenstaub.
Plötzlich gab der Abfluss ein saugendes Schmatzen von sich. Mit schäumendem Wirbel verschluckte das Klo die Tütchen mit den chemischen Träumen. Auch Finn hatte das Geräusch gehört. Vor der Tür herrschte schockierte Stille. Für Rocko gab es nun nur noch eines: Er riss die Klotür auf, rannte durch das Appartement zum Balkon und sprang. Warme Sommerluft strömte an ihm vorbei. Sein Blick reichte über die Docklands, die Dächer von Newham und das glitzernde Band der Themse. Rocko lächelte.
Finn indes starrte ihm verdattert hinterher. Er hatte seinen Kumpel nie für eine große Leuchte gehalten. Sich einfach vom Balkon zu werfen, stützte diese These. Doch als Finn einen zugedröhnten Iren mitten in der Luft schweben sah, dämmerte ihm, dass diesmal tatsächlich etwas anders war. Dieser Augenblick bildete einen Wendepunkt in Rockos und Finns Leben. Als Erstes raubten sie die Bank von England aus. Anschließend flogen sie zu den käuflichen Damen von King’s Cross, um ein paar Kunststücke zu probieren.
In den folgenden Wochen beschleunigte sich ihre Karriere. Denn kaum ein Sicherheitssystem war auf fliegende Junkies ausgelegt. Den Zenit ihres Erfolgs erreichten beide, als sie beschlossen, Teile des Beutelinhalts zu verscherbeln: Schließlich zahlten Leute Unsummen für Dinge, die ihre Wahrnehmung veränderten. Um wirklich fliegen zu können, gaben sie ihr letztes Hemd.
Alles schien perfekt. Bis eines Tages plötzlich das walisische Mütterlein vor der Tür stand – in Begleitung einiger dezent gekleideter Herren in teuren Anzügen. An ihren Schuhen glänzten goldene Spangen und neben ihren korrekt gescheitelten Haaren ragten spitze Ohren auf. Die Maschinengewehre wiesen jedoch darauf hin, dass man besser nicht an ihren Humor appellierte. Vermutlich verbrachten diese Herren wenig Zeit damit, kichernd von Blüte zu Blüte zu hopsen und lustige Lieder zu singen.
Als Strafe für ihre Einmischung wurden Rocko und Finn zu Arbeitsdienst auf den Feenstaubfeldern Kolumbiens verdonnert. Diese gehörten zu den bestgehüteten Geheimnissen der Welt. Schon allein aus Scham. Denn die amerikanische Luftwaffe hatte mehrmals versucht, die Ernte zu vernichten. Doch Plantagenarbeiter, die fliegen konnten, waren auch für Piloten ein Problem.
In erbarmungsloser Hitze schufteten Rocko und Finn, bis sie schier zusammenbrachen. Aber zumindest Rocko fand es mit der Zeit gar nicht so übel. Klar, die Feen hatten ihnen ordentlich die Leviten gelesen. Trotzdem gaben die beiden Gangster nicht auf. Die Nachfrage nach Feenstaub war gewaltig und weil es nicht so viele Feen auf der Welt gab, wuchs ihnen das Geschäft langsam über den Kopf. Wenn sich Rocko und Finn ins Zeug legten, würden sie in ein oder zwei Jahren vielleicht zu Assistenz-Hilfsfeen ehrenhalber ernannt werden. Falls nicht konnten sie immer noch zur Konkurrenz überlaufen: Denn im traumverhangenen Zwielicht der Opiumhöhlen war auch das Sandmännchen groß im Kommen.

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Tag der Veröffentlichung: 08.10.2011

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