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Broken Mirrors - Ich will dich ganz

Es ist viel einfacher jung und naiv zu sein. Vielleicht zu einfach. Die Jugend gibt uns die Leichtigkeit, Grenzen zu überschreiten, weil man nicht einsehen will, wozu sie da sind: Um Halt zu geben und um Strukturen zu schaffen. Doch wenn man jung ist, zählt das nicht. Man genießt die Freiheit, wenn man etwas Dummes tut. Genießt diese naiven Kleinmädchenträume, die Welten erschaffen, in denen man am liebsten versinken würde. Welten, die man für real hält, solange bis eine Veränderung kommt, die alles naive, alles träumerische aus deinem Leben wischt und nur noch eines zurück lässt: Realität. Kalte, wahre Realität.

 

 

In seiner Torheit glaubt man daran, dass diese Veränderung niemals eintreffen würde, dass das Leben, das man als Jugendlicher führt, immer der gleichen Freiheit und den gleichen Träumen gewidmet sei. Aber das ist eine Lüge, die ich gerade am eigenen Leib erfuhr und die mir die größte Veränderung meines Lebens brachte.

 

 

Ich war nie der Träumer gewesen, ich war der Realist. Der Pessimist, der seine Nase lieber in Bücher über Stochastik, physikalische Bewegungsursachen und Wirtschaftskrisen vergrub. Und vielleicht wäre ich nie mit der Welt der Träume in Verbindung gekommen, wäre da nicht meine Schwester gewesen. Sie und ich waren Zwillinge. Zweieiige, um genau zu sein – vielleicht war das der Grund, warum wir so unterschiedlich waren. Sie war so hell, wie das Licht. Hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, war so voller Leben und riss mich immer wieder in ihre Abenteuer mit. Wir waren so unterschiedlich, wie Sonne und Mond, wie Tag und Nacht. Aber vielleicht waren es gerade diese Unterschiede, die unsere Verbindung zueinander nur noch verstärkte. Sie hatte den Kopf in den Wolken und träumte von der wahren Liebe, während ich sie immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück holen wollte. Aber selbst dann hatte sie immer nur ein Lächeln für mich. Dieses sanfte, liebevolle Lächeln, dass es nur für mich gab. Sie gab mir immer das Gefühl, etwas ganz besonderes zu sein, selbst dann, als unsere komplette Welt zerstört wurde.

 

 

Unsere Eltern verloren ihr Leben bei einem Flugzeugabsturz. Mitten über den Atlantik verlor das Flugzeug immer weiter an Höhe, bis es schließlich in den Tiefen des Meeres versank. Es war eine schwere Zeit – aber wir hatten uns. Wir kamen zu unserer Großmutter nach New Jersey. Sie war verbittert und kalt, denn sie hatte unserer Mutter nie verziehen, dass sie mit 16 schwanger wurde und dann auch noch von einem durchschnittlichen Basketballspieler, der es nie in die NBA schaffen würde. Sie beide gingen in Streit auseinander und über 16 Jahre herrschte kein Kontakt, bis zu diesem einen Tag. Ich kann mich noch erinnern, wie kalt ihre Augen uns angesehen haben. Wie distanziert sie war – ich sah es gleich im ersten Augenblick. Sie war eine Realistin, wie ich. Sie brauchte strenge Regeln, klar definierte Grenzen, die ihrem Leben Struktur und Halt gaben. Und obwohl wir uns kaum kannten, schloss ich sie gleich ins Herz. Es war jedoch Lauras Wesen, dass unsere Granny veränderte. Es waren kleine Veränderungen, aber sie wurde offener, liebevoller und irgendwann eine richtige Großmutter, die auf uns beide stolz war.

 

 

Obwohl unsere Eltern tot waren, hatten wir durch sie dennoch eine schöne Kindheit, aber Pessimist, der ich war, glaubte ich daran, dass sie auch dieses Glück ändern würde. Doch es hielt. Meine Schwester lernte einen Mann kennen, der all ihre Träume wahr machte. Hatte ich bis zu dem Zeitpunkt nicht daran geglaubt, dass es wahre Liebe geben könnte, belehrte mich Laura doch eines besseren. Ich freute mich jeden Tag für sie, es mit ihr auf unsere Weise teilen zu können, war etwas ganz besonderes. Ich kann mich nur zu genau an der Augenblick erinnern, als sie mir mitteilte, dass sie schwanger war. Wie sehr sie sich auf das Kind freute, wie ihre Augen vor Glück blitzten. Es ein ein ganz besonderer Moment. Und obwohl sie erst 20 war, hatte sie keine Angst. Sie wusste, dass alles gut werden würde und ich hoffte es so sehr für sie. Doch es kam anders.

 

 

Es stürmte in der Nacht, die unser Leben für immer veränderte. Die kleine Maddy, Lauras Kind war bei mir und Grandma. Laura hatte uns gebeten, auf sie aufzupassen, weil sie mit ihrem Mann einen schönen Abend verbringen wollte. Scherzend hatten wir uns von ihnen verabschiedet, ehe ich mir Maddy schnappte und ihr eine Geschichte nach der anderen vorlas. Sie war ein wunderschönes Kind und genau wie Laura schien sie schon jetzt so unglaublich lebendig und so lebensfroh zu sein. Ich hielt Maddy die ganze Nacht im Arm, wollte nicht, dass sie Angst bekam, wenn es donnerte und blitzte. Ich musste eingedöst sein, denn ein besonders lauter Donnerschlag weckte mich erneut. Als hätte ich einen Albtraum gehabt, raste mein Herz und ich atmete keuchend. Nur wenige Sekunden später fing Maddy an zu weinen. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, bei dem ich die Veränderung in mir wahrnahm – es war als fehlte plötzlich ein Teil von mir, aber ich realisierte nicht, welcher es sein könnte.

 

 

Und jetzt stand ich hier. An Lauras Grab. In der Nacht damals war sie gestorben. Ein LKW – Fahrer war am Steuer eingeschlafen und hatte den Lenker umgerissen, so dass das riesige Fahrzeug frontal auf den Wagen traf, in dem sie und ihr Ehemann saßen. Sie waren sofort tot, jede Hilfe kam zu spät. Wie kalt diese schlichte Formulierung der Tatsache klang. Fast so, als wäre ich ein neutraler Beobachter, als wäre mein Inneres nicht voller Splitter, die sich unaufhaltsam immer tiefer in mein Herz bohrten. Sie zu verlieren – Laura zu verlieren, war, als wäre ein Teil von mir gestorben. Ein leises Glucksen ertönte aus dem Kinderwagen. Maddy regte sich und schlug ihre wunderschönen, blauen Augen auf. Im gleichen Moment durchbrach die Sonne die dicke, graue Wolkenschicht, die schon seit Tagen über der Stadt lag. Ihre Strahlen schienen in mein Gesicht und ich schloss die Wagen. Als hätte Laura uns ein wenig Glück schicken wollte. Leise lachte Maddy auf und gab ein brabbelndes Geräusch von sich, dass mir ein Lächeln entlockte. Als hätte ich Laura vor mir. Ein Gefühl des Glücks vermischte sich mit dem Gefühl der Trauer, das tief und eiskalt klammernd in meinem Inneren saß.

 

 

Melancholie erfüllte mich, aber gleichzeitig wuchs die Liebe zu diesem kleinen Mädchen an. Für Maddy würde ich anfangen zu träumen. Für sie würde Laura in mir weiter leben. Das schwor ich mir.

~ New Jersey, 4 Jahre später ~

 Maddy kicherte vergnügt und patschte mit ihrer Hand in den Fingerfarben herum, ehe sie mir damit über die Nase fuhr.

 

„Hey“, empörte ich mich lachend und versuchte den roten Tupfer wegzuwischen, verteilte die Farbe aber nur in meinem Gesicht. „Nicht anmalen.“

 

Maddy kicherte vergnügt. „Onkel Kiri ist ein Clown. Ein sehr hübscher Clown!“

 

Wie zur Bekräftigung versuchte sie erneut, mir mit der Farbe über das Gesicht zu wischen, aber ich wisch zurück. Schmollend sah sie mich an.

 

„Onkel Kiri soll ein Clown sein“, bekräftigend langte sie nochmal in die rote Fingerfarbe.

 

„Aber ich muss doch gleich zur Arbeit“, versuchte ich sie milde zu stimmen, aber dadurch versuchte sie nur noch mehr Farbe in meinem Gesicht zu verteilen.

 

„Dann brauchst du doch ganz viel Farbe“, meinte sie altklug und lächelte. „Die ganzen grauen Männer wollen sicher auch mal einen Clown sehen.“

 

Ich kicherte bei der Vorstellung, dass ich als putzender Clown durch die Gänge marschierte. Ich wette, Mr. Middlebrook, der dortige Sicherheitschef wäre sehr begeistert.

 

„Das geht nicht, meine Süße“, wieder schmollte sie, als ich mit einem nassen Tuch ihre Fingerchen sauber wischte. „Heute kann ich nicht als Clown dahin. Der große Chef ist da und da soll Onkel Kiri doch einen guten Eindruck machen.“

 

Überlegend runzelte Maddy die Stirn, ehe sie mich angrinste.

 

„Na gut“, meinte sie dann. „Aber wenn du Zuhause bist, spielst du wieder mit mir.“

 

„Einverstanden, meine Kleine.“

 

Mit Schwung hob ich sie aus dem Kinderstuhl und drehte uns im Kreis. Maddy quietschte vergnügt und klatschte in ihre Hand. Sie war so ein süßes Kind.

 

„Was ist denn hier los?“

 

Ich stoppte abrupt und wir sahen zur Küchentür, in der Grandma stand.

 

„Granny...!“, Maddy strahlte und wollte runter gelassen werden. Sanft stellte ich sie auf ihre winzige Füße, kaum, dass sie stand, rannte sie zu Granny und versuchte, sie zu umarmen. Es war ein unglaublich friedliches Bild, die beiden so vertraut zu sehen. Es hatte fast etwas Anheimelndes.

 

„Geh doch schon mal hoch und such dir ein Buch raus, dass ich dir dann vorlesen kann“, meinte Grandma sanft .

 

„Auja...!“ Und schon war Maddy im Flur. Wie ein kleiner Wirbelwind.

 

Leise räumte ich die Fingerfarben auf, suchte nach einem Verschlussdeckel, der unter den Tisch gefallen war. Mit einer schnell Bewegung hob ich ihn auf, ehe ich alle Farben fertig verschloss und sie zurück ins Regal räumte.

 

„Es kam schon wieder ein Brief vom Jugendamt“, flüsterte Grandma hinter mir. Müde schloss ich meine Augen und stützte mich am Regal ab.

 

„Was steht diesmal darin?“, fragte ich ebenso leise zurück. Ich kannte die Antwort schon und ich wusste, dass mir nur noch wenig Zeit blieb.

 

„Wenn sich unsere Lebensumstände nicht ändern, sehen sie keine Chance, dass Maddy bei uns bleiben kann.“

 

Meine Hände bildeten Fäuste, spürte, wie sich meine kurzen Fingernägel in die Haut gruben. Der Schmerz half, um mein Inneres zu beruhigen, dass vollkommen aufgelöst war. Ich musste vernünftig bleiben. Nur so konnte ich eine Lösung finden.

 

Mit einem – hoffentlich – beruhigenden Lächeln wandte ich mich Grandma zu. Sanft fuhr ich ihr über die faltige, aber weiche Wange.

 

„Ich werde eine Lösung finden“, flüsterte ich und hoffte, dass ich überzeugend klang. „Maddy bleibt bei uns.“

 

Granny nickte nur und wandte sich dann den Treppen zu, um Maddy nach oben zu folgen. Für viele mochte ihr Verhalten kalt und distanziert wirken, aber ich kannte sie besser. Das war ihre Art, ihre Gefühle zu verstecken. Niemand sollte sehen, wie es ihr wirklich ging. Leider hatte ich das nicht von ihr geerbt. Laura hatte immer gesagt, dass man mir die Gefühle vom Gesicht ablesen konnte. Laura... Die Erinnerung an sie schmerzte noch immer und das obwohl es schon so lange her war. Manchmal wünschte ich mir so sehr, dass sie hier wäre. Bei mir, um mich mit einem Lächeln zu unterstützen. Ich hatte Angst, riesige Angst davor, das Falsche zu tun. Ich wischte mir über die Augen und atmete tief durch. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich gehen zu lassen.

 

 

Ich schnappte mir einen Waschlappen und wusch mir schnell das Gesicht, ehe ich nach meinem Autoschlüssel griff. Zusammen mit meinem Rucksack stieg ich ein und fuhr Richtung New York. Vielleicht würde mir auf Arbeit etwas einfallen. Neben meinem Studium im Bereich Wirtschaftswissenschaft versuchte ich unseren Lebensunterhalt mit Nebenjobs aufzustocken, das hieß, dass ich montags, mittwochs und donnertags bei einem Pizzadienst half, die bestellten Gerichte auszuliefern. Dienstags und freitags fuhr ich nach New York und putzte dort die Büroräume der SilverStone-Holding. Einem Unternehmen, dass durch seine geniale Mikrochiptechnik weltweit bekannt war. Ich wurde gut bezahlt und das war alles, was zählte.

 

 

Die Fahrt nach New York dauerte meist exakt eine Stunde und fünfundvierzig Minuten. Es war der reine Nervenkitzel für mich, denn ich hasste Auto fahren. Vielleicht wegen Lauras Unfall, vielleicht, weil ich Angst hatte. Auf jeden Fall war ich froh, als sich endlich das Gebäude der SilverStone – Holding vor mir aufbaute. Was danach folgte, machte ich schon beinahe automatisch. Ich putzte hier schon zwei Jahre – es war in dem Sinne keine Herausforderung für mich und da ich sicher war, dass sich niemand mehr im Gebäude befand, schaltete ich meinen MP3 – Player an. Einfach um ein wenig abzuschalten und die Gedanken, an die Zukunft zu verdrängen. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, wie ich das alles schaffen sollte. Meine Grandma versuchte, mich zu unterstützen, aber ich war Maddys Vormund. Ich war ein mittelloser Student im vierten Semester. Das Jugendamt hatte schon recht, dass ich Maddy nicht das bieten konnte, was ein kleines Kind verdient, aber ich konnte und wollte nicht, dass sie zu fremden Leuten kommt, die sie nie so lieben konnten, wie ich. Sie brauchte doch ihre Familie. Wer sonst sollte ihr von Laura erzählen? Ihr beibringen, dass Träume eben doch Wirklichkeit werden konnten, wenn man nur stark genug daran glaubte? Ich saß in einer absoluten Sackgasse, wusste weder ein, noch aus. Wenn nicht noch irgendwas passieren würde, hatte ich keine Lösung, die auch nur ansatzweise hilfreich war.

 

 

Aber jetzt darüber nachzudenken, brachte mich auch nicht weiter. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich mich wieder darauf zu konzentrieren, was ich hier eigentlich tat. Mit langen Schritten näherte ich mich dem großen Konferenzsaal, bei dem ich immer mit meiner Putzorgie begann. Hätte ich meine Kopfhörer nicht aufgehabt, hätte ich vielleicht die laute Stimme gehört, so aber riss ich schwungvoll die Tür auf und wollte voller Tatendrang in den Raum vordringen, als ich völlig abrupt auf der Schwelle stehen blieb. 48 Augenpaare waren auf mich gerichtet, der Konferenzsaal war bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Ich war vollkommen erstarrt und spürte, wie ich rot anlief. Verdammt, immer passierte mir sowas!

 

 

Langsam griff ich nach meinem Ohrstöpsel und zog ihn raus, um wenigstens etwas zu hören, aber das hätte ich mir auch sparen können, denn in dem Raum war es mucksmäuschenstill. Man hätte eine Nadel fallen lassen können, so leise war es.

 

„Tut mir leid...“, flüsterte ich leise und senkte meinen Blick.

 

Das war mir unsagbar peinlich und ich versuchte, möglichst schnell rückwärts aus dem Saal zu verschwinden, was jedoch nur dazu führte, dass ich heftig gegen den Türrahmen stieß. Zischend hielt ich meine Stirn, die ich mir angestoßen hatte – immer, wenn man davon ausging, dass es nicht schlimmer werden konnte, wurde es wieder übertroffen. Ein durchdringendes Räuspern durchbrach die Stille. Kurz schloss ich die Augen, ehe ich mich mit einem unverbindlichen Lächeln umwandte.

 

„Kommen Sie doch bitte einmal her“, die dunkle Stimme des Mannes erfüllte den Raum. Es war ein Charisma in ihr, eine Anziehung, der ich mich nur schwer entziehen konnte. Mein Mund wurde staubtrocken und ein riesiger Kloß bildete sie in meinem Hals. Ich war zu keiner verbalen Antwort fähig, konnte nur nicken. Ich spürte, dass meine Hände ein wenig zitterten, als ich mich langsam auf ihn zu bewegte. Ich verkrampfte meine Hände in den Stoff meines überweiten Pullovers, um ja zu verbergen, wie nervös er mich machte. Vor ihm blieb ich stehen und kam mir dabei ziemlich unwohl vor. Es war nicht richtig, auf ihn herab zu starren, besonders nicht, wenn er mich mit diesen dunklen, unnachgiebigen Augen musterte – vor mir saß Gabriel Stone, CEO der SilverStone – Holdings. Und somit mein Chef.

 

„Ihr Name“, schnarrte er.

 

Ich erzitterte, obgleich der Kälte und Dominanz in seiner Stimme, die irgend etwas in mir ansprach. Etwas, was ich in diesem Moment nicht wirklich fassen konnte.

 

„Kieran Mitchell, Sir“, meine Stimme war beinahe ein Flüstern, aus Angst, dass sie versagen würde. Doch Mr. Stone nickte nur und winkte mich näher zu sich.

 

„Werfen Sie mal einen Blick darauf und sagen Sie mir dann, was Sie davon halten“, befahl er mir beinahe, auch wenn sein Ton eher sanft war, konnte ich die Dominanz dahinter doch beinahe körperlich spüren.

 

Mit seiner rechten Hand schob er mir einen Stapel Papier zu. Auf den ersten Blick sah ich nur ein Gebilde, das wahrscheinlich ein Diagramm darstellen sollte, nur leider hatte der Ersteller die Achsenbeschriftungen vertauscht, wodurch der Graph deshalb einen stärkeren Anstieg zeigte, als er eigentlich sollte. Mit einem kurzen Blick auf Action- und Subtitle des Diagramms vergewisserte ich mich, dass ich die richtigen Schlüsse gezogen hatte. Das Gebilde sollte eigentlich ein Customer-Relationship Management darstellen, scheinbar zu einem neuen Mikrochip, der in den nächsten Tagen wohl auf dem Markt erscheinen sollte. Dass es Abweichungen vom Idealfall gab, war absoluter Normalfall, aber hier wurde über Tricks der Graph regelrecht an den Idealfall angepasst. Für ein ungeübtes Augen kaum erkennbar, aber dadurch, dass unser Dozent diese Thematik an mindestens hundert Beispielen durch gegangen war, fielen mir die Sabotagen sofort ins Auge.

 

„Nun?“, erneut erklang Stones dunkle Stimme und riss mich damit aus meinen Überlegungen.

 

Nervös schluckte ich und hob meinen Blick. Alles beobachteten mich, schnell senkte ich den Blick wieder.

 

„Das Gebilde soll ein CRM darstellen, zu einem Mikrochip, den Sie wohl bald auf den Markt bringen wollen“, flüsterte ich. Dennoch laut genug, dass mich Mr. Stone hören konnte.

 

Ein belustigtes Schnauben erklang, ich wandte ihn meinem Blick zu. Seine Miene blieb eiskalt, fast unberührt.

 

„Nun, das ist offensichtlich. Ich will wissen, ob sie das auch so beurteilen würden, Mr. Mitchell.“

 

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Ich wusste nicht, was genau er von mir wollte. Rein technisch wusste ich es schon: Er wollte eine Analyse des Diagramms. Aber vielmehr stellte ich mir die Frage, weshalb er das ausgerechnet mich fragte. Hier saßen mit Sicherheit einige Experten auf dem Gebiet, die weit mehr Erfahrungen hatten, als ich. Wollte er mich bloßstellen? Mich testen? Und selbst wenn, woher sollte er wissen, dass ich diese Richtung studierte?

 

„Mr. Mitchell?“, seine Stimme klang ungeduldig und wieder musste ich schlucken. Die ganze Situation überforderte mich gerade ein wenig. Mit Mühe riss ich mich zusammen. Im weiteren Sinne saß hier mein Chef vor mir, also würde ich versuchen, mein Bestes zu geben. Und wer weiß, vielleicht war es sogar eine Chance, mich zu beweisen.

 

„Nun, wie Ihnen sicher aufgefallen ist...“ Ich räusperte mich kurz, ehe ich fortfuhr. „Ist erkennbar, dass der Ersteller das Diagramm durch einige Tricks dem Idealfall angepasst hat. Es ist üblicher, dass es mehrere Abweichungen gibt. Besonders in Hinsicht darauf, dass das Produkt, um das es sich handelt, ein Mikrochip ist. Ein CRM für solch ein Produkt zu erstellen, ist daher im eigentlichen Sinne sinnfrei, da ein solches Diagramm eigentlich nur für Marketingzwecke erstellt wird und ein Mikrochip ist eben eher ein Produkt, das so nicht frei auf dem Markt zu erhalten ist. Alles in allem ist es eigentlich nicht zu gebrauchen.“

 

Ich hörte ein scharfes Einziehen von Luft und senkte meinen Blick noch mehr. Ich wette, dass ich gerade dem ein oder anderem Experten auf die Füße getreten war, der das Diagramm als besonders hilfreich angesehen hatte. Ein dunkles Glucksen ertönte neben mir. Mr. Stone schüttelte den Kopf, ehe er nach dem Papier griff, dass ich in den Händen hielt. Kurz berührten sich unsere Fingerspitzen. Ein elektrischer Schlag durchfuhr mich und ich hielt die Luft an. Mr. Stones Miene blieb neutral, nur in seinem Blick flackerte kurz etwas auf. Was geschah hier mit mir? War das hier überhaupt real? Mit dunklem Blick zerriss er das Papier und stand dann auf.

 

„Sorgen Sie dafür, dass die Aufgabe richtig erledigt wird“, sagte er an sein Team gewandt. Ich spürte, wie er seine kräftige Hand auf meinen Rücken legte und mich sanft zur Tür dirigierte.

 

„Ich würde gerne noch etwas mit Ihnen besprechen, Mr. Mitchell“, erklärte er mir auf dem Weg. Ich konnte nur nicken. Zu aufgewühlt war mein Inneres, zu verwirrt meine Gedanken.

 

In meinen Gedanken herrschte nur ein Gedanke: War das real? Oder lag ich noch im Bett und träumte? Wenn das hier wirklich ein Traum war, hatte mein Gehirn wirklich schräge Gedankengänge. Wir gingen um meinen Putzwagen herum, der dekorativ in der Türschwelle stand. Aber auch daran verschwendete ich im Augenblick keinen Gedanken. Viel zu suspekt war dieser Augenblick gerade, als dass ich mich auch nur irgendwie auf etwas anderes konzentrieren könnte. Leicht wandte ich meinen Kopf, um Mr. Stone besser betrachten zu können. Er lief in geschmeidigen, athletischen Schritten neben mir und ich kam nicht umhin zu sehen, wie sich seine Muskeln spielend unter dem schimmernden Stoff seines Anzugs bewegten. Mr. Stone – Gabriel – war groß. Er überragte mich sicher um zwei Köpfe und auch vom Aussehen unterschieden wir uns. Während ich eher zierlich klein und blond war, wirkte er, als könnte er die Welt einreißen. Im ersten Moment sah man sicher nicht den eiskalten Geschäftsmann in ihm, sondern vielmehr einen Mann, den nichts so leicht umhauen würde. Seine Statur erinnerte mich eher an einen Felsen, genauso groß und überragend wirkte Gabriel auf mich. Doch sah man genauer hin, nahm man die kühle Distanz und die starke Dominanz wahr, die er so untrüglich ausstrahlte. Dieser Gedanke bereitete mir Gänsehaut – Was konnte jemand, wie er von mir wollen?

 

 

Langsam näherten wir uns der großen, dunklen Tür, die scheinbar zu seinem Büro führte. Schwungvoll wurde die Tür geöffnet und ich trat zögernd ein. Mit langen Schritten nagm Mr. Stone hinter dem Schreibtisch platz. Mit einer eleganten Handbewegung wies er auf einen Stuhl.

 

„Nehmen Sie doch bitte Platz, Mr. Mitchell. Das hier wird wohl etwas länger dauern.“

 

Ich nickte nur und fragte mich unwillkürlich, was genau das hier sein würde. Leicht schluckte ich, ehe ich mich langsam auf den dunklen Stuhl sinken ließ. Dankbar, dass die Tischplatte lang genug war, um meine Hände darunter zu verstecken, ließ ich meine Hände sinken und fing an, sie zu kneten. Ich war verdammt nervös und ich wusste nicht, warum. Innerlich versuchte ich mich zu beruhigen. Vielleicht malte ich mir hier einfach irgendeinen Stuss zusammen, mit Sicherheit würde das hier nur ein normales Chef-Mitarbeiter-Gespräch werden. Aber ein dumpfes, nervöses Gefühl in mir versuchte mich vom Gegenteil zu überzeugen. Mr. Stone legte seine Hände auf den Tisch. Tief sah er mir in die Augen und ich spürte, wie mir ein Schauer den Rücken hinunter lief. Was passierte hier nur mit mir – noch nie hatte ich so ein Gefühlschaos tief in mir verspürte, wie in seiner Gegenwart. All meine Probleme, all meine Schwierigkeiten, auf die ich doch keine Lösung fand, rückten in meinem Bewusstsein ganz nach hinten. Nur dieser Moment zählte gerade. Leicht schüttelte ich den Kopf, hatte auf eigenartige Weise das Gefühl, dass mich seine Nähe gleichzeitig durcheinander brachte und vervollkommnete. Ich musste mich zusammen reißen.

 

„Nun, Mr. Mitchell“, fing er leise an. Das dunkle Timbre seiner Stimme wurde durch den leisen Ton zu einem Raunen. Ich bekam unwillkürlich eine Gänsehaut. „Sie fragen sich sicher, was das hier soll.“

 

Ich nickte nur, eine verbale Antwort traute ich mir nicht zu, da ich plötzlich einen dicken Kloß in meiner Kehle spürte. Ich hatte das Gefühl, dass mir die Enthüllungen gleich nicht gerade gefallen werden.

 

„Gut. Ich habe Sie beobachten und durchleuchten lassen“, meinte Gabriel – es fiel mir schwer jetzt noch von ihm, als Mr. Stone zu denken – in einem lässigen Ton, als wäre das etwas alltägliches.

 

„Warum?“, krächzte ich.

 

Das alles erschien mir so verdammt unwahr, so unrealistisch. Ich hatte das seltsame Gefühl, gerade in einer Parallelwelt gefangen zu sein, in der meine Seele nur ein neutraler Beobachter war. Gabriel schmunzelte, aber die Kälte in seinen Augen wich dadurch nicht einen Zentimeter zurück, viel mehr schien es, als würde der Ausdruck in ihnen noch weiter an Temperatur abnehmen.

 

„Nun ganz einfach“, Gabriels Stimme war leise, deshalb aber nicht weniger dominant. Unwillkürlich war ich fasziniert. „Jeder, der in meiner Firma angestellt wird, landet vorher auf meinen Tisch. Mit Akte und Foto. Und sagen wir es so: Ich war fasziniert, als ich dein Bild auf den Tisch bekam. Ich wollte dich sofort. Als mein Spielzeug.“

 

Ich schluckte. Hatte ich gerade richtig gehört? Er wollte mich als Spielzeug? Als willenloses Wesen, dass ihm ständig zu Diensten zu sein hatte? Er musste meinen schockierten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn wieder schmunzelte er.

 

„Das, was vielleicht zwischen uns sein wird, beruht auf freiwilliger Basis. Ich werde dich zu nichts zwingen, so lange du immer ehrlich zu mir bist“, sein rauer Tonfall wirkte beruhigend. Langsam kam ich ein wenig zur Ruhe, meine verwirrten Gedanken jedoch kamen nicht zum Stillstand.

 

„Und was hätte ich davon?“, krächzte ich. Eine Stimme in meinen Gedanken schrie mich an, versuchte mich von der Vernunft zu überzeugen. Aber diese gesamte Situation war so grotesk, dass ich selbst auch kaum noch zu einem vernünftigen Gedanken fähig war.

 

„Nun, wie mir mitgeteilt wurde, hast du derzeit gewisse private Probleme. Solltest du dich entscheiden, mir zu gehören, werden ich dafür sorgen, dass die kleine Maddy bei euch bleiben kann.“

 

Ich spürte, wie ein hysterisches Lachen in meiner Kehle hinauf steigen wollte, um es zu unterdrücken, verkrampfte ich meine Hände zu Fäusten. Grub meine Nägel regelrecht in mein empfindliches Fleisch. Nur mit Mühe zwang ich mich zur Vernunft.

 

„Das klingt, als würde ich mich...“, trocken schluckte ich. „Als würde ich mich prostituieren.

 

„Ich sehe das anders“, wandte Gabriel ein und schlug nun einen eher geschäftsmäßigen Tonfall an. „Uns beiden bringt es nur Vorteile, wenn wir uns in diese zweckmäßige Beziehung begeben. Ich biete deiner Familie und dir vollkommen neue Möglichkeiten und die Chance zusammen zu bleiben. Was das Körperliche angeht: Ich werde dich gut behandeln. Nur, weil ich dich mein Spielzeug nenne, heißt das nicht, dass mir dein persönliches und seelisches Wohl nicht am Herzen liegen. Ganz im Gegenteil, es wird nichts geben, was du nicht selber willst.“

 

Er sprach in einem derart distanzierten und kalten Ton, dass sich in mir alles zusammen zog und ich mir unwillkürlich eine Frage stellte, „Und was ist mit Gefühlen?“ Meine Stimme war leise, nur ein sanfter Hauch. Seine Dominanz schüchterte mich ein. Ich wusste nicht, wie ich vernünftig reagieren sollte. Sein Angebot war die Lösung unserer Probleme, aber was es das wirklich wert, meine Seele, meinen Körper dafür zu verkaufen? Gabriels Miene versteinerte. Seine ganze Körperhaltung wirkte plötzlich angespannt. Ich hatte wohl definitiv gerade die falsche Fragen gestellt.

 

„Wenn du nach Gefühlen suchst, dann wirst du sie bei mir nicht finden“, seine Stimme klang noch kälter. Was war ihm nur widerfahren, dass er nun so über Gefühle, über Liebe dachte? „Liebe ist ein Gefühl, dass es in meiner Welt nicht mehr gibt. Etwas, dass für mich nie existiert hat. Ich kann dir Sicherheit und Freude schenken, aber Liebe ist aussichtslos.“

 

Zum ersten Mal sah ich ihm direkt in die Augen und erschrak vor der Kälte, die darin herrschte. „Ich würde dir auch empfehlen, dich nicht in mich zu verlieben. Betrachte unsere Verbindung als zweckmäßig. Als Geschäftsverbindung der besonderen Art.“

 

Wieder nickte ich. Auf diese Worte hatte ich keine Antwort.

 

„In unserer Beziehung wird es Regeln geben, die dem ganzen Struktur verpassen“, fuhr er fort und erneut versuchte ich mich zusammen zu reißen. Es gelang mir nur bedingt. „Du wirst dich daran halten. Das Gleiche gilt für mich. Zuerst: Sobald du mir gehörst, wird dich kein anderer mehr berühren. Du gehörst mir. Dein Körper gehört mir. Und er wird nur mir zu Willen sein. Zweitens: Wir machen nur das, was wir beide wirklich wollen. Sollte dich etwas ängstigen oder dich abstoßen, werden wir es nicht vollziehen. Drittens – und das ist der wichtigste Punkt für mich: Du wirst immer ehrlich sein. Egal, ob es um dein Befinden geht oder wenn du mit etwas nicht zufrieden bist, du wirst mir die Wahrheit sagen.“

 

Noch immer wusste mein Kopf nicht, was er davon halten sollte. Mein Körper reagierte einfach und ich spürte, wie ich meine Bestätigung gab. Was tat ich hier nur? Gabriel schob ein Stück Papier zu mir, was mich nach einem kurzen Überblick unwillkürlich an einen Arbeitsvertrag erinnerte, mit Ausnahme, dass ich meinem Chef nach Unterschrift näher kommen würde, als meine Vorstellungen es je zu gelassen hätten.

 

„Mit deiner Unterschrift erklärst du dich bereit, den genannten Regeln, Folge zu leisten. Gleichzeitig ist es eine Verschwiegenheitsvereinbarung – unsere besonderen Regelungen gehen nur uns etwas an.“

 

Langsam rollte ein silbrig schimmernden Kugelschreiber auf mich zu. Mit zitternder Hand packte ich ihn. Noch ehe ich wirklich überlegen konnte – was tat ich hier nur? - setzte ich den Stift an die passende Stelle. Ein leises Kratzen ertönte, als ich mit geschmeidigen Bewegungen meine Unterschrift setzte. Für Maddy und für Laura – für die beiden würde ich alles geben.

 

 

Mit einem schmalen Lächeln schob ich den Vertrag zurück zu Gabriel, der nun ebenfalls schwungvoll seine Unterschrift hinzufügte, ehe er das Papier sorgfältig verstaute. Langsam stand ich auf, spürte, wie wackelig meine Beine waren. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich Gabriel ebenfalls erhob. In der Annahme, dass er mir nur die Tür öffnen wollte, wandte ich ihm den Rücken zu, doch er riss mich sanft zurück. Überrascht öffnete ich den Mund und spürte nur wenige Sekunden seine weichen Lippen auf meinen. Heißer Stahl drang in meinen Mund. Seine Zunge bewegte sich geschmeidig, erkundete behutsam, aber nachdrücklich. Ich klammerte mich an ihn, konnte den Kuss vor Überraschung nicht erwidern. Schneller, als gedacht, beendete er den Kuss.

 

„Jetzt gehörst du mir“, raunte er. In seinen dunklen Augen loderte ein Feuer. Mein Körper überzog sich mit Gänsehaut in der Gewissheit, dass ich mich an diesem Feuer verbrennen würde. Wieder drückte er seine Lippen auf meine. Heiße Lava durchfuhr meinen willenlosen Körper, als er mich gegen seinen Schreibtisch presste, sich mir noch dichter entgegen drängte. Ich vergrub meine Hände in den teuren Stoff seines Anzugs und schloss die Augen, gab mich dem drängenden Gefühl hin, dass er in mir auslöste. Doch eine Stimme in meinem Hinterkopf flüsterte immer wieder leise: Was tust du hier nur, Kieran?

 

 

 

 

~oOÖOo~

 

 

 

Zwei Monate waren seit dem seltsamen Treffen in Gabriels Büro vergangen. In meinem – unserem Leben hatte sich so einiges verändert. Wie Gabriel versprochen hatte, holte er Großmutter und Maddy gleich nach Unterschrift des Vertrages in unser neues Haus, dass sich nur eine halbe Stunde außerhalb von New York befand. Haus war eine absolute Untertreibung – Anwesen passte eher, denn ein riesiger Garten schützte das schöne, weiße Haus vor neugierigen Blicken. Granny war anfangs eher skeptisch gewesen, hatte immer wieder nach gehakt, was hier genau ablief, aber ich wollte ihr die Wahrheit nicht sagen. Ich erzählte er nur, dass Gabriel ein Freund war, der uns helfen würde. Auch das Jugendamt hatte unsere neuen Lebensumstände ziemlich schnell akzeptiert, wobei ich jedoch vielmehr glaubte, dass das Gabriels Einfluss war... oder die Macht seines Geldes.

 

 

Und obwohl alles so schien, als wäre es perfekt, rumorte es doch heftigst in meinem Inneren. Ich konnte Gabriel nicht einschätzen. Spielte er mit Maddy oder sprach er mit Granny war er ein ganz anderer Mensch. Er war viel gelöster, schien beinahe richtig glücklich zu sein. So, als würde eine Maske, die er sich zum Schutz gegen die Welt aufgesetzt hat, nach und nach von ihm abfallen. War ich jedoch in seiner Nähe, waren wir allein, dann verhielt er sich, als wäre ich nur ein Geschäftspartner. Wir hatten zwar dieses seltsame Vereinbarung, aber dennoch lebten wir in einem Haus und ich hatte irgendwie gehofft, den wahren Gabriel Stone kennen lernen zu dürfen. Ich war enttäuscht und auf seltsame Weise wütend auf mich selbst, weil ich enttäuscht war. Enttäuscht, weil er mich nicht ansah, wütend, weil er mir seit dem Kuss damals in seinem Büro nicht mehr näher gekommen war. So hatte ich noch nie empfunden. Eigentlich sollte ich froh sein über diesen Aufschub, doch mein dummes Herz zeigte mir plötzlich Gefühle, die ich vorher nie wahrhaben wollte, nie gespürte hatte. Ich war nunmal rational und hatte mich damit abgefunden. Jetzt spürte ich ein seltsames Flattern, wenn er auch nur in der Nähe war. In mir kribbelte alles ganz seltsam und als hätte ich Fieber, wurde mir unter seinem Blick heiß und kalt. Das war nicht nur körperliche Anziehung, das war, als wäre ich... verliebt.

 

 

Ich erstarrte mit in der Bewegung. Der Kaffeefilter, schwebte regelrecht über der Kaffeemaschine. Mein Körper fühlte sich nutzlos und taub an. Nein, das durfte nicht sein! Gabriel selbst hatte mich davor gewarnt, mich in ihn zu verlieben. Und jetzt... kribbelte alles in mir, mein Herz schlug aufgeregt, als hätte ich endlich etwas erkannt, das nur darauf gewartet hatte, ans Tageslicht zu kommen. Wenn das wirklich Liebe war... Ich zerknüllte den Kaffeefilter. Ich sollte so nicht fühlen, ich würde nur verletzt werden.

 

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, krächzte es plötzlich hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum und fand mich Aug in Aug mit einem verschlafen, ziemlich angeschlagenen Gabriel wieder.

 

„Die Frage kann ich nur zurück geben“, meinte ich leise und ging auf ihn zu. Sanft befühlte ich seine Stirn und zog die Luft ein. Er war glühend heiß. Mit einem gewissen Verdacht griff ich eher unbewusst nach seinen Händen. Wie ich mir dachte: Sie waren eiskalt. Als ich meine zurückziehen wollte, hielt Gabriel sie weiter hin umklammert. Mit einem Ruck sah ich in seine Augen, die mich dunkel musterten. Ich konnte nicht erkennen, was in ihm vorging. Erst jetzt wurde ich mir der plötzlichen Nähe bewusst. Die Stimmung veränderte sich, lud sich auf mit Hitze und Elektrizität.

 

Kieran...“ raunte Gabriel tief. Unwillkürlich kam er mir näher, nur noch wenige Zentimeter trennten uns. Ich hielt den Atem an. Was geschah hier mit uns? Als wäre ein Bann über uns, konnte wir uns der Nähe des Anderen nicht entziehen. Es war wie Magie. Ich schielte auf seine Lippen, die weich und feucht schimmernden. Wusste, wie sie sich anfühlen würden und ersehnte es gerade zu herbei, als Gabriel plötzlich schwankte. Mit Mühe stützte er sich an der Arbeitsplatte ab und auch ich versuchte ihn zu halten, bis er sein Gleichgewicht wieder erlangte.

 

„Was ist denn hier los?“

 

Ich drehte geringfügig den Kopf und sah meine Granny zusammen mit Maddy in der Tür stehen. Maddy lutschte an ihrem Daumen und sah mich aus großen, unschuldigen Augen an, während Granny eher verwirrt wirkte.

 

„Nur ein kurzer Schwächeanfall“, versuchte Gabriel sie zu beruhigen, aber das er schon einen Augenblick später wieder schwankte, strafte seine Worte als Lügen. Mit knappen Schritten war Granny bei ihm und wie zuvor ich es getan hatte, befühlte sie seine heiße Stirn.

 

„Du bist krank“, erklärte sie fachmännisch. „Du hast Fieber und gehörst ins Bett.“

 

„Aber...!“

 

„Kein Aber“, fuhr sie dazwischen und schob uns aus der Küche raus. „Kieran bringt dich jetzt ins Bett und kümmert sich dann um dich. Maddy und ich fahren zu Erna, so dass du Gabriel die Ruhe hast, die du brauchst.“

 

Ergeben seufzte ich und fügte mich der strengen Stimme meine Grandma. Etwas anderes würde sie auch gar nicht dulden.

 

„Aber...!“, versuchte es Gabriel erneut

 

„Versuch es nicht“, meinte ich leise. „Ich spreche aus Erfahrung. Wenn meine Granny etwas bestimmt, dann wird das gemacht. Und zwar ohne Widerrede.“

 

Ergeben seufzte Gabriel auf und ließ sich von mir in sein Schlafzimmer bringen. Neugierig ließ ich meinen Blick kurz wandern. Ich hatte mir seine privaten Räume eher kühl, fast steril vorgestellt, aber hier strahlte alles eine tiefe, friedliche Gemütlichkeit aus. Wieder ein Aspekt, der mich nur noch mehr faszinierte. Langsam ließ ihn aufs Bett sinken, er robbte zur Mitte und ich deckte ihn zu.

 

„Brauchst du noch etwas?“, wollte ich sanft wissen. „Vielleicht etwas zu trinken oder eine Wärmflasche?“

 

Wieder musterte er mich mit dunklen Augen, die jetzt aber um einiges müder wirkten, als wenige Augenblicke vorher. Schließlich räusperte er sich und eine zarte Röte kroch über seine Wangen. Ob sie von seinem Fieber herrührte und von seinen nächsten Worten, vermochte ich nicht zu sagen.

 

„Kannst du dich neben mich setzen? Und mir vielleicht etwas vorlesen?“, flüsterte er so leise, dass ich es kaum verstand. Dass ich überrascht war, versuchte ich zu verbergen. Stattdessen fragte ich ihn, welches Buch er denn gerne hören würde. Nach einer kurzen Beschreibung wusste ich, dass es sich um einen Gedichtband handelte und dass ich es in seinem angrenzenden Büro finden würde. Mit leisen Schritten ging ich schnell in sein Büro, das wie ich erwartet hatte, eine kühle beinahe distanzierte Atmosphäre zeigte. Mit einem kurzen Blick durchsuchte ich den Raum und fand schon einen Moment später das gewünschte Buch. Es wirkte alt und zerlesen und lag mitten auf dem Schreibtisch. Schnell griff ich danach – scheinbar zu schnell, denn es fiel mir aus den Händen zu Boden. Innerlich fluchend hob ich das Buch auf, als ein Foto aus dem Buch segelte. Verwirrt bückte ich mich danach. Auf der Rückseite stand in eleganter Schrift Für immer der Deine, Charlie geschrieben. Irgendwie fürchtete ich mich davor, das Blatt umzudrehen. Meine Neugier siegte jedoch.

 

 

Auf dem Foto selbst sah man zwei Männer. Den einen identifizierte ich schnell als Gabriel. Er wirkte viel jünger, viel ausgelassener. Das Lächeln, dass er zeigte wirkte so echt, so voller Freude. Mein Herz zog sich sehnsuchtsvoll zusammen – ich hätte diesen Gabriel gerne kennen gelernt. Der andere Mann – Charlie – umarmte Gabriel und lächelte frech in die Kamera. Seine blauen Augen blitzen vor Vergnügen und sein blondes Haar wirbelte scheinbar im Wind. Scharf zog ich die Luft ein – Charlie sah mir unglaublich ähnlich. Es war genauso zierlich, hatte die gleiche Haarfarbe – ein dumpfes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. War ich nur ein Ersatz? Was war aus diesem Charlie geworden? Und was wollte Gabriel mit mir, wenn er doch scheinar noch immer Gefühle für diesen Charlie hatte? Warum sonst hätte er ein Bild in einem scheinbar für ihn sehr wichtigem Buch.

 

 

Fragen, auf die ich keine Antwort hatte, Fragen, die mir unglaublich weh taten. Langsam schob ich das Bild zurück ins Buch, auf die hinteren Seiten. Gabriel würde nicht wollen, dass ich in seinen privaten Dingen rumwühlte. Langsam wanderte ich zurück zu Gabriel, der mir erwartungsvoll entgegen sah. Sanft lächelte ich ihm zu, auch wenn es in meinem Inneren ganz anders aussah. Wie ein Spiegel, der zerbrochen war und dessen Splitter sich nach und nach immer tiefer in mein Inneres gruben. Ich gab Gabriel das Buch und er schlug eine Seite auf, ehe er es an mich zurück reichte. Neugierig überflog ich die wenigen Zeilen. Es handelte sich um ein Gedicht von Rainer Maria Rilke.

 

„Bitte, beginne damit“, bat Gabriel mich leise und ich nickte. Schnell streifte ich meine Schuhe ab und kletterte neben ihn aufs Bett. Er kuschelte sich neben mich. Dieser Moment, in dem er so verletzlich wirkte, so offen war etwas ganz besonderes für mich. Ich nahm mir vor, dieses Augeblick für immer in Erinnerung zu behalten.

 

 

Der Panther“, begann ich sanft und weit getragen. „Im Jardin des Plantes, Paris.

 

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.

 

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.

 

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein.“

 

Sanft endete ich mit der letzten Zeile, ehe ich ein neues Gedicht begann. Gabriel so nah sein zu dürfen, war alles für mich. Und während ich Stunde um Stunde neben ihm verbrachte, gestand ich mir langsam ein, dass meine Gefühle für ihn immer tiefer wurden und ich mich nicht dagegen wehren konnte. Und doch war da dieses stechende Gefühl, dieser schreckliche Gedanke, der sich mehr und mehr in mein Bewusstsein grub: Wer war Charlie? Und welche Bedeutung hatte er noch immer für Gabriel?

 

 

 

~oOÖOo~

 

 

 

Ein Blitz durchzuckte den Himmel, kurze Zeit später ertönte das dunkle Grollen des Donners. Der Sturm war genau über uns. Wind peitschte den fallenden Regen an die Scheiben, während von den Bäumen, die das Haus umzäunten ein Rauschen kam. Es gab Menschen, auf die diese Geräusche wohl eine entspannende, ja sogar beruhigende Wirkung hatten, auf mich wirkten sie eher ängstigend. Ich hasste Gewitter – schon als kleines Kind war ich immer zu Laura gekrochen, wenn sich ein Gewitter ankündigte. Sie hatte mir dann Geschichten erzählt und mich einfach getröstet. Sie war immer für mich da gewesen. Fröstelnd zog ich den Bademantel enger um mich, als erneut ein Blitz am Himmel zuckte. Rein rational betrachtet, war ein Gewitter ja nichts anderes, als das Zusammentreffen von heißer und kalter Luft. Daraus resultierend entstanden Regen, Blitz und Donner. Es war völlig profan vor so etwas, wie Gewitter Angst zu verspüren. Besonders als erwachsener Mensch. Doch ich konnte mich nicht dagegen wehren. Sobald der erste Blitz am Himmel vorüber zuckte, staute sich in mir diese Angst an. Wurde immer schlimmer, so dass ich kein Auge zu bekam. Doch mein aufgewühltes Inneres war nicht nur Folge des Gewitters, das draußen wütete – Gabriel beherrschte all meine Gefühle. Und um ganz ehrlich zu sein, ich war einfach furchtbar verwirrt.

 

 

In den Tagen, als Gabriel krank im Bett lag, waren wir uns gefühlsmäßig näher gekommen – dachte ich. Aber nur wenige Tage später hat sich dieses Gefühl als Verirrung erwiesen. Gleich, nachdem es ihm wieder besser ging und er an seinen Schreibtisch zurück kehren konnte, war er wieder der gleiche eiskalte, gefühllose Geschäftsmann, wie er es vorher mir gegenüber gewesen war. Ich verstand einfach nicht, warum er so zu mir war. Wie er mich erst mit einem so offenen und zärtlichen Blick ansehen konnte, nur, um mir tags darauf wieder mit der gleichen Kühle zu begegnen. Ich fühlte mich zwischen Wut, Angst und Liebe hin und her gerissen – vielleicht hatte Gabriel ja doch Recht gehabt und es war wirklich keine gute Idee, sich in ihn zu verlieben. Doch ich konnte, wollte nicht glauben, dass er zu keinen so tiefgehenden Gefühlen fähig war. Er war einfach nicht greifbar, ich wusste einfach nicht, wie ich ihn einschätzen sollte. Jeder Versuch von mir, ihm näher zu kommen, ihn kennen zu lernen, schlug fehl, weil er sich distanzierte und meine Nähe nicht zu ließ. Ich sah den Vertrag, den ich damals unterschrieben hatte, schon lange nicht mehr als solchen an – ich hatte hinter Gabriels Maske geschaut und gesehen, was für ein liebevoller, empfindsamer Mensch er in Wirklichkeit war. Diesen Gabriel wollte ich kennen lernen, wollte ihm näher, als alles andere sein, doch ich wusste nicht, wie.

 

 

 

Wieder zuckte ein Blitz am Himmel und nur einen Moment danach erklang der ohrenbetäubende Lärm des Donners. Erschrocken fuhr ich regelrecht zusammen, unterdrückte im allerletzten Moment einen lauten Aufschrei und umklammerte den Stoff meines Bademantels fester. Mit eilenden Schritten rannte ich den Flur beinahe entlang und schlüpfte hinter die nächsten Tür. Aufatmend presste ich mich gegen die schwere Tür, um mich von dem Schreck zu erholen. Kurz schloss ich die Augen, nur um sie einen Augenblick später zu öffnen. Scheinbar war ich in einem alten Jugendzimmer gelandet. An der Wand befanden sich Poster von Basketballspielern und alten Rockbands. Ein Schreibtisch stand unter dem Fenster und im Kamin prasselte ein wärmendes Feuer. Völlig irritiert blickte ich zum Bett und hielt die Luft an, als ich erkannte, wer darauf lag. Langsam ging ich näher und kniete mich vor das Bett, auf dem Gabriel lag und friedlich schlief. Sein Brust hob und senkte sich in einem stetigen Rhythmus. Er wirkte so friedlich im Schlaf, soviel jünger und verletzlich. Im Alltag hatte er eine Maske auf, die ihn hart und eiskalt wirken ließ, aber jetzt im Schlaf war sie abgefallen und gewährte mir erneut einen Blick auf den Gabriel, der darunter versteckt war. Ein Strähne seines dunklen Haares war ihm ins Gesicht gerutscht. Ich rang mit mir, hatte Angst ihn aufzuwecken, wenn ich ihn berührte, um die Strähne weg zu wischen, doch ich verlor. Zu groß war die Versuchung, ihn zu berühren. Sanft berührten meine Fingerspitzen seine Haut, strichen die dunkle Strähne aus seinem Gesicht, doch der Bann war zu groß, so dass ich meine Finger nicht zurück zog. Vielmehr verfolgte ich die Spur von seiner Schläfe zu seinen im Schlaf leicht geöffneten Lippen. Wie von selbst strichen sie darüber, spurten die seidige Ebenheit. In mir stieg das Verlangen an, seine Lippen zu küssen. Ihn wieder zu schmecken.

 

 

Noch ehe ich einen richtigen Gedanken fassen konnte, beugte ich mich zu ihm herunter und presste meine Lippen auf seine. Sein Geschmack machte mich süchtig und ich wollte noch so viel mehr – ich wollte alles, was ihn, Gabriel, ausmachte. Plötzlich spürte ich, wie er erstarrte, wie er sich zurück zog. Aus Schreck geweiteten Augen sah er mich an, bis er sie zu Schlitzen zusammen kniff. Erst jetzt schaltete sich mein Verstand wieder ein und ich sprang auf die Beine, presste mir die Hand auf den Mund und drehte Gabriel den Rücken zu. Was hatte ich getan? Noch ehe ich wirklich realisierte, dass ich Gabriel geküsst hatte, wurde ich herum gewirbelt und gegen den Schreibtisch gepresst.

 

 

Tief stöhnte ich auf, als er seine Lippen auf meine presste und zügellos mit der Zunge in meine Mundhöhle eindrang. Das Gefühl schoss wie ein Blitz bis hinunter in meine Zehenspitzen und ich presste mich enger an ihn, wollte, dass er mir ganz nah kam. Vergessen waren alle Zweifel, alle Ängste. Jetzt zählte einzig und allein Gabriel, der gerade zu zügellos über mich her fiel. Voller hast streifte er meinen Bademantel ab und begann, mein Pyjamaoberteil aufzuknöpfen. Jedes freigelegte Stück Haut wurde mit küssen übersäht. Ich schloss die Augen und gab mich ihm vollkommen hin.

 

„Ich könnte dich auffressen“, raunte er und auf meinem Körper bildete sich eine Gänsehaut.

 

„Dann tu es doch“, wisperte ich und stöhnte rau auf, als ich den leichten Schmerz spürte. Er biss in meine Brustwarze, das Gewebe knirschte leicht, ehe er entschuldigend darüber leckte.

 

„Du hast es so gewollt.“

 

Fest packte er mich an den Hüften und drängte mich zum Bett. Ich ließ mich darauf sinken und zog Gabriel mit mir. Wieder haschte ich nach seinen Lippen. Sanft biss ich in seine Unterlippe, spürte sein Grinsen, als er mir die Hose von den Hüften zog. Jetzt lag ich vollkommen nackt vor ihm, doch ich spürte keine Scham. Alles fühlte sich genau richtig an. Es fühlte sich perfekt an. Er musterte mich mit seinem dunklen Blick und ich sah, wie sich seine Augen im Schein des Feuers noch mehr verdunkelten.

 

„Du bist wunderschön“, keuchte er, ehe sich unsere Lippen erneut zu einem tiefen Kuss verschlossen.

 

Ungeduldig zerrte ich an seinem Hemd. Erst jetzt fiel mir auf, dass er noch immer seine Bürokleidung trug. Ich wollte nicht jeden Knopf einzeln öffnen, sondern riss die beiden Hemdseiten auseinander. Knöpfe rieselten über mich hinweg und Gabriel kicherte atemlos.

 

„Da ist wohl jemand ziemlich ungeduldig“, knurrte er dann, ehe er kurz aufstand und sich schnell auszog. Ich stützte mich auf meinen Unterarmen auf, um ihn genau beobachten zu können. Sein dunkler Blick verbrannte mich und mit jedem Zentimeter, mit dem ich mehr von seinem Körper sah, verstärkte sich das drängende Gefühl in mir. Mein voll erigierter Schaft zuckte freudig, als er endlich auf mich zu kam. Tief keuchte ich auf, als er über die empfindlichen Seiten meines Oberschenkels fuhr, nur um kurz darauf hauchzart über meine Eichel zu streichen. Ich ließ mich wieder nach hinten sinken und wand mich unter ihm. Die Gefühle wurden zu übermächtig und ich spürte schon jetzt, wie sich der heiße Orgasmus in mir aufbaute. Sanft stieß ich seine Hand weg. Ich wollte nicht, dass es so schnell vorbei war.

 

„Was ist?“, wollte er leise wissen, doch ich schüttelte nur den Kopf und drängte ihn aufs Bett.

 

„Das weißt du genau“, hauchte ich nahe seinen Lippen. Das Lächeln, dass ich in seinen Augen sah, war mir Antwort genug. Er wusste genau, was er tat.

 

Zu Strafe umfasste ich sein Glied hart und pumpte ihn fest. Laut stöhnte er auf und warf den Kopf voller Ekstase in den Nacken. Ich gab ihm keine Zeit, wie zu sich zu kommen, sondern stülpte meinen Mund über sein festes Glied und lutschte über seine Eichel. Gabriel wand sich unter mir, wusste scheinbar nicht, wohin mit seinen Gefühlen und packte schließlich meine Haare, als es zu viel für ihn wurde. Mit sanfter Bestimmtheit zog er mich nach oben und stahl sich einen Kuss.

 

„Willst du das wirklich“, fragte der dann leise. Und obwohl sich mein Herz aufgrund dieser Zärtlichkeit noch mehr für ihn öffnete, war der fiebrige Ruf unserer Körper doch stärker. Erneut küsste ich ihn und führte seine Hand dann zu meinem Eingang, der freudig und erwartend zuckte, als er sanft, aber fest darüber strich. Kehlig stöhnte ich auf und drängte mich ihm entgegen, doch er zog seinen Finger weg und drehte sich leicht zur Seit zu einem kleinen Wandschrank, den ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Aus einer kleinen Schublade angelte er Gleitgel und ein Kondom.

 

 

Jetzt würde es ernst werden und ich konnte es kaum erwarten. Ich sah zu, wie er die Tube öffnete und sich etwas von dem Gel nahm, ehe er seinen Finger an die gleiche Stelle setzte, wie nur wenige Sekunden zuvor. Rau stöhnte ich auf, als er begann den Muskel sanft zu umkreisen. Immer wieder täuschte er spielerisch vor, eindringen zu wollen, bis ich es nicht mehr länger aushielt.

 

„Bitte...“, keuchte ich. „Bitte... ich brauch.... Ahhh!“

 

Ich warf den Kopf in den Nacken und stöhnte meine Lust laut heraus. Endlich war sein Finger in mir und bewegte sich in einem äußerst aufreizenden Rhythmus in mir. Keuchend sank ich leicht auf Gabriels Brust und lehnte mich an seine Halsgrube, während ich mich gleichzeitig mit den Händen neben seinem Kopf aufstützte. Sein keuchender Atem streifte mein Ohr und mein Körper erzitterte über die sanfte Kühle, die sein Atem an meiner Haut auslöste. Ich spürte, wie sein Finger in mir tastend suchte und schließlich fündig wurde. Hart keuchte ich auf, als er seinen Rhythmus beschleunigte und immer wieder hart über diesen besonderen Punkt in mir strich. Ich biss in seine Schulter, spürte, dass die Welle, die Hitze immer intensiver wurde und genoss sein raues Keuchen, als ich sanft über den Biss leckte.

 

„Gabriel...“, keuchte ich schließlich. „Ich will dich jetzt. Ich will dich endlich ganz!“

 

Gabriel nickte nur und angelte nach dem Kondom, das er sich mit schnellem, gekonnten Griff überzog.

 

„Bist du bereit“, hauchte er und blickte mich aus dunklen Augen an. In seinen Augen schwammen so viele Gefühle, dass mein Herz noch schneller klopfte. Ich konnte nur nicken, ein dicker Kloß saß in meinem Hals und gleichzeitig konnte ich nicht länger warten.

 

 

Ich legte mich auf den Rücken und spreizte aufregend weit die Beine für ihn. Mit sanften Blick kam er über mich. Ich spürte, wie zittrig er war, als er seine mit Latex überzogene Eichel an meinen Eingang setzte. Ein Atemzug später drang er sanft in mich ein. Leicht tat es weh und ich stöhnte auf, doch schon kurze Zeit darauf war der Schmerz wie vergessen, als er meine Lippen mit seinen verschloss und er mir einen sanften Kuss gab. Auch seine pumpende Hand an meinem Glied lenkte mich nur zu gut von seinem Eindringen ab, so das ich kurze Zeit hart aufstöhnte, weil er zielgenau meine Prostata getroffen hatte.

 

 

Sanft löste sich Gabriel von mir, ehe er einen langsamen, aber stetig schneller werdenden Rhythmus anschlug. Mein Herz raste und ich wand mich unter ihm, zu intensiv wurden die Gefühle, die er in mir auslöste. Ich spürte, wie sich die Welle in mir mehr und mehr anstaute und an seinem rasselnden Atem, konnte ich erkennen, dass es ihm genau so ging. Voller Lust umklammerte ich seine Schulter und drängte mich ihm noch näher entgegen.

 

„Gabriel... ich... gleich“, versuchte ich ihm deutlich zu machen, aber er verstand auch so.

 

„Ja, komm für mich“, hauchte er erregt. „Komm, Kieran. Jetzt!

 

Und wie auf Kommando spritzte ich meinen Samen raus. Laut stöhnte ich wegen der Intensität auf, weil er noch immer meinen Schwanz rieb und es war zuviel, viel zu viel. Endlich spürte ich, wie sich Gabriel ebenfalls verkrampfte, wie seine Bewegungen unkontrollierter wurden und er ganz tief in mir stoppte. Sein Gesicht war wild verzogen vor vollkommenen Lustschmerz und ich grub meine Nägel noch tiefer in seine Haut. Träge rutschte er aus mir heraus, entfernte vorsichtig das Kondom und verknotete es, um es anschließend aus dem Bett zu werfen. Scheinbar ohne Kraft sank er halb auf mich und zog die Decke über uns. Es war so wunderbar warm, so vollkommen, ihm so nah sein. Ich genoss den Frieden und spürte, wie sich Müdigkeit in mir breitmachte.

 

„Ich liebe dich, Gabriel“, hauchte ich im Halbschlaf, ehe ich vollkommen in der schläfrigen Schwärze versank.

 

 

 

~°°~

 

 

 

Das Erwachen am nächsten Morgen war kalt und einsam. Mit geschlossenen Augen blieb ich liegen, spürte, dass Gabriel nicht mehr bei mir war. Seine Wärme, seine Nähe fehlten. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Nach dieser Nacht, in der wir unser gewesen waren, als ich es jemals mit irgendeinem anderen Menschen außer ihm sein wollte, hatte ich gedacht, dass er sich mir endlich öffnen würde. Dass er mir endlich zeigen würde, wer er wirklich war, doch die leere Betthälfte neben mir bewies, dass ich mich einmal mehr geirrt hatte. Ich musste endlich einsehen, dass ich für Gabriel doch nur ein Spielzeug war, ein Gegenstand, den er benutzte, wenn es ihm passte. Interessierte ich ihn überhaupt? Oder war ich doch nur Ersatz für diesen Charlie?

 

 

Tränen liefen unter meinen geschlossenen Augenlidern hervor, ich konnte sie nicht zurück halten. Was hatte ich eigentlich erwartet? Er hatte mich doch von Anfang davor gewarnt, dass es in seiner Welt keine Liebe gab, dass dafür kein Platz herrschte. Ich hatte es gewusst – und doch konnte ich nichts gegen das drängende Gefühl unternehmen, dass in mir anstieg und sich mehr und mehr zu einem Kloß in meiner Kehle formte. Wenn das Liebe war, dann wollte ich sie nicht. Wenn das das Gefühl war, von dem Laura damals so geschwärmt hatte, dann wollte ich es lieber aus meiner Brust reißen und verbrennen. Warum tat es so weh, zu erkennen, dass ich ihm niemals so nah kommen würde, wie ich es mir wünschte. Dass ich ihn niemals so tief berührt hatte, dass sein Herz aus dem Takt geriet und er mir atemlos entgegen sah. Ich verkrallte meine Hand an der Stelle, unter der mein Herz schlug. Ruhig und sanft, als wäre es nicht gerade in tausend Teile zerbrochen. Als wäre darin kein blutendes Loch, dass durchsetzt von spitzen Splittern war, die sich immer tiefer hinein bohrten.

 

 

Ich weinte – um jeden verlorenen Augenblick, in dem es für ihn geschlagen hatte. Weinte um all die verpassten Chancen, die wir niemals zusammen erleben würden. Denn da würde nie ein uns sein. Ich wollte gehen und alles zurück lassen, was mich auch nur an Gabriel erinnerte. Ich hatte alles gegeben, hatte ihm all meine Gefühle gezeigt und er trat sie mit Füßen,zertrampelte sie und ließ sie zertrümmert am Boden zurück.

 

 

Ich setzte mich auf und umarmte meine Knie, vergrub mein Gesicht darauf und versuchte mich keuchend und schluchzend zu beruhigen. Ich musste vernünftig werden. Würde ich jetzt gehen, dass würden sie uns Maddy wegnehmen, würden sie in eine Pflegefamilie schaffen, die Maddy nie so lieben könnte, wie wir es taten. Langsam wurde mein Atmung ruhiger und ich sammelte schließlich meine Sachen ein, um sie mir über zu ziehen, ehe ich zur Tür ging. Noch einmal blickte ich zurück, ließ die gestrige Nacht in meinen Gedanken vorüber ziehen, um alle Gefühle weg zu sperren. Keiner würde mir ansehen, wie tief verletzt ich war. Für Maddy würde ich hier bleiben, bis er mich fortschickte. Ein kleiner Teil in meinem Herz strafte meinen Worten Lügen, denn egal, wie sehr es schmerzen würde, in Gabriels Nähe zu sein, es wäre tausendfach schlimmer, wenn ich ihn verlassen müsste.

 

 

Schon vom Flur aus hörte ich Gabriels tiefe Stimme aus der Küche, das leise Lachen meiner Granny und das belustigte Glucksen von Maddy. In diesem Moment war die Einsamkeit schlimmer, als je zuvor. Ich gehörte nicht dazu, ich war nicht Teil seiner Welt – nicht Teil der Welt, in dem er so war, wie er wirklich war. Seufzend ging ich auf mein Zimmer, zog meinen kuscheligen Schlabberpulli hervor und zog eine enge Jeans darunter. Das war mein Schutz, um ihm zu begegnen. Im Bad wusch ich mein Gesicht und blickte dann in den Spiegel. Ich erkannte mich selbst nicht mehr. Meine Augen starrten mir tieftraurig entgegen, ich wirkte leer und geschafft. Ich probierte ein Lächeln, doch es wirkte eher, als hätte ich eine gequälte Grimasse gezogen, aber das musste gehen.

 

 

Schneller als gedacht, näherte ich mich der Küche und betrat sie. Maddy, die mich als erstes bemerkte, wand sich umständlich unter dem Tisch hervor und rannte mit weit aufgerissenen Armen auf mich zu. Ihre Augen strahlten voller Freude und ihr Gesicht wurde von einem breiten Grinsen entzwei geteilt. Mit Schwung hob ich sie hoch und sie umklammerte mich mit erstaunlicher Kraft.

 

„Guten Morgen, Onkel Kiri!“, strahlte sie mich an und gab mir einen feuchten Schmatz auf die Wange. Plötzlich legte sie ihre Stirn in Falten und umfasste mein Gesicht. „Hast du schlecht geschlafen, Kiri? Du schaust nicht gut aus.“

 

Leise gluckste ich auf und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, ehe ich leise antwortete, „Der Sturm hat mich nicht schlafen lassen, meine Hübsche. Der Donner hat mir Angst gemacht.“

 

Ernst sah sie mir in die Augen, wirkte in diesem Augenblick älter, als sie eigentlich war. „Aber du hättest doch bei mir schlafen können, Onkel Kiri. Schnuffel und ich hätten dich beschützt“, meinte sie und wies mit ihrer kleinen Hand auf das Schneehasenkuscheltier, das auf dem Frühstückstisch lag.

 

„Beim nächsten Mal werde ich dieses Angebot annehmen“, flüsterte ich ihr ins Ohr und ließ sie zurück auf den Boden sinken. Kaum stand sie sicher, packte sie meine Hand und zog mich neben sich an den Tisch. Auf der anderen Seite saß Gabriel. Kaum saß ich, stand Gabriel auf.

 

„Entschuldigt mich bitte, aber die Arbeit ruft“, damit verabschiedete er sich.

 

„Tschüss, Gabiel“, lächelte Maddy ihm zu. Er schmunzelte und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie hatte noch Probleme seinen Namen richtig auszusprechen. Als ich die Wärme in seinen Augen sah, bildete sich erneut ein dicker Kloß in meinem Hals. Ich senkte meinen Blick und musterte den Tisch vor mir, versuchte die Tränen, die erneut aufstiegen zurück zu drängen.

 

„Ihr müsst reden“, erschrocken sah ich hoch, direkt in die wissenden Augen meiner Großmutter, die mich musterte. „Ich ertrag es nicht, dass du so unglücklich bist.“

 

In diesem Moment war ich sprachlos, wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.

 

„Das macht doch keinen Sinn mehr“, meinte ich leise. „Da ist nichts, worüber ich mit ihm reden könnte.“

 

„Belüg dich selbst und ihn mit, aber ich sehe, wie ihr euch anblickt. Schafft das endlich aus der Welt“, meinte Granny schon harscher und hob dann Maddy auf ihre Hüfte. „Ich gehe mit Maddy und Erna in den Centralpark. Nutz die Zeit. Laura hätte dir das Gleiche geraten.“

 

Bei der Erwähnung meiner Schwester senkte ich erneut den Blick. Ja, Laura wäre mutig gewesen und hätte gekämpft. Aber was, wenn ich am Ende den Kampf verlor? Was es das Risiko wert, erneut verletzt zu werden, nur um die Wahrheit zu erfahren? Ich hörte, wie Granny und Maddy den Raum verließen und schloss die Augen. Mein Kopf konnte das nicht mehr entscheiden. Da waren viel zu viele Gedanken, als das sie jemals einen Sinn ergeben würden. Mein Bauch und mein Herz rieten mir, zu Gabriel zu gehen. Entschlossen stand ich auf und folgte den Flur, bis ich vor der Tür stand, die zu seinem Büro führte. Ehe mich der Mut verließ, klopfte ich an.

 

„Herein“, ertönte es leise und ich betrat den Raum, blickte Gabriel entgegen. Im ersten Augenblick meinte ich zu sehen, dass er überrascht war, aber kehrte die gewohnte, kühle Neutralität in seine Augen zurück.

 

„Kieran“, meinte er leise. „Kann ich etwas für dich tun?“

 

Ich schluckte. Dass er erneut diese Maske aus Eis trug, machte mir Angst, aber dennoch wollte ich jetzt nicht kneifen. Ich musste endlich die Wahrheit erfahren.

 

„Wir müssen reden...“, begann ich, doch Gabriel unterbrach mich. „Kieran, können wir das bitte auf später verschieben? Wie du siehst, habe ich eine Menge Arbeit, die ich erledigen muss.“

 

„Nein, wir reden jetzt“, beharrte ich und starrte ihm geradewegs in die Augen. Dunkel blickte er mir entgegen, bis er aufseufzte. Müde presste er die Augen zusammen und massierte sich den Nasenrücken.

 

„In Ordnung, dann reden wir jetzt“, er klang leicht genervt, aber auch das schreckte mich nicht ab. „Nimm Platz.“ Er wies auf einen Stuhl, der sich ihm gegenüber befand. Mich erinnerte die Szene an damals, als er mir dieses Angebot unterbreitet hatte. Ich wollte nicht, dass unser Gespräch erneut zu seinen Bedingungen statt fand.

 

„Ich stehe lieber“, antwortete ich deshalb. Gabriel zuckte mit den Schulter. „Wie du willst.“

 

Kurz blickte ich mich um, versuchte einen Anfang zu finden und überließ erneut meinem Herzen den Vortritt.

 

„Warum bist du so kalt zu mir?“, begann ich und blickte ihn an, sah, wie seine rechte Augenbraue nach oben zuckte. „Warum öffnest du dich mir nicht? Ich weiß, wir haben diesen zweckmäßige Verbindung. Ohne Gefühle, aber das reicht mir nicht. Ich sehe doch, wie du wirklich bist. Sehe es darin, wie du Maddy behandelst. Wie du mit Granny sprichst. Nur, wenn ich in deiner Nähe bin, ziehst du dich zurück und setzt deine Maske auf Eis aus.“

 

Ich hatte mich in Rage geredet, hatte meinen Gefühle die Kontrolle gegeben und es fühlte sich genau richtig an.

 

„Bedeute ich dir wirklich so wenig, dass du nicht mal meine Freundschaft akzeptierst...“, ich holte tief Luft, hatte Angst, die nächsten Worte auszuprechen, doch es musste sein. „Wenn du schon nicht meine Liebe willst?“

 

Ich sah, wie er zurück zuckte. Sah, dass seine Maske Risse bekam und doch fürchtete ich seine nächsten Worte.

 

„Kieran...“, setzte er an. Seine Stimme klang rau und belegt. „Ich habe dir von Anfang an erklärt, dass es keine Liebe für geben wird. Es tut mir Leid, wenn ich mir dir gegenüber so verhalte. Ich wollte nicht, dass du dich deshalb schlecht fühlst. Ich werde versuchen, es zu ändern.“

 

Kurz holte er Luft, schien nach den richtigen Worten zu suchen, die er fand, „Aber bitte hör auf, von Gefühlen zu reden, die du nicht verstehst. Liebe... Der Mensch ist nicht wirklich fähig, dieses Gefühl zu empfinden. Glaube mir, es ist besser, wenn du dich ebenfalls davon distanzierst.“

 

Sprachlos und voller Entsetzen sah ich ihn an, beobachtete, wie er erneut nach seinen Papieren griff, ehe er mich erneut anblickte.

 

„Möchtest du sonst noch etwas?“

 

Ich schüttelte den Kopf vor Unglauben und er schien das als Antwort zu nehmen. Sein Verhalten versetzte mich in Rage, das drängende Gefühl der Wut nahm stetig zu und brach schließlich hervor.

 

„Hörst du dich eigentlich selber reden?“, meine Stimme zitterte vor Anstrengung, nicht zu schreien. Ich war so kurz davor, die Kontrolle zu verlieren. „Hörst du deine eigenen Worte? Ich liebe dich. Ich habe mich in den Gabriel verliebt, der Maddy anlächelt, als wäre sie etwas ganz besonderes. Der sie in den Arm nimmt, wenn sie hinfällt, der ihr abends Geschichten zum Einschlafen vorliest und dann wartet, bis sie eingeschlafen ist. Ich habe mich in den Gabriel verliebt, der offen und verletzlich sein kann, aber auch zärtlich und voller Gefühl ist.“

 

Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an, ließ endlich Gefühle zu, auch wenn es nur Unglaube war. Doch ich spürte keinen Triumph.

 

„Du sagst, ich verstehe nichts von Liebe“, meine Stimme wurde leiser. Ich spürte, wie meine Kraft nach ließ. Mein ganzer Körper zitterte. „Und vielleicht hast du Recht. Aber welcher Mensch hat je behauptet, etwas so Komplexes zu verstehen. Liebe ist nichts, was man erklären kann. Liebe ist einfach da. Es tut mir schrecklich, dass meine Gefühle nicht in deine Welt passen, aber ich bereue sie nicht!“

 

„Kieran...“, wollte er mich unterbrechen. Seltsamerweise zitterte nun auch seine Stimme, aber ich nahm es kaum richtig wahr. Spürte nur die Tränen, die anfingen meine Wangen hinunter zu laufen.

 

„Das Einzige, was ich wirklich bereue, ist, dass ich je auf deinen Vertrag eingegangen bin. Denn hätte ich vorher gewusst, dass ich nur ein Ersatz für jemanden bin, dem noch immer dein Herz gehört, hätte ich niemals eingeschlagen“, ich wisperte und wandte mich zur Tür. Ertrug es nicht länger ihn anzusehen, in der Gewissheit, dass ich ihm nichts bedeutete. „Ich liebe zum ersten Mal richtig, Gabriel. Und es tut verdammt weh, dass du glaubst, ich würde lügen.“

 

Dann öffnete ich die Tür und rannte. Raus aus dem Zimmer, raus aus dem Haus. Mitten in den großen Garten hinein. Wind peitschte in mein Gesicht und ich rutschte auf dem nassen Gras aus, landete im Schmutz, doch ich rappelte mich schnell wieder auf, als ich bemerkte, dass Gabriel mir folgte. Verdammt, ich wollte, dass er von mir wegblieb. Ich konnte seine Nähe jetzt einfach nicht ertragen. Ich versuchte, noch schneller zu rennen, doch das war ein nahezu unmögliches Unterfangen. Der Untergrund war viel zu glitschig. Ich fand kaum Halt. Keine Ahnung, wie, aber Gabriel schien dieses Problem nicht zu haben, denn er kam mir immer näher. Ich bog auf einen Pfad ein, der scheinbar in einen kleinen, angepflanzten Wald führte. Ich hoffte darauf, dass es hier tockener war.

 

„Verdammt, Kieran! Bleib stehen“, hörte ich Gabriel schreien.

 

Diesen Gefallen würde ich ihm ganz bestimmt nicht tun. Ich legte an Tempo zu, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Untergrund hier genauso glitschig war, wie vorhin der Rasen. Wieder rutschte ich aus. Den Augenblick, den ich brauchte, um mein Gleichgewicht wieder zu erlangen, nutzte Gabriel, um mich einzufangen. Von hinten umklammerte er meinen Körper, presste mich intensiv an sich. Ich konnte seinen wummernden, schnellen Herzschlag spüren und fühlte seinen keuchenden Atem im Nacken.

 

„Hab dich“, hauchte er und das war der Moment, in dem ich anfing, mich gegen seine Umklammerung zu wehren.

 

Doch er war weitaus stärker als ich, so dass es kaum klappte. Ich versuchte, mit den Beinen nach ihm zu treten, doch er hob mich einfach hoch. Scheinbar zu weit, denn auch Gabriel rutschte aus und landete auf dem Rücken. Ein dumpfes Geräusch ertönte, als wir auf dem Boden aufkamen. In dem Glaube, dass sich dadurch aus sein Griff gelockert hat, drehte ich mich zur Seite, doch er drehte sich mit und wir rollten gemeinsam den Hang hinunter. Nass und schmutzig kamen wir unten zum Liegen. Kurz schloss ich die Augen, ehe ich erneute gegen seine Umklammerung kämpfte. Keuchend und bebend stand ich auf. Nur Augenblicke später fand ich mich erneut Auge in Auge mit Gabriel wieder, der sich ebenfalls aufgerappelt hatte.

 

 

Plötzlich grinste er mich an und meinte dann glucksend, „Du bist manchmal wirklich, wie ein kleiner Junge, Kieran.“

 

Dabei war sein Blick so liebevoll, dass es mir wieder den Atem nahm.

 

„Wie kannst du nur glauben, dass ich dich nicht lieben würde?“, fragte er leise.

 

Ich glaubte, mich verhört zu haben. Glaubte, dass das hier alles nur ein Trugbild meiner Träume war, doch als er näher auf mich zu trat, mein Gesicht umfasste und mir einen Kuss auf den Mund drückte, wusste ich, dass es Realität war.

 

„Du bist kein Ersatz für mich“, hauchte er leise. Ich konnte noch immer nicht glauben, was hier gerade passierte. Er liebte mich? Aber...

 

„Und warum dann das alles?“, wollte ich wissen. „Warum hast du so mit meinen Gefühlen gespielt?“

 

Gabriel seufzte auf und ließ seinen Kopf auf meine Schulter sinken.

 

„Das ist nicht so einfach zu erklären“, er grinste mich schief und ich lächelte ihm aufmunternd zu.

 

„Dann versuch es einfach.“

 

Wieder seufzte er auf und entfernte sich dann einige Schritte von mir.

 

„Es begann, als ich Charlie Tembleton kennen lernte“, seine Stimme klang ganz melancholisch. Ich schluckte trocken und umfasste mich. Ich hatte keine Ahnung, ob ich diese Geschichte hören wollte, aber ich zwang mich dazu, Gabriel zu zuhören. Ich wollte alles über ihn wissen und dazu gehörte nun mal auch seine Vergangenheit.

 

„Es war auf einem Kundentreffen, das mein Vater damals für unsere Firma organisiert hatte. Ich war sofort fasziniert von ihm. Seiner frechen Art, seiner Lebensfreude. Noch am gleichen Abend landeten wir im Bett. Das war der Beginn unserer seltsamen Beziehung.“

 

Ich schluckte. Gabriels Geschichte klang so traurig, so verstörend schmerzhaft, dass ich langsam glaubte zu verstehen, warum er so gehandelt hatte.

 

„Er war anders, als alle Männer, die ich bisher kennen gelernt hatte. Mit ihm wurde es nie langweilig, aber Liebe empfand er keine für mich“, Gabriel hatte sich wieder mir zugewandt, aber sah mich nicht an. Vielmehr blickte er auf einen Punkt hinter mich.

 

„Erst später fand ich heraus, dass er neben mir noch ganz viele andere Affären hatte, doch das war der Grund, warum ich angfangen hatte, ihn zu hassen. Mein Vater war ein sehr vorsichtiger Mann gewesen. Er hat all unsere neuen Bekanntschaften durch leuchten lassen, Charlie natürlich auch. Was mein Vater heraus fand, war nichts, was ich damals hören oder glauben wollte. Der Detektiv hatte heraus gefunden, dass Charlie scheinbar für unseren größten Konkurrenten spionierte. Ich war damit nur das Mittel zum Zweck.“

 

Gabriels Stimme zitterte. Es musste ihm unendlich schwer fallen, mir seine Geschichte zu erzählen und ich hatte das Gefühl, dass es noch viel schlimmer kommen würde.

 

 

„Nach dem riesen Streit, den diese Information ausgelöst hatte, fuhr ich zu Charlie, um ihn zur Rede zu stellen. Er leugnete nichts, lachte mich aus und als ich gehen wollte, fing er an mich zu schlagen. Vor lauter Überraschung musste ich scheinbar hingefallen sein. Dabei hatte ich mir den Kopf angeschlagen und war ohnmächtig geworden. Als ich aufwachte, fand ich mich gewechselt an der Wand wieder, nackt. Ich war vollkommen ahnungslos und verwirrt und hätte mein Vater nicht nach mir suchen lassen, ich wüsste nicht, was Charlie mir alles angetan hätte.“

 

Ich konnte mich nicht länger zurück halten und ging zu Gabriel, um ihn in die Arme zu schließen. Fest umfasste ich ihn und drückte ihn an mich. Nach dem er sich etwas beruhigt hatte, sprach er leise weiter, „Ich weiß nicht, was dann geschah. Ob man Charlie vor Gericht gezogen hatte oder nicht. Und es interessierte mich auch nicht. Ich war viel zu verletzt und ich schwor mir, dass mich niemals wieder jemand so berühren würde, wie Charlie es getan hatte.“

 

Langsam hob er sein Gesicht und blickte mich an. Sein Blick wurde sanft, beinahe liebevoll.

 

„Und dann traf ich dich“, erzählte er weiter. „Und du sahst ihm so unglaublich ähnlich. Mein Hirn hatte eine Kurzschlussreaktion und ich beschloss, dich an seine Stelle zu setzen, dich für das zu bestrafen, was er mir angetan hatte. Ich ließ dich durchleuchten und mein Plan wurde nahezu perfekt, als ich das mit Maddy erfuhr.“

 

Ich erzitterte. Obwohl ich gut nachvollziehen konnte, warum es ihn so getroffen hatte, mich zu sehen, hätte ihn nie gedacht, dass er so etwas geplant hatte.

 

„Und dann?“, wisperte ich, obgleich ich die Antwort fürchtete.

 

„Und dann kamst du“, hauchte er. „Deine ganze Art war so anders. Du warst so introvertiert und trugst ständig diese Melancholie mit dir herum. Ich verliebte mich in dich und doch hatte ich Angst, dass ich wieder verletzt werden würde. Ich plante, dich gehen zu lassen, aber auch dafür war ich zu schwach. Hättest du nicht den ersten Schritt gemacht und mir deine Liebe gestanden, ich glaube, es stünde noch immer soviel zwischen uns.“

 

Mit großen Augen sah ich ihn an. Ich war voller Unsicherheit, voller Skepsis. Wusste nicht, was ich jetzt machen sollte, nachdem er mir das erzählt hatte.

 

„Und jetzt?“, fragte ich leise und senkte meinen Blick. „Wie stellst du dir unsere Zukunft vor?“

 

Gabriel umfasste sehr sanft mein Gesicht.

 

„Ich gebe dir alle Zeit der Welt und ich kann verstehen, wenn du gehen willst. Auch dann werde ich dir nicht im Weg stehen.“

 

„Ich will nicht gehen“, meine Stimme klang fest, auch wenn ich mich nicht so fühlte. Ich hatte Angst, furchtbare Angst. „Ich habe nur Angst, dass du es dir irgendwann anders überlegen wirst. Dass die Vergangenheit dich doch irgendwann wieder übermannt.“

 

Gabriel nickte und ich sah tiefe Liebe in seinen Augen, als er seine nächsten Worte sprach, „Ich kann dir nicht versprechen, dass es immer einfach sein wird. Aber ich kann dir versprechen, dass meine Gefühle sich nicht für dich ändern werden. Egal, was auch immer geschehen wird, ich habe keine Angst mehr davor, dich endlich zu lieben.“

 

Sanft lächelte er mich an und ich erwiderte es, ehe ich seinen Kopf zu mir runter zog und meine Lippen auf seine presste.

 

Egal, was geschehen mochte, egal, was noch kommen würde, ich würde Gabriel nicht mehr gehen lassen. Laura hatte immer gesagt, dass Liebe nie ohne Risiko möglich war und ich würde es wagen. Für mein Glück und für Gabriels Glück.

 

 

 

~Epilogue~

... Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, leise klappte ich das Buch zu und deckte Maddy mit ihrer Kuscheldecke zu. Liebevoll betrachtete ich sie, sie war gewachsen und noch hübscher geworden, aber das hatte ich erwartet. Laura war wunderschön gewesen, das hatte Maddy eindeutig von ihr geerbt. Ich fürchtete mich jetzt schon davor, wenn sie dann alt genug war, um sich für Jungs zu interessieren. Ich würde mir definitiv einen Baseballschläger besorgen, um alle Jungs zu verhauen, die ihr wehtun würden.

 

 

„Woran denkst du?“, Gabriel war leise hinter mich getreten. Ich hatte es nicht bemerkt und zuckte erschrocken zusammen, entspannte mich aber sofort wieder.

 

„An all die Jungs, die ihr mal hinter her laufen werden, wenn sie groß ist“, gab ich leise zurück und drängte mich enger an ihn. Seitdem er sich in Therapie begeben hatte, um die Wunden zu verarbeiten, die dieser Charlie in ihm hinterlassen hatte, war er viel gelöster, viel entspannter und ich war so unglaublich dankbar dafür. Endlich setzte er keine Maske mehr auf und ich lernte ihn so kennen, wie er wirklich war: liebevoll, sanft und voller Treue.

 

Gabriel gluckste leise. „Ein Glück, dass das noch ein paar Jahre dauern wird. Und wenn es soweit sein sollte, werde ich dich unterstützen.“

 

Dafür musste ich ihn einfach küssen. Plötzlich blitzte es am Himmel und gleich darauf ertönte der ohrenbetäubende Donnern. Maddy schlief seelenruhig weiter, nur ich zuckte erschrocken zusammen. Besorgt sah Gabriel mich an.

 

„Hast du Angst?“, fragte er leise, ich konnte die Sorge regelrecht aus seiner Stimme heraus hören. Sanft lächelte ich ihm zu.

 

„Nicht, wenn du bei mir bist“, erwiderte ich und küsste ihn erneut. Wieder ertönte ein tiefes Donnergrollen und ich lächelte in den Kuss hinein. „Du bist alles, was ich brauche um mutig zu sein.“

 

Sein ehrliches und liebevolles Lächeln darauf, ließ mein Herz schneller schlagen. Ich liebte ihn so sehr und ich war froh, dass ich es gewagt hatte, bei ihm zu bleiben. Er war der Richtige und der Einzige, den ich je auf dieser Welt so lieben konnte. Wir waren eine Familie und ich wusste, dass Laura uns vom Himmel aus beobachtete und glücklich war. Glücklich, dass auch ich meinen ganz persönlichen Engel gefunden hatte.

 

 

 

 

 

ENDE

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: alles meins
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Sabrina. Alles Gute zu deinem 21. Geburtstags. Möge immer die Sonne für dich scheinen ;-****

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