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1



Ich freute mich für Steve und Manu. Sie bekamen ein Kind und würden eine glückliche Familie sein. Bei mir war so etwas nicht vorgesehen. Ich würde nie lange genug leben.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich ein Kribbeln im Nacken verspürte. Ich wurde beobachtet. Unauffällig sah ich mich um. Da ich direkt neben der Braut stand, war das schwierig. Doch ich brauchte nicht lange suchen, um die Quelle meines Unbehagens zu finden. Er stand zu meiner Linken. Er war der Trauzeuge. Sein Name war, glaube ich, Thomas, aber sicher war ich mir nicht. Er sah nicht schlecht aus. Silberfarbene Augen und schwarze Haare, die ihm in sanften Wellen auf den Kragen seines Hemdkragens fielen. Ein kantiges Kinn auf dem leichte Bartstoppeln zu sehen waren. Er machte einen gepflegten Eindruck. Ich wandte den Blick ab. Doch er störte sich nicht daran mich einfach weiter unverhohlen anzustarren. Ich warf ihm einen wütenden Seitenblick zu und er sah mit einem Lächeln wieder nach vorn. So etwas unverschämtes, dachte ich, doch musste ich gleich mein schlechtes Gewissen unterdrücken, dass mich darauf aufmerksam machte, dass ich ihn ebenso angestarrt hatte. Doch irgendwie kribbelte es immer noch und ich bemerkte wie Thomas und Steve sich plötzlich anspannten. Ein gutaussehender Mann betrat die Kirche. Schwarze Haare und grüne Augen. Warum die beiden sich so komisch verhielten, war mir ein Rätsel. Doch auch Manu drehte sich um und verkrampfte angesichts des Unbekannten. Ihre Augen weiteten sich unmerklich. Was mochte mit diesem Mann nur sein, dass sie sich so seltsam verhielten. Er setzte sich in die hinterste Reihe und beobachtete Thomas, nicht das Paar neben ihm. Vielleicht hatte Thomas Dreck am stecken. Das konnte ich mir zwar nicht vorstellen, aber es schien noch eine Rechnung offen zu stehen. Eine Vision riss mich plötzlich von dem Geschehen los. Ein Mann auf einem Tisch. Eine Blutlache auf dem Boden. Blut auf dem Tisch. Auf dem Mann. Schreie von Überall. Nicht vom Mann. Anderer Mann. Grinst. Messer in der Hand. Raum aus Steinen.
Dann war die Vision weg. Ich zitterte und musste tief Luft holen, damit ich nicht nach vorn kippte. Manu sah besorgt zu mir, ich schüttelte den Kopf. Thomas sagte irgendetwas zu Steve und Manu verneinte nur. Thomas warf mir einen besorgten Blick zu. Ohne ihn zu beachten konzentrierte ich mich wieder auf die Trauung. Die Vision verstaute ich in der dunkelsten Ecke meines Gehirns, wo ich sie nie wieder hervorholen würde.

Die Feier war in vollem Gang, als ich mich in eine kleine Sitzecke zurückzog und an meinem Champagner nippte. Ich wollte nicht so tun als ginge es mir gut, wenn es nicht so war. Mein Körper war geschwächt und nicht in der Lage so viel Stress auszuhalten. Ich wollte kein Mitleid und auch keine Hilfe. Ich kam alleine klar, doch wünschte ich mir insgeheim auch Unterstützung und Liebe. Eine Sackgasse, wie sich herausgestellt hatte. Ich war ein Waisenkid gewesen und hatte niemanden außer Manu. Zudem würde meine beste Freundin bald einen Vertrauten weniger haben. Mir stiegen Tränen in die Augen bei dem Gedanken daran.
Ich bekam nur am Rande mit, dass sich jemand zu mir gesellte, also reagierte ich auch nicht darauf.
„Du bist neidisch.“
Erst jetzt sah ich, dass es Thomas war. Ich starrte die übrigen Gäste an.
„Wie kommst du darauf?“
„Du behältst Manu und Steve die ganze Zeit über im Auge. Du beneidest Manu nicht um ihren Mann, sondern um das, was sie haben. Einander und bald auch eine Familie.“
Nun wandte ich mich ihm zu. Silberfarbene Seen sahen mir direkt in die Seele. Ich konnte es nicht leugnen, er wusste es. Doch ich wollte nicht, dass er es wusste, dass er in mich hineinsah und alles wusste.
„Woher willst du wissen, dass ich keine habe?“
„Ich weiß es einfach.“
Diese Arroganz ließ mich beinahe an die Decke gehen. Was fiel ihm eigentlich ein!
„Und woher weißt du das? Verfolgst du mich?“
So konnte ich mir Thomas nicht vorstellen. Er zog einen Flunsch.
„Nein, so einer bin ich nicht. Sagen wir ich habe Menschenkenntnis.“
Irgendetwas an diesem Mann stimmte nicht. Wenn man ihn so sah, konnte man denken, dass er schon seit Jahrhunderten lebte, alles Leid aus dieser Welt miterlebt hatte. Er strahlte eine Weisheit aus, von der ich lieber nichts wissen wollte. Doch wenn man direkt in seine Augen sah, konnte man Schmerz und Qual sehen und ein Gefühl, dass ich nur als Angst definieren konnte, doch das war unmöglich. Dieser Mann hatte vor nichts Angst. Mir fiel auf, dass ich ihm die ganze Zeit in die Augen gesehen hatte, und er in meine. Verlegen senkte ich den Blick und starrte in mein leeres Glas. Ein leises Lachen sorgte dafür, dass ich rot wurde. Eine Hand legte sich auf meinen Arm. Weiß auf Braun. Schockiert sah ich auf. Ich kannte es nicht von einem Mann berührt zu werden. Doch ich ließ meinen Arm wo er war, es fühlte sich gut an.
„Dir geht es nicht gut, habe ich recht? Du bist geschwächt.“
Reflexartig zog ich meinen Arm weg und erstarrte. Er sollte meine Schwäche nicht sehen. Das ging ihn nichts an.
„Würdest du mir den Gefallen tun und dich aus meinen Angelegenheiten heraushalten?“
Sichtlich verletzt ließ er seine Hand sinken, nur um schließlich mein Glas zu nehmen und in Richtung Büfett zu gehen. Erleichtert ließ ich die Schultern sinken, froh nicht mehr Stärke zeigen und mich rechtfertigen zu müssen. Ich wog ab, einfach zu gehen, doch wäre es unhöflich, wenn Thomas mir einen neuen Prossecco bringen wollte. Doch war die Versuchung dadurch nicht weniger groß. In seiner Nähe war das Gefühl der Entblößung immens und mir unangenehm. Ich suchte eine Fluchtmöglichkeit, fand jedoch keine. Mit dem Blick folgte ich Thomas, der auf Manu und Steve zusteuerte und ihnen etwas sagte, woraufhin die Beiden lächelten und Steve Thomas eine Hand auf die Schulter legte. Thomas ließ jedoch daraufhin den Kopf auf die Brust sinken und Manu und Steve sahen sich, als Reaktion auf Thomas' Worte, traurig und schockiert zugleich an. Steve setzte zu einer Erwiderung an, doch schüttelte Thomas den Kopf und ließ die beiden alleine stehen, als er sich abwandte und ging. Wenige Augenblicke später erschien ein Glas vor meiner Nase, das ich dankend annahm. Thomas ließ sich neben mich sinken, sodass uns nur noch wenige Zentimeter trennten. Leicht streifte seine Hand meine und erschrocken machte ich mich erneut steif. Ich zog meine Hand weg und umklammerte mein Glas. Unmerklich wich er ein Stück von mir zurück, um Abstand zu gewinnen. Schweigend saßen wir da ohne einander anzusehen, jeder auf einen Punkt fixiert. Ich folgte Manu und Steve, Thomas starrte auf einen Punkt an der Wand, der sich abwechselnd zu vergrößern und verkleinern schien. Vielleicht spielte mir meine Fantasie aber auch nur einen Streich. Doch jedes Mal wenn der Punkt sich zu vergrößern schien, wurden Thomas' Augen unmerklich größer. Er schien nervös zu sein, unterdrückte offensichtlich den Drang aufzuspringen und die Feier zu verlassen. Genau das, was ich tun wollte. Allerdings beschloss ich schlussendlich um Mitternacht nach Hause zu gehen. Das Stück nach Hause würde ich auch zu Fuß gehen können. Ein Taxi würde sich nicht lohnen.

Ich erhob mich und stellte mein Glas auf ein Tablett, auf dem schon mehrere Gläser standen und machte mich auf die Suche nach Manu und Steve, um mich bei ihnen zu verabschieden. Ich fand sie bei Manus Vater in ein Gespräch vertieft. Nur ungern unterbrach ich sie, doch einfach gehen wollte ich nicht.
„Ich werde mich langsam mal auf den Weg machen. Ich bin müde und mir geht es nicht so gut.“
„Willst du wirklich schon gehen? Romi, bitte bleib noch ein bisschen.“
„Nein, ich muss wirklich langsam los, tut mir leid.“
„Dann warte wenigstens, bis ich dir ein Taxi gerufen habe.“
„Nein, das Stück kann ich auch gehen. Es ist ja nicht weit.“
„Bist du dir sicher? Ich möchte nicht, dass du …“
„Ich begleite sie.“
Erschrocken fuhr ich zusammen, als ich Thomas' Stimme hinter mir hörte.
„Nein, ich kann alleine …“
„Das war keine Bitte. Ich begleite dich.“
Herrschsüchtiges Arschloch, dachte ich genervt. Da wäre ich lieber mit dem Taxi gefahren, als mich von Thomas begleiten zu lassen. Doch ließ er sich nicht davon abbringen, sodass ich die ganze Zeit innerlich vor mich hin schimpfte. Ich verabschiedete mich noch bei den restlichen ungefähr fünfzig Gästen, darunter auch Manus Großmutter und älterer Bruder, dem sie erst vor ein paar Wochen zum ersten Mal begegnet war. Es war schon erstaunlich, dass Manus Großmutter nicht älter aussah als Manu selbst, aber als Manu mir alles über sich und auch über Steve erzählt hatte, guckte ich zu Anfang auch nicht schlecht. Ich brach in Gelächter aus und konnte es nicht glauben, aber mit der Zeit ließ ich mich überzeugen. Erst richtig geglaubt hatte ich es, als ich Steve berührt hatte … Diese Qualen konnte ich bis in meine eigenen Knochen spüren. Ein ungutes Gefühl überkam mich. Ich erinnerte mich an Thomas' Berührung. Sie war der von Steve nicht unähnlich gewesen …

2



Eine halbe Stunde später standen wir vor den Festlichkeiten. Meine Nerven waren bereits überstrapaziert durch Thomas' bloße Anwesenheit und dabei waren wir noch keine fünf Meter gelaufen. Meine Selbstbeherrschung würde auf eine harte Probe gestellt werden und die kannte Grenzen. Sollte Thomas nur ein Wort über mein Privatleben äußern, würde ich durchdrehen. Wir liefen nebeneinander her, jeder Versuch von Thomas, ein Gespräch zu beginnen, erstickte ich im Keim. Ich wollte nicht mit ihm reden, keinen Kontakt zu ihm aufbauen, denn ich befürchtete ihm alles aus meine Leben zu erzählen, ohne darüber nachzudenken. Ich fühlte mich zu ihm hingezogen und ich hatte Angst vor diesem Gefühl. Meine einzige Möglichkeit dies zu unterdrücken war, Thomas auf Abstand zu halten. Doch er gab nicht auf, egal wie sehr ich mich anstrengte.
Vor meinem Haus blieb ich stehen, um mich von Thomas zu verabschieden.
„Danke, das du mich begleitet hast, aber es wäre nicht nötig gewesen.“
„Keine Ursache, ich lasse keine Frau um diese Zeit alleine umherziehen.“
„Naja, nochmals danke.“
Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen. Ein plötzlicher und mir fremder Gedanke schlich in meinen Verstand.
„Küss mich“So schnell dieser Gedanke kam, war er auch wieder weg. Doch ein blitzen in Thomas' Augen sorgte für ein warmes Gefühl , das mich durchfuhr und zwischen meinen Beinen hängenblieb. Aus Reflex ließ ich meine Zunge an der Innenseite meiner Lippen entlanggleiten. Mir lief es kalt den Rücken hinunter. Was geschah da mit mir? Mich überkam Panik, so heftig, dass ich das Gefühl verspürte ins Hotel und mein Zimmer zu laufen, weit weg von Thomas' verführerischer Nähe. Eine wohlige Wärme durchfuhr mich, zusammen mit einer tiefen, beruhigenden Stimme.
„Hab keine Angst.“Ich wandte mich ab und lief ins Hotel.

An der Tür meines Zimmers glitt ich hinab und ließ meinen Kopf in meine Hände sinken. Überwältigt von dem Ansturm an Gefühlen, bekam ich erst Minuten später mit, dass eine kleine, dunkle Hand sich auf meinen Arm legte. Ich hob den Blick und sah in ein paar brauner Augen, die den meinen so ähnlich waren. Moora sah mich mitleidig an, ein schwacher Versuch mich zu trösten. Ich breitete die Arme aus und sie stürzte sich hinein.
„Ist etwas schlimmes passiert?“
Sie bekam mit ihren sieben Jahren so viel mit, wusste wie sie mit welcher Situation umzugehen hatte.
„Tante, sag doch bitte, was passiert ist.“
„Mach dir keine Sorgen, ich bin nur ein bisschen durcheinander.“
Moora lehnte sich zurück, ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Dann musst du Schokolade essen, die hilft immer. Komm, du machst es dir bequem und ich mache dir einen Kakao.“
„Das ist lieb von dir, aber das mache ich schon. Möchtest du auch einen?“
„Oh ja, und dann gucken wir zusammen fern.“
Ich erhob mich und ging in die Küche, um den versprochenen Kakao zu machen.Ich holte zwei Tassen aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch, dann goss ich genügend Milch in eine Schale und stellte sie in die Mikrowelle, um sie zu erwärmen. Während die Milch sich in der Mikrowelle drehte, zog ich mich in das Schlafzimmer zurück, um mich umzuziehen und die Haarnadeln zu lösen, damit mir Kopfschmerzen erspart blieben. Schwarze Locken fielen über meine Schultern und meinen Rücken hinab und ein Blick in den Spiegel genügte, mir zu zeigen welchen Strapazen ich meinen Körper ausgesetzt hatte. Mit einem Seufzen ging ich ins Bad, wusch mir das Make-up vom Gesicht und begab mich schließlich wieder in die Küche, um den Kakao zu holen.
Ich kam ins Wohnzimmer und reichte Moora ihren Kakao, dann ließ ich mich mit meinem eigenen auf das Sofa sinken und zog die Beine im Schneidersitz an, schaltete den Fernseher ein, bis ich bei einem Film ankam, der Moora gefiel. Nach kurzer Zeit versank ich in Gedanken, sodass ich nur beiläufig wahrnahm wie Moora ihren Kopf auf meinen Schoß bettete und leise zu summen begann. Sie wusste, wie sehr ich es liebte, wenn sie summte, dieses leise, schnurrende Geräusch beruhigte mich ungemein und sorgte bei mir für eine innere Ruhe, sodass nichts mehr wichtig war, außer dieses mir so vertraute Geräusch. Moora hatte das erste Mal zu summen angefangen, als sie vor dem Grab ihrer Eltern gestanden hatte, ein selbst gepflücktes Gänseblümchen auf das Grab legend, während um sie herum alle mit Tränen in den Augen auf sie herabgesehen haben. Moora hatte nicht geweint, sie war stark geblieben, hatte sich umgedreht und gesagt, ihre Eltern wären nicht weg, sie wären bei ihr und passten auf sie auf, sie würden sie niemals alleine zurücklassen. Aber sie haben sie hier gelassen, weil sie eine Aufgabe hätte, sie müsste auf Romi aufpassen und dafür sorgen, dass sie jemanden findet, nicht mehr alleine und glücklich wäre, dann würden Naoh und Tim kommen und sie holen, dann würden sie wieder eine Familie sein. Dann hatte sie weitergesummt, um ihren Eltern den Weg in den Himmel zu erleichtern. Ich musste unweigerlich an Thomas denken, hatte Moora recht? Vielleicht war Thomas derjenige auf den Moora gewartet hatte, derjenige mit dem sie glücklich werden könnte, aber das waren Worte von einem Mädchen gewesen, die ihre Eltern verloren hatte und hoffte sie wiederzusehen und außerdem hatte sie keine Zukunft und kein Leben, denn auch sie würde Moora bald verlassen und daran gab es keinen Zweifel. Doch da war etwas in ihren Worten gewesen, was ihr eine Gänsehaut eingebracht hatte. Eine Vision riss mich au meinen Erinnerungen und doch hatte ich nicht das Gefühl aus Erinnerungen in die Zukunft katapultiert zu werde. Vielmehr hatte ich das Gefühl in der Gegenwart zu verweilen, obwohl das Geschehen, das sie vor sich sah, nicht eintreffen konnte, da sie alleine war. Es waren eher die Gedanken einer anderen Person die sie wahrnahm und die der Wunsch nach Erfüllung eines Anderen waren. Sie sah Thomas und sich. Sie lag auf einem Bett mit roten Seide. Thomas über ihr. Ein tiefes Brennen zog sich zwischen ihren Beinen zusammen und rief ein ihr bis dahin ungekanntes Verlangen in ihr wach. Thomas es waren Thomas Gedanken, sein Verlangen nach Sex, das sie spürte. Die Vision entglitt ihr und hinterließ nichts, als eine innere Kälte, die mein Herz zum schmerzen brachte. Ich zog Moora näher an mich, um wieder ein Gefühl der Wärme zu haben und ließ mich ins Reich der Träume hinab gleiten.

3



Gleißende Kopfschmerzen weckten mich und der Schmerz nahm mir den Atem, sodass ich glaubte, ersticken zu müssen. Ich hatte gewusst, dass das kommen würde. Die Ärzte hatten mich gewarnt, doch innerlich hatte ich noch gehofft, dass sie unrecht hatten. Doch der Tumor war da und ließ sich auch nicht einfach wegdenken, so gerne ich es auch getan hätte. Angst überkam mich und mir stieg bittere Galle hoch, denn von nun an war mein Leben vorbei. Der Endspurt war da und ich hatte das Gefühl von einer unsichtbaren Last erdrückt zu werden. Der Gedanke an den Tod ließ mich erzittern und mein Körper wurde im Sekundentakt kälter. Der Tod hatte einen bitteren Beigeschmack, doch er war unausweichlich. Nun wurden keine Jahre mehr, sondern sondern Wochen, wenn ich Glück hatte Monate, gezählt. Was sollte ich mit Moora machen? Ich wusste nicht, wo sie nach meinem Tod verbleiben würde, denn Verwandte hatte sie keine mehr. Es wurde Zeit, meine letzten Gänge zu tun, ich musste den Notar informieren, zum Bestatter und einen Platz für Moora finden. Manu sollte langsam von alldem erfahren, vielleicht würde sie sich ja Moora annehmen, dann müsste sie zumindest nicht zu fremden Menschen.
Das Poltern von Geschirr ließ mich zusammenfahren. Ich sprang von der Couch auf, auf der ich wohl die Nacht verbracht hatte, und stürzte in die Küche, in der ich, meine Nichte, auf den Schultern von Thomas, Teller aus dem Schrank holen, sah. Dieser völlig groteske Anblick weckte einen Beschützerinstinkt in mir und ich stürmte auf Thomas zu, nahm Moora herunter und setzte sie auf einen Stuhl am Esstisch. Wutentbrannt wirbelte ich herum und stieß Thomas mit erhobenem Haupt meinen Zeigefinger in die viel zu breite Brust.
„Was fällt dir eigentlich ein, sie hätte fallen können oder ihr hätten Teller auf den Kopf fallen können oder was weiß ich was.“
Thomas verschränkte die Arme vor der Brust, was mein Gestocher beendete, und verengte die Augen zu Schlitzen.
„Ihr wäre nichts passiert. Traust du mir nicht zu, ein Kind richtig zu behüten?“
Seinem Gesichtsausdruck zu Folge, hatte ich ihn beleidigt, doch war mir das egal.
„Ach ja, und was soll ich davon halten, dass ich durch einen Knall wach erde?“
Ich warf Thomas einen triumphierenden Blick zu, doch wurde meine Aufmerksamkeit durch ein Zupfen an meiner Sweater auf Moora gelenkt. Gereizt sah ich sie an, nur um gleich wieder etwas ruhiger zu werden, da Moora mich entsetzt ansah.
„Aber ich habe den Teller fallen gelassen und Thomas hatte ihn nicht auffangen wollen, weil er nicht wollte, dass ich hinunterfalle.“
Ich hob meinen Kopf und sah in Thomas' breites, triumphierendes Grinsen. Durch dieses Grinsen wurde meine Wut nur noch mehr angefacht, Thomas warf noch Holz in Feuer.
„Und überhaupt was machst du eigentlich hier. Ich habe dich nicht eingeladen und Moora darf niemanden in die Wohnung lassen.“
Mooras kindliches Lachen drang an meine Ohren und ließ die Wut ein wenig abklingen.
„Du hast so tief geschlafen, dass ich dich nicht geschafft habe zu wecken und da habe ich Thomas rein gelassen.“
Moora nahm mir definitiv die Argumente.
„Trotzdem, ich habe dich nicht hergebeten.“
„Das stimmt wohl, aber so wie die Dinge gestern zwischen uns gestanden haben, wollte ich noch einmal mit dir darüber reden.“
Ich lehnte mit der Hüfte an der Arbeitsfläche und verschränkte jetzt meinerseits die Arme vor der Brust.
„Ich bin hier, na dann lass mal hören.“
„Nicht hier.“
Er sah zu Moora und dann wieder zu mir zurück.
„Ich dachte mir eigentlich, dass wir ein wenig spazieren gehen könnten.“
Ich sah Moora lange an, unschlüssig, wie ich mich entscheiden sollte.

Blopp. Blopp. Der Stein hüpfte über die Wasseroberfläche. Ich suchte bereits nach dem nächsten, um meine Hände irgendwie zu beschäftigen.
„Okay, sind wir jetzt weit genug gelaufen, um zu reden?“
Ich erwartete keine Antwort, immerhin hatte Thomas jeden Versuch von mir ein Gespräch zu beginnen, im Keim erstickt und eigentlich hatte ich es bereits aufgegeben mit ihm zu reden, aber so langsam wurde ich nervös. Ich hätte auch bei Moora bleiben können, doch mein einziges Argument nicht mit Thomas mitgehen zu müssen, wurde entkräftet, denn Moora warf ein, sich mit einer Freundin zu treffen. Also folgte ich Thomas Richtung Park, der einmal nicht durch Sonnenschein durchflutet war, und da fing ich dann an, Steine in den Teich zu werfen. Doch ich erhielt eine Antwort: „Findest du, dass wir bereits weit genug gegangen sind?“
„Wenn es nach mir gegangen wäre, wären wir erst gar nicht so weit gegangen.“
„Warum bist du dann gefolgt?“
Für gewöhnlich hatte ich immer eine passende Antwort zur Verfügung, doch darauf wusste ich nichts zu erwidern.
„Weil ich … weil man mir beigebracht hat, höflich gegenüber Gästen zu sein.“
„Und als ich das Haus verlassen hatte?“
Ich erhob mich und warf die Hände über den Kopf, während ich mich ihm zu wandte.
„Ich habe keine Ahnung. Und um ehrlich zu sein, macht mir diese Machtlosigkeit Angst.“
Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mir direkt in die Augen.
„Warum bist du einfach fortgelaufen?“
Seine Worte nahm ich nicht wahr, meine Augen waren fixiert auf seine hinreißenden Lippen, die von Minute zu Minute verführerischer wurden. Nur widerstrebend löste ich meinen Blick und sah ihm in die Augen, die nicht weniger hinreißend waren. Thomas war so freundlich seine Frage noch einmal zu wiederholen, nur erhielt er auf sie keine Antwort. Ich war zu verwirrt wegen der Reaktionen meines Körpers auf Thomas und ging einige Schritte von ihm weg, in der Hoffnung, Abstand würde meinen Körper zur Räson bringen. Außer einem Gefühl von Verlust und einem Blick aus verengten Augen, erhielt ich aber nichts. Na super und was sollte ich nun tun? Das Verlangen in Thomas' Nähe zu sein, war überwältigend und machte mir eine Heidenangst.
„Warum antwortest du mir nicht?“Jetzt bekam ich schon Halluzinationen, denn ich bildete mir ein Thomas' Stimme zu hören, ohne dass er seine Lippen bewegte.
„Es steht mir doch zu freien Willens zu gehen wohin ich will, oder etwa nicht?“
Thomas überbrückte die Schritte, die ich von ihm weg getan hatte, mit nur einem Schritt.
„Das schon, nur laufen Menschen für gewöhnlich nicht überstürzt mit bleichem Gesicht einfach weg, ohne sich zu verabschieden.“
„Du solltest dich nicht vor mir fürchten, das ist nicht richtig.“ „Wieso kann ich dich in meinem Kopf hören?“
Vollkommen schockiert sah Thomas mich an, hob die Hand und durchfurchte mit seinen Fingern seine Kopfhaut. Ein seltsamer Farbton erfüllte seine Augen, es schienen sich gelbe Schlieren durch dieses Quecksilber zu ziehen, sie tanzten, wurden stärker und wieder schwächer. Doch so schnell, wie sein Gefühlschaos entstand, war es auch wieder verschwunden.
„Wie machst du das mit deinen Augen? Sie verändern ihre Farbe.“
Die quecksilbernen Seen froren augenblicklich zu und hinterließen eine Eisschicht.
„Sie verändern sich nicht. Das schien die Sonne gewesen zu sein.“
„Aber die Sonne scheint doch gar ...“
„Wie gesagt, verändern sie sich nicht.Wieso bist du fortgelaufen. Ich will eine Antwort.“
Nun war ich diejenige, die sich die Kopfhaut zerkratzte.
„Ich war erschrocken von meinen Gedanken und Wünschen, okay? Ich habe Wünsche, die sich nie erfüllen werden und da bin ich weggelaufen.“
Thomas' Blick wurde weich und in seinem Inneren schien ein Kampf zu wüten, bei dem keiner zu gewinnen schien.
„Ich bin froh, dass du mir die Wahrheit gesagt hast.“
"Sie ist die Eine, ich bin mir ganz sicher.“ Von was redete er? Oder waren das nur meine Wunschgedanken? Ich verstand mich selbst nicht mehr und das ängstigte mich. Ich schien mich zu verlieren und das durfte mir nicht passieren, bei dem was mir noch bevorstand.
„I … Ich … Ich möchte bitte wieder zurückgehen.“
Nur widerstrebend führte Thomas mich wieder zu meiner Wohnung. Vor ihr blieben wir stehen, Thomas drehte mich zu sich um … und drückte seinen Mund auf den meinen. Es kam einem Stromschlag gleich. Die Härte des Kusses löste sich bald und seine Lippen wurden herrlich weich und zärtlich. Seine Hand strich mein Haar zurück und umfasste meinen Nacken, während die andere sich um meine Hüften legte. Meine Anspannung löste sich und ich lehnte mich an seine Brust, um nicht zu Boden zu sinken. Das war es, was ich immer fühlen wollte, nur schade, dass es zu spät kam, das Gefühl der Nähe und Anziehung. Schweren Herzens löste ich mich von ihm und schloss die Tür auf, ohne ihn dabei anzusehen. Ich hörte Thomas schwere Schritte die Treppe hinunter schreiten, er ging, ohne sich zu verabschieden, und er würde nicht wiederkehren.
„Hol mich morgen Abend ab. Und such ein vernünftiges Restaurant aus.“
Ich betrat die Wohnung und schloss die Tür hinter mir.

4



Mein Blick irrte ziellos hin und her, ich war auf der Suche nach einem passenden Kleid. Frustriert wirbelte ich herum und besah den Haufen Kleidungsstücke auf meinem Bett mit bösem Blick, hoffnungslos. Außer einem Hosenanzug besaß ich nichts vernünftiges, dass sich zum Ausgehen eignete. Der Haufen vor mir begann sich selbstständig zu machen, er zuckte bedenklich, und zwischen zwei Blusen kämpfte sich die völlig zerzauste Moora heraus. Sie hielt mir den blauen Hosenanzug entgegen.
„Der ist hübsch, zieh ihn doch an.“
Ich sah Moora vielsagend an.
„Das ist nicht gerade weiblich. Damit kann ich mich doch nicht ausführen ...“
„Dann sag ich es mal so. Du wirst es anziehen, sonst Thomas bald hier und du musst die Tür in Unterwäsche aufmachen. Und wie sieht das dann aus?“
Ich sah die halbe Portion mir gegenüber mit großen Augen an.
„Du hast eine ganz schön große Klappe für eine Siebenjährige, weißt du das? Und du hast recht.“
Ich nahm ihr den Bügel ab und rauschte an ihr vorbei ins Bad.
Als ich nach ein paar Minuten wieder in mein Zimmer kam, versuchte Moora verzweifelt Ordnung in mein Chaos zu bringen. Ich nahm ihr meine Sachen ab und ließ sie sich aufs Bett setzen und fernsehen. Meine Haare steckte ich noch vor meinem Spiegel in einen losen Knoten, da bemerkte ich den kleinen Schnitt an meiner Unterlippe. Er war sehr fein und keineswegs durch zu trockene Lippen zu Stande gekommen. Er ähnelte der Art Verletzung, nachdem man sich einen Dorn aus der Haut entfernt hatte. Ich wusste jedoch, dass nichts dergleichen geschehen war. Ein kalter Angstschauer lief mir den Rücken hinunter und meine Nackenhaare stellten sich auf. Vorsichtig berührte ich den kleinen Schnitt, in der Hoffnung, so herauszufinden, woher er stammte, doch erfuhr ich dadurch auch nicht mehr, als ich vorher wusste. Las es klingelte sprang Moora vom Bett und lief Richtung Haustür, um Thomas zu empfangen. Nach einem kurzen Aufschrei, hörte ich ein tiefes Uff, das unweigerlich von Thomas kam, und schließlich betrat Thomas, mit Moora im Arm, mein Schlafzimmer. Mooras Grinsen war vermutlich nicht so schnell aus ihrem Gesicht zu bekommen. Mit vor Begeisterung schwangerer Stimme sah Moora mich ernst an:“ Ich will ihn behalten. Nein, du sollst ihn behalten, damit ich immer mit ihm spielen kann.“
Thomas zog eine Augenbraue hoch und sah mich mit einem Lächeln auf den Lippen an.
„Man sollte immer die Wünsche von Kindern erfüllen, sonst werden sie quengelig.“
Moora nickte eifrig.
„Genau, höre auf ihn, er weiß es.“
Ich verdrehte lediglich die Augen und hob die Hand in Richtung Thomas.
„Das ist mein Schlafzimmer, du kannst nicht einfach hier reinkommen.“
Wortlos trat er an mich heran und bot mir seinen Arm dar, nachdem er Moora abgesetzt hatte. Mit gereiztem Blick hakte ich mich bei ihm ein. Das konnte ja ein toller Abend werden.

5



Ich besah die Speisekarte und suchte jegliche Art von Ablenkung, um nicht Thomas' angewiederten Blick zu begegnen. Ich hatte geahnt, dass es eine schlechte Idee gewesen war, mich mit Thomas zu treffen. Ich konnte mir nur nicht erklären, warum er so auf mich reagierte. Hatte er von meinem Fluch erfahren? Hatte Manu ihm etwas erzählt? Aber das glaubte ich nicht. Je länger Thomas mich ansah, desto nervöser wurde ich. Auf meinen Armen bildete sich Gänsehaut, als ich aufsah und seinem finsteren Blick begegntete. Schnell ließ ich meinen Blick wieder über die Speisekarte schweifen, obwohl ich seit mehr als fünf Minuten wusste, was ich essen wollte. Endgültig demotiviert ließ ich mit einem Seufzer die Speisekarte sinken und sah in die eisigen Augen meines Gegenübers.
„Okay, ich glaube es wäre besser, wenn ich wieder gehe. Es war offensichtlich keine gute Idee gewesen, dass wir uns noch weiter treffen. Ich weiß zwar nicht, was ich getan habe, dass dich so verärgert hat, aber ich gehe jetzt einfach wieder nach Hause.“
Schon bei der Hälfte des Satzes war ich aufgestanden und wollte meine Tasche nehmen, um so schnell wie möglich von hier verschwinden zu können. Thomas legte seine Hand auf meine und ich sah ihn direkt an. Seine, noch vorher harten, Augen wurde weicher und ich spürte seinen Blick, wie eine Berührung, auf meiner Haut.
„Setz dich wieder. Bitte verzeih, dass du annahmst, ich sei auf dich sauer. Es betrifft dich nicht. Ich verspreche dir, mich besser zu benehmen und mich deiner würdig zu zeigen.“
Verwirrt ließ ich mich wieder auf den Stuhl sinken, während eine Blondine, die bereits auf dem Weg zu unserem Tisch gewesen war, zweifellos um meinen Platz einzunehmen, dies auch wieder tat. Ein besitzergreifendes Gefühl kam in mir hoch, vielleicht sollte ich in Thomas' Nähe bleiben, natürlich nur, um ihn vor der Frauenschar zu schützen, die ihn zweifelsohne belagern würde, wäre er erst einmal alleine, den Blicken nach zu urteilen. Dies versuchte ich mir zumindest einzureden, während ich meine Bestellung aufgab und Thomas dabei skeptisch musterte. Ich war nicht sicher, ob ich dem Wandel in ihm zu trauen hatte. Aber ich war gewillt es herauszufinden. Thomas ergriff eine meiner Hände und ließ versonnen den Daumen über meinen Puls streichen, was nicht nur ihn, sondern auch mich zu beruhigen schien, was mich leicht verunsicherte, war ich mir doch sicher, nicht so empfänglich für die Berührung eines Mannes zu sein und diese auch noch als selbstverständlich anzunehmen. Aus dem Augenwinkel sah es aus, als tanzten grüne Punkte in Thomas' aAugen, wie Sterne am Nachthimmel, nur, dass sie sich zu bewegen und vergrößern schienen. Musste wohl das Licht gewesen sein, Augen veränderten schließlich nicht einfach ihre Farbe, doch mein Körper schien sich zu erhitzen und nervös zog ich miene Hand unter seiner weg und legte sie wie beiläuig auf mein Weinglas, das enige Augenblicke zuvor die Kellnerin gebracht haben musste. Dem grün wich wieder das flüssige Silber und das erotische Knistern in der Atmosphäre verschwand wieder. Was auch immer Thomas für eine Art von Mann war, sofern er überhaupt ein normaler Mann war, mein Körper reagierte unweigerlich auf den seinen. Mich überlief ein eiskalter Schsuer, gefolgt von einem heißen und ich begann unkontrolliert zu zittern. Besorgt musterte mich Thomas.
„Sind die Schmerzen sehr schlimm?“
Verwundert musterte ich ihn, woher wusste er von meiner Krankheit?
„Ich lebe ja noch.“
Lieber patzig und distanziert reagieren,damit er nicht auf die glorreiche Idee kam, mich zu bemitleiden. Ich war nur noch nicht verrückt geworden, weil ich alles und jeden von mir gewiesen hatte, der meinen inneren Schutzwall zu Fall bringen konnte. Doch Thomas schien klug genug zu sein, um nicht näher darauf einzugehen, obwohl es ihn sichtliche Überwindung kostete. Das Schweigen wurde von der Kellnerin unterbrochen, als sie uns das Essen brachte, besser gesagt mein Essen, da Thomas behauptete, schon gegessen zu haben. Während ich aß, fragte Thomas mich aus, über meine Hobbys, Interessen und mein Leben. Wir unterhielten uns über Klassik, unsere Liebe zu Puccini und debattierten über die moderne Musik und deren grausame Gefühlskälte und nicht vorhandene Individualität der einzelnen Stücke. Uns verband wohl einiges, wie sich im Laufe des Abends herausstellte.

Thomas und ich beschlossen denWeg zu meiner Wohnung zu Fuß zurückzulegen und auch da riss unsere Unterhaltung nicht ab. Schlussendlich hatte allerdings jeder schöne Abend auch ein Ende und es war Zeit sich zu verabschieden. Thomas wünschte mir noch eine gute Nacht und wartete bis ich ins Haus ging, doch an der Tür blieb ich noch stehen und drehte mich noch einmal zu ihm um.
„Der Abend hat mir sehr gefallen. Vielleicht sieht man sich ja mal irgendwann.“
„Ja, vielleicht.“
Ein schiefes Lächeln trat auf Thomas' Mund. Auch ich musste lächeln. Er setzte zu sprechen an und fuhr sich dabei mit einer Hand durch das seidene schwarze Haar.
„Vielleicht können wir ja mor …“
„Sehr gerne“, unterbrach ich ihn. Beide fingen wir an zu lachen.
„Also, bis morgen dann“, verabschiedete ich mich
„Ja, bis morgen.“
Ich sah noch Thomas hinterher, wie er in die Nacht verschwand und die Schatten seine wunderschöne Gestalt verschlangen.

6



Ich betrat die Wohnung und stolperte prompt im Dunkeln über etwas sehr großes, dass dort normalerweise nicht lag. Mit einem erstickten Keuchen hielt ich mich an der Wand fest und tastete nach dem Lichtschalter. Der Raum wurde in Licht getaucht und ich sah mich einer Siebenjährigen gegenüber, die mit vor der Brust verschrenkten Armen mit dem Fuß auf den Boden tippte. Mein Blick glitt zu dem Gegenstand, über den ich beim hereinkommen gestolpert war. Ein Koffer, geöffnet und bereits halb gefüllt.
"Ich mag Thomas ja, aber wenn er dafür sorgt, dass du mich vergisst, dann werde ich zusehen, wie ich ihn am besten wieder loswerde."
Langsam dämmerte es ir, weshalb der Koffer mitten im Raum stand und Moora mich gereizt anblickte. Ich hatte ihre Klassenfahrt vergessen! Sie würde morgen früh abreisen und ich hatte vergessen ihren Koffer zu packen, woraufhin sie bis spät in die Nacht versucht hatte, dies selbst in die Hand zu nehmen.
"Da fragt man sich doch, wer von uns beiden sich erwachsener verhält", murmelte ich.
"Hä?"
"Das heißt >wie bitte


7



Der Morgen kam viel zu früh. Ich hatte die Nacht nicht geschlafen und die Stunden der Ruhrlosigkeit zeichneten sich unter meinen Augen als dunkle Ringe ab. Ich war gereizt und verwirrt, was ich von der Vision halten sollte. Mich ließen diese Augen nicht mehr los, die Augen einer Katze. Mit einem angespannten Lächeln winkte ich Moora zu, als der Reisebus abfuhr. Erschöpfung und Trauer durchfluteten mein Inneres und ich blieb eine Weile, nachdem schon alle Eltern gefahren waren, stehen und erfasste die Realität, die mir in den letzten Tagen und Wochen entglitten war. Meine Schwester war tot, Moora eine Waise und zum ersten Mal seit dieser Nachrichten ließ ich es zu, dass meine Tränen fließen konnten. Zuerst wollte ich die Hochzeit nicht ruinieren und danach musste ich für Moora stark sein. Doch jetzt war sie nicht da und so ließ ich die Trauer mich durchfluten, gewillt sie anzunehmen, in dem Bewusstsein, dass dies die einzige Möglichkeit sein würde, alles zu verarbeiten. Stumm flossen die Tränen meine Wange hinunter, bis sie versiegten. Mit hängenden Schultern begab ich mich in Richtung Auto, mir bewusst, was ich alles zu erledigen hatte, als ich aus dem Augenwinkel eine Gestalt im Schatten eines Baumes stehen sah, ich glaubte Thomas zu sehen. Blinzelte einmal und sah Richtung Baum. Nichts. Nur der Baum. Die Vision schien mich mehr mitzunehmen. als ich wahrhaben wollte.

Mit einem Seufzen ließ ich mich in die Polster des Sitzes sinken. Ich stieß einen spitzen Schrei aus, als ich jemanden neben mir bemerkte.
"Wie bist du in mein Auto gekommen?"
"Du hast vergessen abzuschließen, da dachte ich, ich warte lieber im Auto?"
Er sah aus als wollte er noch etwas hinzufügen, unterließ es dann aber doch. Seine grauen Augen sahen mich unschuldig an. Ich musterte Thomas kritisch, denn ich war mir sicher das Auto abgeschlossen zu haben, aber ich sagte nichts, denn ich war mir nicht sicher wie ich die Vision, die ich von Thomas hatte mit dem Thomas vereinbaren sollte, den ich kennengelernt hatte. Ein Schauer überlief meinen Rücken, als ich ihm, auf der Suche nach Anzeichen von grün oder geschlitzten Pupillen, in die Augen sah. Fand jedoch nichts. Verwirrt betrachtete Thomas mich: "Willst du nicht fahren?"
"Willst du nicht aussteigen?"
Thomas sah aus der Windschutzscheibe und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Nein, eigentlich nicht. Ich würde gerne mit dir sprechen, wenn es deinem Zeitplan zu entsprechen gedenkt."
Er sprach manchmal so seltsam, dass ich den Gedanken nicht loswurde, er könnte aus einer anderen Zeit stammen. War die Vision, die mich heimgesucht hatte, vielleicht ein Einblick in seine Vergangenheit gewesen? Aber nein, das konnte nicht sein, doch mein Instinkt reit mir, auf der Hut zu sein. Und ich befürchtete, dass dieser Instinkt auf mein Herz abzielte. Ich verschloss mich innerlich und fuhr los, ohne zu wissen, wohin uns der Weg führen würde. Am Ende kamen wir wieder im Park an, ein Gefühl von Dejá-vu überkam mich und ich konnte nur schwer den Drang wiederstehen, erneut einen Stein aufzuheben und ihn über den Teich hüpfen zu lassen. Thomas strebte eine Parkbank an, ließ sich darauf nieder und überließ es mir, ob ich mich zu ihm setzen würde oder nicht. Nach kurzem Zögern ließ ich mich neben ihn sinken und sah auf den Teich, beobachtete die Enten, ließ die Natur mein Inneres mit Ruhe füllen. Befreite meinen Geist von jeglichen Gedanken. So verharrten wir Tage, oder auch nur Minuten. Die ungezwungene Stille wurde allerdings jäh unterbrochen, als sich ein überdemensional großer Hund auf meinen Schoß warf. Ich keuchte erstickt auf, zu geschockt, um eine weitere Reaktion zu zeigen, während eine Frauenstimme sich entschuldigte, im Lauf auf uns zu. Erst als das Adrenalin verbraucht war, erkannte ich die Stimme, und dann auch den Hund. Michael bettete seinen Kopf auf Thomas' Schoß und ließ sich von ihm liebevoll streicheln. Manu hetzte auf uns zu und zerrte den Irischen Wolfshund von mir herunter, der sich strikt weigerte, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Als das Gefühlsempfinden in meinen Beinen nachließ, verzog ich das Gesicht, was Thomas nicht entging. Er schob den Hund, scheinbar ohne Mühe, Von mir herunter, wo manch anderer verzweifelt wäre. keineswegs beleidigt stürmte Michael auf sein Frauchen zu und drehte Kreise um sie. Nach mehreren Anläufen konnte sie den Riesen am Halsband greifen, leinte ihn an und setzte sich mit einem Seufzen neben mich.
"Seit ich mit Steve zusammengezogen bin, wird dieser Hund nur noch von ihm verwöhnt und bemuttert. Er hat ihn sogar schon heimlich mit in unser gemeinsames Bett genommen, wenn ich geschlafen habe, obwohl ich ihm ausdrücklich untersagt habe, dies zu tun. Und wenn ich ihn darauf anspreche, lächelt er nur und verlässt mit einem Grinsen den Raum, um hinterher den Hund zu sagen, was für ein schlechtes Frauchen er habe. Ich sage euch, die beiden haben sich gegen mich verschworen."
"Manu ich muss bald wieder zurück nach Hause, in der Wohnung meiner Schwester unterzukommen war ja ein Übergang, aber es ist kein Dauerzustand. Vor ein paar Tagen sind meine Schwester und mein Schwager umgekommen und Moora macht die ganze Urlaubssache kompliziert. Ich muss sie ummelden, mich als ihren Vormund eintragen lassen und den Umzug bewerkstelligen. Es wird Zeit nach Hause zu fahren. Moora kann hier nicht alleine wohnenbleiben."
Manu sah mich mit trarigem Blick an.
"Kannst du nicht hierher ziehen. Die Wohnung deiner Schwester musst du ja nicht auflösen und Moora hat ihre Freunde hier. Steve und ich könnten dir helfen und Thomas bestimmt auch?"
Thomas nickte ernst. Hin und hergerissen zwischen dem, was mein Verstand für richtig hielt und dem, was mein Herz wollte, rutschte ich unruhig zwischen den beiden herum, zu keiner Erwiderung fähig. Schweigen breitete sich aus und völlig gebannt starrte ich auf meine ineinander verschränkten Hände.
"Wir machen das so, ich kümmere mich um die Wohnung und die Angelegenheiten mit dem Umzug. Den können Steve und Thomas übernehmen. Wir beide sagen lediglich, was sie wo zu tun haben. Glaub mir die beiden Jungs sind stark genug, um das alleine zu packen. Komm einfach morgen zu mir und dann kannst du mir sagen, wie du dich entschieden hast."
Ohne auf eine Erwiederung von mir zu warten, sprang Manu auf, umarmte Thomas und mich kurz und ging mit ihrem Hund weiter.
"Eine sehr dynamische Frau."
"Ja, das ist sie allerdings."
"Da wundert es mich nicht, dass sie Steves Gefährtin ist."
Ich warf Thomas einen Seitenblick zu, verwirrt von seinem Wortlaut.
"Du meinst wohl Ehefrau."
Thomas sah mich an, als würde er in meine Seele blicken, alles was ich war, schien in dem Moment mit ihm verbunden.
"Nein, das geht wesentlich tiefer. Eine Ehe ist oberflächlich, nichts als ein Versprechen, welches doch nur gebrochen wird. Das allerdings", er machte eine vage Handbewegung "ist für die Ewigkeit, ohne Einschränkungen. Die Seele des anderen füreinander offen."
Ich wusste nicht, was ich von dieser Aussage halten sollte, fühlte mich in meine Vision zurückgeworfen, als er den gleichen Wortlaut benutzt hatte. Ob ich Thomas als Mann wahrnehmen musste, der einen tieferen Sinn in einer Beziehung suchte, oder einen, der eine ausgeprägte Beziehungsallergie hegte. Wenn letzteres der Fall, könnte ich mir auf meine letzten Tage noch einmal unverfänglich etwas Spaß gönnen. Ich war geneigt es auszuprobieren. Man musste schon blind sein, um nicht zu merken, dass Thomas ein attraktiver Mann war, mit seinen breiten, von Muskeln durchzogenen, Schultern und den schmalen Hüften, dem kantigen Kinn und den streng blickenden Augen, die kalt wie Stahl aber auch wie flüssiges Silber sein konnten. Ein starker Kontrast zu seinem kohlschwarzen Haar. Ich unterbrach meine Schwärmerei, als mir wieder einfiel, weswegen wir hergekommen waren. Was auch immer Thomas mir zu sagen hatte, er musste schon selbst darauf zu sprechen kommen, ich würde ihn mit Sicherheit nicht daran erinnern. Ich war sowieso ungewollt hier, hätte mich geweigert mit ihm zu sprechen, wenn ich dem inneren Drang, in seiner Nähe sein zu müssen, hätte widerstehen können. Ich schob diese unwillkommene Reaktion meines Körpers auf sein gutes Aussehen und seine düstere Anziehungskraft. Eine andere Begründung wollte ich nicht in Betracht ziehen, weigerte mich, sie anzunehmen. Vollkommen schockiert registrierte ich, dass ich gebannt auf Thomas' Lippen starrte, das gleiche Gefühl, wie am ersten Abend verspürte, den unwiderstehlichen Drang seine Lippen auf meine zu spüren.
Lass es geschehen.
Diese sanfte Aufforderung, die meinem Inneren zu enspringen schien, jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Thomas fuhr sich mit der Zunge über die Innenseite seiner Lippen und eine elektrisierende Spannung baute sich zwischen uns auf. Er hob seine Hand, strich mir eine Strähne meines Haars hinter das Ohr und fuhr sanft mit seinen Fingerspitzen meinen Kiefer entlang. Sein Blick senkte sich auf meine Lippen. Wie gebannt verfolgte ich jede seiner Bewegungen mit. Flüssiges Lava floss durch meine Adern bis zum Zentrum meines Körpers, als er mit dem Daumen über meine Unterlippe strich und seine Lippen den Daumen erstzten.. Leicht berührte er meine Lippen, die Berührung von Schmetterlingsflügeln. Ich schloss die Augen und erlaubte es mir diese hauchzarte Berührung für einen Moment zu genießen, denn ein weiteres Mal würde ich solche Zärtlichkeiten nicht zulassen. Als ich drohte, mich dem Gefühl von Zärtlichkeit hinzugeben, stieß ich Thomas weg und verließ fluchtartig den Park, ohne zurückzublicken.

8



Ich schlug die Tür zu. Lehnte mich mit der Stirn dagegen und ließ mit einem Seufzen die Luft aus meinen Lungen strömen. Ich wusste nicht, wie lange ich so verharrte, regungslos und bis aufs Äußerste hochsensibel. Ich spürte jeden Luftzug auf meiner Haut, jede Faser meiner Klamotten. Das Atmen fiel mir schwer, meine Lungen waren wie zugeschnürt. Doch da ich mein Leben nicht an der Haustür lehnend verbringen wollte, beschloss ich, es auf der Couch zu versuchen. Ich ließ Mantel und Handtasche einfach zu Boden fallen, kickte im Laufen die Schuhe von den Füßen … und blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Mehr als die Hälfte des possierlichen Zweisitzers war von einem dunklen Schatten verdeckt. Zwei glühende Kohlen blickten mir aus der Dunkelheit entgegen. Fänge funkelten weiß und bedrohlich. Mit rauer Stimme erklang ein Befehl in der Stille.
„Komm zu mir, Geliebte.“
Die Vision verblasste, doch die Gestalt rührte sich kein Stück.
„Was willst du hier?“ Oh Gott, war das wirklich meine Stimme, so leise und gebrochen? Keine Reaktion. Nur tiefes Schweigen. Ich trat von einem Fuß auf den anderen. Jede Faser meines Körpers drängte der Schwärze entgegen, die die Gestalt umgab, doch mein Verstand schrie … LAUF!
Ich blieb, wo ich war, unfähig mich zu bewegen.
„Antworte.“
Das Schweigen brachte mich um. Die Gestalt ließ die Arme von der Lehne sinken und stützte sie stattdessen auf die Knie.
„Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt will.“ Seine Stimme von unterschwelliger Wut gezeichnet. Mein Verstand riet mir, die Klapperschlange nicht noch mit einem Stock zu reizen, doch gab ich nichts auf diese Warnung.
„Warum folgst du mir immer?“
Ich spürte seinen intensiven Blick überall auf mir.
„Ist es so verkehrt, sich für jemanden zu interessieren?“
Wenn das so ist, Süßer, runter mit den Klamotten und hinlegen, dachte ich mir und zog eine Grimasse.
„Such dir jemand anderen“, erwiderte ich stattdessen.
Im nächsten Moment befand sich die Gestalt direkt vor mir, nur Zentimeter von mir entfernt. Eine arktische Kälte umgab Thomas.
„Was, wenn ich dir sage, dass ich keine andere will?“
Ich wich seinem Blick aus. Da er mich um einen Kopf überragte, fiel mein Blick gerade auf seine Brust.
„Dann tut es mir für uns beide leid.“
„Was ist dein Problem? Denn da du dich zu mir hingezogen fühlst, kann es daran nicht liegen. Und wage es nicht, dies zu bestreiten.“
„Und wenn schon, das ändert nichts.“
„Ändert nicht woran? Verdammt Frau, rede mit mir!“
Wutentbrannt, so in die Ecke gedrängt worden zu sein, blickte ich ihm direkt in die Augen.
„Ich muss dir keinen Grund nennen, warum ich mich nicht primitiven Gelüsten hingebe. Akzeptiere es einfach und lass mich in Ruhe.“
„Du bezeichnest mich also als Tier, das sich nicht seines Verstandes bedienen kann!“
Sämtliche seiner Muskeln waren zum zerreißen gespannt und an seinem Kiefer zuckte ein Muskel. Thomas unterdrückte seine Wut, doch die Temperatur im Raum sank um einige Grat. In mir brach sich all der Ärger und die Trauer der letzten Wochen bahn.
„Nein, du starrsinniger Idiot, ich bin krank, okay? Und zwar nicht in dem Sinn >das wird schon wieder

9



Thomas

 



Vollkommen entspannt betrachtete ich meine schlafende Gefährtin. Sie war nach unserem leidenschaftlichen Beischlaf - welcher Stunden in Anspruch genommen hatte, wie ich leicht schockiert feststellen durfte - in einen tiefen Schlummer gefallen und atmete nun ruhig und gleichmäßig. Es war zwar nicht wie erhofft zu einem solchen Ansturm zwischen ihnen gekommen und auch aus den vollkomen verkehrten Gründen, aber dass sie es beide genossen hatten, stand außer Frage. Verträumt strich ich mit den Fingerspitzen ihre Seite entlang bis runter zu ihrem Oberschenkel und wieder hinauf. Das tat ich seitdem sie eingeschlafen war und ich verspüte keinen Anflug von Müdigkeit oder gar Langeweile. Nur innere Ruhe. Ich war foh endlich einen Schritt weiter mit seiner kleinen Gefährtin gekommen zu sein. Sie hatte zwar eine beachtliche Größe für eine Frau, mit gut 1,75m, doch damit war sie noch immer gut 20cm kleiner als ich. Und trotz ihrer Größe hatte sie nicht an Weiblichkeit eingebüßt, breites Becken, schmale Taille und lange, wohlgeformte Beine. Romina stöhnte im Schlaf und wand sich unruhig, kurz bevor sie die Augen aufschlug und mich verschlafen anblickte.
"Habe ich lange geschlafen?"
Ich strich ihr eine vorwitzige Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht und wickelte sie mir um den Finger.
"Nicht einmal annähernd lange genug. Du sahst schon gestern sehr erschöpft aus und anstatt dich in ein Bett zu bringen und dafür Sorge zu tragen, dass du dich ordentlich ausruhst, halte ich dich die halbe Nacht wach und raube dir noch den letzten Rest Energie."
"Nein, ich fühle mich ausgeruhter, als ich für möglich gehalten hätte. Ich fühle mich sogar einmal richtig wohl. Wie kommt es, dass du noch nicht wieder verschwunden bist?" Den zweiten Teil ließ sie nur sehr leise verlauten, sodass sogar ich mit einem verbesserten Gehör mich anstrengen musste, um ihn zu hören.
"Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich für dich interessiere und nicht nur auf eine Nacht aus bin." Das klang verärgerter, als ich es beabsichtigt hatte, doch es ließ sich nicht zurücknehmen.
"Du hast wohl in der Hitze des Gefechts nicht mitbekommen, dass ich krank bin." Nun war auch sie gereizt, so wie eine Mutter gereizt war, wenn sie es mit einem ungehorsamen Kind zu tun hatte, dass sich weigerte ihr zuzuhören.
"Du irrst, ich hatte schon die ganze Zeit gewusst, dass es um deine Gesundheit nicht gut bestellt ist ..."
"Von wem hast du es erfahren?", unterbrach sie mich verärgert.
"Und es interessiert mich nicht. Ich nehme nur dich wahr und nicht die Krankheit, die droht mir jeden Moment das zu nehmen, was mich nach sehr langer Zeit zu ersten mal wieder mit Freunde erfüllt. Und bevor du versuchst, jetzt zu erraten, wer es mir gesagt hat, gib es auf. Außerdem weiß ich, wie ich dir helfen kann. Wenn du dich dafür entscheiden solltest, ist deine Krankheit Vergangenheit, und alle anderen auch."
"Wie willst du mir bitteschön helfen, das ist unmöglich. Für mich ist die Zeit gekommen, so sehr es mich auch betrübt das zu wissen, aber so ist es nun einmal."
Ich küsste sie auf die Stirn, um sie etwas zu beruhigen. Und es funktionierte auch.
"Ich erzähle dir davon, wenn du ausgeschlafen hast. Dann erzähle ich dir alles. Es hängt alles von deiner Entscheidung ab."
Gehorsam schloss sie die Augen und kuschelte sich an seine Brust. Minuten vergingen ehe sie leise fragte: " Wirst du auch noch da sein, wenn ich aufwache?"
"Ich werde immer da sein, nach jedem Aufwachen, wenn du das willst."
"Ich bin froh, dass du da bist."
Dann glitt sie in den Schlaf und ich nahm den Weg meiner Hand wieder auf. Schulter, Seite, Hüfte, Oberschenkel ... Hüfte, Seite ...


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Romina

 



Ich verspürte Kälte, als ich langsam aus meinem totengleichen Schlaf erwachte. Der wärmende Körper, der Stunden zuvor noch neben mir gelegen und versprochen hatte da zu sein, sollte ich aufwachen, war verschwunden. Zurück blieb ein kühler Lufthauch, der vom geöffneten Fenster herwehte und über meine Haut strich, sodass sich Gänsehaut auf meinen Armen bildete.
Vielleicht macht er ja Frühstück, ging es mir voller Hoffnung durch den Kopf.
In heller Freude stürzte ich aus dem Bett, stolperte dabei promot über meine Klamotten und musste stürzte gegen die Wand. Um nicht frontal mit meinem Kopf dagegen zu laufen, fing ich mich mit den Händen ab. Adrenalin schoss durch meine Adern, sodass ich noch einige Sekunden starr auf Kuschelkurs mit der Wand ging, bevor ich mich eilends auf den Weg zur Küche machte. Auf halbem Weg stieg mir der Geruch nach frischem Kaffee in die Nase und meine Vorfreude kannte keine Grenzen mehr. Doch je näher ich dem Geruch kam, desto mehr hatte ich die Erkenntnis, dass ich drohte, mich in diesen rauen Typen zu verlieben.
Damit würde ich mich später befassen, beruhigte ich mein Gewissen, und lief weiter dem Geruch entgegen. In der Küche angekommen, blieb ich stehen, mein Lächeln entwich meinem Gesicht und zurück blieb Schmerz. Aber kein körperlicher Schmerz, sondern von der Sorte, die das Herz trifft, und das dann zerbrochen zu Boden sinkt. Außer einer Tasse Kaffee und einem belegten Brötchen war die Küche wie leergefegt. Nein, das stimmte nicht ganz, neben der Tasse lag ein gefalteter Zettel. Frustriert und stinkwütend ging ich auf den Zettel zu, entfaltete ihn und riss dabei eine Ecke ein. Ruhig durchatmen konnte ich dann wohl vergessen. Ich kochte vor Wut, doch ein kleiner Hoffnungsschimmer keimte in mir auf. Vielleicht war er ja nur kurz einkaufen, oder musste etwas erledigen.
Na klar tut er das, rede dir das bloß weiter ein, teilte mein Verstand mir sarkastisch mit.
Halt die Klappe, schimpfte ich zurück.
Mit zittrigen Händen las ich Thomas Mitteilung.

Guten Morgen, geliebte Romina,
Mit bedauern teile ich dir mit, dass ich nicht länger bleiben konnte, was jedoch nichts mit dir zu tun hat, oder mit dem, was letzte Nacht geschehen ist. Ich bereue es, dass ich nicht mit dir sprechen konnte, bevor ich gehen musste, aber ich bitte dich zu warten, bis ich wieder da bin, auch wenn es erst in einem Jahr sein wird. Weitere Erklärungen kann ich dir leider nicht liefern, doch ich erbitte dein Vertrauen und Geduld zu wahren, denn das mit uns beiden ist noch lange nicht geklärt und auch noch nicht vorbei. Ich bitte dich auch, den Kaffee zu trinken, den ich dir gemacht habe, es ist mir sehr wichtig. Ich warte gespannt auf den Tag, wenn wir uns wiedersehen.
Thomas

Voll unterdrückter Wut warf ich den Zettel auf die Anrichte, und starrte die Tasse wütend an.
Als ob sie etwas dafür kann, du solltest ihn suchen und zur Schnecke machen, befahl mein Verstand. Und ausnahmsweise musste ich dem mal zustimmen.
Ich griff nach der Tasse, in der Absicht sie in der Spüle auszuschütten, denn den Gefallen, den Kaffee zu trinken, würde ich ihm nicht machen. Doch ich stand nur da, mit die Tasse über der Spüle haltend, ohne sie jedoch zu kippen. Mein Instinkt - und seltsamerweise auch mein Selbsterhaltungstrieb - meldete sich, den Inhalt nicht auszuschütten, sondern so schnell wie möglich zu trinken. Trotz der Tatsache, dass der Kaffee einen komischen rotstich hatte, verließ ich mich auf meinen Instinkt und trank. Nicht nur sah der Kaffee seltsam aus, sondern er schmckte auch anders. Intensiver und würziger, allerdings nicht schlecht. Wie ein elektrischer Schlag schoss Energie durch meinen Körper und ließ meine Beine einknicken, sodass ich mich einen Augenblick später auf dem Boden sitzend wiederfand. Als der Schub nachließ stand ich vorsichtig auf und verließ die Küche.
In dem Augenblick klingelte es an der Tür. Ich hatte keine Lust auf Besuch, denn meine Stimmung hatte sich kein bisschen gebessert.
Gnade dem Gott, der vor der Tür stand, dachte ich und riss mit einem Ruck die Tür auf. Meine Wut kannte keine Grenzen und dort stand das perfekte Ventil für meine Aggressionen.
"Du!" knurrte ich und zerrte den verwirrten Steve in die Wohnung.
"Wie ich sehe, ist alles gut gelaufen." Steve grinste breit, meine tödlichen Blicke ignorierend.
"Wo ist er?"
Steve warf mir einen verwirrten Blick zu und ließ seinen Blick durch die Wohnung streifen.
"Ist er nicht hier?"
"Wäre ich sonst so stinksauer!" Die Frage war rethorisch gemeint doch Steve antwortete dennoch.
"Vermutlich nicht. Ich fasse es nicht, dieser Vollidiot kriegt auch nichts allein auf die Reihe." Den Rest konnte ich nicht richtig verstehen, da Steve vor sich hingrummelte, aber ich glaubte zu hören, dass er etwas vonwegen >er sei steinalt, und shaffe es nicht einmal, einer Frau den Hof zu machen


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Nach Minutenlangem Anstarren der Tür, stellte ich frustriert fest, dass es mir keine Befriedigung verschaffte. Mit einem Schnauben drehte ich ihr den Rücken zu und stapfte ins Badezimmer, um mich wenigstens frisch zu machen, um nicht länger seinen Geruch in der Nase haben zu müssen, denn der strafte meiner Worte Lügen, dass ich nichts für Thomas empfand. Meine innere Stimme schleuderte mir ein >ich hab's dir doch gesagt

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2 Wochen später

 



Die Blutergebnisse, die ich heute abgeholt hatte, waren überraschend gewesen. Und dann auch wieder nicht. Ich hatte vermutet, dass sich etwas verändert hatte. Die Hitze, die ich anfangs verspürt hatte, hielt einen Tag an, die Veränderungen an meinem Körper auch. Ich war ungefähr zehn Jahre in der Zeit zurückgeworfen. An Stelle meiner 34, sah ich nun aus wie 24, ebenso meine Haut, wie ein Test ergeben hatte. Nun saß ich in einem Café und feierte mit einer großen Latte. Der Krebs war verschwunden, sämtliche Krebszellen aus meinem Körper getilgt. Doch die Ärzte konnten sich meine zurückgewonnene Jugend nicht erklären, sie wollten weiter daran forschen, doch ich hatte es untersagt. Ich wusste zwar nicht, was es war, aber ich wusste, dass ich es schützen musste, mit allem, was mir zur Verfügung stand. Gedankenverloren blätterte ich durch die Tageszeitung und nippte hin und wieder an meinem Latte. Thomas hatte ich nach den ersten Tagen abgeschrieben, denn Hoffnungen hießen, dass mein Herz weiter verletzt wurde und das wollte ich ihm nicht antun. Also hatte ich mir fest vorgenommen, mein Leben zu genießen. Moora war aus eigenem Willen auf ein Internat gewechselt. Sie wollte endlich erwachsen werden, hatte sie meinen Protest unterbrochen. Ich sollte erstmal mein Leben auf die Reihe bringen und mich um mich selbst zu kümmern, da stände sie nur im Weg. Manchmal fragte ich mich, ob dieses kleine Mädchen schon als Greisin geboren worden war. Widerwillig hatte ich sie daraufhin an einem erstklassigen Internat angemeldet und sie vor der Abreise noch einmal nachdrücklich gefragt, ob sie das wirklich wollte. Sie hatte mir nur einen Kuss auf die Wange gedrückt, mich fest umarmt und auf dem Weg zum Bus zugewunken. Tja, nun saß ich allein hier und fand nichts interessanteres, als eine Tageszeitung. Neben mir wurde ein Stuhl zurückgeschoben und schwere Arme drängten in mein Sichtfeld, als sie auf dem Tisch abgelegt wurden. Ich ließ die Zeitung sinken und sah in ein paar graue Augen, die von einer modischen Brille eingerahmt wurden. Blonde Strähnen fielen dem Mann in die Stirn, und ein freundliches Lächeln saß ihm in den Mundwinkeln, sodass kleine Grübchen in den Wangen zu erkennen waren. Bei seinem Anblick musste ich unwillkürlich Lächeln, er strahlte eine enorme Lebenslust aus, die sich auf einen übertrug.
"Hallo, kann ich Ihnen helfen?" Ich war schließlich neugierig, was er von mir wollte. Hieß ja nicht, dass ich mich anderen Männern gegenüber verschloss. Thomas musste mir doch irgendwann aus dem Kopf gehen.
"Das könnten Sie in der Tat, wenn Sie mir den Gefallen tun, und mit mir einen Kaffee trinken würden."
Verlegen ließ ich mir einige Strähnen meines Haars ins Gesicht fallen, um die Röte meiner Wangen zu verdecken.
"Nun ja, ich trinke gerade einen, aber auf einen Drink danach, würde ich gerne einlassen."
"Wenn der Dame das lieber ist, gehen wir anschließend in eine Bar. Ich heiße übrigens Lasse."
"Lasse, ein seltener Name nicht? Europäer?"
"Norweger."
"Ich heiße Romina."
Lasse reichte mir freundlich die Hand, dabei wölbte sich sein Bizeps, sodass er deutlich hervortrat. Er war nicht der Typ Mann, der künstlich aufgepumpte Muskeln mit sich rumtrug. Er war eher auf natürliche, schmale Art muskulös. Ein wenig zu schmächtig für meinen Geschma ... Jetzt fing ich auch noch an, andere Männer mit Thomas zu vergleichen. Zugegeben Thomas war ein Schrank von einem Mann gewesen, ausgeprägte Muskeln, der Beschützertyp. Doch Lasse war auch kein Mann, der sich hinter einer Frau versteckte. Er war ein angenehmer Anblick für eine Frau, aber doch eher der Aristokrat, nur wilder. Ich reichte ihm die Hand, gespannt, was der Abend noch bringen würde.

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Thomas (6 Monate später)



Zitternd ließ ich mich an der kalten Steinwand zu Boden sinken. Jeden Millimeter kannte ich inzwischen von dieser Wand. Jede Unebenheit, die sich mir schon in die Haut gebohrt hat, in die offenen Wunden. Die Alternative war der Boden selbst, doch der würde wenig später von meinem Blut getränkt sein. Also ertrug ich die Schmerzen, wie schon so lange Zeit vorher. Jahrhunderte, weit über ein Jahrtausend. Ich warf den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Jedesmal wieder könnte ich mich dafür ohrfeigen, was ich getan hatte. Was ich mir und vor allem Romina angetan hatte. Ich hätte ihr alles erzählen sollen, von der Tatsache, was ich war und dass sie meine Gefährtin war, dazu bestimmt, bis in alle Ewigkeit an meiner Seite zu leben. Sie war bereits in mich verliebt gewesen, so sah es die Natur vor, und ich hatte ihr das Herz gebrochen, indem ich mein Versprechen gebrochen hatte. Sie würde sich in jemand anderen verlieben, wenn sie genug Abstand zu mir hatte, denn solange sie nicht an mich gebunden war, konnte sie nicht an Kummer sterben. Dennoch fraß diese Trennung mich innerlich auf, angefangen bei meinem Herz. Ich verlor langsam den Verstand, dessen war ich mir sicher. Schuldgefühle konnten einem Mann den letzten Nerv rauben und sie verfolgten mich jeden Augenblick, egal ob ich schlief oder wach war. Ohne mich viel zu bewegen, zog ich vorsichtig ein zerknittertes Foto aus meiner Hosentasche. Das Einzige, was mich aufrecht hielt in diesen verzweifelnen Monaten. Ich prägte mir ein weiteres Mal jeden ihrer Gesichtszüge ein, Bilder von unserem Liebesspiel traten vor mein geistiges Auge und bohrten sich wie Nägel in mein Hirn. Auch ein anderer Teil meiner Anatomie regte sich, als meine Erinnerungen an die Oberfläche traten. Trotz der Schmerzen die ich litt, drückte er sich gegen den Stoff meiner Jeans und verlangte nach Freiheit. Schnell stopfte ich das Foto in meine Tasche zurück und tilgte damit sämtliche Erinnerungen aus meinem Gedächtnis, um wenigstens ein wenig Ruhe zu bekommen.

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Romina (3 Monate später)


Schmerzen erfüllten meinen Körper in Wellen. Was vor Stunden noch ein Stöhnen war, war zu einem Schreien angewachsen. Ich war nie der Mensch gewesen, der bei jedem Anzeichen von Schmerz einen Sarg brauchte. Doch dieser Schmerz war neu, anhaltend und zwang mich in die Knie. Im übertragenem Sinne, da ich bereits lag. Die Stimmen um mich herum nahm ich nicht mehr wahr, doch das Gewirr der vielen verschiedenen Worte, die wild durcheinander sprachen, wuchsen zu einem Summen an, das mir in den Ohren dröhnte und mich folterte. Mit einem Mal wurde alles um mich herum hecktisch, meine Hand wurde gequetscht, ich stieß einen weiteren markerschütternden Schrei aus und einen Moment später erfüllte ein weiterer Schrei das Durcheinander, waährend mein Körper erschöpft in sich zusammensank. Alle Gedanken wichen aus meinem Kopf und abgelost wurde diese Stille mit einem Gefühl unendlichen Glücks. Eine Hand strich mir die Tränen aus dem Gesicht, die nicht aufhören wollten zu fließen. Lasse. Er hielt auch meine Hand und strich unendlich sanft mit dem Daumen darüber, weil er wusste, dass mich das beruhigen würde. Seine Hand hatte auch im Moment der Anspannung ein wenig zu fest zugedrückt. Doch all dies wurde egal, als mir ein kleines Bündel auf den Arm gelegt wurde. Ich sah in diese großen Augen und wusste, dass ich jeden töten würde, der dem Kleinen Bündel schaden wollte. Graue Seen sahen mich unendlich müde an, die Haut ein wenig zu dunkel, um von der Sonne geküsst zu sein und doch zu hell, um identisch mir meiner zu sein. Eine kleine Hand klammerte sich an meinen kleinen Finger. Sie sah ihrem Vater so unglaublich ähnlich. Ich sah Lasse in die Augen, Glück erfüllte mich. Meine Zukunft, anfangs nicht vorhanden, nun von einem wunderbaren Mann und einem kleinen Kind gefüllt. Nichts in der Welt würde mich dazu bringen können, dies alles aufzugeben, das war eine Tatsache, wie in Stein gemeißelt.
Lasse streckte eine Hand aus und strich dem kleinen Wesen, das nun unveränderlich an uns gebunden war, unendlich sanft über die Wange. Sie ließ meinen Finger los, um sich den von Lasse zu schnappen und schloss zufrieden die Augen.
"Wie willst du sie nennen?"
Zufrieden sah ich die Verbindung zwischen den Beiden.
"Eden. Sie soll Eden heißen."
"Eden also. Wie der Garten Eden im Paradies?"
Ihm lag ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Ich erwiederte es.
"Genau. So viel Unschuld. Und ein Neubeginn, sowohl für sie, als auch für mich." Beim letzten Teil sah ich Lasse in die Augen, in der Hoffnung ihm damit nichts und doch auch alles sagen zu können.

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Drei Monate später: Thomas



Unentschlossen stand ich vor der Tür. Zu feige, um anzuklopfen. Als ich mich gerade abwenden wollte, wurde die Tür geöffnet und ein Augenpaar starrte mich zornig an. Ohne ein Wort zu sagen betrat ich die Wohnung und bekam im selben Moment einen harten Schlag auf den Hinterkopf.
"Das lasse ich dir nur durchgehen, weil wir uns seit 700 Jahren kennen."
"701. Warum hast du nicht deine gottverdammte Klappe aufgekriegt!"
Das war keine Frage, die Steve mir stellte, es war eine Tatsache, die er festgestellt hatte, von Ratlosigkeit erfüllt.
"Jungs, wenn ihr euch jetzt prügeln wollt, dann geht bitte in den Garten, bevor hier noch was zu Bruch geht."
Manu kam mit einer Flasche und einem Bündel in den Armen aus der Küche und blieb neben uns stehen. Sie übergab Steve ihren kleinen Sohn und die Nuckelflasche.
"Hier, du kannst ihn füttern, das lenkt dich von deinen Mordgedanken ab. Thomas wird seine Gründe haben, weshalb er nicht mit Romina gesprochen hat. Und wenn ich dich erinnern darf, warst du auch nicht sehr geschickt darin, mich einzuweihen."
Die mürrische Antwort kam undeutlich.
"Aber ich habe dir gleich alles erzählt."
Manu nickte.
"Oh ja, das hast du. Und zwar so einfühlsam, wie ein fliegender Backstein."
Steve wandte sich ab und schlenderte Richtung Wohnzimmer.
"Na komm joseph, lassen wir die Mama in Ruhe. Merk dir eines, Frauen kann man es nie Recht machen. Leg dir also keine zu."
Manu zog ein Handtuch von den Schultern und warf es in Höhe von Steves Kopf.Dieser duckte sich im rechten Moment und hob es beiläufig im Gehen auf. Manu stieß mich an der Schulter an.
"Los, ab in die Küche."
Ich folgte ihr, in dem Wissen, gleich eine Rüge zu kassieren, und das von einer Frau, die nicht einmal den Bruchteil meines Alters hatte. Ohne sich abzustützen, sprang sie auf die Anrichte, griff sich einen Apfel aus einem Korb und biss kraftvoll hinein. Ich lehnte mich ihr gegenüber an den anderen Teil der Anrichte, die die Küche vom Esszimmer trennte.
"Also, schieß los."
"Was soll ich denn sagen?"
Vielleicht funktionierte die Ich-hab-keine-Ahnung-wovon-du-redest-Masche. Als keine Reaktion kam, riskierte ich einen kurzen Blick ... Verdammt. Funktionierte als doch nicht. Wut loderte unter ihrer Haut. Wäre sie keine Elfe gewesen, hätte ich ernsthaft über Flucht nachgedacht. Nicht aus Angst, sondern aus Respekt, weil sie Steves Gefährtin war. Gott sei Dank war sie keine Dämonin. Sonst wäre diese Auseinandersetzung außer Kontrolle geraten.
Mit hochgezogenen Augenbrauen wartete Manu auf meine Erklärung. Mehr aggressiv als geduldig wartend schlug sie im unermüdlich gleichbleibendem Rhytmus mit den Füßen gegen die Anrichte. Würde ich nicht anfangen zu reden, würde sie mir gewaltig in den Hintern treten. Die Fassade, die sie vor Steve gewahrt hatte, bröckelte und sie verlangte nach Antworten.
"So, es gibt also keinen wirklich guten Grund, weshalb meine beste Freundin ein Jahr lang ohne Erklärungen zubringen musste. Zudem sie sich auch noch dauernd mit dem auseinandersetzen musste, was dein Blut mit ihr gemacht hat!"
Den letzten Satz hatte sie begonnen zu schreien. Der Druck ihrer Stimme ließ das Glas Wasser auf der Anrichte zerspringen. Neben mir ertönte ein träges Klatschen. Steve lehnte am Türrahmen, ein belustigtes Funkeln in den Augen.
"Ich habe sie bisher nur dazu gebracht, mit Gegenständen nach mir zu werfen. Du treibst es noch weiter. Wenn ich es mir recht überlege, könnte sie dir viel mehr antun, als ich mit einer ordentlichen Tracht Prügel. Und so wie sie gerade aussieht, wird sie das vermutlich auch."
Sehr langsam ließ sich Manu von der Anrichte gleiten und kam auf mich zu. Vor mir blieb sie stehen und stach mir mit dem Zeigefinger in die Brust, die Krallen, die diese Elfenwesen besitzen, dabei vollständig ausgefahren.
"Du wirst zu ihr gehen und sie über alles aufklären, auch wenn du deine Chance vielleicht bereits vertan hast. Du gehst zu ihr und redest. Haben wir uns verstanden? Denn sonst werde ich nicht mehr berücksichtigen, das du der beste Freund meines Mannes bist. Du hast meiner Freundin verdamt wehgetan und dafür werde ich dich kastrieren, sofern sie das nicht selber tut."
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Steves Körper sich vor unterdrücktem Lachen schüttelte und ich schwor mir Rache dafür.
"Glaub mir mein Freund, das wird sie vermutlich wirklich tun, sie hatte es bei mir auch schon einmal beinahe gemacht. Konnte sie zwar doch noch davon überzeugen es nicht zu tun, aber dir fehlen definitiv die Argumente, um mit ihr zu verhandeln."
Manu setzt mit einem Wimpernschlag ein warmherziges Lächeln auf.
"So, möchte jemand eine Tasse Tee?"
Ungläubig blinzelte ich. Diese Frau war sprunghafter als ein Känguru. Mit dem Brodeln des Wasserkochers überlegte ich mir fieberhaft einen Plan, wie ich mit Romina sprechen konnte, ohne dass sie mich gleich zum Teufel wünschen würde - woher ich, wenn man es genau nahm, gerade erst herkam. Dieser Tag versprach lang und anstrengend zu werden. Und wenn ich schon geglaubt hatte, mit den Folterqualen das Schlimmstmögliche erlebt zu haben, musste ich mich doch eines besseren belehren. Denn sich mit diesen beiden Frauen anzulegen, bedeutete Selbstmord und zwar auf grausamste Art und Weise.

16



Ich hörte mir wüste Beschimpfungen an. Worte, die ich zum Teil noch nie in meinem sehr langen Leben gehört hatte. Und das von einer Frau, die mir gerade mal bis zur Brust ging. Zur Krönung schlug sie mir ins Gesicht, eine Ohrfeige, die sämtlichen angestauten Frust enthielt, jedenfalls war dies in meiner Vorstellung so, als ich vor Rominas Haustür stand. Seit einer Stunde überlegte ich mir ununterbrochen Szenarien, zu feige, die Wahrheit herauszufinden. Denn die Wahrheit würde mein Schicksal besiegeln. Fest entschlossen meinem Schicksal gegenüberzutreten, klopfte ich zaghaft an die Eichentür. Eine vollkommen zerzauste Latina, von oben bis unten mit Farbspritzern bekleckert, öffnete die Tür. Ihre Haare waren kürzer, war mein zweiter Gedanke, als ich sie erblickte. Sie reichten ihr nur bis zum Kinn und kringelten sich hoch. Mein erster war, Wow, denn sie war schon eine attraktive Frau gewesen, bevor sie genesen war, doch jetzt hatte ihre Haut einen satten Kaffeeton, ihre Wangen hatten einen rosigen Ton, Lippen perfekt zum Küssen und ihre Augen strahlten. Allerdings nicht vor Wiedersehensfreude. Vor Überraschung weiteten sie sich, doch kein Anzeichen von Wut oder Hass war zu entdecken. Das würde vielleicht einfacher als zu Anfang gedacht. Romina trat Beiseite und ich ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer. Dort war eine riesige Staffelei aufgebaut und mehrere Leinenwände standen im Raum verteilt. Das erklärte die bunte Farbe auf Romina.
"Was willst du hier?"
"Ich hatte doch gesagt, ich komme wieder."
"Das beantwortet nicht meine Frage."
Ich wandte mich ihr zu.
"Ich wollte wissen, wie es dir geht. Und ich wollte um Verzeihung bitten, dass ich nicht bleiben konnte."
"Wo warst du?"
"Das ist nicht so einfach zu erklären."
"Du willst es mir also nicht sagen."
Ich schwieg.
"Weißt du, ich bin nicht dein Spielzeug. Das mit uns war ein Fehler, ich wusste von Anfang an, dass man dir nicht trauen kann, ich hätte auf meinen Verstand hören sollen."
"Aber du hast auf mich gewartet, oder?"
"Oh bitte, Thomas. Die Welt dreht sich nicht um dich, werde erwachsen. Ich würde nicht ein Jahr auf einen Mann warten, der es nicht für nötig hält, sich zu erklären und mir irgendetwas einflößt, von dem ich nicht wusste, was es war."
"Du weißt es also bereits?"
Ich war verwirrt, ich dachte, Manu und Steve hatten Romina nichts gesagt.
"Dachtest du allen Ernstes, ich würde nicht wissen wollen, was mit mir passiert ist."
"Aber wie? Sie wollten nichts sagen."
"Oh, das haben sie auch nicht. Als ich erfah ... Sie haben darüber geredet und ich habe sie belauscht."
Jetzt war ich wütend. Warum konnte sie dann nicht verstehen?
"Dann weißt du auch, dass ich keine andere Wahl hatte!"
"Du hättest es mir erzählen können. Du hattest eine ganze gottverdammte Nacht Zeit gehabt. Aber du warst zu feige und hast den Schwanz eingekniffen. Auf so einen Mann warte ich nicht, tut mir leid."
Ihr ruhiger Tonfall brachte mich zur Weißglut. Ich blieb wenige Zentimeter vor Romina stehen. Ich werde dir beweisen, dass ich deiner würdig bin. Eine Woche, nur diese eine Woche."
Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Haustür öffnete sich. Romina wich einige Schritte zurück. Vor mir. Moora kam hereingestürmt und quasselte vergnügt. Als sie mich erblickte, warf sie sich ohne zögern in meine Arme und umarmte mich, so fest sie konnte. Wenige Momente später trat ein Mann mit einem Säugling im Arm ein und legte den Kopf schief, als er mich eindringlich ansah. Seine Nasenflügel bebten leicht. Dann trat er zu Romina und nahm sie besitzergreifend in den Arm, überreichte ihr das Baby, das Rominas Ebenebild zu sein schien ... und küsste sie auf die Lippen. Ein Knurren entstieg meiner Kehle, nicht nur wegen dem viel zu innigen Verhältnis der beiden, auch wegen dem Mann an sich. Etwas stimmte nicht. Doch ich konnte meinen Finger nicht darauf legen. Der Mann ergriff das Wort.
"Darf ich fragen, wer Sie sind?"
Widerwillig antwortete ich: "Thomas, der ..."
"Ein alter Bekannter von mir. Er ist auf der Durchreise", unterbrach Romina mich. Autsch! Das tat weh.
"Und er wollte gerade gehen", führte sie fort.
Schwer getroffen nickte ich, ließ Moora runter und verließ die Wohnung. So sah also mein Schicksal aus. So gut zu schlucken, wie ein Bündel Rasierklingen.

17


Manu



Blut pulsiert. Versorgt meinen Körper. Ironie, ging es mir durch den Kopf. Ein Kichern stieg meinen Hals empor, als ich vergeblich versuchte den Vampir von meiner Halsschlagader zu lösen. Wo noch dazu seine Arme stählern um meinen Körper geschlungen waren, meine Arme an meinen Körper pressten.
"Steve, du musst dich schon von mir lösen, wenn du willst, dass ich die Tür öffne."
Ein kehliges Knurren ertönte und vibrierte an meiner Haut. Nur widerwillig löste sich Steve von meinem Hals und schnell öffnete ich die Tür, bevor er es sich anders überlegen konnte.
"Außerdem kannst du deine Pläne etwas nach hinten verlegen, Romi sitzt noch im Auto und wir wollten ausgehen, also ..." .Steve hörte mir nicht mehr zu, stieß mich sanft zur Seite und betrat das Haus ... in Kampfstellung. Etwas war im Haus, was dort nicht hingehörte.
"Warte hier", wies er mich barsch an.
Den Teufel würde ich tun, dachte ich aufgebracht. Steves knurren bestätigte mir, dass er meinen Gedanken aufgeschnappt hatte. Na klar, zugeschrien hatte ich es ihm.
Lautlos schritt Steve in Richtung Wohnzimmer, ich auf Armeslänge Abstand,hinter ihm. Steve seufzte. Anscheinend drohte keine Gefahr, da er sonst keine genervte Stellung eingenommen hätte, ähnlich einem bockigen Kind, mit vor der Brust verschränkten Armen und vorgeschobenem Unterkiefer, duckte ich mich unter seinem Arm durch, um den Grund seiner mürrischen Miene näher betrachten zu können. Verdutzt blinzelte ich mehrere Male, meiner Sprache beraubt, da ich solch einen Anblick nicht erwartet hatte.
"Und du meinst, dass löst deine Probleme?" stieß Steve tadelnd aus. Bedachte man den Altersunterschied, war es lächerlich von ihm sein Gegenüber zurechtzuweisen. Ein Schulterzucken war die einzige Antwort, die er erhielt. Den glasigen Blick auf ein halbleeres Glas Whiskey gerichtet, schwankte Thomas leicht hin und her, und dabei saß er bereits. Schwarze Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und seine Kleidung saß verknittert und schief. Das schwarze Hemd hing halb aus der Hose und stand bis zum Bauch offen. Seiner Aufmachung zu urteilen, schien sein Gespräch mit Romi nicht ganz so gut gelaufen zu sein, wie erhofft. Noch vollkommen perplex von dem Anblick, der sich mir bot, konnte ich den einzigen Satz über meine Lippen bringen, der mir in den Sinn kam.
"So etwas wie betrunkene Vampire, gibt es das?"
"Du hast anscheinend gerade einen vor dir."
"Wow. Wäre er kein Freund von dir, hätte ich ihn wie eine Attraktion fotografiert. Warte, ich habe eine Idee."
Völlig begeistert sprang ich, in die Hände klatschend, auf und ab.
"Du bleibst bei Thomas und richtest ihn einigermaßen wieder her ... und ich hole Romina aus dem Auto."
Steve warf mir einen ungläubigen Blick zu.
"Und du glaubst allen Ernstes, dass ihn das aufbaut, wenn die Frau ihm erneut ins Gesicht schlägt?"
"Sie wird wenigstens Mitleid haben", warf ich probehalber ein. Steve gab mit einem Seufzen nach, ging zu Thomas rüber und riss ihn am Hemd von der Couch hoch, wobei Thomas ihn um einen Kopf überragte. Ich flüchtete hinaus, hörte jedoch noch Steves geknurrtes:"So, du riesiger Vollidiot, das ist deine letzte Chance, und wenn du die versaust, dann jage ich dich höchst persönlich wieder zurück in die Hölle ..."
Der Rest des Satzes ging im Zufallen der Tür unter. Ein wenig nervös ging ich zur Beifahrerseite meines Autos und lächelte aufgesetzt Romina an. Ich betete, dass das falschen Lächeln überzeugte. Romina zog lediglich eine Augenbraue hoch.
"Steig aus und komm rein, wir haben Besuch. Da solltest du nicht im Wagen sitzen bleiben."
Bockig stieg sie aus und verschränkte verärgert die Arme vor der Brust.
"Wer auch immer es ist, schick ihn weg und lass uns fahren. Wir wollten in die Oper und nicht zum Kaffeekränzchen."
Ich sah sie an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen.
"So etwas tut man nicht, das ist unhöflich."
"Seit wann bist du denn unter die Samariter gegangen, du blöde Ziege. Das hat dich sonst auch nicht gestört. Ich hatte bereits einen beschissenen Tag und flippe gleich aus, wenn ich noch einen auf Sonnenschein machen soll."
"Ich liebe dich auch Schatz. Und du würdest noch nicht mal einen auf Sonnenschein machen, wenn das Universum davon abhinge. Und glaub mir, bei dem Besuch, kannst du dich voll auslassen."
"Ich nehme dich beim Wort."

"Ich gehe!" schrie ich, wild entschlossen, mich nicht von meiner Entscheidung abbringen zu lassen. Doch noch ehe ich nach der Türklinke greifen konnte, stand Steve vor mir und veredelte meine Flucht.
"Lass mich durch Steve, oder ich schwöre bei Gott, du wirst diesen Tag nicht überleben."
"Du bleibst und redest mit ihm."
"Auf keinen Fall, er hat mit mir geschlafen und ist dann sang und klanglos verschwunden, nur um dann ein Jahr später vor meiner Tür aufzutauchen und von mir zu verlangen, da weiter zu machen, wo wir aufgehört haben? Ihr spinnt doch alle!"
"Lass es ihn erklären und wenn du dann immer noch gehen willst, bitte, dann kannst du gehen."
Steve war hartnäckig. Aber ich hatte definitiv keine Lust mich mit seinem, offensichtlich, alkoholisierten Freund auseinander zu setzen. Wobei sich bei mir die Frage auftat: So etwas wie betrunkene Vampire, gibt´s das?
Steves Schnauben drückte seine Zustimmung aus und Manus Hand senkte sich auf meine Schulter.
"Du hast anscheinend gerade einen vor dir. Solltest du dieses Phänomen fotografieren wollen, tu dir keinen Zwang an."
Steves warnende Knurren auf Manus geträllerte Worte ließ erahnen, dass Manu sich über etwas lustig zu machen schien. Vermutlich über ein Gespräch, dass sie vor meinem Eintreffen geführt hatte. Manu versetzte mir einen kleinen Schubs in Richtung Thomas und schob Steve vor sich her in Richtung Haustür.
"Komm Großer, wir beide fahren zu meinem Vater und holen den kleinen Miniblutsauger ab."
"Nenn unseren Sohn nicht immer so." Dann fiel die Tür ins Schloss.

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Tag der Veröffentlichung: 28.12.2010

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