Cover

Prolog

Eigentlich war eine Katze überhaupt nichts ungewöhnliches.

Und obwohl dieses Exemplar hier ein ganz besonders schönes seiner Art war, war auch sie nur das: eine Katze.

Deshalb wusste Toni auch nicht, warum er bereits seit fünf Minuten dieses Tier anstarrte und sich nicht mehr vom Fleck bewegte.

Die Nacht hatte sich bereits über Los Angeles gesenkt und verborgen hinter Wolken funkelten die Sterne am Firnament wie abertausende kleine Diamanten, allein in der unendlichen Leere.

Und er stand noch immer hier und musterte verzaubert das weiche, weiße Fell der Katze, dass nur stellenweise an Schnauze, Beinen, Ohren und Schwanz dunkel war und natürlich ihre großen, fast schon übergroßen, blauen Augen.

In seiner Faszination hörte er nicht die leisen, fast lautlosen Schritte, die sich ihm näherten.

Langsam, jeder Schritt geplant bis auf den letzten Milimeter, näherte sich der Mann seinem Opfer. Feige, von hinten. Sein Antlitz war zu einer Maske des Zorns erstarrt und leuchtete im fahlen Licht des Mondes schneeweiß.

In seiner rechten Hand hielt er ein Messer, fast schon ein Schwert, mit langer, glänzender Klinge. Diese Waffe war sicher tödlich und hatte schon viele Menschen bezwungen.

Am Griff klebte sogar noch etwas getrocknetes Blut.

Vielleicht war es unwürdig das diese Katze das Letzte war, was Toni wirklich bewusst sah.

Plötzlich legte sich eine schmale, langfingrige Hand auf seine Schulter und etwas drang mit leichtem Druck in seinen Rücken ein.

Erstaunt schnappte er nach Luft und riss die Augen auf, Schmerz spürte er noch keinen.

Zitternd senkte er den Blick und starrte ungläubig auf die Klinge, die aus seiner Brust ragte.

Aber... er hatte doch nie jemanden etwas getan. Warum musste er nun sterben?

Blut füllte seine Lungen und lief aus seinem Mund, über sein Kinn und tropfte zu Boden.

Mit einem grauenvoll rasselnden Atemzug gaben Tonis Beine unter ihm nach und er fiel nach vorne, seine Augen rollten nach oben, bis nur noch das Weiße in ihnen zu sehen war.

Dumpf schlug sein Körper auf dem dreckigen Boden auf und er tat seinen letzten Atemzug im gleichen Moment, da die Katze leise fauchte und das Fell sträubte.

Ihre Pupillen zogen sich schlagartig zusammen, als sie den Mörder fixierte und mit ausgefahrenen Krallen in seine Richtung schlug.

Unbeeindruckt wedelte der junge Mann mit einer Hand in ihre Richtung und bleckte leicht die Zähne.

"Hau ab, Katze. Du hast hier nichts zu suchen. Verschwinde!"

Noch einmal schlug er in Richtung des Tieres, bevor die Katze mit einem heiseren Knurren aufgab und in der Dunkelheit verschwand.

Kopfschüttelnd sah der Mann ihr nach, bevor er sich nach unten beugte und die Messerklinge sorgfältig an der Kleidung des Toten säuberte.

Finbar hatte seinen Auftrag aufgeführt. Nur das musste er tun, morden, und nicht denken.

Geschickt zupfte er Tonis Geldbörse aus der Tasche seiner Jeans, nahm die spärliche Ausbeute von fünfundzwanzig Dollar an sich und ließ den nutzlosen Rest wieder zu Boden fallen.

Wenigstens konnte er sein Gewissen mit dem Gedanken beruhigen, dass diese ganzen Morde einem guten Zweck dienten.

Und wenn das nicht half, blieb ihm ja noch der Alkohol.

 

1. Kapitel

 Schreiend schoß Cassandra, von allen liebevoll Cassy genannt, aus dem Bett hoch.

Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen und kalter Schweiß bedeckte ihre Haut.

Ruckartig schien ihr Magen sich umzudrehen und sie beugte sich gerade noch rechtzeitig hustend und würgend über den Bettrand, um ihren spärlichen Mageninhalt dem Fußboden zu übergeben.

Schon wieder hatte sie einen dieser Alpträume gehabt.

Seit Wochen, nein, eher schon seit Monaten, träumte sie jede Nacht. Und leider von nichts Guten, denn am Ende konnte sie sich sicher sein, dass mindestens eine Person in ihren Träumen starb.

Mit zitternden Händen schob sich Cassy die braune Haarmähne hinter die Ohren und verzog angeekelt das Gesicht. Die Angst und der Schrecken, Nachwehen des Traums, ließen langsam nach. Nur der Geschmack nach Erbrochenem und ein leicht flaues Gefühl im Magen blieben zurück.

Seufzend lehnte sie sich zurück und legte eine Hand an ihre Schläfe, bevor sie einen kurzen Blick auf den Wecker warf.

Es war genau 6.19 Uhr am Morgen. Wenn sie jetzt schon wach war, konnte sie genauso gut aufstehen und sich fürs College fertig machen. Schlafen würde sie sicher nicht mehr können.

Cassy lebte seit knapp einem Jahr alleine in Los Angeles, der Stadt der Reichen und Schönen. Reich war sie beim besten Willen nicht, aber man konnte ihr eine gewisse natürliche Schönheit unterstellen.

Ihre Eltern lebten noch in ihrer Heimatstadt Marion im ruhigen Ohio. Sie hatte es dank eines Stipendiums nach L. A. verschlagen, wo sie ihren Traum vom Kunststudium wahr werden lassen wollte.

Nun ja, Kunst studierte sie, aber das Geld reichte vorne und hinten nicht. Deshalb würde sie heute Abend in einem örtlichen Club nach Arbeit fragen.

Sie musste auch von etwas leben. Cassy wollte nicht zurück nach Marion und dort als Verkäuferin arbeiten, sich in einen Kerl verlieben, mit dem sie bereits im Sandkasten gespielt hatte und haufenweise Kinder kriegen. Nein, dass war einfach nicht ihre Welt.

Langsam und mit deutlich mieser Stimmung stand Cassy auf und ging ins Badezimmer, zog unter dem Waschbecken einen Eimer hervor und hielt ihn unter den Wasserhahn.

Müde sah sie zu, wie Wasserdampf aus dem Eimer aufstieg und warf einen eher beiläufigen Blick in den Spiegel.

Wie eigentlich immer sah sie vollkommen übernächtigt aus, dunkle Ringe verunstalteten die weiße Haut unter ihren Augen. Ganz bestimmt hielten sie die Mitstudenten für ein typisches Partygirl. Wobei Partys ihr hundertmal lieber gewesen wären als diese Träume.

Ihre langen, braunen Haare waren auf einer Seite vollkommen platt gedrückt, auf der anderen waren sie wirr und standen in mindestens vier verschiedene Richtungen ab.

Kopfschüttelnd versuchte sie ein paar Strähnen mit ihren Fingern zu entwirren.

Eigentlich hielt sie sich nicht für hübsch. Sie war normal groß, ihre Haare waren das Grauen und in ihren Augen war Cassy einfach... durchschnittlich. Nur in ihre Augen war sie vernarrt. Kein anderer hatte so große und strahlend blaue Augen, ihre Mutter hatte immer scherzhaft gesagt, ihre Tochter hätte die Augen einer Katze.

"Alles nur ein Traum", flüsterte sie leise und verdrängte die Bilder des grausamen Mordes aus ihren Gedanken. Wenn auch nur für kurze Zeit.

 

Knapp fünf Häuserblöcke weiter nördlich versuchte Finbar genau dasselbe wie Cassandra, nur mit Hilfe von Alkohol.

Mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf saß er auf einem Barhocker am Thresen und hatte die Hände rechts und links neben seinem Glas Bourbon liegen.

Er saß schon die halbe Nacht hier und langsam leerte sich der Club, immer mehr Gäste zahlten brav ihre Rechnungen und kehrten dann nach Hause zurück, in ihr vollkommen normales Leben.

Am Ende war nur noch er da... und die Bardame. Elegant setzte Therese sich neben ihn auf den Thresen und schlug die langen Beine übereinander. Die Vampirin war leidlich hübsch und zur Freude so mancher männlicher Clubbesucher immer sehr knapp bekleidet. Nur hatte sie keinerlei Interesse an irgendwelchen Männern, egal wie charmant sie auch waren.

Lachend legte sie eine Hand auf seinen Arm und drückte ihn leicht.

"Möchtest du nicht langsam nach Hause? Oder soll ich dir die Schlüssel da lassen und du schließt ab, wenn du gehst?"

Wortlos trank Finbar sein Glas aus und legte die erbeuteten fünfundzwanzig Dollar auf den Tisch. Momentan war er einfach nicht in der Stimmung für ein Gespräch mit einer Optimistin.

"Stimmt schon so, Therese."

Kopfschüttelnd sah Therese zu, wie Finbar ihren Club verließ und die Tür leise hinter ihm zuschlug. Seit sie Finbar kannte, war er kalt und abweisend. Das waren zwar die meisten seiner Art, aber er war ein wirklich mürrisches Exemplar.

Draußen auf der Straße schlug Finbar den Kragen seiner Lederjacke nach oben und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Die noch kühle Luft des langsam anbrechenden Tages halfen ihm ein wenig, den Kopf klar zu kriegen. Nach und nach zerstreuten seine Gedanken sich und er entspannte sich wieder.

"Finbar! Hey, Finbar! Herrgott, bleib doch einfach mal stehen."

Misstrauisch riss der Mörder den Kopf hoch und sah sich um, bereit sich jeden Moment zu verteidigen. Erst als sein Blick auf einen nur allzu bekannten, atheltischen jungen Mann fiel, beruhigte er sich wieder und gab die Angriffshaltung auf.

Es war ein Freund, Anubis, Wächter der Toten in Los Angeles. Mit seiner fröhlichen Aura konnte man sich kaum vorstellen, dass der sonnengebräunte Mann mit den umwerfend grünen Augen tagtäglich mit Toten zu tun hatte.

Finbar rang sich ihm zu Liebe ein müdes Lächeln ab und nickte leicht.

"Morgen Anubis. Sag mal, musst du nicht eigentlich arbeiten?"

Grinsend warf Anubis einen kurzen Blick auf seine schwere, goldene Armbanduhr und zuckte mit den Schultern.

"Ach was, mein Boss sieht das sicher nicht so eng. Ohne mich würde alles auch viel langsamer gehen. Außerdem ist in einer Stunde sowieso Feierabend. Lust auf einen Kaffee?"

Nachdenklich sah Finbar zur Seite und schüttelte dann den Kopf. Er wollte nur noch nach Hause. In seinem Kopf waren einfach zu viele düstere Gedanken. Nein, er würde sich hinlegen und für ein paar wundervolle Stunden alles vergessen. 

"Nein, Anubis, vielleicht später. Ich... es ist gerade einfach nicht so leicht. Gar nichts ist leicht."

Die Fröhlichkeit des Totenwächters wurde deutlich gedämpft und er hakte sich bei seinem Freund unter.

"Ich begleite dich wenigstens noch nach Hause. Liegt sowieso auf meinem Weg zur Arbeit. War es wieder ein Auftrag?"

Seufzend nickte Finbar und lief instinktiv in die Richtung, in der auch seine Wohnung lag.

"Muss ich das alles hier für den Rest meines Lebens machen? Versteh mich nicht falsch, ich kann morden, es ist mir egal. Es dient unserem Zweck. Aber ich hätte einfach gerne die Gewissheit, dass ich eine Wahl habe. Ich will frei sein mich zu entscheiden, ich will wählen können, ob ich für die Mächte der Finsternis kämpfe oder nicht."

Jede Nacht, mit jedem Mord an einem, der auf der Seite des Lichts stand, wurde Finbar frustrierter, wütender. Er hatte nichts gegen das Töten, er war ein Schatten, ein Wesen erschaffen aus Dunkelheit und Tod, es lag in seiner Natur. Aber er hasste es, nicht frei zu sein, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Natürlich hätte er sich immer für die Finsternis entschieden, aber die Ungerechtigkeit, dass nicht selbst gewählt zu haben, fuchste ihn jedes Mal. Und niemand dankte ihm für seine Arbeit. Nacht für Nacht kämpfte er gegen das Licht und seine Belohnung waren nur noch mehr Trottel, die zu den Guten gehörten und ihm das Leben schwer machten.

Wäre er nicht als Jäger geboren worden, wäre es vielleicht noch anders. Es gab solche Kreaturen der Nacht, die ihre Aufgaben selbst wählten. Und dann gab es die armen Kerle wie Finbar, die dank eines Zeichens zu einer Bestimmung gezwungen wurden. Von Geburt an ausersehen, die Mächte des Lichts mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Mürrisch starrte Finbar das Zeichen auf seinem Handrücken an, ein ägyptisches Henkelkreuz, umgeben vom griechischen Zeichen Omega.

"Warum solltest du nicht wählen können? Das Schicksal ist niemals fest, deine Entscheidungen beeinflussen es. Die Zukunft ist undurchsichtig. Du könntest dich hier und jetzt dazu entscheiden dem Licht zu dienen, dass würde alles ändern. Oder du könntest dich in eine Sterbliche verlieben und untertauchen, um ein normales Leben zu führen. Du verstehst, was ich meine? Du hast eine Wahl. Nur reden dir andere ein, dass du keine hättest."

Anubis' Logik war grauenvoll klar. Schaudernd löste Finbar sich von ihm und zog einen Schlüssel aus der Tasche. Sie standen vor einem heruntergekommenden Wohnhaus, die unteren Fenster waren mit Brettern vernagelt und es stank nach Dreck und Urin.

Überall flog Müll herum und in der Ferne hörte man einen Hund jaulen, sowie mehrere Schüsse. Das hier war der Teil von Los Angeles, den niemals jemand im Fernseh sah. Das hier war einfach nur ein Drecksloch, dazu genutzt den Abschaum der untersten Gesellschaftsschicht unter zu bringen.

"Danke, Anubis. Aber deine aufgezählten Möglichkeiten sind absolut unwahrscheinlich."

Ein dumpfes Lachen begleitete Finbars Worte, bevor er die Tür aufschloss.

Anubis grinste leicht und zuckte mit den Schultern.

"Irgendwo dort draußen gibt es sicher ein Mädchen für dich. Und sieh das mit Licht und Finsternis nicht so eng. Alles ist objektiv, selbst das. Licht ist nicht immer gut, Dunkelheit nicht immer böse. Es gibt überall Grautöne dazwischen. Es gibt Dinge, wie Licht und Schatten, die einfach nicht zusammen passen. Legst du grau darüber, ergibt sich hingegen ein völlig neues Bild."

 

Impressum

Texte: ©2017 Vlad Pride
Bildmaterialien: Coverdesign by Kathyjana Simons/ https://coverdesign-epicmoon.jimdo.com/
Tag der Veröffentlichung: 12.04.2017

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /