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Kapitel 1

Ich mag mich wie ich bin.

An den meisten Tagen.

Heute nicht.

Gerade wäre ich lieber eine normale fünfundzwanzigjährige, die ihr Wochenende genießt. Party machen, zu viel trinken, einen heißen Kerl abschleppen. Einfach ein paar dumme Dinge tun, die man im Anschluss bereut und mit der besten Freundin am nächsten Tag aufarbeitet.

„Hör auf dir selbst leid zu tun und komm mit“, bettelt Lee und sieht mich flehend an. Aber ich bin keine normale fünfundzwanzigjährige, genau genommen bin ich nicht mal fünfundzwanzig, sondern neunundsiebzig, da macht man keine dummen Dinge mehr, die einem hinterher leidtun oder die man bereut und meiner besten Freundin brauche ich nichts zu erzählen, die ist ständig in meinem Kopf. „Gut, dann tu dir weiter leid. Ich geh jetzt feiern“, rauscht sie beleidigt ab.

„Tu das“, murmle ich und poliere weiter meine Messer, wohlwissend, dass Lee nicht ohne mich gehen wird. Im Gegensatz zu mir ist sie nämlich wirklich Mitte zwanzig, verträgt keinen Alkohol und lässt nichts anbrennen. Sie genießt ihr Leben, die Glückliche.

„Du müsstest es einfach nur tun, statt mich zu beneiden“, ruft sie, obwohl auch das nicht nötig ist. Ich könnte sie sogar hören, würde sie flüstern. Wir geben schon ein komisches Paar ab. Sie, die kleine, quirlige Hexe und ich das hochgewachsene salige Fräulein. Noch nie gehört? Wundert mich nicht, wir gelten als ausgestorben. Wohl auch deshalb habe ich noch keine anderen wie mich getroffen. Ich gehöre zu den Feen, zu der dunkleren Fraktion.

„Grau“, verbessert Lee meine Gedanken. „Ihr habt den Leuten geholfen, wenn sie gut zu euch waren.“

„Und haben Wilderer in den Tod geschickt.“

„Die haben gewildert!“

„Wahrscheinlich hatten sie Hunger“, seufze ich. Alles was mir zu meiner Identitätsfindung geholfen hat, waren Sagen und Legenden. Nicht mal Vic, unser Boss, konnte mir mehr über uns erzählen.

„Bestimmt weiß er mehr, als er zugibt.“

„Lee, bitte“, stöhne ich, packe meine Messer weg und mache mich zum Ausgehen fertig. Lee jubelt verdammt leise, aber ich kann sie trotzdem hören.

„Weißt du, das Zusammenleben mit dir ist auch nicht immer einfach“, murrt sie und entlockt mir ein Lächeln. So sehr wir uns manchmal auch auf den Zeiger gehen, ohne einander ginge es nicht. Wir sind ein eingespielte Team, beruflich und privat und wir sind beste Freundinnen, obwohl wir völlig verschieden sind. Während Lee ihre Weiblichkeit lebt und zeigt, kann ich nicht viel damit anfangen. Ich bevorzuge Hosen, während Lee lieber Kleider trägt, man sieht sie höchst selten ohne Make-up, mich nie mit, während sie ohne ihre hohen Schuhe nicht leben kann, mag ich lieber schwere Stiefel und während Lee in Modezeitschriften blättert, interessiere ich mich mehr für Waffen.

„Das heißt aber nicht, dass wir nicht zusammenpassen“, belehrt sie mich vernehmlich. Es ist manchmal echt zum Haareraufen mit ihr. Ständig liest sie meine Gedanken…

„Und du schnappst jedes noch so leise Wort auf, wir sind quitt“, behauptet Lee und ich zucke bloß die Schultern. Wir kommen miteinander ganz gut klar und nur darauf kommt es letztlich an. Denn ich muss Lee blind vertrauen, wenn wir den bösen Gestalten auflauern und sie dingfest machen. Davon hängen unsere Leben ab.

„Dramaqueen“, zischt Lee leise und ich bin sicher, sie verdreht dabei die Augen. Trotzdem weiß ich, dass sie den Job genauso ernst nimmt wie ich.

„Du bist unsterblich, wie könnte dein Leben von mir abhängen?“

„Ich bin ein Halbblut. Ich kann sterben.“

„Alle können sterben! Sogar Vic, obwohl ich bezweifle, dass man dem einen Pflock ins Herz treiben kann.“

„Siehst du, du bist überlebenswichtig.“

„Hast du schön gesagt und jetzt gib Gas. Ich will tanzen und trinken und am Besten sofort!“

 

Ich weiß schon, was die Jugend an lauter Musik, Alkohol und zu vielen Menschen findet, aber wohler fühle ich mich deshalb auch nicht. Wie üblich, wenn ich mit Lee unterwegs bin, verschanze ich mich an eine Bar, trinke ein paar Cocktails und warte, bis ich endlich wieder nach Hause kann. In Momenten wie diesen frage ich mich, was die Menschen so toll an der Unsterblichkeit finden. Obwohl ich das ja nicht bin, zumindest gehe ich davon aus. Bisher altere ich eben nur sehr, sehr langsam. So ähnlich wie die Wergeschöpfe und dafür bin ich dankbar. Mein Leben ist endlich! Irgendwann hat man alles gesehen, hat alles probiert, worin besteht also der Sinn ständig weiterzumachen? Vic, unser Boss und ein Vampir, gibt mir immer wieder die selbe Antwort. Er meint, es wäre die Liebe, die ihn antreibt. Dabei geht es ihm weniger um die Liebe zu einer Gefährtin, sondern ganz allgemein. Wirklich verstehen kann ich das nicht. Vic meint, ich wäre dafür zu jung und in seinen Augen bin ich das bestimmt. Mit ein bisschen Glück muss ich aber auch gar nicht so alt werden, um das zu verstehen.

Ich bin mit Sicherheit nicht lebensmüde, es gibt noch einiges zu entdecken und zu erkunden, aber siebenhundert Jahre müssen es nicht sein. Zumal ich es hasse, wenn ich liebgewonnene Menschen zwangsläufig wieder verlieren muss. So wie Lee. Irgendwann wird sie sterben, hoffentlich erst mit weit über hundert, aber realistisch betrachtet…. Nein, nicht darüber nachdenken. Erst dann, wenn es unabwendbar ist. Denn so sehr sie mich mit ihrer Gedankenleserei nervt, so sehr liebe ich sie für ihr Temperament und ihre Güte. Es hat lange gedauert, bis ich zu Menschen wieder vertrauen haben konnte, aber Lee hat mich von dem übertriebenen Misstrauen befreit, als wäre es nichts.

„Puh, ich hab die Qual der Wahl“, taucht sie außer Atem neben mir auf und strahlt übers ganze Gesicht. „Guck, der Blonde, oder der große Brünette, oder das Muskelpaket“, zeigt sie mir ihre Favoriten, indem sie meinen Kopf dreht. Nicht dezent, aber so ist Lee auch nicht.

„Ahm…“

„Zu jung? Für dich vielleicht. Für mich sind sie im besten Alter. Also welcher?“

„Alle drei“, scherze ich und Lee zieht mich in eine kurze, aber ziemlich feste Umarmung. „Endlich denkst du in meinen Maßstäben. Wie sieht es bei dir aus?“

„Wie immer.“

„Komm schon, Joss. Keiner weiß, wie alt du bist. Hier geht’s doch nur um ein bisschen Bettsport.“

„Ich hab zwei gesunde Hände.“

„Das ist nicht vergleichbar! Was ist mit dem Barkeeper?“ Ich schüttle den Kopf, gar nicht mein Typ mit den ganzen Tattoos und Piercings, den viel zu weißen Zähnen und…

„Du hast doch selbst Tattoos“, zischt Lee und sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an.

„Ich bin hier, Lee. Von Männern aufreißen war nie die Rede.“

„Das muss man auch nicht extra erwähnen“, seufzt sie. „Darüber reden wir noch, ich quäle mich noch ein bisschen. Drei sind selbst mir zu viel. Bis dann.“ Mit einem eiligen Küsschen verabschiedet sich Lee vorübergehend und ich bin ehrlich erleichtert wieder alleine zu sein. Ich halte nichts von flüchtigen Bekanntschaften, wenn ich mich einem Mann hingebe, muss ich auch etwas für ihn empfinden. Außerdem ist es gar nicht so einfach, einen hübschen Kerl aufzureißen, der die Klappe so lange hält, bis ich befriedigt bin. Die meisten reden zu viel, zeigen zu viel von sich selbst und stoßen mich damit ab. Nicht ihre Schuld, überhaupt nicht, hängt wahrscheinlich mit meinen Fähigkeiten zusammen. Ich kann Menschen so sehen, wie sie wirklich sind und erfahrungsgemäß sind die Hotties eher die Frankensteins. Ich kann darüber hinwegsehen, wenn die Verbindung nicht verbal hergestellt wird, aber irgendwann reden sie alle.

„Du siehst genauso aus, wie ich mich fühle“, seufzt ein Fremder neben mir lächelnd und winkt den Barmann heran.

„Hat der Spruch schon funktioniert?“

„Nein“, lacht er, gibt die Bestellung für seine Freunde auf und wendet sich wieder mir zu. „Ich bin Matthias, aber sag ruhig Matti.“

„Joss. Du bist der Fahrer?“

„Treffer. Allerdings gibt es noch mehr zu jammern, aber was tut man nicht alles für den Job?“ Der Barkeeper bringt das Tablett mit den Getränken, Matti bezahlt und wendet sich um.

„Du bist Babysitter?“

„Noch ein Treffer, du kannst bestimmt gedankenlesen. Besser ich kümmere mich wieder um die Kinder.“

„Tu das“, lächle ich, kann es aber nicht vermeiden, Matti mit den Augen zu verfolgen. Auf Lees Skala wäre er vermutlich eine acht, von möglichen zehn. Sehr viel besser, als die Meisten, wenn sie ihren Mund aufmachen. Aber er wirkt nicht wie jemand, der es darauf anlegt heute noch ein Mädchen flachzulegen. Abgesehen davon, dass ich für ein bisschen Spaß nicht zu haben bin, aber ein wenig gucken erlaube ich mir, bevor ich ihm wieder den Rücken zukehre. Ich bestelle einen weiteren Cocktail und tue das, was ich immer tue: Warten.

 

„Wer war denn der mittelheiße Feger vorhin.“

„Niemand.“

„Matthias! Süße du kannst mir nichts verheimlichen.“

„Kann ich wohl“, beharre ich.

„Kannst du nich“, lallt Lee. Höchste Zeit mein Glas zu leeren und nach Hause zu fahren.

„Jetzt schon? Dabei wollte ich dir Günni vorstellen. Kann sein, dass er morgen zum Frühstück da ist.“

„Dann treffe ich ihn eben dort.“

„Aber erwähne die anderen beiden nicht, ja?“

„Versprochen.“

„Kann nämlich sein, dass du die auch noch kennenlernst“, grinst Lee und hält zwei Zettel mit Telefonnummern hoch. Sie ist unglaublich!

„Viel unglaublicher, dass die Kerle darauf einsteigen. Jedenfalls…bleib noch ein bisschen, ja?“

„Lee, in weniger als eine viertel Stunde wirst du dich knutschend nach Hause fahren lassen, Günni im Schlepptau und ich muss euch die ganze Nacht beim Sex zuhören.“

„Oder du nimmst Matti mit und hast selbst welchen.“

„Ich gehe jetzt, wasche mich, versorge meine Ohren mit Oropax und gehe schlafen. Mit ein wenig Glück schlummere ich schon, wenn ihr loslegt.“

„So eine Freundin habe ich gar nicht verdient.“

„Denke ich auch“, grinse ich und drück Lee kurz zum Abschied. Es macht mir nichts aus, alleine nach Hause zu gehen, oder, dass Lee immer wenn wir ausgehen, fremde Kerle abschleppt, aber ich bevorzuge es zu schlafen, wenn sie letzteres tut.

Es sind noch immer wahnsinnig viele Leute hier, obwohl es längst weit nach Mitternacht ist und so dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis ich der Hölle bestehend aus schwitzenden Leibern, gepaart mit zu viel Alkohol entkommen kann.

Die frische Luft draußen ist eine wohltat und mit tiefen Atemzügen sauge ich sie in meine Lungen, bevor ich zu meinem Auto gehe. Ein schwarzer Geländewagen, vielleicht nicht gerade unauffällig, aber unabdingbar für meine Ausflüge in die Berge.

„Hallo schöne Frau“, macht mich ein betrunkenes Kind von der Seite an. Er grinst dämlich und kopfschüttelnd lasse ich ihn stehen. Dann greift er nach meinem Oberarm. „Bleib doch noch. Ich will mich bloß ein bisschen unterhalten.“ Ja, von wegen. Die Lüge wittert jeder gegen den Wind, aber Angst habe ich deshalb keine. Dem Wicht könnte ich schneller zur Strecke bringen, als er Vergewaltigung sagen kann.

„Lass los, Kleiner. Besser für deine Gesundheit und besser für mich, weil ich keinen Ärger mit dem Boss kriege.“

„Das hättest du wohl gerne“, giggelt er, drängt mich gegen mein Fahrzeug, schiebt sein Bein zwischen meine Beine und stiert ungeniert in meinen Ausschnitt. Seufzend überlege ich mir eine Methode, um uns beide halbwegs heil aus der Sache rauszubringen. Der Kerl ist bloß ein Sterblicher, er hat keine Chance gegen mich und ich darf ihn nicht zu grob anfassen.

„Ich gebe dir noch eine letzte Chance…“, beginne ich, ehe er seine Hände forsch auf meine Brüste drückt. Okay, keine Chance mehr. Schnell lege ich meine Hand um seinen Hals und drücke zu, bis der Bengel nach Luft japst und drücke ihn von mir weg. Mit meiner linken fische ich mein Handy heraus und wähle die Nummer der Polizei. Es ist deren Aufgabe sich mit ihm zu beschäftigen und bis sie da sind, kann ich ihn in Schach halten.

„Warte“, hält mich Matti auf und umschließt mein Handgelenk mit seiner Hand.

„Worauf? Dass der Rotzlöffel sich ein unschuldiges Mädchen greift?“

„Ich passe auf ihn auf.“

„Hat ja bisher auch geklappt“, zische ich ihm sarkastisch zu.

„Du kannst mich zur Rechenschaft ziehen, wenn ich es versaue.“

„Du hast ja gar keine Ahnung“, drohe ich.

„Aber eine ungefähre Vorstellung“, deutet er mit einer Kopfbewegung auf den Flegel, der sich mit beiden Händen an meiner festkrallt. Knurrend gebe ich ihn frei, allerdings nicht ohne ihn dabei zu Boden gehen zu lassen. Das muss selbst ein Mensch aushalten. Hustend und röchelnd rollt er sich ein und bleibt erstmal liegen. Ich hätte nicht übel Lust ihm die ganze Schlechtigkeit aus dem Leib zu prügeln, aber ich habe gelernt mich an Regeln zu halten.

„Danke. Du wirst es nicht bereuen.“

„Ich hoffe du auch nicht“, speie ich unfreundlich aus, ziehe meine Hand weg, öffne den Wagen und steige ein. Mit quietschenden Reifen fahre ich davon. Jede Menge Wut und Ärger in mir. Vielleicht doch nicht nach Hause. Ein bisschen im Zentrum Dampf ablassen, wäre jetzt genau richtig und im Anschluss könnte ich vielleicht sogar dort übernachten. Zwei Fliegen, eine Klappe.

„Ich hatte so eine Ahnung, dass du heute noch auftauchen würdest“, grinst Chris breit und fordert mit einer Hand nach dem Geld, dass sein Partner ihm schuldig ist. Chris und Tucker wetten auf alles und ja, die beiden heißen wirklich so.

„Verdingst du dich neuerdings als Hellseher?“, ätze ich.

„Guter Nebenverdienst.“

„Und welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?“

„Ein Mensch. Eigentlich viele Menschen, aber der eine war besonders nervig“, erzähle ich, während ich meinen Spind öffne und mich umziehe.

„Lee?“, lacht Tucker.

„Nein, ein Kind, das denkt es könnte sich alles nehmen, was es will. Außerdem sein bescheuerter Babysitter.“

„Wird der Boss gleich auftauchen?“, neckt Chris.

„Als hätte ich mich nicht unter Kontrolle“, schnaube ich, lasse die beiden stehen und betrete die Sporthalle. Heute ist der Sandsack mein Ziel. Genau richtig, um die Wut rauszulassen. Wut auf mich, auf das dumme Kind und seinen noch blöderen Aufpasser. Früher hätte ich beide einfach umgenietet, ohne Rücksicht auf Verluste. Bevor Vic mich aufgelesen, rekrutiert und erzogen hat. Endlich jemand der mir gewachsen war, auch wenn ich es lange nicht glauben wollte. Typisch Teenager eben, obwohl mich diese trotzigen Anwandlungen auch heute noch ab und an befallen.

„Ich halte ihn“, bietet Chris an.

„Ich mag es, wenn er sich wehrt“, schnaufe ich und schlage weiter auf den Sack ein. Chris zuckt die Schultern und bringt sich hinter dem Sack in Stellung. „Sicher, dass es ein Mensch war?“ Ich werfe ihm einen abschätzigen Blick zu, ehe ich wieder kraftvoll zuschlage. Einen halben Schritt weicht Chris zurück und das reicht mir fürs erste. Als würde ich einen Menschen nicht von irgendeinem anderen Geschöpf unterscheiden können. Pah!

„Nur, weil der Boss sagt, wir sollen die Augen offen halten. Ein paar Dämonen wurden von Deutschland bis zu uns verfolgt.“

„Es waren keine Dämonen.“

„Ich frag ja nur.“

„Geh auf Streife und sieh selber nach“, schnauze ich ihn an. Warum müssen mir an Tagen wie diesen alle auf die Nerven gehen?

„Wir sind die Verstärkung“, erklärt Chris angesäuert.

„Was habt ihr denn ausgefressen?“, schleicht sich ein Grinsen auf meine Lippen.

„Wir haben für Ruhe ihm Werwolfviertel gesorgt. Wer kann denn ahnen, dass die Welpen solche Pussys sind? Zuerst den großen Macker mimen und nach einem Schlag gehen sie heulend zu Boden.“

„Nur einer, ja?“

„Vielleicht auch mehr als einer, aber die müssen lernen, dass sie mir nicht auf den Kopf scheißen können.“

„Es sind Kinder“, blase ich bestimmt ins gleiche Horn wie der Boss. Wie oft musste ich mir seine Predigten anhören!

„Mit einem viel zu losem Mundwerk. Jetzt herrscht da mal für eine Weile Ruhe.“

„Sind sie im Krankenhaus?“

„Gott, nein! Nur ein paar blaue Flecke und aufgeplatzte Lippen, als würden die nicht ebenso schnell heilen wie wir“, empört sich Chris und ein Stück weit kann ich ihn verstehen. Es ist nicht immer leicht die Grenzen zu wahren, weil sie allzu leicht verwischen. Trotzdem haben wir es auf die richtig bösen Jungs abgesehen und nicht auf ein paar halbstarke Welpen. Vielleicht ist es uns allen einfach zu ruhig. Keine wirklich fiesen Machenschaften im letzten Jahr, stattdessen schlagen wir uns mit Welpen in allen Formen herum. Passen auf, dass die Sterblichen keinen Wind von uns bekommen und warten darauf, dass etwas Großes passiert. Dass es passiert, ist uns allen klar, es ist die Ruhe vor dem Sturm und vielleicht ist der längst da, in Form der Dämonen. Keuchend teile ich einen letzten Schlag aus, ehe ich mein Haarband löse. „Ich höre mich mal um, vielleicht weiß ja jemand was über einen Dämon.“

„Können wir dich begleiten?“, will Tucker wissen, der uns aus einiger Entfernung beobachtet.

„Bestimmt nicht“, lache ich. Wenn ich mit meinen Informanten rede, will ich alleine sein.

 

Er ist hier. Hast du ihn gesehen? So lange haben wir gewartet, bis einer zurückkehrt. Es wird endlich passieren. Wir sind die Zeugen.

So aufgeregt habe ich die Bäume noch nie erlebt, entgegen ihrer Art, sind sie total aus dem Häuschen zu sein. Aber doch sicher nicht wegen eines Dämons. Den letzten haben wir erst vor zwei Jahren geradewegs in seine Heimat zurückgeschickt. Für mich eine ziemlich kurze Zeit, genau wie für meine Schützlinge.

„Wer ist er?“, frage ich und weiß, dass ich keine klare Antwort erhalten werde. Seit ich denken kann, höre ich die Bäume sprechen und sie tun es am liebsten in Rätseln. Ein bisschen nervig, wenn man schnell eine Antwort haben möchte, aber nicht zu ändern.

Man sagt er leuchtet. Er liebt uns. Er liebt alles. Er kehrt zurück. Wir möchten ihn sehen. Bring ihn zu uns, Salige.

„Ich kanns versuchen, wenn ich weiß, wer er ist“, seufze ich, setze mich, lehne mich an einen der Bäume und fühle mich sofort besser. Lange Zeit waren sie meine Familie, meine Heimat, meine Zuflucht. Bevor Vic mich gefunden hat, gab es nur sie, die Tiere und mich.

Du wirst ihn erkennen. Jeder wird es. Sie werden ihn lieben.

„Na wenigstens scheint er ein Guter zu sein“, murmle ich und schließe die Augen. Die aufgeregten Stimmen werden leiser und lullen mich ein. Herzhaft gähne ich, ehe ich einschlafe.

 

Wach auf Salige. Die Sonne steht bald am Himmel.

Ich höre die freundlichen Stimmen, lächle, will aber noch nicht zurück an die Oberfläche, nur ein paar Minuten noch Schlummern. Geborgen sein, beschützt, ehe ich meine Rolle wieder einnehme und andere beschütze.

Jetzt. Wach auf, Salige. Du musst zurück. Es rückt näher. Du musst dich vorbereiten. Wach auf.

„Worauf denn vorbereiten?“

Geh jetzt. Schnell. Man erwartet dich.

Unsanft klatscht mir ein Ast ins Gesicht und brummend öffne ich die Augen.

„Ein bisschen zärtlicher darf es schon sein.“

Spute dich. Verpasse es nicht.

„Ja, ja, schon gut“, rapple ich mich auf. Familie ist eben nicht nur Liebe und Geborgenheit.

Kapitel 2

 

Mein Handy vermeldet mehrere Nachrichten, als ich es einschalte. Von Vic. Wenn er an unserem freien Tag anruft, ist irgendetwas im Gange. Gut so! Denn mit Freizeit weiß ich nicht viel anzufangen. Wenn es nach mir ginge, würde ich so gut wie rund um die Uhr arbeiten. Ein Schläfchen zwischendurch muss drin sein, aber sonst?

„Endlich! Wo hast du dich rumgetrieben?“, will Lee wissen, als ich sie anrufe.

„Informationen eingeholt. Vic hat sich gemeldet, ich hole dich ab.“

„Nicht nötig, ich bin seit einer Stunde im Zentrum. Hier herrscht das reinste Chaos und Vic ist sauer, also, schlimmer als sonst.“

„Was ist passiert?“

„Die Dämonen sind los“, seufzt Lee. „Irgendeine große Sache, neue Leute und jeder rennt wie ein aufgeschrecktes Huhn durch die Gegend. Als hätten die noch nie einen Dämon im Land gehabt.“ Lee schnaubt abfällig und fordert mein Grinsen nahezu heraus. „Wie lange wirst du brauchen?“

„Noch fünf Minuten, kaum Verkehr um diese Zeit. Du kannst mich in der Garage abholen und mich auf den neuesten Stand bringen.“ Lee verspricht es und ich beende die Verbindung. Wenigstens haben mich die Bäume nicht ohne Grund aufgescheucht. Bin gespannt, was da vor sich geht.

Doch lange muss ich nicht warten, bereits am Eingang der Tiefgarage sind zwei Welpen postiert und halten mich an. „Soll ich mich ausweisen?“, grinse ich und der Welpe schüttelt den Kopf. Er steckt in einer meiner Wing Tsun Truppe. „Wie schlimm ist so ein Dämon wirklich?“, will er dann neugierig wissen.

„Kommt auf den Dämon an, aber dieser hier ist wohl ein richtig fieser. Keine Sorge, wir packen das schon.“ Schiebe ich hinterher, als die Angst in seinen Augen überhand nimmt. Natürlich mag ich es die Jugend ein bisschen aufzuziehen, aber sie absichtlich in Unruhe zu stürzen ist der falsche Weg. Sie sollen wachsam sein, den Rest erledigen die Seniors.

 

„Vic will dich sofort sehen!“, ruft Lee, die die Lifttüren aufhält.

„Ich komm ja schon. Was ist das für ein Dämon? Der Höllenfürst persönlich?“

„Ein nicht ganz so entfernter Verwandter, behaupten die Deutschen, aber davon überzeuge ich mich lieber selbst.“

„Geht mir genauso.“

„Außerdem mag ich die Neuen nicht. Den einen kann ich nicht lesen. Vampir, hält sich für was Besseres und lässt es einen auch spüren und die Zimtzicke die er dabei hat, ist nicht viel besser. Gestaltwandler, bevorzugt ein Miezekätzchen und genau so führt sie sich auf.“

„Nur zwei? Das genügt, dass hier alle austicken?“

„Nö, da sind noch mehr. Nur nichts Besonders, naja, der eine könnte mein Bett wärmen. Ein Werwolf. Hatte ich noch nie.“

„Und was ist mit dem Dämon“, hake ich nach und verlasse gemeinsam mit Lee den Lift.

„Das wirst du gleich in der Besprechung erfahren. Schön, dass du Zeit für uns findest“, ist Victor echt angepisst, aber anstatt den Kopf einzuziehen, teile ich aus. „Mein freier Tag, Vic. Außerdem habe ich Infos gesucht und da habe ich mein Handy grundsätzlich aus.“

„Erspar mir dein trotziges Verhalten, es gibt wichtigeres zu tun“, sagt Vic und eilt voraus.

„Erspar du mir deine miese Laune“, knurre ich leise.

„Das habe ich gehört.“

„War Absicht“, beiße ich zurück. Warum mit den Tatsachen hinter dem Berg halten? Ich dränge mich zu den anderen in den Besprechungsraum und alle aus der Tagschicht sind hier, bis auf die, die schon im Dienst sind.

„Ich halte es kurz, ihr wisst, die Sonne ist bereits aufgegangen. Wir haben beunruhigende Neuigkeiten und es ist erforderlich, dass ihr ständig abrufbereit seid. Keine freien Tage, kein Urlaub, bis wir die Sache geklärt haben. Ich habe Albert als Vertreter für den Tag ausgewählt, er wird euch die Einzelheiten mitteilen. Ich wünsche, dass wir uns nach Sonnenuntergang alle noch einmal sehen. Passt auf euch auf.“

„Sehr theatralisch“, seufzt Lee und Victor funkelt sie zornig an. Ja, manchmal hat man es mit uns ungezogenen Gören nicht leicht.

Treffer, meine Teuerste, darüber unterhalten wir uns später.

Sicher. Wie immer, aber ob wir deshalb jemals weniger vorlaut sein werden? Ich zweifle stark daran.

Al räuspert sich vernehmlich und zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. „Unser Ziel ist Eugen Zimmermann, auch bekannt als Arasel. Unsere Freunde aus Deutschland haben ihn bis zu uns verfolgt und haben um Unterstützung gebeten. Der Dämon ist in diesem Haus, in der Seidemannstraße samt Gefolgschaft untergekommen. Seit vorgestern Nacht hält er sich hier auf, vermutlich hat er Menschen bei sich. Wir gehen von Lakeien aus, könnten aber auch nur Teufelsanbeter sein. Außerdem liegt ein Zauber über dem Anwesen, das heißt wir können – wenn überhaupt – nur außerhalb zuschlagen. Die Vorder- und Rückseite, werden ständig von jeweils einem Team bewacht, zwei weitere halten sich in der Nähe auf, falls es zu einer Verfolgung kommt. Wir wechseln alle sechs Stunden, dazwischen sollt ihr euch ausruhen. Es ist wichtig, dass ihr bei bester Verfassung seid. Mit diesem Kerl ist nicht zu spaßen. Der Arbeitsplan hängt an der Infotafel aus.

Außerdem werden wir von Leuten aus Deutschland unterstützt. Einige kennen sich vielleicht schon, der Rest macht sich bitte selbst bekannt. Es ist unerlässlich, dass die Zusammenarbeit reibungslos funktioniert. Um neun will Vic euch hier sehen. Seht zu, dass ihr pünktlich seid, oder eine verdammt gute Ausrede parat habt.“ Verhaltenes Gelächter folgt, ehe Al uns entlässt. Seine Ausführung war höchstens vage, allerdings verheißt es jede Menge Arbeit und die mag ich nun mal besonders gern.

 

„Warum müssen die bösen Jungs, immer in Villen wohnen?“, fragt Lee, während sie sich mit Erdnüssen vollstopft.

„Warum gibt es keine Filme über Salige Fräulein, wilde Männer und dergleichen?“

„Was ist das für eine Frage?“

„Könnte ich dich auch fragen. Würdest du in einer einfachen Wohnung leben, wenn du mit ein wenig Gedankenmanipulation sowas haben kannst?“

„Japp. Ich gehöre zu den Guten, von mir wird das erwartet.“ Seufzend schüttle ich den Kopf. Schon vier Stunden führen wir solche sinnlosen Gespräche und in dem Haus rührt sich rein gar nichts. Kein Wunder, wäre ich ein Dämon, würde ich nach einer Nacht voller Sexorgien, Alkohol und Drogen auch erstmal ausschlafen. Krumme Geschäfte lassen sich auch besser nachts erledigen.

„Unauffälliger am Tag“, stöbert Lee einmal mehr in meinen Gedanken.

„Kommt drauf an. Wenn du Hörner hast, oder Ziegenfüße, dann…“ Grinsend sieht Lee mich an. Kein Dämon wäre so blöd, nicht in menschlicher Gestalt unter uns zu weilen. Sie sind zwar irre, aber nicht völlig idiotisch. Es ist unerlässlich, dass die Menschen nichts von uns wissen. Dabei spielt es keine Rolle ob wir dunkle oder lichte Wesen sind.

„Ausnahmsweise kein Seitenhieb auf die Sterblichen?“, stichelt Lee.

„Heute nicht. Ich dachte wir würden arbeiten, statt nur blöd rumzusitzen.“

„Das ist Arbeit“, sagt Lee mit vollem Mund. Sie stopft sich voll mit Chips und dazu gibt es Cola. Wie ihre Blase die nächsten paar Stunden überstehen will, ist mir schleierhaft.

„Alles reine Übungssache. Guck, da!“ Ein Mann mit Kapuzenjacke verlässt gerade das Haus. Die Hände tief in der Jackentasche vergraben und den Kopf gesenkt.

„Sag schon“, fordere ich Lee auf, die den Kerl gebannt anstarrt.

„Nichts. Gar nichts. Vielleicht ein Bann auf dem Anwesen, warten wir, bis er draußen ist.“ Eilig stellt sie ihre Verpflegung beiseite und wir steigen aus. Aber auch als er auf der Straße vor uns läuft, kann Lee nicht einen Gedanken von ihm auffangen. Ungewöhnlich, aber nicht weiter schlimm.

„Sag Chris bescheid, ich seh mir den Kerl mal genauer an“, schreie ich meine Gedanken wahrscheinlich wieder und biege ab, um ihn zu überholen und ihm den Weg abzuschneiden. Leider kann ich weder Gedanken lesen, noch habe ich einen ausgeprägten Geruchsinn. Der Fremde muss schon reden, damit ich weiß, woran ich bin. Dabei reicht mir ein Wort schon aus. Wenn ich ihn anremple, muss er reagieren. Schnaufend laufe ich die Parallelstraße wie eine Verrückte hoch und fange den Mann auf einem kleinen Platz ab. Jede Menge Menschen finden sich bei dem Frühlingswetter auf den Sonnenterrassen der Cafes zusammen und bieten mir Schutz.

Zielstrebig steure ich den Fremden an, greife nach meinem Handy und sehe Lee ein kleines Stück hinter dem Kerl. „Hoppla“, sage ich fröhlich, halte mich an dem Fremden fest und sehe in ein bekanntes Gesicht, dessen Lippen sich zu einem Lächeln verziehen. „Verfolgst du mich etwa?“, will Matti wissen.

„Als hätte ich nichts Besseres zu tun“, schnaube ich, lasse ihn los und lächle dann. „Ich habe gestern vielleicht etwas überreagiert. Vor dem Club.“ Nicht, dass ich das wirklich glaube, aber wenn ich ihn zu einem Kaffee überreden kann, erfahre ich vielleicht mehr.

„Er hätte die Abreibung verdient, es ist nur…“

„Dein Job. Schon klar. Ähm, kann ich es mit einem Kaffee wiedergutmachen?“

„Es gibt nichts wiedergutzumachen und gerade kann ich nicht. Ein andermal?“

„Sehr gern. Hier, damit wir nicht auf das Schicksal hoffen müssen“, lächle ich zuckersüß, halte ihm mein Handy hin und Matti tippt seine Nummer ein.

„Brich mir nicht das Herz indem du nicht anrufst.“

„Bestimmt nicht“, verspreche ich und meine es sogar ehrlich. Zumindest den Teil mit dem Anruf. Sein Herz interessiert mich kein Stück, nicht wenn es für Dämonen schlägt. Ich winke, ehe ich mich abwende und mich nach Lee umsehe. Gerade war sie doch noch da! Verdächtigen verfolgen, oder Lee suchen?

„Was bist du für ein arrogantes Arschloch!“, höre ich sie ein paar Schritte weiter zischen, kann aber die Antwort nicht aus all den Stimmen filtern. Vielleicht hätte ich doch mal üben sollen, so wie Vic es mir des Öfteren nahegelegt hat. „Ein Engel“, schnaubt Lee und ich kann sie deutlich lauter wahrnehmen. Sie muss irgendwo in dem alten, leerstehenden Kino sein. Beherzt öffne ich die Türe und bin selbst überrascht, dass sie offensteht.

„Noch nie hat jemand einen Engel gesehen“, belehrt sie jemanden und ich folge ihrer Stimme.

„Das stimmt so nicht. Die meisten haben keinen gesehen“, verbessert sie eine tiefe Männerstimme.

„Aber du, ja?“

„Ich weiß es aus Erzählungen. Sie sehen aus wie Menschen, verhalten sich wie sie und riechen sogar wie sie, aber sobald sie sich wandeln…“

„Jetzt sagt nicht, dass ich einen Engel verpasst habe“, platze ich in einen der Säle und überrascht drehen sich Lee und der Vampir zu mir. Selbst wenn ich sein wirkliches Gesicht noch nicht gesehen habe, bin ich sicher, dass er einer ist. Sein selbstgefälliges Grinsen bestätigt meine These.

„Das ist Luc, abgestellt uns zu unterstützen.“

„In der Nachtschicht“, bin ich sicher.

„Ja, er ist ein böser Querulant. Eigentlich denkt er aber, dass wir es nicht hinkriegen.“

„Wir beide, oder wir als unsere Zweigstelle.“

„Ich folge ihm zu lange, um meine Arbeit einfach aus der Hand zu geben“, spielt sich der gutgekleidete Herr auf. Einen alten, abgerissenen Vampir habe ich auch noch nie gesehen.

„Könnten wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren?“

„Sehr alt“, quittiert Lee meinen Blick.

„Und er ist kein Engel, falls ihr von dem Kapuzenheine gesprochen habt. Definitiv ein Mensch, Matti heißt er und ich habe seine Nummer.“

„Siehst du!“ herrscht Lee den Vampir an. Irgendetwas muss zwischen den beiden bereits vorgefallen sein. Wahrscheinlich, als ich nichtsahnend im Wald geschlafen habe.

„Ich habe dir gerade erklärt, dass…“

„Sie sieht das wahre Gesicht jeder Kreatur. Wäre er ein Engel, Joss wüsste es.“

„Bist du sicher?“, wendet er sich an mich.

„Ziemlich, ja.“

„Ziemlich reicht nicht.“

„Tut mir leid, ich habe noch keinen Engel getroffen“, brause ich auf.

„Wo ist er jetzt?“

„Was weiß ich. Jemand hat meine Partnerin entführt, die ihm hätte nachgehen sollen.“

„Anfänger“, faucht der Vampir.

„Jetzt hör mal gut zu. Hättest du dich nicht eingemischt, hätten wir unseren Job ordnungsgemäß erledigen können. Oder denkst du, ich könnte ihn beschatten, obwohl er mich kennt?“

„Ein guter Jäger könnte das!“ Ohne großartig zu überlegen hole ich zu einer Ohrfeige aus, die der Vampir mit Leichtigkeit abfängt und mich mit seinen goldenen Augen feindselig anstarrt. Bis er plötzlich loslässt und sich schüttelt, über die Arme streift und dabei von einem auf das andere Bein hüpft, als würde er etwas oder jemand abschütteln wollen.

„Mach das rückgängig, Hexe!“, schreit er und zaubert ein feines Lächeln auf meine Lippen und Lee zwinkert mir zu, als ich mich ihr zuwende.

„Entschuldige dich bei uns, dann überleg ich es mir.“

„Niemals!“

„Dann nicht“, zuckt Lee leichtfertig die Schultern, hakt sich bei mir unter und gemeinsam schlendern wir zum Ausgang.

„Du wirst es doch rückgängig machen, oder?“

„Klar. Sobald wir draußen in der Sonne stehen.“

 

„Was habt ihr euch dabei gedacht?“, will Vic viel zu ruhig von uns wissen. Ich weiß, dass das nur die Ruhe vor dem Sturm ist und bin ja schon froh, dass er uns nicht vor versammelter Mannschaft runterputzt. „Das kannst du auch sein. Also?“

„Es war die Schuld dieses Vampirs“, erklärt Lee lapidar.

„Dabei ist er in der Nachtschicht“, füge ich besserwisserisch hinzu.

„Als wüsste ich nicht, wie ich meine Leute einteile“, murmelt Vic und reibt sich mit der Hand über die Stirn. „Seid froh, dass Chris und Tucker seine Fährte aufgenommen haben.“

„Kriegt er eigentlich auch einen Anschiss? Wir hatten alles unter Kontrolle, bis er mich in dieses Kino gezerrt hat.“

„Lucian wollte dich vor dem Engel warnen und hättest du zugehört, wärst du rechtzeitig wieder draußen gewesen.“

„Ein Engel, der bei einem Dämon wohnt“, schnaube ich.

„Was wisst ihr über sie?“

„Sie haben Flügel und sind dem direkten Befehl des Herrn unterstellt?“, frage ich.

„Geht in die Bibliothek und recherchiert.“

„Wir sollten schlafen, Vic. Der Tag war lang genug.“

„Ihr werdet die Nachtschicht übernehmen. Zusammen mit einem männlichen Mitglied.“

„Luc“, stöhnen Lee und ich gleichzeitig.

„Schafft was immer da auch ist, aus der Welt. Das ist ein Befehl.“ Murrend stehen wir auf, weil wir wissen, dass jedes Widerwort auf taube Ohren stoßen würde. Vic ist unerbittlich, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Selber schuld, ich wollte Aufregung, jetzt habe ich sie.

 

„Laaangweilig“, gähnt Lee, kippt ihren Stuhl und verschränkt die Hände hinter dem Kopf.

„Ich dachte Hexen lieben es, in alten Büchern zu lesen.“

„Ich dachte Salige schleppen alles ab, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“

„Punkt für dich“, gebe ich murmelnd zu. Ich bin müde, will schlafen und habe überhaupt keine Lust mich durch die alten Wälzer zu quälen und mir jede Art Engel genauer anzusehen. Wer kann denn schon wissen, dass es mehr als eine Art gibt?

„Ich“, meint Lee keck und kippt laut polternd nach vorne. „Granny hat mir davon erzählt, hat aber nie welche gesehen.“

„Klar, bei euch gibt es ja nur Kobolde und Feen“, frotzle ich.

„Hör auf mich anzupissen. Ich kann nichts dafür.

„Du könntest Vics Gedanken lesen, dann wüssten wir, wonach wir suchen müssen.“

Nach dunklen Engeln, erschallte es in meinem Kopf und bestimmt reiße ich entsetzt die Augen auf, weil Lee mich fragt, ob alles in Ordnung ist. „Er ist in meinem Kopf“, flüstere ich, obwohl es nichts bringt. Er hört meine Gedanken ebenso, wie meine Stimme.

„Vor allem, weil ich nur zwei Regale weiter sitze“, sagt Luc dann laut und tritt in unser Sichtfeld. „Außerdem würde ich es bevorzugen Lucian genannt zu werden.

„Ja, ich wüsste auch gerne, wer meine Mutter ist, aber wir können eben nicht alles haben, nicht wahr?“

Im Grunde schon. Für ein Tauschgeschäft wäre ich durchaus zu haben. Hoffentlich sehe ich nicht wieder gleich erschrocken aus, wie vorhin. Ich will mich vor diesem Vampir nicht völlig zum Affen machen. „Vergebene Mühe“, lächelt er süffisant.

„Lasst mich mitreden“, wirft Lee ein und sieht mich sauer an.

„Ich hab dich nicht ausgesperrt. Das ist er.“

„Du musst nicht alles wissen, auch wenn ich bezweifle, dass Josefa ein Geheimnis für sich behalten kann.“

„Vor Lee muss ich nichts geheim halten“, begehre ich auf und Luc quittiert das mit einer hochgezogenen Augenbraue. Bestimmt offenbart sich mir irgendwann, warum alle Vampire derart arrogante Arschlöcher sind. „Ihr sucht hiernach“, übergeht Luc meine Gedanken und lässt das dicke Buch auf unseren Tisch fallen. Das Bild zeigt einen wunderschön gearbeiteten Menschen, mit einem Paar schwarzer Flügel. „Ein gefallener Engel?“, frage ich niemand bestimmten. Die Schrift kann ich nicht entziffern. Latein vielleicht, aber für Sprachen hatte ich nie viel über.

„Gefallene haben keine Flügel mehr“, unterrichtet mich Lee. „Der hier ist anders.“ Leise liest sie in der mir unbekannten Sprache. Klingt sogar richtig schön.

„Sie liest flüssig.“

„Sie ist anwesend“, brummelt Lee, um dann unbeirrt weiter zu machen, bis der Text zu Ende ist. „Das ist ein Witz, oder?“, fragt sie Luc, der den Kopf schüttelt und dann sind die beiden still. Ihre Kommunikation kann ich zwar an den Gesichtszügen erkennen, aber mir wäre es wesentlich lieber, ich könnte sie auch hören.

„Oh“, macht Lee dann und grinst mich an. „Entschuldige. Ein dunkler Engel entscheidet sich die Seelen von Dämonen und andere dunklen Seelen zu retten. Deshalb auch die schwarzen Flügel, wobei sie es bevorzugen in menschlicher Gestalt zu bleiben.“

„Und keiner der Dämonen hat bisher Verdacht geschöpft? Sie sind ja vieles, aber dumm sicher nicht.“

„Die Dunklen verhalten sich wie sie, brechen Regeln, Gesetze, Gebote, um in ihre Mitte aufgenommen zu werden.“

„Und dann? Werden Dämonen plötzlich gut?“

„Weiß man nicht“, wirft Lee ein. „Der Text gibt nicht viel mehr her und Luc behauptet man würde auch nicht viel mehr finden. Hier steht nur, dass man sie in ihrer menschlichen Form nicht erkennen kann und die Beschreibung eines dunklen Engels.“

„Das ist doch Quatsch. Bisher habe ich noch jede Spezies erkannt.“

„Sie riechen wie Menschen, sprechen wie sie, verhalten sich wie sie.“

„Weißt du noch dieser Wilde Mann? Niemand hat ihn entlarven können, bis auf mich“, wende ich mich an Lee.

„Aber Engel sind eine Spezies für sich. Sie sehen aus wie Menschen, wurden aber von Gott geschaffen, anstatt wie alle anderen geboren zu werden.“

„Wir sind alle Geschöpfe Gottes“, plappere ich nach, was ich vor Jahrzehnte in der Kirche gehört habe.

„Und trotzdem unterscheiden sich Engel von uns anderen“, behauptet Luc. Wenn dem so ist, dann werde ich schon rausfinden, ob Matti ein Engel ist. Ich muss ihm nur ordentlich auf den Zahn fühlen, ihn vielleicht aus der Reserve locken und schon wissen wir, woran wir sind.

 

„Um ehrlich zu sein, habe ich nicht geglaubt, dass du dich überhaupt melden würdest.“

„Ja, ich sehe nicht nur wie eine Zicke aus.“

„So habe ich das nicht gemeint“, rudert Matti eilig zurück.

„Keine Sorge, ich kann mit mir ganz gut leben und vertrage ein bisschen Ironie.“

„Ist schon eine Weile her, dass ich das gemacht habe“, gibt Matti zu und kratzt sich verschämt am Hinterkopf.

„Date hatte ich auch schon ewig keines mehr, aber wir könnten so tun, als ob wir zwei alte Bekannte bei einem Kaffee sind. Wir erzählen uns, was wir in den letzten Jahren so erlebt, ob und wie wir uns beruflich verändert haben und ob wir gerade vor der Scheidung stehen.“

„Stehst du?“

„Die Frage käme erst zum Schluss dran, aber nein, tue ich nicht. Keine Zeit für einen Mann und alles was dazu gehört. Was ist mit dir?“

„Eine Beziehung wäre bei meinem Beruf nicht fair.“

„Der da wäre?“

„Ich bin privater Personenschützer.“

„Wie ich! Das muss Schicksal sein“, lache ich.

„Glaubst du daran?“

„Ans Schicksal? Ich weiß nicht. Dinge passieren eben und man muss damit umgehen lernen. Mehr steckt bestimmt nicht dahinter.“

„Also keine Romantikerin“, stellt Matti wertungsfrei fest.

„Realistin mit einem Hang zur Dramatik und nur ein Hauch Romantik.“

„Interessante Mischung, durfte ich ja selbst schon erleben.“

„Danke, auch wenn ich sicher bin, dass das kein Kompliment war.“

„Natürlich war das eines. Einfach und langweilig kann jeder.“

„Willst du dich bei mir einschleimen? Klappt nämlich hervorragend.“

„Nun ja, die Wahrheit schmeichelt dir.“

„Rede einfach weiter“, grinse ich und muss gestehen, dass ich meinen Auftrag etwas aus den Augen verliere. Es ist unterhaltsam mit Matti und das konnte ich schon lange nicht mehr von einem Mann behaupten. Wenn er das überhaupt ist. „Du arbeitest also für die bösen Jungs?“ Jackpot! Matti wirkt überrumpelt, vielleicht kann ich ihm so etwas entlocken.

„Eigentlich für ihren Vater, der es verabsäumt hat, sie auf den richtigen Weg zu bringen.“

„Und das übernimmst jetzt du?“

„Auch wenn ich dafür nicht bezahlt werde“, nickt er.

„Sehr anständig von dir.“

„Klingt zu sarkastisch, als dass es ein Kompliment sein könnte.“

„Ja, mit Komplimenten habe ich es nicht so, wenn man bedenkt, dass der Kleine fast über mich hergefallen ist.“

„Aber es ist nichts passiert.“

„Auch das hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Keine Ahnung ob du dich gerne gegen ein Auto gedrückt befummeln lässt.“

„Unter gewissen Umständen“, grinst er.

„Gegen deinen Willen.“

„Ich habe versprochen besser aufzupassen und das werde ich.“

„Und was macht der Schlingel gerade? Sucht sich sein nächstes Opfer, während wir hier sitzen?“

„Schläft seinen Rausch aus“, brummt Matti, aber böse wird er nicht, auch wenn ich ihn noch so sehr trieze. Wie, um Himmels Willen, soll ich rauskriegen, wer oder was er ist, wenn er sich nicht offenbaren will? Ein sanftes Lächeln umspielt Mattis Lippen, er ist völlig zufrieden mit der Situation. Wundert mich, dass ich ihn noch nicht vergrault habe. Menschen meiden andere, die ihnen so zu Leibe rücken, vielleicht ist er aber einfach nur zu höflich.

„Und dein Auftrag ist leichter zu handeln?“, lässt Matti das Gespräch nicht abreißen.

„Es ist anders. Ich bin kein Babysitter, aber gerade ist es tatsächlich etwas zermürbend.“

„Kannst du mehr verraten?“

„Nicht viel. Wir sind an einem großen Fisch dran, sah nach einem leichten Job aus und nun – sagen wir einfach die Umstände haben sich geändert.“

„Hat man es in unserem Job je leicht? Ständig auf der Hut, ständig die Umgebung und die Leute im Blick, man arbeitet rund um die Uhr, auch wenn es nicht nötig ist.“

„Stimmt schon, aber bei meiner Vergangenheit stört mich das nicht. Ich bin so aufgewachsen, ich kenne es nicht anders.“

„Klingt nach einer traurigen Geschichte.“

„Möglich“, zucke ich die Schultern. „Ist aber Geschichte und lange vorbei.“

„Na so lange kann es noch gar nicht sein, wie alt bist du? Anfang, Mitte zwanzig?“

„Mitte, war aber metaphorisch gemeint. Ich habe damit abgeschlossen und denke nicht viel darüber nach.“

„Taffes Mädchen.“

„Frau“, grinse ich. „Wieder zurück bei den Schmeicheleien? Dabei würde ich gerne mehr von dir erfahren.“

„Ich bin mit meinem Job verheiratet und darüber kann ich nur bedingt erzählen. Ich bin ein Langweiler.“

„Du lügst nicht besonders gut.“

„Darf ich das als Kompliment werten?“

„Durchaus, damit wären wir dann quitt?“

„Für den Moment“, lächelt er und ich drohe wieder zu schmelzen. Was ist nur los mit mir? Gut, es ist schon eine ganze Weile her, seit ich mich so wohl mit einem Kerl gefühlt habe, aber immerhin ist er ein Verdächtiger. Er könnte uns in die Quere kommen und unseren Plan vereiteln.

„Lebst du schon lange hier?“, will er dann wissen und ich nicke. „Ein paar Jahre.“ Oder Jahrzehnte.

„Mein Boss ist nur geschäftlich hier und hat keinen Sinn für die Schönheit der Stadt. Magst du mich ein bisschen rumführen?“

„Warum nicht, ein bisschen Zeit bleibt noch, bevor meine Schicht beginnt.“

„Perfekt“, freut sich Matti, kramt das Geld für den Kaffee aus der Jackentasche, steht auf und sieht mich auffordernd an. Vielleicht ergibt sich so eine Chance, ihn zu durchschauen.

 

„Wo willst du anfangen? Was interessiert dich? Museen, historisch wichtige Plätze, Kirchen?“ Er zuckt nicht mit der Wimper, als ich nach letzterem frage. Vielleicht kann ich die Zeit mit Matti tatsächlich genießen, weil er einfach nur ein junger Kerl mit fragwürdigem Auftraggeber ist.

„Zeig mir deine Lieblingsplätze.“

„Die liegen alle außerhalb der Stadt“, lache ich und deute vage auf die Berge rund um uns.

„Dann hältst du dich mit dem Wandern fit?“

„Höchstens mental. Ich mag die Wälder, die Berge, die Tiere dort. Außerdem ist es herrlich ruhig an meinen Lieblingsplätzen.“

„Du steigerst meine Neugier ins Unermessliche.“

„Ist ja gut. Einen Lieblingsplatz. Er ist schnell und gut zu erreichen, aber nur den Einen, ja?“

„Es ist mir eine Ehre.“ Kopfschüttelnd steure ich in die Richtung, in der mein Wagen steht. Ohne kommen wir nicht rechtzeitig wieder in die Stadt und Vic würde mir den Kopf abreißen, wenn ich zu spät zur Schicht antrete. Zumindest jetzt, wo es doch ohnehin brodelt. Ich hoffe nur, dass Matti Schritt halten kann und mit ein bisschen Glück, können mir die Bäume weiter helfen. Zwar kann ich sie auch in der Stadt hören, aber es fällt mir schwer mich auf ihre Stimmen zu konzentrieren bei all dem Lärm und mit Matti an meiner Seite. Er bringt mich durcheinander. Ein schönes und beängstigendes Gefühl zugleich. Ich könnte es sicher genießen, wüsste ich, dass er uns nicht in die Quere kommen wird, aber bis dahin reiße ich mich lieber zusammen.

Da! Da ist er! Sie hat ihn zu uns gebracht!

Nein, nein, nein, nein, nein! Er kann es nicht sein, ich meine seht ihn euch an! Sieht so ein Engel aus?

Er leuchtet. Ist voller Liebe. Seht nur!

Ja, ich bin enttäuscht. Mächtig sogar. Ein Kerl in rund achtzig Jahren und der muss ein Engel sein, der uns im Weg steht. Seufzend beschleunige ich meinen Schritt, um unser Ziel schnell zu erreichen und meinen Frust abzubauen. Jetzt muss ich professionell sein und darf mich nicht von meinen Gefühlen leiten lassen. Die Bäume blende ich aus, so gut ich kann, obwohl sie noch immer total aus dem Häuschen sind. Ein bisschen verstehen kann ich sie, ich finde ihn auch toll. Nein, ich fand ihn toll, jetzt ist er nichts weiter, als ein Hindernis, das zwischen dem Dämon und mir steht.

„Du machst das öfter?“, keucht Matti hinter mir laut und entlockt mir ein Grinsen.

„Nicht so oft, wie ich möchte.“

„Oft genug, bei deinem Tempo.“

„Wir sind gleich da“, verspreche ich, verlasse den Weg und laufe durch den Wald. Fällt mir bestimmt leichter als ihm, weil die Pflanzen mir Platz machen. Aber nach einem kurzen Blick muss ich feststellen, dass sie es für ihn auch tun. Klar, wenn man schon mal einem Engel begegnet ist man nett zu ihm, ob er es merkt oder nicht.

„Da sind wir“, sage ich grinsend, als Matti mich schnaufend erreicht. „Das hier war früher ein Kraftplatz. Hexen haben sich hier versammelt und haben Rituale abgehalten, da drüben sind noch ein paar Findlinge über.“

„Der Ausblick ist überwältigend.“ Ich nicke bloß, weil die Nettigkeiten bald vorbei sind. Hier oben kann ich ihn zur Rede stellen, ohne, dass irgendein Mensch etwas mitkriegt. Vorher lasse ich den Blick über das Tal schweifen, den man von hier ungestört genießen kann. Ein paar Meter vor uns befindet sich ein Abhang und verhindert so, dass die Bäume einem im Weg stehen. Nachts, wenn der Mond hell scheint und die Lichter der Städte und Dörfer glitzern, ist es noch besser. Ehrfürchtig macht Matti ein paar Schritte nach vorne, inhaliert den Ausblick förmlich und bestimmt auch die Energien, die hier fließen.

„Ich kann verstehen, warum das dein Lieblingsplatz ist.“

„Und man ist so herrlich ungestört. Perfekt, um ein paar Geheimnisse zu lüften“, verschließe ich mich seiner Freundlichkeit. Er hat es definitiv nicht verdient, aber so ist das Leben eben.

„Welche Geheimnisse denn?“, ist Matti noch völlig arglos.

„Deine. Oder besser gesagt, nur das eine große.“

„Ich weiß nicht…“

„Niemand kommt jemals hier her, also los, sei schonungslos ehrlich.“

„Joss, ich weiß ehrlich nicht…“

„Gott! Ich weiß es doch sowieso längst! Oder was denkst du, warum ich so hinter dir her bin?“

„Weil ich ein feiner Kerl bin?“

„Das sehen wir offensichtlich etwas differenziert.“

„Du hattest Spaß, hast dich wohl gefühlt.“

„Ich bitte dich! Vermutlich fühlt sich jedes Geschöpf in deiner Gegenwart so!“ Und zum ersten Mal kann ich sowas wie Zorn in seinen dunklen Augen erkennen, die sich argwöhnisch zusammenziehen.

Ich hingegen ernte einen Hieb von einer Tanne und Schelte, weil ich mich so respektlos ihrem Helden gegenüber verhalte. Schön, wenn sich die Familie gegen einen verschwört.

„Was meinst du damit?“

„Was wohl? Du bist der Engel, von dem alle reden“, werfe ich ihm vor, verschränke meine Arme vor der Brust und fühle mich ihm endlich überlegen.

„Engel“, wiederholt er trocken und schüttelt den Kopf.

„Du brauchst es nicht abzustreiten. Meine Informanten haben dich endgültig enttarnt. Die Sache ist nur die, du bist im Weg.“

„Dir?“

„Uns und unserem Plan. Dein Herr ist uns ein Dorn im Auge und wir warten schon viel zu lang darauf ihn dahin zurück zu schicken, wo er her kommt.“

„Ich habe keinen Herrn, den du irgendwohin schicken könntest“, knurrt er.

„Gut, dann deinen aktuellen Auftraggeber. Nenn es, wie du willst, aber ich fürchte du wirst dir einen neuen Auftrag suchen müssen. Jetzt übernehmen wir.“

„Nicht, wenn ich ein Wörtchen mitzureden habe.“

„Tut mir leid, in dem Fall nicht. Beschlossen und verkündet. Wir erledigen den Dämon und seine Brut und du verschwindest und machst, was Engel eben so tun.“

„Das ist albern“, lacht Matti.

„Das ist eine Tatsache.“

„Kämpfst du gegen ihn, kämpfst du auch gegen mich.“

„Schön, wollen wir gleich loslegen?“

„Joss, es gibt keinen Grund, ihn in die Hölle zu schicken. Ich habe ihn im Griff.“

„Und seine Brut. Schon klar. Hätte ich an dem Abend gewusst, was ich heute weiß, wäre ich wohl nicht so nachgiebig gewesen.“

„Weder du, noch sonst jemand, wird an mir vorbei kommen“, sagt er ernst und kommt einen Schritt näher.

„Was bist du bloß für ein Engel, wenn du dich so schamlos für das ultimativ Böse stark machst?“

„Das ist mein Job.“

„Meiner ist es, ihnen den Gar auszumachen.“

„Klassische Zwickmühle, außer du wirst vernünftig.“

„Ich? Ich soll vernünftig werden? Ich bin sicher all die nicht vergewaltigten Frauen in der Stadt wären mir dankbar, wenn ich all die Dämonen und Halbdämonen töte.“

„Wir bleiben nicht mehr lange…“

„Ach? Gibt es hier keinen anständigen Menschenhandel, oder läuft das Drogengeschäft zu mies.“

„Ich bitte dich nicht, es zu verstehen, aber es zu respektieren und zu akzeptieren. Ich kümmere mich um Arasel und seine Sippschaft.“

„Steht nicht zur Debatte.“

„Dann gibt es wohl nichts weiter zu sagen.“

„Oh doch. Sieh dich vor, denn so leicht kommst auch du nicht davon.“

„Eine Drohung?“

„Ein Versprechen.“

„Und wie gedenkst du an mir vorbei zu kommen?“

„Das wirst du früh genug erleben.“

„Ich freue mich drauf.“

„Und steck dir gefälligst deine Scheiß Freundlichkeit sonst wo hin“, blaffe ich.

„Wir stehen auf der selben Seite, Joss.“

„Tun wir nicht. Vielleicht hast du ehrenhafte Absichten, wer weiß das schon, aber Absichten zählen nicht, nur Taten.“

„Ich lasse den Halbdämonen eine Wahl, ihr Vater wird sich nicht mehr ändern, aber die Sippschaft hat die Chance verdient.“

„Und womit? Weil sie Frauen schänden, denken sie könnten alles haben, was sie wollen.“

„So wurden sie erzogen. Was erwartest du bei einem Vater wie Arasel?“

„Dann muss ich böse sein, weil die Welt mich gelehrt hat, dass ich es bin? Viel zu einfach!“

„Du bist eine starke Frau, kennst beide Seiten, ihnen wurde die Sicht auf das Gute verweigert.“

„Mein Stichwort. Sollen wir es gleich klären, oder ist es dir lieber, ich mische dich vor den Dämonen auf?“

„Dann komm“, grinst er breit, stellt sich kampfbereit hin und wartet auf meine Reaktion. Ich dachte nicht wirklich daran, zu kämpfen, aber wenn ich es gleich erledigen kann, warum nicht?

„Kneifst du?“

„Von wegen“, knurre ich und wage den ersten Angriff, der ins Leere läuft. So als ob er wüsste, was ich vorhabe. Und auch der zweite Angriff verläuft ähnlich. „Liest du meine Gedanken?“

„Ist das verboten?“

„In meinem Fall schon!“ Ich weiß, was ich zu tun habe, schließlich hat mich Vic auch für solche Situationen geschult. Mentale Barrieren und völlig anders handeln, als ich denke. Und tatsächlich erwische ich Mattis hübsches Gesicht mit der Faust. Erstaunt sieht er mich an, reibt sich über die gerötete Stelle und geht seinerseits zum Angriff über. Er ist flink und wendig, aber noch kann ich mithalten. Ich muss mich nur konzentrieren, visiere seinen Kopf an und schlage ihm dann die Beine weg, sodass er rücklings auf dem Boden aufkommt. Ächzend bleibt er liegen und ich strecke ihm meine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Ich will nicht ihm etwas antun, sondern dem Dämon, vielleicht zieht der Engel sich zurück, wenn er weiß, dass wir harte Gegner sind.

„Niemals“, lächelt Matti, seine Hand umklammert mein Handgelenk und zieht ruckartig daran. Ich rolle mich ab, um dem harten Aufprall zu entgehen, bin aber zu langsam, um Matti zu entkommen, der sich über meinen Körper schiebt und meine Hände über meinen Kopf festhält.

„Wir könnten so viel schönere Dinge tun, als uns zu zeigen, wie stark wir sind.“ Ein zartes Prickeln reist durch meinen Körper und ein winziger Teil in mir stimmt ihm völlig zu, aber ich bin kein sexbessesenes Fräulein, ich bin anders, als der Rest meiner Spezies.

Ich strecke meine Arme durch, sodass Matti richtig auf mir liegt, ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren, die schwarzen Augen scheinen zu funkeln, als er sich seinem Ziel sicher wähnt, doch anstatt ihn zu küssen, drehe ich mich mit aller Kraft und kann Matti entkommen.

„Du spielst unfair, Fee.“

„Tun wir beide. Jeder nach seiner Möglichkeit“, lache ich. Unglaublich, aber ihm den Hintern zu versohlen macht mir viel zu viel Spaß. Hier geht es nicht wirklich um Sieg oder Niederlage, das ist nichts weiter, als ein harmloses Geplänkel, um auf Tuchfühlung zu gehen.

„Noch eine Runde?“

„Liebend gern, aber mir läuft die Zeit davon. Schichtbeginn und keine Ahnung wie dein Boss so drauf ist, meiner kann es nicht leiden, wenn ich zu spät komme.“

„Brüder vielleicht?“

„Eher nicht“, schüttle ich lächelnd den Kopf und werde dann ernst. „Du solltest verschwinden, wir kriegen ihn so oder so.“

„Er ist mein Job, ob es mir gefällt oder nicht.“

„Dann verschieben wir die nächste Runde auf später.“

„Aber lass dir nicht zu viel Zeit“, ruft er mir nach, während ich mich umdrehe und loslaufe. Nicht wegen des Schichtwechsels, aber so lange der Engel noch hier ist, kann ich mir den Dämon vorknöpfen. Und noch während ich laufe, rufe ich Vic an, um ihm die Kurzfassung zu erzählen.

„Du wirst nicht an Arasels Tür klopfen!“

„Das ist die Gelegenheit. Der Engel wird nicht von seiner Seite weichen und wir wissen nichts über ihn.“

„Du kommst direkt zu mir. Auf der Stelle!“

„Victor…“

„Wage es nicht durch Abwesenheit zu glänzen“, knurrt er und legt auf. Toller Boss. Sieht er denn gar nicht, wie einmalig die Chance ist? Ein klarer Vorteil und mit ein paar Dämonen kann ich schon fertig werden, vor allem dann, wenn sie im Dillierium sind.

 

Wütend rausche ich in den Besprechungsraum, wo mich nicht nur Vic empfängt. Lee ist da, Luc und ein paar mehr oder weniger wichtige Personen.

„Setz dich“, übergeht Vic meinen Zorn und nur widerwillig leiste ich seiner Bitte folge. „Und jetzt erzähle uns allen, was du herausgefunden hast.“

„Wir könnten es immer noch vor ihm schaffen, die Bäume halten ihn auf.“

„Ein Angriff steht nicht zur Debatte.“

„Siehst du denn nicht, was uns hier entgeht? Wenn der Engel erst bei ihm ist, wird es wesentlich schwieriger. Jetzt sind da nur zugedröhnte Dämonen.“

„Wie erklärst du es den Passanten, oder der Polizei, die unweigerlich alarmiert werden wird? Und wir wissen nicht, ob noch weitere Zauber vorhanden sind.“

„Dann lass es Lee und mich alleine machen. Die Zeit läuft, Vic.“

„Die gleichen Fragen, die gleichen Antworten. Es wird keinen Angriff geben. Nicht jetzt. Wir warten ab, bis sich eine Gelegenheit ergibt.“ Ich hasse es, dass Vic so ruhig bleibt, obwohl ich ihm dermaßen ans Bein pisse. „Was konntest du über den Engel in Erfahrung bringen?“ Ich seufze tief, ehe ich antworte: „Er ist ein dunkler, wie Luc sagte und ich konnte ihn nicht erkennen. Er denkt, er könnte Arasels Kinder retten, oder deren Seelen und er denkt, er kann den Dämon im Zaum halten.“

„Klappt ja großartig“, wirft Lee sarkastisch ein und ich nicke bekräftigend.

„Er kann Gedanken lesen, aber meine Barrieren offenbar nicht durchbrechen, außerdem ist er ein wendiger, erfahrener Kämpfer…“

„Du hast mit ihm gekämpft?“

„Hat sich so ergeben?“ Böse funkelt Vic mich an und dieses Mal ignoriere ich ihn. „Wir brauchen erfahrene Kämpfer, die Welpen kommen gegen ihn nicht an.“

„Vielleicht kann Luc oder ein Älterer seine Gedanken lesen?“

„Lucian und nein, als ihr ihn verfolgt habt, habe ich nichts von ihm wahrgenommen.“

„Vielleicht eine Art Schutz, um bei den Dämonen nicht sofort aufzufliegen“, grübelt Lee, die sich eindeutig zu gut mit Luc versteht.

„Ich werde es selbst versuchen“, erklärt Vic. „Eine Ahnung, wo er sich aufhält?“

„Heute Abend bestimmt in einem der Clubs. Es dürfte nicht schwer sein rauszufinden, wo genau“, erwidere ich und frage mich, gegen wen wir eigentlich kämpfen. Ist der Engel unser neues Ziel?

„Wir studieren den Engel, um bessere Chancen zu haben. Ihm wird kein Leid zugefügt. Das gilt für alle.“

„Definiere Leid“, bitte ich süß lächelnd und Vic schüttelt nur schnaubend den Kopf. Natürlich weiß ich, was er meint, aber ich bin noch immer sauer. Die beste Chance den Dämon zu schnappen ist futsch und nun müssen wir von vorne beginnen.

Kapitel 3

 

„Da ist einer deiner Verehrer“, mache ich Lee im Club aufmerksam. Die Bäume haben gewusst, wo der Engel sich aufhält und genau wie im Wald spielen die paar Eschen am Parkplatz total verrückt. Anders als Vic und Luc, die die geheimnisvollen, unnahbaren Hotties an der Bar mimen.

„So heiß sind sie auch nicht“, seufzt Lee.

„Heißer, als die meisten hier.“

„Mit einer Ausnahme, hä? Hä?“, zieht sie mich auf.

„Wir haben uns verstanden, mehr auch nicht.“

„Er gefällt dir.“

„Und dir gefällt dieser Luc.“

„Keine Chance. Ich lasse mich nicht beißen und aussaugen.“

„Vielleicht hält er es wie Vic?“ Unser Boss zieht freiwillige Blutspenden aus Beuteln vor. Er meint, es sei humaner. Ich sehe das nicht so eng. Er braucht Blut und Menschen besitzen genug davon, um ihm eine Mahlzeit abzugeben. Abgesehen davon, dass sich die Sterblichen richtig gut dabei fühlen.

„Na Mädels, tanzen?“

„Zisch ab“, herrsche ich den Jüngling an und Lee versetzt mir einen Stoß, als er beleidigt abzieht. „Du hättest netter sein können“, behauptet sie und hat vielleicht sogar recht. „Außerdem hat er dich entdeckt“, zischt Lee und ich weiß genau, wen sie meint. Oben im Vip Bereich lehnt Matti an der Brüstung und lächelt mich an. Das war Teil des Plans, jetzt heißt es nur noch, den Engel hier runter zu kriegen. Als ob er den Hinterhalt wittern würde, winkt er mich zu sich.

„Kein Wunder, wenn deine Gedanken ihm alles verraten“, zischelt Lee.

„Der hört kein Wort“, verspreche ich und sehe Vics Nicken im Augenwinkel. Also gut, dann auf zu den Dämonen. Finger still halten, aber meine Klappe darf ich aufreißen, zumindest hat mir das niemand verboten. Grinsend schiebe ich mich an dem Türsteher vorbei und höre Vics Grollen in meinem Kopf. Ich verspreche ihm, mich zusammen zu reißen, aber garantieren kann ich für nichts. Wenn der kleine Wichser von neulich wieder handgreiflich wird.

„Du verfolgst mich doch“, lächelt mich Matti an, als er mich am Treppenende empfängt.

„Irgendjemand muss es tun.“

„Und da schicken sie dich, obwohl wir uns kennen?“

„Sie hoffen auf Insiderinformationen, obwohl ich ihnen versichert habe, dass daraus nichts wird.“

„Und die Hexe ist zu deinem Schutz hier?“ Lachend verneine ich. „Wäre ja noch schöner. Lee ist auf Beutezug, wie jeden ihrer freien Abende. Siehst du?“ Ich deute auf meine Freundin, die mit einem blonden, schlaksigen Kerl tanzt und hoffe sie nimmt mir mein abfälliges Gehabe nicht übel.

„Und die beiden?“, fragt Matti nach den Vampiren.

„Kenn ich nicht, bedeutet, sie verhalten sich besser, als deine Schützlinge.“

„Keine weiteren Zwischenfälle.“

„Wetten, das ändere ich in wenigen Sekunden?“

„Und führe sie nicht in Versuchung.“

„Oh bitte, das ist abgedroschen.“

„Aber nicht weniger wahr. Darf ich dir etwas zu trinken holen?“

„Ich begleite dich, bevor mir hier oben, alleine mit Halbdämonen und Menschen, die ihnen huldigen, noch Blödsinn einfällt.“ Lachend nickt Matti, führt mich an die Bar und bestellt mir denselben Cocktail, den ich letztens in dem Club hatte. „Sinn für Details.“

„Als ob der dir fehlen würde.“

„Du trägst die gleichen Schuhe und die gleiche Hose. Hemd und Sakko sind anders, genau wie die Frisur.“

„Zu einfach“, lacht Matti leise.

„Okay. Du stehst auf Brünette mit großer Oberweite, allerdings dürfte deine letzte direkte Begegnung Jahre zurück liegen. Du lächelst herablassend, wenn du dich in Sicherheit wähnst und überrascht man dich, geht nur deine linke Augenbraue nach ganz oben. Botox?“

„Kriegsverletzung“, lächelt Matti. „Aber der Rest war nicht schlecht.“

„Es war grandios und ich könnte noch weiter machen.“

„Oder du sagst mir, weshalb du wirklich hier bist.“ Ich nehme mein Getränk entgegen, nehme einen kräftigen Schluck und lasse mir für die Antwort Zeit. „Ich horche dich aus, beobachte euch, ziehe Schlüsse. Job eben.“

„Während deine Freundin sich amüsiert.“

„Genau das ist der Unterschied zwischen uns. Sie kann abschalten, ich arbeite ununterbrochen.“

„Eine Gemeinsamkeit, die Zweisamkeit einfacher machen würde.“

„Spätestens wenn ich dir das nächste Mal den Hintern versohle, wäre es vorbei mit der Zweisamkeit.“

„Oder die Tatsache macht es spannender.“

„Denken alle Engel mit ihren Schwänzen?“

„Nur die, die jahrelang keine Brünetten mit großer Oberweite abgeschleppt haben“, nimmt Matti sich selbst auf die Schippe und wird wieder viel zu sympathisch. Wenn ich nicht aufpasse, wird das nichts mehr mit Verhauen und ihn ausschalten.

„Wie gut, dass ich blond bin, da habe ich wenigstens nichts zu befürchten.“

„Weichst du denn nie von deinem Typ ab?“

„Ich habe keinen und mein Vorteil ist, dass mich Männer langweilen.“

„Erscheint mir gerade nicht so.“

„Wunder Punkt. Ich mag deine Schlagfertigkeit, bedeutet aber noch lange nicht, dass ich deinen Herrn nicht doch ausschalte und dich vorher verprügle, um an ihn ran zu kommen, oder dass wir Sex haben werden.“

„Ich habe keinen Herrn, Joss“, knurrt Matti und zeigt mir einmal mehr seinen wunden Punkt.

„Es spielt keine Rolle, wie du es nennst. Du beschützt ihn und vereitelst unsere Versuche ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen.“

„Es hat keinen Versuch gegeben.“

„Gut für dich und wer weiß, vielleicht bleibt das auch so. Danke, für den hier“, sage ich, hebe mein Glas hoch und stöckle davon. Ich hasse High-Heels bei der Arbeit, aber wenigstens sieht es so aus, als müsste ich heute nicht damit rennen.

 

„Nichts“, erklärt Vic uns bei unserer Abschlussbesprechung. Wir haben den Club zeitlich versetzt verlassen und sitzen nun in Vics Büro. Keinen von uns überrascht das wirklich, trotzdem hätte es einiges leichter gemacht.

„Du hast ihn ohnehin in der Hand“, meint Luc grimmig.

„Das war nur Geplänkel, Luc, er würde nie ernsthaft etwas verraten. Er ist professionell“.

„Und will dich in seinem Bett.“

„Na und? Was geht dich das an!“

„Außerdem will mindestens jeder Zweite mit Joss ins Bett“, präzisiert Lee.

„Wenn wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren könnten“, ruft Vic uns zur Ordnung. „Wir werden die Gruppe weiter im Auge behalten. Arasel war heute nicht dabei. Klara sagt, er habe das Haus nicht verlassen. Sobald wir ihn selbst erwischen können, schlagen wir zu. Bis dahin wirst du, Joss, im Innendienst gebraucht…“

„Innendienst? Gebraucht? Das ist doch ein Witz, Vic!“

„Der Engel wird dich im Auge behalten. Du fällst ihm auf, was eine Observation sinnlos macht.“ Mir ist der Grundgedanke schon klar, aber ich finde es trotzdem unfair. Kann ich nicht mit irgendjemanden auf Streife gehen? Fernab der Zielpersonen?

„Du wirst hier bleiben, unsere Leute schulen und dich ruhig verhalten“, liest Vic schamlos meine Gedanken.

„Ja, Sir“, sage ich trotzig. „Lucian und Lee werden die Halbdämonen im Auge behalten.“

„Er hat auch sie gesehen!“, brause ich auf, weil die Behandlung mehr als unfair ist.

„Und hat keinen Verdacht geschöpft.“

„Woher willst du das wissen, wenn du seine Gedanken nicht lesen kannst.“

„Ich kann auch seine Körperhaltung lesen.“

„Klar, gibt’s auch etwas, das du nicht kannst“, murre ich und stehe auf. „Wenns das war, gehe ich die Welpen trainieren.“ Vic nickt und ich verschwinde. Gekränkt, weil er mich zum Innendienst verdonnert und Lee sich überhaupt nicht für mich eingesetzt hat, aber warte nur, Hexe, dich krieg ich schon noch in die Finger.

 

„Jetzt warte doch mal. Du kannst nicht angesäuert davonlaufen“, zetert Lee hinter mir, als ich zum Aufzug stampfe.

„Tue ich doch gerade.“

„Joss, sei doch nicht eingeschnappt. Ich habe nur nichts gesagt, damit wenigstens eine von uns da draußen ist. Du hast deine Informantin direkt vor Ort und bleibst immer auf dem Laufenden. Schon mal daran gedacht?“ Misstrauisch wende ich mich um und taxiere Lee. Klingt zu auswendig gelernt, um es für bare Münze zu nehmen. Irgendetwas verheimlicht sie mir und was soll dieses dämliche Halstuch? „Tue ich nicht. Ich habe bloß mal über die Konsequenzen nachgedacht, bevor ich den Mund aufgemacht habe.“

„Lee wird erwachsen, oder was?“

„Kommt in den besten Familien vor“, zuckt sie die Schultern und baut sich streitlustig vor mir auf.

„Na gut, dann geh raus und halte mich auf dem Laufenden.“

„Sei nicht sauer, Joss“, bittet Lee sanft und meine Wut auf sie verfliegt. Schließlich kann Lee nichts für meine Stinkwut. Sie hätte an Vics Entscheidung sowieso nichts geändert und ich hasse es, mit Lee länger als fünf Minuten im Klinsch zu sein.

„Gute, Joss“, lacht Lee, ob meiner warnenden Mine und drückt mich fest. „Er lässt dich raus, sobald wir den Haufen aufmischen.“

„Hoffentlich.“

„Ganz sicher.“

„Seid ihr fertig?“, will Luc harsch wissen, der sich angeschlichen hat.

„Vielleicht brauchen wir auch noch einen Versöhnungskaffee“, antworte ich zuckersüß.

„Und eine Zigarette.“

„Ein ausführliches Gespräch.“ Luc seufzt kopfschüttelnd und macht kehrt. „Aufgeblasener Arsch.“

„Du kannst froh sein, dass du nicht mit ihm arbeiten musst. Allerdings…wird er bei uns einziehen“, flüstert Lee letzteres kaum hörbar.

„Wie bitte?“

„Du hast mich schon richtig verstanden. Vic will ihm ein anständiges Zimmer bieten, während er uns hilft. Genau wie den anderen, da ich jetzt mit ihm arbeite…“

„Na wenigstens werde ich ihn nicht oft sehen. Er ist seltsam.“

„Total“, stimmt Lee mir gedehnt zu. Irgendwas ist heute komisch an ihr, oder ich bin es. Besser ich mache mich an die Arbeit. Doppelschicht hallo.

 

Ich gebe es nicht gerne zu, aber es macht Spaß die Jünglinge auf die Matte zu schicken, wenn sie glauben, sie hätten mich besiegt. „Lasst euch doch nicht immer so täuschen!“, lache ich, helfe dem Vampirmädchen auf und zeige auf den nächsten. „Ich bin nicht für den Außendienst vorgesehen“, erklärt er mir. „Und was, wenn wir hier drin angegriffen werden?“ Nicht, dass ich das wirklich glauben würde, aber besser, man ist auf alles vorbereitet. Die einfache Frage bringt Unruhe in die sechsköpfige Truppe. „Vermutlich wird es nie so weit kommen“, beruhige ich sie. „Trotzdem soll jeder gewappnet sein. Es gibt so viele Situationen wo ihr angegriffen werden könnt und ihr sollt euch zu wehren wissen.“

„Aber es ist doch sicher hier, ihr geht doch auf Streife.“

„Schon mal jemanden das Mädchen ausgespannt?“, seufze ich die Frage und der Jüngling schüttelt den Kopf. „Stehst du auf Kerle? Habe ich die falsche Frage gestellt?“ Beschämt sieht der Kleine zu Boden und wenn sein Blut zirkulieren würde, würde er vermutlich rot werden.

„Auch nicht? Mal zur falschen Zeit, am falschen Ort gewesen? Den falschen Menschen ausgesaugt?“ Der Junge schüttelt den Kopf, seine Hände sind geballt und ich bin sicher, der Kleine wird jede Minute explodieren und zu mir auf die Matte kommen. „Den falschen Sexpartner erwischt? Eine unheimliche Verehrerin gehabt?“ Das Lachen der anderen setzt ihm zu und zornig funkelt er mich an. „Eine unangenehme Lehrerin, der du richtig eine aufs Maul geben wolltest?“, frage ich keck und schon steht der Kleine vor mir. „Na schön, zeig es mir“, fordert er grollend und lässt den Vampir raus. Gut so, den brauchen wir, wenn wir sein Potenzial ausschöpfen wollen. Ich greife ihn ohne Vorwarnung an und der Kleine steckt alle meine Hiebe ein.

„Du musst doch irgendwas gelernt haben!“

„Hab ich“, knurrt er.

„Na dann los, zeig es mir.“ Wütend rennt er auf mich zu, ehe ich einen Schritt zur Seite mache und sein Faustschlag ins Leere geht. „Niemals kopflos arbeiten. Das sind Lektionen, die ihr euch alle merken könnt.“ Der Kleine versucht es erneut, während ich noch mit den anderen spreche und hat wieder keine Chance. „Ich bin ein einfaches Opfer, ich kann deine Gedanken nicht lesen und ich wehre mich nicht wirklich“, ziehe ich ihn auf.

„Du bist eine Kriegerin“, wirft er mir vor.

„Richtig. Ich habe gelernt, geübt und mir des Öfteren den Hintern versohlen lassen müssen.“ Wieder versucht er es, ruhiger dieses Mal, bestimmter und ich lasse ihn mich treffen. Ein bisschen Lorbeeren für die verbale Tracht Prügel müssen schon sein. Ich will die Kids nicht kaputt machen, sondern ihnen den Weg weisen und sie stärken.

„Mehr Konzentration, finde meine Schwächen“, ermuntere ich ihn. Gezielt teilt er seine Schläge aus, die ich zum Großteil abwehre, ehe ich zum Angriff übergehe. Geschickt weicht er aus und steckt nicht einen Hieb ein. „Genau das meine ich! Großartig! Er liest meine Gedanken.“ Genug des Lobes, denn schließlich muss ich mein Gesicht wahren und schicke ihn mit einem lauten Poltern auf die Matte, ehe ich ihm hochhelfe.

„Was, wenn wir die Gedanken der anderen nicht lesen können?“

„Du meinst, so wie ich?“, grinse ich. „Bleibt defensiv, schaut euch den Kampfstil an, erahnt welchen Schritt euer Gegner macht und habt keine Angst vor Schmerzen.“

„Schmerzen sind Gefühle und die kann man unterdrücken“, laiern die sechs Vics Worte runter.

„Das sagt bloß der alte Mann, ich sage, du kannst Stärke aus dem Schmerz ziehen, deine Kräfte mobilisieren und deinen Gegner schlussendlich besiegen.“ Sie sehen nicht wirklich überzeugt aus, aber ich bin auch keine geborene Lehrerin. „Schnappt euch einen Partner und übt. Vergesst nicht, eure Gedanken unter Kontrolle zu halten.“ Murmelnd finden sich die sechs zu Zweierteams zusammen und zufrieden gehe ich zu meiner Wasserflasche und nehme einen kräftigen Schluck. Sie sind nicht geübt, aber anstrengend ist es trotzdem.

„Du kannst gut mit dem Nachwuchs.“

„Sieh an, da kann ja jemand auch normal sprechen“, gifte ich in Lucs Richtung. Ein bisschen gemein, weil er gerade nett war, aber ich bin sicher, er wird es wegstecken.

„Meine leichteste Übung“, grinst er.

„Willst du mir mit den Kleinen helfen, oder warum bist du hier?“

„Ich habe dich gehört und dachte, ich sehe euch ein wenig zu.“

„Und was wirst du Vic berichten?“

„Er schickt mich nicht. Es ist so, wie ich es sage.“

„Du würdest deinen Busenfreund nicht verraten. Was auch immer euch verbindet.“

„Es ist eine alte, lange Geschichte.“

„Wann ist es das nicht, bei euch Vampiren?“ Zu meiner Überraschung lacht Luc, vielleicht ist er kein hundertprozentiges Ekel.

„Vielen Dank.“

„Gewöhn dich lieber nicht daran, wenn du mir die Wohnung versaust, oder irgendwelche Weiber mitschleppst, ist es mit meiner guten Laune gleich wieder vorbei.“

„Warum hegst du einen derartigen Groll auf mich?“

„Ist nichts Persönliches. Ich vermeide es nett zu sein, das hält die Zahl der Freunde in Grenzen.“

„Dabei bleibt uns nicht mehr.“

„Oftmals nicht mal das“, seufze ich.

„Wie kann ich helfen?“, wechselt Luc das Thema so schnell, dass ich nicht gleich kapiere, was er meint.

„Ein paar Teenager verhauen?“ Luc verzieht angewidert das Gesicht. „Hört mal Leute, der Opa hier, will euch etwas beibringen. Wer traut sich als erster?“ Zu meiner Überraschung meldet sich mein kleines Opfer. Er hat Mut und ist viel zu schade für den Schreibtisch. Wir machen ihn hier unten fit und schicken ihn raus, wo er viel besser eingesetzt werden kann. Mal sehen, wie er sich die kommenden Tage macht.

 

Zwar habe ich Spaß an der neuen Aufgabe, aber nehme das Angebot ein paar stümperhafte Kleinkriminelle hops zu nehmen gerne an. Vic schickt mich zusammen mit meinen Schützlingen los und der wohl kältesten Vampirfrau die ich kenne. Vivian verzieht nie eine Mine, fällt nie aus der Rolle sie ist und bleibt eiskalt egal was auf uns zukommt. Vielleicht nicht genau das, was ich den Welpen beibringen will, aber immerhin können sie lernen einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn es mal hitziger wird.

Wir lauern den Drogendealern auf einem alten Fabriksgelände auf, das laut unseren Informationen seit kurzem ihre Zentrale ist. Hier horten sie ihren Stoff und schicken ihre Dealer los. Eine fünfköpfige Truppe junger Männer tritt aus dem Gebäude und geht lachend und raufend zu einem der Autos.

„Werwölfe, Gestaltwandler, Vampire“, berichtet uns Viv.

„Bereit Welpen? Aufmischen, eintüten, nicht umbringen, klar?“ Meine Truppe nickt und geht exakt nach Vorschrift vor. Nicht unbedingt das, was ich getan hätte, aber kann ja nicht jeder ein Kindskopf sein. Vivian und ich warten abseits, bereit einzugreifen.

„Sie machen sich gut“, tut Viv überrascht.

„Sind auch in meiner Obhut.“

„Weil du dich zu sehr mit dem Engel eingelassen hast.“

„Würdest du aufhören so ein Arschloch zu sein?“ Süffisant grinst sie und ich weiß, darauf kann ich lange warten. Wenn Vivian die Möglichkeit hat jemanden herabzuwürdigen, tut sie es auch. Trotzdem kann man sich auf sie verlassen, so ungern ich das auch zugebe.

Durch den Radau werden auch die anderen in dem Gebäude herausgelockt, allen voran der kleine Triebtäter von neulich Nacht.

„Dämon?“

„Halb höchstens, konnte aber keine Hinweise darauf finden.“

„Dann bin ich dran.“

„Der Engel könnte hier sein.“

„Sehe keinen“, teilt sie mir laut mit, weil sie bereits lossprintet, um sich einzumischen. Langsamer geselle ich mich zu meinen Schützlingen, die ordentlich austeilen, aber auch heftig einstecken. Sie haben es noch unter Kontrolle und ich warte ab, ob sie es alleine hinkriegen, während Vivian fleißig mitmischt und ihnen die Show stiehlt. Eine Frechheit, dabei wollen wir die Welpen stärken.

„Niemand hat etwas dagegen, dass ich mir ein oder zwei von den Kerlen vornehme“, lässt Viv mich lachend wissen. Wie immer sie meint, sie würde ja doch nicht auf mich hören.

„Das ist…!“, brüllt einer der Schurken ungläubig, ein Wolf und deutet auf das Dach der Fabrik. Ich folge seinem Blick, wie alle anderen anwesenden und mir klappt der Unterkiefer auf. Noch nie habe ich so etwas Schönes und Perfektes gesehen. Matti steht da oben, seine schwarzen Schwingen ausgebreitet und sieht grimmig auf uns herab. Oh ja, von ihm würde ich mich windelweich prügeln lassen und dabei glückselig lächeln. Selbst wenn ich dabei draufgehen würde, bin ich mir sicher, als er springt und elegant inmitten des Pulks auf den Beinen aufkommt. Seine Flügel legen sich an seinen perfekten Körper und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als seine Aufmerksamkeit. Und tatsächlich bleibt sein Blick an mir kleben und ein süffisantes Lächeln umspielt seine Lippen. Er weiß sich in absoluter Sicherheit.

„Genug gespielt. Lasst voneinander ab und geht nach Hause“, befiehlt er. Ob er damit auch sein zu Hause meint, ich meine, wen ich schon gehen muss, dann kann ich doch auch zu ihm. Die Parteien lösen sich langsam voneinander, hängen dem Engel noch immer an den Lippen, während sie sich verkrümeln, sogar Vivian ist ganz hingerissen von ihm. Das erste Mal, dass sie tut, was man ihr sagt. Die Fünf, die wir uns zuerst schnappen wollen, steigen in den Wagen und das Knallen der Türen scheint mich endlich zur Vernunft zu bringen. Welches Recht hat er uns zu sagen, wie wir unsere Arbeit machen sollen? Warum die Verbrecher laufen lassen? Sie bauen Mist und wir biegen das Gerade. Das ist unser Job und dieser blöde Obermacker wird uns das nicht nehmen.

Ich spüre zuerst nur ein leichtes Prickeln, das durch meinen Körper rieselt, wie Wärme sich in mir ausbreitet und sich zu Hitze entwickelt. Immer klarer sehe ich jetzt sein unverschämtes Verhalten, meine geballten Fäuste zittern und ich rufe meine Truppe zur Ordnung.

„Ihr bleibt“, aber niemand hört auf mich, nur der Engel lächelt von oben herab. „Verdammt noch mal, ihr habt zu gehorchen!“ Ich brülle, bin verzweifelt, weil ich gegen den Scheißkerl nicht ankomme. Arrogant beobachtet er die Reaktion von Vivian und meinen Schützlingen. „Geht nach Hause, lasst uns alleine“, lächelt er sie an, umgarnt sie und sie tun nur zu gern, was er ihnen sagt. Wie ich noch vor ein paar Minuten. Den Welpen nehme ich es nicht übel, aber Viv sollte sich besser im Griff haben.

„Ich denke, ich habe gewonnen“, wendet er seine ganze Aufmerksamkeit mir zu, als sie sich meine Leute immer weiter entfernen.

„Weil du sie manipulieren kannst? Ich bin noch hier“, halte ich dagegen und spüre den heftigen Zorn in meinen Eingeweiden rumoren.

„Weil ich es will.“

„Ha! Das ist lächerlich! Ich bin hier, weil zumindest einer dir dieses arrogante Lächeln aus dem Gesicht wischen sollte.“

„Geh nach Hause, Joss. Heute Abend wird nichts mehr passieren. Ich passe auf.“ Versucht er es wieder und bringt mich damit zum Explodieren. Als wäre ich ein Vulkan, spüre ich die heiße Lava durch meinen Körper kriechen, ehe sie austritt und ich auf den widerlichen Engel losgehe. Er scheint überrascht, steckt mehrere Schläge ein, ehe er sich überhaupt wehrt.

„Na? Funktioniert dein Engelsscheiß nicht bei mir?“, reize ich ihn, als er mich auf Abstand bringt. Doch anstatt wütend zu werden, lächelt er zufrieden und nickt. Verstehe einer diese Engel! Aber wenn er sich so darüber freut, kann er ruhig noch eine Abreibung vertragen. Wieder gehe ich auf ihn los, er pariert meine Schläge, teilt ein paar Treffer aus, doch statt mich wieder auf Abstand zu bringen, zieht er mich dich an sich, umklammert meinen Oberkörper wie ein Schraubstock und blockiert mich damit total. Da hilft auch mein Zappeln nicht, dass ihn köstlich zu amüsieren scheint.

„Ich will dich nicht schlagen, Joss“, sagt er leise.

„Dann lass es, ergib dich und wir sind damit durch.“

„Wir könnten zur Abwechslung auch mal anders Spaß haben.“

„Sobald ich deinen Herrn in den Schlund der Hölle zurückgeschickt habe.“ Ja, das ärgert ihn tatsächlich, zwar umschmeichelt seine Lippen noch immer dieses verführerische Lächeln, allerdings funkeln seine Augen zornig. „Das wird nicht passieren.“

„Wetten?“, fordere ich ihn ein weiteres Mal heraus. Egal was er an sich hat, ich liebe es, ihm seine Überlegenheit zu nehmen. Er bringt sein Gesicht nahe an meines und ich bin überrascht, dass ich mich tatsächlich auf einen Kuss einstelle. Ich bin mir fast sicher, dass ich es geschehen lassen – nein sogar mitmachen würde, aber der blöde Engel gluckst nur.

„Wir werden sehen“, flüstert er, lässt mich los und verschwindet in den Nachthimmel.

„Du schummelst“, rufe ich ihm hinterher und stampfe frustriert mit dem Fuß auf. Irgendwann krieg ich ihn. Aber vorher heißt es die anderen zu finden und Vic Bericht erstatten. Klar, dass die beiden Wagen, mit denen wir hier rausgefahren waren, weg sind. Sie hätten auf mich hören sollen und nicht auf den Engel. Genervt trete ich zu Fuß den Heimweg an und wenn ich die Welpen und Viviane erwische, zerreiße ich sie in der Luft. Unfähiges Pack!

 

„Was gibt es da zu glotzen?!“, bin ich wütender denn je. Ich habe die ganze Strecke zu Fuß zurückgelegt und jetzt sehen mich meine Mitstreiter wie eine Außerirdische an. Was ist heute nur los? Nur Taugenichtse, hirnlose Idioten und arrogante Arschlöcher. Wo sind all die kampflustigen, besonnen Leute hin? Mit großen Schritten laufe ich auf den Konferenzraum zu, weiß genau, dass Vic dort ist, auch wenn er wahnsinnig leise spricht. Ohne anzuklopfen reiße ich die Tür auf, sehe Vivian und gehe augenblicklich auf sie los. „Lässt man neuerdings Leute zurück, ja? Ein Engel, nichts weiter und plötzlich wird das herzloseste Geschöpf streichelweich, oder was? Wo sind die Welpen?!“ Niemand weist mich zurecht, keiner unterbricht mich, alle sitzen mit offenen Mündern da und starren mich an. „Wo sind meine Welpen?“, knurre ich nochmal.

„Du…siehst…anders aus“, stammelt Lee.

„Zerrupft, verschwitzt und ziemlich wütend, ja.“

„Die Wandlung“, sagt Luc leise.

„Könnte jetzt bitte jemand zur Vernunft kommen und mir meine Frage beantworten“, raune ich kurz vorm Ausflippen. Vic steht auf, räuspert sich und bedeutet mir mich zu setzen.

„Ich will nicht sitzen. Ich will wissen wo der Nachwuchs ist, ich will wissen, was hier vorgeht und ich schwöre es passiert ein Unglück, wenn ihr mich noch länger verscheißert.“

„Du musst dich beruhigen, Joss“, sagt Vic eindringlich und sauer knalle ich meine Handflächen auf die Tischplatte, will zu einer erneuten Schimpftirade anheben, als eine heftige Windböe Vic auf seinen Stuhl verfrachtet. Mit aufgerissenen Augen sieht er mich an, während ich erschrocken einen Schritt zurück mache. Das war nicht ich, sowas kann ich gar nicht. Wie soll hier drin auch plötzlich Wind aufkommen, ich meine, das ist so…

Die Wandlung, höre ich Luc in meinem Kopf, aber er muss sich irren. Ich bin noch immer die Alte, ich hätte es wohl mitbekommen, wenn ich eine Wandlung mitgemacht hätte.

„Komm mit“, fängt sich Lee als erste, steht auf, nimmt meine Hand, zieht mich zur Damentoilette und dreht mich zu einem der Spiegel dort. „Definitiv eine Wandlung“, fasst sie in Worte, was ich selbst sehe. Ich bin immer noch ich, allerdings um Längen besser. Meine Haare glänzen, die Wangen zart gerötet und meine vorher blassgrünen Augen leuchten im satten Grün der Wiesen. „Das ist unheimlich“, flüstere ich.

„Ein bisschen“, gibt Lee lächelnd zu. „Aber auch irgendwie cool.“ Sie kichert und entlockt mir damit ein zaghaftes Lächeln. Es muss an dem Engel liegen. Als ich mich gegen ihn gestellt und ihm widersprochen habe, da muss es passiert sein. „Aber das hast du doch schon mal“, lenkt Lee ein.

„Da war er in seiner menschlichen Gestalt, aber heute…“

„Ich bin neidisch“, seufzt Lee.

„Du hättest Viv sehen sollen, die war total hingerissen“, lästere ich grinsend.

„War schon genial sie vorhin leiden zu sehen. Die Sache hat sie arg mitgenommen.“ Ein zaghaftes Klopfen unterbricht unser Lästern. Lee öffnet die Tür und an ihrem grenzdebilen Lächeln kann ich erkennen, wer da draußen steht. Luc macht einen Schritt herein, sodass er mich ansehen kann. „Wir müssen reden.“ Ich nicke, es gibt einiges zu bereden, allen voran was mit meinen Welpen passiert ist. Wenn Viv sie nicht heil wieder hergebracht hat, dann kann sie sich von ihrem hübschen Kopf verabschieden.

„Es geht ihnen gut. Mach dir keine Sorgen“, lächelt Lee, streicht mir beruhigend über den Rücken und schiebt mich dann an Luc vorbei hinaus. Die Blicke der anderen stören mich nicht mehr, habe ich mich vor wenigen Minuten genauso angestarrt. Erstaunt, überrascht und auch ein bisschen zufrieden. Ein besseres Ich schadet wirklich nicht.

 

Luc, Vic und Lee stehen gebannt lauschend um mich herum, während ich ihnen erzähle, was passiert ist und mich in Vics bequemen Ohrensessel entspanne.

„Man hat davon gehört, dass Salige den Engeln ebenbürtig wären“, erklärt Luc, als ich ende.

„Ich wurde geboren“, schnaube ich. War nicht er es, der mir den Unterschied erklärt hat.

„Und genau wie sie, seid ihr hier, um zu beschützen“, macht Vic weiter und nervt mich mit der ewig gleichen Laier. Ist ja schön, wenn sie glauben, dass ich zu den Guten gehöre, aber wenn man es nüchtern betrachtet, sind Salige nicht annähernd so toll wie Engel. Mit einer Ausnahme. Lee reckt den Daumen nach oben, zwinkert und hebt meine Laune dadurch ungemein.

„Du solltest das ernst nehmen. Es ist deine Geschichte“, weist Luc mich zurecht.

„Und wer bist du, dass du mir Befehle erteilen kannst?“ Lee reist die Augen auf, beißt sich auf die Unterlippe, während Luc mich nur finster ansieht.

„Wir lassen die beiden besser ein paar Minuten alleine“, wendet Vic sich an Lee und verlässt mit ihr den Raum. Ungläubig starre ich zwischen der geschlossenen Tür und Luc hin und her. Was geht hier vor? Und warum weiß Lee offenbar mehr darüber als ich?

„Weil ich mich ihr geöffnet habe.“ Grinsend sehe ich den Vampir an, klingt wirklich komisch aus seinem Mund. Er findet das allerdings weniger lustig. „Du musst dich schon aus meinem Kopf raushalten, wenn du keine Einzelheiten willst.“

„Dann hör auf zu schreien.“ Seufzend zucke ich mit der Schulter, das Schreien meiner Gedanken wurde mir schon öfter bescheinigt, aber wie ich es abstelle, weiß ich nicht.

„Du bist eben sehr mitteilsam“, ein schwaches Lächeln zeichnet sich auf Lucs Gesicht ab und das erste Mal finde ich in nicht ganz so unsympathisch. „Das erleichtert mir das kommende Gespräch ungemein, denn es geht um uns beide.“

„Ich glaube es gibt ein euch beide, aber wir beide…“, grinse ich frech.

„Sind Halbgeschwister.“ Es dauert einen Moment, ehe die Information bei mir ankommt und mich zum Lachen reizt. Klar, tauchen ja ständig Leute auf, die deine beste Freundin flachlegen und dann behaupten, man wäre verwandt. „Ich mache ihr den Hof.“

„Ist nicht zu übersehen, dass ihr aufeinander steht.“

„Und hat nichts mit der Tatsache zu tun, dass wir Geschwister sind.“

„Du bist ein Vampir, hunderte Jahre alt, wie soll mein Vater dich gezeugt haben, hä? Früheres Leben, oder was?“

„Wir haben die gleiche Mutter.“ Mein Grinsen dehnt sich aus und ich kann das Glucksen bereits in meiner Brust spüren, ehe es herausbricht. Der dunkle, geheimnisvolle, besserwisserische Lucian ist ein Saliges Fräulein! Selbst wenn ich vernünftig bleiben wollte, kann ich die Bilder in meinem Kopf nicht abstellen.

„Ein Wilder Mann“, knurrt er und beginnt im Büro auf und ab zu tigern.

„Entschuldige“, gluckse ich.

„Zu köstlich nicht wahr?“

„Sei kein Spielverderber Brüderchen, sieh dir die Bilder doch einfach selbst an. Nicht mal du könntest ein Lachen verhindern.“ Grimmig sieht er mich an und ich beschließe zu schweigen. Nur, damit wir dieses Gespräch auch endlich mal führen können.

„Zu freundlich. Meine Mutter verschwand, kaum, dass ich auf der Welt war und mein Vater zog mich alleine auf. Ihr Name war Aurelie, aber ich bezweifle, dass das ihr wirklicher Name ist.“

„Mein Vater hat ihren Namen nie erwähnt. Er ertrank seinen Kummer lieber, als mir von ihr zu erzählen. Und dann starb er, als ich noch klein war.“

„Wie meiner. Ich war acht, als er als Hexer verbrannt wurde.“ Angewidert verziehe ich das Gesicht. Es ist eine Sache den Vater durch einen Unfall zu verlieren, eine andere, wenn es auf so widerliche Weise geschieht. „Das wie spielt nicht wirklich eine Rolle. Man ist allein.“ Abwesend nicke ich und unweigerlich kommen Bilder aus meiner Kindheit hoch. Erst sehr viel später las Vic mich auf und gab mir ein richtiges zu Hause. „Victor hat ein Gespür für Findelkinder. Er fand mich ausgehungert in einer Scheune und nahm sich meiner an.“

„Dann haben wir doch denselben Vater“, lächle ich und Lucian erwidert es. „Aber woher willst du wissen, dass wir beide verwandt sind. Wir sehen uns nicht annähernd ähnlich.“

„Die DNA stimmt überein.“ Klar, dass die Vampire nicht ohne Fakten bei mir auftauchen. Wir alle geben eine Probe unseres Blutes ab, sobald wir uns verpflichten. „Victor vermutete schon lange, dass wir Geschwister sind, wartete aber darauf, dass einer von uns zu ihm kam.“

„Und warum hast du nachgefragt?“

„Neugier? Hoffnung? Vielleicht eine Mischung daraus. Man trifft nicht viele Feen heutzutage.“

„Und warum liest man nie von männlichen Nachkommen?“

„Es gibt viele Geschichten um die Wilden Männer, allerdings wurde ihre Herkunft geschickt verschleiert. Vermutlich auch deshalb, weil wir nicht erwünscht sind.“

„Deshalb der Streit zwischen den Völkern.“ Luc nickt und sieht mich forschend an, ich spüre ihn in meinem Kopf. „Ich werde antworten, wenn du fragst“, tue ich genervt. „So ist es einfacher“, murmelt er. „Nicht für mich. Schon klar, dass du viel zu lange ein Vampir bist, um das zu verstehen, aber wenn du nicht damit aufhörst, wirst du es auf die harte Tour lernen.“

„Victor war ein guter Lehrer“, grinst er verschmitzt.

„Ich weiß“, fühle ich mich wesentlich wohler, als ich ihn aussperre. „Ich habe mich zurückgezogen.“

„Musst du immer das letzte Wort haben?“

„Nur, wenn es berechtigt ist.“

„Und bestimmt fühlst du dich andauernd dazu berechtigt.“

„Meistens, ja. Außerdem bist du meine kleine Schwester, da wird es nie anders sein.“

„Halbschwester.“ Lucs Gesicht verfinstert sich. Offenbar hat er doch wunde Punkte, aber diesen werde ich bestimmt nicht oft benutzen. Ich weiß selbst am besten, wie wichtig Familie ist und wenn ich schon mal einen Blutsverwandten begegne, werde ich den Teufel tun und ihn verscheuchen. Selbst wenn es ein derart arroganter Zeitgenosse ist. „Was weißt du noch über unsere Mutter?“

„Nichts weiter. Mein Vater hat mir vieles über die Bergfeen erzählt, aber nichts, dass du nicht auch wüsstest und kein Hinweis auf unsere Mutter.“

„Bin auch nicht scharf darauf sie zu treffen.“

„Warum nicht?“

„Sieh hat uns verlassen, hat nicht zurück geblickt, wir waren ihr egal. Was kann das für eine Mutter sein?“

„Ihre Gesetze sind älter als unsere und vermutlich werden sie sie auch überdauern.“

„Ja, rede es dir ruhig schön, mich überzeugst du damit nicht.“

„Das will ich nicht. Ich will dir eine andere Sichtweise anbieten.“

„Danke, aber nein danke. Und was hat es mit der Veränderung an mir aus sich?“

„Ich glaube, dass du erst jetzt auf dein ganzes Potential zurückgegriffen hast.“

„Der Engel hat es notwendig gemacht.“ Luc nickt. „Dann ist es seine Schuld, dass ich jetzt wie meine Mutter bin.“

„Unsere.“

„Wenn ich also einen Mann liebe, falls das jemals passiert, muss er sterben.“

„Wenn du das Kind eines Menschen austrägst, vermutlich.“

„Es muss doch irgendjemand geben, der mir mit Sicherheit Auskunft geben kann.“

„Liebst du einen Menschen?“

„Nicht auf diese Weise und ich will auch keine Kinder, aber es könnte passieren und wenn ich die Spielregeln kenne, kann ich vielleicht ein Unglück verhindern.“

„Du kannst die Liebe nicht verhindern.“

„Spricht da jemand aus Erfahrung“, ziehe ich Lucian schamlos auf.

„Ich liebe die Hexe nicht, aber ich finde sie interessant.“

„Interessant genug, um von ihr zu trinken?“ Sein finsterer Blick spricht Bände. Denken die Leute um mich rum alle, dass ich blind bin? Warum wohl läuft Lee seit drei Tagen mit Halstüchern rum. Anfänger! „Ich bin nicht stolz darauf.“

„Sie auch nicht“, seufze ich, aber deshalb hätte sie mir nicht aus dem Weg gehen müssen. Sicher hätte ich sie aufgezogen, aber wenn er Lees Wahl ist, dann stelle ich mich den beiden sicher nicht in den Weg. „Es ist ihr unangenehm.“

„Weil sie Vampire nicht abkann?“ Ich kann die Sticheleien einfach nicht lassen, noch nicht, irgendwann wird es mir bestimmt langweilig. „Genau wie ich Abstand zu den Hexen halte.“

„Das Schicksal ist selten komisch“, giggle ich.

„Schön, dass dich dieser Umstand amüsiert, aber vielleicht kümmerst du dich lieber um deine Wandlung?“

„Zu spät. Ich bin, wie ich bin.“

„Du musst deine Kraft kontrollieren.“

„Dabei habe ich gar keine.“

„Die Böe war dein Werk.“

„Nein, bestimmt nicht“, lache ich.

„Du kannst es leugnen so oft du willst. Es ist ein Fakt.“

„Ich spreche mit den Bäumen, da ist nichts weiter. Woher sollte das auch plötzlich kommen?“

„Wenn ich spekulieren darf, würde ich behaupten, du hast deine Feenseite nie ausgelebt, es war nie nötig und jetzt schützt du dich und deine Lieben vor dem Engel.“ Es klingt plausibel, trotzdem würde ich es lieber verdrängen. Ich will nicht wie meine Mutter sein, aber Jammern macht die Wandlung auch nicht mehr rückgängig. „Vielleicht hatte der Engel auch deshalb dieses Interesse an dir.“

„Weil ich eine Bergfee bin?“ Luc nickt, rückt aber nicht mit mehr Informationen heraus. Ich will auch nicht länger darüber nachdenken. Der Engel ist schuld an der Wandlung und mir ist lieber er verschwindet heute aus meinem Leben, als morgen. Höchste Zeit zuzuschlagen, den Dämon zu töten und den Engel loszuwerden. „Ich muss zu Vic.“

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Tag der Veröffentlichung: 12.02.2017

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