Cover

Kapitel 1

 

Speed Dating! Ich fasse es nicht. Bis vor ein paar Tagen wusste ich nicht einmal, dass es das bei uns überhaupt gibt. Aber dank meiner besten Freundin, sehe ich mich jetzt Männern gegenüber, die sich nicht für mich interessieren und ich mich nicht für sie. Wenigsten dauert jede Runde nur ein paar Minuten. Verkrampft sitzt man sich gegenüber und versucht in der kurzen Zeit Gemeinsamkeiten zu finden. Wie soll das denn gehen? Aber Janine ist überzeugt von dem System, dabei hat sie seit den letzten Wochen auch nicht mehr Liebhaber als sonst.

„Wie alt?“, fragt der nächste, nachdem wir uns knapp vorgestellt haben. Ein nicht mehr ganz junger Mann, mit schütterem Haar und dicker Brille.

„Einunddreißig“, antworte ich wahrheitsgemäß und ich merke sofort, dass ich ihm zu alt bin. Wie seinem Vorgänger. Dabei sieht man mir mein Alter nicht an. Was soll‘s, ich bin ja nicht hier um einen Mann zu finden, sondern um meine Freundin zu begleiten. Janine ist der festen Überzeugung, dass wir hier unsere große Liebe finden. Aber wenn ich mich so umsehe, dann geht es wohl eher um den nächsten Bettgefährten. Auf beiden Seiten. Entspannt lehne ich mich zurück und sehe mir die kommenden Herren an. Aber nicht ein Schnuckel dabei, die haben es wohl auch nicht nötig an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen. Als ich mich umdrehe, stockt mir kurz der Atem. Da ist Günther, einer meiner Mitarbeiter. Wie peinlich! Ihn würde ich durchaus als Schnuckel bezeichnen, aber zum einen arbeitet er für mich und zum anderen war ich der Meinung, dass er in einer festen Beziehung steckt. Wenigstens habe ich nachher die Gelegenheit ihm auf den Zahn zu fühlen.

Das Glöckchen ertönt, die Männer erheben sich und rücken einen Stuhl weiter.

„Hi, ich bin Jens, sechsundzwanzig, Mechatroniker und seit etwa einem dreiviertel Jahr Single“, bestürmt mich der nächste.

„Äh … hi, ich bin Hanna“, sage ich und strecke ihm meine Hand hin. Eifrig schüttelt er sie und grinst breit.

„Schön dich kennen zu lernen, Hanna. Darf ich fragen wie alt du bist?“ Ich nicke und antworte ihm.

„Auf alten Rädern lernt man fahren“, giggelt er und ich ziehe ungläubig die Augenbrauen nach oben. Hat er das tatsächlich gesagt?

„Sorry, aber so jung bist du nicht. Mit dir könnte ich nicht angeben. Nichts für ungut“, lächle ich freundlich und muss mich schon schwer zurückhalten, um ihm nicht die Augen auszukratzen. Ich habe kein Problem mit meinem Alter, aber so ein Spruch von einem Fremden, geht gar nicht. Wenigstens hat er genug Anstand rot anzulaufen. Wir sitzen unsere Zeit ab, die Glocke ertönt und das Spiel geht von vorne los. Ich finde das alles ziemlich mühsam.

„Hallo, ich bin Gert“, stellt sich der nächste vor. Er wirkt sympathisch mit den Lachfältchen und den grauen Schläfen. Ich sage ihm meinen Namen und dann legt er seinen Kopf schief.

„Kennen wir uns?“, fragt er und ich mustere ihn genau. Stimmt schon, er kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht wo ich ihn einordnen soll.

„Ich hab‘s“, freut er sich, „du arbeitest doch in der Videothek.“

„Genau genommen, gehört sie mir.“ Und jetzt weiß ich auch wieder, warum ich mir sein Gesicht nicht merken wollte. Der liebe Gert hat einen Hang zu Pornos, was an sich ja nicht verwerflich ist, aber er baggert beim Abholen und Zurückbringen meine Mädels und mich ziemlich derb an. Vor drei Monaten habe ich ihm mit Hausverbot gedroht und seitdem nichts mehr Negatives gehört. Denn so lange ich Dienst habe, kreuzt er gar nicht erst auf. Jetzt scheint er sich dafür nicht zu genieren und plappert munter drauf los. Vielleicht überspielt er nur seine Unsicherheit. Soll er, so geht wenigstens die Zeit rum.

Zwei weitere Kandidaten schweigen mich an und ersticken jeden Versuch eine Unterhaltung zu führen im Keim. Ich sehe wohl Barbie/Model-Sowieso nicht ähnlich. Der nächste ist erstaunlich unterhaltsam, bis er mich fragt welche Filme ich ihm empfehlen könnte. Sehe ich so aus, als würde ich gerade arbeiten? Ich nenne ihm ein paar Titel, die wir neu bekommen haben und begeistert strahlt er mich an. Dann herrscht erst einmal Schweigen.

„Hey! Aufwachen! Geschlafen wird nachts!“, lacht er dann und klopft sich auf den Schenkel. Fragend sehe ich ihn an.

„Das ist aus „Ziemlich beste Freunde“. Kennst du doch?“

„Nur was ich darüber gehört habe“, gebe ich zu und Gert sieht mich fassungslos an. Ich weiß, was hat ein Nicht-Film-Junkie in einer Videothek zu suchen? Ich frage mich das auch ständig, aber der einzige Grund, der mir einfällt ist: weil es von mir erwartet wurde. Mein Vater führte sie vor mir und bestand darauf, dass ich ihm nachfolgte, als er in Rente ging. Ich ließ mich darauf ein, denn Job hatte ich gerade keinen und ich kannte mich aus. Trotzdem könnte ich Gert mehr Zitate aus Büchern liefern, als aus Filmen. Ich sehe mir nur selten welche an.

Bevor er nachhaken kann, wird das Glöckchen geläutet und er muss aufstehen. Günther hat es endlich auf meine Seite geschafft und mich auch entdeckt. Verschwörerisch grinsen wir uns an und ich zähle die Minuten, bis er endlich an meinem Tisch sitzt.

„Hey, ich bin Günni, arbeite in einer Videothek und meine Chefin ist der Oberhammer“, grinst er und streckt mir seine Hand hin.

„Hi, ich bin Hanna, führe eine Videothek und habe die besten Mitarbeiter, die man sich vorstellen kann.“

„Was machst du hier?“, will er dann wissen.

„Ich begleite Janine“, sage ich und deute mit dem Kopf nach rechts. Günni strahlt und wackelt anzüglich mit den Augenbrauen. „Was sagt deine Freundin denn zu solchen Ausschweifungen?“

„Hör‘ mir mit der auf“, brummt Günni und sein Gesicht verfinstert sich. „Seit einem Jahr lese ich ihr jeden Wunsch von den Augen ab und vor zwei Wochen sagt sie mir, dass sie ‘nen Neuen hat, weil ich mich zu wenig kümmere.“

„Autsch“, fühle ich mit ihm mit.

„Sie will alles haben, also arbeite ich neben dem Studium und dann beschwert sie sich, dass ich so wenig Zeit für sie habe! Verstehe einer die Frauen“, seufzt er schließlich und schüttelt den Kopf.

„Und jetzt suchst du nach der Nächsten?“

„Keine Chance, ich suche viel mehr nach ein wenig Gesellschaft“, grinst er. „Denkst du deine Janine wäre dafür zu haben?“

„Frag‘ sie einfach ganz direkt. Auf sowas steht sie“, stecke ich ihm. Wenigstens hat dann eine von uns heute Nacht noch ein bisschen Spaß.

„Verbindlichsten Dank und weil ich nicht so bin, verrate ich dir auch was. Siehst du den dunklen Typ zwei Tische weiter?“ Ich nicke und sehe wieder gespannt zu Günni. „Das is mein Kumpel Jonas, ein feiner Kerl und in deinem Alter.“

„Ich schlafe bestimmt nicht mit einem deiner Kumpels“, grinse ich und Günni verdreht die Augen.

„Wer so wählerisch ist, hat‘s nicht besser verdient. Wir sehen uns nächste Woche“, verabschiedet er sich und wandert weiter. Ich stelle mich dem nächsten Fremden vor und höre nur halbherzig zu, stattdessen beobachte ich diesen Jonas. Auf den ersten Blick sieht er eher durchschnittlich aus, aber die Art wie er spricht gefällt mir. Er erzählt mit vollem Körpereinsatz, sein Gesicht strahlt und zwei Grübchen zeigen sich.

„Hanna?“, fragt der Mann an meinem Tisch.

„Entschuldige. Wie war die Frage?“ Ich fühle mich gerade, wie früher in er Schule.

„Ach, vergiss es“, gibt er auf und dreht sich zur Seite. Männer, die schmollen mag ich ohnehin nicht und so habe ich Zeit, Jonas zu beobachten und sein Gespräch mit der Dame zu belauschen. Begeistert erzählt er ihr von seiner letzten Klettertour. Daraus schließe ich, dass er tolle Muskeln hat, aber nicht zu viele. Wahrscheinlich steht er aber auf Püppchen und nicht auf Frauen wie mich. Ich bin etwas zu klein für mein Gewicht, habe was im Kopf und weiß was ich will. Keine gute Mischung, um einen tollen Kerl aufzureißen. Jedenfalls ist das meine Erfahrung. Das Glöckchen ertönt wieder und Aufregung erfasst mich.

„Ich bin Jonas“, lächelt er aufrichtig und schüttelt mir die Hand.

„Weiß ich“, bin ich ehrlich. „Günni arbeitet für mich und ließ es sich nicht nehmen, mir von dir zu erzählen.“

Ängstlich verzieht er das Gesicht. „Das bedeutet nur selten was Gutes.“

Lachend schüttle ich den Kopf. „Keine Sorge, er hat keine Geheimnisse ausgeplaudert.“

„Gut, dann kommt mein Hang zu Damenunterwäsche nicht ans Licht“, zwinkert er und bringt mich wieder zum Lachen.

„Dann kennt ihr euch von den anonymen Unterwäschefetischisten?“

Jonas grinst und die Grübchen erscheinen wieder. „Nein, ganz harmlos von der Uni. Ich studiere BWL.“

„Wie ein Betriebswirtschaftler siehst du mir nicht aus“, rede ich wieder mal schneller, als ich denke. Ein Fehler, der mir bei ersten Dates immer wieder passiert. Anstatt mich von meiner besten Seite zu zeigen, bin ich so, wie ich eben an jedem anderen Tag auch bin.

„Und nach was sehe ich aus?“, fragt er interessiert und beugt sich näher zu mir.

„Ich weiß nicht“, sage ich, „Eher wie ein Sportler.“

„Du hast gelauscht, oder?“, grinst er und ich nicke lachend. Dann ertönt auch schon das Glöckchen.

„Immer wenn‘s am Schönsten ist“, seufzt Jonas. „Sehen wir uns nachher noch?“ Ich nicke und schon wechselt er zu Janine. Stumm formt sie das Wort „heiß“ und deutet mit ihrem Kopf Richtung Günni. Mission erfüllt, Janine ist glücklich. Und ich? Ich harre der Dinge, die noch auf mich zukommen.

 

„Hey Hanna, ich dachte du hättest mich sitzen lassen“, erwischt mich Jonas beim Rauchen.

„Ich halte meine Versprechen für gewöhnlich. Ich wollte dir nur nicht dazwischenfunken“, lächle ich und drücke die Zigarette im Aschenbecher aus.

„Du hättest mich retten können, die waren echt anstrengend.“

„Sah mir so aus, als würde es dir gefallen.“

„Dann sollte ich besser Schauspieler werden“, zwinkert er.

„Günni ist mit meiner Freundin losgezogen“, informiere ich Jonas.

„Hab die beiden gesehen, ja. Wird wohl eine heiße Nacht“, lacht er und ich stimme ihm zu. „Und für dich niemand dabei?“

„Niemand den ich abschleppen würde.“

„Jemand, der … sagen wir … dich zu einem Kaffee überreden könnte?“

„Möglicherweise, wenn er sich geschickt anstellt.“

„Mist! Raffiniert bin ich nicht, aber ich würde dich trotzdem gern zu einem Kaffee einladen.“

„Charmant reicht völlig, hab‘ ich das vergessen zu sagen?“

„Soso, ein weiblicher Teufel, der die Männerwelt leiden lässt“, grinst er und greift sich theatralisch ans Herz.

„Nur, wenn sie es verdient. Du hältst dich noch ganz wacker.“

„Was habe ich Glück. Ob ich meine Einladung zurückziehen sollte?“ Er stürzt grüblerisch die Lippen.

„Du wärst der Erste, der sich vor ein bisschen Höllenfeuer fürchtet“, necke ich ihn.

„Okay gut, dann steht die Einladung. Ich bin ja kein Weichei.“

„Und ich nehme dankend an. Günni kann dir meine Nummer geben“, sage ich und wende mich zum Gehen. Es macht zwar irre Spaß mit Jonas, aber ich muss morgen früh raus.

„Teuflisch raffiniert, liebe Hanna. Ich ruf trotzdem an“, verspricht er und ich mache mich auf den Weg. Breit grinsend. So viel Unterhaltung hatte ich mir von dem Abend nicht erwartet. Trotzdem wird Janine das nächste Mal alleine gehen müssen, noch mehr Zeitverschwendung dieser Sorte vertrage ich nicht.


Kapitel 2


Am nächsten Morgen bin ich richtig demotiviert und das nasskalte Wetter trägt einiges dazu bei. Keine Lust rauszugehen und trotzdem raffe ich mich auf. Normalerweise arbeite ich an den Wochenenden nicht, aber Rene hat Urlaub und irgendjemand muss ihn vertreten. Es herrscht ohnehin Engpass, seit Lilli gekündigt hat. Der Nachteil an Studenten als Arbeitskraft ist, dass sie irgendwann aufhören zu studieren. Und es ist gar nicht leicht, gutes Personal zu finden, zumal ich ihnen nicht mal viel Geld bieten kann. Wer geht denn heute schon um knappe sieben Euro die Stunde arbeiten?

Ich parke hinter dem Gebäude und betrete über das Büro den Laden, ziehe mir die dicke Jacke aus und hole den Staubsauger. Ja, ich putze selbst, denn eine Putzfrau kann ich mir nicht leisten. Das Geschäft läuft immer mieser, schon seit Jahren. Danke Paps, dass du mir so einen florierenden Laden zugeschanzt hast. Energisch bearbeite ich den dunklen Teppichboden, wenigstens spare ich mir das Wischen. Früher war hier alles gefliest. Sah nicht nur dreckig aus, war auch ziemlich rutschig bei Regenwetter. Die erste Änderung, die ich hier vorgenommen hatte. Natürlich mit der Zustimmung des Big Boss, der als Franchisegeber nicht nur den Einkauf innehat. Es läuft so gut wie nichts ohne sein Okay, aber wenigstens darf ich mir meine Mitarbeiter selbst aussuchen.

Ich packe den Staubsauger weg und greife zum Scheibenreiniger. Keine Ahnung wie die Leute es immer schaffen, alle ihre Fingerabdrücke in nur einem Tag an der Eingangstür zu hinterlassen. Obwohl der Schmutz heute nicht auffallen wird, denn der Regen peitscht gegen das Glas und hinterlässt Tropfen und Rinnsale. Seufzend packe ich das Putzmittel weg und starte meinen Rechner im Büro und die im Verkaufsraum. Nur noch eine halbe Stunde und die Türen öffnen sich für die Kunden. Der Ansturm wird sich um diese Zeit in Grenzen halten, aber das Wetter spielt mir heute in die Hände.

Ich schnappe mir die Schachtel mit den Schlüsselanhängern, die mit Nummern versehen sind und gehe nach oben. Geli hat es wohl gestern Abend nicht mehr geschafft sie aufzuhängen. Die Wochenenden einschließlich Freitag sind die besten und schlimmsten Tage. Die Kasse klingelt, aber der Kundenansturm ist groß. Wird höchste Zeit, dass ich einen neuen Mitarbeiter finde.


„Hey Hanna“, begrüßt mich Geli am Nachmittag, berührt mich kurz an der Schulter und öffnet die zweite Kasse. „Ihr könnt auch zu mir kommen.“

Dankbar seufze ich innerlich, das miese Wetter trägt dazu bei, dass noch mehr Leute kommen. Was macht man auch sonst an einem verregneten Frühsommersamstag. In den Kinos gibt es kaum etwas Neues und über das Fernsehprogramm brauchen wir nicht zu reden. Trotzdem reichen selbst solche Tage nicht an die Vergangenheit heran. Aber wenigstens schließe ich heute mit einem Gewinn ab.

„Von „Interstellar“ habt ihr wahrscheinlich keinen mehr da?“, fragt der Kunde nach einer knappen Begrüßung.

„Hast Glück, den hab‘ ich vorhin erst reinbekommen, als DVD“, lächle ich.

„Klasse“, freut sich der junge Mann. Ich tippe die Kundennummer in den Computer und bitte den Kunden um seinen Pincode. Danach tippe ich die Nummer des DVDs ein, bestätige und fertig. Besonders viel Hirnmasse braucht man nicht in dem Job, man muss einfach mit Leuten können und sich für Filme interessieren. Ich als Ausnahme bestätige nur die Regel.

Die Schlange wird schnell kürzer und laut seufzend schließe

ich meine Kasse.

„So schlimm, ja?“

„Es ging, ist eher die Nullbockhaltung heute.“

„Du arbeitest zu viel“, lächelt Geli, kümmert sich um die nächst Kundin, während ich anfange die zurückgebrachten Filme ins Lager zu räumen. Geli ist schon seit Jahren dabei und ich glaube sie macht es nur noch am Spaß an der Freude.

„Anders geht es gerade nicht“, antworte ich, als die Kundin weg ist.

„Was ist mit den Bewerbern?“

„Ich weiß nicht, überzeugt bin ich von keinem“, sage ich, hole die Unterlagen meiner drei Favoriten aus dem Büro und zeige sie Geli.

„Auf dem Papier sehen sie doch ganz gut aus“, sagt sie dann.

„Das ist das Problem“, grinse ich und Geli lacht.

„Besser als nichts. Überlass sie ruhig mir, ich mach das schon“, lächelt Geli. Ich bedanke mich, aber in diesem Fall behalte ich die Zügel doch lieber selbst in der Hand.


Auch am Sonntag springe ich für Rene ein, doch bis Ladenschluss bleibe ich heute nicht. Zwar wartet zu Hause nur eine verwöhnte Katze, aber ich muss dringend raus. Geli hat schon recht, wenn sie meint ich arbeite zu viel. Alles in meinem Leben dreht sich um die Videothek. Ich bin quasi mit ihr verheiratet und sie muss jede Menge Freundschaften ersetzen. Denn irgendwie sind mir, bis auf Janine, alle Freunde abhandengekommen. Jetzt sind es nur noch lose Bekanntschaften, die man ab und an mal pflegt.

„Was denkst du?“, frage ich die Katze. „Soll ich alles hinschmeißen und in mein altes Leben zurückkehren.“ Wie zu erwarten interessiert sie sich nicht für meine Probleme, sondern nur dafür, dass ich so schnell wie möglich Futter ranschaffe. War schon immer so. Kurz bevor ich die Videothek übernommen habe, habe ich sie im Garten gefunden. Abgemagert und völlig verängstigt. Namen habe ich ihr keinen gegeben, damit sie mir nicht ans Herz wächst und ich sie so schnell wie möglich im Tierheim abgeben konnte. Pustekuchen, denn nach der ersten Nacht konnte ich sie nicht wieder hergeben. Trotzdem blieb sie einfach nur „die Katze“. Dass ich es jemals so schätzen würde ein Haustier zu haben, habe ich mir nie gedacht. Aber die Katze ist die beste Medizin bei Einsamkeit. So stur und ablehnend sie auch sein kann, so einfühlsam und kuschelig ist sie, wenn ich mich alleine fühle.

Das Handy klingelt und reißt mich aus meiner Selbstmitleidstour. Janine ist dran und fragt gut gelaunt wie es mir geht. „Ganz gut. Aber es hört sich ganz danach an, als ob du mir etwas erzählen willst“, grinse ich zum Ende hin. Ich liebe diese Frau, denn auch wenn ich kaum noch Zeit für sie habe, können wir nahtlos anknüpfen.

„Später“, kichert sie. „Was wurde eigentlich aus … dem Schnuckel, den du dir geangelt hast?“

Ich schnaube genervt. „Ich habe mir niemanden geangelt. Ich habe mich mit Jonas amüsiert und nun gehen wir getrennte Wege.“ Erst jetzt fällt mir auf, dass er nicht angerufen hat. Aber habe ich wirklich damit gerechnet? Nein, auf keinen Fall.

„Aaahhh“, kreischt Janni. „Du hast ihn abgeschleppt? Ich fasse es nicht. Erzähl!“

„Nein, auch das habe ich nicht. Wir haben uns bloß kurz unterhalten und nichts weiter.“

„Oh“, sagt sie spitz und es bleibt eine Weile still. Ihre stummen Vorwürfe entgehen mir nicht, aber ich bin nun mal kein Mädchen für eine schnelle Nummer.

„Jedenfalls war es großartig mit Günni. Ist es noch“, erzählt sie dann begeistert und ich versuche die Bilder in meinem Kopf schnellstmöglich zu vergessen. Mich gut mit meinen Mitarbeitern zu verstehen ist eine Sache, über ihr Sexleben informiert zu sein, eine ganz andere.


Am Montag quäle ich mich durch drei Vorstellungsgespräche und verspreche, dass ich ihnen meine Entscheidung schnellstmöglich mitteile. Dabei habe ich mich bereits entschieden. Ich arbeite einfach selbst weiter. Keiner von ihnen passt hier rein. Kandidat eins ist zwar ein Filmcrack, kriegt aber den Mund nicht auf, Kandidatin zwei, redet so viel, dass sonst niemand zu Wort kommt und der letzte im Bunde braucht einfach nur eine Bestätigung für das Arbeitsamt und hat absolut kein Interesse hier zu arbeiten. Oder überhaupt zu arbeiten.

„Warum soll ich mich abstrampeln, wenn ich so einfach an Kohle komme?“, fragt er mich und spaziert grinsend ab. Ja, warum eigentlich? Warum schmeiße ich nicht alles hin, lege mich für ein paar Wochen auf die faule Haut und versuche dabei herauszufinden, was ich mit meinem Leben tatsächlich anstellen will? Ich meine, reicht nicht schon die Tatsache, dass ich über dreißig bin und nicht weiß, was mir Spaß machen könnte? Also beruflich. In meinen erlernten Beruf, will ich definitiv nicht zurück. Frisösen sind meistens arrogante Püppchen und mit denen kann ich einfach nicht. Weiß der Geier, warum ich damals diesen Beruf ergreifen wollte. Nach der Ausbildung jobbte ich als Regalbetreuerin, Putzfrau und in einem Schnellrestaurant, bevor ich die Videothek übernahm. Nichts Aufregendes, aber es war okay. Und Okay ist es jetzt auch. Vielleicht gehöre ich einfach nicht zu den Menschen, die ihre Berufung finden oder finden wollen.

„Hi, nimmst du heute gar keinen mit?“, frage ich den

Stammkunden und nehme die zwei DVDs entgegen.

„Nein, heute läuft was Gutes im Fernsehen. Sag mal, habt ihr auch Serien zu verleihen?“

„Leider nur sehr wenig. Die Nachfrage wächst, aber so schnell kriege ich die nicht. Wonach suchst du denn?“

Downton Abbey. Meine Freundin jammert schon ewig“, beeilt er sich zu erklären und ich lächle mitfühlend. Ob er die Serie nicht doch selbst anschauen will?

„Staffel eins und zwei, habe ich da. Gibt’s da mehr?“

„Keine Ahnung“, schnaubt er ratlos. „Aber damit wirst du sie für ein paar Stunden glücklich machen. Legst du sie mir fürs Wochenende beiseite?“

„Ich schreibe es mir auf und schick einfach wieder eine SMS, ja?“

„Perfekt. Danke.“ Der junge Mann lässt mich alleine zurück, ausnahmsweise einmal mit einem guten Gefühl. Umso leichter fällt es mir besonders freundlich beim Abheben des Telefons zu sein.

„Hi, ich wollte bloß fragen, ob ihr Breakfast at Tiffanys habt.“

„Ich schau nach, aber solche Klassiker habe ich normalerweise nicht mehr“, gebe ich mich zerknirscht, tippe den Titel in das Programm ein und muss meine Vermutung bestätigen.

„Wie sieht es mit Rezept zum Verlieben aus?“

„Ist leider verliehen“, sage ich nach ein paar Sekunden.

„Was ist mit Dinner for two?“

Grinsend schüttle ich den Kopf, tippe den Titel ein. „Hab ich. Soll ich ihn reservieren?“

„Bitte. Ich komme so schnell wie möglich. Bis nachher“, sagt er gehetzt und legt, noch bevor ich mich verabschieden kann, auf. Wenn nur jeder Tag so mies beginnen und so toll verlaufen würde. Aber auch wenn es nicht immer so ist, genieße ich den Augenblick.


Um fünf trudelt Sybille ein, sie grüßt mürrisch, streift sich ihre Jacke ab und macht sich Kaffee. Sybille arbeitet schon eine ganze Weile für mich. Wochentags hat sie die Abendschicht über und ich habe diese Frau noch nie richtig wach zur Arbeit kommen sehen. Trotzdem macht sie ihren Job gut und ist richtig liebenswert, wenn man genau hinsieht.

„Was muss ich wissen“, fragt sie träge nach und nimmt einen Schluck aus der Tasse.

„Drei Reservierungen habe ich noch offen“, deute ich auf den Block. Sybille späht darauf und schüttelt angewidert den Kopf. Alles was nicht Horror ist, kann sie nicht ab, dafür kennt sie sich in dem Genre richtig gut aus.

„Dann geh ich mal den Papierkram erledigen“, lasse ich Sybille alleine im Verkaufsraum zurück.


„Hanna?“, unterbricht mich Sybille bei der Ablage und ich sehe hoch. „Da fragt jemand nach dir. Soll ich ihn abwimmeln?“ Unschlüssig ziehe ich die Augenbrauen hoch, schüttle dann den Kopf und folge ihr. Ich staune nicht schlecht, als Jonas auf der anderen Seite des Tresens steht.

„Hi“, sage ich erfreut und bitte ihn zum anderen Schalter, damit Sybille die Kunden hinter ihm bedienen kann.

„Hi, ich dachte schon, ich hab‘ dich verpasst.“

„Ich bin ein Arbeitstier“, grinse ich und muss mir eingestehen, dass es mich wirklich freut ihn zu sehen.

„Kommt mir sehr entgegen. Ich hab‘ nämlich ein Dinner for two.“

„Dann bist du der ominöse Essenfetischist von heute Mittag?“, necke ich ihn und greife zu dem Film.

„Es ist ganz schön gemein, seine Kunden in Schubladen zu stecken.“

„Stimmt schon“, gebe ich zu, „aber es macht unheimlich Spaß.“ Grinsend schiebe ich ihm den Film hin, aber er bleibt abwartend stehen. „Noch einen Wunsch?“

„Für ein Dinner braucht es zwei Leute“, lächelt er und erzeugt bei mir nur ein Stirnrunzeln. Er wird doch nicht …?

„Der hier“, wedelt er mit dem Film herum, „war bloß ein Vorwand.“

„Wofür“, ziere ich mich. Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich darauf einlassen soll. Die Idee ist zwar süß, Jonas ist es auch, aber will ich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 06.03.2016
ISBN: 978-3-7396-5719-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /