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Die
Nachtwanderin
Teil 3


(aus der Dark-Craving-Reihe)





© 2011 T. J. Hudspeth




Mimma erwachte mit einem brummenden Schädel und einem knurrenden Magen. Sie hielt sich den Kopf. Dabei fiel der dicke Verband an ihrem Arm in ihr Blickfeld. Plötzlich erinnerte sie sich wieder daran, dass Ardric von ihr getrunken hatte und sich dabei sein Speichel mit ihrem Blut vermischt hatte. Doch dann wusste sie nicht mehr weiter. Sie hatte keine weiteren Erinnerungen an diese Nacht und war sich unsicher, ob die Verwandlung stattgefunden hatte. Ängstlich tastete sie ihren Körper ab. Er fühlte sich an wie immer. Dann presste sie eine Hand auf ihre Brust und schloss ihre Augen. Sie fühlte ihren Herzschlag. Ihr Herz schlug genauso regelmäßig oder auch unregelmäßig wie sonst auch. Wieder knurrte ihr Magen lautstark auf. Mimma hielt sich den Bauch und überlegte, ob dies ihr gewöhnlicher und menschlicher Hunger war, oder ob es sie nach Blut dürstete. Der Gedanke an Blut verursachte ihr Übelkeit, doch sie wusste nicht, ob das ein Indiz für, oder gegen ihre Menschlichkeit war. Ein Indiz dafür, oder dagegen, dass sie sich in einen Vampir verwandelt hatte. Mimma lüftete die Bettdecke und sah an sich hinunter. Sie trug ein weißes T-Shirt und ihre Jogginghose. Ardric musste sie wohl aus den engen Klamotten geschält und ihr diese bequemen Sachen übergezogen hatte. Dann kam ihr etwas in den Sinn. Sie spürte wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Voller Ungewissheit tastete sie ihre Brust ab. Sie trug noch immer denselben Push-Up-BH von der Party. Anschließend ertastete sie unter ihrer Jogginghose die Rüschen ihrer Unterhose. Auch diese trug sie noch am Leibe. Ardric hatte die Situation also nicht schamlos ausgenutzt, um sie nackt zu sehen.
Langsam wurde ihr Hunger immer unerträglicher und zwang sie aufzustehen. Sie richtete sich im Bett auf. Dann schlug sie die Bettdecke zurück und setzte beide Füße nacheinander auf den Fußboden. Sie betrachtete ihre Fußnägel und bemerkte, dass an einigen Stellen der Lack abblätterte. Mimma entschied ihren Zehennägeln demnächst einen neuen Anstrich zu verpassen, dann stand sie schwungvoll auf. Im Schlafzimmer herrschte eine wohltemperierte, angenehme Wärme. Mimma stellte sich an den Treppenabsatz und ließ ihren Blick, soweit es von dieser Position aus möglich war, über das untere Stockwerk schweifen. Ardric war nirgendwo zu sehen, obwohl überall die Lichter brannten, da draußen die Nacht bereits hereingebrochen war. Mimma ging die Treppen hinunter und hielt auf den Kühlschrank zu. Anschließend öffnete sie die Tür und begutachtete das reichhaltige Nahrungsangebot. Doch irgendwie hatte sie auf nichts richtigen Appetit. Doch dann fiel ihr Blick auf die Blutkonserven. Nur wiederwillig nahm Mimma eine davon heraus und betrachtete den dunkelroten Inhalt. Nach kurzen Überlegungen, öffnete sie den Verschluss der Konserve und schnupperte zaghaft daran. Als ihr der metalerne Geruch des Blutes in die Nase stieg, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Über diese Reaktion war Mimma sehr überrascht. Wie es schien, verlangte ihr Körper tatsächlich nach Blut und wenn dies die einzige Möglichkeit für sie war, weiter zu leben, musste sie über ihren Schatten springen und sich vom Blut anderer Menschen ernähren. Blut war schließlich das Lebenselixier von Vampiren und sie gehörte nun dazu. Mimma überwand sich und schloss ihre Lippen um die Öffnung der Blutkonserve.
„Was machst du da?“, fragte sie Ardric verwirrt, als er neben ihr auftauchte.
„Na was wohl. Ich will Leben, also muss ich mich daran gewöhnen Blut zu trinken“, erwiderte Mimma.
„So so. Und wieso glaubst du, dass du nur leben kannst, wenn du Blut trinkst?“, fragte er argwöhnisch weiter.
„Weil sich Vampire nun mal nur von Blut ernähren“, gab Mimma rechthaberisch von sich.
„Das ist schon richtig, aber wieso willst du Blut trinken?“, hakte er nach.
„Na weil ich…ähm…ein…Vampir bin“, meinte Mimma. Ardric sah sie ernsthaft an. Plötzlich begannen seine Mundwinkel unkontrolliert zu zucken, bis er es nicht mehr unterdrücken konnte und lauthals zu lachen begann.
„Was ist daran wieder so lustig?“, fragte Mimma verärgert nach.
„Es ist so lustig, weil du tatsächlich glaubst ein Vampir zu sein und kurz davor warst Blut zu trinken, obwohl du doch noch immer ein Mensch bist!“, prustete Ardric los.
„Was, ich wurde nicht verwandelt?“, fragte Mimma ungläubig. Ardric beantwortete ihre Frage mit einem Kopfschütteln, denn er musste noch immer lachen.
„Aber wieso habe ich dann das Verlangen Blut zu trinken?“, konterte Mimma.
„Keine Ahnung wieso du dir das einbildest.
Ist wohl so eine Kopfsache.
Doch ich kann dir mit Sicherheit sagen, dass du nach wie vor ein Mensch bist.
Du würdest den Unterschied bemerken, denn es ist ein gewaltiger Unterschied, wie man sich als Mensch und wie man sich als Vampir fühlt. Sämtliche Sinne sind geschärft. Wunden heilen in Sekunden und man nimmt die Umgebung komplett anders war“, klärte er Mimma auf.
„Ich bin also immer noch ein Mensch“, stammelte Mimma vor sich hin und starrte die Blutkonserve an. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie um ein Haar Blut getrunken hätte. Angewidert hielt sie die Blutkonserve von sich und drückte sie Ardric in die Hand.
„Igitt, igitt, igitt!“, schrie sie und schüttelte ihren ganzen Körper. Ardric schraubte den Deckel der Blutkonserve zu und legte sie zurück in den Kühlschrank.
„Ich hab solchen Hunger, aber mich macht nichts im Kühlschrank so wirklich an!“, beklagte sich Mimma.
„Und ich kann mich an nichts mehr erinnern, außer dass ich unheimliche Schmerzen hatte!“, jammerte Mimma weiter.
„Weißt du was?
Ich mache dir etwas Leckeres zu Essen, dann kommt dein Appetit schon wieder zurück. Währenddessen erzähle ich dir was passiert ist“, meinte Ardric.
„Du kannst kochen? So richtig, dass es auch schmeckt?“, hakte Mimma ungläubig nach. Ardric bejahte ihre Frage und begann damit Mimma ein köstliches Mahl zuzubereiten. Er erzählte ihr alles, was nach dem verheerenden Schnitt mit der Rasierklinge passiert war. Und entgegen Ardrics Erwartungen, stauchte Mimma ihn weder zusammen, noch war sie böse auf ihn. Ihr war bewusst, dass sie fahrlässig handelte und diese lebensbedrohliche Situation selbst heraufbeschworen hatte.

*****



Die letzten Blätter fielen von den Bäumen. Der kühle und verregnete Herbst verabschiedete sich und wurde vom frostigen Winter, der mit Pauken und Trompeten in der Stadt Einzug hielt, abgelöst. Die Dächer der Wolkenkratzer waren mit dicken Schneeschichten bedeckt, während man unten in den Straßen emsig damit bemüht war, die Anzeichen des Winters durch Winterräumungsdienste schlichtweg hinfort zu fegen. Doch gegen die hereinbrechende Übermachte des Winters, konnten die Menschen nicht lange stand halten. Irgendwann übernahm er das Ruder und ergriff von allen Straßen und Gehsteigen Besitzt. Er klammerte seinen frostigen Fängen um alles, was sich ihm nicht entziehen konnte und er war nicht bereit seine Beute so schnell wieder herzugeben.
Winter war Mimmas liebste Jahreszeit. Die Hässlichkeit der Stadt, wurde durch ein reines und sauberes Weiß übertüncht, wenn auch nur vorübergehend. Die grauen und tristen Betonklötze der Skyline wirkten mit viel Fantasie, wie Berge mit Spitzen aus Puderzucker. Die sonst mit Abgasen erwärmte und verpestete Luft, wurde durch den eisigen Frost des Winters gefiltert und roch so klar, wie sonst zu keiner Jahreszeit.
„Bist du bereit?“, fragte Ardric, der eine Überraschung für Mimma bereit hielt.
„Ja bin ich. Darf ich meine Augen endlich öffnen?“, fragte sie ungeduldig und biss sich angespannt auf ihre Unterlippe.
„Ok, dann darfst du jetzt schauen“, sagte er und gab Mimma das Kommando ihre Augen wieder zu öffnen. Mimma öffnete ihre Augen nur einen kleinen Spalt und blinzelte durch ihre üppigen Wimpern. Als sie erkannte, was vor ihr auf dem Küchentresen lag, riss sie ihre Augen weit auf.
„Oh mein Gott!
Wo hast du die nur her?“, fragte sie und bekam glasige Augen, als sie die völlig abgegriffenen Bücher aus ihrer Kindheit, ausgebreitet vor sich liegen sah. Andächtig strich sie mit ihren Fingerspitzen über die Bücher. Dann nahm sie eines in die Hand und roch daran.
„Sie riechen noch wie früher“, sagte sie, als sie den Duft einsog.
„Woher wusstest du das?“, fragte sie Ardric.
„Als ich dir zu Beginn unseres Zusammenlebens eröffnete, dass du nicht mehr in dein altes Leben, noch zurück in deine alte Wohnung konntest, erwähntest du deine Lieblingsbücher. Da wurde ich hellhörig.
Eines Nachts ging ich unter größter Vorsicht in deine Wohnung. Überall roch es nach Werwolf. Sie hatten nach dir gesucht und hinterließen ihre Duftmarke.
Eilig stöberte ich dein Bücherregal durch, denn ich hatte keine Lust auf einen von ihnen zu treffen. Ich brauchte nicht lange um herauszufinden, welche wohl deine Lieblingsbücher seien. Sie rochen älter, als die anderen und sahen sehr abgenutzt aus. Ich nahm die vier Jane Austen Romane mit nach Hause und wartete auf den geeigneten Zeitpunkt, um sie dir zu geben. Und der richtige Zeitpunkt erschien mir der heutige Tag zu sein“, erzählte ihr Ardric.
„Du hättest mir die Bücher ruhig schon früher geben können!“, warf ihm Mimma vor und sah ihn vorwurfsvoll an.
„Dir kann man es wohl nie recht machen!
Da stürze ich mich todesmutig in die Höhle des Bären, um deine Kostbarkeiten zu retten, doch du zeigst keinerlei Dankbarkeit, sondern bist auch noch böse auf mich!“, pflaumte Ardric sie eingeschnappt an. Doch Mimma war ihm nicht böse, im Gegenteil. Voller Dankbarkeit sprang sie Ardric um den Hals. Überrascht durch Mimmas plötzlichen Impuls, schlang er dennoch seine Arme um ihren schmalen Körper.
„Euch Frauen soll einer verstehen!“, nuschelte Ardric in ihr samtenes Haar. Mimma presste ihre Wange fest an seine Brust.
„Danke Ardric, jetzt bin ich hier endlich Zuhause“, sagte Mimma überglücklich.
„Du kannst gleich überlegen, wie du mir gegenüber deinen Dank ausdrückst, wenn ich dir deine zweite Überraschung aushändige!“, meinte Ardric und spitze die Lippen. Mimma sah ihn kritisch an und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. Dann löste sie ihre Umarmung und nahm ein wenig Abstand von Ardric.
„Du erwartest, dass ich mich aus Dankbarkeit dir gegenüber prostituieren soll!“, schimpfte sie empört und stemmte ihre Hände auf beiden Seiten in ihre Hüfte.
„Na komm schon! So abstoßend bin ich doch gar nicht!
Sich seinen Sehnsüchten hinzugeben, hat nichts mit Prostitution zu tun“, verbesserte er Mimmas Aussage.
„Und du weißt natürlich wonach ich mich sehne“, gab Mimma gelangweilt von sich und rollte mit den Augen.
„Natürlich weiß ich das, denn ich bin ein exzellenter Liebhaber. Ich habe Jahrzehntelange Erfahrungen auf diesem Gebiet sammeln können. Wer wäre also besser dazu geeignet dich in die Welt der Erotik einzuführen, als ich“, meinte er wohlwollend.
„Du vergisst wohl, dass ich keine Jungfrau mehr bin. Ich weiß was Sex ist und ich weiß auch, wie man es tut“, erinnerte ihn Mimma.
„Ach das was du mit irgendwelchen Nichtskönnern alkoholisiert und berauscht erlebt hast, kann man nicht als Sex bezeichnen. Nur ein einfühlsamer Mann wie ich, weiß wie man auf die Bedürfnisse einer Frau eingeht, um ihre geheimsten Wünsche zu erfüllen“, gab er überzeugt und selbstsicher von sich. Mimma hatte genug von Ardrics Darlegungen und blies genervt Luft aus ihrem Mund heraus.
„Wir sind vom Thema abgekommen.
Du wolltest mir doch etwas geben“, erinnerte Mimma Ardric.
„Stimmt, du hast natürlich Recht.
Öffne deine Hand“, forderte er sie auf. Nur widerwillig folge sie seiner Aufforderung und hielt ihm die geöffnete Hand entgegen. Ardric hielt ihre Hand in der seine, dann legte er etwas Kühles auf Mimmas Handfläche und schloss sie zu einer Faust. Mimma zog ihre geschlossene Faust zurück und öffnete sie wieder. Auf ihrer Handfläche erblickte sie einen kleinen, silbernen Anhänger. Es war ein silbernes Vampirgebiss, das als Schlüsselanhänger diente, denn am anderen Ende hing ein ebenfalls silberner Schlüssel.
„Für was ist der?“, fragte Mimma.
„Ich habe lange hin und her überlegt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich dich hier nicht noch länger einsperren kann. Das ist der Zweitschlüssel zum Apartment. Du kannst ab sofort kommen und gehen wann du willst“, verkündete Ardric.
„Aber nur unter einer Bedingung!“, fügte er hinzu.
„Und die wäre?“, fragte Mimma gespannt.
„Du musst dich von dunklen Gassen und menschenleeren Straßen fernhalten, damit dir nichts passiert“, verlangte Ardric.
„Gut, einverstanden“, sagte Mimma und nickte heftig mit dem Kopf, während sie das kleine Vampirgebiss betrachtete.
„Witziger Schlüsselanhänger. Wo hast du den her? Aus einem Touristenshop für Vampirmitbringsel?“, scherzte sie.
„Ich wusste, dass er dir gefallen würde. Nein, ich habe ihn aus einem Kofferraum erstanden, von meinem Dealer des Vertrauens. Der handelt nur mit heißer Vampirware!“, spaßte Ardric ebenfalls

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: copyright 2011 T. J. Hudspeth
Bildmaterialien: http://www.flickr.com/people/francapicc/
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2011
ISBN: 978-3-86479-070-6

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