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So schnell konnte es also gehen. Die scheinbare Liebe fürs Leben gefunden und wenige Wochen später sitzt man förmlich auf der Straße. Sitz an einer halb verlassen Whiskybar an der Straßenecke der 5th Avenue und starrt seit Stunden in das ein und das selbe Glas oder lauscht dem Gottverdammten Regen der schon seit Ewigkeiten auf die halb zugezogene Markise vor der Eingangstür des Mallow Inn. plätschert. Das ist also die andere Seite des Lebens. Den "wohlhabenden" Anwalt Carter gibt es nicht mehr. Den Luxus den er vorher genoss verflogen und ausgeträumt.
Angetrunken saß er auf dem rot - schwarzem Barhocker, die Krawatte lasch und zerknittert bis zum Hosenbein des einhundertfünfzig Dollar Anzuges reichend betrachtete er sein zerzaustes Haar in einem der Schnapsgläser, die sich vor ihm anzuhäufen begannen.
So lange der Barkeeper sich nicht widerspenstig weigerte ihm den sechsten,siebten weis gott wievielten Whisky zu geben, gab es doch keinen Grund in das kalte und jetzt scheinbar völlig durchnässte Nachtleben New Yorks zu tauchen, richtig?
Diese Denkweise besiedelte John Carters Alltag immer häufiger.
Mit einem Rülpser, der die wenigen Leute im Mallow Inn. aufblicken ließ stellte er das ausgetrunkene Glas wieder auf den Tresen, und deutete mit einer schlaffen Handbewegung Nachschub an. Was gibst`n da zu gaffen, Pfeife? Sein Blick war jetzt auf einen älteren Herrn gerichtet dessen Gesichtsausdruck zu sagen schien: "Pass auf das du dich nicht an dem kitschigen Retrohocker festsetzt" oder ein makaberes Warten auf die Tatsache: "Gleich hat er sich um den letzten Rest Verstand gesoffen". Sichtlich unbeeindruckt von Carters Kommentar widmete der ältere Herr sich mit einem Kopfschütteln wieder seinen Machenschaften an einem der hinteren Tische zu.
Selbst überrascht und zugleich erschrocken über seine unfreundliche Bemerkung wandte der Anwalt sich wieder um , und begutachtete seine Endlosschleife von alkoholischen Getränken vor ihm. Vor kurzem war er noch der freundliche, hilfsbereite Anwalt aus Ohio, bevor er nach New York gezogen ist und seinen beruflichen Erfolg genoss. Saß in den höchsten Gerichten des Bundesstaates und verteidigte die schrägsten Typen. Nein wirklich, das Wohlergehen seiner Mandanten war bis vor kurzem noch in seinen Prioritäten einzuordnen.
... Und jetzt war er nicht mehr als eine Dunkle Gestalt, die verkümmert, mit fettigem Haar und einem gänzlich versifften Markenanzug auf einem halbdemolierten Barhocker einer eher nicht empfehlenswerten Whiskybar saß, und jeglichen sozialen Kontakt mied oder verabscheute. Was hatte Tommy damals zu ihm gesagt: Seit dem Wohlstand wäre er schon immer ein Arschloch gewesen, jetzt aber Eines mit ne`m Ausmaß hier nach New Hapshire. Carter konnte ein Lächeln nicht verkneifen. Das hatte Tommy damals mit einem Gesichtsausdruck gesagt, der weder Spaß noch Ernst verriet.
Noch immer ruhten Blicke von den wenigen Gästen, die die Kneipe weiterhin besiedelten auf ihm. Was in seiner Lage nicht wirklich verwunderbar war. John versuchte sich in eine Rolle zu versetzten, die außerhalb seines Körpers spielte um sich selbst zu betrachten. Ein einsamer Mann von Erfolg gekrönt und Verlust gezeichnet.
Dabei hatte alles ganz harmlos mit dem einen Mädchen angefangen. Sarah?Sandra? Ihm fiel es nun zunehmend schwerer in seinem bemitleidendem Zustand seine Gedanken zu ordnen. Er lernte sie hier in der selben Bar kennen. Das war vor ungefähr einer Woche, als er mit Arbeitskollegen an einem der runden Holztische saß weitab vom Tresen, und darauf bedacht war seinen Mitspielern bloß nicht seine Karten sehen zu lassen. Die wöchentlichen Pokerabende gehörten irgendwie schonfast zu seinem Alltag um einfach mal abzuschalten. Dieser Abend war wie jeder andere aber dann sah er Sie am Tresen sitzen. Einsam wie er es in seiner jetzigen Situation war.
>Carter sah auf seine Armbanduhr. Fünf geschlagene Stunden saß er nun hier schon, bald so war er sich sicher würde ihn der Barkeeper rausschmeißen oder sich weigern ihn weiter zu bedienen. Er seufzte und versuchte sich, diese Frau möglichst detailliert wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ihr langes brünettes Haar das ihr locker über die Schultern fiel, das schmale von Make - Up bedeckte Gesicht , gepaart von zwei tiefbrauen Augen , die auf unaufhaltsame Weise Geborgenheit und Wärme ausstrahlten.Vom Alter her hatte er sie auf fünfundzwanzig Jahre geschätzt, was sich nachher als Volltreffer entpuppte. Immerhin ein Altersunterschied von drei Jahren, darauf legte er jedoch nicht sonderlich viel Wert. Von der Größe her war sie nur etwas kleiner als er selber, vielleicht fünf bis zehn Zentimeter, nicht mehr. Mit ziemlicher Sicherheit um die ein Meter fünfundsiebzig. Sie war kein Gogo-Girl wie achtzig Prozent der anderen Mädchen hier in dem Schuppen, die für Geld über irgendwelche Männer herfielen. Sie war auf den ersten Blick eine ganz normale, hübsche Frau.
Tommy war der erste der Carters Blickwechsel damals mit Ihr bemerkte.
Geh schon, sie gehört dir Tiger, waren seine Worte. Daran konnte er sich nur zu gut erinnern.Mit einem müden Lächeln, als wolle er sagen: Du spinnst wohl, Tom, musterte er seinen Freund und Kollegen eindringlich, der mit einer aufgeweckten Handbewegung zum Tresen hin antwortete.
Was Liebesbeziehungen anging war er schüchtern, dennoch: Es lief gut und kaum fünf Minuten später saß er neben ihr und begann mit einem auf den ersten Blick ganz normalem Gespräch. Woher sie? ( Sie kam aus Ungarn) und Fragen wie zum Beispiel: Wie siehst in Ihrem Familienleben aus ? und in welchem Beruflichen Umfeld sind sie tätig oder Haben sie Kinder? Um nur einige zu nennen. Fragen die nicht wirklich in die ersten fünf Minuten eines Smalltalks passten dachte er. Wohlbemerkt letztere Frage hatte nicht er gestellt sonder Sie. Carter hatte einen Sohn, womit sich das erste Problem ergab.
Er war verliebt und das wurde von Sarah erwidert. Er begann sich häufiger mit ihr zu treffen, lud sie zum Essen ein und machte ihr Geschenke, kurz er war glücklich. Bis zu dem Abend, als er sie bei sich zum Abendessen zu Hause hatte. John lebte mit seinem sechszehnjährigem Sohn allein, dessen Verhältnis zu einander dennoch weniger Lobenswert war. Sinn der Angelegenheit war es Sarah und Marc mit einander bekannt zu machen, schließlich musste er es früher oder später erfahren. Er reagierte über, wie er es hätte ahnen müssen. Seitdem ist das wackelige Vater- Sohn Verhältnis gänzlich zusammengebrochen. "Kaum hast du dich von Mama getrennt treibst dus mit Ihrgendeiner aus ner Disco." Diese und weitere Worte des von Wut und Abscheu heimgesuchten Sechszehnjährigen fielen über den Tisch bevor Steward sich äußern konnte, um den verzweifelten Versuch starten zu können, der ihm erklären würde, das es sich bei der angeblichen "Disco" um A. Dick`s verdammte Whiskybar handele und niemals irgend ein sexueller Kontakt mit Sarah stattgefunden hatte. Dennoch der Abend war gelaufen und der Tagesablauf zwischen Marc und ihm setzte sich aus Schweigen und zarghaften Blicken zusammen. Anderseits konnte er es ihm nicht verübeln. Der Junge hatte seit der Trennung seiner damaligen Frau viel durchmachen müssen. "Dein Erfolg steigt dir zu Kopf. Vielleicht verbringst du mal etwas mehr Zeit mit seinem Sohn!" Worte die er mindestens zweimal täglich an den Kopf geworfen bekam.
>Carter wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die Tür der Bar mit einem Klirren aufsprang und eine hagere Gestalt eintrat, die er zu kennen glaubte. Tommy? Der Fremde schritt an einen der hinteren Tische, wo zuvor der ältere Herr saß und setzte sich dort, mit einem Aufstöhnen aus Erleichterung nieder, schlug die zerknickte Getränkekarte auf und nahm gewollt oder ungewollt keine Notiz von den Anderen wahr.Wohl doch nicht, flüsterte nun die zu einem Haufen Elend gesunkene Gestalt an der Bar vor sich hin und steckte sich eine Zigarette an. Der neblige Qualm stieg langsam zu der hölzernen Decke auf, wo er sich langsam auflöste und festsetzen zu schien.
Auf alle Fälle war der Abend gelaufen. Marc befand sich die meiste Zeit schmollend in seinem Zimmer, währen sein Vater verzweifelt versuchte sich bei Sarah für diese Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Ist schon okay, hatte sie geantwortet und ihn sanft am Hals geküsst.
So zogen sich die Tage durch regelmäßige Treffen in Stadtparks und Restaurants , möglichst ohne das Marc etwas davon erfuhrt hin. Zu den wöchentlichen Pokerabenden hier in A. Dick`s Bar erschien er nicht mehr. Er war gerade zu vernarrt in seine neue Liebe, und versuchte möglichst viel Zeit mir ihr zu verbringen. Verständlich für ein Frisch verliebtes Paar, oder etwa nicht? Weitere Anrufe seiner Freunde wimmelte er mit der Ausrede ab: "Ich bin zu Müde" oder "Sorry für den Abend verplant, vielleicht ein Andermal".
Schließlich zogen die beiden vorerst zusammen. Innerhalb vier Wochen, worauf er abfällig lachen musste.
Auf die weitere Frage " In welchem Beruflichen Umfeld er tätig wäre" ebenfalls aus dem Munde der Dame, verbarg sich das zweite Problem , welches ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Welches er sofort am ersten Abend hätte erkennen müssen. Urplötzlich kam ihm der Rat eines Freundes in den Sinn: "Liebe erkennt man nicht immer. Geld und Begierde spielen oft zu große Rollen in einer Beziehung" Tommy war es schließlich der ihm auf unaufhaltsame Weise riet die Hände von dieser Schlampe zu lassen. Dies war am zweiten Abend ohne Sarah. Bei einem ganz normalen Pokerabend. Schlampe hatte er gesagt! Der Moment an dem Carter sich nicht mehr hatte beherrschen können und dessen Wut schließlich zu einem absurden Konflikt zwischen den Anderen und Ihm umschlug. Seitdem war es mit der Freundschaft seiner Kollegen vorläufig vorüber.
>Der Anwalt, wenn man ihn jetzt noch so nennen konnte, hatte aufgehört zu Trinken und der Barkeeper begann die Gläser vor ihm wegzuräumen. Junge Junge, du solltest dich vielleicht mal paar Stunden aufs Ohr legen, Kumpel. John sah zu ihm hoch , musterte die Muskelöse Gestalt, dessen Vielzahl an Tätowierungen in dem spärlichem Licht wie die Augen einer wilden Bestie hervorzutreten schienen, ein paar Sekunden lang und ließ den Kopf dann wieder, ohne auch nur Anstalten zu machen, ihm eine Antwort zu geben fallen. Der strömende Regen der sich vorher durch die dünnen Plexiglasscheiben hatte begutachten lassen begann aufzuhören und lies schließlich nur ein klaffendes Loch aus schwarzer Dunkelheit zurück, welche in unregelmäßigen Abständen durch Autoscheinwerfer schwach beleuchtet wurde.
Sarah erfüllte ihm jeden Wunsch. Verdrehte ihm nahezu den Kopf. Soweit, bis er seinen Job als Anwalt für sie aufgab. Sie machten sich ernste Gedanken über ein Familienleben. Er zumindest. Immer noch von der absurden Tatsache heimgesucht, wie schnell das doch alles ging. Viel zu schnell. Man, Carter hier hätte man verdammt noch mal erkennen müssen das sie nur auf dein Geld aus ist, brach er mit leiser vorwurfsvoller Stimme herraus. Diese Worte, eigene Worte schmerzten in seinen Ohren. Aber so war es nun mal und daran ließ sich nichts mehr ändern. Bei dem vierhundert Dollar Ring der er ihr geschenkt hatte blieb es nicht. Shoppingtouren, Taschengeld für seine eigene Freundin, Carter kam sich bei diesem Gedanken zunehmend lächerlich vor. Sie erlaubte sich immer mehr Luxus: den der junge Geschäftsmann ihr gewährte.
Sie spielte mit ihm. Seine Freunde erkannten das, er war blind vor Liebe. Als das Schreiben der Banken am achtundzwanzigsten März einen Kontostand von wenigen hundert Dollar bekannt gab sah er Sarah das letzte Mal. Er erwachte in einem leeren Bett dessen Decken und Kissen sichtlich aufgewühlt da lagen und darunter einen zerknitterten Zettel mit den Worten: "War schön mit dir Süßer" verbargen. Wort für Wort ging er den kurzen Satz durch. Wie oft wusste er nicht mehr. Es mussten hunderte gewesen sein und die Zeit schien einfach rücksichtslos anzuhalten. Sie hatte ihn sitzen lassen. Sie hatte mit ihm gespielt und war nur auf sein beschissenes Geld aus, von dem er jetzt reichlich wenig hatte. Die Banken begannen die Tintenfarbe auf seinen Kontoauszügen von "Grün" auf "Rot" umzustellen. Ein Schwall von Wut, Hass, Enttäuschung und Schuldgefühlen machte sich über ihn her, und schien ihm die Kehle zu zuschnüren. Die weichen Kissen auf denen er lag, fühlten sich wie ein Meer aus Stacheldraht an. Selbstmordgedanken machten sich von Zeit zu Zeit in ihm breit.
Nun erwartete er Hilfe von Freunden, denen er früher nicht einmal zwei Dollar vierzig für einen Parkschein leihen wollte. Er musste sich ungewollt an den damaligen Konflikt mit seinen Freunden entsinnen. Wie sinnlos und unüberlegt er gehandelt hatte. Dazu die Tatsache das sie von Anfang an recht hatten. Es war einfach nur ein kurzes Spiel in dem Geld an erster stelle stand.
>Er begann in der Tasche seines zerknitterten Anzuges zu kramen und warf dem Barkeeper, der sich sichtlich ermüdet immer noch damit beschäftigte schmutzige Gläser zu waschen ein paar Münzen hin, während er beschäftigt war die letzten Wochen seines Lebens kurz und bündig in seinem Kopf nieder zu schreiben. - Blind vor Liebe - Partnerin nur auf Geld aus - Mit Freunden zerstritten - Job aufgegeben- Pleite - Halb auf der Straße lebend. John nickte. So ungefähr ließ sich das wiederspiegeln. Kurz und Bündig. Tatsachen. Wieder konnte er den Gedanken an Selbstmord nicht aufhalten. Sein John konnte ihn auf keine Weise mehr ausstehen, seine Freunde verloren, die Berufliche Laufbahn auf Null gesetzt, als hätte irgendjemand den Reset - Knopf. Ihrgendjemand der John Carter hieß.
Er knöpfte sich nun sichtlich angestrengt nicht von den , wie hatte der Alte Mann sie genannt? kitschigen Retro Hocker zu fallen den Anzug zu und versuchte zwanghaft seine Krawatte wieder zu richten, als ihm ein fester Handgriff an der Schulter packte.
Der Betrunkene warf sich herum und sah zu wie die fremde Gestalt die vor etwa eins zwei Stunden - er hatte jegliches Zeitgefühl verloren, zur Tür hereinkam, sich die Kapuze vom Kopf streifte und ihn freundlich anlächelte. Tommy?
Das Lächeln in Tommys Gesicht wurde größer und ungewohnt freundlich.
Hey John, komm mit mir, wir haben etwas für dich. Und bevor er aufstehen konnte, sah er seinen Sohn an der Tür stehen der ihm freundlich zuwinkte. Er wusste sofort was sie für ihn hatten: Eine zweite Chance.


T.B.


Copyright by Tim Bellinger

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Tag der Veröffentlichung: 29.07.2009

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