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Vorwort

 Vorwort

 

 

Die Inspiration zu diesem Märchenband

fand ich in den Werken von Malba Tahan.

Ich unterlag der Weisheit

und dem Zauber seiner Worte.

Auch ein kleiner Teil

der lyrischen Schriften

von Rabindranath Tagore

findet sich in meinen Märchen wieder.

 

Wer das Licht empfängt,

der braucht die Dunkelheit nicht zu fürchten,

Licht und Schatten sind Diener der Natur

und öffnen dir die Tür zur Inspiration.

 

 

Petra Ewering

 

 

 

 

 

 

 

Ex oriente lux

 

Aus dem Osten stammt das Licht

 

orientalische Inspirationen

 

 

 

 

 

 

Side

Side

 

Side, eine Tochter des mächtigen Poseidons vergnügte sich all zu oft, gegen den Willen ihres Vaters, in den warmen Gewässern des Mittelmeeres. Am liebsten tummelte sich Side im mediterranen Raum, wobei ihr bevorzugter Küstenstreifen eine Landschaft an der mittleren Südküste der Türkei war. Die Bucht mit dem kleinen Hafen war ihr Augenmerk (nach heutigen Angaben – die türkische Riviera, zwischen Antalya und Alanya).

Junge Sirenen folgten nicht immer dem Worte Poseidons, so auch Side.

Im offenen Meer war sie sicher, vor den Augen der Menschen und deren Harpunen geschützt, dessen Spitzen qualvolle und tödliche Verletzungen erzeugen konnten. Immer wieder ereignete es sich, dass Nixen auf Menschen trafen, jedoch verliefen diese Begegnungen nie ohne Verlust, Sorgen und Kummer. Meistens auf der Seite der Meerjungfrauen und für Poseidon, wenn er nicht erbost über den Fehltritt, traurig und hilflos war. Trotz seiner Größe und Macht musste er zusehen, wie erbarmungslos so manches Schicksal sein konnte. Immer wieder ermahnte er seine Kinder sich rechtzeitig in Sicherheit zu begeben, doch junge, neugierige Nixen hören nicht auf das Wort, das ein Vater spricht. Auch wenn der Zorn des übermächtigen Vaters sie noch so hart treffen sollte, Side kam nicht umhin, sich immer öfter in unbekannte und gefährliche Gewässer zu begeben. Sie scheute nicht vor den Menschen, interessiert suchte Side die Nähe dieser seltsamen Wesen, deren Fischschwänze geteilt waren, um sich auf dem Land aufrecht damit fortzubewegen.

Ihre Schwimmbewegungen hingegen waren lustig anzuschauen, und unter der Wasseroberfläche war es ihnen nicht möglich zu atmen. So waren nur die Waffen gefährlich, die die Männer bei sich trugen, wenn wieder einmal eines ihrer Schiffe den Hafen verließ. Wenn sie aber auf hoher See in Not gerieten, in die Fluten des Meeres stürzten, nutzen ihnen auch ihre Waffen nichts mehr, denn was das Meer einmal gefangen hatte, gab es nicht wieder frei.

Schon lange beobachtete Side einen jungen, starken Seemann, dessen dunkle Augen im Sonnenlicht wie Sterne funkelten. Sein schwarzes Haar, seine Statur gefielen ihr und ihr kleines Herz hüpfte aufgeregt in ihrer Brust, wenn sie wieder einmal den Gehorsam verweigerte und auf die Küste zuschwamm, um den Auserwählten aus der Nähe zu betrachten.

Aus sicherer Entfernung schaute Side dem Treiben im Hafen zu und so wie es sich verhielt, sollte in wenigen Minuten das Schiff, auf dem ihr stolzer Seemann die Segel setzte, den Hafen verlassen.

Die See war unruhig, der Himmel ließ wenig Sonnenlicht durch die grauen Wolken fließen und es wehte ein heftiger Wind. Der Tag schien stürmisch zu werden, dennoch lief das Schiff aus dem Hafen. Side ahnte Böses und sie tat, was ihr Herz ihr befahl. Sie folgte dem Schiff, um ihren Seemann in der Not beschützen zu können.

Das Wetter änderte sich rasch, so wie Side es vermutete, immerhin kannte sie die See besser als jeder Mensch. Ein stürmischer Wind ließ hohe Wellen aufkommen, wild schaukelte das Schiff hin und her, und schon bald verlor ihr Seemann die Kontrolle über das Ruder.

Side wäre unter der Wasseroberfläche wesentlich besser vorangekommen, doch sie wollte das Schiff nicht aus den Augen verlieren. So schwamm sie mit viel Mühe, jedoch mit einer großen Distanz dem Segler hinterher, um in seiner Reichweite zu bleiben. Der junge Seemann vermochte den Sturm und das aufgewühlte Wasser nicht zu bezwingen. Er kenterte kläglich und sein Schiff versank mit der nächsten Welle in der tosenden See.

Entsetzt schaute Side diesem Unglück zu und sie fasste den Entschluss, den Mann ihres Herzens zu retten. Flugs verschwand sie in den Wellen, tauchte hinab, um den Auserwählten vor dem sicheren Tod zu bewahren. Die Zeit drängte, lange konnte der Seemann den Atem nicht anhalten. Beherzt griff Side in das schwarze Haar, stieg angestrengt mit ihm bis an die Meeresoberfläche auf, erst dann löste sie ihren Griff, um sich zu vergewissern, dass er noch lebte.

Nach Luft schnappend und hustend reckte er seinen Kopf aus dem Wasser. Wippend in den Wogen suchte er nach seinem Retter, doch nirgends befand sich ein lebender Mensch in der Nähe. Seine Augen fanden den Blick der kleinen mutigen Meerjungfrau. Side lächelte ihn schüchtern an, dabei bewegte sie sich grazil in den Wellen, als ob der Sturm ihr nichts anhaben konnte. Irritiert drehte sich der junge Seemann um sich selbst, doch schließlich begriff er, wer sein Lebensretter war. Ohne Halt sollten seine Kräfte bald versiegen und die See wäre sein Grab gewesen, wenn Side ihn letztendlich nicht auch noch zurück in den Hafen begleitet hätte. Sichtlich erleichtert und froh wieder an Land zu sein, bedankte er sich bei der kleinen Nixe und versprach ihr, sich mit jedem Sonnenaufgang am Strand einzufinden, um auf sie zu warten.

Glücklich über dieses Versprechen tauchte Side hinab in die Tiefe des Meeres. Am nächsten Morgen war ihr Seemann wie vereinbart, bei Sonnenaufgang am Strand, um sich mit ihr zu treffen. Viele Sonnenaufgänge folgten und die Liebe die Side für diesen Mann empfand, stimmte sie traurig, denn es war eine unerfüllte Liebe. Auch der Seemann liebte Side, und weil er so sehr litt unter dem unerfüllten Glück, fasste er den Entschluss, Side nicht mehr treffen zu wollen.

Unterdessen bat Side ihren Vater um Hilfe, denn sie wollte ein Mensch werden, damit sie für immer bei ihrem geliebten Seemann verweilen konnte. Poseidon ahnte bereits, dass dieser Tag eintreten würde und so erzürnte er nicht. Er bemühte sich redlich, Side von ihrem Vorhaben abzubringen, denn wenn sie sich für das Leben an Land entschied, gab es keine Rückkehr. Auch würde aus ihr keine kostbare Perle werden, wenn sie als Mensch verstirbt, so wie es den Meerjungfrauen vorbestimmt war. Aber Side blieb standhaft und ihr Wunsch war unumgänglich.

Mit Wehmut führte Poseidon seine Tochter an eine unterirdische Süßwasserquelle, dessen Wasser sich nicht mit dem salzigen Wasser des Meeres vermischte. Davon sollte Side trinken und sich anschließend schnell zum Strand begeben.

Dankbar trank sie von dem Wasser und folgte ihrem Herzen. Am Strand angelangt, spürte Side sofort die Verwandlung ihres Fischschwanzes. Aus der kräftigen Flosse wurden zwei Beine auf denen sie wackelig, aber stolz, die ersten Gehversuche auf dem Sand verübte. Sobald die Sonne aufging, blickte sie aufgeregt in die Ferne, um nach ihrem Geliebten Ausschau zu halten. Lange wartete Side auf den Seemann, jedoch erschien er nicht. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang war sie schon recht schwach, aber die Hoffnung bestärkte sie und voller Freude blickte Side wieder in die Ferne. Auch an diesem Morgen erschien der Seemann nicht. Traurig füllten sich ihre Augen mit Tränen, die im Sand versickerten. Lange weinte Side still vor sich hin, dann bemerkte sie, dass aus den Tränen weiße Tropfen wurden, dabei ward ihr Körper immer schwächer, bis Side schließlich nur noch Blut weinte und verstarb.

Poseidon sah seine Tochter sterben und hatte großes Mitleid mit ihr, doch konnte er sie nicht zurückholen, ihr Entschluss war besiegelt. Aber der Gott des Meeres wollte nicht, dass Side in Vergessenheit geriet und somit ließ er sie auferstehen. Ihre Füße verwurzelten sich in der Erde, aus ihrem zarten Körper formte sich ein Baum, die Arme wurde Äste, die langen schwarzen Haare die Blätter, die unter dem Licht der Sonne glänzten, und aus den Tränen ließ er Früchte entspringen. Die weißen Tränen wurden zu einer Frucht mit weißem Fleisch und aus den roten Tränen, die mit Blut getränkt waren, wuchsen Früchte mit rotem Fleisch. Jede Frucht sollte vorher eine wundervolle Blüte sein, die die Schönheit seiner Tochter widerspiegelt.

Side verbreitete sich rasch in dieser Region und jeder Baum trug zahlreiche, kostbare Früchte, die bis heute gedeihen.

 

(Side – der Ursprung dieses Wortes stammt aus dem Griechischen und bedeutet Granatapfel)

 

Eine kurze Erzählung aus der anatolischen Mythologie:

 

Eines Tages spazierte die Tochter des Touros, die Natur- und Fruchtbarkeitsgöttin Side, mit ihrer kleinen Tochter am Fluss Manavgat entlang, um mit den Nymphen Blumen zu pflücken, um einen Kranz daraus zu binden. Plötzlich entdeckte Side einen Baum mit bunten Blüten, dünnen Ästen und glänzenden Blättern. Sie brach einen dünnen Ast, um ihn ihrer Tochter zu überreichen. In diesem Moment, in dem sie den Ast brach, tropfte Blut aus der Bruchstelle. Sie bemerkte, dass dieser Baum lebendig war. Die Nymphe war so traurig und so ängstlich, dass sie versuchte, sich zu entfernen, aber es gelang ihr nicht, denn ihre Füße wurzelten bis tief in den Boden hinein. Einst verwandelte sie sich aus Furcht vor den Menschen, von den Füßen bis zum Haupt in einen Baum.

Die anderen Nymphen, welche diese Verwandlung beobachteten, fielen in tiefe Trauer und nässten die frischen Wurzeln mit ihren Tränen.

Side, die ihren großen Fehler bereute, schmückte seit dem diesen Baum mit Früchten, die das Symbol der Liebe, der Schönheit und der Natur sein sollten. Das rote Fruchtfleisch galt als Symbol für das vergossene Blut der Nymphe.

Niemals sollte einem Baum oder einer Blume Schaden zugefügt werden, denn es könnte eine verwandelte Nymphe sein.

 

Askim

 Aşkım

 

(gelesen – Aschkim, bedeutet Schätzchen, Liebling - aus dem türkischen Sprachgebrauch)

 

Sharif, so weise, so klug und stets so traurig, von ihm will ich erzählen.

 

Damals, als die mächtigen Herrscher des Orients, Jünglinge aus Nah und Fern zu prächtigen Festen einluden, um Schwiegersöhne für ihre heiratsfähigen Töchter zu finden, ereignete sich im Palast von Adem dem Sultan ein schreckliches Attentat, welches Sharif niemals vergessen sollte.

In stillen Minuten öffnete sich sein Herz und sein Mund formte Worte, die nur ein Liebender verstand:

„Askim, mein Askim, höre ich sie flüstern, ihre liebliche Stimme ist so lebendig, als stünde sie vor mir. Mein Herz ist so schwer, so voll von Trauer, noch immer, nach all der Zeit, doch Leyla zu vergessen ist mir nicht möglich. Das was mir geblieben ist, sollte mich von all meinem Leid erlösen, aber fehlte es mir an Mut und an Kraft dieses zu tun. Oh Askim, mein Askim.“

 

Wenn du den endgültigen Frieden erhoffst, dann lächle dem Schicksal zu, das dich schlägt.

 

Seit Kindertagen kannten sie sich, Leyla, die jüngste Tochter des Sultans und Sharif, der Sohn des Wesirs. Sie spielten fröhlich und ausgelassen jeden Tag im Garten des Palastes, sie wuchsen nebeneinander auf, kannten keine Sorgen, kein Leid und auch die Liebe war ihnen noch fremd. In den Stunden, in denen Sharif von seinem Vater dem Wesir unterrichtet wurde, erwies er sich als sehr begabt und geschickt, und die Mathematik war sein liebstes und wichtigstes Fach. Leyla erlernte andere Dinge, die, die einer Frau würdig waren. Sie teilte die Unterrichtstunden mit ihrer älteren Schwester Dilara, die eher gelangweilt als interessiert den Worten des Lehrers folgte.

Eines Tages verkündete der Sultan, dass das Spiel nun ein Ende haben sollte, denn Leyla sei bald heiratsfähig und müsste sich den Gegebenheiten und der Erziehung einer zukünftigen Braut unterziehen.

Von nun an begegneten sich Sharif und Leyla nur noch selten. Sein Herz ward ihm schwer, sein Kopf fand keinen klaren Gedanken und so wie er, litt auch die junge Prinzessin. Nie gekannte Gefühle, stetige Begleiter, die Tag und Nacht in Ewigkeit verwandelten. Manchmal war es Leyla möglich, bei Dunkelheit ihre Gemächer heimlich zu verlassen, und so trafen sie sich wie Diebe in der Nacht.

Um für einen kurzen Moment in ihrer Gegenwart zu sein, nahm Sharif jegliches Risiko auf sich, im Kerker des Palastes zu landen, anstatt ein ehrwürdiger Nachfolger seines Vaters zu werden.

Ihre großen, dunklen Augen lachten ihn an, wenn Leyla hinter dem Rosenbusch hervortrat und das Mondlicht ihre kindliche Gestalt umspielte. Sie war zu einer der wunderschönsten Rosen erblüht, die der Palast hütete. Ihre Schwester Dilara, die ebenfalls zu einer hübschen Frau herangewachsen war, besaß nur wenig von dem Charme und dem Charisma, das Leyla umgab, folgte aber gehorsam den Sitten des Palastes. Sie hatte er gern, doch Leyla liebte er, mehr als er durfte, mehr als Sharif verstand und Leyla liebte ihn. Sie beklagte sich nie über die unerfüllte Liebe, die nur Leid statt Freude gedeihen ließ. Leyla genoss jeden kostbaren Augenblick des heimlichen Treffens und ihr lieblicher, roter Mund hauchte jedes Mal: „Askim mein Askim“, wenn ihr Haupt an seiner Schulter ruhte. Den Duft ihres schwarzen Haares sog Sharif tief in sich ein, damit er ihm stets in Erinnerung blieb, denn bis zum nächsten Wiedersehen konnten Tage, ja sogar Wochen vergehen.

Hin und wieder wurden ihm kleine Botschaften übermittelt, in Form von winzigen Briefchen, die ihm eine ihrer Dienerinnen überreichte. Die Worte, in Rosenduft gebettet, las er mit Wehmut, die Leyla niederschrieb: „Askim mein Askim, bald sehen wir uns, wenn nicht im Rosengarten, in dem du treu jede Nacht verweilst, wartend auf mich, dann in unseren Träumen. Öffne dein Herz, deine Seele, deinen Geist, ich besuche dich in deinen Träumen. In Liebe, Leyla.“

Nun ereignete es sich, dass der Sultan das Fest für die Brautwerber arrangieren ließ. Sein Vater, der Wesir war mehr als je zuvor damit beschäftigt, dem Sultan zur Seite zu stehen und das Personal des Palastes mit den Vorbereitungen. So konnten Leyla und Sharif sich noch ein letztes Mal im Rosengarten begegnen, bevor sie den tapfersten und reichsten Prinzen des Landes vorgestellt wurde. Dilara hingegen fieberte diesem Ereignis entgegen und ihre Aufmerksamkeit galt ganz ihrem Aussehen. Eine Woche sollte dieses Fest dauern. Es waren viele Gäste geladen, auch der Wesir und Sharif gehörten zu dieser ehrenwerten Gesellschaft. Jedoch als Beisitzer des Sultans, um die Prinzen anzukündigen, zu würdigen, zu preisen. Auch um die Geschenke für den Sultan und für seine Frauen entgegen zu nehmen, Buch darüber zu führen, und für einen reibungslosen Ablauf des Festes zu sorgen.

Leyla und Sharif trafen sich im Rosengarten, ein letztes Mal, bevor sie als Braut eines Fremden den Palast verlassen würde.

Sein Herz schmerzte, seine Atmung war flach, der Magen krampfte und seine Stimme war nur noch ein leises Krächzen. Doch Leyla lächelte, so wie immer, wenn sie sich in ihrem Versteck aneinander schmiegten. Sanft und freundlich klang ihre Stimme, wie Musik hallten ihre Worte in seinen Ohren. „Askim mein Askim“, sagte sie so liebevoll, dass seine Augen sich mit Tränen füllten. „Finde einen Weg, bitte mein Askim, ich möchte deine Frau werden“, bettelte Leyla seufzend, „nie wird meine Liebe einem anderen Mann gehören.“

„Oh Allah“, betete Sharif, „hilf mir, gib mir Kraft und den Geist, einen Weg zu finden.“

Zärtlich umarmte er Leyla, küsste sie auf die Stirn und entgegnete jetzt mit ruhiger, klarer Stimme: „Es wird mir gelingen, ich gebe dir mein Wort und eine Anweisung, die du befolgen musst, wenn dein Vater meinen Antrag nicht ablehnt.“

Freudig lachend küsste sie ihn und versicherte ihm: „Jede Weisung befolge ich, Askim mein Askim, um bei dir sein zu können.“ Mit diesen Worten trennten sich ihre Wege. In dieser Nacht fand Sharif keinen Schlaf. In seinem Kopf hämmerte es unaufhörlich, er sann über viele Möglichkeiten und Lösungen, wie er Leyla zur Frau gewinnen könnte, bis ihm schließlich der perfekte Plan, so glaubte er, in den Sinn gekommen war.

Der Morgen graute bereits, als er seine Idee auf ein Stück Papier schrieb, dass ihm zufällig in die Hände fiel. Leylas Dienerin war vertrauenswürdig, ihr überreichte Sharif sein kleines Geheimnis, schön verpackt in einer kleinen Schatulle, als Geschenk für seine Auserwählte, in der Hoffnung, Leyla möge es lesen und verstehen. Die Vorbereitungen für das große Fest verliefen ohne Komplikationen, alles wurde gut durchdacht, geplant und der Sultan schien sehr zufrieden zu sein.

Doch Sharif war nervös, fühlte sich schlecht und seine Konzentration ließ nach. Dieses blieb nicht unbemerkt. Sein Vater, der Wesir, tadelte ihn an diesem Tage mehrmals, seine Mutter war besorgt um seine Gesundheit, denn schon am morgen gab er ihr Anlass zur Sorge, da er appetitlos und übernächtigt das Nebengebäude des Palastes, indem die Familie lebte, verließ. Auch der Sultan deutete an, dass sein Verhalten äußert merkwürdig war. „Du bist wie ein Sohn für mich, Sharif, so sprich, was bedrückt dich?“

Mit Respekt und in Demut verbeugte er sich vor dem mächtigsten Mann und bat um Verständnis. „Verständnis wofür?“ fragte der Sultan verwundert. „Für die Unverschämtheit, die ich besitze, denn ich möchte um die Hand eurer Tochter Leyla anhalten“, dabei verneigte sich Sharif so tief, dass er die Röte seines Gesichtes verbergen konnte. Sein Herz klopfte heftig, dass er befürchtete, es würde ihm aus der Brust springen.

Eine gespenstische Stille erfüllte den Raum, die eiskalt und Furcht erregend war. Dann ertönte ein schallendes Gelächter. Der Sultan verstand seinen Antrag als Witz und freute sich über seinen Humor. Als Sharif ihm jedoch in die Augen blickte, verstummte sein Lachen.

„Es ist dir ernst“, sagte er barsch. Sharif nickte bejahend, räusperte sich und antwortete: „Ja, Herr, sehr ernst sogar.“ „Und was ist deine Mitgift, als Erlös für Leyla?“ fragte der Sultan ironisch. „Meine Intelligenz, mein Wissen, meinen Mut, meine Liebe zu ihr und meine Treue zu euch, ehrwürdiger Herr“, entgegnete Sharif selbstsicher und energisch. „Das ist sicherlich eine Menge an Tugenden, doch davon wird niemand satt“, setzte der Sultan hinzu. „Nicht von den Tugenden, aber von dem Lohn, die diese einbringen“, verteidigte er sich. „Wenn mein Herr erlaubt“, bat Sharif, „so möge er meine Intelligenz prüfen.“

Da der Sultan ein Freund von Glücksspielen war, traf Sharif den schwachen Punkt des Herrschers. Er forderte ihn auf, ihm sein Angebot zu unterbreiten.

Amüsiert fügte Sharif hinzu: „Und um dem Ganzen einen festlichen Rahmen zu geben, soll meine Wette vor den Augen sämtlicher Gäste stattfinden.“ „Wie du willst“, raunte sein Gegner, „es ist schließlich ein hoher Einsatz gefordert und deinen Einsatz bestimme ich.“ „So sei es“, fügte Sharif ehrwürdig hinzu. „Leyla als Gewinn für den Sieg, oder der Bann als Strafe für die Schmach und die Niederlage“, sagte der Sultan bestimmend.“

Gegen diesen Vorschlag hatte Sharif keinen Einwand, denn er glaubte nicht daran, dass er als Verlierer hervorgehen würde.

„Nun, erkläre mir, wie du dir den Ablauf dieser Wette vorstellst“, befahl der Sultan neugierig und nahm Platz auf seinen Thron.

Sharif lächelte freundlich und erklärte: „Mögen Leyla, ihre Schwester Dilara und eine Tänzerin des Harems, mit gleicher Statur und Kleidung, vor unseren Augen verschleiert werden. Dann werden sie hinter einem Vorhang verschwinden, die Plätze tauschen, um anschließend tanzend vor unserem Sultan anzutreten. Verhallt die Musik, bleiben die Frauen auf der Stelle stehen und ich wähle eine von ihnen, die Leyla sein wird. Habe ich die rechte Frau auserwählt, so habe ich gewonnen.“

Amüsiert brummte der wohlbeleibte Mann: „Also gut, mein Junge“, dabei klopfte er sich auf den Bauch, „ich stimme der Wette zu, da ich keinen anderen Beitrag leisten muss, als Ja oder Nein zu sagen.“

Mit einer innerlichen Freude zog Sharif sich zurück, um seinen Vater wieder behilflich zu sein. Leylas Dienerin kreuzte mehrmals seinen Weg, ihr Blick verriet ihm, dass sie Nachrichten für ihn hatte. Vorsichtig näherten sich die beiden, taten beschäftigt und tauschten Informationen aus. Er hoffte so sehr, dass es Leyla möglich sein würde, den Plan zu verwirklichen, den er ausgeheckt hatte.

Als der Gong ertönte, setzte sein Herz einen Schlag lang aus. Nun war es an der Zeit, die Pforten für die Gäste zu öffnen. Die jungen Prinzen des Umlandes betraten einer nach dem anderen den großen Saal. Die lange hufeisenförmige Tischreihe war prächtig geschmückt und mit sämtlichen Köstlichkeiten des Landes reich gedeckt.

„Ein feudales Mahl für die Verlierer“, dachte Sharif, als er die vielen Bewerber eintraten sah.

Der Sultan befahl ihm, an seiner linken Seite den Platz einzunehmen, zur Rechten saß sein Vater, der Wesir. Ein zweites Mal ertönte der Gong.

Diener brachten Wein und Wasser, emsige Beine und fleißige Hände waren bemüht jedem Gast gerecht zu werden. Musik ertönte und Tänzerinnen eröffneten das Fest. Angeregte Gespräche, lautes Gelächter und klingende Gläser übertönten die Laute der Musikanten. Schlangenbeschwörer gaben ihr Bestes und Zauberer wurden begeistert bewundert. Sharif verspürte keinen Appetit, auch konnte er den Gesprächen kaum Folge leisten, zu angespannt war seine Situation, und die Angst zu versagen, legte sich auf sein Herz. Eine innere Unruhe erhitzte seinen Körper, Schweiß rann von seiner Stirn und zittrige Hände suchten Schutz in seinem Gewand.

Ein derber Paukenschlag kündigte die Rede des Sultans an. Leylas Vater erhob sich, lobte Allah in den höchsten Tönen und hielt seine Ansprache,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Petra Ewering
Bildmaterialien: August Macke - Cover Petra Ewering
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2015
ISBN: 978-3-7396-0050-5

Alle Rechte vorbehalten

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