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La Famiglia



Im Namen der Familie! Oh ja, ich weiß was dieses bedeutete, ich habe es leibhaftig erfahren dürfen und ich habe überlebt. Meine Erinnerung an das Geschehene lässt die Wut erneut keimen, die ich seit jeher versuchte zu unterdrücken.
Diesen einen Abend, so oft verwünschte ich ihn.
Es gab so viele Lokalitäten in dieser Stadt, aber ausgerechnet in diesem Ristorante musste ich einkehren, um mit ein paar Freundinnen unser sauer verdientes Geld zu verprassen. Der italienische Flair gehörte schon seit langem zum guten Ton, aber eine nette kleine Kneipe hätte es auch getan.
Wieso musste ausgerechnet er mir über den Weg laufen? Warum musste es ausgerechnet dieser Mann sein, in den ich mich verliebte?
Michele, grazil und gut gebaut, mit Charme und mit einem, ach so typisch italienischen Dialekt, beäugte mich damals den ganzen Abend und als ich endlich seinen Blick erwiderte, grinste er breit und sympathisch, so dass ich einer Begegnung mit Wohlwollen zustimmte.
Von diesem Augenblick an gehörte ich ihm, ohne nach meinem Einverständnis zu fragen. Anfangs war es ein süßes Spiel, an dem ich gerne teilnahm, aber als es ernst wurde, saß ich in einem Käfig, umzingelt von machtbesessenen Männern mit Revolvern, schwarzen Hüten, weißen Lackschuhen, aber mit fehlendem Herz, sowie fehlender Moral.
Der Grande war sein Vater, von ihm ging die Macht in der Familie aus.
Seine vielen Geschwister und die vielen Verwandten waren dem Grande hörig und folgten ihm auf Schritt und Tritt. Ohne etwas zu hinterfragen führten sie seine Befehle aus und genossen Lob und Ehre, die ihnen danach zu Teil wurde. Ich war bemüht, mich von alledem zu distanzieren, doch war ich seit der Begegnung mit Michele eine Gefangene, die bald geehelicht, nein, zwangsverheiratet wurde.
Vor meinen Eltern spielt ich das glücklich Mädchen, obwohl mein Vater es nicht gut hieß, dass ich mich ausgerechnet in diesen Kreisen bewegte. Nur wie sollte ich ihm das alles erklären? Auch meine Freundinnen hielten immer größeren Abstand zu mir und bald war ich einsam und alleine.
Mamma Lucia spürte meinen Kummer, sie war stets bemüht mich aufzuheitern und redete das Leben schön. Die große Familie traf sich regelmäßig jeden Samstag in einem Hinterzimmer des Ristorantes, um gemeinsam zu speisen und zu trinken. Nach dem Essen entfernten sich die Kinder und die Frauen hockten in geselliger Runde um Mamma Lucia.
Der Grande, Michele und seine Brüder schmiedeten Pläne, diskutierten eifrig und erhitzten sich oft in ihren Gesprächen, so dass das Oberhaupt kraftvoll und laut mit der Faust auf den Tisch schlug, um wieder Ruhe einkehren zu lassen. Jeder spielte seine Rolle perfekt. Ich durchschaute aber schnell, worum es hier wirklich ging. Diebstahl, Drogen, Waffen, Betrug, Frauen, Entführungen, Erpressung und Mord standen an der Tagesordnung, und gehörten zu den wichtigsten Dingen dieser Familie. Sie lebten gut davon, sehr gut sogar und ich mitten unter ihnen. Mafiamethoden vom Feinsten.
Eines Tages nahm ich meinen Mut zusammen, packte schleunigst ein paar Kleidungsstücke ein und verschwand heimlich von dem großen Anwesen, auf dem wir gemeinsam lebten. Niemand bemerkte mein Verschwinden, denn eingesperrt war ich nur, wenn ich nicht gehorchte. Solange ich tat, was mir befohlen war, konnte ich mich frei bewegen und auch ohne Aufsicht das Grundstück verlassen.
Es war spät am Abend, als ich meinen Wagen startete und eilig davon rauschte. Nur wohin sollte ich fahren? Sie würden mich finden und zurückbringen, dann wäre mein Leben eine noch größere Qual.
Ich lenkte meinen Wagen auf einen Abhang zu, doch kurz bevor ich abstürzen sollte, trat ich auf die Bremse. Selbstmord war eine gute Lösung, aber ich hing viel zu sehr an meinem Leben.
Wie in Trance stellte ich die Schaltung in den Leerlauf und verließ den Wagen. Mit all meiner Kraft gab ich dem kleinen Sportwagen einen Schubser und er setzte sich in Bewegung. Dann rollte er über den Abhang und stürzte in die Tiefe. Ich erschrak, als ich den Aufprall vernahm und die Explosion hörte. Langsam bewegte ich mich und schritt vorsichtig voran, um hinunter zu sehen. Da lag er, auf dem Kopf und brannte lichterloh. Jedoch ohne mich. Somit konnten sie auch keine Leiche finden. Meine Idee erschien mir nun irrsinnig.
Kurz darauf sah ich Lichter in der Ferne, ein Auto, dass sicherlich einer dieser Bodyguards steuerte, um mich zu suchen und nach Hause zu bringen.
Silvano hielt mit quietschenden Reifen, als er mich erblickte. Stieg aus, eilte auf mich zu und ohne ein Wort zu sagen, nahm er mich in die Arme, drückte mich an sich und ich spürte seinen heftigen Herzschlag.
Überrascht, aber ohne Gefühlsregungen schaute ich in sein Gesicht. Tränen rannen über seine Wangen und die Erleichterung, die sich breit machte, dass er mich lebend vorfand, war nicht zu übersehen.
Silvano, ein Cousin von Michele, sein Vertrauter und mein Bodyguard. Welche Gefühle er für mich hegte, ahnte ich bereits, aber dass er so tief getroffen war, das war mir neu. Dennoch nahm ich es gelassen hin und ließ mich von ihm zu seinem Auto führen. Mir war in diesem Moment alles egal, mein Leben endete wenn nicht hier, dann spätestens im Haus der Familie.
Zu meiner Verwunderung schlug Silvano eine andere Route ein. Er brachte mich nicht zurück, stattdessen befuhren wir kleine Nebenstraßen, die irgendwo enden sollten. Ich stellte keine Fragen, so konnte ich ihn nicht in Verlegenheit bringen und ohne Wahrheit lebte es sich leichter. Jedenfalls für den Moment. Schweigend saß ich neben ihn auf dem Beifahrersitz, starrte in die Dunkelheit, ab und zu blendete ein Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos auf, dass mich jedes Mal zusammenzucken ließ, aber nichts passierte.
Dann endlich bog Silvano in einer Seitenstraße ein, die wohl die Hauptstraße zu einer entfernt liegenden Stadt war. Ihre Lichter zeigten mir jedenfalls, dass es sich um eine größere Stadt handeln musste. Wie lange wir bereits unterwegs waren, konnte ich nicht mehr sagen, denn die Zeit schien still zu sehen. Als der Wagen hielt, waren wir im Nu von mehreren Männern umzingelt. Das Ende nahte, dachte ich und immer noch bewahrte ich Ruhe. Jemand hielt mir eine Polizeimarke vor mein Gesicht, fasste mich an meinen rechten Arm und zerrte mich in ein Haus und schließlich in ein kleines Büro.
Silvano schlich mit eingezogenem Kopf hinten drein, dann legte er mir seinen Arm um die Schultern, lachte freundlich und nickte mit einer Geste, die mir sofort zu verstehen gab, was hier gespielt wurde.
Er war ein Spitzel, ein Undercoveragent, der für die Polizei und gegen die Familie agierte.
Wie viele starke Schutzengel ihn wohl umringten? Erleichtert lächelte ich und meine Anspannung wich. Ich schien gerettet zu sein. Nach einer langen Befragung nahm man mich in Schutzhaft. Durch meine Aussage konnte die Polizei viele Mitglieder der Familie festnehmen, unter anderem den Grande und Michele, meinen Ehemann. Aber ich bereute es nicht.
Für meine Tat erhielt ich ein neues Aussehen, eine neue Identität, eine hohe Belohnung, von der ich wirklich gut leben konnte und einen Geliebten, der mit mir dieses Geheimnis teilte.
Dennoch habe ich dafür einen viel zu hohen Preis gezahlt, meine Eltern sah ich nie wieder.
Sie trauern um die bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche, die in dem Autowrack gefunden wurde.
Nur Gott alleine weiß, wie sie dort hingekommen ist.

Impressum

Texte: Coverbild by Fotosearch linzenfreie Bilder
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2011

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