Buddah
und die Langeweile
Buddha lebte ein ausgesprochen wohlgeordnetes Leben. Er lebte nach einem festgelegten Tagesablauf. Er stand jeden Morgens um die gleich Zeit auf, kam um die gleiche Zeit in den Tempel, aß um die gleiche Zeit zu Mittag und ging um die gleiche Zeit schlafen.
An einem schönen warmen Tag, irgendwann in den Sommermonaten, verließ Buddha nach getaner Arbeit, am Abend den Tempel.
Der Mönch in der Empfangshalle verbeugte sich demütig und bemerkte: „Pünktlich wie immer, Buddha.“
„Stimmt genau“, erwiderte Buddha. „Auf Wiedersehen.“
An der Rikschastation überflog er bereits den in großen und fetten Buchstaben gedruckten Artikel in seiner Zeitung, die er sich in der Früh kaufte und seine langweilige Lebensart wurde jäh gestört.
Yin und Yang – vom Tao gelenkte kosmische Kräfte
Nachdem er die üblichen drei Minuten an der Haltestelle wartete, stieg Buddha in eine Rikscha der Linie 60 – wie jeden Abend.
Beim Einsteigen sprach er ein paar Worte mit dem Rikschaläufer Konfuzius. „Schöner Abend heute.“
„Soll aber noch regnen“, gab Konfuzius gleichgültig von sich. „Dabei hatten wir doch in der letzten Zeit eine ganze Menge Regen“, antwortete Buddha. „Da hast du recht“, entgegnete Konfuzius höflich.
Bereits in der Zeitung vertieft, starrte Buddha gebannt auf die Schriftzeichen und ließ sich, ohne die obligatorischen Höflichkeitsfloskeln, die er sonst erübrigte, wenn erwürdige Mönche seinen Weg kreuzten, von Konfuzius nach Hause ziehen.
Er las von Yin und Yang, einer chinesischen Weltanschauung, den beiden einander bedingenden und ergänzenden Grundkräften.
Und dass bereits die alten Chinesen der Überzeugung waren, dass die Gegenteile vom Tao (der Weg) mit seinen kosmischen Kräften gelenkt wurden.
„Eine vernünftige ethische Weltordnung“, dachte Buddha.
Weiter las er: Zu Yin gehört immer ein Yang.
Oder: Gegensätze ziehen sich an.
Wie weiß und schwarz, groß und klein, Frau und Mann.
Er studierte seine Zeitung, bis er an seiner Haltestelle vor dem Kloster ankam in dem er lebte. Dort stieg er aus und ging den gewohnten Weg.
Während Buddha zum Kloster schlenderte, tanzten viele Gegensätze wie dick und dünn, alt und jung, warm und kalt, weich und hart, lustig und traurig in seinem Gehirn einen wilden Stocktanz.
Er betrat das Gemäuer mit tausend Gegensätzen im Kopf. Dann stutzte er. Irgend etwas Ungewöhnliches hatte Buddha vor seinem Heim gesehen. Er drehte sich um und blickte zur Straße. Eine schwarz-weiße Rikscha parkte direkt vor seinem Kloster. Kopfschüttelnd verschloss er die große schwere Türe, hängte seine Kutte an den Kleiderhaken am Eingang und schlich in die Speisekammer.
Wie gewöhnlich machte er sich selbst etwas zu essen.
Seine Gedanken jedoch kreisten um die seltsame Rikscha. Einen Blick riskierte Buddha durch das Fenster und erspähte dabei die Besitzer.
Ein großer, schwarzgekleideter Mann und eine kleine, in weißem Tuch gehüllte Frau bestiegen das Gefährt.
„Yin und Yang“, dachte Buddha, dabei trottete er gemächlich an den Tisch, der in einer Ecke in der Speisekammter stand und nahm Platz. Nach dem Essen machte er den Abwasch, räumte auf und ging in die Bibliothek, wo er sich stets den alten weisen Schriften widmete. Sein sonst so buntes Leseprogramm war an diesem Abend in schwarz-weiß gehalten. Buddha glaubte, dass seine Augen übermüdet seien, und entschied sich, sie einen Augenblick zu schließen. Schwarz-weiße Punkte hüpften auf und nieder, als seine Lider die Augen bedeckten.
Die Gottheit schien verwirrt und sprach zu sich: „Der Zeitungsartikel bringt mein inneres Gleichgewicht durcheinander, ich bin ganz konfus“, dabei ging er in sich und rieb seine geschlossenen Augen.
„Es ist wohl an der Zeit schlafen zu gehen“, ermahnte Buddha sich etwas später.
Regelmäßig um Mitternacht löschte er die Kerzen und die Räucherstäbchen und ging zu Bett.
In Gedanken versunken, grübelte er über diesen sonderbaren Zustand.
Yin und Yang hatten kein Erbarmen mit Buddha.
Sie begegneten ihm sogar in seinem Traum.
Ein riesiger schwarzer Abgrund tat sich auf. Schwankend versuchte er sich davon zu entfernen, konnte aber sein Gleichgewicht nicht halten und fiel.
Buddha stürzte hinab in ein nicht enden wollendes schwarzes Nichts. Immer tiefer und schneller wurde sein Fall.
Abrupt endete der Sturz. Buddha landete behutsam auf weißem Grund, stehend auf beiden Beinen.
Eine schlanke Frauengestalt in einem schwarzen Sari, schwebte von links kommend an ihm vorbei. Kurz darauf kreuzte von der rechten Seite kommend eine attraktive Frau in einem wunderschönen weißen Brautkleid seinen Weg.
Bevor Buddha registrierte was geschah, stolperte er und fiel erneut. Ein endloser Fall versetzte ihn in Angst und Schrecken.
Dann lichtete sich der Abgrund, es wurde unaufhaltsam heller und heller, schließlich umgab ihn ein dichter weißer Nebel.
Sein Fall wurde erneut abrupt gebremst und bevor er festen Halt unter seinen Füßen spüren konnte, wechselte die Umgebung unverzüglich seine Farbe und er landete auf schwarzem Boden.
Vom Grauen gepackt suchte Buddha nach einem Fluchtweg.
Plötzlich tat sich vor ihm eine farblose Wiese auf, auf der zahlreiche weiße und schwarze Schafe grasten. Ein Hirte mit einem langen weißen Bart, mit einer schwarzen Kopfbedeckung und mit einem schwarzen Gewand bekleidet, begrüßte Buddha höflich und klopfte ihm auf die Schulter.
Der hilflose Mann war verwirrt. Stotternd bat er um eine Erklärung.
Mit einer lauten und kräftigen Stimme ermahnte ihn der Hirte.
„Mein lieber Freund! Dein Leben ist schwarz-weiß befleckt. All die schönen Farben sind verschwunden. Ein trostloses Leben führst du. Ach, und wo um alles in der Welt bleibt der Gegensatz zu deiner Männlichkeit?“
Dann entschwanden diese Bilder genauso plötzlich, wie sie vor seinem inneren Auge auftauchten.
Schweiß nass und schwer atmend erwachte Buddha aus diesem Traum.
Entsetzt darüber fasste sich Buddha ein Herz und er beschloss seinen Job im Tempel zu kündigen. Zudem wollte er aus dem Kloster ausziehen, sein Leben bunter gestalten und nach einem weiblichen Gegensatz suchen. Vor allem wollte er aber seinem Dasein einen Sinn geben und seine penible, langweilige Lebensweise ändern.
Texte: Coverbild by Fotosearch (lizenzfreie Bilder)
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2011
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Widmung:
Dem kurzweiligen Leben