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Des Rabens Zeitreise



Während ich am späten Nachmittag am 17. Juni des Jahres 1896 in einer Kutsche saß, die holpernd über steinige Straßen fuhr, hoffte ich, noch vor einbrechender Nacht mein Ziel zu erreichen. Ungewöhnlich früh waren die Temperaturen an diesem Abend gesunken, ich fröstelte und die erbarmungslose Kälte drang tief in meinen Körper. Mein Umhang wärmte mich nur dürftig und die Müdigkeit, die mir zusätzlich zu schaffen machte, zerrte an meinen Knochen.
In der Dämmerung des Abends traf ich endlich dort ein, wohin mich eine Einladung führte.
In einem kleinen Waldschlösschen, weit abgelegen von Städte und Dörfer, lud der Schlossherr zu einem Wettbewerb unter Schriftstellern ein. Novellen, Romane, Gedichte, Prosa und Lyrik, um die Schönheiten unserer Sprache hervorzulocken.
Ich blickte mich um, als ich die gewaltige Eingangshalle betrat, es war noch niemand außer mir dort eingetroffen. Im Kamin brannte ein kleines Feuer, das leise knisternd das Holz verspeiste. Wegen dem gedämpften Licht, welches durch die wenigen Kerzen, die in ihrem Ständer auf dem riesigen Tisch in der Mitte der Halle steckten, aber auch wegen der schweren dunkelroten Brokatvorhänge, die die Fenster verdunkelten, wirkte das Gemäuer fremdartig und unheimlich auf mich. Ich ließ mich auf dem großen roten Sofa nieder, dass nicht weit entfernt von dem Tisch nähe des Kamins auf dem kalten Mamorboden stand.
Von dort aus konnte ich die Halle überschauen, mein Blick richtete sich auf die Eingangstür und ich wünschte, dass bald weitere geladene Gäste einzutreffen gedachten. Die Treppe, die links von mir einen Weg nach oben wies, erregte meine Aufmerksamkeit. Ich venahm ein leises Knacken welches mir sagte, dass jemand die hölzernen Stufen hinunterkam.
Die Anspannung in mir ließ mich erzittern und ich faltete meine kalten Hände, um diese unter Kontrolle zu bringen.
Dann stand er dort, am Ende der Treppe, mein Geliebter in seinem langen schwarzen Mantel, geheimnisvoll wie eh und je und seine Schritte verhallten lautlos auf dem versteinerten Boden, als er mit langsamen Bewegungen zu mir hintrat.
Raban Nabar verbeugte sich, nahm meine Hände in die seinen und küsste sie liebevoll.
Mein Herz schlug bis zum Hals, ich konnte weder sprechen noch irgend eine Regung zeigen, jedoch war meine Freude über sein Erscheinen unbändig groß.
Wenn es Raban nicht gegeben hätte, so hätte ich ihn erfunden. Er war sich dessen bewusst und blieb mir zeitlebens aufs Engste verbunden.
Seine markante Stimme durchbrach die Stille.
„Die Welt kann man nicht ändern, aber meine verrückte Welt ist wohlorganisiert. Ich reise seit vielen Jahrhunderten, ich habe viele berühmte Helden, Eroberer und Gelehrte getroffen, all denen verdanke ich mein Wissen und das Wissen um das Weltgeschehen.“
Es setzte sich zu mir auf das Sofa, nahm mich zärtlich in die Arme, so dass mein Kopf an seiner Schulter ruhte. Ich verschloss meine Augen, atmete seinen männlich herben Geruch und ließ mich durch seine Erzählung in die Vergangenheit entführen.
Einst von der Antike bis zum Mittelalter überdauerte er viele Kriege aber auch den Frieden unter den Völkern.
So lauschte ich seinen Worten.
„Den ewigen Kampf um Freiheit oder Tod erlebten die Menschen seit jeher. Viele Rivalen buhlten um die Macht, trotz der grausamen Alpträume der Kriege. Unmenschlich und elendig waren die Schlachten, endlos die Suche nach neuem Land, nach der Wiege der Demokratie, nach guten Sitten und nach dem Aufstieg zur Weltmacht. Zur Begrüßung gab es Mord und Totschlag, Aufstände, Völker am Abgrund, unerfüllte Sehnsüchte bis man schließlich bemerkte, das Geld die Welt regierte. Es floss viel Blut von Märtyrern, Mächte suchten Anerkennung im Zeichen des Kreuzes, beten und arbeiten für die Untertanen, ein Abschied vom Wohlleben durch Jähzorn und Schwert und durch die endlosen Kämpfe gegen das Morgenland. Zwischenzeitlich gab es Freiheiten für die Lehre, für die Heilkunst griechischer Ärzte, die arabischen Zahlen feierten ihren Siegeszug und die Erfindung der Notenschrift erleichterte so manchen Komponisten und Sänger das musizieren. Krieg und Frieden gab es zu allen Zeiten. Fremde Völker eroberten sich neue Reiche, die Macht dehnte ihr Herrschaftsgebiet auf Kosten anderer aus. Aber dennoch bedeutete das Ende eines Krieges den Neubeginn eines friedlichen Zeitalters. Und wie so oft entschied Sieg oder Niederlage über den weiteren Verlauf der Geschichte.“
Irgendwann übermannte mich jedoch die schwere der Müdigkeit, ich sank in seinen Schoß, ließ mich sanft streicheln und fiel in einen tiefen Schlaf.
Raban trug mich die Treppe hinauf, schlich über den Gang, öffnete eine der schweren Türen, hinter der sich ein altmodisch eingerichtetes Zimmer befand und legte meinen schlafenden Körper in die weichen weißen Kissen des antiken Bettes. Ich fühlte seine Lippen auf meinen Mund und seine Hand fuhr zärtlich über mein langes Haar. Sein Mund berührte meinen Hals, Küsse bis zum Ohr, und er flüsterte Worte, die mit meinem Geist und mit meinem Herzen verschmolzen.
„Die lebhafte Anwesenheit in meinen Erinnerungen könnte verborgener nicht sein. Sie tanzt vor meinem inneren Auge. Ich spüre das Vergnügen, welches ich mit dir teile, sehe dein lächelndes Gesicht. Jeder Blick, jede Berührung strahlt erotische Impulse aus. Jeder Kuss ist eine weiche, zarte Sensation, der das Feuer der Leidenschaft entfacht. Leises Geflüster, eine sanfte Stimme, inspirierende Worte und genommener Atem sind das Lied unserer Liebe. Ein pulsierendes Herz, gebunden am Rhythmus unserer Leidenschaft, gewölbte Körper die zusammenfinden, verbunden durch die unsichtbaren Ketten der Seelen.
Die Vertrautheit begrüßt uns jeden Moment auf ihrer einzigartigen, intensiven Weise. Ein gemeinsamer Weg wird nie ein verlorener sein. Wir teilen Sorge und Aufmerksamkeit, und tragen uns durch den sandigen Sturm des Kummers. Zwischen Licht und Schatten werden wir schreiten, doch an der Seite der Liebe, können wir gelassen die Schmerzen der Seele ertragen.
Sei willkommen in meinem Herzen.“
Dann strömte ein kalter Windhauch durch das Zimmer. Ich schwebte wie von Geisterhand und meine Seele hob mit dem Raben in die Lüfte.
So verschwand ich mit ihm durch das geöffnete Fenster in der Dunkelheit dieser kalten Nacht.

Impressum

Texte: Coverbild by Google, Urheber unbekannt.
Tag der Veröffentlichung: 25.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Den Träumen und der Phantasie

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