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Des Rabens Herkunft



Die Rose meines geliebten Freundes lag taufrisch auf meiner Kommode. Kein Anzeichen des Welkens ward zu sehen. Die kräftig rote Farbe strahlte und der Duft war noch immer bemerkenswert aromatisch.
Mit einem Lächeln auf den Lippen begutachtete ich sie mehrmals am Tage und ich vermutete, dass dies ihr Lebenselixier war, das ein Verblühen verhinderte. Diese Rose schien auch mein Lebenselixier zu sein, denn seit dem Moment, als Raban sie mir reichte, erblühte auch ich zu neuem Leben. Jedoch von welcher Art Leben, dieses vermochte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht zu erkennen.
Das einzigartige Licht, das der Mond zur Erde warf, fing ich mit meinen Blicken ein, als es sich am Abend etwas aufklärte und der Regen nicht mehr so eintönig herniederrauschte. Einschläfernd wirkte dieses auf mich und ich wehrte mich nicht dagegen.
Es war ein ganz kleiner Ort nur.
Vor mir reckten sich mit ihren breiten runden Kronen die mächtigen alten Ölbäume, auf denen die Raben nisteten und so hatten sie sich in großen Scharen in den dichten Wipfeln des Olivenhains eingerichtet, der noch vielen Vögeln außer ihnen ein Heim bot.
Neben den rauhen Rufen der Raben, war der melodische Pfiff des Pirols, der weiche volle Gesang der Drossel und das zärtliche Gurren der Wildtauben zu hören.
Unter Ihnen senkte sich der Hügel hinab zur Ebene, die schweigsam, wie ausgestorben dalag.
Mit ausgebreiteten Schwingen, zeichnete sich mein schwarzer Vogel mit wunderbaren Flugmanövern am klaren Abendhimmel aus.
Es war in der Tat ein schönes Tier.
Sein alles überragender Freiheitsdrang war mit jedem Flügelschlag unübersehbar, wie seit urdenklicher Zeit.
Selten waren Spuren menschlichen Seins so deutlich erkennbar, wie bei Raban, wenn er sich des Nachts im Licht des Mondes am Himmel den Sternen näherte. Sein langer schwarzer Mantel bedeckte den männlichen Körper, der abwechselnd Mensch, dann wieder Vogel war.
So lebhaft wehrte sich das Ringen um die Vorherrschaft des Seins.
Hier an diesem Ort begegnete ich einer jahrhundertalten, kaum veränderten Kultur, die sich aus berberischen, arabischen, jüdischen, maurischen und spanischen Traditionen zusammensetzte. Klänge von Abenteuer und Romantik, eine kleine geheimnisvolle Oasenstadt der Flüchtlinge, Schmuggler und Seeräuber. Sie zahlten nie Steuern, stellten keine Soldaten, duldeten keinen Herrscher, ihre Stammeseinteilung war ein Muster von Demokratie, Versammlungen über gleiches Wohl und Wehe, Selbstbestimmungsrecht, absolute Unabhängigkeit, Unerschrockenheit und Energie.
All dieses Schuf außerordentliche Tapferkeit und Kampfesfreude um das tägliche Brot, ihre Liebe zur Freiheit und die Widerstandskraft war einzigartig unter all den Völkern dieses Erdballs.
Die Raben sind die traurigen Nachkommen der einst so stolzen Bewohner, die über 2000 Jahre ihre Angreifer abweisen konnten.
Nichts bleibt dem Zufall überlassen, jede Geste hat seinen Zweck, ist eins mit dem Sinn und der Wichtigkeit uralter Riten und Gewohnheiten.
Erst bei Einbruch der Nacht, wenn sich alles in kostbare Farben hüllt, begreift man in welch alten Traditionen der Mensch hier gelebt hat.
Meine seltsamen Träume, in denen der Rabe die Hauptrolle spielt, entstammen aus dem langsam sterbenden Feuer übernatürlicher Mächte, deren Geister überall dort sind, wo Legenden leben und die Poesie tief in das Gedankengut einziehen kann.
Die Fackel dieser Kultur lodert andächtig in meiner Phantasie.

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Texte: Coerbild by Google
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2010

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Widmung:
Den Träumen und der Phantasie

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