Wie das Schweinchen seine Farbe erhielt
Damals als die Tiere noch farblos waren, man sie lediglich nur von der Größe und Statur unterscheiden konnte, blickte der Schöpfer mit freudloser Miene auf die Erde und auf seine Lebewesen, und dachte so bei sich, wie schön es doch wäre, wenn nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Tiere ein leuchtendes buntes Äußeres hätten.
Er veranlasste den Regenbogen sich in all seiner Pracht am Himmel zu zeigen. Leuchtend schöne Farben schmückten den Horizont und die Tiere schauten begeistert, manche auch neidisch, auf das bunte Spektakel am Himmel.
Der Herr lud zu einer Versammlung ein, um die Tiere darüber in Kenntnis zu setzen, und weil er seinen Plan so schnell wie möglich in die Tat umsetzen wollte. Sämtliches Getier eilte neugierig zu dem Ort, an dem die Versammlung stattfinden sollte.
Nur das kleine Schweinchen hatte keine Eile. Seine dicke Nase steckte in der Erde und es wühlte und schnüffelte eifrig nach Wurzeln und nach seiner Lieblingsspeise, dem Trüffel. Viele Tiere rannten an dem Schweinchen vorbei, ohne das es ihnen Beachtung schenkte.
Als nun der Herr den Tieren von seinem Vorhaben unterrichtete, waren alle guter Dinge und applaudierten heftig, denn sie freuten sich sehr auf die Farben, die sie bald erhalten sollten. Der darauf folgende Tag wurde bestimmt den Tieren ein neues Kleid zu geben, doch zuvor sollten alle sauber und ordentlich erscheinen. Damit die vielen Tiere es einfacher hatten, das Fell und die Pfoten zu reinigen, lies der Himmel es noch einmal kräftig regnen.
Das viele Wasser, das herab fiel, gefiel dem Schweinchen jedoch gar nicht. Es versteckte sich in einer Höhle und fühlte sich in seinem schmutzigen Kleid recht wohl. Bald darauf schlief es ein und träumte von all den Leckereien, die es im Wald noch zu finden gab.
Als die ersten Sonnenstrahlen am nächsten Morgen die Vögel weckten, zwitscherten sie ihr Lied so laut sie konnten, um alle Tiere in der Umgebung zu wecken, denn es war an der Zeit, sich auf den Weg zu machen.
Das Schweinchen hingegen reckte verschlafen seine runde Nase in die Höhe, lausche nur kurz dem Gesang der Vögel und befand, dass es noch viel zu früh sei um aufzustehen. Darum versteckte das Schweinchen sein rundes Riechorgan wieder unter die Achsel seines linken Vorderlaufes und schlief besonnen weiter.
Unterdessen waren all die anderen Tiere sehr versessen darauf, als Erster in der Reihe vor dem Hüter der Natur zu treten, um sich von ihm schmücken zu lassen. Viele von ihnen äußerten sogar Wünsche, in der Hoffnung, dass er ihnen diese erfüllen würde.
Von Nah und Fern kamen die Tiere angelaufen, um sich in die lange Reihe einzugliedern, damit sie nichts versäumten.
Die Elefanten stampften durch den Wald, dabei schaukelten die Rüssel hin und her, und das große starke Tier verschaffte sich dadurch viel Platz. Die Giraffen reckten ihre langen Hälse, so dass sie über all die anderen Tiere hinwegsehen konnten, und berichteten den kleineren Tieren was sie in der Ferne sehen konnten.
Äffchen sprangen von Baum zu Baum und klatschten freudig in die Hände, wenn sie ein fertig bemaltes Tier erblickten.
Sämtliche Vögel kreisten am Himmel, ein Konzert aus den schönsten Vogelstimmen erklang in den Wolken. Löwen und Tiger, die sonst so gefährlichen Tiere, waren brav und geduldig, wie die kleinen Katzen, die sich heute sogar mit den Hunden vertrugen.
Auch die Hasen und Kaninchen fürchteten weder den Fuchs noch den Wolf. Gänse, Enten, Hühner und alle Federtiere, die nicht so gerne in der Luft waren, watschelten ohne Furcht in die Richtung, wo der Hüter seine Tiere bemalte.
Für Nahrung sorgten die Kühe und Ziegen, deren Euter zwischendurch geleert werden musste, damit auch sie Schritt halten konnten.
Die Bären liefen manchmal aufrecht, manchmal auf allen Vieren, je nach Neugier und Müdigkeit.
Die Pinguine schwitzten mächtig bei den Strapazen, denn sie hielten sich viel lieber auf einer dicken Eisscholle, an den Polen der Erde auf.
Rehe, Hirsche, Gazellen, Antilopen, Elche, Nashörner, jedes gehörnte Tier verhielt sich rücksichtsvoll, damit es seinen Vordermann nicht verletzte.
Pferde galoppierten aus allen Richtungen herbei, um nichts zu versäumen, sogar das dicke Nilpferd, dass sonst so gerne im Schlamm suhlte, fügte sich in dieser Reihe ein.
Schlangen, Echsen, Schildkröten, Frösche, Schnecken und Würmer, schlängelten, krochen oder hüpften durch das Gras, dabei wichen sie den großen Tieren, mit den großen Füßen geschickt aus, um nicht wegen einer Verletzung zurückzubleiben.
Die Insekten, wie die Fliegen, Mücken, Bienen, Wespen und Libellen, summten ein gemeinsames Lied auf ihren Weg zur Lichtung.Heuschrecken und Grillen stimmten mit ein, nur der Schmetterling flatterte stumm umher, da er lieber schwieg.
In dem nahen Fluss wimmelte es von Fischen und unzähligen Wassertierchen, auch sie waren geladen,
um an dem Spektakel teilhaben zu können. Die großen Fische luden die kleinen auf ihren Rücken, damit sie nicht im Gewirr zerdrückt wurden. Alle gefräßigen Räuber verhielten sich ruhig und ihre Angriffslust blieb aus.
Es war wunderbar anzusehen, wie friedlich und hilfsbereit sich all die Tiere an diesem Tage verhielten.
Der Herr mischte die prachtvollen Farben des Regenbogens um den Tieren ein Kleid zu geben. Er malte Punkte, Streifen, Muster der verschiedenen Arten, ließ Farben ineinander verlaufen, wählte somit sorgsam für jedes Tier die geeignete Farbe und ließ es wunderschön erscheinen.
Ein großes Kostümfest war dieser Tag, nur das kleine verschlafene Schweinchen ließ sich nicht stören und schnarchte friedlich in seiner Behausung. Am Abend, als die Sonne den Himmel in ein leuchtendes Rot verwandelte und der Tag sich der Nacht zu beugen gedachte, hatte es ausgeschlafen und der Hunger meldete sich.
So erhob sich das Borstentier und trottete behäbig aus seinem Versteck. Kaum trat es aus der Höhle heraus, begegneten dem Schweinchen die ersten Tiere, die ihm ihr neue Gewand präsentierten.
Zuerst glaubte es, die Abendsonne würde seine Augen blenden, als es jedoch auf den Boden schaute, bemerkte das Schweinchen die kleinen Hüpfer und Kriechtiere, die es zuvor nie beachtete. Wie auch, ohne Farben und Muster. Ungläubig und geblendet von so viel Schönheit wurde dem Schweinchen ganz komisch. „Oh je“, dachte es, „was habe ich heute nur verpasst?“
Und als es so seines Weges schritt, auf der Suche nach Futter, begegneten ihm immer mehr der bunten und farbenprächtigen Tiere, die Stolz und mit Freude berichteten, wie sorgsam und treffend der Hüter ihre Farben aussuchte.
Das kleine Schweinchen wurde ganz neidisch und schämte sich sehr über sein schmutziges farbloses Kleid, dass es trug. Dann weinte es bitterlich und seufzte: „Ach hätte ich dummes Tier doch nicht den lieben langen Tag verschlafen, dann trüge auch ich ein so wunderschönes buntes Kleid.“ Dicke Tränen rollten dem Schweinchen aus den kleinen Augen, als es darüber nachdachte, wie träge und faul es doch war. Ein Vogel hörte das Gejammer des kleinen Schweinchens und rief von seinem Ast herunter: „Wenn du dich beeilst, dann kannst du den Schöpfer noch antreffen, er ist gerade dabei seine Pinsel zu säubern und die dicke Farbtöpfe zu waschen.“
Welch eine Freude und Eile übermannte das Borstenvieh, so schnell trugen ihn seine Beinchen noch nie. Es rannte wie vom Blitz getroffen zur Lichtung, in der Hoffnung, dass der Hüter sich erbarmte und ihm noch ein wenig von seiner Zeit schenkte, bevor es Nacht wurde. Atemlos erreichte es die Stelle, an der die Tiere ihr Aussehen erhielten, aber dort waren schon alle Farben des Regenbogens verblichen, ein paar Farbkleckse tropften noch aus den Pinseln, die der Herr zum Reinigen in der Hand hielt. „Ach bitte lieber Hüter der Natur“, stotterte das Schweinchen bescheiden, „ich war heute so faul und träge und bin nicht pünktlich erschienen, als du all die Tier so wunderschön bemaltest, doch bemale nun auch mich, damit mein Kleid so leuchtet wie das der anderen.“
„Liebes Schweinchen“, antwortet der Herr, „so einfach ist das aber nicht, denn alle Farben sind bereits verbraucht, und der Regenbogen hat sich zurückgezogen, die Sonne löscht gleich ihr Licht und die Nacht hüllt die Welt in seine Dunkelheit.“
Wieder begann das Schweinchen zu weinen, und seine Tränen tropften in einen Farbtopf, die sich mit dem restlichen Rot, das sich noch darin befand vermischte.
Plötzlich hatte der Schöpfer eine Idee. Er ließ das Schweinchen noch eine Weile traurig sein, bevor er ihm einen Vorschlag machte. Nachdem der Farbtopf halb gefüllt mit Farbe und Tränen war, sagte er: „Wenn du keine Farbe bevorzugst, dann mische ich von den restlich verbliebenen Rottönen und deinen Tränen eine Farbe, die dich immer daran erinnern wird, wie du dein Kleid erhalten hast.“
Zustimmend nickte das Schweinchen und ein tiefer Seufzer erlöste es von seinem Leid. Der Herr vermischte nun alle Rottöne, die er in den Töpfen fand, doch die Farbe reichte nicht aus, um dem Schweinchen ein komplettes Kleid anzufertigen.
Am Himmel schwebte in diesem Moment eine dicke weiße Wolke, die neugierig herunter schaute und nach dem Rechten fragte. Der Hüter berichtete ihr von dem Unglück und die Wolke hatte großes Mitleid mit dem Borstentier. Sie bot dem Schweinchen an, ein bisschen von ihrer Farbe zu den Rottönen zu geben, so würde der Topf voller und die Menge würde ausreichen, um das Kleid fertigzustellen.
Glücklich nickte das Borstentier und bedankte sich höflich bei der Wolke, die eine große Menge von ihrem Weiß in den Farbtopf schüttete. Der Schöpfer rührte kräftig die beiden Farben zusammen, so dass ein leuchtenden Rosa entstand. Obwohl das Schweinchen schmutzig und staubig war, begann der Hüter mit dem Bemalen der Borsten. Stolz und dankbar ließ das Schweinchen sich ankleiden. Als er fertig war beäugte er das Tier und sprach: „Leuchten wirst du nicht, ein Grauschleier verdeckt deine Farbe, die dich nur leicht bekleidet erscheinen lässt.“
Vor lauter Glück und Dankbarkeit vernahm das Schweinchen die Worte des Hüters nicht.
Es war froh und zufrieden mit dem, was schließlich sein Naturkleid ausmachte.
Texte: Petra Ewering
Bildmaterialien: Coverbild by Google
Tag der Veröffentlichung: 16.09.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Den Farben dieser Welt