Des Rabens Abschied
Der Abschied fiel mir schwer, denn dieses Land war für mich, wie eine Liebe auf den ersten Blick.
Ich wandelte am Strand entlang, hing meinen Träumen hinterher und fand nach Stunden eine geeignete Stelle im Sand, um mich niederzulassen. Die Sonne hing glutrot am Abendhimmel und verschaffte mir dadurch zusätzlich eine melancholische Stimmung.
Ich sehnte mir meinen gefiederten Freund herbei,
den, der mir schon so lange nicht mehr erschienen war.
So starrte ich auf die blaue See, spielte mit den Zehen im Sand, und ließ mich von der untergehenden Sonne wärmen.
Der Ruf des Raben weckte mich aus meiner Melancholie, er segelte am Himmel, ich erkannte ihn ganz deutlich, und mein Herz klopfe heftiger als zuvor.
„Mein treuer Freund“, begrüßte ich ihn sehnsuchtsvoll, als der Vogel sich vor meinen Füßen im Sand niederließ, „welch eine Ehre, dich nach so langer Zeit wiederzusehen. Und dann an einem Ort, der Fern der Heimat war.“
Seine listigen Augen suchten die Umgebung nach Gefahren ab, als der Rabe keine erkannte, hüpfte er näher an mich heran, blickte mir frech in die Augen und sprach: „Ja, es gibt wunderbare Gegenden, aber die sind immer dort, wo ich nicht bin. Auch treffen wir hier auf außerordentlich wunderbare Menschen, meist auf einen, der ganz besonders außerordentlich und wunderbar ist. Und wenn man dann wieder fort muss, wird es schlimm. Glaub mir, ich weiß ein Lied davon zu singen. Eines Tages stand ich mit langem trüben Gesicht da, mein Abschied nahte und ich sollte nun „Adieu“ sagen. Meine Laune war jämmerlich. Jeden der neben mir irgend jemanden die Hand schüttelte, sah ich als Leidensgenossen an. Jeder mit einer Trennungsgeschichte behaftet.
Ich begann, die Leute anzusehen, versuchte, aus den Gesichtern die Abschiedstiefe zu ergründen. Nachdenken über andere ist gut gegen den eigenen Jammer. Und als sich zwei dicht neben mir lachend in die Arme fielen, wurde mir klar, das Abschied auch ein Ankommen ist.“
So flog er von dannen, ohne weiteren Laut, mein schwarzer gefiederter Freund, verschlugen vom Nachthimmel, der nun diese schöne Gegend eroberte.
Am nächsten Morgen reiste ich ab, jedoch ohne den tiefen Kummer, den ich am Tag zuvor verspürte.
Ein Abschied ist auch immer ein Ankommen.
Texte:
Coverbild by Google
Tag der Veröffentlichung: 13.08.2010
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Widmung:
Der Phantasie und den Träumen