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Tödliche Hände



Staatsanwalt Gerrit Lampert starrte angestrengt auf den Angeklagten, der in sich zusammengesunken auf einem Stuhl ausharrte, um seinen Gedanken, die um diesen Fall kreisten, zu ordnen.
Lampert wollte den jämmerlich wirkenden Mann im Beisein eines Psychiaters zu den Anschuldigungen befragen.
Eigentlich verfluchte er das ganze Theater, das seiner Meinung nach um diese lächerliche Witzfigur veranstalte wurde. Als aber eine anonyme Anzeige gegen Mario Brugera auf seinen Schreibtisch geflattert war, hatte er die Angelegenheit für interessant gehalten.
Mario Brugera war angeblich eine extravagante Persönlichkeit, von der man sagte, dass er übersinnliche Fähigkeiten besitze. Er pflegte sogar von sich zu behaupten, dass er Geister beschwören könne.
Staatsanwalt Lampert hasste solchen Hokuspokus und war begeistert gewesen, einen Betrüger, der seinen Profit aus der Dummheit der Menschen zu schlagen vermochte, überführen zu können.
„Wollen sie nicht endlich aussagen?“ fragte der Staatsanwalt barsch.
„Bitte, können sie den Arzt wegschicken?“ entgegnete der Angeklagte ängstlich.
Der junge Anwalt wandte sich mit einer besänftigen Geste an den Psychiater, der sich daraufhin murrend zurückzog. Mit steifen Beinen stand Gerrit Lampert nun hinter Mario Brugera. „Danke“, sagte Mario leise. Der Staatsanwalt hob seine farblosen Augenbrauen. „Ich verstehe durchaus, Herr Brugera, dass sie Geld verdienen müssen um zu leben. Aber immerhin wird es sie vielleicht interessieren, dass man auch auf reellem Wege beträchtliche Einnahmen erzielen kann. Für ihre Art von Bemühungen, Honorare zu verlangen, ist kriminell.“
„Das sehe ich anders, Herr Staatsanwalt“; antwortete Mario Brugera mit bebender Stimme, der unsicheren Boden unter den Füßen fühlte.
„So? Wie darf ich das verstehen?“ fragte Gerrit Lampert mit ironischem Unterton.
„Herr Staatsanwalt, ich habe immer streng darüber gewacht, dass meine spiritistischen Sitzungen in rein wissenschaftlichem Rahmen stattfinden. Wenn es sie interessiert, kann ich ihnen gerne einen Einblick in die Gutachten von namhaften Wissenschaftlern geben“, erklärte Mario, um die Anschuldigung ein Betruges von sich zu weisen.
„Danke, aber ich möchte mir lieber selbst ein Bild machen“, erwiderte der Staatsanwalt spitz. Es lag ihm fern, ein Urteil über Menschen abzugeben, ohne sich nicht vorher mit allen Fakten vertraut gemacht zu haben.
Der blonde Mann im hochgeschlossenen schwarzen Anzug wandte sich an den Angeklagten. „Sind sie ganz sicher, dass sie mit Geistern in Verbindung treten können?“
Mario Brugera schwieg. Seine Hände zitterten. Er fühlte eine kalte Macht in seiner Nähe.
„Ich glaube nicht, dass es Sinn hat, noch länger darüber zu reden“, warf Gerrit Lampert in den Raum. Einen Augenblick war es totenstill, dann erhob Mario Brugera seine Stimme. „Das Unbegreifliche ist unbeschreiblich.“
Abrupt wackelte sein Kopf. Er sah aus, als ob er von unsichtbaren Händen im Genick gefasst und kräftig geschüttelt wurde. Mario stieß einen röchelnden Laut aus und einen letzten Seufzer. Eine lange, quälende Pause entstand. Dann sagte Gerrit Lampert in einem ungeheuer gespannten Ton: „Er ist tot.“
Der Psychiater, der das mysteriöse Schauspiel durch das Fenster des ungemütlichen Verhörraumes verfolgen konnte, öffnete die Tür des Zimmers und trat mit kurzen, leisen Schritten auf Mario Brugera zu.
Er betrachtete einen Moment lang den herabhängenden Kopf, ergriff den Unterarm des Angeklagten, um den Puls zu tasten und mit belegten Stimmbändern krächzte der Arzt: „Vielleicht sind die Geister ihnen zuvorgekommen.“ „Ich glaube nicht, dass Geister morden“, fuhr der Staatsanwalt schneidend dazwischen. Lampert sah den Arzt scharf an. Der beugte sich über den Toten, zog dessen Augenlider hoch, ließ sie fallen und stieß hervor: „Ich möchte ihn untersuchen.“
Gerrit Lampert war sehr nahe an den Toten herangetreten und erwiderte: „Bitte, aber mit äußerster Vorsicht.“
„Also, doch ein Geist?“ fragte Dr. Sebald überraschend. „Genauso gut können sie an den Weihnachtsmann glauben“, gab der Staatsanwalt kühl von sich.
„Wer weiß“, murmelte der Doktor und griff nach dem Telefonhörer. Gerrit Lampert hörte noch, wie Dr. Sebald die Gerichtsmedizin verständigte und meinte im Gehen: „Nun, durch den Tod Brugeras hat sich diese Sache doch wohl erledigt.“ Die Tür fiel ins Schloss und der Staatsanwalt war verschwunden.
„Nein, sicher nicht“, flüsterte Dr. Sebald dem Toten ins Ohr. „Und das herauszufinden ist Sache der Parapsychologie und nicht der Kriminalpolizei.“
Danach holte er Gummihandschuhe aus seiner Kitteltasche, stülpte sie über seine fleischigen Finger und wartete geduldig auf das Eintreten der Kollegen. Immer wieder berührte er den leblosen Körper Brugeras, dessen Tod ihm mehr als suspekt erschien. Etwas später betraten zwei Angestellte der Gerichtsmedizin, die eine Bahre vor sich herschoben, das kleine nackte Zimmer.
Vorsichtig hoben sie den Leichnam vom Stuhl und legten ihn auf die mitgebrachte Bahre. Ein weißes Laken bedeckte den leblosen Körper von Mario Brugera, als er zur Gerichtsmedizin transportiert wurde.
Somit hatte er wahrhaftig die Gestalt eines Geistes angenommen.

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Texte: Coverbild by Googlegrafiks
Tag der Veröffentlichung: 21.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dem Spirituellen

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