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Das Spiel



Die Legende von der Entstehung des Schachspiels

Wegen der Ungenauigkeit der alten Schriften, ließ sich die Epoche und das Land, in der meine Geschichte spielte, nicht genau festlegen.
Es war der stete Wille der Menschheit, sich auf den Schlachtfeldern dieser Erde zu tummeln, und so löste der Krieg unter der Bevölkerung viele Katastrophen und Trauer aus. Auch der Herrscher, dieses Landes, der seine treuen Untertanen zwang das Schwert zu ergreifen, blieb vor dem schlimmsten Kummer nicht verschont. Sein ältester Sohn, Prinz Ibrahim, ein Abenteurer und waghalsiger junger Mann, fiel in der blutigsten Schlacht des Landes, um die Ehre des erhabenen Vaters und die Macht des Thrones zu erhalten. Der Krieg übersäte die Felder mit Leichen und färbte das Gewässer des Flusses rot von Blut. Der König, der ein begabter Stratege und Kriegskünstler war, erarbeitete eigens mit seinen obersten Soldaten die Schlachtpläne aus.
Als die Angreifer zurückgedrängt waren, kehrte der König als Sieger, jedoch ohne seinen Sohn Ibrahim, zurück in seinen prächtigen Palast.
Von diesem Tage an, verließ er seine Gemächer nur noch selten, jegliche Feierlichkeiten um die Kriegshelden zu Ehren wurden verboten, und der starke Mann verfiel dem Kummer und der Einsamkeit.
Was bedeutete der Sieg, der prächtige Palast, und all die Schätze, wenn sein geliebter Sohn nicht mehr an seiner Seite weilen durfte? Alle irdischen Reichtümer waren auf einmal wertlos geworden.
Die Zeit verging, aber die schmerzlichen Erinnerungen an die Schlacht und den Tod seines Sohnes verschwanden nicht.
Stundenlang malte der König immer neue Stellungen der Soldaten in den Sand, der in einer großen Kiste gefüllt war, die seinen Sohn hätten schützen können.
Die Trauer des Königs überschattete das ganze Land. Seine Minister wünschten sich ein Wunder, welches den getroffenen Mann endlich ein Lachen abgewinnen konnte.
Eines Morgens klopfte es an dem großen Portal des Palastes, und ein junger Mann bat um Audienz bei seiner Hoheit. Der König war an diesem Morgen ausnahmsweise bereit, einem armen, bescheidenen Mann seine Aufwartung zu machen. Der junge Mann wurde in den Thronsaal geführt, und der Wesir des Königs machten ihn mit den höfischen Vorschriften vertraut. Als der König nun in den Thronsaal trat, musterte er den jungen Mann, der sich höflich vor ihm verbeugte, und fragte ihn: „ Woher kommst du? Wer bist du? Und was wünscht Du von mir, dem Herrscher dieses Landes?“
„Mein Name ist Nadir, o Herr, ich komme aus einem kleinen Dorf, drei Tagesmärsche entfernt von dieser Stadt, doch erzählen sich auch in unserem Dorf die Menschen von eurer Traurigkeit. Und so habe ich mir erlaubt, o König, für euch ein Spiel zu entwerfen, welches eurer Begabung und Können gerecht wird.“
Angesichts dieser Worte, erhellte sich der Blick des Königs und neugierig fragte er: „Um welches Spiel handelt es sich, dass meine Begabung und Können herausfordert?“
Nadir, weise und freundlich sprach: „O mein König, es beruht auf einer strategischen Kriegsführung, jedoch auf einem Stück Holz beschränkt, welches als viereckiges Brett überall im Schloss den Platz an eurer Seite findet.“
Die Augen des Königs funkelten wie schon lange nicht mehr, und sein Herz freute sich über die Worte des Jünglings. Ein leises Lachen huschte über seinen Mund, so dass der Wesir in der Hoffnung versank, dass dieser einfache junge Mann den König glücklich machen würde.
Sofort veranlasste der Regent, das Brett begutachten zu dürfen, dass ihm seltsam und unhandlich erschien. „Erkläre mir, was du mit diesem Brett bezweckst, und wie dein Spiel zu spielen ist.“
Nadir freute sich über das Interesse seines Herrschers und versuchte mit Geduld und Verstand, dem König dieses Spiel zu vermitteln.
Das Brett war in 64 kleine viereckige Felder eingeteilt, jeweils 32 schwarze und 32 weiße Felder, die sich abwechselten. Auf dieses Brett stellte man zwei Figurengruppen, die sich ebenfalls durch die Farben schwarz und weiß unterschieden. Jede Figur hatte eine vorgeschriebenen Stellung und durfte nur auf einer bestimmten Weise bewegt werden.

Folgende Spielregel sollte der König berücksichtigen:

Dieses Spiel konnte nur von zwei Personen gespielt werden. Jeder Teilnehmer bekommt eine Armee von Figuren, die auf die Felder positioniert wurden. Im Ganzen erhielt jeder sechzehn, doch zunächst verfügt man über acht kleine Figuren, die Bauern, sie verkörpern die Infanterie, ihre Aufgabe ist es, gegen den Feind zu marschieren und ihn zu verwirren.
Zwei Kriegselefanten, die als große mächtige Figuren die Bauern unterstützen.
Die Kavallerie wird durch zwei Streitrösser symbolisiert, die springen dürfen.
Zwei vornehme Krieger, die als Wesire des Hofstaates zu erkennen sind.
Eine Figur mit weitläufiger Bewegungsmöglichkeit und mächtiger als alle anderen, stellt den Geist des Volkes dar, die Königin.
Die letzte Figur, der König, der einen geringeren Wert hat, aber mächtig wird, wenn die anderen ihn unterstützen.
Begeistert von den Regeln des Spiels, war der Regent nun erpicht darauf, unverzüglich mit der ersten Partie zu beginnen.
Nach einiger Zeit der Überlegung fragte er: „Warum ist die Königin stärker als der König?“
Nadir freute sich abermals, über das Interesse, das weitaus größer schien, als er je zu hoffen wagte, und entgegnete: „Weil sie in diesem Spiel die Liebe des Volkes zu seinem Land darstellt. Die Stärke des Throns beruht auf die Hingabe seiner Untertanen.“
Zufrieden mit dieser Antwort, versuchte er sich in die Regeln einzuführen. Schon nach wenigen Stunden gelang es ihm, seine rasche Auffassungsgabe unter Beweis zu stellen.
Plötzlich zeigten die Figuren die Stellungen der Soldaten in der Schlacht, indem sein Sohn das Leben verlor. Erschrocken über diese Positionen der Figuren auf dem Brett, versuchte der König seinen Wesir mit größtem Ergeiz zu verteidigen, dennoch musste er ihn opfern.
Nadir bemerkte sofort die Veränderung des Gemüts seines Gegenspielers und sprach besonnen: „Für den Frieden und für die Freiheit des Volkes ist das Opfer eines Prinzen manchmal unerlässlich.“
Der König schaute dem jungen Mann ernsthaft in die Augen, doch sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, und dann sagte er mit Bewunderung: „Ich glaube, dass diese Erfindungsgabe eines der größten Wunder ist, und durch dieses fesselnde, lehrreiche Spiel ist mir bewusst geworden, dass ein König manchmal Opfer bringen muss. Auch, dass ohne Untertanen der König in seinem Land nichts wert ist.“

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Texte: Coverbild von Google
Tag der Veröffentlichung: 13.01.2010

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