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Der Pascha und das Mädchen



Mein Name ist Murad Harun Al Kalil, einst wurde ich unter dem mächtigen Sultan, der Herrscher unseres Reiches als Stadthalter einer ruhmreichen Stadt ernannt.
Als ich noch jung war, war ich ehrgeizig und machthungrig. Jeden Tag bei Sonnenaufgang trieb ich die Soldaten hinaus, ich sah es als meine Pflicht an, so die Steuern eintreiben zu lassen, die die Menschen der Gegend nicht freiwillig bezahlten. In Besitz eines prächtigen Hauses lebte ich fürstlich, und die Speisekammer war bis zur Decke gefüllt, mit erlesenen Nahrungsmittel aller Art. Mein Ziel war es, die Schatzkammer der Stadt ebenso zu füllen, damit es den Machthabern an nichts fehlte. Zufrieden mit mir und meinem Gewinn verlieh der Sultan Ali Hassan Es Sinawi mir den ehrenvollen Titel des Paschas. So thronte und wachte ich über die Stadt, die ich alleine regieren durfte. Während dieser Zeit ließ ich schöne Moscheen und prunkvolle Paläste bauen, und ich verschwendete keine Zeit, die Bevölkerung daran zu erinnern, die Steuern pünktlich zu bezahlen. Wer es wagte, sich dem zu widersetzen wurde mit dem Kerker bestraft. Das Flehen und Betteln so manch armer Bauern ließ mein Herz nicht erweichen, und auch das Leid der Frauen und Kinder ging gefühllos an mir vorüber. Ich stellte mich über die alltäglichen Geschehnisse ohne zu bemerken, was ich für Opfer forderte, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass dies der Untergang meiner Stadt bedeutete.
Meine Soldaten kehrten immer öfter mit leeren Kisten zurück, und so leer wie diese Kisten, war auch der Basar an manchen Tagen. Immer weniger Kaufleute und Bauern kamen in die Stadt, und die Menschen vom Lande, die noch nicht in dem Kerker verfaulten, flohen mit ihrem letzten Hab und Gut aus der Region, um in der Ferne ein neues Leben zu beginnen.
Die, die zurückblieben, hatten bereits alles verloren, so dass sie keinen Sinn mehr darin sahen, die Flucht zu ergreifen.
Die Schatzkammer, die ich mit Goldstücke, Silberlinge, Geschmeide und kostbaren Stoffen überhäufte, lies mein Herz dennoch heftiger schlagen. Im Gegenzug ließ die Speisekammer mir den Magen zusammenschnüren. Kaum Nahrung bot sie, selbst die Soldaten mussten ihre tägliche Ration einbüßen, da die letzten Brotkrumen niemanden mehr sättigen konnten. Als Ausgleich erhielten sie mehr Lohn, trotzdem machte es aus den gehorsamen Männer Meuterer, die nicht länger Hunger leiden wollten. Ich entließ einen Großteil der Soldaten, die fluchtartig die Stadt verließen.
So beschloss ich, die restlich verbliebenen Soldaten in die umliegenden Städte zu schicken, um Nahrungsmittel einzukaufen. Nur wenige kehrten zurück und das, was sie mitbrachten reichte nicht annähernd für eine Woche.
Eines Tages befehligte ich meinem Sklaven, den einzigen, den ich noch hatte, leider blieb mir keine andere Wahl als alle anderen für annehmbare Speisen einzutauschen, mein Kamel für einen Ausritt vorzubereiten. Ich wollte nun selber über Land reiten und Ausschau halten, um mich von der Lage meiner Region zu vergewissern. Keine Menschenseele begegnete mir, nur ödes, verwildertes Land, unbestellte Felder, verwüstete Häuser und Brunnen, und ein paar Ziegen, die das vertrocknete Gras fraßen. Eine absonderliche Stille umgab mich. Kein Laut weit und breit, nicht einmal der Wind sang sein klagevolles Lied. Es schauderte mich, das Land so zu sehen.
Auf meinem Rückweg in die Stadt, kauerte ein Bettler am Wegesrand, der vor mir davonlief, als er in meiner Reichweite gelang.
„Im Namen Allahs“, rief ich, „bleib stehen und berichte mir, wo all die Menschen dieser Gegend geblieben sind.“ „Herr, ich vermag nur zu sagen, dass sie vor ihnen auf der Flucht sind.“ „Du wagst es, so mit mir zu reden“, schrie ich den Alten an, „was hast du als Pfand für deine Freiheit zu bieten?“ Der Alte Bettler verneigte sich vor mir und antworte gelassen, „ o mein Herr, außer mein Leben nicht viel, eine leidende Frau und eine Tochter, die von all dem Leid verschont bleiben sollte. Kein Gold, kein Geschmeide, keine kostbaren Stoffe, o mein Pascha, all dies haben sie mir schon genommen.“ „Wie willst du dann bezahlen?“ fragte ich erbost. „Ich bezahle mit meinem Leben“, entgegnete der Bettler, „es ist nicht mehr wertvoll, aber alles was ich noch besitze.“ „So gib mir deine Tochter, dann schenke ich dir das Leben.“ „Was willst du mit meinem Kind, es ist unschuldig und noch so jung an Jahren“, seufzte der Derwisch. „Was willst du mit einem Kind, dass du nicht ernähren kannst“, setzte ich energisch hinzu. „So Allah will, sei gut zu ihr, sie ist ein liebes Mädchen, gehorsam und immer freundlich“, dann überließ er mir Anthee (arab. blumig) mit hängendem Kopf, und zog sich verneigend zurück.
Das Mädchen schaute mich mit ihren großen dunklen Augen traurig an, doch sie weigerte sich nicht mit mir zu gehen.
Anthee war gehorsam, so wie ihr Vater es zusicherte, stets freundlich und hilfsbereit. Sie verehrte mich, und ich erfreute mich an der schönen Blume, die ich pflückte. Manchmal strich sie mir zärtlich über den Handrücken oder berührte sanft mein Gesicht, dabei lächelte sie zuckersüß und in mir machten sich Gefühle bemerkbar, die ich nie zuvor verspürte. Meine sonst so schroffe Art wich, ich sprach leise, höflich und rücksichtsvoll mit ihr, auch muss ich gestehen, war mir der Reiz dieser jungen Frau unter die Haut gefahren, so dass, wenn ihre sanfte Hand mich berührte, eine Woge von Hitze durch meinen Körper strömte. Ich begehrte sie und eines Tages gestand ich ihr meine Liebe. Wie es ihre Art war, nahm sie dieses demütig zu Kenntnis, entgegnete aber nichts.
Unterdessen verfiel die Stadt immer mehr und mit sorgenvollem Gesicht trat ich zu meiner Angebeteten. „Anthee, meine Schöne, wie erblüht diese Stadt zu neuem Leben?“
Ich erwartete keine Antwort, denn untergeben wie sie war, akzeptierte sie jeden meiner Entscheide.
Doch dieses Mal wagte sie mir gegenüber zu treten und sprach: „Mein Pascha, dann behandle sie wie eine Blume, doch erfreue dich nicht nur an der Blüte und an ihren Duft, sondern beachte auch den Stiel, die Blätter und die Wurzel. Vor allem die feine Wurzel ist der Ursprung ihres Daseins und ihrer Schönheit.“
Überrascht von dieser Antwort setzte ich mich auf eines der Kissen, die in Hülle und Fülle im Diwan verteilt waren, und wagte es nicht, sie zu tadeln.
Anthee verneigte sich, und bat um Entschuldigung, da sie sich unhöflich verhalten hätte, doch ich konnte nicht anders, und erlaubte es ihr nicht sich dafür zu entschuldigen.
Dann bat ich sie, indem ich vor ihr kniete, meine Frau zu werden. Ihre Antwort ließ mich erneut schweigen. „Erst wenn der Fluss wieder Fische mit sich führt, wenn der Duft von frischem Brot über den Basar zieht und wenn ihr, mein Pascha bemerkt, dass man Gold nicht essen kann, erst dann werde ich eure Frau.“
Abermals verneigte sie sich, und dann verschwand sie ohne um Erlaubnis zu fragen.
In meinem Kopf brodelte es, und in meinem Herzen nagte Kummer und Gram, und mein Gewissen plagte mich.
So eilte ich in die Moschee zum Abendgebet, doch auch das Gebetshaus war wie alles in der Stadt, verlassen und leer. Ich warf mich auf den Boden, betete reumütig zu Allah und bat ihn um Rat.
Der Imam, der in dieser Moschee predigte, hörte meine Worte, und sagte: „Was kann Allah dir raten, o Pascha, er sieht wie du den Verfall, die Ruinen und die Armut. Was weiß er, was du nicht auch weißt? Ohne Saat keine Ernte, ohne Gold keine Saat, ohne Hände kein Wachstum, ohne Brot gibt es Leid, Armut und den Tod.“
Welche törichte Handlungen ich doch vollzog, wie dumm und geblendet ich regierte, dies sollte von nun an ein Ende haben.
Meine Schatzkammer enthielt noch genug von all dem, was ich den Menschen stahl, und so verteilte ich es gerecht unter der Bevölkerung. Die Männer erhielten wieder ihre Freiheit, die Soldaten halfen beim Wiederaufbau der Häuser und Brunnen, und in Massen strömten die Menschen in ihre Heimat. Die Felder erblühten, Korn Obst und Gemüse wuchsen prächtig, der Basar kehrte zu neuem Leben zurück. Kaufleute und Bauern boten ihre Waren feil, und der Duft von frischen Backwaren erfüllte die Luft. Fischer flickten ihre Netze, und der Fluss spuckte eine Vielzahl an Fischen aus. Ich senkte die Steuer, denn für Arbeit und all den Bemühungen sollte die Bevölkerung entlohnt werden.
Anthee, die schönste Blume der Stadt, öffnete mir die Augen, auch wenn ich mich lieber an der Blüte und ihren Duft erfreute, achtete ich mehr denn je auf Stiel, Blatt und Wurzel.
Ich kniete noch einmal vor ihr nieder, bat inständig um ihre Hand, und Anthee lächelte bescheiden und flüsterte: „ So Allah will, werde ich hiermit deine Frau.“
Mein Glück schien unendlich, und die Stadt erblühte in neuem Glanz, in Frieden und Harmonie.

Insch Allah!

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Texte: Coverbild von Fotosearch
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2010

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