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Im Tal der 1000 Palmen




Es war einmal und es war auch nicht, vor langer Zeit in der Wüste Algeriens, wo sich Nomaden durch das Sandmeer quälten und sich dem Klang der Wüste unterwarfen. Denn nur der Wind spielte hier sein leises Lied.
Stolze Söhne der Sahara, die durch die sengende Hitze zogen, bis sie endlich eine Oase fanden, in der sie ihren quälenden Durst und Hunger stillen konnten.
Oft schleppten sie sich auf dem Rücken ihrer Dromedare tagelang durch die endlose Weite der Sahara, doch als Überlebenskünstler trotzten sie der Hitze am Tage, und der Kälte des Nachts.
Der Anführer, Scheich Yasir Rahil Usaid, ein Tuareg, führte sein Volk mit strenger aber gerechter Hand, so wie es sein Vater viele Jahre vor ihm tat. Der Scheich liebte die Wüste, die Sandberge, die teilweise mehr als 200 Meter Höhe erreichten, die Tiere, die sich ebenfalls bestens an die Bedingungen der Sahara angepasst hatten, vor allem die Dromedare, die geduldig und mit enormer Ausdauer bis zu einer Woche ohne Wasser auskommen konnten. Dabei legten sie täglich über 100 Kilometer zurück, wenn es dem Reiter nötig erschien. Regen war eine Seltenheit, mehr als 100 Milliliter Wasser fiel nicht im Jahr, und somit war es eines der kostbarsten Güter.
Nun ereignete sich eines Tages in den ersten Stunden des Sob, dass der heiße Wind der Wüste an Heftigkeit zunahm, und Scheich Yasir in weiter Ferne einer Oase rasten musste, da der Wind Staub und Sand mit sich führte, und die Sicht zunehmend schlechter wurde. Der Samun (arab. Giftwind) war ein trockener heißer Wüstensturm, der für Tier und Mensch eine erhebliche Gefahr bedeutete. Scheich Yasir befehligte seinem Sohn, Nihat Yasir Usaid, sich um die Dromedare zu kümmern, sie in einem Kreis niederlegen zu lassen, die Ziegen und die Menschen sollten sich hinter den Dromedaren in den Sand kauern, ihre Kinder schützend unter die Kleidung nehmen, und danach sollte auch er sich in den Schutz seines Dromedars begeben. Zufrieden begutachtete der Scheich die schützende Burg aus Reittieren, und suchte sich einen sicheren Platz mitten unter ihnen.
Dieses Geschehen wurde beobachtet, Wüstenpiraten lauerten in den Dünen um nach Opfern ausschau zu halten.
Mit eiskalter Brutalität überfielen sie die Karawanen, plünderten, töteten Mensch und Vieh und verschonten keine Seele.
Unversehrt und wohlbehalten trat Scheich Yasir eine Stunde später aus dem Kreis, als der Wind sich gelegt hatte. Nihat erwartete seinen Vater bereits und freute sich sehr, dass der Alte Mann ohne Schaden genommen zu haben, dem Sturm standhalten konnte.
Die Oase, die ihr Ziel war, lag noch in weiter Ferne, jedoch bis zum Sonnenuntergang würden die Nomaden diese erreichen, wenn sie sich zügig auf den Weg machten. So setzte sich die Karawane wieder in Bewegung, und folgte vertrauensvoll dem weisen Yasir, der neben Anführer auch Vertrauter für seine Stammesleute war.
Nach vielen Kilometern Marsch durch die algerische Sahara, erreichten Scheich Yasir Rahil Usaid und sein Gefolge die Oase, die sie so bitter nötig hatten.
Die Sonne stand schon sehr tief über der Wüste und bald würde die Dunkelheit der Nacht, Sieger über den Tag sein. Vorher musste das Vieh gefüttert und getränkt, sowie die Kinder versorgt werden, damit auch die älteren der Truppe sich erholen konnten. In der Karawanserei gab es genug für jeden, so dass nach einem guten Mahl und schwarzem Tee, alle zufrieden sich den Gelüsten des Orients hingeben konnten. Die Männer atmeten genüsslich den süßen Rauch der Wasserpfeifen, die jungen Frauen beglückten sie zusätzlich mit erotischem Bauchtanz und mit dem Geklimper ihrer Schmuckstücke an den Kleidern. Ihre langen schwarzen Haare waren nicht mehr bedeckt, lediglich ein kleiner Schleier verdeckte würdevoll die unter Partie des Gesichtes. Dadurch kamen die großen brauen Augen redlich zur Geltung und die mit Henna bemalten Hände gestikulierten wild zum Rhythmus der Musik. Scheich Yasir war stolz auf diese Schönheiten, die sein Stamm hervorbrachte, und hoffte inständig, dass sein Sohn Nihat sich für eine dieser Frauen begeistern würde. Denn schon bald sollte er den Part des Anführer übernehmen. Scheich Yasir fühlte sich nicht mehr stark genug, seine Hand schützend über die Häupter seines kleinen Volkes zu halten.
Das Fest neigte sich bald dem Ende, zu erschöpft war die Sippe von den Anstrengungen der vergangenen Tage, als dass sie bis in den Morgen tanzten und musizierten. Müde und glücklich über die friedvolle Atmosphäre in der Oase, schlief Scheich Yasir und seine Gefolgschaft ein.
Im Schutze der Dunkelheit schlichen sich die Wüstenpiraten an die Oase heran. Ihre Säbel und Messer glänzten im hellen Schein des Mondes, der groß und rund am Himmel stand. Die vielen Sterne wurden zu stummen Zeugen dieses Überfalls.
Nachdem die Oase ausreichend inspiziert wurde, man sicher war, dass niemand etwas bemerkte, umzingelten viele bewaffnete Männer die wenigen Gebäude, um die Menschen, die darin nächtigten, mit einem Überraschungsangriff zu bezwingen.
Das Oberhaupt der Räuber, Mustafa Tamin Abdula, erhob seinen Säbel und rief: „ Ergreift sie, und nehmt was zu nehmen sich lohnt!“ Mit unfassbarer Blutgier stürmten seine Männer in die Karawanserei, metzelten, plünderten, zerstörten und freuten sich über die Macht, die sie in diesem Moment besaßen.
Scheich Yasir schreckte auf, das Geschrei der Kinder und Frauen ließ ihn erschaudern, doch bevor er begriff was passierte, und wie er zu handeln hatte, stand Mustafa mit erhobenem Säbel vor ihm und schlug mit roher Gewalt auf ihn ein. Leblos fiel der Alte Mann zurück in die Kissen, sein Blut färbte den Boden dunkelrot und vermischte sich mit dem Blut seiner sich tapfer wehrenden Männer, die dem Angriff nicht standhielten. Es waren zu viele schwer bewaffnete Gegner, die sie überrumpelten. Das Wimmern der Verletzten, die im Todeskampf versuchten in eine schützende Ecke zu kriechen, wurde übertönt von dem Siegesgebrüll Mustafas und seinen Anhängern. Als das Schweigen des Todes die Oase eingeholt hatte, versicherte sich Mustafa Tamin Abdula, dass niemand den Angriff überlebte. Dann orderte er an, alle Waffen, Münzen, den Schmuck der Frauen und die Tiere zu nehmen, und sich, bevor der Morgen anbrach, aus der zerstörten Oase zurückzuziehen. So wie er gekommen, verschwand Mustafa über die Dünen der Sahara.
Nihat lag schwer verletzt, zwischen all den toten Männern, Kindern und Frauen seines Stammes. Blutüberströmt schleppte er sich ins Freie, warf sich in den Sand, weinte und stieß ein flehendes Gebet gen Himmel, dann fragte er hoffnungslos: „ Men ein?“ (Wohin wird Allah mich bringen?)
„Allahur akbar“, flüsterte eine Frauenstimme.
Nihat war unter Schmerzen bemüht den Kopf zu heben, um sich der Stimme zuzuwenden. Als er die Frau erblickte, erkannte er Adira, eine Tochter des Murat, Besitzer der Karawanserei, sie hatte den Angriff unbeschadet überlebt.
„Was ist geschehen?“ fragte Adira unter Tränen. Nihat ließ den Kopf fallen, zu kraftlos war er, um ihr in die Augen zu schauen, dann sagte er leise: „Die Hölle hat sich aufgetan, möge Allah mein Volk ins Paradies holen.“ Dann fiel er in den Staub und blieb ohnmächtig liegen.
Als Nihat zu sich kam, lag er auf weichen Kissen, geschützt vor der Sonne, gewaschen und seine Wunden waren verbunden, unter einer Palme, eines der Wahrzeichen der kleinen Oase. Frisches Wasser stand in einem Krug neben ihm, um seinen Durst damit löschen zu können. Er blinzelte in das helle Sonnenlicht, suchte eine Erklärung für seinen Zustand, doch dann fiel ihm der Überfall wieder ein, und er sank zurück, um seinen geschundenen Körper zu schonen. Adira trat zu ihm hin, kniete nieder und seufzte: „Mein Herr, sie haben lange geschlafen, ich habe unterdessen ihre Wunden versorgt, doch vermag ich nicht alleine, all die Toten zu begraben. Aus dieser Hölle zu entfliehen ist nicht möglich, sämtliche Tiere sind verschwunden, wir werden die Wüste nicht durchqueren können.“
Nihat zwang sich, trotz heftiger Schmerzen, der jungen Frau beizustehen. „Es wird ein harter Tag werden, aber wir müssen die Toten beerdigen“, seine Stimme klang rauh und schmerzverzerrt.
„Es sind zu viele, mein Herr, wie sollen wir all die Toten in die Wüste transportieren?“
Schweren Herzens entschloss sich Nihat, die Oase nieder zu brennen, doch es war die einzige Möglichkeit die ihnen blieb. Als das Feuer sich durch die Karawanserei fraß, hockten Adira und Nihat draußen unter einer der wenigen Palmen, beweinten die Toten und den Verlust, den sie erlitten hatten. Nachdem das Feuer nur noch Schutt und Asche hinterließ, trafen die ersten Reisenden ein, die erschüttert über das Geschehen ihre Hilfe anboten.
Dankbar für jede Hand, die ihnen gereicht wurde, nahmen sie die Hilfe an. Das dürftige Essen, dass die Menschen der Karawane bei sich trugen wurde redlich geteilt, auch ein Dromedar wurde geopfert, so dass Nihat die Möglichkeit hatte, mit Adira die Oase zu verlassen.
Doch hingegen aller Vorstellungen, entschied sich Nihat in der Oase zu bleiben, um die Karawanserei wieder aufzubauen. Adira folgte seinem Entscheid und blieb an seiner Seite.
Um die Toten zu huldigen, pflanzte Nihat für jedes Opfer eine Palme, die schnell empor wuchs, und viele gute Früchte trug, mit denen er Handel betrieb.
Viele Jahre dauerte es, bis das Paar diese kleine Oase zu dem machte, was sie jetzt war, eine blühende Landschaft mitten in der Wüste, mit unzähligen Dattelpalmen. Das versickerte Blut der Angehörigen speiste den Brunnen, der nie versiegte.
Als Adira ihr erstes Kind gebar, pflanzte Nihat eine weitere Palme, als sichtbares Zeichen des Lebens.
Reisende, im Hoggar-Gebirge, oder die Karawanen, die im Begriff waren die hohen Dünen der Sahara zu bezwingen, schauten gerührt hinunter ins Tal der tausend Palmen.
Und wer die Gastfreundlichkeit von Nihat, Adira und ihren Kindern spüren möchte, der reise in dieses Tal.
Auch singt der Wind sein zärtliches Lied, das ganz leise in den Blättern dieser Palmen erklingt.
Und hörst du genau hin, dann flüstert dir jede Palme, als Antwort auf deinen Gruß, ein
„We aleikum es salam“ in dein Ohr.

Impressum

Texte: Coverbild von Fotosearch
Tag der Veröffentlichung: 29.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dem Leben

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