Ein zarter Duft von Weihrauch und Rosen schwebte in der Luft. Der Nachmittag neigte sich allmählich dem Ende. Die in Marmor gerahmten Fenster standen weit offen, die dunkelblaue See konnte man weithin bis zum Horizont überschauen.
Unbeweglich und mit entblößtem Gesicht stand Andalee (arab. Nachtigal) am Strand und schaute hinaus auf die sanften Wogen, die ein leises Lied von Fernweh und Sehsucht sangen.
So wie Andalee. Sie entzückte durch ihren lieblichen Gesang die Menschen in ihrer Umgebung, wenn ihr Vater, ein strenger, angesehener und wohlhabender Herr es erlaubte.
Ihre langen schwarzen Haare wehten im lauen Abendwind, ihr Herz trug Trauer und die Tränen, die sie weinte, tropften in den weichen Sand, der diese Tropfen dankbar verschlang.
Als die Schwärze der Nacht das Meer küsste, hörte man aus der Ferne ein leises Singen:
„Wenn mir einmal mein Geliebter entflieht, dann werde ich zutiefst traurig sein, weil mit ihm mein teuerster Schatz entschwindet.“ Dies war der erste Satz der berühmten Kasside des Mohalil.
Bald aber verstummte die Stimme und ward nicht mehr gehört. Auch Andalee ward nie mehr gesehen. Das was man fand, als der Morgen dämmerte und man darauf wartete, dass die rote Sonne den Himmel zum Glühen brachte, waren die Spuren ihrer Füße im Sand.
Das Meer war schweigend, deckte aber wärmend all ihre Gefühle zu.
Einst erzählte man sich diese Geschichte, und wer sie hören mag, der lausche den Seemännern, die jeden Abend, wenn sie mit ihren Schiffen sicher in dem kleinen Hafen vor Anker gingen, das kleine türkische Café betraten, um von ihren Abenteuern auf See zu berichten.
An der Küste Tunesiens, nicht weit von Sousse, in einem verspielten Fischerort, lagen viele nostalgische Piratenschiffe, die ihre eigenen Geschichten erzählten, doch von der traurigen Geschichte Andalees wusste jeder Seemann.
In dem Cafe´ war die Luft erfüllt vom Rauch der Wasserpfeifen, das Aroma des türkischen Mokkas vermischte sich mit den Aromen der verschiedenen Tabaksorten. Die Tische waren gedeckt mit kleinen Mokkatassen, oder mit Gläser, gefüllt von heißem, süßem Tee, und herunter gebrannte Kerzen spendeten schummriges Licht. In jedem einzelnem Gesicht dieser Männer, dessen Teint von der Sonne, und die Zähne vom Tabak und vom Mokka gebräunt waren lag Zufriedenheit und Ruhe. Sie kauerten auf dicken Kissen, die am Boden lagen. Einige der Männer lachten fröhlich, andere lauschten gebannt den Berichten ihrer Gefährten, wiederum andere schliefen erschöpft und schnarchten selig vor sich hin. Glücklich wieder im heimatlichen Hafen zu sein, erholten sie sich von den Strapazen der Seefahrt, in dem türkischen Café von Harim Namir. Solange er sich noch jung genug fühlte, fuhr er ebenfalls zur See, doch das Alter setzte ihm mit den Jahren so zu, dass er sich irgendwann entschied, lieber an Land zu bleiben, seine Geschichten zu verbreiten, oder anderen sein Ohr zu leihen, so wie an diesem Abend, denn Andalee kehrte in das Gedächtnis dieses Mannes zurück.
Tahir-Bey, ein mutiger und erfolgreicher Seemann verliebte sich eines Tages in die schöne Andalee, deren Vater aber sichtlich erbost über diese Liebe war. Andalee war versprochen und sollte bald einem anderen Mann gehören. Das junge Mädchen weigerte sich energisch, denn die Liebe zu Tahir-Bey, die ihr Herz erfüllte, war tief und ehrlich, und nur ihm wollte sie ihr Herz schenken. Darüber wütend, sann der Vater über einen gemeinen Plan, um Tahir-Bey zu vernichten. Als der junge Seemann den Hafen wieder verlassen musste, schwor sich das Paar Treue und Liebe bis in den Tod. Andalees Vater, ein herrschsüchtiger Mann mit Einfluss, dessen Gemüt aufbrausend und unnachgiebig war, veranlasste, dass seine Tochter in ihrem Gemach eingesperrt, und das Feuer, welches des Nachts brannte, um den Seefahrern ein sicheres Geleit bis in den Hafen zu gewähren, gelöscht wurde.
Andalee betete Tag und Nacht für die sichere Heimkehr ihres Geliebten: „Oh allmächtiger Gott, verzeihe mir die Bitte, doch erhöre mein Herz. Höre nicht auf die Worte, nur auf das Flehen, das keine Worte bedarf.“
Viele Wochen vergingen, doch Tahir-Bey kehrte nicht zurück. Niemand hatte sein Schiff gesehen, in keinem Hafen, nicht auf offener See, und auch nicht einen Mann der Besatzung.
Die Gerüchte um Tahir-Bey verebbten nicht. Jeder Seemann berichtete auf seiner Weise was sich zugetragen hatte. „Vor der Küste sei ein Schiff in der Dunkelheit auf ein Riff gelaufen und gesunken, mit ihm Tahir-Bey und die Besatzung.“
Dieses wurde nun auch Andalee zugetragen. Aus der stolzen jungen Frau wurde eine gebrochene, traurige Seele, die wie eine Blume ohne Licht verkümmerte.
An einem späten Nachmittag, kurz vor der Stunde Asr, dem Nachmittagsgebet, verließ Andalee das Anwesen ihres Vaters, da sie sich in Sicherheit wiegte. Alle Männer beteten um Allah zu huldigen, und sie würde so ungesehen davonlaufen können. Süßes Vogelgezwitscher begleitete Andalee, als sie an den Feigenbäumen, die ihren Weg säumten, vorbeilief.
„Welch ein wohltuendes Gefühl des Friedens, wenn man solche Lobgesänge auf die eben erst errungene Freiheit hört“, dachte Andalee.
Die Röte des Sonnenunterganges lockte sie an den Strand, um sich Asrail, dem Engel des Todes, anzuvertrauen. „Wie oft träumte ich von Tahir-Bey? Von dem unermesslichem Meer? Von dem Sand, der meine Füße umspielt? Ich danke für den Zauber der Liebe, für die Schönheit des Lebens, und für den ewigen Frieden.“
Dann sang sie ihr Lied, und ihre liebliche, klare Stimme wurde verschluckt von der salzigen See.
Und wer des Nachts einer Irrfahrt auf See ausgesetzt ist, dem singt sie ihr Lied, als Geleit in sichere Gewässer.
Schaut man dann bei Sonnenaufgang in die Tiefe der blauen See, so kann man Tahir-Bey und Andalee auf dem Grund des Meeres spazieren sehen.
Um dieses Begreifen zu können, müssen wir die Liebe als Grundlage annehmen
Texte: Petra Ewering
Bildmaterialien: Coverbild August MackeDas türkische Café
Tag der Veröffentlichung: 05.12.2009
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