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Kasim und die Hexe Salma



Es war einmal und es war auch nicht, in längst vergangener Zeit. Da lebte einst ein armer Holzfäller mit seiner Frau in einer alten Hütte am Waldrand. Um die kleine Familie zu ernähren ging Kasim jeden Tag in den Wald, sammelte Holz oder schlug es, und brachte es in die Stadt um es dort zu verkaufen.
Als er eines Tages wieder im Wald mit dem Holzfällen beschäftigt war, sah er, dass aus der Ferne etwas am Himmel geflogen kam. Aus Furcht kletterte er auf einen Baum, verbarg sich zwischen den Zweigen und beobachtete das Flugobjekt genau. Es war die Hexe Salma, die auf ihren Besen durch die Lüfte sauste.
„Hui, hui“, rief sie, um ihren Besen voran zu treiben. Niemals war er ihr schnell genug, dabei überholte sie sogar den Wind, der ihr oft erschrocken nach schaute. „Hui, hui“, rief sie erneut, gefolgt von einem schrillen Lachen, das Kasim in den Ohren klingelte. Er schütze seine Ohren, indem er sie mit den Händen verdeckte, doch sein Blick hing wie gefesselt an der kleinen runzeligen Frau, die auf einem Besen daher geritten kam, ohne den Boden zu berühren.
Plötzlich blieb sie in der Luft stehen, drehten ihren langen dürren Hals nach allen Seiten und als die Hexe niemanden erblickte, senkte sie ihren Besen und landete behutsam, mit beiden Füßen sanft und sicher auf dem Waldboden. Ihren Besen stellte sie senkrecht an den Baum, auf dem Kasim sich hinter den dichten Blätterwerk versteckt hielt. Er atmete kaum und das was sich bewegte, waren seine Augen, die noch immer das Geschehen faszinierend beobachteten. Die Frau, die so seltsam daherkam, trug ein langes schwarzes Kleid, welches hier und da gestopft war, auch ein paar Stofffetzen, die ganz anders farbig waren, verdeckten so manches Loch in ihrem Gewand. Der spitze Hut, der ihren Kopf bedeckte, knickte ein wenig nach links, und war wie ihr Kleid tief schwarz und sah alt und mitgenommen aus. Wahrscheinlich trug sie diesen schon einige Jahre auf dem Haupt. Ihr Haar war lang und weiß, und die spitze Nase ragte weit aus ihrem schmalen Gesicht. Leicht gebückt huschte sie durch das Dickicht, auf der Suche nach etwas, das Kasim vom Baum aus nicht richtig sehen konnte. Jedoch wagte er es nicht, sein Versteck zu verlassen. Immerhin sind diese Sorte von Frauen mit Vorsicht zu genießen, sogar seine, die allerdings keine Ähnlichkeit mit dieser sonderbaren Frau hatte, die noch immer in gebückter Haltung über den Waldboden schlich. „Sicherlich sucht sie ein paar Kräuter“, dachte Kasim so bei sich, denn der Wald beherbergte so manch gute Pflanzen, die gegen Allerlei Krankheiten sein sollten.
Dann hörte er, wie die kleine merkwürdige Frau zu sprechen begann. Ihre Stimme hatte einen schrecklich schrillen Klang und ließ Kasim einen Schauer nach dem anderen über seinen Rücken laufen.
Aber gespannt wie er war, verinnerlichte er jedes Wort das sie sprach, und niemals würde er diese vergessen.
Salma streckte ihren rechten Arm, aus ihrer Faust löste sich ein langer dürrer Zeigefinger, dessen Nagel ebenfalls lang, leicht gekrümmt und sehr spitz war. Dieser Finger malte große Kreise in die Luft, dabei drehte sich die kleine Hexe rechts herum und sprach ihre Zauberformel: „Empompi poloni polonastik empompi poloni akademi safari akademi puff puff.“
Plötzlich stieg Rauch auf und ein Knacken und Knarren ward zu hören. Kasim traute seinen Augen nicht.
Vor ihm tat sich der Waldboden auf. Ein breiter Spalt teilte nun den Boden und die Hexe Salma verschwand darin. Noch immer traute Kasim sich nicht von dem Baum herunter. Doch beinahe wäre er aus seinem Versteck gestürzt, denn das lange Warten in gekrümmter Haltung schmerzte in seinem Rücken und in Beinen und Armen. Zudem meldete sein Magen eine ungewöhnliche Übelkeit. Eine ganz Weile musste Kasim noch ausharren, bis Salma endlich wieder aus der Grube heraustrat. Nun drehte sie sich links herum, malte dabei erneut Kreise in die Luft und sprach ihre Zauberformel: „Empompi poloni polonastik empompi poloni akademi safari akademi puff puff.“ Wieder stieg Rauch auf, das Knacken und Knarren ertönte und als der Rauch sich verzogen hatte, war der Waldboden geschlossen. Die Hexe bestieg ihren Besen und so wie sie gekommen, flog sie mit einem Hui Hui, eilig davon. Ein schrilles Lachen verebbte in den Wolken und die Luft war wieder rein. Gequält stieg Kasim von dem Baum herunter, die letzten Meter ließ er sich fallen, da ihm die Kraft versiegte und seine Hände ihn nicht mehr halten konnten. Mit einem dumpfen Aufprall plumpste er auf den moosigen Boden. Erleichtert atmete Kasim auf, jedoch blieb er noch einen Moment liegen, um sich davon zu überzeugen, dass er nicht träumte.
Als er wieder fest auf den Beinen stand, überlegte er, was zu tun sei. Um Holz zu sammeln war es zu spät, denn der Weg in die Stadt war weit und in der Dunkelheit wollte er den Heimweg nicht antreten.
Viele Räuber lauerten am Wegrand, die ihm sicherlich sein mühselig erworbenes Geld abnehmen würden. Aber auch die Neugier, die Kasim überfiel, ließ ihn im Wald verbleiben. Er wüsste zu gerne, was die kleine runzelige Frau in dem Erdloch getrieben hatte.
„Ein Versuch kann nicht schaden“, dachte er bei sich, „und was soll schon passieren?“ Immerhin wusste er, wohin er springen musste, falls der Boden sich öffnete.
Somit streckte Kasim den rechten Arm, ballte seine Hand zur Faust, löste den Zeigefinger, den er steif in der Luft hielt. Seine Beine wollten zuerst nicht so recht, doch dann drehte auch er sich und sein Finger malte Kreise in die Luft.
Stotternd brachte er die Zauberformel über seine Lippen: „E-em-pompi pppoloni pppolonnnastik
e-e-empompi pollloni a-akademi sssafari a-akademi puff puff.“
Knackend und krachend schob sich die Erde unter Kasims Füßen auseinander. Erschrocken sprang er zur Seite und blickte gebannt auf den Boden vor sich.
Als der Spalt groß genug war, dass ein Mensch hinein schlüpfen konnte, beugte er sich über den Rand des Erdlochs und schaute in die Tiefe. Es war stockdunkel, außer ein paar Stufen, erkannte Kasim nichts. Dennoch hielt seine Neugier ihn gefesselt, und er musste die Stufen hinabsteigen. Vorsichtig nahm er eine Stufe nach der anderen. Er zählte genau 13 Stufen. Unten angekommen war ein schwaches Licht auszumachen, und als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte Kasim in das Innere der Höhle blicken, in die er hinab gestiegen war. Die Höhle war angefüllt mit Schätzen, überall auf dem Boden standen Schüsseln, in denen sich Diamanten, Perlen, Gold- und Silberstücke befanden. Kasim war verwirrt, er dachte, er träumte und sein Herz setzte sogar einen Schlag lang aus, denn dies konnte unmöglich wahr sein. Er rieb seine Augen, schlug sich auf die Wange, kniff sich in den Bauch und biss sich auf die Zunge, um aus seinen Träumen zu erwachen, doch es half nichts, alles blieb wie es war.
„Ich träume, ich träume“, sagte er laut, denn glauben konnte er noch immer nicht, dass was er sah.
„Nein, du träumst nicht, du Lump, du Dieb“, schrie jemand schrill und keifend hinter ihm. Kasim erschrak fast zu Tode, als er diese Stimme hörte. Er wagte es nicht, sich umzusehen, und stammelte nervös: „Ich, ich bin kein Dieb, bitte habt erbarmen.“ „Wenn du kein Dieb bist, was bist du dann?“
Die Hexe Salma kam näher, schnüffelte an ihm, stach Kasim mit ihrem langen Zeigefinger in den Bauch und fletschte ihre Zähne. Kasim schloss seine Augen, er hoffte, in einem Traum gefangen zu sein, und wünschte sich bald aufzuwachen. Er wagte es, ein Auge zu öffnen, doch die Hexe stand noch immer vor ihm und wartete geduldig auf eine Antwort. „Also!“, schrie sie, „was bist du?“ „Nur ein armer Holzfäller“, erwiderte er nun zaghaft, „der sich verirrt hat.“ Salma lachte quiekend, als sie dies vernahm, und entgegnete: „So so, nur ein armer Holzfäller, der sich in meine Höhe verirrt hat. Was glaubst du, was ich mit dir machen soll?“ „Bitte, stammelte Kasim ängstlich, „ich gehe zurück nach Hause und erzähle niemanden von deinem Schatz.“ „Hi hi hi“, lachte Salma, „niemals wirst du jemanden davon erzählen, dafür sorge ich.“ „Oh bitte du liebes Mütterchen“, flehte Kasim, „was soll ich tun, damit ich leben darf.“
Salma schlich ein lange Weile um Kasim herum, immer wieder stach sie ihm dabei in den Bauch und überlegte gewissenhaft, wie sie ihn bestrafen sollte.
„Nun gut“, sagte sie endlich „da du ein Holzfäller bist, dich in diesem Wald auskennst, sollt du der Wächter meines Schatzes sein. Behüte ihn gut, so werde ich dich am Leben lassen und dich reich dafür belohnen. Einmal in der Woche schaue ich nach dem Rechten, fehlt etwas, wirst du sterben. Fehlt nichts von meinem Schatz, ist dir Reichtum sicher und du kannst mit einem Beutel voll Gold den Heimweg antreten. An jedem Freitag treffen wir uns an dieser Stelle, und wehe dem, der davon erfährt.“ „Danke, danke, ich werde ein guter Wächter sein, mein Ehrenwort hast du, und mein Leben so wie so“, antwortete Kasim erleichtert.
Salma ließ ihn gehen und flog auf ihren Besen, so wie sie gekommen, durch die Wolken zurück in ihr Heim.
Kasim lief hastig und erleichtert durch den Wald, um sich in seinem Häuschen von dem Schrecken zu erholen. Seine Frau indessen bemerkte nichts und ließ dem weiteren Geschehen seinen Lauf.
Am nächsten Morgen eilte Kasim zurück zu der Stelle, an der er von nun an, als Wächter für die Hexe Salma in den Dienst treten sollte. Jeden Tag der Woche war er in der Früh gekommen, und am Abend trat er seinen Heimweg an, ohne dass die Hexe sich hat blicken lassen. Am Freitag jedoch kontrollierte sie ihre Schätze und belohnt Kasim wie versprochen mit einem Beutel Goldstücke. Viele Wochen vergingen und Kasim wurde ein reicher Mann. Seiner Frau gefiel der Reichtum, aber ihre Kleider nicht mehr. So entschied sie sich eines Tages, mit ein paar Goldstücke in ihrer Kitteltasche in die Stadt zu gehen, um sich standesgemäß einzukleiden. Dort angekommen trafen sie neugierige Blicke und ein seltsames Gefühl überkam sie. Nachdem sie sich in neue Kleider auf den Markt begab, fasste sie sich schließlich ein Herz und fragte eine der Frauen, die ihr begegnete, was das Getuschel um sie herum zu bedeuten hätte. Die fremde Frau lächelte und sagte höflich: „Meine Liebe, es ist uns allen ein Rätsel wie du dich so kleiden kannst, obwohl dein Mann schon lange nicht mehr auf dem Markt war um Holz zu verkaufen.“
Sichtlich empört zog sich Kasims Frau zurück und rannte nach Hause. Dort angekommen war ihr Mann bereits heimgekehrt und sie schrie ihn wütend an: „Mein lieber Mann, was treibst du die ganze Woche, um am Ende so viel Goldstücke dafür zu bekommen?“
Entsetzt starrte Kasim seine Frau an und war sichtlich bemüht, eine Erklärung zu finden. Doch die Worte der Hexe Salma, die in seinem Gedächtnis eingebrannt waren, hinderten ihn daran, seiner Frau die Wahrheit zu sagen. „Hör zu meine Liebe“, sagte Kasim bestimmt, „ich darf es dir nicht verraten, ein Unglück würde geschehen. Nimm die Goldstücke und schweige.“
Kasims Frau gab sich aber mit dieser Antwort nicht zufrieden. Zu groß war ihre Neugier und sie beschloss, ihrem Mann heimlich am nächsten Morgen zu folgen.
Die Nacht verstrich, ohne dass sie auch nur ein Auge zugetan hatte. Als Kasim das Haus verließ, schlich sie ebenfalls aus dem Haus und folgte ihm in den Wald. Nichts geschah an diesem Tag. Am nächsten verfolgte sie abermals ihren Mann und versteckte sich hinter dem Baum, von dem aus auch Kasim einst alles beobachtete. Es war Freitag, und wie immer tauchte die Hexe plötzlich aus den Wolken auf, um nach dem Rechten zu sehen, und als sie Kasim zufrieden den Beutel mit den Goldstücken überreichte, ermahnte sie ihn erneut, niemanden das Geheimnis zu verraten, sonst möge es ihm schlecht ergehen. Dann flog sie wie sie gekommen, auf ihren Besen in die Wolken und ward nicht mehr gesehen. Kasims Frau blieb noch eine Weile in ihrem Versteck und als sie sicher war, dass ihr Mann außer Reichweite war, betrat sie vorsichtig den Boden, wo sie das Loch vermutete. Nichts war zu sehen. Da sie aber den Zauberspruch vernommen hatte, traute sie sich, diesen zu benutzen, dabei drehte sie sich um sich selbst und malte mit dem Zeigefinger Kreise in die Luft. Auch ihr gehorchte der Boden, Rauch stieg auf und dabei schob er sich krachend und knarrend auseinander.
Geschwind huschte sie die Treppen hinab und tastete sich durch die Höhle. Als sie den Schatz der Hexe ausmachen konnte, klopfte ihr Herz rasend schnell und überglücklich beschloss sie, noch reicher zu werden. Sie konnte gar nicht so viel Gold- und Silberstücke in ihre Taschen stecken, wie sie es gerne gewollt hätte. Als sie die Treppe hinauf polterte, bemerkte sie, dass der Boden wieder verschlossen war. Panik ergriff sie, dabei rutschte sie von der oberen Stufe ab und sie stürzte alle weiteren hinunter. Sie fiel genau vor die Füße der erbosten Hexe, die sofort einen Fluch über diese Tat ausrief: „Potz Blitz du Diebin, mögen aus deinen Armen Flügel werden.“ Und schon wirbelten schwarze Federn umher.
„Von nun an wirst du in Gestalt eines Rabens mein Späher sein und ein waches Auge über Kasim haben, sollte dir dein Leben, und das Leben deines Mannes lieb sein.“
Dann öffnete sich der Boden und der Rabe flog von dannen.
Kasim suchte lange und verzweifelt nach seiner Frau, die er aber nirgends finden konnte.
Stattdessen besuchte ihn jeden Morgen ein Rabe, der nicht von seiner Seite wich, bis er abends sein Haus betrat, um seinen Feierabend zu genießen.
Von den vielen Goldstücken, die er verdiente, baute er sich eines Tages ein schönes Haus mit einem großen Garten. Darin trafen sich viele Vögel und ein schwarzer Rabe.

Impressum

Texte: Coverfoto von Fotosearch
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2009

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