Erinnerungen eines Hundes
„Leonardo!“ Der junge Hund ließ sein Lieblingsspielzeug fallen, jagte über den Rasen zur Hundehütte, hechelte aufgeregt und kleffte: „Hier bin ich Opa. Was willst du von mir?“
„Schau her, Kleiner, was ich gefunden habe.“
Leonardo stellte seine Ohren auf, blickte neugierig auf das zerknitterte Foto, welches sein Opa zwischen den Pfoten hielt, und bellte enttäuscht: „Deswegen rufst du mich.“
Der greise Othello bemerkte das Desinteresse seines Enkelkindes nicht und begann zu erzählen.
„Ach mein Junge, damals, da war ich noch gesund und kräftig. Ich hatte starke Beine und viel Ausdauer. Die schönste Zeit in meinem Hundeleben waren die Ausflüge. Sonntags, wenn die ganze Familie Zeit hatte, dann haben wir immer etwas unternommen.
Wie an jenem Tag. Es war Sommer. Mein Herrchen, ein etwas strenger aber gerechter Herr, plante eine Radtour.
Das Frauchen, eine liebevolle Mutter, sie kraulte mich oft stundenlang, trommelte ihre drei Mädchen zusammen.
Die Zwillinge waren sofort begeistert, als sie über die Absicht, ins Grüne zu fahren, informiert wurden. Nur die Jüngste, die maulte zuerst ein wenig.
Mein Herrchen kramte noch den Fotoapparat aus der Schublade, und los ging es.
Zunächst radelten wir querfeldein. Dann durch den Wald. Am Ende dieses Waldes lag ein großer blauer See. Und stell dir vor, den ganzen Weg brauchte ich keine Leine. Herrlich war das. So konnte ich viel besser atmen. Das weiche Seeufer war eine Wohltat für meine Pfoten. Aber das Allerbeste an diesem Tag war, als wir am Ufer des Sees eine Pause einlegten.
Die Kinder suchten sofort nach einem dicken Stock für mich. Darauf freute ich mich schon den ganzen Weg. – Stockwiederholen – das war mein Lieblingsspiel.
Am weitesten konnte zwar mein Herrchen werfen, dafür hatten die Mädchen mehr Geduld und Ausdauer. So wie ich. Hin und wieder musste ich ein Vollbad nehmen, wenn das Holz über das Wasser segelte und im Teich landete.
Ich war nicht nur ein guter Stockwiederholer, nein, ich war auch Weltmeister im Schwimmen. Dabei konnte ich meinen Durst stillen, denn mit hängender Zunge machte das Spielen keinen Spaß.
Und heute? Heute liege ich träge und faul in meiner Hundehütte. Meine Knochen sind alt und mürbe, alles fällt schwer, sogar das Fressen.
„Armer, armer Opa“, tröstete ihn sein kleiner Enkelsohn.
Während Leonardo sich im Garten austobte, träumte Othello noch lange von der schönen alten Zeit.
„Ja, ja, die guten alten Zeiten“, jaulte er traurig. Dann schloss Othello seine müden Augen.
Texte: Coverbild by Fotosearch
Tag der Veröffentlichung: 20.10.2009
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