Der Apotheker
Bei einer Studienumfrage über die verschiedenen Ansichten der Menschen einer bestimmten Person gegenüber, wurde folgendes Ergebnis erzielt:
Es wurde deutlich, dass Menschen realitätsgerecht, komplex und individuell einzuordnen sind.
Mit dem nötigen Hintergrundwissen und einer sozialen Stellung ist die Umwelt gut zu beobachten und zu verstehen. Verhaltensweisen und Verhältnisse richtig ins Auge gefasst, ergeben gut gekennzeichnete Charakteristiken.
Wir haben uns mit einem angeblich gutsituierten, wohlhabenden, jungen Mann (Name nicht erwähnenswert) beschäftigt, der in seiner Gemeinde – laut Umfrage – folgende Personenbeschreibung lieferte.
Natürlich haben wir die befragten Personen im Vertrauen gebeten, uns eine reelle Auskunft ihrer Meinung über den netten, geschäftstüchtigen Apotheker in ihrem Ort zu geben, damit die Studie fehlerfrei abgeschlossen werden konnte.
Besonders interessant wäre natürlich auch noch die Selbsteinschätzung, um alles über sein Innenleben zu erfahren – Neigungen, Hoffnungen, Ängste, Wünsche, Träume, Tricks, Vorlieben und Schwächen aus seiner Sicht. Aber das hätte den Umfang dieser Arbeit leicht vervielfacht.
Außerdem sagen die anderen Beiträge schon sehr viel über ihn aus.
Hier die vorliegende, perfekte Personenbeschreibung aus wechselnder Perspektive.
Die Kundin:
Ach ja, der Herr Apotheker, er ist ein so netter, höflicher und gutaussehender junger Mann. Stets ist der attraktive Mensch sofort zur Stelle, wen ich die Apotheke betrete.
Auch beantwortet er mir jede Frage ausführlich – und so verständlich, davon kann sich mancher Arzt eine Scheibe abschneiden. Nichts, erscheint mir, ist für diesen hilfsbereiten Mann problematisch oder zu viel.
Sollte einmal ein Medikament, welches der Doktor verordnet hat, nicht vorhanden sein, dann gibt er einen guten, gleichwertigen Ersatz heraus. Bin ich mit dem Präparat aber nicht einverstanden, so bringt er mir persönlich das verordnete Medikament nach Hause, sobald es eingetroffen ist. Manchmal hat er sogar noch etwas Zeit, um mit mir ein Pläuschchen zu halten. Und meinen selbstgemachten Himbeer-Likör, den lobt er jedes Mal erneut, in seiner liebenswürdigen und charmanten Art.
Außerdem hat der Herr Apotheker mit seiner Heirat eine gute Partie gemacht. Die Frau Apothekerin besitzt das Geschäft und er den Verstand.
Schade, das ich nicht mehr konkurrenzfähig bin.
Der Arzt:
Erschießen sollte man diesen Großkotz. Dauernd mischt er sich in meinen Kompetenzbereich ein. Für meine Patienten bin ich bereits unglaubwürdig. Er wird gelobt und verehrt und mich beschimpfen sie als intoleranten, verständnislosen Viehdoktor oder Scharlatan. Es ist egal, welches Medikament ich rezeptiere, immer hat dieser Pillendreher etwas auszusetzen oder zu korrigieren. Ich brauche nur seinen Namen oder seine Stimme zu hören, die mir wegen der ständigen Telefonate zum Hals raushängt, dann könnte ich schon in die Luft gehen. Besonders die ältere Damenwelt liegt diesem Gauner zu Füßen. Alle meine Erklärungen bezüglich der rezeptpflichtigen Medikamente stoßen auf taube Ohren. Dabei haben wir aufgrund gewisser Richtlinien und Gesetze oft keine andere Wahl, als spezielle Präparate nicht oder nur selten zu verordnen. Auch ein Apotheker sollte sich daran halten. Aber dieser Spitzbube versteht sein Handwerk. Er füllt damit seine Kasse, und zusätzlich verdreht er den Frauen den Kopf. Geschäftlich gesehen, ist er ein Ass, aber menschlich gesehen, besitzt er einen miesen Charakter. An die Gesundheit und das Wohlbefinden der Patienten denkt der Halunke weniger. Wenn nicht bald jemand einschreitet, dann raubt er mir mit seinen Geschäftsgebaren den Verstand.
Die Angestellte:
Mir wird jedes Mal übel, wenn sich seine Frau eher als gewöhnlich aus der Apotheke verabschiedet. Dann hoffe ich immer, dass viele Kunden den Apotheker hinhalten, damit er keine Möglichkeit hat, mich mit seinen billigen Annäherungsversuchen zu belästigen. Obwohl er blendend aussieht. Auch seine charmante Art und die vielen Komplimente machen es nicht selten unkompliziert, ihm eine Abfuhr zu erteilen. Der fordernde Blick und die stechenden Augen machen mich ganz nervös. Vor allem, wenn er mich von oben bis unten mustert. Am schlimmsten sind seine sexistischen Kommentare, die lassen Hitze und Röte in meinem Gesicht aufsteigen, und innerlich bringt mich der Mann damit zum Explodieren. Trotzdem muss ich Haltung bewahren, da ich gegen ihn als kleine Angestellte ziemlich hilflos bin. Seinen Kundinnen mag er Honig um den Mund schmieren und sich durch seine schleimige Art in ihre Herzen bohren, aber meines bleibt verschlossen. Vielleicht sollte ich seiner Frau einmal einen Wink geben. Die Ärmste, sie weiß gar nicht, was für einen Heuchler ihr ehrenwerter Gatte ist. Sicherlich wird er alles leugnen, und ich kann mir anschließend eine neue Stelle suchen. Doch über kurz oder lang werde ich meinen Arbeitsplatz wechseln müssen, denn die sexuellen Anspielungen halte ich auf Dauer nicht aus.
Die Ehefrau:
Wie konnte ich damals nur auf das falsche Gehabe und auf all die Lügen meines Mannes hereinfallen?
Ich habe mich tatsächlich von seinem Aussehen und dem hinreißenden Lächeln blenden lassen. Dass er bloß auf mein Geld scharf ist, das habe ich längst bemerkt. Schließlich ist nach unserer Hochzeit nicht viel übrig geblieben von den angeblichen Gefühlen und dem Treueschwur. Auch seine verführerische Art, die er seinerzeit an den Tag legte, um mich zu umgarnen, ist ins Gegenteil umgeschlagen. Er ist ein einziger großer Reinfall für mich. Mein Ehemann hat nur noch Augen für andere schöne Dinge wie Schmuck, teueres Rasierwasser, maßgeschneiderte Anzüge, exquisite Speisen und Weine. Und für andere Frauen.
Irgendwann werde ich ihn mit einer seiner Flittchen erwischen. Aber dann lernt dieser Casanova mich kennen. Aus ist es dann mit seinen Hobbys. Aus der Traum vom Porschefahren. Wie eine Schmeißfliege werde ich diesen Schmarotzer zerquetschen. Der richtige Zeitpunkt fehlt mich noch dazu. Bestimmt wird er nicht mehr lange auf sich warten lassen, da alle gierigen Menschen den gleichen entscheidenden Fehler begehen und sich auf frischer Tat erwischen lassen.
Texte: Coverbild von Fotosearch
Tag der Veröffentlichung: 27.06.2009
Alle Rechte vorbehalten