Sommer in Shitringen
Dat Hiärtken van de Wiält, so nennen die Wettringer ihren Ort, eine Gemeinde mit Herz.
Sommer in Shitringen
„In the summertime... di di di di di di, na na na na na, di di di di di da...“, der alte Song löste meine Zunge und voller Elan übertönte meine Stimme die Musik, die aus meinem Radio schallte. Abgelöst wurde Mungo Jerry von Jürgen Drews altem Ohrwurm, „Ein Bett im Kornfeld, das ist immer frei, denn es ist Sommer...“
„Na toll!“ Sommersongs und Sommerlaune ohne Sommer.
Wie immer in diesem Teil von Deutschland! Regen und nochmals Regen!
Ich schaute aus dem Fenster, die grauen Wolken bedeckten nicht nur den Himmel, sondern auch mein Gemüt. Der Regen trommelte gegen mein Fenster, immer heftiger fiel das Wasser vom Himmel, dabei peitsche der Wind die Wolken voran. Meine Augen verfolgten einzelne Tropfen, die an meiner Fensterscheibe entlang rannen, sich mit anderen vereinten und zu einem kleinen Rinnsal wurden, das dann über die Fensterbank floss und auf den Boden klatschte.
Warum war ich nur in diesem Kaff hängen geblieben? Wie oft wollte ich mir diese Frage noch stellen? Eine Antwort darauf konnte ich mir selber nicht geben, und wer sonst vermochte darauf eine zu entgegnen. Ich lebte weit entfernt von der Sonne, vom Meer, dort wo ich mich am liebsten aufhielt, von all dem Schönen, dass der Süden zu bieten hatte. Ich liebte es, wenn der Wind in meinen Haaren spielte, meine Füße sich in weichem Sand vergruben und das Salz des Meerwassers auf meiner Haut trocknete. Wenn ich es mir leisten konnte, verschwand ich für ein oder zwei Wochen im Jahr, entweder an die Küste des Mittelmeeres oder an die des roten Meeres.
In einem Dorf, am Rande des Münsterlandes, dort wo sich Muh und Mäh gute Nacht sagen, und die Schützengilde wieder zur alljährlichen Sauf-und Gröltour einlud, dort fristete mein Leben.
Wenn es regnete, dann hier!
„Was sollte nur in den großen Ferien werden?“ die Gedanken kreisten um meinen Sohn, der bald seine sechswöchigen Sommerferien zu Hause verbringen sollte.
„Und ich? Ließ ich das Leben wieder auf mich regnen, in dieser trostlosen Gegend?“
„Ein Bett im Kornfeld...“
Der König von Mallorca grölte noch immer im Hintergrund, und sein Busenfreund Mickey Krause, Ehrensohn aus der Gemeinde, grölte hingegen irgendwo auf dem Festzelt der Schützengilde. Seine zehn nackten Friseusen brachten bestimmt die müden Beine so manch eines kernigen Junggesellen dazu, sich wippend zu bewegen. Shitringen, wie meine Tochter dieses Kaff zu titulieren vermochte, denn für die Jugend gab es keinen wirklichen Anziehungspunkt. Für die Alten und die, die noch Bibel treu lebten, lud die Kirche am Samstag und Sonntag zur Tempelfete ein, die aber auch immer weniger Resonanz bekam.
„Und was blieb mir? Nun, ich gehörte zu den Frauen, die Mann sich mitgebracht hatte, zum totrokken Volk, da zählte eine(r) nicht viel.
Die Integration für Ausländer und Grenzgänger war eher bescheiden. So entpuppte sich dat Hiärtken van de Wiält zum Ärschken.
„Summer dreaming...“
Das Barcadi-Traum-Lied zog mich in Gedanken wieder ans Meer. Sommersonne und braune Haut.
Was konnte schöner sein?
Das kleine Wettringen, wir wollen hier nicht um die Wett(e) ringen, aber wer zuerst kam malte zuerst, behielt sich vor, die Gemeinde mit Herz zu sein, doch Ehre wem Ehre gebührt, dem älteren das Recht, und mit dem richtigen Parteibuch in der Hand, durfte man dem Bürgermeister auch die Hand schütteln. Und wer ihn im schwarzen Ms-Land (Ms=Münster, nicht zu verwechseln mit Maso-Sado) artig hofierte, könnte eine kleine Chance auf Anerkennung erhalten.
Die beste Anerkennung jedoch erteilte der Chef von Amtswegen sich selber, indem er sich noch zu Lebzeiten Denkmäler, in Form von Kreisverkehre setzte. Wer neugierig sein sollte, dessen Augen wurden belohnt, denn es entstanden wahrhaftige Meisterwerke und Raritäten. Nirgends hatte ich etwaige Rondelle gesehen. „Wenn es schön macht“, ich meinte den Ort.
Bei Sonnenschein wurden diese Kreisel vielleicht mit anderen Augen gesehen, jedenfalls sind es Anziehungspunkte für den Tourismus, wenn man bedachte, dass hin und wieder ein paar Radfahrer die Dorfgrenze passierten, um im Heimathaus sich dem ländlichen Frieden hinzugeben. Bei Kaffee und Kuchen, bei Blaudruck und gepflegtem Plattdeutsch, fühlte sich dann auch ein Ausländer recht wohl.
„Tengo la camisa negra...“ jepp, Latinmusic ließ mein Herz lachen, und einen Latinlover hätte ich auch gerne dazu gehabt. In Shitringen waren die Jungs eher wie prächtige deutsche Eichen, hart im Nehmen, auch die Frau, und mit Danz op de Deel „...wird hier die Sau geschlacht, wird hier die Wurst gemacht, im schönen grünen Münsterland.“
Shitringen hatte auch einen Berg, eine dazugehörige Bergstraße, ein paar Windräder und einen Grafen, Durchlaucht war aber eher durch, und somit regierte der Bürgermeister alleine. Jawoll.
Wohl gemerkt, trotz Parteigenossen und Opposition auf jeden Fall alleine, denn als studierter Pädagoge behandelte er nicht nur die Bevölkerung, nein, auch seine Ratsmitglieder wie kleine dumme Gören, die noch nichts gelernt hatten. So blieb aber das Dorfsäckle unter seiner Kontrolle, und weil alles so dür war, brauchte Shitringen keine Angestellten. Hier arbeitete jeder gerne, freiwillig oder ehrenamtlich, weil es eh keine Arbeitsplätze gab, schon gar nicht in der Gemeinde, mussten Ein-Euro-Jobber herhalten. Denen wurde natürlich nichts versprochen, aber ihre Hoffnung geweckt, dass nach der Absolvierung der Pflichtmonate ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, vor allem, da Personal benötigt wurde, in so manch einem Aufgabengebiet.
Weit gefehlt, es wurde aber eine Verlängerung der Wiedereingliederungszeit ausgemacht, so dass der Arbeitsplatz billig besetzt war, und der Jobber nicht auf der Straße herumlungern brauchte.
Nur mit dem heiligen Geist im Handschuhfach, bzw. in der Satteltasche, immerhin war Herr Bürgermeister ein Vorbild für die Jugend, fuhr es sich leichter durch Shitringen.
„Und es war Sommer...“
Bei dem Song wurden die Träume kleiner Jungs geweckt. Ob unser Bürgermeister bei dem Song von Peter Maffay zum Träumen verführt wurde? Unvorstellbar!
Eine Union mit der Kirche war als CDU-Regent unvermeidlich, auch als ehrlich religiöser Mensch wandelte man einst bei Prozessionen mit einer Talar bekleidet vorne an der Spitze des Zuges, man teilte als ehrenvolle Aufgabe die Hostien aus, um den Draht ins Jenseits nicht zu verlieren. Vor allem aber, um auf den besseren Plätzen, vorne in der ersten Reihe bei Jesus-Christ-Superstar, unter den Gläubigen zu sitzen. Gott vergelts, auch er hatte Fehler.
Shitringen – fuhr man rein, war man auch schon wieder draußen. Während der Rushour allerdings, wurde dieses Dorf sehr belebt, die B70, die Hauptverkehrsstraße durch den Ort, und die Heimkehrer kannten leider keinen anderen Heimweg. Das mit der Umgehung war so ein Problem, vor allem konnten dann die fünf Geschäftsleute weniger Beachtung finden.
Nur wer war schon ehrlich sich selbst gegenüber? Von den Durchreisenden hielt keiner vor dem Geschäft und kaufte mal eben ein. Waren es nicht immer nur die Einheimischen, die direkt vor dem Ladenlokal parkten? Somit machte sich ein Auswärtiger gar nicht erst die Mühe, um nach einer Parkmöglichkeit Ausschau zu halten. Wie wäre es, Parkplätze für Ausländer und Grenzgänger freizuhalten?
Ohne Strafmandate verstand sich, die wussten nämlich nicht, dass hinter dem Baum oder Strauch ein Hinweisschild aufgestellt war, dass einem befahl die Parkscheibe einzustellen.
„Like ice in the sunshine...“
„Hmmmmmmm, ein Eis“, bei dem Song schmeckte man es förmlich auf der Zunge, und Eis schmeckte bei jedem Wetter.
Nur draußen sitzen war bei diesem Wetter nicht möglich, so konnte man auch ins Dorf fahren, um sich seinen Gelüsten hinzugeben. Der Italiener am Ort war bemüht, ein bisschen Straßencaféflair in den Ort zu bringen. Mit seinen drei Tischchen, die er auf dem Bürgersteig vor seinem Ladenlokal stellte, versperrte er zwar den Weg, und wer Pech hatte, musste auf die Fahrbahn ausweichen, aber es wirkte ein bisschen wie Sommer. Etwas bescheiden, so direkt an der B70, aber ein Eis mit frischen Abgasen schmeckte dennoch gut. Bei der Überlegung kam ich dann zu dem Entschluss, doch wieder zu meinem Lieblingsitaliener nach Steinfurt zu fahren. Gino's Eis war eh das Beste und mein Heißhunger wuchs.
Und wer sein Kind liebte, der nahm einen Umweg in Kauf, auch wenn der heilige Geist auf dem Gepäckträger saß, ohne Radwege war es lebensgefährlich auf dieser Straße als Radfahrer sein Ziel anzustreben. Einem LKW oder Bus musste man auf der beengten Fahrbahn nicht unbedingt begegnen, um sich vom Fahrrad schubsen zu lassen. Der Schwerlastverkehr sollte den Ortskern zwar meiden, irgendwo war auch eine Straße, die als Umleitung diente, doch auf dieser fühlten sich Skater und Rollerblader pudelwohl. Auch der geniale Kreisverkehr gab keine Entlastung für den Ortskern her. Und wenn schon Invest, dann mit Denkmal.
„Sommer in der Stadt...“
Der Moderator gab sein Bestes, damit der Sommer in jedem Haus Einzug halten konnte.
Das Lied lockte mich hinaus. Doch wohin lockte es mich?
In der Stadt sah es bei diesem Wetter auch nicht anders aus, und in Münster wurden die Bürgersteige genauso schnell hochgeklappt wie in Wettringen. Das Leben spielte eben im Süden von Europa, in jeder Stadt, in jedem Dorf.
Abends draußen sitzen, die warme Abendluft genießen und ein bisschen sinnieren.
Und draußen, nur Regen!
Wat nu? Zur Kirche? Tanken und das Auto waschen? Einkaufen? Zu Aldi oder zu Schlecker?
Ach ja, zum Doktor, falls er seine Praxis geöffnet hatte, dann freute sich auch der Apotheker.
Zum Bäcker? Der war Prima, er lockte Auswärtige in dieses Kaff, denn sein Brot und der Kuchen war lange nicht so teuer wie in der Stadt, ein absolutes Muss für jeden Backwarenfan.
Einkaufsralley in Shitringen! Alle Parkplätze waren besetzt! Stau in und um Shitringen.
„In the sum sum summertime...“
Ich wollte auch Sommer, um hinauszutreten in die Sonne. Doch wer Wasser mochte, das von oben fiel, ging angeln. Die Aa, der kleine Flußlauf bot noch Fische, wenn denn mal einer vorbeischwamm. Aber Geduld zeichnete einen Angler bekanntlich aus.
Für die Kids gab es wenigstens den Ballsport. Der männliche Nachwuchs im Fußballsport wurde vom ehemaligen Spieler Dietz, der mit seiner Fußballschule im Sommer, in Wettringen, nach Talenten Ausschau hielt, gefördert.
Einen Profifußballer hatte Shitringen schon hervorgebracht. Leider entfiel mir, bei welchem Verein der berühmte Held des Dorfes unter Vertrag genommen worden war.
Für die Schalkefans hier am Ort war es indiskutabel, dieser Fußballclub stand nicht zur Debatte. Obwohl hier drei Sprachen gängig waren (Hochdeutsch, Plattdeutsch und über andere Leute), konnte ich mir dieses wichtige Ereignis nicht merken.
„... in the sum sum summertime!“
Sommerlaune! Nur nicht bei mir. Der Himmel weinte noch immer, und dicke Tränen rannen an meinem Fenster entlang.
„Hallo Mama“, die Stimme meines Sohnes riss mich aus meinen Gedanken.
„Hallo mein Schatz“, antwortete ich leise, lächelte ihn an und freute mich, dass er wieder zu Hause war. Seine großen blauen Augen schauten mich fragend an, dann grinste er breit und fiel in meine Arme. Behutsam umschloß ich seinen kleinen Körper, küsste ihn zärtlich auf seine rosa Wangen und drückte ihn an mich, meinen Sonnenschein.
„...in the sum sum summertime!“
Und schwupps, da war ich wieder.
Mit dem Alabama-Song stieg meine Laune und ich freute mich des Lebens.
„... sweet home Alabama all summer long.... !“
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Der Gemeinde mit Herz