Love happens
Love Station
&
Du bist meine Bestimmung
von
Andrea Hofmann
„...Fahrgäste bitte alle aussteigen“, schallte die elektronische Stimme durch die Lautsprecher des Zuges. Summer zog die weißen Stöpsel aus ihren Ohren und verstaute sie mitsamt ihres Handys in der großen braunen Ledertasche auf dem Sitz neben sich und ging hinter den anderen Reisenden den schmalen Gang entlang, die Treppe herunter und verließ den Zug. Sie drängte sich an den Menschen um sich herum vorbei, die sich wie immer im Schneckentempo zu bewegen schienen und steuerte auf die Rolltreppe vor sich zu. Diese war im Gegensatz zur nicht mechanischen Alternative, die sich direkt daneben befand, total überfüllt. Wie gewöhnlich nahm sie die Stufen und war so viel schneller als die Leute neben ihr. Unten angekommen richtete sie ihren Schultergurt, der ihr unangenehm in die Haut schnitt und ging an der Drogerie zu ihrer Rechten vorbei Richtung Ausgang.
Ihr Bus fuhr in wenigen Minuten, doch sie hatte noch genug Zeit, sich eine heiße Schokolade beim Bäcker zu holen. Voller Vorfreude auf den kleinen Zuckerschock wollte sie sich in die Schlange vor der Theke einreihen, da wurde sie unsanft von der Seite angerempelt. Der Übeltäter verschwand ohne ein Wort der Entschuldigung, doch das störte sie an der Situation am allerwenigsten. Beim Zusammenstoß hatte ihre treue aber alte Tasche den Geist aufgegeben und war am unteren Rand aufgerissen. Sie hatte wirklich schon die besten Jahre hinter sich; Summer konnte sich aber einfach nicht von ihr trennen und das hatte sie nun davon.
Genervt bückte sie sich, um den Inhalt der Tasche aufzuheben, der sich auf dem Boden um sie herum in alle Richtungen verteilte. Leise vor sich hin fluchend griff sie nach ihrem Portemonnaie. Als sie es in der Tasche verstauen wollte, fiel ihr auf, dass sie dringend Ersatz brauchte, denn ein langer Riss zog sich vom Boden die Seite herauf. „Verdammter Mist!“, murmelte sie leise vor sich hin und blickte sich hilfesuchend um.
Gerade als sie den Entschluss fasste, in die Drogerie zu gehen, um sich eine Plastiktüte zu besorgen, schoben sich zwei dunkle Hosenbeine vor ihre Augen. Ihr Blick glitt an ihnen herauf. In der Hose steckte ein blaues Hemd, das von einer Jacke in der Farbe der Hose beinahe verborgen war.
Eine Polizeiuniform.
Jetzt kniete sich der Polizist neben sie und begann schweigend Summers Habseligkeiten aufzuheben und in eine Tüte zu stecken. Ihre Blicke begegneten sich. Er lächelte sie freundlich an. Summer knüllte ihre nutzlose Tasche zusammen und steckte auch diese in die dargebotene Tüte. Er reichte sie ihr und sie nahm sie dankbar entgegen. „Vielen Dank für Ihre Hilfe“, stammelte sie unbeholfen und trat von einem Fuß auf den anderen. „Gern geschehen“, erwiderte er und entblößte seine strahlend weißen Zähne.
Sie begann in ihren Hosentaschen, in denen sich immer etwas Kleingeld befand, zu kramen. „Bitte“, sagte sie und streckte ihm ihre geöffnete Hand entgegen, auf der ein paar Münzen lagen. Er hob scheinbar amüsiert eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. Röte stieg ihr in die Wangen als sie das Geld wieder in ihre Taschen gleiten ließ.
Verlegen fuhr sie sich mit der linken Hand durch ihre schulterlangen dunkelblonden Haare. Dabei fiel ihr Blick auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen. „Ich komme zu spät. Nochmal Danke für Ihre Hilfe. Ich muss los!“ Damit nahm sie ihre Beine in die Hand und rannte durch die Bahnhofshalle zu den Bussen. Gerade rechtzeitig erreichte sie die Station und hechtete durch die Tür, als der Fahrer diese gerade schließen wollte. Erleichtert ließ sie sich auf einen freien Platz fallen und schaute aus dem Fenster.
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Sie ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Ihre zarte Figur, das seidige Haar, die unglaublich tief wirkenden braunen Augen, die vollen geschwungenen Lippen und die rosigen Wangen, die ihrer ansonsten blassen Haut ein wenig Farbe einhauchten. Schon als sie die Treppe herunter sprintete, hatte er sie bemerkt. Dann lief sie an der Drogerie direkt an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken und verströmte ihren süßen Duft nach Erdbeeren und Frühlingsregen.
Er beobachtete, wie sie auf den Bäcker zuging und von einem ganz in schwarz gekleideten Jungen angerempelt wurde. Zu gern hätte er diesen Rüpel zurechtgewiesen, doch er blieb wo er war und starrte stattdessen weiterhin diese Frau an, deren Tasche sich von ihrer Schulter gelöst hatte und dessen gesamter Inhalt sich nun auf dem Boden verteilte. Schnell ging er an die Kasse hinter sich, warf ein paar Münzen auf die Glasplatte und nahm sich eine große Tüte vom Ständer. Damit ging er schnellen Schrittes zu der fremden Frau, die nun auf dem Boden kniete und ihre Sachen zusammensuchte.
Ihr Kopf hob sich, als wolle sie sich umsehen, blieb aber an seinen Beinen hängen. Eine leichte Röte breitete sich auf ihren Wangen aus, als er sich nun ebenfalls hinkniete und wortlos nach den Dingen auf dem Boden griff und sie in die Tüte steckte. Sie war wirklich zuckersüß und so wunderschön! Er musste etwas sagen, doch kein Wort kam über seine Lippen.
Nun streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Er schmunzelte und hob eine Augenbraue. Wollte sie ihm tatsächlich Geld für diese blöde Plastiktüte geben? Er bemerkte wie sich das Rot ihrer Wangen vertiefte. Sie wirkte verlegen, was sich deutlich an ihrer Haltung widerspiegelte. Als ihr Blick auf ihre Uhr fiel, fuhr sie erschrocken zusammen und hatte es plötzlich sehr eilig. Er wollte noch etwas sagen, doch sie war schneller, bedankte sich und verschwand.
Verärgert über sich selbst verzog er sein Gesicht und machte sich auf den Weg, eine Runde durch den Bahnhof zu drehen. Da fiel sein Blick auf ein kleines blaues Buch, das ein paar Meter von ihm entfernt lag. Es gehörte sicher ihr, unbemerkt musste es über den Boden gerutscht sein. Schnell griff er danach und betrachtete es voller Ehrfurcht. Sollte er es öffnen? Was wenn es ein Tagebuch war? Aber dann sollte er es vielleicht erst recht öffnen, um so einen Anhaltspunkt zu finden, wie er ihr das Buch zurückgeben könnte. Oder sollte er es einfach beim Fundbüro abgeben, in der Hoffnung, dass sie dort danach suchen würde? Nein. Er war zu egoistisch. Er wollte sie unbedingt wieder sehen aber dazu musste er wissen, wie er ihr noch einmal begegnen konnte.
Neugierig schlug er das Buch auf. Es war ein Terminkalender, wurde ihm schnell klar. Sehr gut. Es wäre ihm unangenehm gewesen, ihre Geheimnisse und tiefsten Gedanken ohne ihre Zustimmung zu ergründen.
Auf der Suche nach einem Namen blätterte er durch die ersten Seiten. Doch dort wo ihr Name hätte stehen sollen, waren nur leere Zeilen. Enttäuscht blätterte er weiter durch die Seiten bis er schließlich zum Monat März kam. „Vorstellungsgespräch“, stand an einem Mittwoch in Großbuchstaben, darunter Uhrzeit und Ort. Es handelte sich um eine kleine Stadt ungefähr zwanzig Minuten von hier. Durch die nächsten Seiten erfuhr er, dass sie Studentin sein musste. Es fanden sich vereinzelte Abgabetermine für Hausarbeiten oder Seiten eines Buches, die sie lesen sollte. Vor einer Woche standen Informationen, die ihm sagten, mit welchen Zügen sie täglich fuhr und was sie für ihr Praktikum noch erledigen musste.
Morgen würde sie den ganzen Tag lang an der Uni sein, doch übermorgen könnte er sie um die selbe Uhrzeit wie heute abfangen. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er das Buch schloss und endlich seine Runde drehte.
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„Lesen Sie bitte das nächste Kapitel, wir fangen dann nächste Woche mit einer kleinen Diskussionsrunde an“, beendete der Dozent gerade das Seminar und entließ die Studenten in die Mittagspause. Stühle rückten, Papiere raschelten, als alle ihre Sachen zusammenpackten und eilig den Raum verließen. Nur Summer saß noch auf ihrem Platz und wühlte in ihrer Tasche herum.
„Beeil dich! Sonst sind wir wieder die letzten in der Schlange“, drängte Isabell und stand bereits fertig neben ihrem Tisch und wippte auf den Zehen vor und zurück. „Moment noch. Ich suche meinen Terminkalender“, seufzte Summer frustriert. Er musste doch da drin sein! Gestern hatte sie alle Gegenstände aus der Plastiktüte in ihre Stofftasche gesteckt. Der Terminkalender musste dabei gewesen sein, sie hatte ihn erst gestern an der Arbeit benutzt, um sich einen Termin für Montag zu notieren. Aber auch nachdem sie die gesamte Tasche auf dem Tisch ausgeleert hatte, fehlte von dem kleinem blauen Buch jede Spur. Hatte sie es zu Hause liegen gelassen? Daran konnte sie sich nicht erinnern. Aber wo sollte er sonst sein? Darum würde sie sich später kümmern müssen.
„Hast du dich jetzt endlich von deiner alten Tasche trennen können? Das Teil ist ja beinahe schon auseinandergefallen“, scherzte Isabell als die beiden in der Schlange vor der Mensa anstanden. Summer schüttelte traurig den Kopf. „Ich habe mich nicht freiwillig von ihr getrennt, das müsstest du doch wissen“, knurrte sie. Sie erzählte ihrer Freundin vom gestrigen Vorfall und erwähnte auch den Polizisten, der ihr geholfen hatte.
„War er süß?“, fragte sie gerade heraus und zwinkerte ihr neckend zu. „Ich stehe auf Männer in Uniform“, säuselte sie weiter und geriet förmlich ins Schwärmen.
„Also, war er heiß?“, wollte sie schließlich wissen als sie ihre Tabletts auf einem freien Tisch abstellten und sich setzten. Summer verdrehte genervt die Augen. „Er sah ganz nett aus“, erwiderte sie und wechselte schnell das Thema und fragte, wie Isabell ihr Praktikum gefiel.
Doch ihre Gedanken drifteten immer wieder zu dem Polizisten ab,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3519-4
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