Als ich ihm gegenüber stand, hatte ich Gewissheit. Es war vorbei. Ich hätte wissen müssen, dass es so kommen würde. Vielleicht habe ich es auch gewusst. Die Zeichen waren eindeutig und jedem in dieser Welt war bekannt, dass es niemals gut ausgeht, wenn man sich mit einem Ratsherren anlegt. Dieses Risiko war es mir wert. Ich konnte die Dinge nicht dabei bewenden lassen.
„Giaccomo, ich habe dich gewarnt, mein Schüler. Mir bleibt keine Wahl.“ In seinen dunkelbraunen Augen schimmerten Tränen aus väterlicher Sorge. Er war mein Mentor vierzehneinhalb Jahre lang. Er war mir Vater und Schinder übelster Sorte gewesen. Doch immer war er da, wenn ich ihn brauchte. Er hatte mir alles beigebracht, alles geschildert und gelehrt, was ich wissen wollte. Das war das Prinzip unserer Bruderschaft. Der Meister lehrt, was der Schüler begehrt! Und ich war begierig, bin es auch heute noch.
Langsam, wobei er das leichte Zittern seiner Hände, welches ein altes Trauma aus früheren Zeiten hinterlassen hatte, nicht verbergen konnte, erhob er sich von seinem Schreibpult und trat auf mich zu. Die umstehenden Ratswachen strafften sich, als befürchteten sie einen Angriff meinerseits.
Unmittelbar vor mir kam er zum Stehen und umarmte mich, mit festem Griff. Ohne das Zittern in seiner Stimme zu verbergen, flüsterte er: „Warum hast du nicht auf mich gehört? Warum? Giaccomo, warum?“
„Ich konnte es nicht Meister. Ich konnte sie nicht allein lassen. Ich wollte ihr das Leid ersparen...", nun musste auch ich Tränen hinunterschlucken..., "auch wenn dies unser beider Tod bedeutete.“ „Und das wird es verdammt nochmal“, stieß mein Meister zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, bevor er die Umarmung löste und sich straffte. „So sehr liebst du sie?“, fragte er dann und seine Frage war so väterlich und liebevoll, dass ich keine Wahl hatte, als die Wahrheit zu gestehen: „Ja, das tue ich aus tiefstem Herzen!“
Ihr Name war Sofia. Sie hatte mein Herz im Sturm erobert. Ihr wallendes schwarzes Haar und die rehbraunen Augen hatten mich schon bei unserer ersten Begegnung in ihren Bann gezogen. Doch sie war nicht wie ich, keine Magierin. Sie war eine Amazone der Ratswache, sie sollte zur Soldatin, zur eisernen Hand und Schützerin des Rates ausgebildet werden. Die alten Schriften verbieten jedweden näheren Kontakt zwischen Magiern des Rates, ihren Schülern und Angehörigen der eisernen Hand. Die Altvorderen wollten stets verhindern, dass Rat und Ratsgarde jemals zu eng miteinander verwoben werden, um so Machtmissbrauch einzudämmen. Die Magier des Rates waren hochgebildet und befähigt jedwede Art von Magie zum Wohle des Volkes und unserer Welt zu nutzen. Die Ratsgarde dagegen beherrschte jede Art des nichtmagischen Kampfes und war durch Bannzauber aller Arten gegen jedwede Magie geschützt, um nicht nur den Rat, sondern auch das Volk vor dem Rat zu beschützen.
Nichts birgt mehr Gefahr in sich als ein Magier, der die Kontrolle über seine Fähigkeiten verliert! So steht es über den Quartieren der eisernen Hand geschrieben und nichts und niemand sollte jemals daran zweifeln. Ein Magier, der ein oder mehrere Mitglieder der Garde um sich scharen konnte, war fähig alle anderen Ratsmitglieder auszuschalten oder zu unterwerfen.
Somit war die Verbindung zwischen Sofia und mir von Anfang an in Gefahr. Nächtelang löcherte ich meinen Meister mit Fragen, studierte in der Bibliothek, um alle Arten von Verschleierungszaubern zu erlernen. Der Meister lehrt, was der Schüler begehrt! Dennoch wurde der Meister skeptisch und ließ stets mahnende und warnende Worte hören, doch ich war taub und blind vor Liebe. Er wusste jedoch genau, was hinter dem Rücken des Rats vor sich ging. Er war ein Meister darin, alles und jeden zu durchschauen und nichts als die reine Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. War es ein Fehler seine Warnungen ignoriert zu haben? Nein!
Auch jetzt bereue ich nichts. Fünf Jahre dauerte nun schon die Affäre mit Sofia und wenn es nach mir ginge, würde sie ewig dauern... nein, dann würde sie bekannt werden und alle sollten uns in Ruhe unsere Liebe leben lassen. Doch mein Wille ist nicht mehr von Bedeutung. Nichts ist mehr von Bedeutung. Draußen erschallten Trommeln. Mein Meister trat neben mich und legte mir seine Hand auf den Rücken, während eine der Ratswachen auf die andere Seite trat und mir mit einem Schlag mit dem Schaft seiner Pike deutete loszugehen. Langsam gingen wir auf den Durchgang zum Balkon zu. Der rote Stoff wehte im Wind und lies die Schläge der Trommel zu uns hinein dringen.
Ich hörte wie mein Meister, Falco erster Ratsvorsteher und Meister schwarzer und grauer Künste, Magister der Schattenmagie und oberster Lehrmeister aller Jungmagier tief einatmete, bevor der Vorhang beiseite gerissen wurde und wir ins rot orangene Licht der aufgehenden Wintersonne blickten. Die Luft war kalt und klar. Unser Atem verwandelte sich, sofort nachdem wir den Vorhang durchschritten hatten in weiße Nebelbänke, die der Wind mit sich trug.
Als sich meine Augen an das plötzliche Licht gewöhnt hatten, sah ich das Spektakel der Grausamkeit. Auf dem Hof des Ratsschlosses war eine großes hölzernes Podest errichtet worden. Auf diesem thronte eine mächtige Guillotine aus schwarzem magischen Gestein, die noch völlig im Schatten liegend kaum erkennbar war. Nur die scharfe Schneide des Fallbeils blinkte in den ersten Strahlen des neuen Tages auf. Die Trommler erhöhten die Geschwindigkeit ihrer Schläge, ansonsten herrschte Stille unter den teils verängstigten Novizen und den düster dreinblickenden, teils enttäuschten, teils betrübten Jungmagiern, Ratsgardisten, ihren Anwärtern und Ratsmagiern, welche sich zu hunderten auf dem Hof drängten. Es wurde nicht einmal geflüstert.
Keine zehn Meter von uns entfernt, auf dem Balkon der Ratskammer strafften sich die Wachen der eisernen Hand. Die obersten Ratsmitglieder betraten die Szene. Die meisten von ihnen mit gesenktem Haupt und hochgeschlagenen Kapuzen. Nur eine Magierin stach aus der monotonen Masse aus grauen Gewändern heraus.
Feuerrot leuchtete das Haar von Natascha, selbsternannte Herrin der Wahrheit und Großinquisitorin der Flammenmagier. Sie lächelte triumphierend. Ihr Verdienst war es, dass ich heute hier stand, sie hat meine Geliebte und mich ans Messer geliefert. Nicht durch ihre magischen Fähigkeiten, denn sie war, wie mein Meister sie stets zu beschreiben pflegte, mehr Schein als wahre Feuersglut. Falco hatte ihre Position schon viele Male angefochten und jedem war aufgefallen, dass erstaunlich viele ihrer Gegner und auch der einstige Großinquisitor, sowie sein eigentlicher Nachfolger ein frühes Ende gefunden hatten. Gefährlich war sie, ohne Zweifel. Doch eher zwang sie ihre Opfer mit Hinterhalten, statt mit wahrer Magie in die Knie. Doch obendrein war sie geschickt, ihre Teilhabe zu verbergen und somit unangreifbar in ihrer Position.
Sie hatte sich in den gutaussehenden, jungen angehenden Ratsmagier verliebt, der ich war. Mit den Gedanken bei Sofia, wies ich jeden ihrer mehr als aufdringlichen Annäherungsversuche zurück. Zu meinem Leidwesen vertrug diese Frau, welche durchaus wunderschön und mit den weiblichen Reizen, mit denen sie zu spielen wusste, in ihrer holdesten Form gesegnet war, wobei mein Meister immer Zweifel an der Echtheit ihrer femininen Formen hegte, keinerlei Zurückweisungen. Falco warnte mich, dass sie es nicht gewohnt war zu verlieren und er ermahnte mich, ihr niemals einen Grund zu geben. Doch mit meiner widerrechtlichen Beziehung zu Sofia bekam sie Diesen. Eifersucht und Gier wurden uns zum Verhängnis. Natascha wendete sich uns zu und ließ ihr süßestes Lächeln erscheinen, nur hatte es für mich einen mehrfach bitteren Beigeschmack... den Geschmack von Blut.
„Ich werde dich rächen mein Junge!“ Meister Falco, der Nataschas Blick mit soviel Geringschätzung beantwortet hatte, hatte zu mir gesprochen, ohne die Lippen zu bewegen. Nur durch die Verbindung unseres Geistes. „Halte stand, widerstehe der Versuchung. Wenn sie dir das wert war, dann stirb für sie in Ehre und aufrecht und nicht als Wahnsinniger, der versucht die Großinquisitorin zu meucheln, noch dazu ein Ratsmitglied!“ Die Worte meines Mentors tobten durch meinen Geist und ich gelobte, ihr diese Genugtuung nicht zu verschaffen.
Der Klang der Trommeln erstarb auf ein Handzeichen der rothaarigen Schlange auf dem Balkon der Ratskammer. Mit gebieterischer Stimme verkündete sie: „Hier seht ihr, was geschieht, wenn man die Gesetze, die von den alten Meistern aufgestellt wurden, mit Füßen tritt!“ Mit einer weiteren Geste Nataschas setzten die Trommeln wieder ein. Sofia wurde auf den Hof geführt. Zerschunden, durchnässt und vom Dreck der Kerker besudelt, gezeichnet von Folter und roher Behandlung durch die Kerkermeister zerrten sie die Wachen an eisernen Ketten auf das Podest. Mir barst das Herz. Der Schmerz war unerträglich und das Wissen, dass diese Gefühle sich noch vertausendfachen würden, unerträglich. Falcos Hand verstärkte den Druck auf meinen Rücken.
Das Fallbeil der Guillotine krachte auf eine Melone nieder und zerteilte sie im Bruchteil eines Wimpernschlags. Sofia starrte gerade aus und zuckte nicht einmal, als das Beil auf dem schwarzen Stein aufschlug. Sie war der Lethargie verfallen... nein, sie stand unter dem Einfluss eines verdeckten benebelnden Fluchs. Sie nahm gar nichts wahr! Mein Meister verstärkte den Druck in meinem Rücken für einen kurzen Moment und seine Stimme hallte in meinem Kopf wider : „Wenn die Trommeln schweigen, sprich zu ihr, nur fasse dich kurz, brauchst du zu lange, kann ich ihr das Leid nicht ersparen. Wenn ich den Bann neu aufbauen muss, wird es auffallen!“
Mein Herz überschlug sich. Mein Meister riskierte viel für mich, wenn er als erster Ratsherr wohl kaum sein Leben dafür lassen müsste, seine Position wäre verloren und er müsste als geächteter ins Exil gehen und diese Strafe kann schlimmer sein als der Tod.
Auf das Handzeichen der Inquisitorin schwiegen erneut die Trommeln. „Sofia, Liebste“, rief ich, doch sie zeigte keine Reaktion. „Sofia!“ Mein Ruf hallte nur an den Mauern des Ratsschlosses zurück. Noch einmal: „Sofia!“ Sie hob den Kopf und starrte mich an, als sei sie aus einem Traum erwacht. „Mein Herz wird immer bei dir sein. Warte auf mich Liebste, ich folge dir bald, dann sind wir für ewig vereint!“ Tränen der Verzweiflung rannen über meine Wangen. Die eisige Morgenluft brannte in meiner Kehle. All meine Kraft hatte ich in diesen Schrei gesteckt. „Liebster“, hörte ich sie von unten rufen, „ich liebe...“ „Schweigt!“, herrschte Natascha und auf ihr Handzeichen setzte der monotone Takt der Trommeln wieder ein.
Auf Sofias Lippen konnte ich noch kurz, „...dich!“, lesen, dann fiel sie zurück in die Lethargie, in der sie mein Mentor gebannt hatte, um ihr das Leid zu ersparen.
Er stand neben mir und rang um Selbstbeherrschung. Seine Stimme in meinem Kopf war voller Mitgefühl. „Ich würde deine Sinne ebenfalls mit einem Bann belegen, doch ich könnte es nicht verbergen. Zu viele Zauberer konzentrieren sich auf dich. Es tut mir Leid mein Sohn.“
Sofia wurde in dem Pranger unter der Guillotine festgeschnallt. Die Trommler erhöhten den Takt erneut. Ich sah Natascha in ihr fieses Lächeln und schrie: „Sofia, ICH LIEBE DICH!“ „NEIN“, donnerte Falco's Stimme in meinem Kopf. Ich war gelähmt, er hatte meine Bewegungen mit einem Zauber erstarren lassen. Die Trommeln erstarben und das Krachen des Fallbeils schallte über den Schlosshof. Heißer und kalter Schmerz durchzogen mich. In meinem Herzen brach ein Spalt auf und schien mich von innen zu vergiften. Es war als verbrannte und erfror ich zugleich.
Langsam erhielt ich die Kontrolle über meinen Körper zurück, doch kein Muskel wollte gehorchen ,ich brach zusammen. In meinen Ohren hörte ich nur noch das Rauschen meines Blutes, sonst nichts. Es wurde schwarz um mich herum... nichts als tiefste Schwärze und Schmerz, Schmerz so unerträglich und brennend, dass ich schreien wollte, mich von dem Balkon werfen, auf dem ich gerade eben noch gestanden hatte.
Als ich wieder erwachte, sah ich eine Menschenmenge vor mir. Allesamt mehr oder weniger bekannte Gesichter. Ich konnte weder Kopf noch Hände bewegen. Umringt von schwarzem Gestein, wurde mir bewusst wo ich mich befand. Mein ganzer Körper schien taub und meine Umwelt nahm ich wahr, als würde ich mich unter Wasser befinden. Nichts schien real. Vor mir erblickte ich die graue Kleidung eines Ratsmagiers, die schlanken Handgelenke von derben schwarzmagischen Eisenhandschellen gebunden, so fest, dass Blut die perfekt ebenmäßige Haut heruntertropfte.
Gedämpft hörte ich die Stimme meines Meisters: „...Verrats am Rat und Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutz des Volkes, sowie des magischen Missbrauchs von Ratsdienern zum schändlichsten Verstoß gegen die Privatrechte der Ratsmitglieder verurteilen wir dich Natascha, ehemalige Großinquisitorin der Flammenmagier zum Tode durch das Volksgericht! Für alle anwesenden Magier heißt das, dass Natascha alle Magiegrundlagen entzogen werden und das Volk augenblicklich nach eigenem Gutdünken mit ihr verfahren darf, wie es beliebt!“ Die Trommeln setzten wieder ein. „Halt sie fest, mein Sohn, sie wird auf dich warten!“ Die letzten Worte meines Meisters hallten in meinem Kopf, als ich das Klicken des gelösten Fallbeils vernahm.
Texte: Falco- Orcus aves
Lektorat: Stefanie Biesianczyk
Tag der Veröffentlichung: 17.03.2015
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