Der Chinese öffnete die Tür zum Hinterzimmer seines Ladens und bedeutete ihr mit einer Geste seiner Hand und durch das Beugen seines Hauptes einzutreten.
Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte und doch war sie überrascht, als sie den kleinen, dämmrigen Raum betrat. Voll gestellt mit Gerümpel, bedeckt von Jahrzehnte altem Staub schien ihr diese Kammer kaum angemessen für den Schatz, den sie barg. Zumindest hoffte sie, dass ihre Suche hier zu einem guten Ende kommen würde.
Der Chinese hatte ihr versichert, dass er ihn hatte, den Gegenstand, der für sie von solch enormer Bedeutung war. Den Gegenstand, der das Geheimnis barg. Ihr Geheimnis. Ein anderer konnte mit diesem Kleinod ohnehin nichts anfangen, soviel war ihr klar, und dennoch war sie erschrocken gewesen, als sie es verloren hatte. Nur, dass es nicht einfach so verloren gegangen war.
Sie runzelte die Stirn, als sie an ihren Exmann dachte. Natürlich hatte er nicht gewusst, was ihr dieses kleine Ding bedeutete, als er es verhökert hatte. Daher hatte ihn ihre Reaktion völlig überrumpelt. Wie eine Furie war sie ihm an den Hals gesprungen, hatte ihm das Gesicht zerkratzt, ihn getreten und bespuckt. Nach der Scheidung hatte er behauptet, das sei der Anfang vom Ende ihrer Ehe gewesen. Aber eigentlich, so war ihr im Nachhinein klar geworden, war es wohl eher das Ende vom Ende.
Mistkerl.
Der Chinese trippelte auf seinen komischen Schuhen in die Mitte des Zimmers. Dort stand, auf einem kleinen, runden Tisch eine blinde Glasglocke, auf die durch ein mit Spinnweben überzogenes Oberlicht ein schräger Lichtstrahl fiel. Der Mann hob die Glocke an und darunter kam ein handflächengroßes, rotes Lackkästchen zum Vorschein. Er verneigte sich erneut, trippelte, die Glocke immer noch in Händen haltend, hinaus und ließ sie allein.
Sie hatte es in dem Moment gespürt, als der Lichtstrahl, in dem Staubkörnchen wirbelten und tanzten, kaum, dass der Chinese die Glasglocke entfernt hatte, das Gehäuse getroffen hatte. Es war wie ein elektrischer Schlag gewesen. Ihr Herzschlag hatte einen Moment lang ausgesetzt, so, als hätte das Organ den Dienst versagt und es war ihr vorgekommen, als hätte die Zeit selbst für einen Augenblick innegehalten, eine Zäsur gesetzt im ewigen Lauf der Unendlichkeit.
Sie wusste, hier würde sie es endlich wieder finden. Alles, was sie tun musste, war das Kästchen zu öffnen und schon konnte sie den geliebten, den gehassten Gegenstand wieder an sich nehmen. Und doch zögerte sie, trat nur langsam an das Kästchen heran. Es sah so harmlos aus, wie es da stand, ein rotes Lackkästchen auf zierlichen Messingfüßen. Die Oberfläche glänzte. Ein aus Elfenbein gearbeitetes chinesisches Schriftzeichen war als einzige Verzierung in den Lack eingelassen worden.
Langsam ging sie näher heran und beugte sich darüber. Ihr Atem ging stoßweise und ließ die Oberfläche beschlagen. Erschrocken zog sie das Gesicht zurück, ganz so, als wäre sie gebissen worden.
In der nächsten Sekunde schalt sie sich einen Feigling. Sie straffte die Schultern und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus, versuchte, sich zu beruhigen. Sie ballte die Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder und schüttelte die Handgelenke aus. Ihre Finger bebten leicht, als sie die Hände ausstreckte, um das Kästchen zu öffnen. Fast liebkosend strich sie mit den Daumen über den kühlen Lack, fuhr mit dem Zeigefinger ihrer Rechten die Linien des Schriftzeichens nach. Endlich gab sie sich einen Ruck und fast schon grob stieß sie den Deckel des Kästchens nach oben.
Die Scharniere schwangen auf.
Sie lächelte.
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Tag der Veröffentlichung: 26.08.2012
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