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Bin voll auf Koks, das Blut rauscht mir im Ohr, und ich fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Ziehe hektisch an meiner Zigarette, immer und immer wieder, bis es heiß wird zwischen meinen Fingern und ich mir die nächste anstecke, noch ehe die Rotglut sich über den Asphalt verstreut.Mein gesamter Nasenraum ist taub. Pupillen sind erweitert. Ich sehe alles, spaziere durch die Nacht. Laufe. In meinem Kopf umläuft sich immer der gleiche Gedankenzyklus, frisst mich auf, fickt meinen Kopf, deswegen wechsle ich die Straßenseite. Nächste Station, Bahnhof. Der Wind pfeift mir um die Ohren und ich mach den Kragen hoch, laufe die Rolltreppe nach oben, zähle bis drei. Bahnsteig 4. Bahnhofstoilette. Greife in meine rechte Hosentasche, spüre wie das Koks, durch das Zellophan, die Luft aromatisiert. Werde ungeduldig. Pulverisiere den Grundbaustein zu meinem veritablen Ich auf der schneeweißen Klobrille, was es mir nicht einfacher macht, während mein Hirn immer den selben Gedanken schaltet – Gift. Ekstatisches Blitzen, funkelnde Augen. Dann, endlich, spüre ich, wie sich das Koks mit meinem Blut vermengt, durch meine Blutbahn rast,
meinen Herzschlag erhöht, und wie meine Körpertemperatur nach oben schießt, ins Unermessliche. Nicht messbar. Befeuchte meinen rechten Zeigefinger mit der Zunge, verteile die Überbleibsel auf meinen Zahnfleisch, bis dort alles taub wird. Totale Zerstörung.
Fliege rauchend durch die Bahnhofshalle, vorbei an diesen Versagern, die sich an ihren Bierdosen festhalten, weil sie nicht zurechtkommen mir ihrem Leben, weil es traurig ist und einen doch wütend macht. Weiß nicht, welche Richtung ich einschlagen soll, habe die Orientierung verloren, weil alles gleich aussieht, in einer standardisierten Plastikwelt, in der Bäume aussehen wie aus Wachs gegossen. Doch ich muss in Bewegung bleiben, darf nicht stillstehen, weil ich unter Strom stehe; weil mein Akku voll ist. Restlos. Zerfleische den Kaugummi zwischen meinen Zähnen, während ich durch ein urbanes Lichtermeer sprinte. Will weglaufen, weil es mich in die Irre treibt,
wie sich der Geruch von verbrauchtem Benzin und Asphalt seinen Weg durch meine verstopfen Nasenlöcher bahnt und mein gesamtes Inneres kontaminiert. Aufheulende Motoren geben mir das Gefühl, dass alles nur ein Traum ist – eine Imagination –, bis ich den Regen auf meiner Haut spüre, weil er echt ist, ebenso wie die nackte Haut, die gesäumte Straße, auf der sich viel verdienen lässt, nachts, im Dschungel voller Lügen, durch den ich mich durchkämpfe, weil ich mich verlaufen habe, in ihm. Und mit jeder Line wird das Gestrüpp dichter, während ich mich immer weiter entferne vom Ufer, ablege, in ein utopisches Meer aus Provisorien, die purifizierte Ambivalenz. Weil es die Luft ist, die ich zum atmen brauche. Weil es mich tötet. Weil ich im Treibsand versinke.
Ahnung von Depression. Meine manipulierte Gefühlswelt verblasst und das Kartenhaus fällt in sich zusammen. Monochromes Frieren. Krieche auf allen Vieren durch die Nacht, niveaulos, auf der Suche nach einem Pfandhaus, weil ich noch einen allerletzten Kredit will, einen Aufschub. Einmal will ich noch mit den Sternen tanzen, bevor sich meine leere Hülle wieder schlafen legt, in ein rostiges Stacheldrahtnest.

* * *

Der Regen lässt nicht nach, prasselt auf das Krankenhausdach. Immer Regen. Blätter durch die Zeitung. Trübe Kinderaugen, die mich anstarren, gedruckt auf billiger Tinte, die nicht gemacht ist für meine Tränen, verfließt, als wäre es nicht echt. Warte schon eine Ewigkeit auf den Arzt, darauf, dass er sich mit ausdrucksloser Mimik auf mich zubewegt. Dann werde ich die Zeitung auf die Seite legen, weil ich aufstehen muss, um seine desinfizierte Hand zu schütteln, bis er seinen Mund öffnet und meine Welt in sich zusammenfallen wird, dem Erdboden gleichgemacht. Zerbombte Seele.
Suche in meiner kognitiven Datenbank nach einer passenden Metapher, nach einer Fotografie, die das wiedergibt, was sich hier abspielt, zwischen Traum und Realität, als mir bewusst wird,
dass es keinen Sinn macht, weil ich selbst – das Krankenhaus in dem ich mich befinde, der Stuhl auf dem ich sitze, die Zeitung, in der ich lese – Teil der Metapher bin. Die Szenerie ist perfekt pointiert, bis ins kleinste Detail ausgeklügelt, als müsste es so sein, wenn die eigene Tochter im Operationsaal liegt, während man selbst zugrunde geht, an diesen schlechten Gedanken, die sich in meine Hirnhaut ätzen, wie Schwefelsäure. Doch dem Bild fehlt noch eine Nuance, ein letzter Pinselstrich: die Krankenschwester, die mir einen überzuckerten Kaffee reicht, mir Mut zuspricht, und sagt, dass alles gut wird, obwohl sie es besser weiß. Jetzt ist alles so wie es sein soll, so wie Gott es will: perfekt und endgültig. Manche Menschen beten, wenn der Tod an die Türe klopft, weil sie verzweifelt sind und Angst haben. Ich hingegen verfluche Gott, weil er mir meine Tochter nehmen wird, mein Ein und Alles, den Auftakt, der noch im Übergang krepiert; die Sonne, die im Aufgang vom Himmel fällt. Halte es nicht mehr aus, geh nach draußen, wo ich zwei Zigaretten rauche, ehe ich wieder dem Schicksal meiner Tochter zuwarte, weil ich wissen will, wie es weitergeht; was er sich für den Schluss ausgedacht hat.
Es ist soweit. Der Arzt schreitet majestätisch den Flur entlang, sein Kittel glänzt in makellosem Weiß. Spannung liegt in der Luft. Ich spiele alle möglichen Szenarien noch ein letztes Mal im Schnelldurchlauf durch. Das Atmen fällt mir schwer, ich ersticke fast.

* * *

Der Tod bedient sich wieder an Klischees, weil er ein perfektes Bild schaffen will, sodass es für immer in unseren Köpfen herumspukt und unsere Gedanken schwärzt: Er ist ein Meister seines Handwerks. Ich weiß nicht, wie er es macht, aber das Gesamtbild ist schlichtweg hochklassig – und die Leinwand gehört ihm. Vielleicht liegt es an den Kindern, die Fürbitten vortragen, direkt neben dem Holzsarg en miniature, oder an dem überschlagenden Schluchzen, das manches Mal die Schallmauer des Schweigens durchbricht und eine Kettenreaktion auslöst, weil wir im Grunde doch alle nur Menschen sind: zartbesaitet, nahe am Wasser. Ich weiß es nicht, frage mich, warum ich hier sitze, auf dieser kalten Holzbank, die bei jedem Rühren ein lautes Knirschen von sich gibt, während alle Augen nach vorne gerichtet sind, ins Zentrum unserer Trauer, die, verpackt und zugenagelt, für immer verschlossen und unerreichbar bleibt für uns. Und bald werden wir geschlossen nach draußen marschieren. Dann werden wir zu den Rosen greifen, sie in ein klaftertiefes Loch werfen, direkt auf den Sarg, bis es für immer verschlossen wird. Was zurück bleibt ist die Erinnerung und eine Kerze, die ich alle zwei Tage anzünden werde, damit sie nicht erlischt, damit meine Kleine nicht friert in der Dunkelheit. Will den Ablauf aufhalten, will nicht, dass sie begraben wird. Doch sie gehen; der Tod bremst mich aus. Unaufhaltsam gehen sie nach draußen, da wo es regnet – wo es immer regnet. Sie weinen bittere Tränen in ihre tellergroßen Sonnenbrillen, weil sie wissen, dass die Chronologie bald ihr Ende findet; dass man die Irreversible nicht überlisten kann. Asche zu Asche, Staub zu Staub – wie im Film – einen schlechten Film, ohne Happy End. Bin alleine, alle sind schon gegangen, weil sie den Anblick nicht ertragen können. Buddle mit meinen bloßen Händen in der nassen Erde wie ein Verrückter, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist – dabei will ich doch nur zu meiner Tochter. Doch bis zum Fluss ist es nicht mehr weit.

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Tag der Veröffentlichung: 29.07.2012

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