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Ein weißes Blatt Papier lag auf dem Tisch.
Die Sonne schien fröhlich und die Wolken zogen vorbei. Die Silhouette konnte sich sehen lassen.
Doch Katrin sah nicht aus dem Fenster. Sie umklammerte den Bleistift und schwieg.
Lange schwieg sie, doch den Klammergriff um den Bleistift behielt sie.
Doreen, sie war so ein schönes Kind.
„Fahrerflucht!“, schoss es ihr durch den Kopf. Sie haben sich gestritten gehabt, ihr Kind, ihr ein und alles schaute...
Sie schrie wutentbrannt, doch mit ihrem Schrei blieb die Selbstverzweiflung.
Wie Doreen zurückgeschaut hatte, als sie die Wohnung verlassen sollte?
Das Telefon klingelte, sie hörte es nicht, sie wollte es nicht hören. Katrin weinte in sich hinein. Stille Tränen flossen ihr die Wangen herunter.
„Doreen ...“, flüsterte sie, weinerlich, aber auch sehnsuchtsvoll.
Ihre Haare müssten ihr im Weg gestanden haben, als sie sich umdrehte, ihre Hand hätte sie weggestrichen. Ihr Blick verlangte nach einer Bestätigung. Doreen war stark, sie biss sich wahrscheinlich auf die Lippe, um die Tränen zu unterdrücken.
Der Griff um den Bleistift löste sich leicht, und sie bewegte ihre Hand zum Blatt.
Sie trug die Herz-Ohrringe, die Katrin ihr geschenkt hatte.
Ihre Augen, sie sehnten sich nach Liebe, sehnten sich nach ihr - nach Katrin. Doch sie erwiderte nicht den Blick, sie war zornig.
„Müll raus schaffen“, nur deswegen ist ihre Tochter gestorben.
Wegen ihr!
Nun war es um sie geschehen, ihre Hand glitt über das Blatt Papier. Zuerst zeichnete sie ihre Augen, wie sie sie ansahen, dann ihre Nase. Stirn und Hals folgten. Danach ihren Arm, der die Haare hoch strich. Das Ohr mit dem Ohrring und die Haare.
Sie zeichnete Schatten ein, färbte die Haare dunkel.
Der Blick, mit dem sie, das Ebenbild ihrer Tochter sie ansah, war eindringlich, sie wollte sie nicht sehen! NICHT!
Das Telefon klingelte erneut.
„NICHT!!!!“, schrie sie nun und warf mit einer Handbewegung alles, was auf dem Tisch war auf den Boden. Doch Doreen sah sie weiter an. Hörte einfach nicht auf.
So schloss Katrin die Augen und ging ins Bett, zog das Kissen über den Kopf und weinte bitterlich.
Aber das Telefon hörte nicht auf zu klingeln.
Wieder schrie sie auf, nahm in der Wut ihr Kissen und warf es.
Das Kissen traf das Telefon, aber auch die Glasvase mit den Tulpen, die auf dem Boden zersplitterte.
>„Spiel nicht damit rum!“
„Mami! Mami, schau, da ist ein Marienkäfer! Mami!“
„Doreen!“<
Schoss es ihr durch den Kopf.
Die Tränen schossen mit der Erinnerung in die Augen. Katrin wollte aufstehen, die Scherben beseitigen, das Wasser aufwischen, doch als sie stand, wurde alles schwarz, ihr wurde übel und sie stürzte zu Boden.

2 Stunden zuvor.
„Mama! Alles Gute zum Muttertag!“ sagte Doreen mit einem Lächeln und weckte ihre Mutter.
„Danke mein Engel!“, sagte Katrin, als Doreen mit einem Strauß Tulpen in ihr Zimmer schritt.
„Die sind ja schön!“, sagte Katrin und beugte sich vor, „und wie sie duften! Herrlich!“
„Bitte sehr Mama.“ sagte Doreen nur und gab ihrer Mutter einen Kuss auf den Mund.
„Aber die muss man in eine Vase stellen, dass sie frisch bleiben!“, sagte Katrin zu ihrer Tochter und stand auf.
„Welche Vase willst du?“, fragte Katrin und strich über den Kopf von Doreen.
„Die da!“, meinte sie und zeigte auf die hinterste Vase.
Schnell stellte sie die Vasen zur Seite und holte die hinterste heraus. Sie stellte die Vase auf den Tresen.
Trotz Muttertag wurde das morgendliche Ritual vollzogen. Sie geht joggen und Doreen macht sich das zum Frühstück, worauf ihr der Appetit stand.
In Bonn war es nicht schwer, in Frieden zu joggen, und das nicht in den großen Straßen. Vor allem in Holzar nicht, hier hatte sie den Wald vor sich.
Wenn sie wieder da war, setzte sie sich normalerweise an die Arbeit und machte zu Hause Überstunden. Das Geld hatte Katrin bitter nötig. Das Haus, in dem sie lebten, war noch lange nicht abgezahlt.
Zu viele Kredite standen offen.
Als sie nach Hause kam, erlebte sie zwar nicht das Grauen, sondern etwas Unerwartetes.
Doreen kochte für sie, Rührei. Maik, ihr ehemaliger Mann hatte es ihr beigebracht.
„Danke Schatz, du weißt aber, dass ich am Morgen nichts ess“
„Guck, wie das duftet!“ forderte Doreen auf.
„Ja, fein gemacht“, belog sie ihre Tochter. Seit dem Maik sie betrogen hatte, hasste sie Rührei.
„Aber ich glaub mir geht’s nicht so gut.“, log sie weiter.
„Wie immer! Dir geht’s nicht gut! Du hast keine Zeit! Und immer das Gleiche! Danach kommt aber noch das >Ich hab dich lieb< von dir!“
„Hab ich doch auch!“
„Dann belüge mich nicht!“, sie hatte es also bemerkt.
„Mach ich doch nicht!“, verstrickte sie sich weiter in Lügen.
„Machst du aber, immer und immer wieder!“ protestierte Doreen.
„Schaff den Müll raus! Geh auf den Spielplatz, aber geh!“ sagte Katrin wütend, wütend, da sie nichts mehr auf der Hand hatte, wütend über die Einsicht...

Doreen nahm den Müllbeutel, ihren kleinen Rucksack und öffnete die Wohnungstür.
Sie drehte noch ihren Kopf nach hinten und sah ihre Mutter schweigend an.
Sie wusste es, sah aber nicht hin.
Ihre Tochter kam nicht wieder, nur zwei Polizisten, die fragten, ob der Rucksack ihrer Tochter gehöre.
Es war der Rucksack gewesen, also bejahte sie.
Ein Polizist sprach sein Mitleid aus, ihre Tochter sei von einem Autofahrer überfahren worden, er hatte Fahrerflucht begangen.
In dem Moment schlug sie die Tür zu und setzte sich an den Schreibtisch.

Und nun lag sie da und regte sich nicht, atmete nicht, dachte nicht, lebte nicht ...

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Tag der Veröffentlichung: 08.07.2012

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