Cover

Für Cindy – wo auch immer sie sein mag




Der Hund auf dem Titelbild ist mir leider nicht persönlich bekannt, es ist ein gekauftes Bild.

Cindy sah etwas anders aus, ein bißchen feiner und zarter, aber ansonsten ähnelt ihr der Titelhund äußerlich sehr.

Cindy

war ein echter Chow Chow, mit einem richtigen Stammbaum. Angeblich. Denn rückblickend zweifle ich die Echtheit des Stammbaums an, und der Verbrecher, der sich „Züchter“ nannte, hat nur Glück, dass ich ihn nicht mehr finde. Ist auch alles zu lange her, rund 30 Jahre. Damals konnte man nicht im Internet recherchieren, nicht online stapelweise Bücher auswählen, sondern war auf Zeitungsannoncen angewiesen. So eine Anzeige führte uns zu Cindy.

Ich hatte zwei Herzenswünsche: endlich Reitunterricht und einen eigenen Hund

. Zwar hatte ich durch meine Nachbarsfreundin engen Kontakt zu Hund und Pferd, aber eben nur als Besucher, das ist nicht vergleichbar. An meinem zwölften Geburtstag erbarmten sich meine Eltern, ich bekam einen Gutschein für Reitunterricht.

Nun hatte meine Mutter panische Angst vor Pferden und dazu schon gar keine Lust, mich einmal wöchentlich in den per Bus nicht erreichbaren Reitstall zu kutschieren. Der Gutschein wurde und wurde nicht eingelöst, aber irgendwann baten meine Eltern mich zu einem Gespräch. Ich wurde gefragt, ob ich, um Mutters Nerven zu schonen, bereit sei, den Reitunterricht gegen einen Hund

„einzutauschen“.

Welche Frage – na klar !



Ich wälzte Bücher auf der Suche nach der geeigneten Hunderasse, denn natürlich durfte es nur ein Rassehund sein, meine Eltern waren da sehr streng. Mir war das egal, Hauptsache ein Hund. Nach ausführlichem Studium der einschlägigen Literatur stand es fest: ein Pudel

sollte ins Haus. Pudel haaren nicht, sind intelligent und leicht erziehbar, so kann man überall lesen. Zwar dachte ich (und, liebe Pudelhalter, entschuldigt mich – ich denke es noch immer) bei dem Stichwort „Pudel“ eher an Mottenkugeln und unsere ältlichen Nachbarinnen, die einen typisch getrimmten Luxuspudel hatten, aber es war ein Hund, die Rasse war mir persönlich relativ egal.

Der oben erwähnte Pseudozüchter hatte inseriert, graue Pudelwelpen stünden zum Verkauf. Vollkommen naiv in Sachen Hundehaltung fuhr unsere Familie dort hin und schaute sich erbärmliche graue Wollknäuel an. Die armen Tiere dort lebten ohne Mutter in Käfigen, vielleicht war das damals gar nicht so unüblich, aber ich vermute, auch im Jahr 1979 gab es aufgeklärte Hundekäufer und andere. Wie eben meine Eltern.

Wir standen ratlos vor dem Käfig. Bei noch so großem Hundewunsch – hier war keiner für mich dabei. Mein Vater dachte kurzfristig wieder laut über seinen Traumhund nach, einen Dalmatiner

, aber der war uns zu groß und zu lauffreudig. Der Hundehändler sah seinen Profit schwinden und führte uns den Gang entlang zu einem anderen Käfig. Dort waren zwei kleine Bärenkinder

, eines in rot und eines in schwarz. Solche Hunde hatten wir noch nie gesehen. Das seien Chow Chows

, erklärte der Vermehrer, und pries die Rasse in höchsten Tönen. Kinderfreundlich, verspielt, Familienhunde, und sehr selten und exklusiv – das Stichwort für meine modebewusste Mutter.

Der schwarze Chow Chow war deutlich teurer, also wurde es der rote, ein Mädchen namens Cindy

. Wir kauften Hund und Zubehör, bekamen Papiere und den verstörten Welpen. Ich durfte Cindy auf der ganzen Rückfahrt, ungefähr eine Stunde lang, auf dem Schoß halten und lernte gleich, dass Hunde manchmal auch eklig sind – sie kotzte mich nämlich voll, und nicht nur mich, sondern auch das tolle Auto.

Für meine Eltern war klar, dass Cindy mein

Hund und ich somit alleine verantwortlich war. Mein Geburtstagsgeschenk war eingelöst, jetzt konnte ich schauen, wie ich den Hund versorgt bekam. Ein paar Wochen noch hatte ich Sommerferien, wie es danach mit dem Hund weitergehen sollte, überlegte keiner. Das Tier hatte einfach zu warten, bis ich von der Schule heimkam, ist doch logisch.

Nichts klappte. Cindy war natürlich nicht stubenrein

. In meinem „schlauen“ Hundeerziehungsbuch stand, man müsse den Welpen nach einem Malheur mit der Nase in seine Pfütze drücken und schimpfen. Wenn das Schimpfen nichts bringt, solle man eine Tageszeitung falten und den Hund damit hauen, nicht brutal, sondern „nur“ ein bisschen, damit das Tier lernt, wer Chef ist. Mit der Hand zu schlagen sei eher kontraproduktiv, dann könne der Hund „handscheu“ werden, das will man ja nicht als Hundehalter.

Ja, so war damals die Pädagogik, nicht nur in der Hundeerziehung, sondern auch bei Kindern.

Cindy und ich aber waren seelenverwandt. Ich hasste die Zeitung, ich wollte meine beste Freundin nicht schlagen, aber meine Eltern machten mir Druck, dass Cindy endlich stubenrein werden solle. Alternative Wege zur Erziehung kannte ich nicht, ich war sehr verzweifelt.

Doch weder bei Cindy noch bei mir bewirkten Schläge etwas. Ich war ein sehr braves und schüchternes Kind, ich wusste weder damals noch heute, warum ich Haue bekam, und auch Cindy nahm die Schläge hin, zeigte aber keine „Einsicht“. Natürlich nicht, die Forschung hat längst nachgewiesen, dass ein Hund auf diese Weise nicht stubenrein wird. Er weiß einfach nicht, warum man ihn schimpft.

Die schwer erziehbare Cindy wurde aus der Wohnung verbannt. Fortan durfte sie sich nur noch im Erdgeschoss, wo mein Vater seine Geschäftsräume hatte, und im außerhalb der Wohnung liegenden Treppenhaus aufhalten. Später hatte sie immerhin das Glück, dass unsere Hofeinfahrt ein Tor bekam und sie oft dort liegen konnte.

Cindy wurde nicht stubenrein. Sie ging brav an der Leine, kannte die üblichen Kommandos, liebte mich abgöttisch, und ich sie auch, aber sie war nicht stubenrein. Natürlich nicht, schließlich hätte man mit dem Welpen sehr oft rausgehen müssen, aber außer mir lief niemand mit dem Hund, und ich hatte ja Schule, teilweise auch nachmittags. Mein Vater ließ Cindy zwar ab und zu auf den kleinen Grünstreifen in der Nachbarschaft, aber das reichte einfach nicht.

Irgendwann hatte meine Mutter genug und kündigte mir an, dass Cindy „noch diese Woche“ ins Tierheim

müsse. Sie habe die Faxen dicke, dieser blöde Hund sei einfach zu doof, aus, fertig.

Es war schrecklich

. Ich konnte nicht mehr leben ohne Cindy, ich versuchte alles, sie zu retten, aber ich hatte keine Chance. Am nächsten Tag wählte ich die letzte Möglichkeit, die mir einfiel: Ich riss aus. Nach der Schule kam ich einfach nicht heim, sondern fuhr zu einer Schulfreundin in einem anderen Ort. Damals gab es keine Handys, ich war tatsächlich einige Stunden für meine Eltern unauffindbar. Aber natürlich riefen sie dann bei den Eltern der Klassenkameradin an und machten einen großen Aufstand, von wegen sie würden sie bei der Polizei anzeigen, wenn sie mich nicht sofort heimschickten, und ähnlichen Drohungen. Ich bleib aber hart – nur, wenn Cindy bleiben konnte, kam ich heim, sonst nie wieder.

Meine Eltern gaben nach, vermutlich nur, um mich erst einmal nach Hause zu bekommen, und ich fuhr spät abends heim. Cindy freute sich wie immer riesig, aber sie war natürlich trotzdem nicht stubenrein. Meine Eltern gaben mir noch ein paar Tage, aber dann würden sie Cindy einfach heimlich wegbringen, das war mir klar.

Ich war so verzweifelt und ratlos ! Hundeschulen kannte ich nicht, wie gesagt, es war die internetlose Steinzeit. Die wenigen erwachsenen Hundehalter, die ich kannte, wussten auch keinen Rat. Cindy würde ins Tierheim kommen, das war schon sicher. Ich konnte es nicht aufhalten.

Ich dachte stundenlang nach und hatte irgendwann eine Idee: Kein Hundebuch hatte geholfen. Ich hatte Cindy geschlagen, geschimpft, ignoriert, das volle Horrorprogramm, komplett nach Vorschrift, aber ganz gegen meine eigenen Gefühle, und es hatte nicht geholfen. Vielleicht irrten die Experten, vielleicht wusste mein inneres Stimmchen es doch besser. Ich beschloss eine eigene Strategie.

Cindy und ich kuschelten, und ich erklärte ihr, dass sie ins Tierheim müsse. Dass ich nichts mehr für sie tun könne, dass sie doch bittebittebitte

endlich lernen müsse, ihr Geschäft draußen zu machen. Und dass ich keine Ahnung hatte, wie ich ihr das klarmachen könne, sie müsse einfach irgendwie verstehen, was ich meine. Das traurige Mädchen und der Hund in Gefahr saßen einsam im kalten Treppenhaus und kommunizierten. Irgendwie halt.

Am nächsten Tag machte Cindy nicht ins Haus. Am übernächsten auch nicht.

Sie


war


stubenrein !



Niemand glaubte die Geschichte, natürlich nicht, aber das war mir völlig egal – Cindy konnte bleiben

!

Heutzutage müsste ich mir diesen Erziehungsstil patentrechtlich schützen lassen, Hundetrainer mit Spezialmethoden sammeln Jünger um sich und machen viel Geld damit, dass sie sich mit Hunden gut verständigen können.

Fortan ging es mit Cindy aufwärts. Nie wieder ging ich ruppig mit ihr um. Auf ein strenges, lehrbuchkonformes „SITZ“ hatte sie immer nur zögerlich gehorcht. Jetzt aber sagte ich in einem freundlichen Ton „Cindy, setzt dich mal hin“, und Cindy setzte sich. Ich sagte ihr, dass sie vor dem Friedhof warten solle, bis ich das Grab meiner Oma gegossen hatte – und sie blieb brav und ohne Leine (das waren noch andere Zeiten) vor dem Friedhofstor sitzen und rührte sich nicht. Cindy konnte einige Tricks, sie lernte sie einfach so. Ich erklärte es ihr, und sie machte es.

Als Chow Chow

aber war sie ein echter Einmannhund

– in unserem Fall natürlich ein Einmädchenhund. Das war an sich gut so, der Rest meiner Familie verlor sehr schnell jegliches Interesse an ihr. Sie gehorchte ungern anderen Menschen. So perfekt wir beide als Team waren, so sehr konnte sie bocken, wenn mein Vater etwas zu ihr sagte.

Wenn jemals ein Mensch und ein Hund wirklich seelenverwandt

waren, dann ich, das schüchterne und leicht autistisch veranlagte Mädchen, und dieser eigenwillige Chow Chow

.

Cindy begleitete mich durch meine Pubertät, in ihr Fell konnte ich weinen, das nahm viele Tränen auf. Sie hörte mir immer zu, sie liebte mich bedingungslos, sie war immer für mich da. Leider hatte ich nicht so viel Zeit für sie, wie ich gerne wollte, und es tat mir immer weh, dass sie nicht mit in die Wohnung durfte, aber das konnte ich nicht ändern. Als ich einen Freund hatte und mir unsicher war, ob das passte, half Cindy mir. Sie ignorierte ihn vornehm. Er dagegen hatte bald keine Lust mehr, mit mir blöd durch die Wiesen zu laufen, nur weil der Hund seinen Auslauf brauchte. Es war schnell klar – der

isses nicht

.

Mein Mann

hat Cindy noch erlebt. Obwohl er keine eigenen Haustiere hatte und mit Hunden nicht viel anfangen konnte, erkannte er schnell, dass es mich nur mit Cindy im Doppelpack gab. Er begleitete uns auf unseren Spaziergängen, und Cindy zeigte mir, dass dieser Mann ein guter Mensch ist. Damals wie heute, wir sind inzwischen seit 24 Jahren zusammen und seit 17 Jahren verheiratet. Cindy hatte eine gute Nase !

Cindy war oft sehr krank

. Nach einigen Jahren stellte sich dann auch noch heraus, dass sie Krebs hatte. Man konnte sie nicht retten. Ständige Durchfälle quälten sie, irgendwann half gar nichts mehr. Sie wurde nur sieben Jahre alt.

Sie erlösen zu lassen war richtig, vermutlich haben wir einige Tage zu lange gewartet, aber wir konnten es einfach nicht. Es war der schwerste Gang meines Lebens.

Viele, viele Jahre später hatte ich endlich wieder die Möglichkeit, einen Hund zu halten. Lange dachte ich über einen Chow Chow

nach. Aber hier leben drei Kinder, die damals noch deutlich jünger waren – zu jung und wild für einen solchen Hund, der eher Ruhe sucht. Ein Einmannhund in einer großen Familie, das kann klappen, wenn man den Chow Chow-Züchtern glaubt, aber ich denke, dem Wesen

dieser wunderbaren Hunderasse kommt ein solcher Haushalt nicht entgegen. Manchmal zeigt Hundeliebe sich auch im Verzicht – kein Chow Chow für mich

.

Dafür aber fanden wir Bruno

im Tierheim. Und wer genau hinsieht, der entdeckt, dass seine Fellfarbe

ähnlich ist wie das Fell von Cindy; wer ihn kennt weiß, dass auch er nicht streng nach irgendwelchen theoretischen Regeln behandelt werden möchte, und wenn man ganz genau seine Augen

betrachtet, dann sieht man dieses Knitzige

, das auch Cindy hatte. Ein paar Jahre nach Bruno kam als zweiter Hund Duke

dazu, ein Mittelspitz

.

Eigentlich. Denn Duke ist ein Chow Chow im Kostüm

. Duke liebt alle Familienmitglieder, mich aber vergöttert er. Nur mir gehorcht er wirklich, er versteht jedes Wort, und auch er hat seine eigene Art, Dinge zu lernen.

Wer auch immer sich mit dem Gedanken trägt, einen Chow Chow

zu sich zu holen, der möge sich bitte ganz ausführlich mit dieser besonderen Hunderasse beschäftigen Ein Chow Chow

ist kein normaler Hund, mit ihm kann nur angenehm zusammenleben, wer sein Wesen

versteht.

Wenn ihr aber irgendwo jemals einen Menschen mit einem Chow Chow

seht, dann könnt ihr ziemlich sicher sein, dass derjenige ein gutes

Herz

hat.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.10.2009

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