Cover



Bildnis

gezeichnete Augen-
leblos sehen sie
aus unbewohntem Papier

Die Farben
offenbaren die
Melancholie
der Erinnerung
Der Stift...

- zerbrochen

Das Relief
erstarrt
in Angst




Auch der Tod hat einmal Verspätung



Es war ein schönes Gefühl wieder schreiben zu können.
Die Tastatur unter den Fingerkuppen klapperte vor sich hin und eine weiße Seite nach der anderen füllte sich mit kleinen schwarzen Buchstaben. Gedankenverloren sah das Gesicht aus. Die Augen auf den Bildschirm gerichtet, überlegte sie, warum sie so lange die Finger hatte still halten müssen.
Es war ca. ein Jahr her. Sie saß wie immer am Computer und ging ihrer Arbeit nach.
Noch drei Seiten und dann hatte sie es geschafft. Sie würde das Wochenende nicht arbeiten müssen, wenn sie den Abgabetermin nicht verschluderte. Ein wohliges Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Endlich würde sie mit der Kleinen in den Zoo gehen können und auf die Kirmes, die zurzeit in ihrer Stadt gastierte.
Sie tippte enorm schnell. Es war nicht ihr Stil lange an irgendwelchen Worten zu verharren. Die Änderungen, bekam sie sowieso zugeschickt. Und da reichte eine halbwegs ordentliche Rechtschreibung aus. Das Meiste machte ja doch das Programm. Kleine rote Wellenlinien zierten die Worte die es nicht verstand. Und sie brauchte nur noch nachsehen, was da nicht stimmte.
Sie hörte die Haustürschlüssel bevor sie überhaupt ins Schloss gesteckt wurden. Ein Zittern ging durch ihre Hände. Es war spät und sie wusste, er kam nie so spät ohne in der Gaststätte an der Ecke seines Büros, eingekehrt zu sein.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Eine Wellenlinie nach der anderen erschien auf dem Bildschirm. Sie tat als hätte sie ihn nicht gehört. Die weichen schwarzen Kopfhörer fühlten sich fast wie eine Art Schutz an. Sein Atem, der über ihre Schulter zu ihr drang, roch stark nach dem Billigfusel, den der Wirt Whisky nannte. Sie hatte ihren Mann schon oft auslösen müssen. Kaum eine Woche verging ohne Anruf aus der Kneipe.
Ihr Herz schlug bis zum Hals. Seine Stimme übertönte es nur mühsam.
Lallend stieß er die Worte hervor. „Wolltest du einen Wettbewerb im falsch schreiben gewinnen? Du bist doch das Letzte.“
Der Schlag kam nicht unvorbereitet. Sie zog instinktiv den Kopf zur Seite. Trotzdem traf er sie heftig und schmerzhaft. Die Haut an der Wange platzte sofort auf. Sie spürte das warme, nasse und träge Blut, wie es auf ihre Finger tropfte, die immer noch fleißig tippten. Wenn auch keine lesbaren Worte mehr.
Tränen standen in ihren Augen und sie sah nur noch schemenhaft was um sie herum geschah.
„Robert hat mit Carola gesprochen.“ Und seine aggressive Stimme tönte laut durch die verrutschten Kopfhörer. „Sie will ihn verlassen und das Kind nimmt sie auch mit. Ist eine tolle Freundin die du da hast. Diese Schlampe weiß gar nicht wie weh sie Robert damit tut. Aber das wird sie büßen!“
Und plötzlich sauste eine Faust in Richtung Tastatur. Sie traf ihre linke Hand völlig unvermittelt. Vor Schmerz schreiend rutschte sie seitlich vom Stuhl. Ängstlich sah sie zu ihrem Mann auf.
„Ich kann doch nichts für die Familiensituation von den Beiden. “Stotterte sie hilflos und kreidebleich.
„Wag dich so etwas niemals!“ Brüllte er, weiß vor Wut und warf den Drehstuhl mit voller Wucht auf sie. Blutend, zitternd und nicht mehr ganz bei Sinnen, robbte sie zur Tür. Nur noch raus aus dem Zimmer, dachte sie. Der Schmerz in ihrem Bauch war kaum auszuhalten. Sie hatte die rechte Hand schützend davor gehalten, trotzdem musste er etwas ab bekommen haben. Die große Wölbung bewegte sich heftig. Ja, sie war schwanger und sie hoffte das Kind wenigstens noch gesund zur Welt zu bringen. Sie hörte im Kinderzimmer ein leises Weinen. Ihre Tochter war von dem Krach wach geworden. Was sollte sie dem Kind sagen? Und wie hielt sie ihren Mann vom Kinderzimmer fern? Er hatte der Kleinen noch nie was getan aber in diesem Zustand hatte er keine Kontrolle mehr über sich. Sie schlängelte sich fast zur Haustüre. Sie dachte nur daran ihn vom Kinderzimmer ab zu lenken. Der kalte Stein unter ihren Beinen schien ihr Freund zu sein. Er kühlte die, durch die Stuhl-Rollen aufgerissene weiße Haut.
Sie kam nicht oft raus. Es war zwar Sommer aber durch die Eifersucht ihres Mannes, konnte sie sich kaum vor die Tür wagen.
Oft schon hatte sie die Koffer gepackt, aber er erwischte sie immer wieder. Und mit jedem Mal wurde es schlimmer.
Am nächsten Tag würde er sich wieder entschuldigen, das wusste sie. Nur half es ihr jetzt nichts.
Sie tastete sich weiter bis sie die glatte Holztüre fühlte. Aufstehen konnte sie nicht, ihre Beine ließen einfach nach. Also griff sie panisch nach oben um den Türgriff zu erreichen. In diesem Moment schlug er wieder zu. Sie hörte das Knirschen, als der Knochen splitterte, noch bevor sie mit dem Kopf gegen die Wand knallte und das Bewusstsein verlor.

Sie wusste nicht wie lange sie dort gelegen hatte aber sie merkte sofort, es war ruhig um sie herum. Absolute Stille umfing sie. Auch im Kinderzimmer war es ruhig. Die Wohnung lag im Dunkel. Sie horchte in diese, für sie fast samtene Stille hinein. Nein, kein Atemgeräusch war zu hören. Wo war er? Die Angst kroch wieder in ihr hoch. Sie sah in die schwarze Dunkelheit, doch sie konnte nicht einmal Konturen in dem fensterlosen Flur ausmachen. Ihre Hände waren dick geschwollen und es roch nach ihrem Schweiß und nach Blut. Das Licht wollte sie nicht anmachen also tastete sie wieder nach der Klinke. Mit einem leisen Surren ging die Türe auf. Das ganze Haus war ruhig. Es musste also schon mitten in der Nacht sein. Denn nur dann war selbst oben beim Nachbarn über ihnen Ruhe. Nein, keine Musik zu hören. Dachte sie und kroch in den Hausflur. Die Türe gegenüber war ihr Ziel.
Sie versuchte sich mit der Schulter bemerkbar zu machen, so fest sie konnte stieß sie gegen das glatte Holz.
Irgendwann sah sie einen schwachen Lichtschein und hörte wie Pantoffeln in der Wohnung der Nachbarn über die Dielen schlurften. Die Türe ging auf und die Nachbarin stand vor ihr. Mit weit aufgerissenen Augen, die ihr Entsetzen zeigten, zog sie die junge Frau in den nur seicht beleuchteten Flur ihrer Wohnung und schloss die Türe.
„Es bedarf keiner Erklärung.“ Sagte sie streng aber doch verständnisvoll und griff zum Telefonhörer. Die junge Frau wimmerte leise unter ihren Schmerzen und versuchte mit der dick geschwollenen Lippe einen Satz zu formulieren. Aber es kam nur ein kratzendes Geräusch aus ihrem Mund. Die Nachbarin informierte erst den Krankenwagen und dann die Polizei, zum Schluss rief sie noch ihre Schwester an, die beim Jugendamt arbeitete. Es dauert nur fünf Minuten bis der Krankenwagen eintraf. Die Schwester brauchte knapp zwei Minuten länger. Während der Notarzt die junge Frau untersuchte, die Wunden erst einmal oberflächlich behandelte und die Hände betrachtete, ging die Schwester der Nachbarin in die gegenüberliegende Wohnung um das kleine Mädchen zu holen. Sie machte Licht. Was sie vorfand ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.
Das kleine Mädchen lag leicht mit einem Nachthemd bekleidet auf dem leblosen Körper des Vaters, der scheinbar mit ihr auf dem Arm gestolpert und mit dem Kopf auf den kleinen Schuhschrank im Flur geknallt war. Das Mädchen war dabei mit der Stirn über das Holz gerutscht. Aus einer kleinen Wunde sickerten ein paar Tropfen Blut. Aber es lebte. Die Schwester nahm es vorsichtig auf die Arme und brachte es hinüber, wo der Notarzt die Sanitäter gerade anwies, die junge Frau ins Krankenhaus zu transportieren.
Knapp zwanzig Minuten später lag die immer noch blutende und zitternde Frau auf dem OP, das kleine Mädchen blieb zunächst bei der Schwester der Nachbarin und der Ehemann...

würde nie wieder schlagen...

*




Eine Woche später war die Beerdigung. Als der Sarg in die dunkle Tiefe herabgelassen wurde, stand niemand dort um zu weinen. Niemand sagte ein freundliches Wort und niemand bemerkte das leise Klopfen...

Impressum

Texte: Alle Inhalte unterliegen dem Copyright von Sylvia Beyen
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2008

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