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Schicksalsschlag

Blass ist ihre Haut, lange Finger zieren ihre Hände und abgekaute Nägel machen sie wiederum schrecklich. Wandert der Blick weiter nach oben sieht man die Verbrennungen der Zigaretten. Die ungesund grauen, rissigen Lippen umschließen schwach eine. Sie erinnern an die tristen Fassaden ihres Viertels. Sie hält sich an der Zigarette als wäre es ihr letzter Halt. Möglicherweise stimmt das, denn ihre Nerven sind gespannt und kurz vorm Zerreißen. Ihre dünnen Beine sind in ständiger Bewegung, sodass sie ruhelos auf der Parkbank sitzt. Im Gegensatz zu ihren grauen Augen, denn die verraten nichts. Der leere Blick erfasst auch meine Seele, wodurch ich nicht weiß in welche Richtung es mich zieht.
Ich würde gerne vor ihr knien und sie aufmuntern. "Es wird alles gut.", sage ich immer wieder in Gedanken und frage mich, ob es das wirklich wird. Meine Finger wollen das spitze Kinn nehmen, sodass ihr Blick gegen mich gerichtet ist statt dem Boden. Sie sollte mir in

die Augen schauen, dann lächeln durch meinen warmen Blick. Der Gedanke brennt sich in meinen Kopf und ich komme nicht drumherum einen Schritt in ihre Richtung zu gehen.

 

Allerdings fasst mich die Angst, denn ich kenne sie nicht. Woher soll ich nachvollziehen können was sie fühlt. Wer bin ich denn, dass ich ihre Leere füllen könnte? Vermutlich möchte sie nicht berührt oder angesprochen werden. Wahrscheinlich irre ich mich in meinen Vermutungen, sodass ich mich nur lächerlich mache.
Als sie sich gedankenlos die Lippe zerkaut bis das Grau sich in ein blutbeflecktes Rosa verwandelt, kann ich nicht am Fleck bleiben und setze mich zu ihr. Wortlos reiche ich ihr ein Taschentuch, denn sprechen ließe mich feige wirken.

 

Ein Sklave der Feigheit will ich nicht sein sonst würde sie mich keines Blickes würdigen. Scheu ist die Schwarzhaarige nicht. Das verrät ihre genusssüchtige Ausstrahlung im ersten Moment. Verzweiflung hemmt ihr wahres Bild und das verunsichert mich.
Sie reicht mir eine Zigarette, jedoch sind meine Lungen nicht daran gewöhnt. Aus Furcht vor verbalen Äußerungen rauche ich, wobei mein Husten mich verrät und mir warm wird. Peinlichkeiten lassen mich schnell schwitzen, aber um es zu vergessen nehme ich noch einen Zug und lehne mich zurück.

Der Anfang vom Ende

Nun sitze ich hier und fühle mich fehl am Platz, gleichzeitig wohlig angenehm mit ihr zu schweigen. Sie lehnte sich nach ein paar Zügen zurück und sah für einen Moment menschlich aus, als sie mich fragend ansah. Was würde ein fremder Antworten, wenn er sich einfach zu ihr setzt? Wahrscheinlich würde sich niemand freiwillig melden.

Ich zog nochmal an der Kippe, danach antwortete ich: “Danke.”

Ihre linke Augenbraue hob sich, daraufhin hörte ich ihre Stimme sagen: “Was willst du? Höhenflüge oder bestimmte Bedürfnisse?”

Ich verstand anfangs nicht ganz was sie damit meinte, sodass ich sie mit großen Augen ansah. Ihre ersten Worte überforderten mich. Zwei winzige Fragen brachten mich durcheinander, was habe ich mir hierbei gedacht? Shit, shit, shit! Ihr erlösendes Grinsen überraschte mich zusätzlich. Sollte ich nicht froh darüber sein, dass sie lächelte? Sie grinste wegen mir, aber im negativen Sinne. Es war eine seltsame Spannung die mich zweifeln ließ.


“Ich wollte nur hilfreich sein.”, antwortete ich mit ruhiger Stimme.

 

“Mir kann man nicht mehr helfen, aber sehr menschlich.”, sagte sie zum Himmel schauend.

 

“Denkst du, dass ich dir nicht helfen kann?”, rutschte es mir heraus. Mein Augen weiteten sich als ich meine Worte verstand.

Sie lachte: “Dummkopf, willst du ein gutes Gewissen oder weshalb nervst du mich?”

“Du sagst ich sei menschlich, dann nennst du mich Dummkopf und meinst, dass ich nur aus Eigennutz helfe?”, fragte ich verblüfft. Das war so widersprüchlich und klang schizoid.

“Deshalb bist du ein Dummkopf, weil du nicht erkennst, dass deine Beschreibung zur Gesellschaft passt.”, erneut grinste sie hessisch.

“Vielleicht bin ich ja nicht so wie der Rest der Gesellschaft?”, fragte ich gereizt.

 

Sie sah mich plötzlich ernst an: “Beweis es oder ich begehe Suizid.”

“Du hattest es die ganze Zeit vor.”, sagte ich traurig,”Habe ich recht?”

Sie sah zu Boden und lächelte traurig. Sie schien enttäuscht von sich selbst und zugleich störte es sie, dass ich ihre Lage auf Anhieb begriff.

How High?

 

Ich bat sie in die Küche und goss uns Tee auf, da fragte sie: „Bist du schwul oder warum machst du eine Teekanne?“

Sollte ich mich über diesen Ausspruch freuen? Schließlich haben wir den ganzen Weg zu mir nicht miteinander gesprochen. Mir gefiel es trotzdem nicht, deshalb sagte ich: „Warte lieber auf den Tee bevor du dich in Vorwürfe flüchtest.“

Sie grinste seltsam und fragte plötzlich: „Kann ich duschen?“

Ich nickte und fügte hinzu: „Du kannst auch deine Sachen waschen, während dessen gebe ich dir ein paar von meinen.

„Ja, klingt gut. Ich beeile mich im Bad.“, sagte sie und ich gab ihr eine Jogginghose und ein T-Shirt von mir. Als wir vor meinem Schrank standen, zeigte sie plötzlich auf meinen Lieblingshoodie. Ich legte ihn zu den anderen Sachen und sie dankte mir leise.

„Kein Problem, schalte am besten die Heizungen an. Das Bad ist groß.“, erzählte ich ihr, danach ging sie duschen und ich fragte mich in der Küche stehend, wie mir so etwas passieren konnte. Jedenfalls überlegte ich, was ich nützliches tun konnte und fing an Sandwichs zu machen, da sie bestimmt hungrig war.

Nach einer Viertelstunde kam sie in die Küche und meinte: „Das Bad ist wirklich groß. Danke für die Dusche, allerdings kam ich mit deiner Waschmaschine nicht zurecht.“

„Sind die Sachen drin?“, sie nickte,“Dann iss ein paar Sandwichs während ich sie anschalte.“, sagte ich.

Als ich zurück kam, gab ich ihr den fertigen Tee. Nachdem sie getrunken hatte, sah sie mich an und sagte: „Egal, ob du schwul bist oder nicht, wenn du dich kein Arschloch bist, dann hast du eine Beziehung.“

Ich sah sie überrascht an: „Wie kommst du darauf? Ich habe weder Mann noch Frau an meiner Seite.“

„Hm, ich hätte schwören können, wer so ordentlich und geschmackvoll ist, hat jemanden, der das schätzt. Da habe ich wohl falsch deduziert, aber nochmals danke für die Verpflegung.“

„Kein Problem.“, antwortete ich, während mir ihre Wörter durch den Kopf flogen. Ich sah sie aus dem Augenwinkel an, als ich bemerkte wie ihr blasses Gesicht leicht rosig wurde. Ihre nassen Haare tropfen auf meinen Hoodie und ihre schöne Haut ließ mich beim Anblick schlucken. Schmerzhaft realisierte ich mein falsches Handeln und konzentrierte mich auf meinen Tee.

„Du bist nervös.“, sagte sie ruhig.

Ich schluckte und wusste nicht was ich antworten sollte. Aus einem Kurzschluss antwortete ich: „Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ich aus Zufall ein Mädchen mit zu mir nach Hause nehme dessen Namen ich nicht kenne.“

„Brauchst du etwas zur Beruhigung.“, fragte sie grinsend.

Ich verstand nicht auf Anhieb bis sie eine Tüte aus ihrer Tasche zog, allerdings schüttelte ich verneinend den Kopf. Ich wollte keine Drogen nehmen. Das war noch nie in meinem Sinne.

„Sei kein Frosch und lass die Medizin auf dich wirken, danach bist du weniger verklemmt und kannst normal mit mir reden.“, redete sie wissen auf mich zu.

Ich war verunsichert durch ihre Sticheleien, sodass ich aus dem Affekt heraus zustimmte. Sie hatte recht behalten, denn nach den ersten Zügen fühlte ich schon ein angenehmes Gefühl in mir. Ich wusste wie falsch das war, doch ich konnte mich nicht wehren. Es nahm mich ein und ich sagte nach kurzer Zeit: „Lass uns einen schönen Film schauen. Hast du eine Idee.“

Sie überlegte kurz und sagte dann: „Da es scheinbar eine Premiere für dich war, empfehle ich uns 'How High', da wirst du sicherlich lachen können.“

Manipulation

 

Ich stand ein wenig neben mir und wusste nicht genau worauf ich meine Konzentration richten sollte. Einerseits lag neben mir ein Mädchen, dass ich nicht kannte. Erst vor einigen Stunden sind wir uns begegnet. Sie hatte meine Sachen an und ich tat etwas illegales gleich zu unserem ersten Treffen. Ich hatte nicht erwartet, dass mein Schicksal mich so verwirrte. Ich versuchte mich auf den mir verbleibenden Orientierungspunkt namens Fernseher zu konzentrieren. Leichter als gesagt, denn sie kuschelte sich an mich und ich befürchtete, dass sie mein Herzklopfen deutlich hörte.

Sie lächelte und meinte: „Ich bin froh, dass du nicht schwul bist.“

Meine Augen weiteten sich und ich schaute sie verdutzt an. Als ich verstand, dass meine Befürchtungen wahr wurden, errötete ich. Sie lachte mich aus, aber ihr lachen war schön. Besonders ihre Stimme brannte sich in mein Hirn ein, denn sie klang angenehm.

„Hast du zufällig Bier?“, fragte sie plötzlich.

Verwirrt wie ich bereits war, antwortete ich: „Bier?“

Daraufhin nickte sie und wiederholte: „Ja, Bier. Bringe ich dich aus dem Konzept? Du bist ein Stratege, der wenig Kontakt zu weiblichen Personen hat.“

„Ich habe Bier. Hör auf mich zu analysieren, schließlich trifft man nicht jeden Tag so ein Mädchen wie dich.“, antwortete ich leicht gereizt.

„Ein Mädchen wie mich? Wie meinst du das?“, fragte sie erstaunt.

„Du siehst gut aus und hast eine interessante Ausstrahlung. Außerdem bist du anders wie die Mädchen in meinem Alter. Du verkörperst Reife und Erfahrenheit. Tut mir leid, ich rede zu viel zweideutiges Zeug. Bitte, denk in keine falsche Richtung. Ich-“

Sie unterbrach mich glücklicherweise und sagte lächelnd: „Danke. Ist schon gut. Du brauchst dich nicht zu erklären, denn ich weiß was du mir sagen willst. Ich lasse es nicht als Kompliment gelten, obwohl du überzeugend und ehrlich auf mich wirkst, aber ich kann mit so etwas nicht umgehen. Also wird es Zeit für ein Bier.“

Ich nickte zustimmend und holte das Bier. Sie hatte ein gutes Gespür für die Gefühlslage ihres Gesprächspartners. Ihre Empathie war sehr ausgeprägt und das nutzte sie für eine undurchsichtige Manipulation. Möglicherweise gingen meine Gedanken zu weit, aber mein Instinkt warnte mich vor ihr. Vielleicht waren mir die Gefühle fremd, denn ich spürte eine anhaltende Spannung.

Sie öffnete das Bier mit dem Feuerzeug und wir stießen an. Die Lichtstrahlen der untergehenden Sonne schimmerten durch die Fenster, wodurch die Situation surreal und traumhaft erschien. 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.07.2015

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