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Mein Leben


Ich will nicht mehr …...

Ich weiß nicht mehr wann genau dieser Gedanke sich das erste mal in mir bemerkbar machte. Darf man überhaupt solche Gedanken haben, ich meine als Mutter von zwei Kindern ? Oft habe ich überlegt ob ich etwas hätte dagegen tun können, ob ich dagegen hätte kämpfen können. Wie konnte es soweit kommen, ich war doch immer ein fröhlicher optimistischer Mensch und jetzt, jetzt war ich übellaunig einfach so ohne Grund. Manchmal bin ich so dünnhäutig das mich buchstäblich die Fliege an der Wand stört. Wenn mir jemand etwas von einer neuen Idee erzählt bin ich lange nicht mehr so zu begeistern wie früher, ganz im Gegenteil, mir fallen nur noch die negativen Seiten auf und ich bin ein Meister darin diese „neue Idee“ im Keim zu ersticken. Morgens im Bad wenn ich in den Spiegel schaue und dieses Gesicht, mein Gesicht, darin betrachte überlege ich ernsthaft ob ich diese Person überhaupt noch kenne die mich dort ansieht. Diese müden Augen, wegen deren Glanz ich früher oft beneidet worden bin. Diese fahle, graue Haut, die nicht mal mehr den Hauch von rot auf den Wangen aufweist. Ein leerer Blick, hieß es doch immer ich seie so ein echtes Rasse-Weib. Nein - nichts mehr ist geblieben von dem was ich einmal war.
43 Jahre alt und doch keinen Drang, keine Neugier mehr, dem Leben noch irgendetwas ab zu gewinnen. Schon seit zwanzig Jahren bin ich nun mit meinem Mann zusammen, mit allen Höhen und Tiefen die das Leben zu bieten hat. Meine beiden Söhne sind erwachsen, der eine 19 und der andere 22 Jahre alt. Finanziell
ging es uns nie schlechter als jetzt. Wir mussten schon immer kämpfen und finanzielle Sorgen haben uns unser Leben lang begleitet, doch niemals war es so schlimm wie jetzt.
Noch vor zehn Jahren habe ich gekämpft wie die sprichwörtliche Löwenmutter, die einfach alles für ihre Kleinen tut. Irgendwie ist mir nicht aufgefallen das meine
emotionale Kraft immer mehr schwindet und ich einfach vergessen habe mich auch um mich zu kümmern.Ja natürlich gab es auch schöne Momente, die gab es immer dann wenn ich wusste meine Jungs und mein Mann haben alles damit sie glücklich sein können. Auch wenn das Geld gereicht hat um einem von ihren einen Wunsch zu erfüllen, dann war auch ich happy. Ich musste damals oft an meine Jugendzeiten denken, die ich auf einem Pferdehof verbrachte , wirklich jede freie Minute und wie glücklich ich dort war. Sogar als die Isländer den Hof aufgaben ließ mein Vater mich mit nach Island gehen, für fast anderthalb Jahre. Es war viel harte Arbeit, natürlich, aber dennoch würde ich dieses Erlebnis nicht missen wollen. Noch oft denke ich an diese Zeit, ich wäre gern dort geblieben. Man gab mir dort schon früh Verantwortung und ich fand das toll, die trauten mir was zu und ich enttäuschte sie nicht.
Mein Mann und ich, wir leben nun schon seit Jahren eher wie Bruder und Schwester, wir sind ein tolles Team was die Bewältigung des Alltags angeht, doch abends wenn wir alleine sind, dann sind wir einfach nur müde. Eine Umarmung, ein Kuss all diese Dinge sind sehr selten geworden, geschweige denn so etwas wie Erotik oder Sex. Eigentlich bin ich jemand der das für seinen seelischen Ausgleich dringend braucht, zum Aufladen des Akkus, aber naja es geht wohl eher um das Gefühl der Anerkennung und Wertschätzung. Das habe ich nun seit geraumer Zeit
auch nicht mehr. Was bin ich denn noch wert wenn ich es nicht mehr schaffe meine
Familie glücklich zu machen. Oft ist es so das ich einfach furchtbar traurig bin ohne das ich genau den Grund dafür benennen könnte. Wenn ich dann andere Paare sehe, wie zum Beispiel im Fernseher oder draußen, die Hand in Hand spazieren, lachen und fröhlich sind überkommt mich ein Gefühl der Wehmut, der Sehnsucht.
Vielleicht ist es auch einfach deshalb weil in den letzten Jahren einfach soviel Unheil über uns gekommen ist. Es fing damit an, das ich glaubte eine „Auszeit“ in unsrer Ehe würde uns wieder näher zusammen bringen. Ich dachte wenn wir uns vermissen würden, wüssten wir wieder besser zu schätzen was wir an dem anderen haben. Dann kam der erste Schicksalsschlag. Mein ältester Sohn ging mit seinem Freund von einer Grillparty nach Hause und beide kletterten in ihrem feucht fröhlichen Zustand über ein Hallendach. Jedoch hielt das Dach die Beiden nicht aus und stürzte ein. Mein Sohn fiel aus sechs Metern in die Tiefe auf den Betonboden. Als ich vor der Intensivstation saß, sagte mir der Arzt das wir nun drei Tage bangen müssten, denn wenn seine Milz einbluten würde könne er nichts mehr tun, denn eine OP wäre unmöglich, da seine Rippen freischwebend wären. Sie waren alle gebrochen. Nach acht Monaten war dann alles soweit ausgeheilt und er konnte seine Lehre fortsetzen. Mein Mann und ich zogen wieder zusammen und ein halbes Jahr später fuhren mein Mann und mein Jüngster mit einer Bekannten zu unsrer hier ansässigen Kartbahn um eine Runde dort zu drehn. Nach knapp einer Stunde rief mein Jüngster mich dann an um mir mitzuteilen das sie einen Autounfall gehabt hätten und das nun der Krankenwagen käme. Ich machte mich sofort auf den Weg ins Krankenhaus wo ich meinen Sohn mit Prellungen und einem ausgekugelten Schultergelenk vorfand. Mein Mann lag noch blutüberströmt auf einer Trage. Nach knapp einer Woche waren Beide dann wieder zu Hause ohne irgendwelche Verletzungen. Darüber war ich sehr froh. Ein viertel Jahr später erfuhr ich dann das meine Mutter noch ein paar Monate zu leben hatte, denn bei ihr wurde Leberkrebs im Endstadium festgestellt. Sie entschied sich dafür ins Hospiz
zu gehen und dort ihre letzten Tage zu verleben. Sie war schon seit Jahren alkoholabhängig, schon als ich noch Kind war. Es war immer mal mehr und mal weniger, der Grund dafür lag wohl darin das mein Vater nicht unbedingt der perfekte Ehemann war. Auch mit Gefühlen und diese zu zeigen oder gar darüber zu sprechen fiel ihm schwer. Er starb noch bevor ich 18 war, er hatte einen Autounfall und erlag sechs Monate danach scheinen schweren Verletzungen. Meine Mutter verlebte noch ein letztes Weihnachten mit uns und am 31.12. rief das Hospiz mich um 13 Uhr an um mir mitzuteilen das es nun mit ihr zu Ende geht. Mein Mann fuhr mich umgehend dorthin und ich saß an ihrem Bett bis sie um 20:03 ihr Leben ausgehaucht hatte. Ein Jahr später, wir saßen gerade beim Frühstück, als mein Jüngster plötzlich aufsprang zum Balkon lief, die Tür aufriss und mir mit zitternder Stimme sagte das er keine Luft bekäme. Ich setzte ihn auf den Sessel neben der Balkontür und zwei Minuten später sagte er voller Angst das er seine Arme nicht mehr spüren könne. Noch in der gleichen Sekunde krampfte sich sein Körper zusammen und er schrie vor Schmerzen. Endlich kam der Krankenwagen und nach einer Spritze ging es ihm wieder einigermaßen gut, dennoch nahmen sie ihn mit ins Krankenhaus. Als wir um 16 Uhr noch immer nichts von ihm gehört hatten fuhren wir dann ins Krankenhaus und fanden ihn auf der Herzintensivstation vor. Diagnose
Herzinfarkt – und das mit 17 Jahren. Es begann eine Odyssee an Untersuchungen, Tabletten, Analysen ect., aber niemand vermochte zu sagen was der Auslöser war.
Nach drei Wochen durfte ich ihn wieder mit nach Hause nehmen um ihn zwei Tage später in eine sechswöchige Reha zu schicken. Als er von dort zurück kam war er nicht mehr derselbe Mensch. Immer war er fröhlich und positiv gewesen und neugierig auf alles Neue. Jetzt war er ein in sich zurückgezogener, melankolischer, stiller Junge, der am liebsten in seinem Zimmer saß und Musik hörte.
Die Ärzte jedoch versicherten das sich sein Herz auf jeden Fall noch regenerieren würde, da er ja doch noch so jung ist. Nun ist er 19 und vor fünf Wochen haben sie ihm einen ICD implantiert, weil eben nicht wie erwartet seine Herzleistung sich verbessert hat, sondern sie sich im Gegenteil noch verschlechtert hat. Sein Traum war es eine Ausbildung bei der Bundeswehr zu machen und er hatte auch schon eine Zusage bevor das alles passierte und nun steht er mit 19 Jahren vor dem Nichts. Zur Zeit, da er keine andere Ausbildungsstätte gefunden hat, macht er Abitur und drückt erneut die Schulbank, er hatte soviel Pläne.
All das macht mich so abgrundtief traurig, denn egal was auch immer ich tue, das kann niemand mehr rückgängig machen. Meine Kraft schwindet von Tag zu Tag mehr und ich weiß nicht wie lange ich es noch schaffen werde …..

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Tag der Veröffentlichung: 14.12.2012

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