Cover

Prolog




„Jane, Jane? Hörst du mich, oh mein Gott, Jane!“, das waren die letzten Worte, die mein blankes Gehirn durchkreuzten. Ich wusste nicht wie, warum oder was geschehen war, doch ich sah die Stahlträger, die meine Brust, Hände und Knie durchbohrten, die meine Rippen zertrümmert hatten, und mich auf qualvolle Weise am Leben hielten.
Ich spürte die kalten Regentropfen auf meinem Gesicht, es war so, als ob der Himmel weinen würde - nur für mich. Ich wollte ihm sagen, er solle nicht weinen, doch ich konnte es nicht, etwas steckte in meinen Hals, etwas das mich daran hinderte, meinen Schmerz zu zeigen. Ich spürte, wie etwas aus meinem Mund hinunter lief, dennoch konnte ich es nicht schmecken.
So viele Menschen, ich konnte sie spüren, ihre Blicke, sie waren da ... standen stumm ... sollte ich lachen oder weinen?
Ich schloss meine Augen und sah sie. Sie war wunderschön wie immer.

Kapitel 1




25 Tage zuvor


Ich wurde in einem Haus geboren, in dem es keine Liebe gab; mein Leben war sinnlos. Eingeschlossen in einem Raum, das ich mein Zimmer nannte und gequält von meinen Mitschülern an dem Ort namens Schule wünschte ich mir nichts sehnlicher als den Tod.
Doch mein Köper war nur mit Narben überzogen, was mich daran erinnerte, dass ich lebte, es waren nicht die Stiche der stumpfen Messer oder des Seiles, nein - es waren die Narben, die mich daran erinnerten, dass ich machtlos war.
„Na?“, hörte ich die Stimme des blond-gefärbten Mädchens vor mir. Die Griffe der zwei anderen schmerzten, doch ich blieb still. Ich senkte meinen Kopf und wartete ab.
„Ich weiß, was du dir wünschst - den Tod, nicht wahr? Ich würde ihn dir sehr gerne erfüllen, doch es macht mehr Spaß, dich leiden zu sehen!“ lachte sie auf und zog eine Schere hinter ihrem Rücken hervor. Sie beugte sich langsam vor mich und warf meinen Kopf nach oben. Er knallte gegen die Toilettentür, doch ich blieb stumm. Ich kannte ihr Gesicht - wie sie immer ihre Lippen verzog, wenn sie sich vor mich beugte. Sie starrte einen Moment auf meinen nackten Oberschenkel, welchen mein hoch gezogener Rock preisgab, wie immer verzog sie ihre Lippen zu einem Grinsen, sie legte ihre kalte Hand auf den Schenkel und streichelte ihn. Ich spürte ein Zucken, so als würde mein Bein wissen, was gleich mit ihm passieren würde.

„Da ich dir den Wunsch nicht erfüllen kann, werde ich dir ein kleines Geschenk hinterlassen, das dich erinnert, nichts Unüberlegtes zu tun!“, sagte sie und setzte die Schere auf meinen Oberschenkel an.
Wie ein Bild, das man mit aller Kraft in ein Stück Pappe ritzt, ritzte sie in meinen Schenkel. Immer wieder setzte sie an. Ich spürte, wie jemand seine Hand auf meinen Mund presste, dass mein Schrei verstummte. Obwohl ich mit meinem anderen Bein versuchte, mich zu wehren, spürte ich, wie alles um mich herum anfing zu verschwimmen, wie in einem Rausch von Drogen zog der Schmerz mich ins Dunkle.
Erst als ich ihre kalten Hände nicht mehr spürte und das Blut meinen Schenkel hinunter floss, merkte ich, dass es vorbei war. Allein und verlassen fand ich mich in der Mädchentoilette vor mit dem Word

M
O
R
S

(Tod)

 

Kapitel 2




Als ich die Haustür aufschloss, hieß mich die Einsamkeit willkommen, nur eine Notiz ließ mich wissen, dass ich heute wieder allein sein würde. Es machte mir längst nichts mehr aus, allein zu sein.
Ich hatte mich an die Leere gewöhnt - seit ich mich erinnern konnte, war ich allein, nein ich war tot - innerlich und äußerlich. Ich kannte das Gefühl von Liebe nicht, nur die Leere. Ich zog die oberste Schublade heraus, in der die Verbandmittel verstaut waren. Ich zog den Rock hoch und riss das Toilettenpapier von meinem Schenkel. Ich sah das blutverschmierte
Wort auf meinen Schenkeln, wie es verteilt auf meinem nackten Oberschenkel stand. Ich beschloss, es abzuwaschen ehe ich ihn verband. Ich ging an dem alten Spiegel vorbei, der mein halbes Zimmer in Anspruch nahm. Es war seltsam, ich hatte die Türen des Spiegels zugeklappt, doch nun standen sie offen und zeigten mein Spiegelbild. Ich wendete mich meinem Spiegelbild zu und tastete es vorsichtig ab. Es war kalt und leer wie meine Seele.
„Jane!“ riss mich eine sanfte Stimme aus meinen Gedanken - ich warf einen Blick in mein Zimmer - es war leer. Vielleicht war es meine Mutter, doch sie hatte nie meinen Namen so sanft ausgesprochen. Als ich mich wieder zum Spiegel wandte, sah ich etwas anderes. Statt meines Spiegelbildes sah ich ein fremdes Mädchen. Erschrocken wich ich ein Stück zurück und schüttelte meinen Kopf - es war nur Einbildung, dachte ich, doch der Raum schien dunkler zu werden. Ich warf wieder einen Blick auf den Spiegel, diesmal war weder mein Spiegelbild noch das Mädchen zu sehen. Ich klappte die Türen zu und versuchte mich zu beruhigen – vielleicht lag es an der Wunde, dass ich zu viel Blut verloren hatte, dass ich Halluzinationen hatte. Ich lief zur Tür, doch sie war abgeschlossen. Einen Moment blieb ich stehen und wollte meine Hand gegen die Tür hämmern - doch es würde keinen Sinn machen - es würde mich keiner hören. Ich drehte mich langsam um, sah dass die Türen wieder aufgeklappt waren und hörte eine Stimme.
„Jane ... Jane ....!“ Ich spürte, wie mein Herz und Verstand nachgaben, so als wären sie in eine Art Trance verfallen und ehe ich wieder zu mir kam, stand ich gegen den Spiegel gepresst - ich spürte, dass etwas oder jemand mich festhielt. Als ich meinen Blick nach vorne warf, sah ich das Mädchen. Das Mädchen aus dem Spiegel. Sie stand vor mir, für einen Moment fühlte ich mich, als wäre ich ihr Spiegelbild.
Sie verzog ihre Lippen zu einem leichten Lächeln und sah mich mit ihren schwarzen Augen an. Sie sah aus wie ich: das blasse Gesicht, die leeren Augen; mit einem Unterschied - sie hatte lange schwarze Haare, während meine kurz waren.
„Jane“ fing sie an. „Ich habe dich schon lange beobachtet, so lange, dein Schmerz, deine Leere, deine Sehnsucht. Ich möchte dir helfen, deine Leere zu füllen, all die Menschen, die dir weh getan haben, all denen den gleichen Schmerz zukommen lassen. Ich weiß, das du es dir wünschst, ich weiß es.“
Ich verzog nur meine Lippen, niemand wusste, was ich durchmachte - die Leere, sie war ein Geist oder vielleicht nur eine Einbildung. Ich warf meinen Kopf nach hinten und hörte, wie er gegen den Spiegel knallte, aber es war mir egal. Ohne es zu merken, fing ich an zu lachen und sah sie an, wie sie reglos da stand.
„Wie kann ein Geist wissen, was ich fühle. Du weißt nicht wie es ist, jeden Tag aufzuwachen, nur um festzustellen das du Stück für Stück stirbst!“ Sie sagte nichts, sie kam näher, legte ihre Hand auf mein Gesicht. Statt der Kälte, die man spüren sollte, wenn ein Geist anwesend ist, spürte ich Wärme. Sie legte ihre Hände auf meine Schultern und stieg in meinen Köper, ich konnte mich nicht wehren, doch spürte ich, wie sie von mir Besitz ergriff und ich sah nicht mehr durch meine Augen, sondern durch ihre und spürte, wie meine Seele nach Blut schrie.

Kapitel 3




Obwohl ich da stand, fühlte ich mich nicht als die Person, die ich sein müsste. Ich war nicht Jane, sondern der Geist eines Mädchens, welches in meinem Köper wohnte. Ich spürte den Hass, der von ihr ausging - wie er sich mit meiner Leere mischte, dennoch waren wir unterschiedlich. Ich stand vor dem Appartement - mitten in der Nacht vor dem Haus Nr. 17 und wollte wissen, wer dort wohnte. Ich drückte die Klingel und ein kleines Mädchen öffnete mir die Tür. Ich schätzte sie auf sieben Jahre. „Ist deine Schwester da?“ fragte ich sie. Sie nickte und zeigte mir die zweite Tür. Ohne zu zögern ging ich hinein. Ich spürte, wie sich mein Herz sträubte, als ich das Mädchen vor mir sah Das Mädchen mit den blond-gefärbten Haaren. Wie sie mich ansah, für einen Moment verlor ich mich selbst. Ohne zu zögern griff mein Köper nach ihr und presste ihn auf den Boden, wie sie es mit mir getan hatte, er holte die Axt hervor - wie auf Befehl hackte mein Köper die Hand ab, während meine andere Hand ihren Mund zupresste. Ihre Schreie verstummten unter meiner Hand, unter der Lautstärke des Fernsehers im Wohnzimmer.
Ich wusste nicht, ob es ich es war, die es tat - wie ein Schatten sah ich zu, wie das Mädchen in mir mein Herz zufrieden stellte. Ich sah, wie sie zuckte, während meine Hand ihre Körperteile eins nach dem anderen abhackte - die Arme, die Beine. Ich sah zu, wie sie litt - wie sie litt, nicht schreien zu können, nicht um Hilfe rufen zu können. Wie eine zweite Person, die dieses Grauen beobachtete, sah ich zu, wie mein Köper letztendlich ihre Kehle durchschnitt. Ich spürte das warme Blut auf meinem Gesicht, es war geruchlos, dennoch warm.
„Siehst du?“ fragte sie, „das ist viel besser als der Tod!“. Mein Kopf drehte sich zum Spiegel um und ließ meinen Körper in ihm sehen, doch was ich sah, war nicht ich sondern sie.
„Wie heißt du?“ fragte ich sie.
„Nenn mich Lyn!“ antworte sie.
Vorsichtig hob ich meinen Finger, doch ehe ich mit dem Blut befleckten Finger den Spiegel antasten konnte, bemerkte ich die Anwesenheit einer anderen Person.
Es war das kleine Mädchen - ihre Augen waren geöffnet, wie gelähmt stand sie vor mir und sah auf ihre leblose entstellte Schwester. Ehe ich reagieren konnte, stand ich schon hinter ihr. Langsam fasste ich ihren Kopf und warf sie nach hinten, sodass ich ihren nackten Hals sehen konnte. Ich presste mit einer Hand ihren Mund zu und schnitt mit der anderen Hand einen Streifen in ihren Hals. Ich blickte in ihre runden kindlichen Augen, doch - ich fühlte nichts. Langsam sank sie zu Boden und ihr Blut vermischte sich mit dem ihrer Schwester.
Von diesem Augenblick an wurden wir zwei Personen. Wenn Lyn meinen Köper übernahm, wurde ich ihr Schatten und sah zu, wie sie auf Menschen Jagd machte; Menschen, die ich hasste, Menschen, die es nicht Wert waren, zu leben. Nachts wurde ich zu Lyn und tagsüber war ich Jane. Keiner wusste, wer die Morde beging, die verstümmelten Körperteile auf den Böden verstreut, Köpfe aufgespießt, Augen ausgehoben - keiner wusste, wer in der Lage war, dies zu tun - so grausam und krank zu sein.
So nannte man den Mörder Black Eye. Wie das schwarze Auge von Lyn - so tief, so schwarz - ohne Wiederkehr.

Kapitel 4




Tagsüber lebte ich mein Leben, doch es war anders - ich fühlte nicht mehr die Leere; auch, wenn das was ich tat nicht richtig war, fühlte es sich gut an.
Ich hasste mein Leben nicht, ich wünschte mir den Tod nicht, denn ich sah es jede Nacht und fühlte es jede Nacht. Es war wie der Treibstoff, der einen Motor am Laufen hielt.
Ich warf einen Blick in den Spiegel und sah mich; es war lange her, dass ich mein Spiegelbild gesehen hatte, doch ehe ich den Spiegel antasten konnte, spürte ich, wie mich etwas nach unten zog. Meine Beine gaben nach und mein Köper fiel auf den kalten Boden - wie ein zusammengestürztes Haus lag ich auf dem Boden. Ohne mich wehren zu können, sah ich, wie die Dunkelheit mich nach und nach in ihr Innerstes zog und die Bewusstlosigkeit über mich kam - wie ein tiefer Schlaf, aus dem ich nicht erwachen konnte. Ich lag auf etwas - es war nicht der Teppichboden meines Zimmers, nein - es war kalt und hart. Ich versuchte mich zu bewegen und merkte, dass ich es konnte. Das Geräusch der vorbeifahrenden Züge, die Schritte der gehenden Menschen ließ mich wissen, dass es ein Bahnhofssteig war. Langsam setzte ich mich auf und sah mich einen Moment lang um. Obwohl Menschen um mich herum waren, war es kalt, so als wäre ich alleine. Wie Marionetten gingen sie an mir vorbei, ihr Blick war starr und leer. Ich versuchte sie anzusprechen, doch sie sahen mich nicht. Ich versuchte, mich zu erinnern, was passiert war - doch nichts als Dunkelheit umhüllte meinen Verstand. Ich wusste nicht, warum oder wieso ich es tat, doch ohne nachzudenken lief ich bis zur weißen Linie und sprang. Ich fühlte, wie ich gegen etwas Hartes stieß und spürte ein Stechen. Ohne nachzudenken riss ich meine Augen auf und merkte, dass ich auf dem Boden unter dem Küchentisch saß; vor mir sah ich meinen kleinen Bruder, seine Augen sahen mich flehend an während ich mein Messer auf ihn gerichtet hielt. Sein Hemd war mit Blut überströmt und neben ihm lag ein kopfloses Tier. Erschrocken sprang ich zurück und warf ihm einen Blick zu.
„Nein! Nein! Nein!“ schrie ich und ließ das Messer fallen, ich lief in mein Zimmer zurück und sperrte die Tür hinter mir zu.
Mein Herz raste und ich schloss meine Augen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich, dass ich nicht mehr in meinem Zimmerstand, sondern auf dem Bahnsteig. Die Menschen gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach, während ich in mitten unter ihnen stand. Für einen Moment wusste ich nicht was passierte, doch was es auch war, ich spürte, dass ich mich nicht bewegen konnte. Erst als alle Menschen fort waren, sah ich jemanden vor mir stehen. Es war ein Mädchen, jünger als ich und ich merkte - es war Lyn.
Sie trug ein zartrosa Kleid und ihre langen Haare waren hochgesteckt. Es war das erste Mal, dass ich vor ihr stand und ihr Köper nicht mehr blass war und normale Farbe angenommen hatte - nur ihre Augen blieben still.
Sie sagte nichts, sah mich prüfend an, während ich versuchte mich zu regen.

„Du siehst wie deine Mutter aus!“, sagte sie. Sie hatte eine sanfte Stimme. Sie legte ihren Kopf leicht zur Seite und lächelte mich an.
„Wo bin ich?“, fragte ich.

„Warum sind wir Menschen so egoistisch? Wir nutzen egal wen aus, um die Ziele, die wir wollen zu erreichen, doch wenn es ums Geben geht, dann lassen sie einen sitzen oder versperren einem den Weg!“
„Lyn - du bist doch Lyn? Sag mir, wo ich bin? Wo wir sind? Was da eben passierte - was hast du meinem Bruder angetan?“
„Er hat mich gefragt, wie es aussehen würde, kopflos zu sein, also habe ich es ihm nur gezeigt!“ „Warum, warum hast du ihm es gezeigt?“
„Damit er es sich vorstellen kann, wie es sein wird, kopflos zu sein!“
„Lyn!“

„Jane, meine liebe Jane, hat man dir nicht gesagt, dass nichts auf dieser Welt umsonst ist?“
„Warum mein Bruder?“ „Liebe ist etwas besonders, es tut weh wenn es von einem genommen wird - richtig?“
„Antworte mir!“
„An diesem Ort, an diesem Bahnhof, liege ich, unter den Gleisen, ohne gefunden worden!“

„Was redest du?“
„Ich erzähl’ dir eine kleine Geschichte. Es war einmal ein Mädchen, wie jeden Tag stieg sie in den Zug, um nach Hause zu fahren. Eines Tages jedoch tauchten zwei wildfremde Menschen auf, sie sagten ihr, dass ihre Mutter krank wäre und sie sie abholen sollte, um sie zum Krankenhaus zu bringen. Das dumme, dumme Mädchen hörte auf sie und ging mit ihnen. Ehe sie sich versah, war sie in einem dunklen stickigen Raum gefangen. Sie wusste nicht, wo sie war oder wer diese Personen waren, die ihr so was antaten. Jeden Tag kam der Man vorbei und sagte „es tut nicht weh“. Doch die Schreie des Mädchens blieben ungehört. Die Frau dagegen schlug sie. Tag für Tag fragte sich das kleine Mädchen, warum sie es war, warum sie diese Höllenleiden durchleben musste. Sie wünschte, dass es keinen neuen Tag geben würde, dass sie endlich sterben könnte. Doch ihre Wünsche blieben ungehört. Eines Tages, als der Leib des Mädchens - geschändet und verwundet - auf dem Boden lag, kamen sie hinein. Sie dachte, sie würden sie endlich von ihrem Leid erlösen, doch sie gossen Öl über sie und verbrannten sie. Doch das Mädchen starb nicht, sie lebte. Qualvoll lag sie dort und wartete auf ihr Ende, das nicht zu kommen schien. Bis der Mann kam und sie fort trug. Er hatte ein großes Loch ausgehoben und warf sie hinein. Lebend begraben versprach sich das Mädchen, nur dann zu ruhen, wenn sie die Frau und Mann umbringen würde - so wartet das Mädchen einsam und allein. Und was lernen wir daraus?

Ehe sie diesen Satz gedacht hatte, holte mich die Realität zurück. Die Tür war eingetreten und ich sah, wie mein Vater vor mir stand. Ohne zu zögern griff er nach meinen Haaren und zerrte mich durch die Tür.
Ich sah, wie mein Bruder hinterherlief, doch er wurde von meiner Mum aufgehalten.

„Du M***** !“, schrie er und schubste mich in den Keller. Ich spürte den kalten Boden unter mir. Ich sah zu ihm auf, wie er vor mir stand.
„Wie kannst du es wagen, deinen Bruder töten zu wollen - was haben wir dir getan?“ - ich spürte seine Hand über meine Wange streifen.
Wie ein Stich durchfuhr sein Schlag mich. Bei jedem Schlag, den er mir versetzte, tauchten Bilder auf.
Es waren die Bilder eines Mädchens. Eines Mädchens mit langen schwarzen Haaren. Sie lag auf dem kalten Boden, wie ich. Das weiße Kleid - zerrissen und ihre Haut mit Kratzern bedeckt. Dieses Mädchen - dieses Kind. Mit einem Schlag öffnete ich meine Augen und starrte meinen Vater an.
„Lyn - hast du sie - umgebracht?“ fragte ich. Als er meine Worte hörte, riss er seine Augen auf und hielt inne.
„Woher - was redest du, bist du nicht bei Sinnen? Erst versuchst du, deinen Bruder umzubringen und dann das. Du ....!“ schrie er mich an.

Ich sah wieder diese Bilder, das Mädchen auf dem Boden - sie zitterte und schrie und ein Mann stand vor ihr. Wie in einem Film sah ich Lyn's Leiden - wie sie schrie und sich wehrte, ich fühlte wie es mir übel wurde und ich innerlich schrie, dass es aufhören sollte. Erst dieses schwindlige Gefühl holte mich zurück und ich sah, wie sich mein Vater von mir abgewandt hatte.
„Du warst es“, schrie ich ihn ohne nachzudenken an. „Du hast sie umgebracht - warum?“
Er blieb stehen und ich sah seinen breiten Rücken vor mir. „Es ist besser, wenn du dich von den Dingen, die dich nichts angehen, fernhältst!“ Ich spürte Lyn's Gefühle, wie sie in mir brannten, die Bilder. Jedes Mal, wenn ich meine Augen auf ihn richtete, sah ich ihr Leid.
„Das wahre Monster bin nicht ich hier …!“
„Was?“
Ehe ich es merkte, hielt ich die Axt in der Hand. Ich wusste nicht, wie ich an sie herangekommen war, doch die Gefühle für Lyn brannten - wie Feuer umhüllten sie mich.
„Wer so was tut, hat es nicht verdient zu leben!“, sagte ich und holte zum Schlag aus. Ehe er sich wehren konnte, hatte ich seine Arme abgetrennt. Die Arme, die sie verunreinigt hatten. Er schrie und ich spürte das Blut auf meinem Gesicht. Während Lyn in meinem Köper war, fragte ich mich immer und immer wieder, wie es war - das Gefühl der Befriedigung durch das Leid eines andern Menschen - durch ihren Tod. Doch nun wusste ich, wie es war. Zum ersten Mal fühlte ich mich satt, zum ersten Mal fühlte ich, wie meine Wunden anfingen, zu heilen. Ich ging an ihm vorbei, während er immer wieder seine durchtrennten Arme ansah und schrie.
„Jemand wie du sollte keinen leichten Tod erleiden!“ Ich verzog meine Lippen. Ich öffnete die Tür und ging in die Küche, in der meine Mutter mich erschrocken ansah. Das frische Blut, welches von der Axt tropfte und das weiße Hemd, welches nun in Blut getaucht war, ließ ihren Atem stocken. Sie griff nach dem Messer und stieß es auf mich zu, doch ich war schneller. Die Axt steckte in ihrem Hals fest.
„Du hast Lyn verbrannt!“ sagte ich zu ihr, während ich an der Axt zog.
„Lyn!“ sagte meine Mutter, während sie vergeblich nach Luft rangte.
Ich nahm das Öl, welches auf dem Tresen stand und schüttete es über sie. Sie bettelte, auf Knien bettelte sie, während das Blut ihre Bluse bedeckte.
Doch ich fühlte nichts, nahm die Streichhölzer heraus und ließ das brennende Holz auf sie fallen.
Ich hörte, wie sie schrie, sie schrie aus Schmerzen, wie Lyn.
Als ich mich umdrehte, sah ich meinen kleinen Bruder. Er hatte denselben Gesichtsausdruck wie das kleine Mädchen. Nur war es diesmal mein Bruder. Ich ging langsam auf ihn zu und wollte ihn umarmen, doch ehe ich es tun konnte, spürte ich einen Stich in meiner Brust - es war ein Messer.
Wütend und erschrocken sah er mich an, doch ich lächelte nur. Ich hob ihn hoch und zog dabei das Messer heraus. Einen Moment starrte ich auf das Messer, welches mit meinem Blut bedeckt war.
„Jane!“, hörte ich plötzlich Lyn Stimme.
Doch ich ignorierte es, öffnete das Fenster und warf ihn aus dem Fenster, ich sah nicht zu, wie er fiel, doch seine Schreie ließen mich wissen, dass es vorbei war.

„Es tut mir leid!“ sagte ich und drehte mich ein letztes Mal um. Die Schreie meiner Mutter und meines Vaters waren verstummt und die meines Bruder auch.

„Nein!“, schrie Lyn’s Stimme - doch ich lächelte nur und ließ mich fallen.

Impressum

Texte: No Copyright
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /