Langsam öffnete ich meine Augen unter einem schwachen Blinzeln, wobei meine verschwommene Sicht zögernd durch den sperrlich beleuchteten kahlen und heruntergekommenen Raum glitt.
Ich war alleine hier, kein Geräusch ließ sich vernehmen - es herrschte nahezu eine Totenstille - das dominierenste Geräusch zeigte sich in dem Rauschen meines Blutes, welches auf meinen Ohren lag.
Vorsichtig wollte ich mich aufrichten, dem kalten Boden entfliehen, auf welchem ich mich befand, wurde in meinem Tun jedoch von einem Widerstand abgehalten, der das Abstützen durch meine Hände zu verhindern wusste.
Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Handgelenke unter den rauen einschneidenden Fesseln schmerzten und sich nicht mehr als wenige Millimeter bewegen ließen.
Was war passiert? Wer war hier gewesen? Wieso lag ich mitten im Raum auf dem Boden; einem weggeworfenem Spielzeug gleich?
Meiner trockenen Kehle entglitt kein Geräusch. Ich war nicht dazu in der Lage zu sprechen oder gar zu schreien.
Eben jener Prozess erschien mir in diesem Augenblick wie die größte Anstrengung, die ich mir hätte vorstellen können. Ein weiteres Mal spürte, ich wie meine Lider langsam wieder herabsinken wollten; sich schwer wie Blein anfühlten.
Ich versuchte dem Drang zu entkommen, jedoch erfolglos.
Wiederholten Males verschwamm meine Umgebung vor meinen Augen, tauchte in vollkommene Dunkelheit meiner selbst ein - dann verlor ich abermals das Bewusstsein.
»Los, wach' auf.«
Es war hell, den hell-dunkel-Kontrast konnte ich trotz meiner geschlossenen Augen erkennen. Mir war kalt, etwas fühlte sich seltsam an.
»Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
Ein Brennen durchzog meine linke Wange, im Anschluss folgte auch meine rechte. Die Stimmen schienen zwei Männern zuteilen zu sein, bekannt kamen sie mir nicht vor, doch dies war schon lange keine Besonderheit mehr.
»Heute ist dein großer Tag, Kleines.«
Was redeten sie da? Entkräftet erhoben sich allmählich meine Lider, auch wenn es seine Zeit brauchte, bis ich es schaffte, diese dauerhaft offen zu halten, ohne dass sie sich direkt wieder absenken wollten.
»Wurde aber auch Zeit.«
Der Mann, dessen Stimme sich am wenigsten entfernt anhörte, ging vor mir in die Hocke und umfasste mein Kinn mit einem groben Griff. In die Augen sehen konnte ich ihm nicht; nicht etwa, weil diese im Halbschatten lagen, nein. Viel eher, weil ich mittlerweile wusste, dass ein Blick in die Augen eines Ranghöheren eine legitime Strafe nach sich zog. Aus diesem Grunde lagen seine rauen Lippen in meinem Fokus, eben jene, welche sich schon bald zu einem dreckig schiefen Grinsen formten. Meinen Kopf neigte er zu sämtlichen Seiten, den Blick von ihm ausgehend konnte ich nahezu auf mir ruhen spüren. Darauffolgend glitt seine Hand über den feuchten Stoff meiner Kleidung, von welchem auch die Kälte rührte. Es war Wasser - wohl zuvor dazu gedacht meine Sinne etwas schneller beleben zu können. Bewegen tat ich mich keinen Zentimeter; ließ sämtliches Abtasten zu, da ich wusste, dass ich gegen beide Männer nichts ausrichten konnte; schon gar nicht mit bewegungsunfähigen Armen, die mir nicht einmal ein aufrichten erlaubten.
»Die gefällt mir, die nehme ich.«
Ich schluckte. Nun war es also so weit - mein Verkauf stand bevor und bei diesem Mann, brauchte es nicht einmal einen Blick in die Augen, um zu merken, dass eben jener Verkauf wohl eher zu meinem Nachteil war.
»Sie kennen die Regeln. Ist das Geld erst einmal auf dem Tisch, können Sie vergessen, dass wir noch ein einziges Mal etwas mit ihr zu tun haben wollen. Sollte ihre Entscheidung nun feststehen bitte ich sie mit nach draußen zu kommen. Den Preis kennen sie. Ich hoffe doch sehr, dass die Summe auch vollständig ist.«
Die Stimme des zweiten Mannes, sicherlich das höchste Tier in der Runde, beschleunigte meinen Puls augenblicklich. Zu melden hatte ich absolut nichts, mir war es nicht erlaubt über die Käufer mitzuentscheiden.
»Der Koffer liegt noch in meinem Wagen, ich werde ihn gleich herbringen, damit wir uns um alles weitere kümmern können. Ich hoffe doch sehr, dass sie ihre Papiere hier haben? Ohne diese werde ich sie nämlich nicht mitnehmen. Ach ja... und sehen Sie zu, dass Sie sich etwas anderes anzieht. Den Sitz meines Wagens lasse ich mir nicht vollsauen.«
Mit diesen Worten ließ der vermeidliche Käufer von mir ab, erhob sich wieder und trat an die Tür, welche auch sogleich für ihn aufgeschlossen wurde. Eine eigenständige Flucht von hier war schier unöglich.
Das Verschwinden der einen Person leitete das Kommen einer anderen, mir bekannten, ein. Es war die Person, welche die meiste Zeit mit mir verbracht hatte, auch wenn ich nicht glücklich auf diese Zeit zurückblicken konnte, denn die Anwesenheit dieser Personen bedeutete nichts weiter als Schmerzen. Zuneigung und Schutz waren für mich über all die Zeit hier zu Luxusgütern geworden, die weit in der Ferne lagen. Die schweren hallenden Schritte des Mannes kamen auf mich zu, dann spürte ich auch schon seine linke Hand an meinem Kragen und seine rechte an meinem Rücken. Er zerrte mich auf die Beine, drängte mich darauf sogleich an die nächste Wand, bereit dazu die Fesseln endlich zu lösen.
»Versau' es dir nicht. Wenn du jetzt versuchst wegzurennen, kannst du dich für die nächste Zeit von deiner reinen Haut verabschieden.«
Das Androhen von Schlägen war nichts neues für mich. Im Grunde genommen war es das nicht einmal die Umsetzung dessen, doch herausprovozieren musste ich es nun auch wieder nicht. Erfahungen haben ergeben, dass man hier einfach nicht alleine flüchten konnte, egal wie gut man sich in diesem Gebäude auskannte. Wo wollte man auch fernab der Zivilisation aus einem leerstehenden Gebäudekomplex hin, ohne genügend Energie und Wissen, wie man wieder zurück in die Stadt käme. Man sah die Menschen nicht, die einem das antaten, man wusste nicht, wo genau man war. Letztendlich wusste man gar nichts. Zu wenig, um überhaupt jemals eine Anzeige an alle sich hier befindenden ausschreiben zu lassen.
Das alles war Teil des Planes und der Umsetzung und eben diese klappte leider viel zu gut.
Er zückte ein Messer, mit welchem er das Seil sägend durchschnitt, die kalte Klinge streifte die dünne und empfindliche Haut meiner Handgelenke dabei etwas, jedoch ohne diese zu verletzen. Einige Augenblicke später löste sich der Widerstand auch schon, sodass ich meine Hände augenblicklich nach vorne nahm und meine Handgelenke abwechselnd reibend umfasste, damit der eingeschnittene Abdruck der Fesseln sich etwas lebendiger anfühlen würde. Ein musternder Blick traf mich - es war dieser Blick der Absicherung, welcher nur noch einmal auf das zuvor gesagte aufmerksam machen sollte. Die Kleidung wurde mir gereicht. Diese bestand allerdings viel eher aus einem weißen Figurbetonenden Spitzenkleid, sowie frischer Unterwäsche.
»Wir gehen jetzt in den Waschraum, da kannst du dich frisch machen. Wenn du dich brav anstellst, dann lasse ich dich auch alleine.«
Jenes Angebot lockte mich zu diesem Zeitpunkt mehr als alles andere. Wann hatte ich das letzte Mal ohne diese starrenden Blicke geduscht? Ich wusste es nicht mehr - so wie ich vieles nicht mehr wusste. Viele Dinge, die hier passiert waren hatten sich in meine Seele gebrannt und dennoch existierten zunehmend mehr eben jener, die ich nicht mehr in meinen Erinnerungen zu besitzen glaubte. Eine diesbezügliche temporäre Amnesie aufgrund medikamentöser Stoffen, oder doch einfach nur, weil die Psyche nicht mehr mithalten konnte; selbst dies war mir unklar.
Seine Hände umfassten meine Oberarme mit einem schmerzend festen Griff, dann wurde auch für mich die Tür aufgeschlossen, die in den ebenfalls sperrlich beleuchteten Flur führte, von welchem aus man zu besagten Waschräumen gelangte. Was dieses Gebäude früher einmal war, als es sich noch in seinen Glanzzeiten befand, vermochte ich mir gar nicht vorzustellen wollen.
Erneut wurde ein Schlüssel ins längst beschädigte Schloss gesteckt, ließ ein unangenehm raues Geräusch entstehen, ehe dieser herumgedreht wurde und sich die schwere Eisentür somit öffnen ließ.
»Glaub' aber ja nicht, dass ich die Tür offen lasse, ich kenne dich ja inzwischen. Alles was du benötigst, wirst du da drinnen finden, aber wieso erzähle ich dir das, du solltest dich mittlerweile auskennen.«
Keines seiner Worte ließ sich leugnen. Zwar hatte ich selten eines der anderen Mädchen hier gesehen, konnte mir jedoch vorstellen, dass die wenigsten ihren Charakter ungebrochen erhalten konnten.
Zögerlich schritt ich mit meinen nackten Füßen über den kalten Boden, hinein in das Innere des Raumes, der zum größten Teil gefliest war und an das Erscheinungsbild eines simplen gemeinschaftlichen Duschraumes erinnerte. Dass einige der Fliesen bereits verfärbt waren oder sogar gebrochen störte mich selbst absolut nicht mehr. Meine Zeit, die ich hier verbrachte hatte mir vor allem eines gezeigt; nämlich was es hieß zu leben. Wenn man Tag täglich seinen durchschnittlichen Alltag erlebt, weiß man die normalsten Dinge nicht zu schätzen. Hier aber erlernte man es, auch wenn dieser Effekt wohl auch der einzig im Ansatz positive bleiben würde.
Nachdem ich den Schlüssel ein weiteres Mal im Schloss vernehmen konnte, begann ich mich auszuziehen, denn nun wusste ich, dass mich niemand beobachten könne. Meine vorherige Kleidung hatte ich dabei einfach achtlos in einen Korb geworfen, der extra für diesen Anlass aufgestellt wurde und auch einige andere Kleidungsstücke beinhaltete. Entweder war es also mitten am Tage, oder mitten in der Nacht, denn zu den morgendlichen Stunden war es ungewöhnlich, dass dort überhaupt etwas drinnen lag. Ich war schon so lange hier, dass ich aufgehört hatte zu zählen und dies tat ich ab einer Gesamtsumme von einem halben Jahr schon nicht mehr. Da war es nicht verwunderlich, dass mir solche Muster mittlerweile bekannt waren.
Meine schlanken Finger umfassten das kalte Aluminium der Wasserzufuhr, drehten diese auf und entfernten sich auch sogleich wieder, nachdem die ersten kühlen Tropfen auf meine Haut trafen und diese mit ihrer Feuchtigkeit benetzten. Vollkommen warmes Wasser gab es nicht, jeder Warmduscher würde hier also früher oder später zu seinem natürlichen Feind werden, wenn auch erzwungen. Meine langen glatten schwarz-braunen Haare, die mir locker über die Brust gingen, jedoch trotzdem nicht meinen Bauchnabel erreichten, nahmen das Wasser sofort auf, sodass diese wenig später dazu bereit waren ihren trotz allem gewohnten Gebrauch des Shampoos nachzukommen. Die körperliche Hygiene entsprach hier dem 'A und O', wer sich aus Scham nicht duschen wollte, der wurde bearbeitet, bis es ihm egal wurde. Ein angenehm fruchtiger Geruch stieg mir in die Nase, sobald mein Haar durch das Einarbeiten mit dem Aufschäumen des Shampoos in Berührung kam. Der Duft wirkte nicht beschwert, viel eher leicht und frisch, ohne einen zu starken Geruch entstehen zu lassen; ganz so, wie es auch bei dem Duschgel der Fall war, welches einen ähnlichen Geruch besaß, dieser jedoch etwas intensiver als der des Shampoos und dennoch erfüllt mit den vorherigen Eigenschaften. Die Haare ließ ich unberührt, kümmerte mich im Anschluss ausgiebig um meinen Körper, denn die zuvor vor Nässe klebende Kleidung hatte ein besonders intensives Gefühl der Verschmutzung in mir ausgelöst, welches ich nun mit reibenden Handbewegungen zu verbannen versuchte.
»Beeil' dich, Kleines. Ich gebe dir noch fünf Minuten, dann komm' ich rein.«
seine feste und dominante Stimme glitt durch die Tür hindurch, ließ mich etwas nervöser werden und brachte mich dazu die Sekunden fortan mitzuzählen, denn eine Uhr besaß ich nicht und ich wollte angezogen vor ihm stehen, denn das Gefühl des Schames hatte ich all die Zeit über niemals verloren. 168... fast drei Minuten waren vergangen, indem ich meinen Körper, sowie meine Haare des Duschgels und des Shampoos entledigt hatte, nun dazu bereit war mich abzutrocknen - das Wasser zuvor ausgestellt -, damit ich mir im Anschluss die Kleidung anziehen konnte, was sich als eine kleine Herausforderung zeigte, denn durch den feuchten Körper neigte der Stoff dazu haften zu bleiben und das Anziehen somit zu erschweren.
»Ich hoffe, du bist fertig.«
Das Kleid hatte ich mir gerade noch zurechtgezupft, da erfüllte das Geräusch des Aufschließens hallend den Raum, kurz darauf trat der mir Bekannte ein, umfasste meine Oberarme erneut, die noch vom vorherigen Griff gerötet waren, nachdem er Schuhe in meiner Größe vor mir fallen ließ.
»Zieh' sie an, ich werde dich nicht loslassen.«
Mein Blick wanderte nach unten. Es handelte sich um cremefarbende peep toe High Heels, bestehend aus Lackleder und versehen mit einer roten Sohle. Mit dem linken Fuß ging ich voran, suchte mir den Weg in den Schuh hinein, stellte mich auf die nun erneuerte Höhe und ließ den rechten Fuß folgen. Um einen unnatürlich hohen Absatz handelte es sich nicht, jedoch ebensowenig um einen, den man hätte flach nennen können. Der Größenunterschied von ihm und mir hatte sich verkleinert, auch wenn seine hochgewachsene Gestalt natürlich erkennbar größer blieb.
»Na dann los, sie sind bestimmt schon fertig.«
Nun ging es wieder raus, die feuchten Haare, ließen erneut ein etwas haftendes Gefühl an einigen Stellen entstehen, jedoch war der Stoff dick genug, um nicht durchzuweichen, sodass dieser durchsichtig werden könnte.
Er führte mich ein weiteres Mal durch den langen Flur mit den unzähligen Abgängen. Den Überblick verlor ich schon innerhalb kürzester Zeit; das Gebäude wurde zu diesem Zeitpunkt nahezu zu einem Layrinth, in welchem wir uns befanden. Dann konnte ich erneut die Stimmen der vergangenen Minuten hören, der vermeidliche Käufer bedankte sich, dann wurden Schritte hörbar und wenig später waren es nicht mehr die Hände des mir bekannten Mannes, sondern die des Käufers, welche mich an den Armen hielten.
»Du hübsches Ding gehörst ab jetzt mir. Ich hoffe doch sehr, dass wir gute Freunde werden.«
Ein dreckiges Lachen entglitt seiner Kehle, der Ranghöchste stimmte leise mit ein. Nur einer blieb emotionslos wie immer und gab keinen noch so kleinen Laut von sich; dass er sein Schweigen dann jedoch auf einmal brach, kurz bevor mich der Käufer aus dem Gebäude schleifen wollte, überraschte mich dafür umso mehr.
»Auf Wiedersehen...SooYeon.«
"Pain makes people change,
but it also makes them stronger."
to be continued . . .
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2015
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