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„Gelb.“
„Wieso denn ausgerechnet Gelb?“, fragte Lothar.
„Vollkommen egal.“
„Gelb“, sagte Lothar, „ist die unattraktivste Farbe der Welt. Das weiß doch jeder.“
„Nur weil du sie nicht magst, heißt das noch lange nicht, dass sie blöd ist. Jeder mag gelb. Gelb ist sonnig, gelb macht gute Laune.“
„Gute Laune, das ich nicht lache.“
„Hör auf zu maulen. Wir spielen, „Ich sehe was, was du nicht siehst“, und ich will gelb. Also, stell dich nicht so an und Spiel gefälligst mit, Loddar.“
(Anmerkung: Lothar hieß natürlich Lothar, weil seine Eltern das so gewollt hatten. Er selber hätte, hätte man ihn als Baby gefragt, einen anderen Namen gewählt. Zufällig ergab es sich, dass er ein großer Fan des ehemaligen Nationalspielers Lothar Matthäus wurde. Was ja nicht weiter schlimm ist. Paradoxer weise stimmte ihn aber der dem ehemaligen Spieler gegebene Spitzname „Loddar“ miss, da dieser nur dazu verwendet wurde, eben diesen ehemaligen Spieler auf die Schippe zu nehmen. Helmut wusste das nur zu gut und wendete die doch etwas schnodderige Aussprache des Namens immer dann an, wenn er seinen Freund ein bisschen ärgern wollte.)



„Herrgott, dann eben gelb. Der Postwagen.“
Helmut stutzte. „Wieso denn jetzt der Postwagen?“
„Warum denn nicht der Postwagen. Der Postwagen ist gelb. Also kann es doch der Postwagen sein.“
„Nein“, Helmut schüttelte den Kopf. „Kann es nicht. Es ist vier Uhr nachmittags. Da ist die Post lange durch. Also kann es nicht der Postwagen sein.“
„Dann ist es eben der Paketwagen. Der von der Post. Der ist auch gelb, das weiß ich.“
„Nein, es ist kein Postwagen. Paket-, Briefwagen, oder was auch immer. Punktum.“
„Punktum? Lord Helmchen Punktumtet jetzt?“
(Anmerkung: Da der eine ja erklärt wurde, muss der andere auch erklärt werden. Helmut wurde von allen, die ihn kannten, Lord Helmchen genannt. Basierend auf der Tatsache, dass er eine ganze Zeit lang mit einem alten Wehrmachtsstahlhelm auf dem Kopf rumgerannt ist. Nicht, wie man irrtümlich glauben könnte, um irgendwelche Sympathien zu bekunden, sondern schlicht und einfach nur, weil er fand, dass er ihm gut stand.)



„Ich Punktumme wie ich will. Spielst du jetzt weiter oder nicht?“
„Ja. Ist ja gut. Die Sonne.
„Warum denn jetzt …, nein, es ist nicht die Sonne. Zu offensichtlich.“
„Ich mag Gelb nicht.“
Das sagtest du schon, interessiert aber nicht. Ich sehe was, was du nicht willst …“
„ … was du nicht siehst“, korrigierte Lothar.
„Wie auch immer … und das ist gelb. Also rate.“
„Wenn ich nicht so viel Anstand hätte, würde ich sagen, deine Unterhose.“
Helmut musste lachen. „Als wenn du meine Unterhosen schon mal gesehen hättest.“
„Aber gerochen. Das langt.“
Helmut trommelte mit dem Stock auf den Boden. Ein Zeichen, dass er ärgerlich wurde.

„Wenn du nicht weiterspielen willst, dann sag es. Aber beleidigen lass ich mich nicht.“
Lothar seufzte.
„Okay. Also ernsthaft. Gelb. Die Haare deiner Frau.“
„Woher kennst du die Haarfarbe meiner Hanna?“, fragte Helmut.
„Du hast davon erzählt.“
„Strohblond, hab ich gesagt. Lass meine Frau aus dem Spiel.“
„Strohblond ist auch gelb. Hab nur versucht mit zu denken.“
„Gut, dann respektiere ich den Versuch“, gab Helmut nach. „Ist es aber nicht. Einen hast du noch.“

Lothar wand das Gesicht zum Himmel und dachte ernsthaft nach.
„Hm, von mir aus. Gelb, Gelb, was könnte das sein. Du bist nicht sehr einfallsreich. Also sollte ich doch drauf kommen. Hm, warte, gelb, wie der Zitronentee nachmittags.“
„Jetzt musste Helmut wirklich lachen. „Zitronentee kann man die Plörre ja kaum nennen. Aber nein, das war es auch nicht. Warum magst du eigentlich kein Gelb? Ich selber kann ja Grün nicht so leiden.“
„Was hat denn Grün dir jetzt getan?“, fragte Lothar neugierig.
„Grün wird überbewertet. Gibt viel zu viel davon. Früher hatten wir mal so ein grüne Samtcouch, die habe ich gehasst, wie die Pest.“
„Warum hast du sie dann gekauft?“
„Hab ich gar nicht. Als meine Schwiegermutter damals bei uns eingezogen ist, hat sie uns das Trum „vermacht“. Als sie gestorben ist, hab ich als erstes nach der Beerdigung eine neue Couch gekauft.
„Sehr gefühlvoll“, unkte Lothar.
„Was ist jetzt mit deiner Abneigung gegen Gelb?“
„Weiß nicht. Erinnert mich an Licht. So im Allgemeinen.“
Helmut nickte. Das Gefühl kannte er. Er klatschte in die Hände.

„Gut. Das war´s. Du kommst eh nicht drauf. Lass uns reingehen.“
Die beiden alten Männer fassten ihre Stöcke fester und standen ungelenk auf.
„Was gibt es heute Abend?“, fragte Lothar.
„Irgendein lausig zubereiteter Brei, bestimmt. Oder irgendwas, was zumindest die Konsistenz von Brei hat. Freu dich, das schont dein Gebiss.“
Lothar wähnte seinen Freund kurz vor sich und zielte mit dem Stock freundlich auf seine Füße. Der sanfte Hieb ging allerdings vorbei.
„Übrigens, deine Schuhe“, sagte Helmut.
„Wie, meine Schuhe? Woher willst du wissen, welche Farbe meine Schuhe haben?“
„Weil ich unseren Pfleger heute Morgen bestochen habe. Ich wollte das Spiel unbedingt gewinnen und habe ihm zehn Euro dafür gegeben, dass er zusieht, dass du dir deine gelben Hauslatschen heute anziehst.“
„Ich erschlage ihn. Wenn ich ihn denn finde.“
Aber innerlich dachte sich Lothar, hat sein alter Kumpel einen guten Schachzug für ihr nachmittägliches Spiel geplant.
Dann konzentrierte sich Lothar auf den Weg und versuchte, mit seinem Blindenstock den Rahmen der Terrassentür ihres Alten- und Blindenheimes zu finden. Er war sich sicher, bis morgen auch was Nettes für seinen alten Freund zu finden.

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Tag der Veröffentlichung: 13.04.2011

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