Cover

„Also. Also wirklich. Sowas von ausdrucksstark.“
„Was?“
„Na, das hier. Das Werk. Diese Farben und diese Linienführung.“
„Das is´n grüner Fluchtwegeweiser, du Doof…“
„Was?“
„Na, das Schild da.“
„Quatsch. Du schielst doch. Das daneben. Das hier. Ein Traum in Aquarell.“
Jacob kratzte sich am Kopf.
„Das ist doch Öl?“
„Öl, Aquarell. Aquarell, Öl. Vollkommen schnurz. Hauptsache schön. Und DAS hier, das ist schön. Finde ich.“
„Aha. Und was ist das?“
„Wer ist hier doof. Das is´n Bild.“
„Nein, was soll das darstellen? Sieht aus wie ´ne Dose geplatzter Quark.“
Jochen legte den Kopf leicht schief.“
„Der von Aldi oder der von Lidl?“.

„Edeka. Mensch, du weißt noch nicht mal, was das ist.“
„Weiß ich wohl. Das is …, das is …, ich weiß. Eine Gedankenwolke. Eine kraftvolle starke Gedankenwolke.“
„Eine Gedankenwolke?“
„Ja.“
„Würdest du Hecht im Galerieteich mir bitte erklären, was eine Gedankenwolke ist?“
Jochen schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nur um das mal klarzustellen. Ich muss nicht wissen, was es ist, um es schön zu finden. Es könnte doch aber sein, dass der Künstler etwas Gewaltiges darstellen wollte. Einen Ausbruch …“
„Ja, wie einer in ´ne Quarkbüchse furzt und das Zeug sich über die Tapete ergießt.“
„ … von geistiger Energie. Räumlich dargestellt in einer Kraft, die …, was? Wer pfurzt? Sach nicht, du hast …“

„Immer locker durch die Hose atmen. Nein, habe ich nicht. Aber wenn man geistigen Dünnpfiff mit einem verbalen Pfurz vergleichen würde, dann hast du gerade sowas von …“
„Ich sehe, die Herren interessieren sich für dieses Werk?“
Jacob drehte sich zu dem Neuankömmling um. Dünn, spindeldürr, mit einem rosa Muskelshirt, um den Hals einen Schal. Eine Hand am Schal, als wenn er Angst haben würde, dass ihm einer das Ding klaut. Die andere unterstützt die Schalhand am Ellbogen als Stütze. Als Beinbekleidung ein Schottenrock. Barfuß.

„Nein. Der da“, er nickte Jochen zu, „interessiert sich für Quark. Nicht Werk“.
„Excuse-moi“.
„Watt sacht der Hippie?“. Jacob blickte finster.
Jochen versuchte zu intervenieren.
„Verzeihen Sie bitte meinem Freund. Er ist das erste Mal auf einer Vernissage.“
„Ach nee. Aber du. Sei mal froh, dass du das Wort nicht schreiben musst. W-Ä-R-N-I-S-A-SCH-E. Siehste, ich kann das nämlich.“
Jacob drehte sich nun ganz zu dem Mann und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter, was sein gegenüber zusammenzucken ließ und sich fragte, ob er dieses Shirt jemals wieder würde tragen können.

„Siehste, der Heijupei hier, der hat die Karten für die Party hier von der Nachbarin, die von oben, die von seiner Mutter. In der Herdeckerstraße die.“
Der Mann sah ihn verwirrt an. Jacobs natürliche Hilfsbereitschaft schaltete von Standby in den ersten Gang.“
„Herdeckerstraße? Kennst du? Pass auf, du fährst so vom Ring in die Wilhelms, ne. Dann biegst du ab in die … „
Der Mann trat einen Schritt zurück, was Jacobs Hand zum Anlass nahm, dumpf an seine Seite zu klatschen und dort hängen zu bleiben.
„Entschuldigen Sie, die Herren. Der Künstler ist ein Freund von mir, ich dachte, ich könnte Ihnen das Werk näherbringen, wenn sie es wünschen.
Jochen winkte ab.

„Ne, machen Se sich mal keine Mühe. Wir können ja einen Schritt ran treten, wenn´s is. Aber wenn Sie es schon sagen, ich habe ja gesagt, dass der Mann hier eine Gedankenblase quasi so mit voller Wucht, sozusagen, in den Raum gestellt hat. Wissen `Se, wie ich meine. So quasi die Versinnbildlichung von ´nem hecht deftig… von ´nem echt heftigen Gedanken. So ´nem wirklichen wichtigen. Und der verschmierte Hintergrund, ne. Das is die Realität, die so unwichtig ist. Weil der Gedanke ja zählt. Is klar, oder. Also, ich mein, so könnt es doch sein?“
Der Mund des fremden Mannes klappte während des einleitenden Satzes auf und verharrte in dieser Stellung eine Zeitlang.
Jochen grinste stolz.
„Gut getippt, oder? Weißt du was, Jacob, das Ding gefällt mir. Das kauf ich!“
„Das kaufst du?“
„Das kaufen Sie?“
„Klar.“
Jochen strahlte fröhlich erregt über das ganze Gesicht. Jacob sah in zweifelnd an.

„Sach ma, hast du im Lotto gewonnen und ich weiß nichts davon?“
„Wieso? Kann doch nicht so teuer sein. Was soll so´n Teil schon kosten.“
Der Freund des Künstlers zeigte stumm mit einem zitternden rechten Zeigefinger auf ein Plastikpapperl unten rechts am Rahmen.
„Nee, das ist doch das Datum“.
Jacob schüttelte den Kopf.
„Wie kommst du denn da drauf?“
„Klar. 10.12.09. Die Trottel haben die Punkte nicht richtig gesetzt. Oder ist ´ne ausländische Schreibweise.“
„Der Punkt ist genau richtig, du Honk. Das Teil kostet 102.209 Euro.“
Jochen wurde blass.
„Was´n das für komischer Preis. Nee, dann kauf ich das natürlich nicht. Ich dachte so an dreißig bis fünfzig Euro, oder so.“
Der fremde Mann schien beinahe umzufallen.
„Fünf …, fünf …, fünzig Euro?“
„Na ja, vielleicht auch sechzig. Wär aber maximum. Ich mein, dafür, dass kein Mensch weiß, was das sein soll, ne.“
Der Freund platzte jetzt beinahe.

„Was das ist? Was DAS ist? DAS, Sie Kretin, ist das wahrscheinlich erhabenste Werk aus der „Realen Phase.“
Jacob schaute skeptisch.
„Reale Phase, ja. Und was soll das nun darstellen?“
„Dieses KUNSTWERK zeigt, einen Samenerguss über einem unscharfen Pornobild, wie – meines Erachtens – unschwer zu erkennen ist.“
Jacob trat einen Schritt näher an das Bild.
„Aha. Und was soll das dann bedeuten?“
„Es soll die Fruchtlosigkeit des virtuellen Lebens darstellen. Das beschäftigen mit dem künstlichen, anstatt dem Realen. Es die Vergänglichkeit und Nutzlosigkeit und die Verschwendung des Menschen.“
Jochen folgte Jacob.
„Und das alles in Aquarell?“
„Quatsch, ich hab dir doch gesagt, dass ist Öl, Herrgott.“

Der Fremde erdrosselte sich beinahe mit seinem eigenen Schal.
„Das ist ECHT. Verdammt noch mal, sehen Sie denn gar nichts. ECHT. ECHTES Sperma auf einem echten, unscharf gehaltenen Pornofoto. Ich FLIPP aus …“
Jacob und Jochen traten zwei schnelle Schritte zurück.
„Echt? Ist ja eklig.“
„´N Schuss für Hunderttausend Lappen. Alter Schwan.“
Jacob lachte sich scheckig.
„Und die Sauerei wolltest du kaufen“
„Pfui Deibel, kann ich doch nicht wissen.“
Jacob legte einen Arm um die Schulter deines Freundes.
„Komm, sei nicht traurig. Denk nicht daran, wie viel Kohle du die letzen Jahre praktisch in den Wind geschossen hast. Lass uns zu Achim inne Kneipe und ich geb dir einen aus.“
Beide Freunde bewegten sich Richtung Ausgang.
„Hundertausend Piepen.“
„Ich weiß“.
„Ich wär längst Millionär.“
„Ich weiß.“
„Ob ich´s versuchen sollte?“
„Ich denke nicht.“

„Banausen.“
Der Freund des Künstlers drehte sich um und verschwand in der Menge.

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Tag der Veröffentlichung: 28.02.2010

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