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Es startete, als meine Mutter vom Weihnachtswohltätigkeitsbasar ihrer geliebten Bingo Gruppe zurückkam. Woanders würde man es Trödelmarkt nennen. Aber sei es drum.
Man kaufte sich den Mist gegenseitig ab, der Trödel wanderte nur in einen anderen Keller, um dort wieder ein Jahr zu verbringen. Dann wandert er weiter. Sie nannten das „Charity“. Ja, ja, selbst die „Alten“ gingen mit der Zeit.
„Jürgen. Jüürgen… Bin wieder da.“
Ja. Ich weiß, ich habs gehört.
„Bin hier oben, Mutter.“
Wie verwunderlich, ich bin meistens hier oben in meinem Zimmer. Ich bin nicht sehr gesellschaftsfähig. Ich habe nichts gegen die Menschen, ich mag sie nur nicht um mich haben. Menschenansammlungen sind mir ein Graus. Außerdem sind die meisten Menschen Panne im Kopf. Und umso mehr sich treffen und zusammenrotten, um so schlimmer wird’s.
„Komm mal runter, hab dir was mitgebracht. Wirst dich wundern …“
Ja. Wundern werde ich mich bestimmt. Ich bin das, was man wohl neudeutsch einen Nerd nennt. Ich bin gerne an meinem Computer. Ja, auch Spiele. Aber meistens programmiere ich mir ein paar Sachen oder bin im Internet unterwegs.
„Ich komm schon, Mutter.“
Ich bin übrigens neunundzwanzig. Ich arbeite nicht großartig. Wie gesagt, ich verscherbel ein paar Programme im Jahr für irgendwelche Leute. Ich brauch nicht viel. Das langt mir vollkommen. Ich gehe auch nicht groß aus. Menschen machen mir Angst. In Foren laufen Leute rum, ich sags Ihnen, echt krasse Typen. Die muss ich nicht auch noch auf der Straße sehen.
„Kommst du jetzt?“
„Ja, bin ja da.“
Ich haute kurz ein BRB in meinen Chatraum und machte mich auf den Weg nach unten. Meine Mutter stand in der Küche und grinst mich fröhlich an. Mein Gott, was ist das denn?
„Schau mal, Jürgen. Für dich.“
„Äh, was soll denn das bitte sein?“
„Ein Glühweinbehälter. Wenn du dich jetzt im Winter mal mit Freunden triffst, könnt ihr da literweise Glühwein reinhauen und der Topf hält ihn schön warm. Der hat eine Heizung.“

Freunde?
„Mom. Das Ding sieht eher aus wie ein antiker Bottich zum Sockenwaschen. Was ist denn das da überall? Rost?“
„Stell dich nicht so an. Das kann man wegputzen. Nimm ihn mit in dein Zimmer und mach ihn ein bisschen sauber. Das geht schon.“
Sie drückte mir den Zuber in die Hand. Ganz schön schwer.
Ich hievte das Trum hoch in mein Zimmer und stellte es in eine Ecke. Eigentlich wollte ich wieder an meinen PC, weiterzocken, aber mit der dreckigen Waschmaschine für Arme in der Ecke, konnte ich nicht. Ich meine, meine Mutter hat mich als reinlichen Menschen erzogen. Sie denken bestimmt, alle Computerfreaks sind Dreckschweine, mit Coladosen überall und Pizzaschachteln unter dem Bett. Bei mir werden Sie das nicht finden.
Also erhob ich mich, ging wieder nach unten, um mit Scheuermittel und einem sauberen Tuch wieder zurückzukehren.
Ich stellte den Pott auf meinen Schreibtisch und nahm den Deckel ab. Vorsichtig schaute ich rein, konnte aber nichts Großartiges entdecken. Im Gegenteil zu seinem äußeren war er innen schön sauber. Blankes Edelstahl, wohin man sah.
Ich setzte also den Deckel wieder drauf und schüttete etwas Scheuermittel in mein Tuch. Vorsichtig fing ich an, die Vorderseite so gut es ging vom Rost zu befreien und rieb mit dem Tuch über den Stahl.
Unter dem Deckel drang Rauch hervor. Erschrocken zog ich meine Hand zurück. Hatte ich den Stecker reingesteckt? Nein, hatte ich nicht, er baumelte an der Schreibtischkante runter. Der Rauch wurde nicht nur mehr, sondern auch dichter.
Ich zog mich ein paar Schritte zurück und blieb an meiner Bettkante hängen, sodass ich mit dem Hintern draufplumpste.
Fasziniert schaute ich auf die Rauchwolke vor mir. So erschrocken, wie ich war, war mir aber auch schnell klar, dass es sich hier um kein Feuer handeln konnte. Was zur Hölle hätte auch brennen sollen?
Der Nebel verdichtete sich, eine menschliche Kontur wurde ersichtlich. Es ging immer schneller, machte „plopp“ und vor mir stand ein Mann. In so einer Art Kaftan und einem Vollbart. Er war einiges größer als ich. Maß bestimmt so um die zwei Meter. Außerdem war er auch breiter gebaut. Auch nicht verwunderlich. Es gab bestimmt Zwölfjährige, die breiter gebaut sind als ich.

„Hallo, du. Ich bin dein Weihnachtsdschinn“.
Was?
„Dschinn?“
„Weihnachtsdschinn. Sagte ich doch. Ist nicht Weihnachten? Mir war doch so …“
Er schaute verwirrt.
„Doch, doch, es ist bald Weihnachten“, beeilte ich mich zu sagen. Wenn ich Dinge nicht ein- oder zuordnen kann, neige ich zu Höflichkeit. Man kann ja nie wissen.
„Was ist der Unterschied zwischen Dschinn und Weihnachtsdschinn“, wollte ich wissen.
„Oh, es gibt keinen. Zu Ostern wäre ich halt der Osterdschinn. Vollkommen egal. Nun, wie sieht es aus, wie lauten deine drei Wünsche?“
„Drei Wünsche …“, echote ich.
„Herrgott, ja. Dschinn, drei Wünsche? Noch nie gehört?“
„Äh, doch. In Märchen und so. Wusste nicht, dass ihr real seid.“
„Ach, real, irreal, total egal. Ich bin doch hier, du kannst mich sehen und mich hören, also bin ich real.“

Da müsst ich aber erst mal einen Gesunden fragen.
„Was ist denn aus der guten alten Lampe geworden?, fragte ich den Dschinn. „Und aus dieser „Du bist mein Meister“ Klamotte?“
„Du darfst nicht alles glauben, was in euren Märchenbüchern steht“. Der Dschinn setzte sich auf meinen Schreibtischstuhl und legte die Füße auf meinen Pc. So was kann ich ja gar nicht haben.
„Vielleicht hat das ja mal einer von uns gesagt, aus Spaß oder so“, fuhr er fort. „Aber wir haben keinen Meister oder so was Ähnliches.“ Er legte die Arme in den Nacken und wippte mit dem Stuhl.
„Okay, und der Warmhaltetopf da? Ist das euer Equivalent einer Großraumwohnung? Ich finde schon, dass mit den hübschen Lämpchen hatte mehr Stil.“

„Hat nicht funktioniert“, sagte der Dschinn. „War unüberschaubar“.
„Warum“?
„Früher war das ja schon mit diesen Öllampen, gebe ich ja zu. Gab ja auch nicht viel anderes. Aber die Leute sind nicht auf den Kopf gefallen. Du kommst aus der Lampe, na, drei Wünsche, puff, erfüllt und wieder ab in die Lampe.
Aber jetzt denk mal nach. Die Lampe war ja immer noch da. Wo hätte sie auch hinsollen? So kam der Erste drauf, sie mal dem Nachbarn und bestem Kumpel in die Hand zu drücken und wieder ging alles von vorne los. War purer Stress. Irgendwann wurde dann dazu übergegangen, dass man nach Erfüllung der Wünsche in ein anderes Behältnis umzog.“
„Aber ein Glühweinaufwärmdingens?“, bemängelte ich.
„Ich hatte Durst, lass mich in Ruhe.“ Der Dschinn bekam einen roten Kopf.
„Was ist nun mit deinen drei Wünschen?“

Sofort zogen Bilder in meinem Kopf auf. Sie handelten ausnahmslos alle von dem besten und teuersten Computerequipment, dass es für Geld auf dieser Welt gab.
Der Dschinn schüttelte mit seinem Kopf.
„Was? Ich überlege ja. Gib mir ´ne Sekunde.“
„Ich sehe es schon an deinen Augen. Deine Gedanken drehen sich um Geld, stimmt`s? Es ist immer dasselbe.“
„Was ist schlimm daran?“, fragte ich. „Die meisten Leute haben eben kein Geld, aber wünschen sich tausend ...“ Ich musste mich selber unterbrechen. Da war ein Gedankenfehler, das musste ich zugeben.

„Hast du von dem Typen gehört, der sich wünschte, mit Gold überschüttet zu werden?“, fragte der Dschinn.
„Autsch.“
„Tat bestimmt nur kurz weh. Dann war er platt.“
„Ach komm“, warf ich ein. „Das ist doch auch so ein Märchen.“
„Kann sein. Soll aber mal einem passiert sein. Einen guten Kumpel von mir ist es aber passiert, dass sich einer gewünscht hat, er möchte in einen See aus Geldscheinen schwimmen.“
„Cool.“ Auf die Idee könnte ich auch kommen. „Und?“
„Nun, er fand sich in derselben Sekunde in seinem gewünschten See wieder.“
Aha.
„Und?“, fragte ich wieder.
„Auf dem Grund liegend“.
Ich überlegte kurz.
„Uups.“
„Genau. Uups. Zehn Meter Geldscheine über einem sind auch nicht so erstrebenswert.“
„Auch erdrückt?“, fragte ich.
„Nein, erstickt.“
„Traurig.“
„Ja. Sie alle hatten dasselbe gierige Glitzern in den Augen wie du gerade.“
Wieder dachte ich kurz nach.
„Das ist aber fies von euch. Es stimmt dann also aber, dass man euch Dschinns ganz, ganz genau sagen muss, was man will. Ansonsten verarscht ihr einen nur.“

„Verarschen?“, der Dschinn schnaufte empört. „Wir verarschen niemanden. Wir halten uns nur an das, was ihr sagt. Wir interpretieren nicht. Ich bitte dich. Ist es meine Aufgabe, aufzupassen, was ihr sagt, damit euch nichts passiert? Ich bin Dschinn, kein Babysitter. Also, du wünscht dir also …“
„Ich wünsche mir nur, dass …“ Ich stockte. Moment. Glaubt der, ich bin doof.
„So nicht, mein Freund“.
„Tja, einen Versuch war es wert. Aber ernsthaft, wie sieht es aus.“
Wie sah es denn aus. Das war ja alles wie ein Lottogewinn. Nur noch besser. Wenn ich es vernünftig anstellte, würde ich alles bekommen, was man für Geld kaufen kann. Einfach alles.

Nun ja, nicht alles. Schlagartig wurde ich wehmütig.
Wie sagt man zum Beispiel so schön? Freunde kann man mit Geld nicht kaufen. Ich habe Freunde, Hunderte, wenn man so will. Und doch kenne ich nur eine Handvoll persönlich. Der Rest ist im Internet verstreut. Vielleicht sollte ich mir eine Freundin wünschen? Obwohl, wer weiß, was er mir dann andreht. Sollte man auch mal lieber selber in die Hand nehmen.
Woher kam es, dass ich mit Menschen nicht zurechtkam? War ich schuld? Waren es die anderen?
Ist es meine Schuld, dass ich nicht draufstehe, bowlen zu gehen – oder in die Disco. Zur Afterwork Party, oder- irgendwohin?

„Mich lädt ja auch nie einer ein“, sagte ich laut.
„Was ist?“
Ach, der Dschinn war ja auch noch da.
„Nichts. Ich dachte nur laut.“
„Warum lädt dich nie einer ein? Hast du keine Freunde?“
„Doch, da drin“, ich nickte mit dem Kopf Richtung Computer. „Ich bin nicht so gut im persönlichen Umgang mit Menschen. Sie sind herzlos.“
„Ach so, du bist Egoist?“
Was? Hat der eine Macke?
„Nein, ich bin kein Egoist. Ich finde nur, die meisten Menschen sind, nun, komisch. Verhalten sich irgendwie dumm.“
„Ah“, sagte der Dschinn, „du bist also ein arroganter Egoist. Ich verstehe. Aber du findest es nicht dumm, seit Jahren zum größten Teil in diesem Zimmer zu sitzen, mit einem Teint wie eine französische Edelhure im 17. Jahrhundert, und in diesen Bildschirm zu starren. Ist ja auch angenehmer, wenn dir einer blöd kommt, musst du nicht diskutieren oder dich rechtfertigen, sondern machst einfach den Monitor aus.“

„Lass mich in Ruhe, das ist doch Quatsch.“
Der Dschinn ließ nicht locker.
„Viel besser noch, du kannst im Internet so tun, als wärst du eine ganz andere Persönlichkeit. Musst auf keinen Rücksicht nehmen. Respekt. Also, wenn das nicht egoistisch ist, weiß ich auch nicht mehr.
Du nennst Menschen herzlos, sitzt aber vor so einer Kiste da und tust so, als wärst du jemand, der du nicht bist. Das, mein Freund, ist herzlos. Du bist es, der niemanden reinlässt. Du bist ein Gefühlsgeizkragen. Ein egoistischer, herzloser geiziger Egoist. Was kannst du eigentlich?“
Sag mal, geht’s noch?
„Was für eine Art Dschinn bist du eigentlich? Was sollen denn diese Scheiß Vorwürfe. Was soll das heißen, was kann ich eigentlich? Ich kann eine ganze Menge.“
„Außer den Arsch hochbekommen? Sag mal an.“

„Ich kann …, also ich kann Anwendungen programmieren …“
„… Großartig.“
„… und, und ich kann Computer reparieren …“
Der Dschinn lächelte mich freundlich an.
„Das ist fein. Noch irgendwas Wichtiges?“
Ich überlegte. Ich konnte eine Menge. Viel. Nur was genau?
„Ich helfe dir. Kannst du irgendetwas, dass für die Gesellschaft nützlich ist. Für Kommunikation, zum Interagieren mit menschlichen Wesen. Kannst du zum Beispiel eine Fremdsprache?“
Nun, ich konnte ein wenig Englisch. Aber besser lesen, als sprechen.
„Kannst du Menschen beglücken. Zum Beispiel mit Musik. Kannst du irgendein Instrument spielen?“
Als Kind hatte ich mal eine Blockflöte. Und in der Schule durfte ich die Triangel bedienen. Das war angeblich der wichtigste Part.
„Kannst du wenigstens vielleicht anderen Menschen helfen? Ihnen etwas beibringen?“
Klar. Ich könnte Bedienungsanleitungen schreiben.
Hier. Zuhause. In meinem Zimmer.
Irgendwie verstand ich langsam, warum mich kein Mensch mal zu einer Party einlud.

„Man, du nervst voll. Ich hab´s ja kapiert. Ist ja gut.“
Der Dschinn rieb sich erfreut die Hände.
„Dann leg mal los. Was darf´s denn sein …“

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Tag der Veröffentlichung: 21.12.2009

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