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Ich war in meinem Leben schon Teil vieler Menschenmassen. So zum Beispiel bei Demonstrationen, Konzerten oder eben auch in Fußballstadien. Was ich immer mit diesen Menschenmassen verbinde, ist automatisch Lärm. Leute schreien, grölen, singen. Vielleicht unterhalten Sie sich auch einfach. Bei zigtausenden von Menschen ist aber auch das schon ein unüberhörbarer Lärmpegel.
Umso verwunderter war ich, als gestern fünunddreissigtausend Menschen gemeinsam lautstark schwiegen.
Gestern abend stand ich vor der Marktkirche in Hannover und mir liefen die Tränen. Es ging einfach nicht anders.
Nicht wirklich so sehr, weil ein Mensch – den ich nebenbei persönlich gar nicht kannte – sich umbrachte.
Aus zwei Gründen musste ich weinen. Als erstes kann ich Robert Enke persönlich verstehen. Nicht, dass er auf diese Weise sterben wollte, sondern weil ich selber weiß, welche Gedanken einen durch den Kopf gehen, wenn man Depressive Schübe hat. Sich die Realität verzehrt und man am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand rennt, damit er aufhört zu denken. Richtig schlimm ist es, wenn die Angst vor der Angst kommt. Wenn man anfängt zu zittern, zu weinen und sich am liebsten vergraben würde, damit einen die Angst nicht findet.
Robert Enke hat seinen Tod geplant. Vielleicht schon vor Wochen. Im war vollkommen klar, was er tut – und wann.
Und trotzdem muss man verstehen, dass ihm eben nicht klar war, was er im Begriff war zu tun. Wenn das Hirn einem sagt, dass es ein ganz klar logischer Schluß ist, den es zieht. Die einzige Option. Der einzige Weg. Dass dann alles besser wird. Für ihn.
Insofern ist es korrekt, ihm Egoismus vorzuwerfen. Er wollte sich selber heilen. Nichts anderes.
Die Geschichte ist umso trauriger, da wir ihn als einen vollkommen offenen Menschen kannten, der seine Gefühle und seine Probleme mit seinen Fans teilte. So bei dem Tod seiner Tochter.
Bei sich selber konnte er sich nicht mitteilen. Er war alleine. Auch das ist ein Gefühl, dass ich kenne. Unter tausenden von Menschen alleine zu sein. In der Familie. Unter Freunden. So stimmte es also meiner Meinung nach nicht, als die Bischöfin gestern abend sagte: You´ll never walk alone. Doch, er ist alleine gegangen. Schon seit Jahren.
Der zweite Grund war, dass ich es faszinierend fand, dass in einer Zeit, die wir alle als gefühlskalt und verroht empfinden, so viele Menschen Abschied von einem ihnen Unbekannten nahmen. In Zeiten, in denen wir täglich mit Tausenden von Toten im Fernsehen erschlagen werden.
Wir Fußballfans kannten Robert Enke aus den Medien, oft genug haben wir ihn auch von weitem im Stadion gesehen. Viele anderen wussten zumindest, dass er der Deutsche Nationaltorwart war.
Aber irgend etwas muss die Person Robert Enke gehabt haben, dass so viele Menschen um ihn trauerten und immer noch trauern. Etwas Bodenständiges, ruhiges. Ein Prominenter Fußballspieler, der aber auch jedermanns Kumpel war und in jedem unserer Wohnzimmer hätte sitzen können. Der Nähe ausstrahlte.

Völlig perplex stand ich gestern auf dem Georgsplatz inmitten von fünfunddreissigtausend Menschen. In völliger Ruhe. Es war gespenstisch. Unheimlich. Und doch ungeheuer friedvoll. All diese Menschen zogen still durch die Straßen Hannovers. Wir trafen auf Freunde, die an einer Straßenecke auf uns warteten. Auch die Bekannte, die dabei stand, hatte Tränen in den Augen. Sie warteten seit zwanzig Minuten auf uns. Zwanzig Minuten, in denen eine Menschenkette still an Ihnen vorbei lief. Es war ein unglaubliches Bild.
Der Fußmarsch zum Stadion dauerte über eine Stunde. Eine Zeit, in der eine ganze Stadt schwieg, die Geräusche der Großstadt in den Hintergrund gedrängt wurden und Autofahrer auf Hauptverkehrsstraßen geduldig warteten, bis der stille Strom an ihnen vorbeigezogen war.
Es gibt ihn also doch noch, den Zusammenhalt zwischen den Menschen. Schade ist nur, dass es anscheinend Trauer ist, die ihn auslöst und Personen wie Robert Enke dafür von uns gehen müssen.

Es mag dem einen oder anderen pathetisch vorkommen, was dort passiert ist. Die mediale Keule, die ausgepackt wurde. Vielleicht auch die Darstellung meiner eigenen Gefühle.
Das ist mir alles egal. Sehen wir es positiv. Dass wir noch Dinge gemeinsam machen können. In völliger Stille.

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Tag der Veröffentlichung: 12.11.2009

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