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Wir saßen am Wasser. Jasmin und ich. Wir machten das gerne ab und zu im Sommer. Es war ruhig hier an der Flussbiegung, die dichte Baumreihe hinter uns schottete uns von etwaigen Spaziergängern ab. Das Gras war saftig, ein dunkles, gesundes Grün. Ein bisschen hoch vielleicht, aber das war uns egal. Unsere zwei selbst gebastelten Angeln lagen neben uns auf der Wiese. Ein paar Meter Schnur schwammen im Wasser und der Korken, der uns als Schwimmer diente, tanzte auf der Wasseroberfläche. Ich war auch oft alleine hier, döste durch den Tag, genoss die Sonne und philosophierte über das Leben an und für sich.
Mit Jasmin hier an meiner Seite war es anders. Sie war vom Typ her wie ich. Ruhig, ausgeglichen. Wir konnten stundenlang nebeneinander liegen und den blauen Himmel und die Wolken beobachten, ohne dass ein Ton fiel. Es störte niemanden von uns. Manchmal ist es ja komisch, wenn zwei Leute sich lange anschweigen. Unangenehm. Mit Jasmin und mir war das nicht so.

Ich glaube, Jasmin und ich waren eigentlich sowas wie Brüder im Geiste. Bei vielen Dingen, über die wir so redeten, waren wir einer Meinung. Politik, Sport, es war faszinierend.
Nun waren wir in unserem zweiten Jahr befreundet. Trafen uns bei schönem Wetter hier am Fluss, immer unverabredet, angelten und genossen unsere Freundschaft. In diesem zweiten Jahr fiel mir etwas auf, über das ich vorher nie auf die Idee gekommen bin nachzudenken. Es kam mir einfach nie in den Sinn.

- Jasmin? Sag mal, hast du eigentlich einen Freund? So lovermäßig, mein ich.

Sie blieb lange stumm. Ich machte mir nichts draus, ich war es gewohnt, dass sie über eine Frage nachdachte.

- Nein. Ich hatte einen. Bis letztes Jahr. Ging aber irgendwie nicht.

- Das tut mir leid.

- Muss es nicht. Wie gesagt, passte nicht.

Ich dachte darüber nach. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie Jasmin jemanden küsste. Noch schlimmer, Sex mit ihm hatte. Was bedeutete es, dass sie mit ihrem ehemaligen Freund nicht mehr zusammen war? Was für eine Art Typ mochte er wohl gewesen sein? So ruhig wie ich? Eher extrovertiert? Jasmin war eine wunderhübsche Frau. Fand ich zumindest. Lange, braune, Lockenhaare. Nein, eher gewellt. Nicht lockig. Große, braune Augen, die wahnsinnig lächeln konnten. Darauf stand ich schon immer. Wenn Frauen mit ihren Augen lächeln und dich damit praktisch zerfließen lassen können.
Sie war eine Handbreit größer als ich. Also musste sie so um die 1, 86 Meter sein. Vielleicht zwei Zentimeter mehr. Aber so etwas störte mich nicht. Ich war nicht einer von den Männern, die durch ihre Größe schon ihre Frauen unterdrücken müssen.

Als ich da lag, den Kopf auf der Seite um Jasmin zuzuschauen, wie sie in den Himmel blickte, kam mir ein anderer Gedanke in den Sinn. Warum fragte ich mich das alles?
Die Antwort war klar.

- Wow

Ich konnte nicht anders. Ich war so überrascht, ich musste meine Überraschung verbal kundtun.

- Was ist denn „Wow“?

- Ich habe gerade etwas begriffen

- Okay. Und was ist es, das du begriffen hast?

- Ich bin in dich verliebt

- Wow

- Sag ich doch

Ich schaute wieder nach oben, nahm die Arme hoch und legte meinen Kopf auf meine Hände. Ich musste erst einmal über die Erkenntnis nach denken. Ich glaube, ich bin ein wenig weggedöst, denn als ich wieder aufwachte, war die Sonne schon ein ganzes Stück weitergewandert. Es war Spätnachmittag. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und setzte mich auf.
Ich schaute mich um und sah Jasmin im Schneidersitz auf ihrem Platz sitzen. Sie war mir zugewandt, schaute mich aber nicht an. Ihr Blick war auf den Boden geheftet, wo ihre Hände an einem Stück Papier rum falteten. Augenscheinlich sollte es so etwas wie ein Papierflugzeug werden.
Sie bemerkte mich und schaute hoch. Dann strich sie den letzten Falz glatt, nahm das Flugzeug in die rechte Hand und warf es mit einer anmutigen Bewegung von sich. Das Flugzeug segelte auf den Fluss hinaus, kam dann auf dem Wasser auf und trieb mit der Strömung fort.
Wir schauten beide zu, bis das Flugzeug nicht mehr zu sehen war. Beide drehten wir dann unsere Köpfe und sahen uns an. Sie lächelte.

- Na, du

- Na. Entschuldige, ich bin wohl eingeschlafen

- Nicht schlimm

Das sie lächelte nahm ich erst einmal als gutes Zeichen. Zumindest hat sie meinen Schlaf nicht ausgenutzt und ist gegangen.

- Immer noch verliebt?

- Blöde Frage. Wie lange habe ich geschlafen? Jahre?

- Nein. War Quark, entschuldige. Ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast. Das war übrigens sehr süß, danke

- Süß? Genau, was ein Mann hören möchte. Danke

- Sei nicht so. Du weißt, wie ich es meine. Ich habe mich sehr gefreut. Ich habe mich ja auch ein bisschen in dich verliebt, weißt du

Ich fand das mit dem „ein bisschen“ merkwürdig. Wie konnte man sich denn ein bisschen verlieben? Das war doch nur entweder ganz oder gar nicht möglich. Ich sagte aber nichts. Ich wollte die Stimmung nicht vermiesen und außerdem freute ich mich ja auch.

- Eigentlich schon Ende letzten Jahres oder so. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber ich wollte nichts sagen, weil ich Angst hatte, es zu versauen und unsere schönen Nachmittage hier würden nicht mehr stattfinden. Ich weiß, das war dämlich von mir

Ich wollte ihr gerade zustimmen, als sie mit einem kleinen, spitzen Schrei aufsprang. Sie zeigte auf den Fluss. Ich stand auch auf und sah, wie einer der Schwimmer wie wild hüpfte. Anscheinend hatte bei meiner Angel ein Fisch angebissen.

- Scheisse, wie kann denn ein Fisch alleine so blöd sein. Da war doch noch nicht mal ein Köder am Haken. Gibt es auch Selbstmörder unter den Fischen?

Jasmin antwortete mir nicht, sah mir nur stumm zu, wie ich die Schnur vorsichtig einzog, bis ich tatsächlich einen kleinen, flapsigen Fisch zwischen meinen Händen hielt. Vorsicht entfernte ich den Haken aus dem Maul und warf den Fisch zurück in den Fluss. Wenn es denn ein Selbstmörder war, würde er sich jetzt wahrscheinlich ziemlich ärgern.

- Danke

Jasmin gab mir einen Kuss auf die Wange.

- Kein Problem. Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal gleich die verdammten Haken weg lassen.

Sie lachte lauthals. Das sah ich selten und jetzt, wo ich sah, wie sie den Kopf zurückhielt und mit vollem Herzen lachte, war ich mir wirklich sicher, dass ich sie liebte.
Wir setzten uns beide wieder in das Gras. Schauten uns an. Sie fing an zu sprechen.

- Und was wollen wir jetzt tun?

- Keine Ahnung. So weit habe ich noch nicht gedacht. Was meinst du?

- Tja, da muss ich auch erst überlegen. Hab ja nicht daran gedacht, dass noch mal jemand was von mir will
Wir mussten beide lachen.

Wir saßen fast die ganze Nacht dort. An dem Fluss. Der Vollmond beleuchtete die Szenerie und gab uns genug Licht. Wir redeten und redeten, durchleuchteten die Möglichkeiten unseres gemeinsamen Lebens.
Zum Schluss, ganz zum Schluss, als wir aufbrachen und zurück ins Haus gingen, küsste sie mich das erste Mal. Ich werde es nie vergessen.

Gestern haben wir sie begraben. Der Krebs hat gesiegt. Aber ich bin nicht traurig. In absehbarer Zeit werden wir wieder zusammen liegen. Im Gras. An unserem Fluss. Darauf freue ich mich.

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Tag der Veröffentlichung: 10.08.2009

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