Am Ostersonntag wollte ich eigentlich mal gemütlich ausschlafen.
Den Abend davor genoss ich das sich jährlich wiederholende Osterprogramm im Fernsehen - schön mit 'ner Schale Chips auf dem Bauch und einem vorgekühlten Sechserpack Bier neben der Couch. Eines Junggesellen würdig, wie ich fand.
Als es dann heute morgen klingelte, öffnete ich meine verklebten Augenlider, fand mich in meinem Bett wieder und wollte gerade mit der Hand auf den Wecker fahren, um dieses unsägliche Geräusch zu beenden, als ich mitbekam, dass es die Klingel an der Haustür war. Jemand begehrte Einlass. Da ich ja quasi schon auf dem Weg zum Wecker war, konnte ich auch gleich drauf schauen. Die Digitaluhr blinkte mir ein fröhliches 8:59 Uhr entgegen. Um ehrlich zu sein, unter ausschlafen verstand ich etwas anderes. Ich überriss rasch im Kopf, wer mich Ostern zu so früher Stunde besuchen kommen könnte und fand niemanden, der es wert gewesen wäre, wegen ihm aufzustehen. Also ließ ich mein müdes Haupt wieder sinken, drehte mich auf die linke Seite, damit die vorwitzig freche Morgensonne mir nicht in das Gesicht scheinen konnte und tat mein bestes, wieder einzudösen.
Es klingelte abermals.
Jetzt gibt's aber …
Ich schmiss die Bettdecke mit Elan von mir, griff mit der rechten Hand nach meinem Erbstück von Bademantel Großväterlicherseits, mit der Linken richtete ich meine unteren Extremitäten. Auf den Weg zur Tür brüllte ich noch ein beherztes: "Ich komme ja schon", gefolgt von einem "Verdammte Scheiße."
Ich blieb vor der Tür stehen und zog den Gürtel meines Bademantels enger. Ich riss die Tür auf, nur um auf die verwaiste Nachbarstür von Moni zu schauen, die mit mir auf derselben Etage wohnte. Niemand da.
Na klar, der Besucher stand unten vor der Haustür. Ich drückte den Türöffner und ließ es gute drei Sekunden brummen. Nichts regte sich unten. Ich nahm den Hörer der Öffnungsanlage ab.
"Hallo? Einer Zuhause?" Ich lauschte. Nur Stille, unterbrochen vom Rauschen vorbeifahrender Autos auf der Straße. Verdammte Hacke. Jetzt machten die Rotzgören der Siedlung schon an heiligen Feiertagen am frühen Morgen Klingelstreiche. Ich war schon dabei, die Tür wieder zu schließen, als mir auffiel, das auf meiner Willkommensmatte, mit den erfreulichen Worten 'Dann komm eben rein, wenn es nicht anders geht', etwas abgelegt worden war. Ich starrte ungläubig auf ein gelbes Osternest mit einem einzelnen Riesen-Ei darin.
Aha. Is' klar. Ein Ostergeschenk. Macht ja Sinn. Aber von wem? Ich trat an dem Nest mit dem Ei vorbei und schaute am Treppengeländer hinab. Irgendwo stand doch bestimmt jemand und grinste sich eEinen. Ich rief ein leises, fragendes `Hallo?` in die Etagen unter mir - schließlich war es noch früh - bekam aber keine Antwort. Schulter zuckend drehte ich mich um, hob das Nest auf und ging zurück in meine Wohnung.
In der Küche stellte ich das Nest auf dem Küchentisch ab und betrachte mein Ostergeschenk. Ich musterte den gelben Korb, ausgefüllt mit grünen Plastikschnipseln, die wohl Gras darstellen sollten, mit Verwunderung. Verwundert deshalb, weil ich selten Geschenke bekam. Gut, an Geburtstagen, von den paar Freunden die ich hatte. Aber zu Ostern habe ich, glaube ich, als Zwölfjähriger das letzte Mal was von meinen Eltern bekommen.
Ich ging zum Küchentisch und schaute genauer in das Nest hinein. Nur ein Ei, mehr war nicht zu sehen. Abgesehen von den Schnipseln. Das Ei selber in roter Zellophanhülle verpackt. Na toll, dachte ich mir, gelber Korb, grüne Schnipsel, rotes Ei. Zumindest wusste ich jetzt, dass der Verschenker farbenblind war. Oder einfach furchtbar schlechten Geschmack hatte. Ich hob das Ei aus dem Nest. Es war gar nicht so schwer wie es aussah. Ich hob es an mein Ohr und schüttelte es leicht. Nichts war zu vernehmen. Trotzdem ging ich davon aus, dass es aufgrund des Gewichtes hohl sein musste. Vorsichtig legte ich das Ei wieder in das Nest und deponierte das ganze in einer Ecke bei der Spüle. Mir doch egal.
Dann legte ich mich wieder hin, zog mir die Bettdecke über den Kopf und schloss die Augen.
Nur um das Ei zu sehen. Verdammt. Ei, geh da weg. Mühsam versuchte ich mir Karin, meine Ex-Freundin, die sich vor drei Wochen von mir getrennt hatte, geistig vorzustellen. Lange Beine, kleiner, knackiger Arsch, die gelbe Lockenpracht. Am Ende hatte ich so eine Art Humpti-Dumpti mit Titten vor mir. Herr Gott. Ich verscheuchte das Bild wieder. Aber ich konnte es nicht leugnen, das Osternest ging mir nicht aus dem Sinn. Ich legte mich auf die andere Seite, nur um aufgrund der Sonneneinstrahlung sofort zu erblinden. Ich musste unbedingt mein Bett um. Mit der Hand tastete ich auf dem Beistelltisch herum, auf der Suche nach meinem Schnurlosen Telefon. Im Speicher suchte ich die Nummer von Nadja, Karins bester Freundin, bei der sie vor besagten drei Wochen untergekrochen ist. Ich drückte die Wahltaste.
"Hmpf", Nadjas eloquenter Morgengruß drang aus dem Hörer.
"Nadja, ich bin's. Karsten. Nimm mal den Socken aus dem Mund. Man versteht ja gar nichts."
"Du alter Arsch. Schau mal auf die Uhr. Wir wahren auf einer Party gestern und ich liege erst ein paar Stunden im Bett. Was willst du, zur Hölle."
Ich ließ mich nicht beirren. Wenn ich so früh aufstehen konnte, würde sie das auch hinbekommen.
"Hör zu, ich muss mal Karin sprechen. Ist sie schon wach?"
Nadja gähnte herzhaft in mein Ohr.
"Weiß ich doch nicht, du Spinner. Obwohl, wart' mal, ich glaub ich hör' sie, bleib dran." Ich konnte gedämpfte Stimmen hören und vernahm einzelne Satzfetzen.
… Spinner … früh am Morgen … du auf? Dann vernahm ich Karins Stimme am Telefon.
"Was willst du denn?"
"Danke, mir geht's gut. Ich hoffe dir auch, mein Schatz. Hör mal, ich wollte mich nur für dein Ostergeschenk bedanken, dass du mir vorhin vor die Tür gelegt hast."
Karin stutzte, wenn auch nur kurz.
"Was hab ich? Du bist doch nicht normal. Du bist der letzte, dem ich was schenken würde. Schenk du mir mal lieber die 100 Tacken zurück, die du mir noch schuldest."
Ihr Ton war einigermaßen, nennen wir es mal unversöhnlich. Ich glaubte nicht mehr dran, dass das Ei von ihr kam. Jetzt musste ich noch aus der Schuldennummer rauskommen, dann würde ich weiter in Ruhe nachdenken können.
"Uups, Akku leer." Ich legte auf.
Tja, meine Idee, dass meine Verflossene aus lauter Sentimentalität Eier vor die Tür legt, war dann wohl ein Schlag ins Klo. Mein bester Kumpel Heiko vielleicht? Nee, oder? Aber einen Versuch war es wert.
"Heiko? Karsten hier. Sag mal, hast du mir ein Ei vor die Tür gelegt?"
Erst einmal 3 Sekunden Ruhe in der Leitung.
"Was? Wer? Wer issn da? Was für'n Ei?"
Wieso kann heute niemand mehr vernünftig kommunizieren?
"Mann, Karsten hier. Ich will wissen ob du mir ein Osterei vor die Tür gelegt hast."
"Hä? Ich war heut noch kein Ei legen. Mann, ich penne. Hast du keine Uhr, oder was? Spiel dir doch selber an den Eiern. Lass mich in Ruhe, du Schwuchtel."
Damit war die Leitung tot.
So wirklich hab ich ja auch nicht dran geglaubt. Ich schmiss die Decke von mir und taperte wieder in die Küche. Dort stand das Ei und grinste mich an. Also, ich weiß ja, dass Eier physikalisch nicht grinsen können, aber das Ding da verhöhnte mich sogar. Zuerst füllte ich meinen Kaffeebecher wieder und trank nachdenklich einen Schluck. Das Ei und ich starrten uns gegenseitig an. Ich verlor den Kampf und die Nerven. Mit einem wuchtigen, zugegebener Weise hinterhältigen Schlag auf das Ding zerbröselte ich es in seine wehrlosen Bestandteile. Glaubte ich zumindest. Ich konnte ja wegen des Zellophans nicht ins Innere sehen. Ich grinste schief ob meiner brutalen Zurschaustellung männlicher Überlegenheit und riss die Hülle auf. Ich wusste nicht wirklich, was ich denn nu eigentlich erwartete - blutendes Schokoladenfleisch vielleicht? - sah aber nur zerkleinerte Schokoladenteilchen. Halt, stimmt nicht. Ich sah noch etwas. Einen weißen, länglichen Zettel. Mit spitzen Fingern zog ich ihn raus. "Ich denk an dich".
Na klasse. Ich meuchele das Teil hinterrücks und dann denkt es noch an mich. Da soll man kein schlechtes Gewissen bekommen. "Ich denk an dich". Nicht nur, dass mir jemand Schokolade vor die Tür stellt, er/sie/es denkt auch noch an mich. Ich hoffe doch mal freundlich.
Ich ließ den Zettel sinken und sinnierte. Ließ den ganzen verschrobenen Ablauf dieses Morgens noch einmal an mir vorbeiziehen. Es klingelte, nein, besser, es hat geklingelt. Ich auf und an die Tür. Herrenloses Ei vor Tür. Wie ist der Anonymus eigentlich auf meine Etage gekommen? Oder war es jemand hier vom Haus. Diesmal patschte ich mir tatsächlich an die Stirn. Moni. Natürlich. Das arme Mädel war in mich verknallt und ich habe es nur nicht gemerkt. Schön, ab und zu war sie mal hier - oder ich drüben, und wir tranken ein Gläschen Wein. Aber ich wusste ja nicht …
Armes Ding. Was sollte ich denn jetzt machen? Bedanken wäre ja wohl erst einmal das richtige. Dann würde ich nur noch einen Weg finden müssen, der Kleinen das wieder auszureden. Sie war ja ganz nett, aber so rein optisch gar nicht mein Typ. Das spielt ja auch irgendwie eine Rolle.
Ich hielt mein Ohr an die Küchenwand und lauschte, ob ich bei ihr irgendwelche Geräusche vernehmen konnte. War da nicht etwas? Als würde jemand ein Schranktür zuknallen. Also war sie wach. Gut. Ich war schon halb an der Tür, als mir auffiel, das ich immer noch Opi's Bademantel anhatte. Also ging ich zurück in das Schlafzimmer und zog mir meine alte Trainingshose und ein schwarzes Shirt über. Auf dem Weg zur Tür schnappte ich mir dann noch den Zettel mit dem "Ich denk an dich".
Drüben klopfte ich an die Tür und legte das Ohr an um zu lauschen. Tatsächlich, ich konnte Moni angeschlurft kommen hören. Sie öffnete die Tür. Langer, pinker Schlafanzug, ihre Häschenschlappen an den Füßen und eine Tasse in der Hand blickte sie mich an.
"Äh, Morgen, Moni. Schön das du schon wach bist. Ich …" Sie sah mich mit desinteressiertem Blick müde an und ich versuchte verzweifelt einen Anfang zu finden.
"Weißt du, ich wollte mich für das Osternest bedanken. Du weißt schon …". Hilflos fuchtelte ich mit dem Zettel vor ihren Augen rum. Sie schaute verwirrt.
"Was für ein Nest?"
"Das Osternest. Vor meiner Tür vorhin. Heute morgen … Du hör mal, hier mit dem Zettel …"
"Ich hab dir nix hingestellt. Sei mir nicht böse, ich will in die Wanne. Wir sehen uns später."
Damit schloss sie die Tür und ließ mich alleine zurück. Ich ging zurück in meine Küche, setzte mich und sah dieses vermaledeite Ei an. Gut, die Überreste eines Eis. Und das pipigelbe Körbchen. Wer zur Hölle hat mir das hingestellt.? Es machte mich wahnsinnig. Wider besseren Wissens. Eigentlich war es doch egal. Aber in Verbindung mit diesem Zettel. Ich saß und starrte. Starrte und saß. Die ganzen verdammten Osterfeiertage. Ich und das Osternest. Ich habe keine Ahnung, wer mir das Ei geschenkt hat. Nie raus gefunden. Ich hasse Ostern. Und Weihnachten fahr' ich weg.
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2009
Alle Rechte vorbehalten