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Lange Zeit saß Hans einfach nur da und schaute zu. Mindestens drei Stationen lang.
Die Straßenbahn 17 zuckelte langsam über die Schienen Hannovers. Hans war am Hauptbahnhof eingestiegen und wollte zur Haltestelle Schwarzen Bären. An der Haltestelle Kurt-Schuhmacher-Straße, gleich die nächste nach dem Hauptbahnhof, stiegen zwei Männer ein. Hans bemerkte ihren Zustieg erst gar nicht. Ihr lautstarkes Reden machte ihn auf sie aufmerksam.
- Alter, guck mal. Ne Schwatte. Ganz alleine in der Straßenbahn. Na sowas.
Der angesprochene Mann grinste breit.
- Und ne hübsche auch noch. Sieht man ja selten bei den Negern.
Das war der Zeitpunkt, als Hans aufhörte aus dem Fenster zu sehen und sich dem Geschehen zuwandte.
Sein erster Gedanke war: Genau so stellt man sich Neonazis vor. Groß und breitschultrig. Kahl rasierter Schädel. Bomberstiefel und Fliegerjacke. Wie aus dem Bilderbuch. Einer der beiden, der, der zuerst gesprochen hatte, hatte ein großflächige Tätowierung am Hals.





Hans blickte an den beiden vorbei. Drei Reihen weiter hinten saß auf der linken Seite mit Blick zur Fahrtrichtung eine junge, dunkelhäutige Frau. Vielleicht 25 Jahre alt. Sie starrte mit zusammengepressten Lippen aus dem Fenster. Versuchte die beiden Männer zu ignorieren.
Die Neonazis bewegten sich auf sie zu.
- Hey, Schnucki, so ganz alleine. Das ist aber nicht gut.
Der mit der Halstätowierung setzte sich der jungen Frau gegenüber. Sein Kumpan ließ sich neben der Frau selber nieder und legte die Füße auf den Sitz gegenüber. Damit war der Frau der Fluchtweg versperrt. Aus der Beintasche seiner Militärhose holte er eine Flasche Bier und öffnete sie.
- Wer hat dir eigentlich erlaubt, hier eine Straßenbahn zu benutzen, hä? Ist das bei euch normal, oder was?
Die Frau blickte weiterhin stur aus dem Fenster, antwortete nicht. Der Mann rechts von ihr knuffte ihr in die Seite.
- Blacky, was ist los. Kannst. Du. Unsere. Sprache. Nicht?
Ganz langsam und langgezogen. Beide wieherten.
Hans schaute sich um. Grob geschätzt waren noch zwanzig weitere Personen in der Straßenbahn. Drei Kinder mit Schulranzen, die sich änglich immer weiter in den hinteren Bereich der Bahn verzogen. Viele Frauen, davon einige mit Kopftüchern. Vielleicht sechs, sieben weitere Männer.
Hans schaute aus dem Fenster.
- Lasst mich in Ruhe.
Man merkte der Stimme an, dass die junge Frau ruhig bleiben wollte. Dass Zittern in der Stimme konnte sie aber nicht ganz unterdrücken.
- Boah. Ich werd nicht mehr. Die kann richtig Deutsch. Soll einer noch mal sagen, man kann Affen nichts beibringen. Wie heißt du denn, Schnuckelchen.

- Lasst mich in Ruhe.
Sie versuchte, sich so weit wie möglich abzuwenden und blickte wieder starr aus dem Fenster.
Einer der umsitzenden Männer sagte etwas.
Der Neonazi mit dem Bier nahm die Füße vom Sitz, drehte sich in den Gang und beugte sich vor. Ellbogen auf den Knien, Flasche Bier dazwischen.
- Was is` ?
Er sah den Mann, der gesagt hatte, sie sollen das Mädchen in Ruhe lassen, wütend an.
- Halt die Fresse, du Wixer. Bist du´n Negerwemser, oder was? Noch ein Wort, dann knallt´s.
Die Bahn hielt an der Haltestelle Goetheplatz. Das Mädchen versuchte aufzustehen. Sofort drehte sich der Mann mit der Bierflasche wieder um und legte die Füße auf den Sitz gegenüber.
Der Mann, der angepöbelt wurde stieg mit rotem Kopf und gesenkten Blick aus. Die Kinder folgtem ihm durch die hinterste Tür.
Der Neonazi mit der Tätowierung lehnte sich vor und fasste die Frau am Knie an.
- Wo fährst denn hin, ha? Vielleicht müssen wir da auch gerade zufällig lang. Vielleicht kannst du meinem Kumpel hier und mir ja einen kleinen Gefallen tun. Wird auch nicht lange dauern.
Der andere Neonazi lachte schallend.
- Kommt immer drauf an, wie gut sie ist, oder?
Die junge Frau wischte die Hand auf ihrem Knie beiseite.
- Lass mich in Ruhe und verpiss dich, du dumme Sau.

- Holla, jetzt wird aber eine frech hier.
Hans Gedanken rasten. Keiner der anderen stand auf und griff ein. Musste nicht zumindest der Fahrer der Bahn mittlerweile etwas mitbekommen haben? Was sollte er tun? Nichts? Wegschauen? Was würde seine Frau sagen, wenn er ihr die Episode heute abend erzählte. Sie würde ihn ein feiges Schwein nennen. Also besser nichts erzählen.
Aber er würde es wissen. Und was würde sein Spiegelbild ihm morgen früh erzählen?
- Mach nicht so einen Aufstand, Negerschlampe. Wir drei steigen gleich aus und gehen wir runter an die Ihme und du bläst uns schönen einen. Wenn du willst, kannst du das auch gleich hier machen …
Der Neonazi mit dem Bier lachte wieder lauthals. Die junge Frau holte aus und schlug dem Mann ihr gegenüber die flache Hand in das Gesicht. Der Kerl neben ihr hörte auf zu lachen, und mit einer kurzen Bewegung schlug er ihr mit rechten Faust an die Wange. Ihr Kopf schlug gegen die Scheibe.
Hans fand sich selber stehend. Reflexe hatten ihn anscheinend aufstehen lassen und bevor er bewusst nachdenken konnte, hatte er schon zwei Schritte getan. Der Neonazi mit dem Bier sah ihn näherkommen und betrachtete ihn amüsiert.
- Na, Alter. Hast´e irgendein Problem?
- Ihr lasst die Frau in Ruhe. Sofort.
Hans hörte die Worte in seinem Kopf nachhallen. Dachte fieberhaft nach, wie es weitergehen sollte.
Seine Füße machten einen weiteren Schritt.
- Schorse, guck ma´ , ein Lebensmüder. Setz dich hin, du Pfeife. Sonst mach ich dich platt. Und ich mach´ keinen Spass.
Der andere Neonazi warf einen kurzen Blick auf die Frau und drehte sich dann zu Hans um.
Selbst wenn Hans die ersten Schritte automatisch getan hatte, der erste Satz fast unbewusst kam, wusste er nun genau was er tat. Er wusste nicht, was er fühlte. Aber er hatte keine Angst.
- Ich hab gesagt, ihr lasst die Frau in Ruhe. Seid vernünftig. Steigt aus und amüsiert euch woanders.
Hans sah sich demonstrativ um.
- Will hier kein anderer mal mithelfen?
Ein Mann weiter hinten sah so aus, als wollte auch er aufstehen. Die Frau neben ihm hielt ihm am Arm fest und zischte ihm böse etwas zu. Er setzte sich wieder. Diskutierte kurz mit ihr, aber machte keine Anstalten wieder aufzustehen.
Kein anderer der verbliebenen Leute in der Bahn bewegte sich oder gab ein Laut von sich.
Der Neonazi mit der Tätowierung stand auf und stellte sich in die Mitte der Bahn. Er spuckte aus und zog den Bund seiner Hose hoch.
- Nicht weglaufen, Schlampe. Bin gleich wieder da. Guck an, ein Held. Ist ja klasse. Alter, du weißt nicht, dass du dir gerade die restliche Woche sowas von versaut hast.
Während er sprach ging er auf Hans zu. Fünf, sechs Schritte. Mehr waren nicht nötig. Auf Armeslänge an Hans herangetreten, holte er aus und wollte Hans mit der rechten Faust in das Gesicht schlagen.
Hans trat einen Schritt zurück, sah die Faust kommen und fing sie mit seinem linken Unterarm ab. Dann umfing er den fremden Unterarm mit seiner Linken und drehte seine ganze Hand nach außen. Der Neonazi schaute irritiert, konnte aber nicht verhindern, dass sein Oberkörper sich nach links wandte, nach unten gedrückt und ihm sein Arm damit auf den Rücken gedreht wurde.
Hans nahm seinen rechten Arm und schubste den Neonazi fest in den Rücken, die Linke gleichzeitig loslassend. Der Neonazi stolperte über den Einzelsitz vor ihm, prallte schwer mit dem Oberkörper gegen die Scheibe der Bahn und sackte dann auf den Sitz.
Hans drehte sich um und bemerkte gleichzeitig einen Schmerz in der Nierengegend. Trotzdem vollführte er die Bewegung und sah den anderen Neonazi vor sich. Er hatte die Bierflasche mit einem Messer vertauscht.
Hans blickte auf das Messer. Er sah Blut an der Klinge. Er schaute an dem Glatzkopf vorbei und sah die junge Frau, die sich eine Hand vor dem Mund hielt. So, als würde sie einen Schrei unterdrücken wollen. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen.
Der kurze Schmerz, ausgelöst von dem Stich, war eigentlich schon wieder weg. Komisch, dachte Hans. Er bekam einen harten Schlag in den Rücken und fiel nach vorne auf die Knie. Wieder ein Schlag in den Rücken. Nein, dachte Hans. Ein Tritt eher. Er fiel weiter nach vorn, konnte den Kopf noch ein wenig drehen und schlug mit der rechten Schläfe auf dem harten Boden der Straßenbahn auf.


Wir werden dich immer lieben und
vermissen. Wir sind stolz auf dich.
Wir nehmen Abschied von unserem geliebten
Ehemann und Vater.
Hans Rainer Gröne
1968 – 2009
In Liebe
Miriam, Petra und Floh


Danke.
Einem der letzten Helden der Großstadt

Hans R. Gröne
1968 - 2009
Ich werde Ihnen immer dankbar sein.
Maliyah W.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für die arme Seele, die mich - aufgrund des Buches - in eine rechte Ecke stellen wollte. Du wirst es nicht schaffen, Baby.

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