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Als er im Himmel erwachte

Als er im Himmel erwachte, umgeben von leuchtenden Engel, die keinerlei Schatten trugen, hell in weiß gekleidet, war ihm klar, das er hier nicht sein will. Alle sangen und jeder sang mit dem nächsten im gleichen Lied und alle sangen ein und dasselbe Lied. Es war ein schönes Lied, vielleicht schöner als alles, was er auf der Erde gehört hatte. Am Anfang war er ein wenig enttäuscht, denn obwohl er im Grunde nicht an den Himmel glaubte, hatte er sich doch insgeheim vorgestellt, von Jungfrauen begrüßt zu werden. Er fragte sich, warum er überhaupt in den Himmel durfte. Auf der Erde hatte er nicht gerade als Heiliger gelebt. Lange Zeit war er ein Sünder. Über viele Leben kostete er die Sünde bis zum letzten Tropfen aus. In vielen Leben ließ er keine Frau ungeliebt, ließ keinen Trunk ungetrunken, war der Völlerei verfallen, war gierig, wollüstig und unersättlich. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er noch nicht einmal bei seinem Tod gebetet. Im Grunde wollte er gar in den Himmel, er hätte es viel lieber gesehen, wenn jemand seine ganzen Schulden auf der Erde für ihn bezahlt.

Was ihn am meisten erstaunte war, das die andere Seele an der Himmelspforte keinen Einlass bekam. Die andere Seele war in vielerlei tugendhaft, gläubig, hat immer fleißig gearbeitet, hat nie gesündigt, ist immer seiner Frau treuer Knecht geblieben, hat sich um seine Kinder gekümmert und hat sogar oft in der Bibel gelesen und an regelmäßig an Gottesdiensten teilgenommen. Doch ihr gewährte der Wächter der Pforte keinen Einlass und schickte sie wieder auf die Erde mit der Begründung, sie sei noch lange noch so weit , sie habe noch viel zu lernen. Die Seele war bestürzt und versuchte sich zu rechtfertigen und zu entschuldigen, bat um Gnade und Verzeihung und schob seine scheinbar nicht ausreichende Tugend auf seine Umstände und andere Menschen. Als der Wächter sich nicht umstimmen ließ, fing sie in allem Überdruss noch an zu beten.

Eben das ist ist, sagte der Wächter, weswegen du erstmal nicht in den Himmel kommst. Die Seele war bestürzt und entrüstet darüber. Sie hatte ihr ganzes Leben dafür gearbeitet, irgendwann in den Himmel zu kommen, war immer brav und vernünftig und hätte bei jedem Anflug von Sünde sofort gebeichtet und gebetet. Das wäre nicht fair, sagte sie, sie habe sich ihr ganzes Leben auf den Himmel gefreut. Der Pfarrer hätte ihm doch immer den Himmel versprochen und der Knecht Gottes könne sich doch nicht täuschen oder sich gar Lügengeschichten aus dem Finger saugen.

Der Wächter kannte keine Gnade. Mit feurigem Schwert erteilte er ihr einen Hieb und die fiel wieder auf Erde in menschlicher Form in den Garten seines ungläubigen Nachbarn, der niemals in die Kirche ging und immer viel zu laut Musik hörte. Außerdem war der Nachbar zum dritten mal verheiratet. Wieso er ausgerechnet Abends mitten auf einer Grillpartie vom Himmel in den Weiher fiel bleibt ihm ein Rätsel. Als der Nachbar ihn sah, lachte er ihn aus und bot ihm ein Bier an. Ihm, ausgerechnet ihm, der immer nur nach dem Gottesdienst in der Kneipe oder auf den zahlreichen Geburtstagen seiner großen Familie gerne einen trank.

Im Himmel war die eine Seele durchaus entzückt. Schön war es schon dort, stellte er fest, alle waren glücklich und sangen die ganze Zeit. Alles war hell und voller Licht am Strahlen. Er hatte weder ein Gefühl von Hunger noch Durst noch spürte er ein Verlangen nach irgendwas. So beschloss er den Himmel zu erkunden. Es kam ihm vor, als würde er durch einen riesigen Garten laufen obwohl fliegen wohl das bessere Wort sei. Irgendwann stellte er fest, das er nur einen Gedanken äußern musste und er befand sich direkt an der Stelle im Garten, die er sich vorgestellt hatte.

Nach einer Weile kam ihm in den Sinn, was er dort so eigenartig fand. Er verspürte fast gar keine Lust auf irgendwas. Wunschlos und heiter schwebte er so hin und her, schaute mal hier, mal dort, doch fand überall nur das gleiche Bild. Die Engel dort sahen auch alle gleich und identisch aus. Es hat wohl eine Weile gedauert, das er bemerkte, das er dort auch weibliche und männliche Engel gab. Doch das einzige, was sie machten war sich anzulächeln und zusammen ein Lied zu singen. Es war nicht so, das er dort unglücklich war, im Gegenteil dachte er, es könne auf ewig so weitergehen. Am liebsten hätte er einem weiblichen Engel auf den Arsch gepackt, doch ihm kam der Gedanken seltsam vor.

So vergingen einige Tage, wie lange man dort Tage oder Zeit überhaupt bemessen sei. Das größte für die Engel schien zu sein, mit dem Gesicht zu einem unglaublichen Licht zu blicken und mit diesem Licht gemeinsam zu singen in trauter Einigkeit.
Er dachte schon daran, auch mal mitzusingen, denn auf der Erde liebte er die Musik sehr.

Er wurde immer trauriger dort. Immer wieder kamen Engel zu ihm, setzten sich auf seine Seite und lächelten ihn an. Er habe nur mitzusingen wie alle hier und alle Sorgen würden von ihm weichen. Doch es tröstete ihn kaum, das er sich irgendwann einen Platz suchte, wo er alleine war und dachte über sein Leben nach. Warum bin ich bloß im Himmel fragte er sich, wo er im Leben doch kaum einen Wert auf diese Versprechung gelegt hatte und auch sonst nicht immer ein Vorbild für alle war.

Irgendwann kam ein großer Engel von eindrucksvoller Erscheinung zu ihm. Er war ein atemberaubender Anblick, ein Wesen voller leuchtender Farben, was aus reinem Feuer zu bestehen schien und schaute ihm lange in die Augen. Er hatte das Gefühl, er brauchte überhaupt kein Wort zu sprechen um verstanden zu sein.

Sie schauten sich eine Zeitlang an und sagten keinen Ton. Dann erhob der mächtige Engel das Wort und es war wie ein Donnern und dem Schwingen einer Harfe vom Himmel herab.

„Warum bin ich hier“, frage er den Engel, „ich habe nie gebetet und bin nie in den Gottesdienst gegangen und habe auch kaum die Bibel gelesen“.
Der große Engel fing an zu lachen und auch das Lachen glich einem Donnern und Beben in einem.

„Weißt du, mein Freund, wieso du hier bist. Es kommt nicht drauf an, das du das oder das machst oder ob du das oder das denkst. Die Schönheit hier lässt sich von keinem Menschen, keiner Religion und keinem Pfarrer ergründen.“
„Ich verstehe dich nicht. Ich will auch nicht auf immer hier sein und das machen, was alle machen und auf ewig Hallejula singen.“
„Weißt du, wieso du hier durchgekommen bist. Der Hüter der Tür ist sehr streng, selbst Männer, die auf der Erde heilig genannt wurden, kamen hier nicht rein.“
„Ich verstehe immer noch nicht“, sagte die Seele, „hier ist alles so rein und so voller Licht und hell und alles wirkt so leicht.“
„Ich verstehe“, sagte der Engel und lachte immer noch. „Weißt du, was der Unterschied zwischen dir und den vielen vielen Gläubigen ist?“
„Nein, wie sollte ich das wissen, ich war nie ein treuer Gottesknecht.“
„Warum auch, es ist wohl eines der größten Trugschlüsse unter euch Menschen zu glauben, ein bisschen beten, ein bisschen so tun, als wäre man gut, würde ausreichen um einen Platz in der Ewigkeit zu bekommen.“
Der Engel hielt inne und sagte vergnügt
„Die meisten Menschen betteln und winseln und verlangen die ganze Zeit was von Gott und fordern dauernd nur Dinge von Gott ein. Erfolg, Ansehen, Gesundheit vielleicht noch und einen gescheiten Platz im Himmel wie eine Beförderung auf einem Arbeitsplatz. Gott hätte wirklich viel zu tun, wenn er auf all die Forderung ans Universum eingehen würde, ein bisschen mehr Glauben an euch selbst und ein bisschen mehr handeln stände euch wirklich gut.“
Dann schauten sich beide an und lachten laut. Ihm kam es so vor, als würde er zum ersten Mal dort gelacht haben.
„Warum bist du anders als die anderen Engel?“, fragte er.
„Nun, mein Freund, das ist jetzt mein persönliches Geheimnis was nicht einmal die Engel hier kennen.“
„Was habe ich denn gemacht, das ich hier bin?“
„Nun, vielleicht ist die Frage falsch gestellt. Frage dich mal, was die anderen nicht gemacht haben obwohl sie sich so zwanghaft bemühten.“
„Ich glaube, ich bin einfach nur ein Mensch und verstehe deine Worte nicht.“
„Doch, du verstehst sie, wir wissen das. Gott findet das auch, obwohl es unsinnig ist, das Wort Gott zu verwenden.“
„Weißt du, was dich ausmacht, mein Freund“, sagte der große Engel, „sicher warst du in vielen Leben nicht gerade die Tugend in Person, im Gegenteil doch wir wissen hier besser um die Herzen und Seelen der Menschen als die Menschen selbst, die doch nur Schleier und Spiegel sehen können. Kein Mensch hat je die Wahrheit ergründet und selbst die Heiligsten scheitern an ihr.“
„Ich verstehe dich einfach nicht, ich glaube ich bin einfach ein Narr“, sagte er
„Wer ist weiser, der Weise, der einen Narren spielt oder der Narr, der vorgibt, ein Weiser zu sein“, fragte der Engel
„Wie auch immer, wie gefällt dir unser schöner Himmel?“
„Weiß nicht, am liebsten hätte ich ja mal einen Engel geküsst.“
„Du schau mir einer an, so einer also. Weißt du nicht, wenn du einmal einen Engel küsst hier bist du auf Ewigkeiten mit ihm verbunden und vereint.“
„Und was soll ich hier? Hier gibt es keine Tanke, kein Restaurant, nichts zu essen, keine vernünftige Musik und die Engelsfrauen wirken so abwesend“, fragte er den Engel.
Dieser lachte wieder wie tausend Donner und leuchtete in tausend Feuerrädern.
Und kam es ihm vor, als würde er auf einmal müde werden und in einen tiefen Schlaf fallen. Beim Einschlafen vernahm er noch folgende Worte.

„Und noch was, mein Freund“, sagte der Engel, „glaube nicht, was bei euch auf der Erde von so vielen Quacksalbern erzählt wird über Gott und den Himmeln. Die meisten werden genauso an der Pforte scheitern wie die Seele, mit der du am Anfang hier warst. Jeder trifft eine Entscheidung, die einen für das das, die anderen für das, doch die Entscheidungen, die deine Seele trifft, stehen über gut und böse, über Licht und Schatten und da sind alle Teufel und Engel machtlos.“

Dann erwachte er in einem Bett. Er hatte das Gefühl, er habe eine Ewigkeit geschlafen. Sein Zimmer war aufgeräumt und alles wirkte so neu auf ihn. Als er sich im Spiegel sah, erkannte er, das er gerade mal so um die zwanzig Jahre alt war.
Und als er den Briefkasten leerte, sah er, das er Post bekommen hatte von einigen, die sagten, das sie seine Schulden beglichen hatten. Es kam ihm so vor, als habe er geträumt, ein alter Mann zu sein, der gestorben war.

Er ging in die Stadt und setzte sich auf eine Parkbank um den Sonnentag zu genießen. Ein ziemlich heruntergekommener Penner kam und setzte sich neben ihm. Sie saßen dort eine Weile und redeten kein Wort miteinander. Dann sagte er zu dem Penner:
„Sag mal, Kumpel, kenne ich dich, du kommst mit so bekannt vor“, fragte er ihn.
Der Penner lachte und nahm einen Schluck aus einer Flasche Bier.
„Ob wir uns kennen. Natürlich kennen wir uns und du wirst nie erfahren, woher wir uns kennen. Mein Freund, die Welt ist nur ein Schein, ein Abbild musst du wissen und egal, wohin die blickst, bleibt alles ein Schein und Abbild.“
Und als er dem Penner so in die Augen blickte, verschwamm alles vor seinem Augen und er glaubte eine leuchtende Gestalt zu erkennen, die ihn anlächelte, doch je länger er blickte, desto mehr veränderte sich sein Gesicht bis er irgendwann ausschaute wie ein Teufel mit Hörnern.
„Ich glaube, wir verstehen uns, mein Freund“, sagte der Penner, „willkommen im Leben.“
Und ihm überkamen Wellen einer Liebe, die er selbst kaum glauben konnte so dass er anfing zu lachen. Die Blumen leuchteten wunderschön.


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Tag der Veröffentlichung: 21.04.2011

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